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Wochen waren seit der Aufnahme Raufpeters in der Einöde verstrichen. Die Tage gingen unter Arbeit hin, doch in den Nächten schlief nur einer den Schlaf des Gerechten und das war der schlimme Peter. Die Sorge um Hab' und Gut und die Furcht vor dem neuen Hausgenossen bedrückten die Bäuerin; die verworrenen Empfindungen der ersten Liebe raubten ihrem Sohn die Nachtruhe. Peter hatte eine Art, mit Frauenzimmern umzugehen, die dem in strenger Zucht aufgewachsenen Jungen aufs höchste mißfiel. Der Hofherrin bewies nach dessen Meinung der Knecht zu wenig Respekt und der Base Walpurg zu viel Aufmerksamkeit. Und indem Max die Blicke des andern belauerte, gingen ihm selbst die Augen auf, was für ein köstliches Frauenbild aus dem lieben Kinde geworden war. So schön und frisch, so rührig und allezeit bei guter Laune! Zu lustig, dachte Max, wenn seine Base auf die Späße und Stichelreden des Raufbolds munter einging und auf verfängliche Fragen immer eine kluge Antwort hatte. Es war jedoch der Ärger über die eigene Schüchternheit, was Max so scharf und strenge machte.

»Hör mal,« sagte er eines Tages zu Walpurg, die der Bäuerin in der Küche half, »war das gestern wieder ein G'lachter zwischen dir und dem Knecht! Das schickt sich net für dich.«

Und da lachte sie wieder. »Aber Max, der ist ja ein Alter.«

Seitdem Peter auf dem Seebacher Hof war, ließ er alles Haar wild wachsen und stäubte sich den Krausschädel und Vollbart mit Mehl ein, daß er wie ein knorriger, alter Klausner aussah. Aus den Augen freilich blickte der Schalk.

Die Antwort Walpurgs gefiel weder Max, noch seiner Mutter. Der Bäuerin war Peters Graukopf ein tägliches Ärgernis. Im Haushalt einer ehrbaren Bäuerin und Wittib, meinte sie, führt man keine Maschkerad' und Komedi auf.

»Er ist der Knecht, und du bist unsrige Verwandte,« sagte Max.

»Larifari!« fiel die Mutter ein, »er hat nix, und sie hat nix; da sitzt der Haken.«

»Aber Frau Tant'!« rief Walpurg, »das hab' ich net verdient!« Und sie ging still hinaus, um ihre Tränen zu verbergen.

»Du warst zu hart, Mutter.«

»Sie ist ein leichtfertiger Fratz.«

»Leichtfertig nicht, nur leichtlebig. Sie hat keinen Hof und drum net unsre Sorgen.«

»Was red'st du von unseren Sorgen! Der Hof ist mein, und so sind auch die Sorgen mein!«

Mutter und Sohn ahnten nicht, daß Walpurg bei aller Heiterkeit ein leidenschaftliches Herz besaß. Die Einsicht, daß sie um die Liebe ihrer Wohltäterin vergeblich ringe, machte dem feinfühligen Mädchen die Wohltat zur Pein. Am Tage hatte sie keine Zeit, um trüben Gedanken nachzuhängen. Doch in der Nacht lag auch sie viele lange Stunden wach und grübelte, wie sie sich frei machen könne, ohne die Freude des Vaters über ihre gesicherte Zukunft zu verderben.

Am prasselnden Herdfeuer führte Peter das große Wort. Er hatte sich in der Welt draußen umgetan und mehr gesehen und erlebt, als die sämtlichen Alten und Jungen von Lonis Bekanntschaft. Ein abenteuerlicher Hang trieb ihn als blutjungen Menschen in die Fremde. Von jenen Wanderjahren erzählte Peter nicht immer wahrheitsgetreu, aber lebendig. Wie er den Tiroler Grenzwächtern entwischte und einem Jäger am Achensee sommerlang beim Weidwerk half. Von der Pirsch in einsamen Waldtälern und von der Gamsjagd auf Bergen, von denen er weit, weit bis zum Würmsee sehen konnte. Er erzählte von Innsbruck, vom goldenen Dachel und von der Ambraser Burg. Und wie er winters über den Brenner wanderte durch eine Welt von Schnee und Eis. In Gossensaß fand er in einer Schmiede Arbeit. An einem Wildwasser stand sie; über dem finsteren Lärchenwald reckte sich ein großmächtiger Berg, und in Mondnächten sah Peter die grauslichen Eisfelder durch sein Kammerfenster. In der Schmiede war's nicht geheuer, zuweilen um Mitternacht fing unter ihm ein Hämmern und Klirren an, lauter als das Wasserrauschen, und Peter sah die Funken vom Schlot niederstieben. Der Meister meinte, dann seien die Zwerge an der Arbeit, die dort herum noch in Schlüften und Klüften hausen ... Weiter unten im Süden, wo dicht wie das Geständ' an der Isar die Reben stehen, wimmelte es von französischen Truppen, und Peter tat bei den Verbündeten seines Kurfürsten Kriegsdienste. Er machte unter Vendome den Sturm auf die Bischofsstadt Trient mit, und im Hof der fürstbischöflichen Burg, die größer und ebenso prächtig wie die Residenz in München ist – just am Johannitag – war es, wo ihn der weltberühmte General auf die Schulter klopfte und mon brave Bavarois ansprach. Doch da Prinz Eugen mit großer Übermacht anrückte, rückten die Franzosen aus, und das verdroß den Peter. Er trennte sich von seinem Regiment ohne Abschied und kam bis nach Verona, wo er, corpo di bacco! welschen Wein wie Wasser trank und wie ein Welscher gebratene Vögel mit Polenta aß. Aber eines Tages packte ihn das Heimweh, und er wanderte auf derselben Straße zurück, die er gekommen war.

Abend für Abend erzählte der Peter von lustigen und trüben Tagen, von Burgen und Bergen, Gespenstern und Raufhändeln. Wie weiland der klugen Scheherezade ging ihm niemals der Stoff aus.

Den Frauen lief es zuweilen eiskalt über den Rücken... Max hörte mit unfreiwilliger Bewunderung zu, und es ward ihm wind und weh vor Sehnsucht, auch einmal anderes zu erleben, als einen Münchener Markt- und Talkirchener Kirchweihtag.

Sepp lauschte so andächtig wie die anderen, doch bei der Stimme des Erzählers verwirrten sich die Geschichten in seinem armen Schädel, und zuletzt wußte er nicht: hat das der selige Lorenz erlebt oder der Peter?

Nicht immer blieben die Hausgenossen allein, zuweilen polterte eine österreichische Streifwache an das Tor, und ihr mußte geöffnet werden. Davonschleichen durfte sich niemand im Hause, denn der Zugführer hatte eine Liste von dem Personenstande in jedem Gehöft, und es war namentlich für die Frauen rätlicher, in Gesellschaft zu bleiben, als allein. Der waffenklirrende Haufe, kunterbunt wie die Völkerschaft des österreichischen Kaiserstaates, durchstöberte Ställe und Scheunen und das Haus von unten bis oben und nahm dann lärmend am Feuer Platz. Es fehlten die Dolmetscher zwischen Einheimischen und Fremdländischen nie. Bald war es ein Tscheche, bald ein Ungar, der Deutsch verstand, auch steckten in der Pandurenuniform manche, welche das erste Vaterunser sicherlich deutsch gebetet hatten. Man trug Bier und Branntwein, Brot und Käse auf, und die Männer machten die Schenken. Die Frauen drückten sich in die finsterste Ecke und blieben unbeachtet, denn alsbald war der falsche Franz die Hauptperson. Der Raufbold gewann stets im Handumdrehen die Herzen der Wildlinge. Er machte sie lachen und schwatzen und singen. Und wenn er, der Großknecht Franz auf dem Seebacher Hof, von seinen Soldatenjahren sprach, waren die Panduren ein ebenso dankbares Publikum, wie die Hofbewohner bei den Erzählungen Peters aus seiner Wanderzeit. Er log mit einer Kunst, daß den Hausgenossen wirbelig wurde und das Unmögliche glaubhaft schien. Als Johann Sobiesky mit 25+000 Polen und der bayrische Kurfürst dem bedrängten Wien zu Hilfe eilten, in der sechsstündigen Schlacht, die mit der Niederlage Kara Mustafas und dem Untergang von 10+000 Türken endete, war er – der Franz – dabei gewesen. »Im Mai werd' ich sechzig, aber Schneid hab' ich noch alleweil, und stark sind wir auch!« Zum Beweise hob er den klotzigen, schweren Tisch mit einer Hand empor, streckte ihn mit stählernem Arm hinaus und setzte ihn sacht wieder auf den Boden, und es ward kein Glas gerückt, kein Tropfen verschüttet. Mit einem Satz hockte er dann auf einer großen Mehltruhe und sang ein beliebtes Soldatenlied:

»Rumbidi bum!
Bist Soldat;
Morgen draht
Dich a Kugel um und um!
Rumbidi bum!
Heut' noch grad
Sauf, Kamerad!
Heut' noch lustig, morgen krumm!
Rumbidi bum! Rumbidi bum!«

Das Lied begeisterte die Braven. Heute lustik, morgen krumm! gröhlte der Chorus, und Peter trommelte mit den Füßen an die leere Truhe: Rumbidi bum, rumbidi bum! Man sprang auf und stieß an. Slava! Eljen! Vivat! und wenn Ungarn dabei waren, tanzten sie sicher einen Czardas. Kamerad Navratil oder Pospischil aber klopfte wie weiland Marschall Vendome dem Langen auf die Schulter: »Schade, daß du bist nicht mehr jung und kein Tscheche!«

Wenn die Säbelhelden endlich aufbrachen, versicherte stets der Sprecher der stillen Hausfrau, daß sie sich ausgezeichnet unterhielten, aber leider an den weiten Heimmarsch auf verschneiten Wegen und in grimmiger Kälte denken müßten.

Rumbidi bum, rumbidi bum! sangen die Abziehenden – dann verloren sich die Stimmen, doch erst wenn im nächsten Gehöft die Hunde, den Feind witternd, anschlugen, atmeten die Bäuerin und die Ihren auf.

»Ihr habt's wieder arg getrieben heut',« sagte Loni zum Raufbold, doch ihre Stimme war nicht streng und ihr Blick wärmer als sonst.

»Mit den Hanswurschteln muß man Komedi spielen,« antwortete Peter und drückte ihr die Hand mit einem Blick, dem Loni niemals standhielt. Dann zogen sie sich in ihre eiskalten Kammern zurück. Sepp als der letzte löschte das Feuer, schloß die Haustür und kroch auf die Streu im Kuhstall. Und bis zur Hahnkräh lag dann das Gehöft schwarz und still im weißen Feld, und nur der Fuchs schlich um die Mauer.

Daß der Knecht auf dem Seebacher Hof nicht der alte Franz, sondern der Raufpeter war, war für die Einheimischen kein Geheimnis; doch sie verrieten mit keinem Wort, keiner Miene ihre Kenntnis. Wenn es gegen die Kaiserlichen ging, schlossen Katz' und Hund Freundschaft.

Als die Tage länger wurden, erbat sich Sonntags Walpurg von der Bäuerin Urlaub, um ihren Vater in München zu besuchen. Sie war vor der Dämmerzeit immer zurück, doch Loni gab zwar die Erlaubnis, aber dem Sohn sprach sie ihr Mißfallen an diesen Stadtgängen aus. Es war ihr nicht recht, daß das Mädchen so allein ging, und wieder war es ihr nicht recht, als sie eines Sonntags Walpurg mit einem Begleiter traf. Der letzte Sonntag im April war wolkenlos und warm. Loni hatte den Besuch einer Talkirchener Fleischerswitwe, die Katharina Mitterhuber hieß, aber allgemein nur die Ratschkatl genannt wurde. Nachdem der Gugelhupf – ein rarer Bissen in den teuren Zeiten – und der Nußlikör gekostet und gelobt, das Füllhorn interessanter Neuigkeiten geleert war, machten die beiden Frauen einen Spaziergang. Auf schmalen Feldwegen wandelten sie hintereinander, Apollonia in Gedanken über das Gehörte, die Freundin im Nachsinnen, ob sie nicht das eine oder andere Wichtige vergessen habe.

Auf einem Hügelchen stand eine Kapelle mit dem Bilde armer Seelen im Fegefeuer. Als fromme Frauen beteten die beiden droben ein Vaterunser für die armen Seelen, darauf saßen sie in einer Nische in der Rückwand des Kapellchens nieder, wo sie ein Sträßlein im stark gelichteten Gemeindewald unter sich hatten. Noch saßen sie still, als unten ein Mann erschien in städtischer Kleidung, den Degen an der Seite, in der Linken Hut und Lockenperücke, in der Rechten ein Taschentuch. Er war rot vom Gange, blieb stehen und wischte sich den Schweiß vom runden, glattgeschorenen Schädel, dann sah er auf den Weg zurück. »Burgi,« schrie er, »kommst bald?«

»Gleich, gleich.«

Loni klang die zweite Stimme bekannt und sie wurde nicht lange im Zweifel gelassen. Die Erwartete war Walpurg. Sie hatte ihr Kleid geschürzt und hielt in der Hand einen Kranz aus Efeuranken, Maßliebchen und Schlüsselblumen. Schwupp! saß der Kranz auf dem Haupte des Wartenden:

»Ehrt unsre Tapfren, unsre Toten,«

sagte Walpurg den Vers aus einem zeitgenössischen Gedicht auf die Sendlinger Opfer,

»Und gebt den wackren Patrioten
Den wohlverdienten Lorbeerkranz!«

»Erstens bin ich nicht tot, und dann sind das Gans- und Schlüsselbleameln, keine Lorbeeren.«

»Und gebt den wackren Patrioten,«

wiederholte Walpurg mit Nachdruck,

»Den wohlverdienten Lorbeerkranz!«

»Gott sei Dank, du bist noch immer der lustige Fratz von dazumal!«

»Heut' schon, aber sonst öfter traurig als lustig. Die Frau Loni mag mi net.«

»Die Bäuerin? Für so dumm hätt' ich die Witib des braven Lorenz nicht gehalten. Ja, warum mag sie dich denn nicht?«

»Ja, wenn ich das wüßt'! Sie ist halt eine reiche Bäu'rin, und ich bin ein armes Hascherl.«

Er faßte das Mädchen unterm Arm und schritt mit ihr vorwärts, bekränzt wie er war. »O, deshalb laß dir kein graues Haar wachsen. Wenn alles so ausgeht, wie ich hoff' – ich hab' bei unserm Kurfürsten –«

Das Paar kam den Frauen droben aus dem Gehör, dann aus dem Gesicht.

»Ah, ah,« sagte Frau Kati, »die Walpurg mit einem Stadtherrn!«

Loni lachte grimmig. »Manchmal hat auch ein Ganserl einen gescheiten Gedanken. Ich mag sie net. Das hat sie richtig erraten.«

»Man erfahrt halt alle Tag' was Neues. Jesses, wenn das die Talkirchener wüßten! Aber du kannst ruhig sein, Loni, ich sag' keinem Menschen nix!«

»Meinethalben brauchst du kein Schloß vor den Mund zu tun. Ich bin doch net für die Verwandtschaft meines Seligen verantwortli!«

»Ein Stadtherr ist's, das ist g'wiß.«

»Wer denn sonst? Ein Bauer vergafft sich doch in das Deandel net, das nix ins Haus bringt als das G'wand, das sie anhat.«

»Und einen Kranz hat's ihm aufg'setzt und dazu was dekliniert.«

»Solche Spassetteln macht sie immer. Und so eine Kalfakterin hat man im Haus!«

»Wenn das eine andre g'sehn hält, als ich, wüßt's heut' noch ganz Talkirchen.«

»G'schieht ihr schon recht! Eigentlich müßt' ich's ihrem Vater sagen, aber der alte Mann tut mir leid.«

Sie standen auf. In ihrer gehobenen Stimmung beteten die Freundinnen vor dem Abgang zwei Vaterunser für die armen Seelen.

Frau Loni beschloß, Walpurg nicht zur Rede zu stellen, denn sie hatte ein dunkles Gefühl, daß sich das Mädchen unerwünschterweise rechtfertigen könnte. Loni kannte ihre Freundin Ratschkati. Morgen ist das Waldabenteuer in aller Mund und der Ruf Walpurgs in einer Weise zugerichtet, daß sie unmöglich bleiben kann. Walpurg mühte sich ja in der Wirtschaft redlich ab, doch kann sie eine richtige Bauerndirne nicht ersetzen. Und die Art, wie Max seit einiger Zeit seine Base anschaut, die Wärme, womit er sie gegen die Stichelreden der Mutter verteidigt, ist dieser nicht geheuer. Die unbequeme Gastin muß aus dem Hause!

Walpurg war bei Lonis Ankunft schon daheim. Sie richtete einen Gruß vom Vater aus: »Die warme Sonn' tut halt dem Vater gut,« erzählte sie, »seit langer Zeit war heute sein erster gesunder Tag, und außerdem war's ein besonderer Tag. Der Vater hatte Besuch, nun raten S', von wem?«

»Ich bin net neugierig.«

»Aber das wird Sie freuen. Der Sekretarius Meindl, unser Verwandter, der Spezi des Herrn Plinganser, ist in München.«

Loni runzelte die Stirn. »Der Meindl? Daß er mit meinem Seligen verwandt, weiß ich. Aber gesehen hab' ich ihn nie. In München? Ja, ist er denn verruckt? Wann ihn die Panduren erwischen, ist ihm der Galgen so g'wiß, wie dem Esel die Schläg'!«

»Bewahre! Die Kaiserlichen selbst haben seine Verurteilung null und nichtig erklärt. Er kann schon morgen wieder in Landshut amtieren. Ja, denken S', er hat dem Münchener Magistrat eine wichtige, eine gute Nachricht gebracht, und dann hat er den Vater besucht und mich heimbegleitet. Es tut ihm sehr leid, daß die Frau Tant' nicht zu Haus war.«

Die Bäuerin machte ein langes Gesicht. »So, so! Da darf man der Jungfer Walpurg wohl bald gratulieren?«

»Wie meinen S' das? ... O jegerl! wo denken S' hin? Der Herr Sekretarius ist seit acht Jahren mit der ehrsamen Jungfer Kreszenzia Rössel, Kaminfegermeistertochter in Landshut, verlobt. Am Tag, an dem unser Kurfürst wieder in München einzieht, machen sie Hochzeit.«

»Da können s' noch lang' warten! Aber, Madel, hast du's denn nicht bedacht, am hellichten Tag mit einer ledigen Mannsperson allein! Und am End' gar net auf der Landstraßen! Wenn dich jemand g'sehn'hat!«

»Am hellichten Tag wird mich wohl mehr als einer g'sehen haben, und warum soll man net? Der Herr Sekretarius und ich sind Verwandte, und der Herr Sekretarius und ich sind ehrbare Leut'.«

»Es ist halt net anders: ihr Stadtleut' lernt im Leben net, was sich schickt. Ich kann dir nur eins raten: erzähl unsern Mannsleut' nix von eurem Spaziergang, sonst bist du aufg'schrieben.«

»Aber Frau Loni!«

»Ich sag' dir nur: sag nix! ... Die Männer bleiben heut' wieder lang' aus.«

Mit dem Frühlingsgrün kamen auch Nachrichten von Friedensunterhandlungen zwischen Österreich und Frankreich. Die Jagd auf Rekruten im Bayrischen ließ nach, ja, viele Rekruten wurden auf Urlaub vorläufig wieder heimgeschickt. Den Grund davon sah auch ein Stümper in der Politik ein: man beklagte in der Wiener Hofburg den teuren Krieg und wollte mit den bayrischen Dickköpfen nichts mehr zu tun haben. Auf den Feldern ward es wieder lebendig, zumalen das Frühlingswetter den Bauern günstiger als seit Jahren war. Man hörte bei der Feldarbeit wieder pfeifen und singen – das Fluchen war niemals abgekommen. Am Sonntag ging in Talkirchen wie überall jedermann ins Hochamt, und nach dem Gottesdienst blieb das gesamte Mannsvolk nach altem Brauch auf dem Kirchplatz beisammen, was wider die kaiserliche Polizeiordnung war. Und kein Büttel kam! Es wurde nicht viel gesprochen; man konnte die Schwalben zwitschern hören, die um den Kirchturm flogen. Aber die Männer blieben lange; es war ihnen wieder mal wohl in ihren Schuhen und auf ihrem heimatlichen Grund und Boden.

Der Nachmittag gehörte zunächst wieder der Kirche, aber dann dem Wirtshaus. Und da geschahen Wunder und Zeichen. Vor dem großen Giebelhause wie drinnen war ein Gedränge von Gästen im Sonntagsstaat, und im Saal versuchten, vorläufig freilich nur einige Paare, bei den Tönen einer Schwegelpfeife die langentbehrten ländlichen Tänze. Das Wunderbarste aber war: aus der Küche verbreitete sich ein Duft von gebratenem Fleisch und Schmalznudeln. – Die Gemeindehäuptlinge und die bestangesehenen Grundbesitzer von Talkirchen und Umgebung saßen in einer Eckstube, wo von der Decke die Zunftzeichen der Flößer und Fischer, Schmiede und Fuhrleute hingen. Viele dieser Dorfgrößen waren einmal wohlhabend gewesen, heute hatten sie, dank der kaiserlichen Einquartierung, samt und sonders wenig Geld und viele Sorgen, doch bei aller Not und Notdurft vergaben sie ihrer Würde nichts und deuchten sich was Besseres zu sein, als die Leute in den Stuben nebenan und in der übrigen Welt. Ein Viehhändler aus Miesbach, der Schwager des Wirtes, ein lustiger Gebirgler, sang zur Zither Schnadahüpfeln.

In diesem Gedränge erregte das Erscheinen der Seebacher Bäuerin dennoch Aufsehen. Sie kam mit dem Taltirchener Gemeindevorstand und seiner Familie an. Walpurg schlich als letzte nach. Ratlos, warum ihr die sonst plauderseligen Töchter des Hauses, drei derbe Dorfgrazien, heute Gruß und Anrede verweigerten. Max konnte nicht als Mittler dienen, denn unterwegs ließ ihn die Mutter nicht von der Seite, und vor dem Wirtshaus nahmen ihn Kameraden in Beschlag.

Mit steifem Nacken, aber gnädigem Lächeln saß Apollonia am Ehrentisch. Die nicht immer zarten, aber gutgemeinten Lobreden der Tischnachbarn auf ihr frisches Aussehen taten ihr wohl. Die Witweneinsamkeit hatte ihr also nicht geschadet, sie ist heute noch die Schöne vom Seebacher Hof, und ihre dunklen Augen funkelten vor Freude über die Niederlage der jüngeren Hausgenossin. Denn niemand machte Walpurg Platz, sie begegnete nur feindseligen oder spöttischen Blicken, wie am Pranger stand sie und war sich doch keiner Schuld bewußt. Da kam Max. Sein erster Blick fiel auf die hilflose Base, »Heda, Madeln, ruckt's ein wenig z'sammen,« sagte er zu einem Dutzend blondzöpfiger Bauerntöchter, das sich an einem langen Tisch breit machte, und er schob Walpurg in die Bank und setzte sich neben sie.

»Max!« schlug die scharfe Stimme der Mutter an sein Ohr. Er drehte sich um. »Mit Verlaub, Frau Mutter, ich sitz' hier ganz gut.« Und zu Walpurg tuschelte er lustig: »Jung zu jung, und alt zu alt.«

»Ich möcht' am liebsten wieder heim. Ich weiß net warum, die Leut' sind alle so feindselig gegen mich.«

»Sie sind dir neidisch, weil du frisch und rot wie unsre Deandeln und dabei doch ein feines Stadtfräuln bist. Basel, wenn ich dich anschau', hupft mir das Herz im Leib. Mir wird's hier zu eng, ich denk', wir gehn in den Saal und tanzen eins.«

Die Zither klang und da es mäuschenstill in der Stube wurde, begann der Miesbacher zu singen:

»Und ob sie Walpi heißt,
Oder mag's d' Rest sein,
Kimmt sie aus Münken g'reist,
Laß di mit ihr net ein:
D' Stadtleut' san andre Leut',
Hansel, sei g'scheit!

Tragt's a (auch) a Riegelhaub'n,
Und wann's im Firta (Schürze) geht,
Darfst du ihr doch net glaub'n,
Trau nur die Stadtleut' net!
D' Stadtleut' san eigne Leut',
Hansel, sei g'scheit!«

»D' Stadtleut' san eigne Leut' – Hansel, sei g'scheit,« sang jung und alt den Kehrreim, und Walpurg ward es heiß und kalt, denn sie wußte: der Gesang galt ihr. – Aber hopsa! war ihr Vetter auf der Bank und durch das Gelächter schrie er dem Sänger zu: »He, du, sing von deine Miesbacher Ochsen und von die Sennerinnen auf der Alm, aber die Münchener Deandeln und Talkirchener Hanseln laß in Ruh', oder du sollst was erleben!«

»Oho!« klang es dort und da, doch Frau Loni rief lauter als alle: »Aber mir g'fallt dein G'sangel, Gevatter, und ich bitt' um noch eins im selben Ton.«

Und der Miesbacher ließ nicht auf sich warten:

»Ob's jetzt den Hansel trifft,
Oder den Maxel gift't –
Ich bleib' beim alten Satz:
Nimm aus der Stadt koan Schatz!
Oder, du armer Bua,
Aus is mit deiner Ruah!«

Mit einem Satz war Max an der Bank der Ehrsamen und streckte dem sanglustigen Viehhändler die Fäuste hin. »Komm raus, Miesbacher Hallodri, raus, wenn du Schneid' hast!« Doch der Wirt, ein Kerl breit und stark wie ein Bär, stellte sich dazwischen: » Heut' wird net g'rafft (gerauft) bei mir!«

Walpurg war schon auf und davon.

Und nun stand die Ärmste in ihrer Kammer auf dem Seebacher Hof und packte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Der Max, o der ist so gut, so gut, aber die andern alle sind hart und dumm. Ja, dumm, sonst wüßten sie, daß es in Dorf und Stadt brave und schlechte Mädeln gibt, wie reich und arm. In der Stadt ist nicht alles Gold, was glänzt, und auf dem Land nicht alles Klee, was grün ist, aber der Rechtschaffene muß gelten dort, wie da.

»Mir geschieht unrecht, wehren kann ich mich nicht, ich kann nur gehn.«

Sie gab dem Bündel einen Schlag und stieg mit festem Schritt hinab in die Küche.

Da stand ihr Vetter in einem Sonnenstreifen, der durch die offene Tür fiel.

»Oh, du bist's, Max!« sagte Walpurg beklommen.

»Ja, und gut ist's, daß ich kommen bin. Wo willst denn hin?«

»Wohin anders als zum Vater. Bei Euch ist mein Heim nit mehr; das siehst wohl ein.«

»Aber Burgl!«

»Mach mir das Herz nit schwer! Jetzt bin ich rabbiat, das Weh kommt morgen. An dich werd' ich immer als meinen lieben Bruder denken. Du hast dich tapfer g'wehrt für unser beider Ehr' –« Sie sah Max scheu von der Seite'an. »Am End' hast g'rauft für mich!?«

Max hätte die Frage lieber bejaht als verneint, doch blieb er bei der Wahrheit. »Am guten Willen hat's bei mir net g'fehlt, aber zuerst hat mich der Wirt, der starke Teufel, wie ein Schraubstock festg'halten, und dann fing unser Schulmeister an, mir und dem Miesbacher die Leviten zu lesen. Er ist ein armer, alter Mann, doch ein g'scheites Köpfel und auch das Herz hat er am rechten Fleck. Pfui Teufel, sagt er, seid's Bayern alle zwei und wollt einander an den Leib! Ist der Feind nit mehr im Land? Liegen nit so viel Unsrige noch im Turm, nur weil sie 's Recht über die G'walt stellen? Kurzum, von unserm Elend hat er erzählt, ich sag' dir, ein Pfarrer könnt's net schöner. Und wie die Weiber weinen, und uns Männer das Herz druckt, zeigt der Schulmeister auf den Miesbacher. Und da weiß der eine, sagt er, nix Besseres zu singen als elendigen Tratsch – ja Tratsch – denn ich kenn' die Walpurg, sagt er, die ist brav!«

»Vergelt's ihm Gott!«

»Und der andre, sagt der Schulmeister und hat mich damit g'meint, der andere kommt über ein Schnadahüpfel aus Rand und Band! Am heutigen Tag, wo wir endli ein Stückerl blauen Himmel für uns Bayern sehn! Verderbt's doch uns und euch die erste Freud' nit! Miesbacher, sagt er, du bist der Ältere und ang'fangen hast du! Maxel! sagt er, reicht euch die Händ', vergeben, vergessen! Und Miesbacher, wenn du übers Jahr nach Talkirchen kommst, richten wir, so Gott will, wieder einen Maibaum mit weißblauen Fahnerln auf! – Und da war's mir, als säh' ich den weiß-blauen Maibaum schon, und dem Miesbacher seine Tatzen hab' ich 'druckt.«

»Und die Frau Mutter?« fragte Walpurg nach einer Pause.

»O, die ist mitten unter der Red' aus der Stuben gangen, sie und der alte Giftdrachen, die Mitterhuberin.«

Die Augen Walpurgs leuchteten auf. »Die Ratschkatl! jetzt wird mir alles klar. Sie hat mich mit Vetter Meindl g'sehn!« Und Walpurg erzählte den Besuch des Volkshelden in München, ihren gemeinschaftlichen Gang nach Talkirchen und die Warnung der Bäuerin, davon zu reden.

»Ja, so wird's sein,« sagte Max, »die Ratschkatl! Aber in mir hat sich die Mutter 'täuscht. Der Meindl! Allen Respekt! Mit dem darfst du gehn! Der stiehlt einem braven Buben seinen Schatz net fort. Denn mein Schatzerl bist. Und das Packerl trag nur wieder 'nauf, denn hier ist dein Platz, mir zwei lassen im Leben net mehr voneinander.«

Und Walpurg sträubte sich nicht, als er sie an sich zog und das Bündnis mit einem Kuß besiegelte. Dem ersten Kuß folgten mehrere. Jetzt fühlte sich Walpurg daheim auf dem Hof, Max sich als Herr – um einen volkstümlichen Ausdruck zu gebrauchen: der Himmel hing beiden voller Geigen.

Das Liebespaar saß auf der Herdbank, Hand in Hand. »Glaub mir,« sagte Max, »so ist's am besten! Die Mutter hat noch den Kopf voll Sorgen, aber ist erst der Feind aus dem Land, wird's auch im Haus wieder richtig.«

»So hinterrucks – das ist net schön. Und werd' ich der Frau Mutter besser g'fallen, weil's im Landel besser wird?«

»Maria Namensfest werd' ich mein eigener Herr. Dann wollen wir reden! Eh' die Mutter ihr eigen Fleisch und Blut, ihr einziges Kind verstoßt, lieber g'fallst du ihr – das ist g'wiß. Und wir zwei lassen net voneinander; das ist am g'wissesten.«

Sie küßten sich – da steckte der Raufpeter den Kopf durch die Tür und sagte grinsend: »Mit Verlaub! guten Abend beieinand'!« Er trat ein, während Walpurg – husch, husch – die Treppe hinauf in ihre Kammer floh.

»Ich denk', du bist im Dorf,« sagte Max verdrießlich. »Bist doch sonst der Erste und der Letzte im Wirtshaus.«

»Seit ich auf dem Seebacher Hof bin, werd' ich Tag für Tag frummer; das Raufen g'fallt mir nimmer und von den Madeln will ich schon gar nix mehr wissen. Ich hab' auf der Bank vorm Haus g'sessen und mich über die Hendeln g'freut.«

»Das mach du einem andern weis. Glaubst denn, ich hätt' nix g'merkt? Die letzten drei Wochen bist Nacht für Nacht ausg'ruckt und erst heimkommen, wann die Sonn' schon auf war! Ausg'schlafen hast auf der Bank, so und net anders ist's.«

»Nein, g'schlafen hab' ich net. Ich hab' die Jungfer und bald drauf dich kommen sehen. Aber ihr zwei habt's so eilig g'habt, ins Haus zu kommen. – Wenn ich jetzt net lang g'nua draußen blieben bin, nimm's net übel! – Wer denkt an alls!«

»Hörst, Peter, sag der Mutter nix – du verstehst mich! Dann halt' auch ich die Augen zu, wenn du nächtig wieder aussteigst. Eigentli müßt' ich's der Bäurin sagen, aber mit einem verliebten Mannsbild und einem kranken Viech muß man Nachsicht hab'n.« Peter warf sich in die Brust, »Mit der Lieb' haben meine Heimlichkeiten nix zu tun. Wenn du ein paar Jahr' älter wärst, saget ich: Komm mit!«

»Ein paar Jahrln auf oder ab macht nix aus. Ich steh' meinen Mann! Wenn's nix Schlechtes ist –«

»Nein, schlecht ist's net, aber g'fährlich. Ich bin ein Patriot,« fuhr Peter fort und bemühte sich, hochdeutsch zu sprechen. »Wo ich einen antreff', der wie ich für die Kaiserlichen schußfreies Wild ist, komm' ich ihm zu Hilf'. Und ich weiß net einen, sondern ein Dutzend, denen ein Kamerad not tut. Arme Teifel, flüchtig vor den Panduren – leiden Hunger und Durst – sind soweit sicher in ihrem Versteck, aber doch hat's der Dachs besser in seinem Bau als sie.«

»Peter!« rief der Jüngere, »wenn du heut' nacht wieder so einen Gang machst, geh' ich mit. Mich wundert nur, daß der Sepp nix merkt; er ist doch sonst wachsamer als ein Hofhund.«

»Der Sepp kommt mit. Er ist ein halber Narr, aber hast du ihn schon den G'sang von den Sendlinger Bauern hersagen g'hört? Da wird's hell in seinem Schädel – er ist ein Patriot von Anno fünfe! – den muß man trotz seinem Buckel rischpektieren. – Es bleibt dabei, wenn der Mond in die Kammer scheint, machen wir uns auf die Socken.«

»Es bleibt dabei ...« Max blickte auf das Bündel, das die Base hatte liegen lassen. »Gehst mit ins Dorf? Ich muß nach der Mutter schaug'n.«

Peter lachte. »Ich soll vorausgehn, meinst. Mir recht! Vor mir bist sicher, Maxel. Aber erfahren wird's die Bäurin doch. Und dann, schätz' ich, gibt's einen harten Kampf!«

»Kann schon sein,« erwiderte der junge Bauer trocken.

– – Die Tür zu Walpurgs Kammer war verschlossen und wurde auf das Klopfen des Verliebten nicht aufgetan.

»Burgl, Schatzerl, ich bin's, mach auf!«

»Was willst?« »Ich bring' dein Bünderl. Der Peter ist fort. Er hat nix g'merkt.«

»Wer's glaubt.«

»Wir wollen drüber reden, mach auf!«

Sie trat drinnen dicht vor die Tür. »Maxel, ich hab' dich soviel gern, aber merk dir's für allemal: da oben bin ich für dich niemals z'haus!«

»Ich will dir ja nur deine Sachen geben. Bitt' schön, mach auf!«

»Leg's vor die Tür, und wenn du mich lieb hast, bitt'st nicht mehr. Pfüett dich Gott, Max, mein lieber Max! Wann die Frau Mutter daheim ist, komm ich 'runter.«

»Ein einziges Busserl!«

»Ich red' nix mehr.«



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