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Fluch der Schönheit

Zahlreiche Zuschriften waren auf eine Anzeige, welche die Gräfin Fink in Dresden wegen einer sogenannten Stütze im »Daheim« und anderen Zeitungen erlassen hatte, eingegangen, und erst nach einigem Schwanken war sie zu dem Entschluß gelangt, einem Fräulein Wiebke Nissen aus Föhrde, die sich gemeldet, diese Stellung zu übertragen. Die Gräfin hatte sich für das Fräulein entschieden, obgleich die eingesandte Photographie ihr das Bild eines ungewöhnlich schönen Mädchens vor Augen stellte, und obgleich es nach den Erfahrungen ratsamer erschien, sich mit einer Persönlichkeit zu umgeben, die der Schöpfer weniger mit körperlichen Reizen ausgestattet. Die Gräfin hatte einmal ein Wort gelesen, dessen Inhalt in ihrem Gedächtnis haften geblieben war.

»Hinter jeder hübschen Frauenlarve lauert ein Dämon, hinter den schönen Gesichtern Dienender ein gefährlicher Teufel.«

Wenn die Gräfin dennoch dem Fräulein Nissen mit kurzen Worten nach Föhrde geschrieben hatte, sie gewähre das und das, und in recht langen Sätzen, sie fordere dies und das und jenes und anderes, so waren dafür hauptsächlich zwei Momente entscheidend gewesen:

In dem Ausdruck des schönen Gesichtes lagen Sittenreinheit, Sanftmut und Bescheidenheit, und der Brief war in einer Weise abgefaßt, welcher Zutrauen einflößen mußte.

Jetzt eben, nach dem Abendtee, holte die Gräfin ihn hervor und machte ihren Gatten, der sich nach dem Schicksal der Angelegenheit erkundigt hatte, mit dem Inhalt bekannt. Er lautete:

»Hochverehrte, gnädige Frau. Mich um die von Ihnen ausgeschriebene Stellung bewerben zu dürfen, bitte ich gehorsamst um Erlaubnis.«

»Die Person hat Lebensart, drückt sich gut aus!« schob die Lesende gleich ein, und der Graf lächelte mit jener Miene, die etwas sagen möchte, aber aus Klugheit schweigt.

»Zur Begründung meiner Bitte habe ich nachstehendes ganz ergebenst vorzutragen. Ich bin in der Stadt Föhrde geboren und heute einundzwanzig Jahre alt. Mein verstorbener Vater war Beamter, meine Mutter lebt noch und ernährt sich durch ihrer Hände Fleiß.

Ich habe das Lehrerinnenexamen bestanden und bin, wie die beifolgenden Zeugnisse in Abschrift nachweisen –«

»Sie hat wirklich eine sehr gewandte Schreibweise,« unterbrach sich abermals die Gräfin.

»– in Abschrift nachweisen, schon zweimal in einer ähnlichen Vertrauensstellung gewesen. Daß ich diese nur infolge von Familienverhältnissen verließ, werden die gnädige Frau durch Einsicht in die Zeugnisse bestätigt finden.

Es sei mir erlaubt, noch folgendes zu sagen. Ich habe von Jugend auf nur strenge Pflichten gekannt und fühle mich in deren Ausübung allein befriedigt. Es wird mir, wie ich hoffe, deshalb um so sicherer möglich sein, der gnädigsten Frau Zufriedenheit zu erwerben. Jedenfalls wird es mein ganzes Bestreben, und nicht minder wird mein Dank ein unauslöschlicher sein, wenn Sie mir – ich weiß, wie viele Offerten Sie empfangen – den Vorzug zu erteilen die Güte haben wollen. Bereits seit über einem halben Jahre muß ich meiner Mutter zur Last fallen, da es mir nicht gelingen wollte, eine neue Stellung zu finden. Sie vermögen zu ermessen, gnädige Frau, was das für Personen in bescheidenen Lebensverhältnissen bedeutet.

Ich bin Ihre gehorsame
Wiebke Nissen.«

Auf den Grafen machten diese Zeilen im ganzen einen sehr vorteilhaften Eindruck. Aber da er die Welt aus dem Leben kannte, während seine Gemahlin, eine Baronesse von Drossel, sie sich nur zwischen den Hauswänden und aus den Büchern konstruierte, so fällte er doch nur mit einer gewissen Einschränkung ein Urteil.

Wenn aus einfachen Verhältnissen hervorgegangene Personen eine sehr gewählte Sprache redeten, so lag nach seinen Erfahrungen ihre Bildung entweder sehr auf der Oberfläche, oder sie besaßen ein äußerst starkes Selbstgefühl. Für ihn gab vielmehr die ungewöhnliche Schönheit der Bewerberin den Ausschlag. Er war ganz benommen, als ihm seine Frau die Photographie zeigte, hütete sich aber, merken zu lassen, daß ihn dieser Umstand bestimmte. Er wußte, daß sich seine Gattin dann sicher für eine andere der Damen entscheiden würde, deren Zuschriften und Bilder sie ihm gleichzeitig vorlegte.

»Sie sieht recht gut aus; aber was wichtiger ist, es liegt Ernst und Bestimmtheit in den Zügen,« begann er, seinen Zweck im Auge behaltend. Auch schlug er durch andere Worte den Ton an, der für den Verstand und die Logik seiner Frau paßte, und begegnete ihren noch einmal sich äußernden Bedenken in jener, jeglichen Eifer sorgfältig vermeidenden Weise, wodurch ein Gegner am ehesten von seinem Mißtrauen geheilt zu werden pflegt.

Die Eheleute lebten durchweg glücklich. Er blieb stets ihr gegenüber der Kavalier. Wenn durch den einseitigen Flug ihres Geistes eine zu große Leere in ihm entstand, suchte er gescheite Leute auf oder griff nach einem ernsten Buch, und wenn sie gar eifersüchtige Anwandlungen überkamen, erklärte er ihr, daß sie in erster Linie in seinem Herzen wohne, und daß er nie vergesse, wie vielen Dank er ihr schuldig sei.

Da nun aber zur Liebe immer ein wenig Blindheit gehört, seine Augen jedoch sehr klar schauten, während sie mit den ihrigen nur schwach zu blinzeln vermochte, – so war's doch eben auch nur eine jener vielen Ehen, die ein starker Windstoß trotz aller guten Vorsätze bei irgendeinem Anlaß zu erschüttern vermag. Dem verschloß sich der Graf so wenig, daß er weise allem aus dem Wege ging, was irgendwie eine Entfremdung herbeiführen konnte.

Er war auch anfänglich gar nicht einverstanden, daß seine Frau eine Stütze ins Haus nehmen wollte. Er hatte sogar Einwendungen erhoben. Aber sie hatte betont, daß sie den andauernden Ärger mit den Dienstboten nicht mehr ertragen könne. Solchen Personen könne man alles übergeben und somit wieder seines Daseins froh werden und in den Nächten ruhig schlafen.

Und Fräulein Wiebke Nissen könne sich auch der achtjährigen Eveline annehmen, der Nachhilfe in der Schule ebenso nötig sei, wie dem neunjährigen Udo. Namentlich letzteres hatte dem Grafen eingeleuchtet. Er besaß einen zu beweglichen Geist, um sich stundenlang mit den Kindern zu beschäftigen, sah aber ein, daß irgend etwas geschehen mußte, um seinen zwar intelligenten, aber im Wissen zurückgebliebenen Kindern aufzuhelfen.

Schon am kommenden Vormittag ging das Schreiben an Fräulein Wiebke Nissen in Föhrde ab, und am Ende der Woche, abends neun Uhr, traf sie in dem Hause der in der Johanniterstraße liegenden Wohnung der gräflichen Familie ein.

Der Graf hatte gemeint, sie sei doch eine gebildete Person, man müsse sie abholen, aber seine Frau hatte verneint.

Sie hatte dann eine Art, den Kopf zurückzuschieben, deren Entschiedenheit er sich aus Liebe zum Frieden lieber fügte.

Und nun lag auch alles schon hinter den beiden.

Fräulein Wiebke war gekommen, hatte sich in das für sie bestimmte Zimmer begeben, war dann zum Tee erschienen, an dem an diesem Tage die beiden Kinder etwas verspätet noch teilgenommen, und hatte durch Haltung und Auftreten ihrer neuen Herrin außerordentlich gefallen.

Auch der Graf war befriedigt, sehr befriedigt. Er empfand eine wahre Genugtuung darüber, daß er gleich den Eindruck empfangen hatte, daß dieses junge Mädchen die Harmonie des Hauses nicht stören werde.

Sie hatte etwas so Unpersönliches im Blick, daß man ihr eher Empfindungslosigkeit vorwerfen konnte. Wiederum aber war sie den Kindern mit solcher gewinnenden Freundlichkeit begegnet, daß sich daran die besten Hoffnungen knüpfen konnten.

Sie sieht, philosophierte er, als ihm das Bild des jungen Mädchens abends vorm Einschlafen noch einmal vor Augen trat, wie eine blasse Heilige aus, die wohl Liebe in der Brust von Engeln wachrufen könnte, aber zufolge ihrer Unnahbarkeit keine Leidenschaft in den Herzen der Menschen. Sie gehört zu den pflichttreuen Geschöpfen, denen das Geschick jene rauhe Tugend mitgab, die für die lachenden Freuden dieser Welt kein Auge und keinen Sinn besitzen.

*

Acht Tage war nun schon Wiebke in ihrer neuen Tätigkeit und demnach einigermaßen imstande, sich sowohl ein zutreffendes Bild von den Personen, wie von den Verhältnissen zu machen. Daß sie sich bei Finks nicht sehr glücklich fühlte, lag vielleicht an ihrem schwerfällig veranlagten Charakter, war vielleicht eine Folge ihres eigenen Wesens, das die Menschen häufig ja meist falsch deuteten, und wodurch sie veranlaßt wurden, ihr anders zu begegnen, als sie es verdiente.

Daß im übrigen die Gräfin Fink dem Begriff »Stütze der Hausfrau« eine sehr ausgiebige Bedeutung beilegte, daß fast die ganze Arbeitslast im Hause auf Wiebkes Schultern lag, störte sie nur insofern, als sie sich unwillkürlich dagegen auflehnte, daß man sie für geringen Lohn so stark ausnützte.

Die Arbeit an sich war ihr nicht zuviel; es gab ja nichts, wodurch man sich besser mit dem Dasein abzufinden vermochte. Wohl aber dachte sie über die verletzende Art nach, in der die Hausherrin die Grenzen zwischen sich und ihr, der Dienenden, zog. Sie besaß jene kalte Höflichkeit, durch die der Hochmut nur um so mehr zum Ausdruck gelangt. Die Gräfin steckte gerade dann ihre gemessensten Mienen auf, wenn das Mädchen, nach Wärme verlangend, einmal ein wenig aus seiner Verschlossenheit heraustrat.

Dann dämpfte sie rasch den Vorwitz, der glauben und vermeinen konnte, es sei gestattet, sich menschlich zu geben, im tieferen Sinne etwas auszuteilen und zu begehren.

Frühmorgens hatte Wiebke dafür zu sorgen, daß das Dienstpersonal zur rechten Zeit die Arbeit aufnahm und daß alles vorschriftsmäßig erledigt ward. Bis zum zweiten Frühstück hatte sie nicht zu erscheinen, an letzterem aber nahm sie teil.

Jeden Tag gab's bis zur Mittagszeit dann auch irgend etwas Dringliches zu erledigen. Es waren Briefe zu schreiben, die Bestellungen enthielten, es war Wäsche zu besorgen oder ein Gang zu machen, es wurden Spaziergänge mit den Kindern unternommen oder sie mußten bei ihren Arbeiten beaufsichtigt werden. Aber auch für die Küche war Wiebke verantwortlich. Sie bestimmte, gab aus und ordnete an, nachdem sie sich mit der Gräfin verständigt. Sie hatte sogar die Speisen einer Prüfung zu unterziehen und für den Wein zu sorgen, der mittags auf den Tisch kam.

Später mußte sie auf ihrem Zimmer Handarbeiten vornehmen, oder sie mußte sich der Garderobe der Gräfin widmen.

Um zwölf Uhr ward gefrühstückt, um sechs Uhr gespeist und um neun Uhr ein leichtes Abendbrot eingenommen. Nach diesen Mahlzeiten blieb Wiebke dann in der Familie, wenn der Graf oder die Gräfin dazu aufforderten. Naturgemäß war sie meist nur eine Zuhörende. Um ihre Meinung wurde sie nie befragt, höchstens einmal aufgefordert, einer geäußerten Ansicht beizustimmen. Die Gräfin hatte die Gewohnheit, sich dadurch einen ihr bequemen Gedankenabschluß zu verschaffen. »Finden Sie nicht auch?« Aber sie fragte eben auch nur dann, wenn sie einer Zustimmung gewiß war. Die Antwort sollte nur ein Echo ihrer eigenen Meinung sein.

Auf diese Weise hatte Wiebke mehr Einblick in die Charaktere ihrer Herrschaft, als jene in ihr Inneres gewonnen, ja, man konnte wohl sagen, daß Finks von ihr so gut wie gar nichts wußten. Man hatte sie nie nach den Verhältnissen ihrer Familie, nach ihrer Vergangenheit, gar nach ihren Zukunftsplänen gefragt. Man zeigte ihr nur durch Anrede und Begegnung, daß sie etwas anderes sei als ein lebloser Gegenstand, etwa eine Uhr, die zur Erledigung eines bestimmten Pensums aufgezogen wird.

So wirkte denn lediglich die Natur, in die Wiebke dann und wann hinaustrat, sowie der Verkehr mit den Kindern belebend auf ihr Gemüt. Die Kinder hatten bei sehr stark ausgeprägter, ihnen von ihrem Vater überkommener Lebendigkeit ein gutes Herz; sie besaßen nichts von der Prüderie ihrer Mutter.

Anfänglich hatte der Graf einen Ton angeschlagen, durch den er seine Absicht bekundet, Wiebke in die Familie einzureihen, ihr die Stellung zu geben, die der natürlichen Auffassung menschlicher Beziehungen entspricht.

Aber diesem Beginnen war seine Frau gleich sehr entschieden entgegengetreten. Die Anreden, die er an Wiebke richtete, die Aufmerksamkeiten, die er ihr durch Darreichung der Schüsseln entgegentrug, unterbrach sie durch ein entschiedenes Kopfschütteln, das freilich dem jungen Mädchen trotz ihrer gesenkten Augenlider nicht entging.

Nein! Mein Wille gilt! Ich verbiete dir Einmischungen! stand anfänglich in seinen Zügen geschrieben. Aber mit diesem Beharren auf seinen Willen hatte es sein Bewenden gehabt. Entweder, so urteilte Wiebke, war der Mann doch zu schwach veranlagt, um seine Meinung durchzusetzen, oder er hatte aus Klugheit nachgegeben. Jedenfalls unterließ er in der Folge Zuvorkommenheiten. Freilich verleugnete er niemals den Kavalier, ja, durch einen Blick, den er am folgenden Tage mit Wiebke gewechselt, hatte er gewissermaßen ein geheimes Freimaurertum zwischen ihnen aufgerichtet.

In diesem stummen Blick hatte alles gelegen, was sie von ihm erbitten zu können glaubte. Es schien darin ausgedrückt: Ich fühle mit dir, ich möchte dir die Stellung im Hause geben, auf die du zufolge deiner Persönlichkeit einen Anspruch erheben kannst, und ich bedaure tief, daß meine Frau dir so begegnet. Aber du verstehst, was auf dem Spiel steht – für dich. Du begreifst, daß ich um dich keinen Kampf aufnehmen kann gegen meine eigene Frau. So füge dich denn und nimm meinen Dank!

Und eine Bestätigung dieser Auffassung fand sie in einer Äußerung, die dem kleinen Udo bei Gelegenheit einer an die Tochter gerichteten Frage entglitt.

»Gehen deine Eltern heute abend ins Theater?«

»Ich weiß nicht, Fräulein –«

»Ja, ja, sie gehen!« hätte Udo wichtig ergänzt. »Papa sagte noch, er wollte Sie mitnehmen, Fräulein, aber Mama sagte –«

Das übrige ward nicht gesprochen, weil die kluge Eveline ihrem Bruder das Wort abschnitt.

An einem der Tage der nächsten Woche, als Wiebke im Begriff stand, noch einige Anordnungen an der Tafel zu treffen, trat zufällig der Graf ins Speisezimmer. Er hatte einen Brief in der Hand und wollte offenbar seiner Frau daraus Mitteilungen machen.

»Eben schreibt dein Bruder Hans –« setzte er an, unterbrach sich jedoch, als er, das Haupt erhebend, nicht seine Frau, sondern Wiebke vor sich sah.

Wiebke trug ein enganschließendes schwarzes Kleid, das ihre üppig schlanken Formen aufs vorteilhafteste zur Geltung brachte. Sie bot mit ihrem durchsichtig blassen Angesicht, dem blonden Haar, den dunklen Augen und schwarzen Augenwimpern einen wahrhaft sinnereizenden Anblick.

»Herr Graf suchen die gnädige Frau!« hub sie an. »Die gnädige Frau ist noch von ihren Besuchen nicht zurückgekehrt.«

»Ich danke.« Er wollte gehen. Aber in der Tür wandte er sich noch einmal zurück, trat einige Schritte vor und sagte mit einer fast verlegenen Artigkeit: »Da ich Sie hier treffe – ich wollte ohnehin schon immer fragen, mein Fräulein – haben Sie alles, wie Sie es wünschen? Fehlt auch etwas in Ihrem Zimmer an Bequemlichkeiten? Ist sonst etwas, das Sie lieber anders möchten?«

Das junge Mädchen schüttelte den Kopf.

»Nein, ich danke verbindlichst, Herr Graf. Ich hab' alles,« fügte sie bescheiden hinzu.

Sie hielt den Blick gesenkt, und eine kleine Pause entstand.

»Ich hoffe, Sie sagen es nicht nur! Sie entbehren wirklich nichts?«

Und da sie hierauf nichts erwiderte, nur mit demselben Ausdruck sanfter Unterwürfigkeit stumm verneinte, warf er ein:

»Mich leitet keine bloße Regung, mein Fräulein. Ich möchte, daß Sie es gut hätten, so gut hätten, wie es die Verhältnisse, wie sie einmal liegen, und die Sie, ich weiß es, richtig würdigen, gestatten!«

»Ja, Herr Graf, ich würdige sie vollkommen und danke Ihnen herzlich. Mir fehlt nichts.«

Diesmal erhob sie das dunkle Auge und ein so verführerischer Blick traf den Mann, daß es ihm im Nu heiß durch die Brust jagte.

Sollte sie eine andere sein, als sie sich gegeben? War sie eine Gefallsüchtige? Regte sich gar etwas für ihn in ihr?

Eine starke Erregung ergriff ihn, es blieb ein gemischtes Gefühl von Zweifel, Befriedigung und Begehren. Bevor er aber noch zur Klarheit und demgemäß zum abermaligen Sprechen zu gelangen vermochte, nahm Wiebke hastig das Wort. Es trat ein Ausdruck von Hilflosigkeit in ihr Angesicht, und fast demütig sprach sie:

»Ich bin so wenig gewohnt, daß man mich beachtet, daß die Überraschung über Ihre so überaus gütigen Worte eine starke Aufwallung in mir hervorrief, Herr Graf, verzeihen Sie. Schon oft ist mein Ausdruck mir falsch gedeutet worden; und schon oft ließ man mich dafür büßen, daß die Natur mich äußerlich ein wenig bevorzugt hat.

»Wenn ich also einen Wunsch aussprechen darf – Sie waren so überaus gütig, Herr Graf, mich eben wiederholt zu ermuntern –, so wäre es der, daß Sie mir trotzdem« – das junge Mädchen stockte und abermals sah sie ihn mit Augen an, die ihn verwirrten – »Ihr Wohlwollen nicht entzieh –«

In diesem Augenblick trat, noch in Hut und Mantel, die Gräfin ins Gemach, überschaute, in welcher Weise sich hier Konfidenzien abspielten, und wies, hochmütig das Haupt zurückwerfend, die Stütze durch ihre Blicke zur Tür hinaus.

Ein schroffes: »Ich bitte! Kann serviert werden? Die Kinder müssen in die Schule,« ging über ihre Lippen. »Und eilen Sie sich gefälligst,« schloß sie kurz befehlend.

Unter einer pflichteifrigen Verneigung wandte sich Wiebke hinaus, draußen aber drückte sie die Hand auf die erregte Brust.

*

Als Wiebke am Abend desselben Tages sich in ihr oben im Flügel belegenes Zimmer zurückzog und hier noch ordnend tätig war, verwandelte sich plötzlich der stillergebene Ausdruck in ihren Zügen in einen tief bedrückten, und zu einem Tisch schwankend, der neben Bett, Kommode und einigen Bildern die Wände schmückte, ließ sie sich vor demselben nieder und ergab sich einem langen, schwermütig düsteren Sinnen.

Noch hörte sie die spitzen Worte an ihr Ohr klingen, mit denen sie nach dem Tee entlassen worden war.

»Sie haben noch in Ihrem Zimmer zu tun, nicht wahr, Fräulein?« Und ohne Antwort abzuwarten: »Ich danke, ich habe nichts mehr! Gute Nacht!«

Das einzige, was Wiebke noch erhascht hatte, waren stumme Blicke des Mannes.

Der erste richtete sich mit finsterer Auflehnung gegen die Sprechende. Der andere galt ihr selbst, und in ihm lag nicht nur ein Ausdruck von Spannung, wie sie die Beleidigung aufnehmen werde, sondern warmes, volles Mitgefühl.

Das hätte ein Trost sein können, das hätte Wiebkes Inneres besänftigen können. Aber er fiel erst recht zu ihrem Nachteil aus.

Die Gräfin hatte den Blick aufgefangen, und in ihre Mienen war etwas getreten, das man rachsüchtige Unerbittlichkeit, das man den blinden Haß einer Frau nennt.

Nun war's nach einigen Wochen hier schon ganz wieder wie in den übrigen Häusern, in denen Wiebke Nissen eine Stellung innegehabt hatte!

Die Männer wendeten ihr, weil sie ungewöhnlich schön war, ein lebhaftes Interesse zu, und die Frauen strebten danach, sie rasch wieder zu entfernen.

So war's ihr gegangen als Lehrerin, als Gesellschafterin und als Stütze seit vier Jahren. Und weil es so gewesen, weil immer dasselbe sich wiederholt, hatte sich das Gemüt des ohnehin ernst veranlagten, keiner heiteren Jugend teilhaftig gewordenen jungen Mädchens immer mehr verdüstert. Wodurch andere Frauen köstliche Freuden genießen, wodurch sie ihre Sinne befriedigen, sich den Menschen geneigt, oder ihre Umgebung untertan machen, ihr Glück fördern, das war diesem Mädchen zu einem Fluch geworden. Alle Tüchtigkeit, alle Pflichterfüllung und aller ehrliche Wille zerstoben neben der Sünde, daß sie so – schön war. –

Als Wiebke am folgenden Tage beim zweiten Frühstück erschien, trat die Gräfin allein ins Speisegemach.

Unter einer sehr steifen Begrüßung Platz nehmend, widmete sie sich zunächst dem Inhalt eines eben eingetroffenen Schreibens und sagte dann, mit kalter Miene das Haupt erhebend:

»Mein Vetter, Herr Carlos von Wulfsdorff, kommt nicht, wie er ursprünglich geschrieben hat, heute mittag, sondern erst heute abend sieben Uhr. Das Zimmer ist doch hergerichtet?«

»Jawohl, gnädige Frau –«

»Nun ist der fatale Umstand, daß wir schon vor acht Tagen zu einem Diner eingeladen sind. Eine Absage so spät, aus diesem Grunde, ist unmöglich. Sie werden also den Herrn empfangen müssen. Aber ich darf wohl bestimmt erwarten, daß Sie sich darauf beschränken!«

»Frau Gräfin meinen?«

Wiebke sprach's, obschon sie sehr wohl verstanden hatte. Die Frau fürchtete schon im voraus für das Seelenheil ihres Vetters.

Diese Annahme aber, diese Verdächtigung ihrer Person rührte plötzlich in des Mädchens ohnehin erregtem Innern eine solche Empörung auf, daß sie keinen andern Gedanken hatte als offenen Kampf.

Die Frau sollte ihr Rede stehen. Sie wollte ihr antworten, wie sie es verdiente!

Und jene war durchaus nicht in der Stimmung auszuweichen. Sie wurde durch den schroffen Ton, den Wiebke – zum erstenmal – annahm, erst recht gereizt und stieß, das Haupt hochmütig zurückwerfend, eine weit stärkere Beleidigung heraus.

»Daß Sie nicht verstehen, wundert mich. Ich sollte meinen, daß Ihr sonst doch nicht getrübtes Auffassungsvermögen Sie nicht im Stich lassen könnte. Also um noch deutlicher zu reden: ich muß Sie dringend ersuchen, Ihre Stellung hier im Hause nicht zu überschätzen.

»Sie waren anfangs bescheiden und zurückhaltend, wie es in der Ordnung. Sie hatten sich meine Zufriedenheit erworben. Neuerdings aber scheinen Sie eine Art Gleichstellung anzustreben, treten nicht mehr zurück, sondern mischen sich unaufgefordert in die Familienangelegenheiten.

»Erst gestern war es so. Ich finde Sie in einer sehr unbeikömmlichen Situation.

»Eine Person in Ihrer Stellung hat eben keine Gespräche zu führen, sie hat auszuweichen, so auszuweichen, daß die Gelegenheit zu derlei Konversationen unmöglich wird.

»Und darauf bezog sich meine Aufforderung, sich heute zurückzuziehen, nachdem Sie in unserem Auftrage die Honneurs gemacht haben.

»Ich erwarte, daß Sie in Zukunft meine Wünsche aufs genaueste befolgen! Von Ihrer künftigen Haltung wird ein ferneres Zusammenbleiben abhängig sein!«

»Ich hörte, was Sie sagten, gnädige Frau,« hub Wiebke bebend und nur mit Aufbietung aller Kräfte sich zur Ruhe zwingend an. »Aber die Berechtigung zu Ihren Vorwürfen darf ich Ihnen in aller Ehrerbietung absprechen.

»Ich meine, ich habe nicht nur aufs strengste meine nicht geringen Pflichten erfüllt, sondern den Takt an den Tag gelegt, der nicht gelernt und gelehrt werden kann, sondern eben zu einem Menschen gehört, der Herzensbildung und feineres Empfinden besitzt. Ich bestreite, daß ich mich je in Ihre Familienangelegenheiten gemischt habe. Ich habe gestern dem Herrn Grafen auf seine Fragen geantwortet – wie's in der Ordnung war.«

»Hätte ich mich versehen, hätte ich irgendein Unrecht begangen, so würde ich in demütigster Form Ihre Verzeihung erbitten. Es gut und recht zu machen, mir Ihre Zufriedenheit und Ihr Wohlwollen zu erwerben und zu erhalten, ist mein ganzes Bestreben.«

»Auf Lob, auf Dank weiß ich zu verzichten, obschon ohne ein solches das beste Wollen verdorren muß. Doch einen derartig ungerechtfertigten Tadel muß ich zwar höflich, aber bestimmt zurückweisen. Ich hätte keine Selbstachtung, wenn ich dazu schwiege. Sie werfen mir nicht allein Mangel an Takt, nicht nur Unbescheidenheit, sondern weit Schlimmeres vor.«

Die Gräfin hatte während Wiebkens Worten mehrmals den Versuch gemacht, sie zu unterbrechen, »der Unverschämtheit« Einhalt zu gebieten. Allein vergebens.

Der rasche Strom der Rede und die stolze Haltung des gekränkten jungen Mädchens ließen sie nicht aufkommen.

In den sonst so sanften, stillen Augen war etwas erschienen, das Furcht einflößen konnte. Kraft, Ernst und Entschlossenheit fanden sich zusammen.

Um so mehr holte die Gräfin nach, was sie zu ihrem unbändigen Grimm hatte in sich zurückdrängen müssen. Sie stieß, kaum nachdem das letzte Wort verklungen, mit blitzenden Augen heraus:

»Ich bin eine Sprache, wie Sie sie gegen mich anzuwenden belieben, in meinem Hause nicht gewohnt und werde sie – ich erkläre es Ihnen hiermit – auch nicht dulden.«

»Ich habe Augen zum Sehen und behaupte nichts, für das ich nicht Beweise habe. Es ist jedoch ganz ausgeschlossen, daß ich mich mit Ihnen auf Kontroversen einlasse, gar mich rechtfertige. Ich ersuche Sie noch einmal, sich der Zurückhaltung zu befleißigen, die erforderlich ist. Sehe ich, daß Sie folgsam sind, will ich zu vergessen suchen, und Sie können dann bleiben. Im andern Fall wünsche ich, daß Sie sich nach einer andern Stelle umsehen! Hier haben Sie meine Antwort!«

Wiebke wollte etwas erwidern, sie wollte herausstoßen: »Ich gehe gleich! Ich ertrage es nicht, hier eine Stunde länger im Hause zu sein!« Aber nun eben trat der Graf ins Gemach.

Daß etwas geschehen, übersah er sogleich. Er sagte aber nichts. Er nahm auch dann nicht zu einer ausgleichenden Bemerkung das Wort, als die Gräfin das junge Mädchen durch eine herablassende Bewegung entfernte.

»Sie wollen sich gefälligst um das Frühstück des gnädigen Herrn bekümmern, Fräulein. Lassen Sie das Ragout sogleich wieder aufsetzen. Und sonst ist nichts heute morgen – nur vergessen Sie nicht, mir das Spitzenkleid rechtzeitig ins Ankleidezimmer zu legen.«

*

Die Herrschaften waren um sechs Uhr abgefahren. Die Frau hatte nichts mehr geäußert, nur Sachliches mit Wiebke gesprochen. Sie sollte dem Baron einen Brief überreichen, ihn in sein Zimmer geleiten, dann sorgen, daß er alles zu seiner Zufriedenheit auf dem Speisetische finde.

Auch der Graf hatte ihr noch einen Auftrag erteilt.

»Sagen Sie dem Herrn, daß wir uns früh aus der Gesellschaft entfernen werden, und daß ich gern noch mit ihm ein Stündchen in den Klub gehen würde. Ich weiß, er liebt das, und so vermag ich ihn noch etwas zu entschädigen.«

»Jawohl, gnädiger Herr. Ich werde alles bestens ausrichten.«

Und dann, nach einem letzten Herandrängen der Kleinen, ein gütiger Gruß von seiner Seite, ein mattes Kopfneigen der Gräfin, und Wiebke hatte ihr Reich für sich.

»Welche Beschäftigung hat euer Verwandter, woher kommt er?« fragte Wiebke dann die Kinder. Man hatte ihr nichts gesagt.

»Onkel ist Gutsbesitzer, acht Tage will er uns besuchen. Er ist so lustig und so nett. Wir freuen uns furchtbar, daß er kommt,« erwiderte der Knabe.

»Du mußt nicht furchtbar sagen, mein kleiner Kerl. Ich ermahnte dich schon oft. Das klingt nicht hübsch. Man freut sich sehr, außerordentlich, aber nicht furchtbar.«

Er nickte, er war ein lenksamer, kleiner Mensch.

Um halb acht Uhr traf Carlos von Wulfsdorff ein. Die Kinder hatten ihn in dem Wagen des Grafen vom Bahnhof abgeholt.

Von ihnen umringt, von Wiebke gefolgt, trat er zunächst in ein Vorgemach und las beim Schein der Lampe den Brief.

»Natürlich, natürlich, beste Leute!« murmelte er gutmütig beipflichtend, wandte sich alsdann um und sah sich Wiebke näher an.

Offenbar war er ganz benommen von ihrer Erscheinung.

»Sie sind Fräulein Nissen, mein gnädiges Fräulein! Es steht in dem Briefe, daß Sie sich meiner annehmen wollen. Sehr, sehr liebenswürdig.

»Und wo darf ich inkommodieren?«

»Ah! Eine Treppe hoch! Jawohl, ich kenne das Zimmer! Danke, danke verbindlichst. Bitte gehorsamst, bemühen Sie sich durchaus nicht. Ah, Arnold, guten Tag! Tragen Sie doch das Gepäck hinauf.«

»Ist schon oben, Herr Baron! Darf ich leuchten?«

»Jawohl, sehr schön. Empfehle mich, gnädiges Fräulein. Ich hoffe, Sie beim Essen wiederzusehen. Ich komme bald, ich bringe einen tüchtigen Appetit mit. –«

»Ich bitte, gnädiges Fräulein, leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft,« hub er liebenswürdig an, nachdem er wenig später wieder herabgekommen war und sich am Speisetisch niedergelassen hatte. Mit seinen sehr wohlgepflegten Händen griff er nach den Speisen und bemerkte, daß Wiebke sich fortbegeben wollte.

»Ich bitte um Verzeihung, Herr Baron, aber ich muß noch in die Küche –«

»O nein, nein! Das wird ja alles in Ordnung sein! Die Suppe ist superbe, sie beweist es. Bitte, Kinder, macht Platz –«

»Mama will es nicht gern, Onkel,« rief die junge Eveline. Es blieb unbestimmt, ob sie eine gute Regung für ihre Erzieherin leitete, oder ob der Hochmut der Mutter sich in ihr regte.

Schnell warf der Mann einen forschenden Blick auf die schöne Wiebke, die dastand mit den eigentümlich verschlossenen Zügen. Er glaubte in diesem Augenblick, nie ein verführerischeres weibliches Geschöpf gesehen zu haben als dieses in den Formen strotzende, dunkel gekleidete Weib mit dem blonden Kopf, den schwarzen Wimpern und den blassen, weichen, sinnlichen Farben.

Und weil sie ihn so fortriß, gab er zwar unter einer kavaliermäßigen Verneigung nach, schickte aber, nachdem das Essen beendet und die Kinder ins Bett gegangen, Arnold zu dem Fräulein.

Er ließe sie recht sehr bitten sich zu ihm zu bemühen.

Der Diener kehrte auch nach einer Weile zurück, meldete aber, daß er das Fräulein nicht habe finden können.

Sie sei weder in der Küche noch in der Kinderstube: auch oben sei auf sein Klopfen an der Tür keine Antwort erfolgt.

Als der Gast deswegen Arnolds Meinung einholte, machte der Diener ein verschmitztes Gesicht und sagte:

»Wenn der Herr Baron erlauben: ich glaube, daß das Fräulein doch auf ihrer Stube ist. Sie will bloß nicht kommen?«

»Weshalb denn nicht?« forschte Carlos, obgleich es ihn reute, sich über dergleichen mit dem Diener des Hauses in Erörterungen einzulassen.

Diesmal blieb Arnold die Antwort schuldig. Er zog eine Miene, in der geschrieben stand, daß er Bedenken tragen müsse, sich zu äußern.

»Na, vorwärts! Was ist denn?« stieß er heraus, wandte aber zugleich das Gesicht ab, damit er seine gespannten Züge vor Arnold verstecken konnte.

»Na ja, ich hörte heute morgen – aber Herr Baron werden mich nicht verraten – daß die gnädige Frau dem Fräulein untersagten dazubleiben. Sie darf nicht kommen.«

Der Mann wollte etwas erwidern. Aber er schwieg. Er wünschte nicht, daß seine Cousine sich in den Augen ihrer Untergebenen lächerlich machte. So war's besser, nur ungläubig den Kopf zu schütteln, das Gespräch nicht fortzusetzen. Aber der Zusammenhang der Dinge war ihm zweifellos.

Seine Verwandte war wieder einmal eifersüchtig und hatte dem schönen Mädchen Szenen gemacht.

Ein ähnlicher Gedanke war ihm schon bei Evelinens Bemerkung gekommen.

Er fertigte denn auch Arnold nach nochmaliger Anwendung gut berechneter Worte ab, erklärte, daß er sich in den Klub begeben wolle, und verließ mit dem Befehl, dies dem Grafen nach Rückkehr zu melden, das Haus.

 

* * *


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