Heinrich Heine
Gedichte
Heinrich Heine

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Sonnenaufgang

            Sonne, purpurgeborene,
Glänzend im Glanz der Rubinenkron
Und des goldenen Mantels,
Steigest Du empor
Aus Deinem Palast von Kristall;

Vor Dir, wie Blumenmädchen am Festtag,
Tanzen die jungen Morgenlichter
Und streuen Dir Rosenblätter;
Und unter Triumphportalen,
Gewölbt aus Wolkenmarmor,
Wandelst Du siegreich
Über die leuchtende Wasserbahn,
Und wohin Du gelangst,
Entflieht die Nacht
Mit hastigem Schattenschritt,
Und, lichtgeweckt, erschließen sich freudig
Die bunten Augen der Blumen
Und die lieben Herzen der Menschen,
Und aus den grünen Domen erschallt
Befiederte Jubelmusik.

Aber, o Sonne, purpurgeborene,
Putz Dich heut noch schöner als sonst,
Putz Dich mit all Deinem besten Geschmeide,
Denn es ist heut der Geburtstag
Der schönen Tante,
Und keinen gringeren Boten
Als Dich selber, o Sonne,
Schick ich mit meinem Glückwunsch
An die schöne Tante.

Hoch geehret fühlt sich die Sonne,
Die purpurgeborene,
Sie schmückt sich hastig,
Und hastig eilt sie über das Wasser,
Eilt in die Mündung der Elbe,
Stromaufwärts, Blankenes entlang,
Und sputet sich eifrig, und kommt noch zeitig
Nach Onkels Villa zu Ottensen,
Und findet noch, frühstückversammelt,
Alldort die schöne Tante
Und den Oheim, den fürstlichen Mann,

Und die lieben Mädchen,
Und Carl, den göttlichen Jungen,
Dem die Welt gehört,
Und den vornehmherrlichen Herrmann,
Der jüngst aus Italien gekommen,
Und vieles gesehn und erfahren,
Und jetzt erzählt:
Vom alten, blauen Wunderlande,
Von Zitronenwäldern und Banditen,
Von Makaroni und Madonnen,

Von geflickten Marmorgöttern,
Und von Musik und Misere.-
Unterdessen, die Sonne, die purpurgeborene,
Auftragsgehorsam,
Strahlet ins Fenster hinein
Meinen heißesten Glückwunsch,
Meine wärmste Gratulation.

 


 


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