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Um neun sagten sich die Leute im Seebacher Hause gute Nacht, doch an Schlaf dachte niemand. Für Walpurg war der Liebesrausch nicht lauter Süßigkeit. Was sie bei Maxens erstem Kuß empfand, was sie den Kuß zu erwidern zwang, erschreckte ihre Mädchenseele. Zu lange hatte sie in Max nur einen lieben Bruder gesehen, um nicht die jähe Wende beunruhigend, sündhaft zu finden. Vorbei ist's mit der Selbsttäuschung, Walpurg liebt ihn! – Sie liebt ihn. Vorbei ist's mit dem Herzensfrieden! Die Bäuerin, die harte Frau, hat jetzt Walpurgs Glück und Unglück in der Hand. »Sei gut,« redete sie in Gedanken ihre Tante an, »laß mir den Max! Ich will ihm ein braves Weib und dir eine gehorsame Tochter sein. Ich hab' ihn so gern, so gern!« Und nun wieder erfüllte leidenschaftliche Zärtlichkeit, das selige Bewußtsein, zu lieben und geliebt zu werden, ihr ganzes Wesen.

Loni überdachte die Ereignisse des Nachmittags. Er verlief nicht so schön, wie er anfing. Man empfängt die Mutter, die Herrin vom Seebacher Hof, mit Trompeten und Pauken – und da begeht der Sohn die Dummheit und will wegen eines Mädels raufen, das von der ganzen Gemeinde geächtet ist. Und wer macht den Friedensstifter? Der Letzte im Dorf, der Schulmeister! Dieser Knirps, der nichts hat und nichts ist, erklärt mit dreister Stirn die Geschichte von der Walpurg und dem Stadtherrn für einen Tratsch. Allerdings traf er damit den Nagel auf den Kopf, aber Loni fühlte sich in diesem Fall mit der Ratschkatl eins. Ist das der Lohn für die vielen leiblichen Guttaten, die sie dem armen Schulmeister erwiesen, solang' ihr Max noch die Bank drückte? Es gibt keine Dankbarkeit auf der Welt! Da ist der Raufpeter, ihr Knecht, dem sie mit eigener Gefahr Unterschlupf gibt. Wo steckte der, als sie sozusagen den ersten Ausgang nach den vielen Trauerjahren hielt? Und als er endlich erschien, da die besseren Leute schon aufbrachen, schloß er sich nicht dem Ehrengeleite der Bäuerin an, sondern gesellte sich zu Pack auf dem Tanzboden. Und sie hatte den Abwesenden vermißt und sich über Peters Kommen gefreut! Loni seufzte: Hat er denn nichts davon geahnt? Und dann erschrak sie über sich selbst. So Gott will, nicht! Du denkst doch nicht, du wirst doch nicht! Der Peter, ein lediges Kind, der Raufpeter und wüste Hallodri soll den Platz des braven Lorenz in deinem Herzen haben, der Herr auf dem Hof des Seligen werden! Jesus, Maria und Josef, wo denkst du schon hin! Aber sieht er nicht wie ein leibhaftiger Bruder des Lorenz aus? Wer ist talauf, talab so stark und kuraschiert wie der Peter? Und ist er nicht der beste Bauer, wenn er nur will? Und der Förster wieder meint: Schad' ist's, daß Peter kein Jäger worden. Und die Panduren wickelt er um den Finger, wann er vom Krieg erzählt. – Aber ein Lump ist er halt doch. Ach, du himmlische Barmherzigkeit! Was soll daraus werden!

So tief wühlten sich die beiden Frauen in ihre Gedanken, daß sie nichts hörten, als die Stiege unter dem Tritt der beiden Männer krachte, die bei nachtschlafender Zeit das Haus verließen. Sepp wartete schon im Hof. Alle drei nahmen den Weg über die Mauer.

Die Landschaft lag im kalten Mondlicht.

Alles still! –

»Besser wär's, der Mond tät nit scheinen, »murmelte Peter, während er die Brechstange in seiner Rechten in die Erde stieß, um den Leibgurt fester zu schnallen. »Aber heut' am Sonntag saufen sich die Panduren in den Münchener Braustuben fest. Auf alle Fäll' hab' ich mein Spazierstöckerl mit!« Und er riß die schwere Eisenstange aus dem Boden und schwang sie wirbelnd über seinem Schädel.

»Ist's weit?« fragte Max.

»Fehlt's schon an der Kurasch'?«

»Nein, aber an den Füßen. Ich hab' noch die hohen Sonntagsstiefeln an.«

»Ich hab' bis zu Gebetläuten 'tanzt, aber gang' dir heut' noch bis Wolfratshausen. – Weit ist's nit, nur ein bissel naß.«

Peter schritt voran. Erst hörten sie den Fluß rauschen, dann sahen sie ihn zu ihren Füßen. Jenseits der Isar lag schwarz der Wald, und dichtes Gestrüpp säumte das Ufer. Vom Hang, auf dem die Männer standen, sahen sie auf einen schmalen Pfad längs dem Gewässer. Mit einem Sprung war Peter auf diesem Weg. Seine Begleiter rutschten ihm nach. Dann ging es stromaufwärts. Immer steiler wurde das Ufer, streckenweise war es unterwaschen, und über dem glitschrigen Weg hing das feuchte Gewölbe. An einer Flußkrümme hörte der Weg auf. Die Uferwand ging senkrecht ins Wasser. Peter wies auf eine blinkende Bank von Steingeröll und Sand, die den Fluß in zwei Arme teilte. »Da müssen wir 'nüber. Das Wasserl ist nur knietief, aber ums Eck hat's Gruben und Fallen.«

Sie durchwateten die Furt, kletterten am Geröll empor und wandten sich dann auf dem Geschiebe rechtswärts. »Jetzt bin ich an der Isar geboren,« sagte Max, »aber um das Eck niemals kommen.«

»Du warst halt alleweil ein braves Buberl. Ich war schon klein das schwarze Schaf. Ich und meine Kameraden haben uns in der Isar 'bad't, und es ist da herum kein Winkel, in den wir nit unsre Nasen steckten.« Max schlenkerte die Beine, von denen das Wasser troff. »Ein andrer Weg wär' mir lieber.«

»Es gibt keinen nähern. Schau dich um!«

Die Landschaft war von einer großartigen Wildheit. Hier wirkten nur elementare Kräfte. Wetter und Wind und Wasser modelten am Gestade. Drüben lag breit Gerölle mit sumpfigen Lachen, hüben war die haushohe Uferwand vom Wasser unterhöhlt, und Frühlingsfluten hatten Klüfte und tiefe Schluchten gerissen.

»Es riecht nach Rauch,« sagte Max schnuppernd. »Wo Rauch is, is Feuer. Das werd meinen Stiefeln gut tun.«

»Die Nächt' sind noch kalt, da zünden sie halt ein Feuerl an. Da herum suchen die Kaiserlichen nix.« Sie legten noch eine Strecke auf dem Geschiebe zurück. »Kra, kra!« ahmte Peter den Ruf einer Saatkrähe nach. »Kra, kra!« kam die Antwort vom Ufer. Noch einmal mußten die drei über eine Furt, dann standen sie vor einer weitklaffenden Höhle, und im Rauch und Qualm eines lodernden Feuers tauchte ein Dutzend Männer auf, alle mit rußigem Gesicht, verwildertem Haar und Bart, hagere und untersetzte Gestalten, alle zerlumpt. Der Empfang war nicht laut. Einige drückten dem Raufpeter die Hand, dann lagerte man sich um das Feuer. Beim Flammenschein erkannte Max ein paar Bauernsöhne aus der Nachbarschaft, die vor der Aushebung geflohen waren. Der betreßte Rock, verschossen und verschlissen, und breitkrempige Hut kennzeichneten andere als weiland kurfürstliche Soldaten. Ein baumlanger Kerl mit einer Habichtsnase, der Reisig und Krüppelholz aus dem Hintergrunde schleppte, trug die Lodenjoppe der Gebirgler und einen Gamsbart auf dem vergilbten Jägerhütel. »Das ist der Wilderer-Hans von Mittenwald,« sagte Peter zum Seebacher. »Vor dem ist kein Rehbock sicher, und kein Hendel auch net.«

»Ich bin halt so viel wert wie du,« erwiderte der Gebirgssohn, »aber ich streit' nit mit dir. Was nutzt das Wildern, wo sich nur dann und wann ein alter Geisbock her verlauft. Die Schnapskruken ist bald am End', und den letzten Wecken hat der Franzos aufg'fressen.« »Parol donör, das das eine Lug',« versetzte ein graues, vermückertes Männchen in einer fragwürdigen Uniform.

»Heut' reicht's noch,« sagte Peter und tat einen Zug aus dem Steinkrug, den ihm ein Nachbar darbot. »Morgen schpendiert der Seebacher da Schnaps und Speck, und kommen wir net selber, bringt's der Sepp.«

»Sepp is ein bong Garsson und mon ami. Der Musje Seebacker wundern sich über meine Sprack. Aber 'ab ich so lang' unter Franzosen gelebt, daß ich beinah' verlernt meine Muttersprack.«

»Das lohn' dir der Teifel,« rief ein Bursche, der einzige, der noch Fett am Leibe hatte. »Wir sind Patrioten, wollen net kaiserlich wer'n, aber Welsche auch net. Jesses, was gäb' ich drum, wann ich jetzt in Holzkirchen im Braustübel von meinem Alten sitzen könnt'!«

»Im Sommer sind wir alle wieder daheim,« meinte einer. »Der Fuchs bleibt in keinem leeren Hendelstall, die Panduren werden net mit uns verhungern wollen. Wo nix ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.«

Hin und her wurde über die Friedensaussichten gesprochen. Nur wenige schenkten den günstigen Nachrichten Glauben.

»Was nutzt alles Schwatzen,« rief der aus Mittenwald, »es werd, oder werd net! Wir stecken im Dreck. Aber es gibt doch Tröpf' g'nug, die noch Geld haben wie Heu und wie die Herrgötter leben, weil sie vor dem kaiserlichen Rat katzenbuckeln und dem Panduren-Feldweibel einen Zwanz'ger nach dem andern in die Tatzen drucken. Sellen Hallunken den roten Hahn aufs Dach und unsere Händ' in die vollen Taschen!«

»Wir sind doch keine Rauber!« sagte Max.

»Höllsakradi, halt's Maul mit deinem verruckten Zeug!« fuhr Peter den Langen an. »Das heißt, es gibt Mantelträger und Spitzeln auch im Bayerland, und denen g'schäh' scho' recht.« Er brach ab und schlug Sepp auf die Schultern. »Gelt, Seppe!, Anno fünf, wenn uns da net so ein Luder verraten hätt' – Das G'sangel von den Patrioten, weißt es noch?« Sepp, der bisher stumpf in die Flammen gesehen, wurde lebendig. »Das weiß ich freili. Unser Bauer, der Seebacher Lorenz, hat mir's g'lernt.«

»Sag's auf, Seppel! Das macht uns warmer als Schnaps und Feuer. Das G'sangel von Anno fünf, Seppel, sag's auf!«

Der Bucklige blickte mit einem unsicheren Lächeln auf den Sprecher. Der klopfte ihm wieder auf die Schulter. »Der Meindl hat's g'macht, und ihr habt's g'sungen bei Burghausen und Schärding und vor München. Sag's her!«

»Burghausen – Schärding – da war's guat – da hat der Lorenz –« Er richtete sich auf, breitete die Arme aus und drückte die Augen zu. Es war ganz still in der Höhle, nur das Feuer knisterte, und die Isar rauschte. Dann begann Sepp mit rauher Stimme, mit Anklängen an seine mundartliche Sprechweise, aber mit wachsendem, leidenschaftlichem Ausguck:

»Weih unser Schwert du, der uns kennt,
Das Feuer weih, das in uns brennt,
Wir kämpfen für das Bayerland!
Kaiserlich Volk knecht't unsern Leib,
Raubt unser Kind, schänd't unser Weib,
Max Emanuel ist verbannt!

Es ist für uns kein ander Heil,
Die Flint' zur Hand und Senf' und Beil!
Max Emanuel ist verbannt!
Wir raufen, einer gegen zehn,
Doch die Büchsen treffen, die Sensen mähn,
Wir kämpfen für das Bayerland!

Weihnacht ist da; es läut't zur Metten,
Wir aber woll'n die Kinder Die gefangenen Prinzen. retten,
Erretten aus fremder Hand!
Die Kinder! Bauer oder Knecht,
Heut' sind wir gleich und sind im Recht,
Wir kämpfen für das Bayerland!

Die Kinder retten! Schlagt zu, schlagt tot!
Die weißblaue Fahn' muß werden rot,
Der Christbaum steh' in Brand!
Wir raufen heute nicht um Klein's,
Und fallen wir, ist alles eins –
Dreimal hoch das Bayerland!«

Ein herrlicher Sommer brachte Segen für Dorf und Stadt. Bauern und Gutsherren rechneten mit einem fruchtbaren Jahr, und in den Städten war schon die Hoffnung auf Wiederkehr der alten besseren Zustände dem Handel und Gewerbe günstig. Nur die Abtrünnigen, welche sich mit den Gewaltherren befreundet hatten, um im Trüben zu fischen, zweifelten noch am Sieg des guten Rechts.

Auf dem Seebacher Hofe ging es heiß her. Dem Gottessegen auf den Feldern waren die paar Menschen nicht gewachsen, und Tagelöhner wurden gedungen. Loni war mit ihrem Sohne von früh bis spät auf den Feldern, während Walpurg das Hauswesen besorgte. Abends war man todmüde und schlief bis Sonnenaufgang einen traumlosen, festen Schlaf. Insofern war die Zeit weder für Liebesromane noch Höhlenromantik günstig. In der Liebe freilich genügt ein wechselseitiger Blick, ein heimlicher Händedruck, um das Feuer zu unterhalten. Doch der Eifer für die Kameraden im Isarwinkel nahm bei Max in dem Grade ab, als ihre Ansprüche an seine Freigebigkeit wuchsen, und er würde die Besuche der Höhle ganz eingestellt haben, wenn ihn nicht Raufpeter an den Feiertagen – und es gab deren leider nicht wenige – durch Hohnreden und versteckte Drohungen zum nächtlichen Gang genötigt hatte. Einige von den Flüchtlingen und zwar die Ehrlichen hatten inzwischen den Schlupf verlassen; die Neulinge, die sich dafür einfanden, paßten um so besser zu den Ausdauernden, verrohte, arbeitsscheue Gesellen vom Schlage des Mittenwalder Wildschützen, untauglich für allen Dienst und verdorben für jeden Herrn. Die Ernte war glücklich unter Dach, die Scheunen waren voll, und Loni schränkte ihren Haushalt wieder ein. In festtäglicher Stimmung wanderte sie Sonntags in der zweiten Hälfte des August zum Hochamt nach Talkirchen. Schon am Morgen war es drückend heiß. Die Landschaft unter dem weißglühenden Himmel mit ihren kahlen Feldern und Wiesen, mit den Staubwolken, welche Scharen von Kirchgängern aufwühlten, hatte etwas Wüstenartiges, doch die vielen roten Regenschirme, die jetzt als Schattenspender dienten, brachten Farbe und Leben in die Landschaft. Auch Frau Loni schritt unter solch einem purpurnen »Parasol«, den Walpurg sorgsam über sie hielt. Max und Peter gingen als Lonis Paladine voraus. Peter trug einen nagelneuen Flausrock, das Haupt- und Barthaar gestutzt und in natürlicher Farbe; tannengerade hielt er sich und blickte übermütig, wagemutig in die Welt.

Jesus, wenn ihn ein Pandur erkennt, dachte die Bäuerin hinter ihm, er stürzt uns zuletzt noch alle ins Unglück! – Schneid' hat er, das muß man ihm lassen. – Und so g'wachsen wie er war nur mein Bauer. – Er ist beinah' um einen Kopf größer als der Max. –

Die Gedanken ihrer Begleiterin drehten sich um den Jüngeren. Groß oder klein, die Lieb' fragt net danach, aber mich freut's, daß mein Max net so eine lange Stangen ist wie der Peter ... Ich glaub' schon, daß er mich gern hat, aber seine Heimlichkeiten hat er doch vor mir. Letzten Sonntag sind die Männer wieder auf und davon in nachtschlafender Zeit. Ich hab' kein Aug' mehr zugetan. Der Tag hat schon graut, als sie heimkamen. Wo treibt er sich um? Und die Frau Tant' hat wieder nix g'merkt. Die schlaft wie ein Ratz. Sie wird halt schon alt. – Ich tu's nicht gern, aber heut' nehm' ich Max ins Gebet ...

Er g'fallt mir wie keiner, gestand sich die Bäuerin, aber lieber reiß' ich mir die Augen aus, als daß er es merkt!

Heut' muß mir Max beichten! gelobte sich Walpurg.

Aber es kam anders.

Als sie von der Kirche heimkehrten, trafen sie Walpurgs Vater auf dem Hofe an. Die Bäuerin empfing ihn mit ungewöhnlicher Herzlichkeit. Gut, daß er da ist, dachte sie, vor dem nehm' ich mich zusammen.

»Ist das heut' eine Hitz', Frau Bas'. Fahrt der Bogner Bräu nach Talkirchen und laßt mich aufsitzen. Die armen Rössel haben g'schwitzt, als ob sie zwei Bierbrauer und eine Kompagnie Invaliden ziehen müßten ... Ich hab' vom Sepp schon g'hört: das Jahr ist gut! Ich gratulier' von Herzen. War meine Burgl fleißig beim Zeug?«

»Ein jeder tut halt, soviel er kann,« erwiderte die Bäuerin kurz. »Ich denk', wir setzen uns in die Stub'n. Wo ist denn der Peter?«

»Beim Wirt,« sagte Max. »So bald kommt der nit heim.«

Loni schlug die Hände zusammen. »Im Wirtshaus in dem Aufzug, als der Raufpeter und Desentör! Wenn ihn die Kaiserlichen ersehen, wird er erschossen, und uns geht's an den Kragen.«

»So harb ist's nit mehr,« meinte der Invalide. »In der Hofburg geben sie kloanweis' nach. Aus München ruckt ein Bataillon nach dem andern ab. Das Ölzweigerl, das uns der Meindl 'bracht hat, war kein leerer Trost.«

Doch Loni blieb verstimmt und sorgenvoll. Nach dem Essen ging Max auf Kundschaft aus. Die Seinen saßen noch am Tisch, als er wieder eintrat. »Kommt er?« schrie die Bäuerin auf.

»Noch nit, aber ich bin unserm Herrn Pfarrer begegnet, und der hat mir vertraulich g'sagt, unser Franz säß' im Wirtshaus so absonderli lustig, und es wär' halt doch ratsam, wir täten ihn holen.«

»Was holst ihn dann nit?!« ließ ihn hart die Mutter an.

»Ich wollt' nur sagen, daß der Himmel auf der Bergseiten ganz schwarz ist. Vielleicht kommt ein G'witter, vielleicht auch net.«

»Mir liegt's schon in allen Gliedern,« sagte Loni, »geh nur, geh!« Der Invalide bat, in Walpurgs Kammer ein Schläfchen halten zu dürfen, auch er spürte das Wetter. Loni war bei der Unrast in ihrem Blute seiner Bitte froh.

In Walpurgs dämmeriger Kammer nahm der Alte auf dem einzigen Sessel Platz. »Bitt' schön,« sagte das Mädchen eifrig, »ich werd' Euch das Bett aufdecken.«

»Ich bin nit müd'. Es war eine fromme Lug! Ich muß mit dir unter vier Augen reden. Da stell dich her, daß ich dein G'sicht sehen kann.«

Was Walpurg ihrem Liebsten zugedacht hatte, geschah nun an ihr. Sie wurde vom Vater »ins Gebet genommen«.

»Du hast heut' kocht,« begann er. »Die Suppen war versalzen. Bei den Knödeln hab' ich unwillkürli an die Granatkugeln bei Belgrad 'denkt, und wie's halt so geht, fang' ich ein Stückerl vom Türkenkrieg zu erzählen an. Die Frau Bas' – na ja – wenn man einen Kerl im Haus hat, der selber der reinste Krowat ist, hat man Sorgen. Aber du, die immer Aug' und Ohr für mich war –«

»Horchet, Vater, hat's net schon 'donnert?«

»Auf mich hast net g'hört, aber g'schaut auf den Maxel, und er auf dich! So – so – Raus mit der Wahrheit: der Vetter hat mit dir angebandelt?!«

Walpurg blickte zur Erde. »Wir sind miteinander versprochen.«

»Ineinander verliebt und miteinander verlobt, ist nit eins. Beim Versprechen haben auch die Eltern mitzureden. Weiß es die Bäurin schon?«

»Bis heut' noch net.«

»Aha! Die Antwort der Frau Loni, wenn ich mit ihr red', weiß ich voraus und will mir den Mund nit verbrennen. Aber der Max muß mit ihr reden. Und das heut' noch! Wenn er heimkommt, werd' ich's ihm sagen.«

»Aber Vater, die Frau Tant' hat noch so viel Sorgen! Wenn bessere Zeiten kommen – wir warten ja gern.«

»Auf was? Ich bleib' ein ab'dankter Soldat und du ein armes Madel. Lebst unter den Bauern und kennst sie noch net! Die Frau Bas'! – Weißt, was sie dem Max heut' antworten wird? Auslachen wird s' ihn. Und wenn er Ernst macht, kann er sein Bündel schnüren. Hof und alles Gut und Geld sind der Bäuerin bei Lebzeiten verschrieben.«

»Der Max ist ein tüchtiger Bauer, und ich bin auch nit faul.«

»Das wird eine traurige Brautschaft werd'n, der mütterliche Segen fehlt. Und wird der Mann ausharren um dich, die ihn um den Segen und sein ruhiges Brot und sein Vaterhaus 'bracht hat? Ich fürcht', ich fürcht' – aber vom Nächsten wollen wir reden. Morgen in aller Früh' bin ich wieder da und hol' dich, ob die Frau Bas' nein sagt oder ja.«

»Dann nimm mich nur gleich mit dir! Denn soviel kenn' ich unsere Hausfrau: Heut' läßt sie nicht mit sich reden. Vater, habt Ihr denn gar kein Vertrauen zu mir? Ich halt' auf meine Ehr'!«

»Deine Ehr' und meine sind eins. Wie das Spiegerl dort, so blitzblank muß sie bleib'n, oder – Ich will net daran denken!« Er sann vor sich hin. »Du hast recht. Man soll's net übers Knie brechen. Ich red' heut' mit dem Max. Acht Tag' sind eine lange Zeit. Da kann er sich überlegen, wie er's der Mutter am besten beibringt. Am nächsten Sonntag hol' ich mir Bescheid, und mein Burgel geht mit mir.«

»Vater, Vater!« rief Walpurg und hing an seinem Hals, »ich mach' Ihm niemals Kummer!«

»Ich glaub's, ich glaub's, sonst lasset ich dich keine Stund mehr da!« – Er sah sich in der Kammer um und nickte. So kahl sie war, offenbarte sie doch die häuslichen Tugenden der Bewohnerin. Zuletzt wendete sich sein Blick zu dem vergitterten Fensterchen. »Am Anger hast du eine schönere Aussicht ... Horch! jetzt hat's wirkli donnert, aber noch schwach ... Ob der Bräu fortfahrt, eh' ich nach Talkirchen komm'?«

»Vielleicht laßt Euch die Frau Tant' mit unsern Bräundeln heimfahren.«

»Sie tut's net gern, und ich nehm's net an.«

An der östlichen Seite des Wohnhauses zog sich ein schmales Beet am Gemäuer hin mit Gemüsepflanzen und wenigen Sommerblumen. Zwischen Bohnenstangen stand eine Bank, das war der Bäuerin Gartenlaube. Nachmittags lag der Platz im Schatten, und an schönen Sonn- und Feiertagen hielt Frau Loni dort ein Ruhestündchen. Auch heute suchte sie, sobald sie allein war, das Gärtchen auf. Lange saß sie dort in ruhlosen Gedanken. Die Schwüle war überall, und die schwere Gewitterluft, mit dem Duft von Nelken und Goldlack gewürzt, versetzte die sonst so nüchterne, besonnene Frau in seltsame Aufregung, und das Herz klopfte ihr vor heißen Gefühlen und verbotenen Gedanken. Sie stand auf, ging hin und her und hielt wieder inne. Im Westen drohte das grauschwarze Gewölk. Schwalben schossen auf dem dunkeln Hintergrunde hierhin, dahin. – »Es ist eine Hex' in der Luft,« redete sich die Bäuerin ein. »Warum fangen s' in Talkirchen das Wetterläuten net an!« Es donnerte dumpf, aber noch regte sich kein Blatt. Das geängstigte Weib wandte sich der taghellen Landschaft im Osten zu. Ein Almerlied fiel ihr ein aus ihrer Mädchenzeit im Gebirge. Sie sang mit ihrer ungeschulten Altstimme die ersten Verse versuchsweise wiederholt vor sich hin:

»Vom Wald schaug i aussa,
Wo d' Sonn' so hell scheint –«

dann sang sie lauter:

»Mei Schatz is mir liaber
Als all meine Freund'!
Als all meine Freund'
Und liaber als Geld,
Mei Schatz is mir liaber
Als all's auf der Welt!
Und glaub's nur, mei Schatz, wenn
Die Leut' di verschrein:
Di kann mir, mi kann dir
Koan Wensch mehr verleid'n!«

Da legte sich ein starker Arm um Loni und drehte sie, die nicht widerstand, herum, und in süßer Mattigkeit lag die Frau in den Armen des Mannes, an den sie bei dem Liede und all die Zeit her gedacht hatte. »Das G'sangel hat di verraten, Loni!

Mi kann dir, di kann mir
Koan Mensch mehr verleid'n!«

Sein Kuß brannte auf ihren Lippen, und da schlang sie leidenschaftlich die Arme um den geliebten Mann und küßte ihn. Da – Blitz und Donnerschlag! – Der jähe Schrecken brachte Loni zur Besinnung; sie stieß Peter zurück, daß er taumelte, und flüchtete sich ins Haus. Peter wollte ihr nach, doch ein zweiter Blitz blendete ihn, der Regen prasselte, die Windsbraut fegte über das Haus, und Mörtel, Moos und Schindeln wirbelten um Peter.

»Himmelherrgott!« fluchte er, da fiel ihm eine halbe Dachrinne vor die Füße.

Als Peter in die Wohnstube trat, sah er beim Flackerlicht eines Blitzes die Mannsleute und die beiden Frauen vor dem kleinen Hausaltar knien.

»Heilige Mutter Gottes, bitt' für uns!« betete Walpurg.

»Bitt' für uns!« wiederholten die andern. –

An den abziehenden Gewitterwolken spannte sich der farbige Bogen; über Talkirchen leuchtete der schönste Abendhimmel.

Als Walpurgs Vater aufbrach, bot ihm die Bäuerin, die seltsam niedergeschlagen war, ihr Fuhrwerk an. Allein der Invalide glaubte sicher seinen Gönner im Dorfe noch anzutreffen. Max sollte ihn dahin begleiten, um die Frauen über seine Heimfahrt zu beruhigen.

Bei der Rückkehr des jungen Bauers dunkelte es schon. Raufpeter erwartete ihn im Hofe. »Die Frauensleut' sind in der Kuchel. Wie wird's heut' nacht? Ich hoff', du hast dir's überlegt und tust mit.«

»Nein, ich bleib' dabei: geh du allein! Wir drei sind jetzt wieder die einzigen Mannsleut' im Haus, einer von uns muß nachtens auf dem Hof bleiben.«

»Natürli du! Kann mir denken, warum!«

»Dazu kann ich nur lachen. Du kennst uns besser. Die Burgl halt't auf ihre Ehr', und ich mein's ehrlich. Weil wir grad' bei der Ehrlichkeit sind – beim Lisch wollt's heut' nacht Haberfeld treiben!? Wenn's nur dabei bleibt!«

»Himmelsakra, was willst damit sagen? Sind wir ebba keine Patrioten? Der Lisch ist ein kaiserlicher Spitzel. Er und kein andrer hat Anno fünfe die Bauern verraten.«

»Man sagt's, man glaubt's, wer weiß was G'wisses! Patrioten? Der Wildschütz hat in Mittenwald 'dient, aber ist z'haus in Tirol. Was gehn ihn unsere Sachen an?«

»Ein schneidiger Kerl ist beim Raufen allemal dabei.«

»An Schneid' fehlt's mir nit, aber seit wann wird beim Haberfeld g'rauft?« Peter hatte Gründe, die Frage nicht zu beantworten. »Der Seppl ist ein armer Häuter, aber er freut sich auf den G'spaß und gönnt dem Lischbauern die Schand'!«

»Einer bleibt daheim, ich oder der Sepp.«

Peter überlegte. Er vermutete richtig, daß es zwischen Max Seebacher und Walpurgs Vater wegen der Liebschaft zur Aussprache gekommen sei. Doch den Ernst des ehrlichen Jungen hielt der Leichtfuß für üble Laune. Seinen kleinen Finger hab' ich, sagte sich Peter, aber noch lange nicht die ganze Hand. Und darum ist's gut, wenn Max heute daheim bleibt. Aber der blöde Sepp muß mithalten. Er gehört zum Seebacher Hof. Die Mitschuld des einen deuchte Peter eine Bürgschaft für seine Herrschaft über alle.

Er schlug Max auf die Schulter. »Bist granti? Ich versteh' ... Machen wir dem Sepp die Freud'!«



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