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Tibet wurde am nächsten Morgen zu Teut zum Frühstück befohlen und fand den Major, umgeben von tausend Siebensachen, die auf Tischen und Stühlen umherlagen, bereits eifrig schreibend. Er trug einen kurzen, seidenen Hausrock, und um den offenen Hals war lose ein weißes Tuch von demselben Stoff geschlungen. Aus den Ärmeln guckte eine feine Batistmanschette hervor, und sein Fuß steckte in einem roten ledernen Schuh.

»Guten Morgen, Herr Sekretär!« rief Teut, ohne sich umzuwenden. »Bitte, nehmen Sie Platz! Gut geschlafen?«

Tibet bejahte. »Darf ich mich erkundigen, wie der Herr Baron geruht haben?«

»Ah – nicht zum besten, Tibet! Die verteufelte Sache beschäftigt mich allzusehr. Wie Ameisen laufen die Gedanken in meinem Kopfe herum. Aber ich glaube jetzt einen Ausweg gefunden zu haben.« Hier wandte sich der Major um, sah, daß Tibet noch immer stand, und unterbrach seinen Satz durch die wiederholte Aufforderung, einen Stuhl zu nehmen.

»Also, wie ich schon gestern sagte, Tibet, so geht die Sache auf die Länge doch nicht!« hob Teut an, humpelte durchs Zimmer, winkte dem herbeieilenden Tibet ab, klingelte, gab dem eintretenden Jamp einen Befehl und ließ sich dann an dem Frühstückstisch nieder.

Mit inniger Teilnahme sah Tibet, wie unbehilflich der bisher so kernfeste, kräftige Mann mit dem künstlichen Bein sich bewegte und welche Spuren Strapazen und Krankheit auf seinem Angesicht zurückgelassen hatten.

»Bedienen Sie sich! – Also, Tibet, so geht's nicht. Aus diesem Grunde bat ich Sie auch, mich hier zu besuchen. Sie sollen mit der Gräfin sprechen; ich habe einen Plan, dem sie hoffentlich beipflichten wird. Die Sommerferien sind vor der Thür, die Gräfin wird gewiß wünschen, ihren Kleinen ein Vergnügen zu bereiten und selbst sich ein wenig nach all den Aufregungen und Sorgen zu zerstreuen. Ich werde sie einladen, auf Schloß Eder diese Wochen zuzubringen, und will meiner Cousine, der Gräfin Aspern, schreiben, dort die Honneurs zu machen. Ich werde dann vielleicht auch – später – nachkommen und bei dieser Gelegenheit auszuführen suchen, was ich seit dem Tode des Grafen in mir herumtrage. Was meinen Sie dazu, Tibet?«

»Vortrefflich, Herr Baron! Aber ich fürchte, daß die Frau Gräfin dieser Einladung ein entschiedenes Nein entgegenstellen wird. Wir haben so oft über diese Dinge gesprochen – alles war fruchtlos. Die Frau Gräfin geht – darf ich mich ganz offen äußern, Herr Baron?« – Teut erhob den Kopf, nickte und trennte die eben mit dem silbernen Löffel zerschlagene Schale von einem Ei. – »Die Frau Gräfin geht davon aus, daß der gnädige Herr sie beeinflussen will, Wohnort und jetzige Lebensweise zu ändern. Dagegen sträubt sie sich – der Herr Baron kennen die Gründe – zum Teil wenigstens –«

»Hm – zum Teil?« fragte Teut. »Ist's noch etwas anderes, als was Sie mir mitteilten und was ich bei dem Charakter der Gräfin auch wohl verstanden habe?«

Tibet zuckte die Schultern nur machte die Miene eines Menschen, der wohl sprechen möchte, aber sich's doch nicht getraut.

»Nun?« forschte Teut ungeduldig. Aber dann in einen anderen Ton übergehend sagte er: »Ein für allemal, Tibet! Ich nannte Sie gestern meinen Vertrauten, aber noch mehr, ich betrachte Sie als meinen Freund! Sprechen Sie, was es auch sei! Das Schicksal, das Wohlergehen dieser Frau beschäftigt mich mehr als mein eigenes. Der Zweck, ja der ganze Zweck meines Lebens ist, sie glücklich zu machen. Ich versprach's dem Grafen beim Abschied, und viel früher hatte ich mir's selbst zugeschworen. Das alles wissen Sie am besten. Also, weshalb hinterm Berge halten, wo diesem Vorhaben genützt werden kann!? – Ah!« fuhr Teut seufzend und stark betonend fort und lehnte sich zurück. »Ich sollte nur kein Krüppel sein! Wir säßen nicht hier und berieten! Nur dieser Umstand hat verhindert, daß ich – alles wäre lange –« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, und ein Ausdruck von tiefer Trauer blieb in seinen Zügen haften.

»Nun, Herr Baron,« sagte Tibet, rasch den Rest des Frühstücksbrötchens hinabschluckend und seinem Herrn ins Auge schauend, »wenn ich denn sprechen darf, wie mir's ums Herz ist? – Ich meine – ich meine – die Frau Gräfin hat – eine – tiefe Neigung zu dem gnädigen Herrn, und darin ist alles zu suchen! Wenn die Frau Gräfin sich so scheu zurückzieht, so – so –«

Tibet spähte ängstlich auf Teuts Angesicht, während er sprach. Trotz aller Ermunterung stand er unter dem Eindruck, dies, eben dies hätte er niemals ansprechen dürfen.

Teut hatte sich gerade erhoben, um sich eine Cigarre zu holen. Nach Tibets Worten blieb er am Fenster stehen und schaute lange wortlos hinaus.

Als er sich wieder umwandte, blickte er Tibet mit freundlichem Ernst ins Auge und schüttelte den Kopf. »Sie täuschen sich, Tibet! Täuschen sich gewiß! Und wenn nicht – wenn nicht – Nein, solche Gedanken habe ich begraben ein für allemal –«

Nun ging er abermals ans Fenster und ließ gewaltige Rauchwolken der angezündeten Cigarre durchs Zimmer schweben. Der eindringende Sonnenstrahl fing sie auf und verwandelte sie in lichtes Blau. Eine lange Pause trat ein, ohne daß eine Silbe gesprochen ward.

»Ah! ja!« rief dann Teut plötzlich. »Es muß so sein! Hören Sie mich an, Tibet! Machen Sie also der Gräfin den Vorschlag auf mein Anerbieten einzugehen. Sie wissen ja, wie und wo am besten einzusetzen ist. Stecken Sie sich hinter die Kinder! Wenn diese betteln, daß ihr Wunsch erfüllt wird, kann sie nicht widerstehen! Und wenn die Gräfin auf den leidigen Punkt kommt – Sie wissen – meine gefürchtete offene Hand und dergleichen Thorheiten mehr – so sagen Sie ihr – ja, so sagen Sie ihr, was Sie wollen, aber in allen Fällen, daß ich ihr verspräche, niemals diesen Punkt zu berühren, viel weniger ihren Absichten entgegen zu handeln.«

»Zu Befehl, Herr Baron! Ich hoffe, Ihrem Vertrauen Ehre zu machen. Ich werde mein möglichstes thun. – Nur eins! Wenn ich diesen Auftrag erhalte, muß ich eingestehen, daß ich Sie gesehen habe, und das wird den Argwohn der Frau Gräfin wecken. Je scheinbar unvorbereiteter ich das vortrage, um so besser ist es!«

»Nun, im Flunkern haben Sie ja schon gute Übung, Tibet!« lächelte Teut und suchte doch durch seine Miene den auf Tibet hervorgerufenen Eindruck zu verwischen. »Ich denke, Sie müßten schon sagen, Ihre Angehörigen wohnten hier in der Gegend, und zufällig hätten Sie mich getroffen. Wo wohnen denn eigentlich die Ihrigen?«

Tibet nannte den Ort.

»Ah – in M.! Sind Sie auch dort geboren?«

»Ja, Herr Baron.«

»Und lebt Ihr Vater noch?«

»Nein, Herr Baron.«

»Ihre Mutter ist Witwe?«

»Ja, Herr Baron –«

Teut unterbrach Tibet lächelnd und sagte, sich eines Gesprächs erinnernd, das er einst im Clairefortschen Hause mit demselben Manne geführt, der jetzt so einsilbig Antwort ereilte: »Ganz wie damals: – ja – nein, Herr Baron! – antworten Sie mir, Tibet. Aber ich will gar nicht in Ihre Geheimnisse dringen. Nur mein Interesse für Ihre Person ließ mich fragen.«

»Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen, Herr Baron. Mich leitete etwas anderes. Was ich über die Meinigen mitzuteilen habe, ist sehr wenig erfreulicher Natur. Ich habe nie darüber geredet, schon deshalb nicht, weil meine Person dabei eine nicht gleichgültige Rolle spielt.«

»In der That,« sagte Teut teilnehmend, »geht es den Ihrigen schlecht? Haben Sie etwa noch unversorgte Geschwister?«

»Ich habe« – hier stockte Tibet eine Weile – »eine arme kranke Frau, unheilbar krank und gelähmt seit der ersten Zeit unserer Ehe, die mir ein kurzes Glück gewährte; sie lebt bei meiner Mutter und meiner Schwester, die sie pflegt, gnädiger Herr. Auch meine Mutter war schon völlig gelähmt, als mein Vater, der als Musiker sein Brot verdiente, starb. Vermögen war keins vorhanden bei seinem Tode. Ich hatte ursprünglich das Gymnasium bis zur Aufnahme in die Prima besucht und wurde dann – wie ich früher schon mitzuteilen mir erlaubte – Kaufmann. Ich hatte aber darin kein Glück, es wollte mir nicht gelingen, vorwärts zu kommen. Die dringende eigene Not und die meiner Angehörigen, die ganz auf mich angewiesen waren, bestimmte mich, die Stellung eines Haushofmeisters bei dem Herrn Grafen von Clairefort anzunehmen, die ich seit so vielen Jahren bekleidet habe. Ich mußte verdienen, gleichviel in welcher Lebensstellung, und hier fand ich, was ich suchte. Während dieser Zeit habe ich die Meinigen ernährt, ja mir selbst ein wenig sparen können für meine späteren Tage. Was ich empfand, gnädiger Herr, als Sie mir gestern die Aussicht eröffneten, fürs Leben an Ihrer Seite bleiben zu dürfen, vermag ich nicht zu sagen. Und Sie werden nach dieser Darlegung auch verstehen, welche Sorge von mir genommen ist. Ich bin ja nun sicher, daß die Meinigen –« In dem hageren Gesicht stieg's bei diesen Worten auf, wie wenn der Sonnenschein plötzlich durch dunkle Wolken bricht, und die Rührung übermannte den Mann so sehr, daß er sich abwandte.

»Wie? Alle die Jahre haben Ihre Frau, Ihre Mutter und Schwester lediglich von Ihrem Fleiß gelebt?« sagte Teut voll bewundernden Erstaunens. »Braver Mann! Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen! Ich schätze es um so höher, weil selbst Ihre engsten Freunde von diesen Dingen nichts wußten. Es bleibt wahr: Die echten Perlen liegen versteckt in den Muscheln tief auf dem Meeresgrund! Man muß sie mühsam hervorholen. Eine echte Perle ist solche Pflichterfüllung und den Ruhm nicht an den breiten Weg stellen! Sie üben sie um ihrer selbst willen, in der Stille, ohne Geräusch. Das heißt ein Christ sein! Hier meine Hand, Sie braver Mensch! Ich bitte jetzt um Ihre Freundschaft! Ich biete sie Ihnen nicht mehr an!«

Tibet richtete sich bei diesen Worten in seiner ganzen Größe empor; ein ungewöhnlicher Glanz trat in seine Augen, und über sein Angesicht flog der Widerschein eines Sturmes von Empfindungen.

»O, zu viel! Zu viel, gnädiger Herr!« rief er in jenem Rausche, der nur die Brust solcher Menschen zu durchdringen vermag. »Mit diesem Worte habe ich nicht umsonst gelebt! Mit diesem Tage werde ich ein anderer in dieser Welt und die Welt eine andere für mich! Aber mit diesem Worte, gnädiger Herr, haben Sie auch Ernst Tibet zu Ihrem Schatten gemacht für alle Tage und Stunden seines Lebens! Was ich bin und habe für die Zukunft, gehört Ihnen!«



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