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44. Die Räumung des Sudans.

Unterdes hatten sich wichtige Ereignisse in Ägypten zugetragen. England hatte Schiffe und Soldaten gegen das Land des Khedive geführt und in Ägypten die Zügel der Macht an sich gerissen. Mohammed Ahmed, der König der Derwische, der ehemals auf der kleinen Nilinsel Abba wohnte, hatte sich als einen Gesandten Gottes zur Rettung der Unterdrückten, als Mahdi oder Messias des Islam ausgegeben. Im mohammedanischen Sudan herrschte allenthalben Unzufriedenheit, denn Ägypten hatte endlich doch den Sklavenhandel verboten. Alle mißvergnügten Stämme sammelten sich unter der Fahne des Mahdi. Sein Ziel war die Abschüttelung des ägyptischen Jochs, und gleich einem Steppenbrand flog sein Aufruf zum heiligen Krieg durch ganz Nordafrika. Mit Klugheit und Tatkraft zauberte er aus dem elenden Sudan ein so mächtiges Reich herauf, daß England in Sorge geriet. Ein aus 10 000 Ägyptern bestehendes Heer, das teilweise unter englischer Führung stand, wurde, als es Kordofan erobern wollte, von den fanatisierten Scharen des Mahdi so völlig aufgerieben, daß kaum ein Augenzeuge dieser Begebenheiten übrigblieb! Waffen und Munition dieses Heeres bedeuteten für den Sieger eine willkommene Verstärkung.

Schwierig war nun die Lage der englischen Regierung. Der Sudan mußte entweder erobert oder geräumt werden. Man entschloß sich, ihn zu räumen. Aber in Chartum und an mehreren andern Orten bis an den Äquator lagen noch ägyptische Garnisonen. Wie sollte man sie aus der Gewalt des Mahdi erretten und den Nil hinunter schaffen?

Da erinnerte man sich des Mannes, der den Sudan am besten kannte und allein fähig war, diese Riesenaufgabe, die Rettung der Garnisonen, durchzuführen! Und als Ende 1883 eine neue Hiobspost kam, daß der Mahdi abermals ein ägyptisches Heer unter englischem Kommando vernichtet habe, da bat die englische Regierung Gordon, jene Aufgabe zu übernehmen! Gordon erklärte sich bereit und reiste sofort nach Kairo ab.

Von hier trat er seine letzte Reise den Nil hinauf an. Hinter ihm verschwanden Kairos prächtige Moscheen und Minarette, von deren Altanen die Priester zum Gebet rufen, und die uralte Pyramide des Cheops entzog sich hinter Hügeln und Palmenhainen seinen Blicken. In Korosko, an der Nordspitze der großen S-förmigen Nilkrümmung, bestieg er sein Dromedar und folgte dem schmalen, gewundenen Pfad, der seit Jahrtausenden durch die trockenen Talgänge der Nubischen Wüste, über verwitterte vulkanische Hügel und durch Dünen erstickenden Sandes führt. Wie glücklich war er, als er jetzt wieder den Schritten seines Dromedars auf dem Wüstensand lauschen konnte! Als ob der flüchtige Lauf seines Tieres ihn geradeswegs dem ersehnten Ziele zuführen müsse! So war er viele tausend Meilen durch den Sudan geritten, als er noch für die Befreiung der Sklaven kämpfte. Nun hatte er nur den einen Gedanken, die bedrohten Garnisonen zu retten, auch wenn es sein eigenes Leben kostete.

Die Garnisonen in Sicherheit bringen! Das klang so einfach. Aber in Wirklichkeit war es ein aussichtsloser Auftrag. Chartum liegt erst auf der Hälfte des Wegs nach dem Äquator, und der größte Teil des ganzen Landes war in der Gewalt des Mahdi. Dennoch glaubte Gordon, durch schnelles Handeln seine Aufgabe lösen zu können, und wenn nicht, so wollte er jedenfalls seine Pflicht tun.

Auf der Straße nach Abu Hammed, die den nördlichen Bogen des Nils abschneidet, ritt Gordon durch die Nubische Wüste, gelangte glücklich nach Abu Hammed und zog dann nilaufwärts weiter über Berber nach Chartum. Trotz des Krieges war der ganze Weg offen.

Die selbstverständliche Aufgabe der englischen Regierung, die einen der größten Söhne ihres Landes nach Chartum sandte, um viele Tausende Menschenleben zu retten, wäre nun gewesen, Besatzungen nach Korosko, Abu Hammed und Berber am Nil zu schicken, um den Rückzug der Garnisonen zu decken! Aber statt dessen redeten die englischen Minister und ägyptischen Paschas, die Gesandten, Generäle und Ingenieure hin und her, zankten sich über Kleinigkeiten, versuchten einander zu überlisten und vergaßen darüber die einfachste aller Vorsichtsmaßregeln, die sich innerhalb eines Monats hätte ausführen lassen und die am wenigsten gekostet hätte! Statt dessen plante man die Anlage einer Eisenbahn vom Roten Meer nach dem Nil; aber die Ingenieure rechneten schließlich aus, der Bau werde zwei Jahre dauern, und das Wasser, das man vom Meer nach der Wüste hinaufpumpen müsse, werde so kostspielig sein, daß man ebensogut den Dampfkessel der Lokomotive mit Champagner füllen könne! Genug, Korosko, Berber und Abu Hammed blieben ohne Verteidiger, und damit – waren Gordon und die Garnisonen ihrem Schicksal überlassen!


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