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56. Wie Stanley Livingstone fand.

Während nun Livingstone vor seiner Hütte steht und, die Augen mit der Hand beschattend, die amerikanische Flagge betrachtet, die von dem nächsten Hügel herab im Winde flatternd sich nähert, wollen wir hören, was sich unterdessen in Europa begeben hatte.

Ein junger Journalist namens Henry Morton Stanley, Angestellter der großen Zeitung New-York Herald, deren Besitzer der amerikanische Millionär Gordon Bennett war, befand sich im Oktober 1869 in Madrid. Eines Morgens weckte ihn sein Diener mit einem Telegramm, das nur die Worte enthielt: »Kommen Sie in wichtiger Angelegenheit nach Paris. Gordon Bennett.«

Mit dem ersten Zug fuhr Stanley nach Paris und eilte nach Bennetts Hotel. Bennett empfing ihn mit der Frage:

»Wo, meinen Sie, ist jetzt Livingstone?« –

»Das weiß ich wirklich nicht«, antwortete Stanley.

»Glauben Sie, daß er noch lebt?« –

»Vielleicht – vielleicht auch nicht.« –

»Ich glaube, daß er lebt,« erklärte nun Bennett, »und Sie sollen ihn suchen!«

»Was?« rief Stanley, »ich soll nach Afrika?«

»Ja, ich möchte, daß Sie dorthin reisten und Livingstone ausfindig machten. Vielleicht leidet der alte Mann Mangel; nehmen Sie also alles mit, was er brauchen könnte. Handeln Sie ganz nach Belieben, aber – finden Sie mir Livingstone!«

Stanley hatte nur noch einzuwenden: »Solche Reise kostet Geld.« Aber Bennett antwortete ihm: »Lassen Sie sich 20 000 Mark von der Bank holen, und wenn Sie die ausgegeben haben, so erheben Sie weitere 20 000 Mark und so fort, solange es nötig ist – aber finden Sie mir Livingstone!«

»Schön,« sagte Stanley, »ich werde tun, was ich kann, mit Gottes Hilfe.« Und so ging es denn nach Afrika.

Stanley hatte von Gordon Bennett noch einige andere Aufträge erhalten, die er unterwegs ausführen sollte. Er fuhr den Nil hinauf, besuchte Jerusalem, reiste nach Trapezund und Teheran und quer durch Persien nach Buschehr, auf demselben Wege, der den Lesern des ersten Bandes bekannt ist, und langte erst Anfang Januar 1871 in Zanzibar an.

Hier traf er zunächst gründliche Vorbereitungen zur Reise ins Innere. Er hatte von Afrika nur Abessinien kennen gelernt und war nie im Innern des schwarzen Erdteils gewesen, aber als kluger und mutiger Mann unterrichtete er sich über alles Wissenswerte und konzentrierte sich auf sein Vorhaben wie ein Spürhund. Er kaufte so viel Zeug zusammen, daß sich hundert Mann zwei Jahre lang damit kleiden ließen, Glasperlen, Metalldraht und andere Dinge, die den Schwarzen lieb sind; ferner Sättel und Zelte, Flinten und Patronen, ein Boot, Arzneimittel, Werkzeuge, Proviant und Esel. Zwei englische Seeleute schlossen sich der Expedition an, aber beide starben im Fieberlande. Schwarze Träger wurden gemietet und zwanzig Mann, die Stanley seine Soldaten nannte, mit Gewehren bewaffnet. Das große Gepäck wurde auf Boote geladen, und unter Segel ging es von Zanzibar nach dem afrikanischen Festland. In Bagamoyo wurde die letzte Hand an die Ausrüstung gelegt, und nun galt es zu eilen, um den Marsch noch vor Beginn der Regenzeit antreten zu können.

In fünf Abteilungen, zusammen hundertzweiundneunzig Mann, zog die große und reiche Karawane westwärts. Führer der letzten Abteilung war Stanley selbst, und als er, die amerikanische Fahne voran, abzog, war ganz Bagamoyo auf den Beinen. In dem tiefen Schatten der Mimosenhecken marschierten die Soldaten dahin, das Gewehr geschultert, und sangen muntere Lieder; vor ihnen lag die Wildnis, Innerafrika mit seinen dunklen Rätseln!

Beizeiten langte der sangesfrohe Zug an seinem ersten Lagerplatz an. Hier wuchs ringsum hoher Mais, und auf weiten Flächen wurde die Maniokpflanze gezogen. Ihre großen Wurzelknollen enthalten zum größten Teil Stärkemehl, aber auch einen giftigen, milchigen Saft, der tötet, wenn man die Wurzel ohne weiteres verzehrt. Bei richtiger Behandlung läßt sich der Saft aber leicht entfernen, und die zerriebene Wurzel gibt dann ein Mehl, aus dem eine Art Brot hergestellt wird. Um die nahen Sümpfe herum standen niedrige Fächerpalmen und Akazien zwischen üppigem Gras und Farnkräutern in träger Ruhe.

Am nächsten Tage marschierte die Karawane unter Ebenholzbäumen und Kalebaßbäumen, aus deren Fruchtschalen die Eingeborenen Gefäße machen, denn durch äußere Eingriffe läßt sich die Frucht während der Zeit ihres Wachstums fast in jede beliebige Form bringen. Fasanen und Wachteln, Sumpfhühner und Tauben flogen erschreckt auf, als sich die lange Reihe der schwarzen Männer durch das mannshohe Gras hinschlängelte. In den Wasserläufen, die überschritten wurden, lagen Flußpferde, die gar keine Scheu zeigten und behaglich schnaubten.

Lange dauerte aber die günstige Witterung nicht; dann zogen die Vorläufer der Regenzeit mit Geplätscher und Geprassel über das Land hin. Die beiden Pferde der Karawane brachen zusammen; etliche Kerle, denen es in Bagamoyo besser gefallen hatte, rissen aus, und ein Dutzend Träger erkrankte am Fieber. Trotzdem beeilte Stanley seinen Marsch nach Kräften, er selbst schlug jeden Morgen auf einer Blechkanne die Reveille. Durch dichte Dschungeln ging es weiter. In einem kleinen Tal wiegten sich Maisfelder im Winde und linde Lüfte sausten durch regennasses Zuckerrohr. Die hängenden Bananen glichen vergoldeten Gurken, und rechts und links vom Pfad dufteten Tamarisken und Mimosenbäume. Bisweilen rastete man in Dörfern, die aus gutgebauten Grashütten bestanden.

Nach vierzig Tagen ging die Regenzeit am letzten April zu Ende. Wälder prachtvoller Palmyrapalmen umgaben nun die Wanderer; diese Palmen wachsen fast im ganzen tropischen Afrika, in Indien und auf den Sunda-Inseln, und sie werden schon in einem altindischen Liede verherrlicht, weil ihre Frucht, ihre Blätter und ihr Holz angeblich zu achthundertundein verschiedenen Zwecken brauchbar sind. Dann wurde das Land hügelig, und im Westen überragte ein Bergkamm den andern. Soldaten und Träger freuten sich, aus dem feuchten Küstenland in trockene Gegenden zu kommen, aber den Eseln wurde der Weg jetzt recht sauer. Man lagerte in Dörfern, deren bienenkorbartige Hütten mit Bambusrohr und Bast gedeckt und mit Lehmmauern umgeben waren. Einige Wegstrecken waren so öde, daß nur Euphorbien, Disteln und Dornsträucher im dürren Erdreich Nahrung fanden. An einem kleinen See fand man zahlreiche Spuren von Büffeln, Zebras, Giraffen, Wildschweinen und Antilopen, die zur Tränke dorthin zu kommen pflegten.

In einem Dorf holte Stanley eine große arabische Karawane ein, mit der er das gefürchtete kriegerische Ugogo-Land durchzog. Die gemeinsame Karawane zählte nun vierhundert Mann, die auf dem schmalen Pfade, den Elefanten und Nashörner seit unvordenklichen Zeiten in den Dschungeln ausgetreten hatten, im Gänsemarsch vorrücken mußte. In einer Gegend zeigten die Hütten eine Form wie die Zelte der Kirgisen, und in einer andern erhoben sich mitten im Walde Felsen gleich den Ruinen eines Märchenschlosses.

In Tabora, dem Hauptort von Unjamwesi, einer der vornehmsten Siedelungen in Ostafrika, holte Stanley die vorderen Karawanenabteilungen ein, und die Araber erwiesen ihm alle möglichen Ehren. Sie bewirteten ihn mit Weizenkuchen, Hühnern und Reis und schenkten ihm fünf fette Ochsen, acht Schafe und zehn Ziegen. Prächtig angebaute Felder dehnten sich ringsum, auf denen große Viehherden weideten, und den stattlichen, schöngewachsenen Männern sah man nicht an, daß auch sie Sklavenhändler waren.

Das Land Unjamwesi befand sich gerade im Kriegszustand. Mirambo, ein mächtiger Häuptling im Nordwesten, bedrohte Tabora; die Araber sammelten daher die Unjamwesi-Krieger, um ihm zuvorzukommen, und ein Heer von zweitausendzweihundert Mann zog zum Kampfe aus. Zwanzig Araber gingen mit fünfhundert Eingeborenen auf das Dorf Mirambos los und eroberten es, aber der Häuptling entfloh mit seinen Leuten. Die Hütten wurden geplündert; mit einer reichen Beute von hundert Elefantenzähnen, sechzig Zeugballen und zweihundert Sklaven kehrten die Krieger nach Hause zurück. Damit war aber der Krieg keineswegs zu Ende. Mirambo und seine Leute überfielen die Unjamwesi, töteten alle Araber und eine große Menge Eingeborener und holten sich ihr Eigentum wieder. Auch fünf Leute Stanleys wurden bei dieser Gelegenheit erschlagen.

Als Stanley Tabora verließ, hatte er nur noch vierundfünfzig Mann; er mußte deshalb einen Umweg nach Süden machen, um die im Kriegszustand befindlichen Stämme zu vermeiden. Mit jedem Tag wuchs seine Spannung und seine Sorge. Wo steckte wohl dieser Livingstone, von dem die ganze Welt sprach? War er längst tot oder wanderte er noch immer in den Wäldern Afrikas umher, wie seit fast dreißig Jahren?

Oft mußte Stanley einen oder auch wohl gar zwei Zeugballen einem Häuptling als Zoll bezahlen. Einer dieser schwarzen Könige sandte Lebensmittel, von denen die ganze Karawane vier Tage lang leben konnte, und besuchte dann mit einer Schar schwarzer Krieger Stanley in seinem Zelt. Man forderte sie auf, sich niederzulassen, und eine Weile saßen die Schwarzen still, blickten den weißen Mann neugierig an, berührten seine Kleider, sahen einander an und brachen in schallendes Gelächter aus. Nach und nach wurden sie so vergnügt, daß sie mit den Fingern schnippten und an ihren eingehäkelten Zeigefingern so heftig zogen, daß sie sich fast die Hände ausrenkten. Dann durften sie die Gewehre und die Apotheke besehen. Stanley zeigte ihnen auch eine Flasche Ammoniak und erklärte ihnen, diese Medizin helfe gegen Kopfschmerz und Schlangenbisse. Der schwarze König klagte darauf sofort über Kopfweh, als aber Stanley ihm die Flasche unter die Nase hielt, fiel er mit verzerrtem Gesicht der Länge nach auf den Rücken, während seine Krieger vor Lachen brüllten und in die Hände klatschten. Für diesmal hatte Seine Majestät genug von der starken Medizin!

Als eines Abends gerade während des Essens Stanley das Zeichen zum Aufbruch gab, kam es zu einer Meuterei unter seinen eigenen Trägern. Diese warfen nach halbstündigem Marsch ihr Gepäck hin und begannen in drohend aussehenden Gruppen miteinander zu flüstern; zwei Rädelsführer legten sich in den Hinterhalt und richteten ihre Gewehre auf Stanley. Aber dieser griff sofort zu seiner Flinte und drohte ihnen, sie auf der Stelle niederzuschießen, wenn sie nicht sofort ihre Gewehre beiseite legten. Der Vorgang endete ohne Blutvergießen, und die Leute gelobten von neuem, ruhig mit nach dem Tanganjika-See zu ziehen, wie es bei der Abreise vereinbart worden war.

Nun mußte die Karawane durch eine waldige Gegend, wo die Tsetsefliege alles Vieh hinmordete und der kleine Honigvogel geschäftig zwischen den Bäumen umherflog. Dieser Vogel gleicht dem gewöhnlichen Sperling, nur ist er etwas größer und hat auf jeder Schulter einen gelben Fleck. Durch fortwährendes Hin- und Herflattern in bestimmter Richtung macht er die Eingeborenen auf die Stöcke wilder Bienen aufmerksam. Folgt man ihm freundlich pfeifend, ohne ihn durch Lärm zu erschrecken, dann merkt der Vogel, daß man seine Absicht versteht. Je mehr er sich dem Bienenstock nähert, desto kürzere Strecken flattert er hin und zurück, und wenn er am Ziel angelangt ist, setzt er sich auf einen nahen Zweig, um geduldig auf seinen Anteil an der Beute zu warten. Deshalb ist der Honigvogel bei den Eingeborenen sehr beliebt, und sie folgen ihm, wohin er sie ruft. –

Von da wandte sich Stanley nordwärts nach einem Fluß, der sich in den Tanganjika-See ergießt. In kleinen, gebrechlichen Kähnen setzte die Karawane über, während die Esel hinüberschwimmen mußten, wobei eines der Tiere die Beute eines Krokodils wurde. Da begegnete Stanley eines Tages einer aus Udjidji kommenden Karawane und hörte von ihr, daß sich dort ein weißer Mann befinde! »Hurra, das kann niemand anders sein als Livingstone!« dachte Stanley, und sein Eifer, vorwärtszukommen, steigerte sich nun aufs höchste. Durch höhere Bezahlung vermochte er seine Träger zu längeren Tagesmärschen zu bewegen, und immer schneller ging es nun von Land zu Land, von einem Häuptling zum andern.

Einmal verlegte eine Schar Eingeborener der Karawane den Weg, und die Schwarzen riefen Stanley zu: »Weshalb zieht der weiße Mann ohne Gruß und Gabe an dem Dorf des Königs von Ukka vorbei? Weiß er nicht, daß der König von Ukka für die Erlaubnis, sein Land zu durchziehen, Zoll erhebt?« Aus dem benachbarten Dorfe näherten sich fünfzig Krieger mit einem hochgewachsenen Anführer. Er trug einen kirschroten Mantel, eine Kopfbinde und an einem Halsband ein Stück Elfenbein. Alle waren mit Speeren, Keulen, Bogen und Pfeilen bewaffnet. Mit vornehmem Anstand trat der schwarze Häuptling an den Führer der Weißen heran und begrüßte ihn freundlich: »Wie geht es euch, Herr?« Und Stanley erwiderte: »Wie geht es euch selbst, Häuptling?« Stanley setzte sich nun auf einen Zeugballen und die Schwarzen legten ihre Waffen zur Erde. Nach einer Pause sprach der Häuptling: »Ich bin der große Mionwu, der erste Mann nach dem König von Ukka. Will der weiße Mann dem König keinen Zoll bezahlen? Der weiße Mann ist stärker als wir, er hat Flinten, wir nur Bogen und Speere. Aber Ukka ist groß und unserer Dörfer sind viele. Der weiße Mann mag sich umsehen, alles, was er erblickt, gehört zu Ukka. Wünscht der weiße Mann Krieg oder Frieden?«

Auf diese feierliche Anrede antwortete Stanley: »Der große Häuptling Mionwu weiß, daß weiße Männer nicht gegen schwarze Männer Krieg führen. Sie kommen weder der Sklaven noch des Elfenbeins wegen, sondern um das neue Land zu sehen, seine Berge und Seen, seine Menschen und Tiere, um daheim in ihrem eigenen Lande davon zu erzählen. Die Weißen sind mächtig, ihre Kugeln reichen weiter, als ihr sehen könnt. Aber ich will keinen Krieg, ich will Mionwus und aller schwarzen Männer Freund sein.«

Das Ende dieser Verhandlung war, daß Stanley eine hohe Abgabe an Kattun entrichten mußte. Der nächste Häuptling forderte gleichfalls hohen Zoll, und Sklaven berichteten, daß auf der nächsten Tagereise fünf verschiedene Häuptlinge die gleichen Ansprüche erheben würden. Das ging zu weit! Man konnte sich doch nicht geradezu plündern lassen. Da erbot sich der Führer für zwölf Ellen Kattun die Karawane bei Nacht durch den Wald zu bringen, wenn man sich ganz still verhalte. Und tatsächlich führte er sie durch das vom Mondlicht überflutete Dickicht, und die Karawane erreichte unbelästigt ihren letzten Lagerplatz vor dem Tanganjika-See.

Der 10. November des Jahres 1871 brach an. Es war ein prächtiger sonniger Morgen, und sechs Stunden lang marschierten Stanley und seine Leute nach Südwesten. Durch dichtes Bambusrohr führte der Pfad auf eine Anhöhe, von der man den silberglänzenden Spiegel des Tanganjika-Sees vor sich sah, und am westlichen Ufer zeigten sich blaue Berge, deren dunstige Silhouetten in der Ferne verschwommen. Die ganze Karawane erhob ein Jubelgeschrei. Von einem letzten Landrücken aus wurde schon das Dorf Udjidji sichtbar, seine Hütten, seine Palmen und seine großen Boote drunten am Ufer. Stanley spähte wie ein Falke am Ufer umher. Das Gerücht vom Verweilen eines weißen Mannes am See war in den letzten Tagen immer bestimmter geworden. Wo war die Hütte des Gesuchten? War es Livingstone, lebte er noch, oder war sein Name nur noch eine Sage oder ein Traum?

Nun wird die Fahne geschwenkt. Die Dorfleute strömen den Ankommenden entgegen unter ohrenbetäubendem Lärm, ein Bewillkommnen, Fragen und Durcheinanderrufen beginnt. Nur noch einige hundert Schritte bis zum Dorf – Vorwärts! Marsch!

Da ruft jemand aus dem Gedränge: » Good Morning, Sir!«

Wer kann das sein? Ein Schwarzer, mit einem weißen Hemd und Turban bekleidet!

»Wer in aller Welt sind Sie?« fragt Stanley.

»Ich bin Susi, Dr. Livingstones Diener!«

»Also Dr. Livingstone lebt?«

»Ja, Herr!«

»In diesem Dorf?«

»Ja, Herr!«

»Dann laufen Sie schnell und holen Sie mir den Doktor!«

Und Susi lief so schnell er konnte.

Als Livingstone die überraschende Kunde von der Ankunft einer Karawane erhielt, stieg er von der Veranda seines Hauses hinunter in den Hof, wo sich auch die in Udjidji wohnenden Araber versammelt hatten. Stanley bahnte sich einen Weg durch die Menge und sah nun einen kleinen Mann vor sich, ergraut und blaß, mit einer blauen Konsulmütze, deren ehemals goldenes Band ganz verblichen war, einem Wams mit roten Ärmeln und abgetragenen grauen Beinkleidern. Stanleys erste Regung war, auf ihn zuzueilen und ihn zu umarmen; aber mit Rücksicht auf die Volksmenge nahm er nur seinen Hut ab, trat heran und sagte:

»Dr. Livingstone, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete dieser freundlich, indem er leicht die Mütze lüftete.

»Gott sei Dank, Doktor, daß es mir vergönnt ist, Sie zu treffen.«

Worauf Livingstone entgegnete: »Auch ich danke Gott dafür, daß ich hier bin, um Sie zu bewillkommnen.«

Die beiden ließen sich nun auf der Veranda nieder, und die umherstehenden Eingeborenen schauten ihnen verwundert zu. Ich fragte Stanley einmal in London bei einem Diner, wie ihm zumute gewesen sei, als er Livingstone so mitten im Herzen Afrikas begegnete; er antwortete, sein Gefühl sei viel zu überwältigend gewesen, um sich beschreiben zu lassen. Er habe den berühmten Einsiedler, der seit fast dreißig Jahren der Welt entsagend unter den schwarzen Völkern umhergewandert war, immer wieder ansehen müssen und jede einzelne Runzel seines bleichen Gesichts betrachtet, in dem sich Leiden und Ernst, die Jahre der Einsamkeit und Arbeit, der Krankheit und Sorge ausprägten; und er habe immer wieder an Gordon Bennetts Worte denken müssen: »Gleichgültig was es kostet – aber finden Sie mir Livingstone!« –

Noch spät am Abend saßen die beiden beisammen und plauderten miteinander. Die Nacht breitete ihre Schleier über die Palmen, und es wurde finster über den Bergen, von denen Stanley heute herabgestiegen war. Eine dumpfe Brandung schlug rauschend an das Ufer des Tanganjika-Sees. –


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