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3. Franklins Polarfahrt.

Nun sind wir unmittelbar an der Grenze des ewigen Eises. Alle Festlande, Meere und Inseln hat der Unternehmungsgeist des Menschen bereits durchforscht. Nur die beiden Pole und ihre nächste Nachbarschaft hatten seinem Vordringen bisher noch hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt. Aber unermüdlich war der Entdeckerehrgeiz an der Arbeit; die Wissenschaft duldet jetzt keine weißen, unbeschriebenen Flecke mehr auf der Karte. Daher konnten selbst die unübersehbaren Eisfelder auf die Dauer die Kühnheit der Seefahrer nicht zurückschrecken. Ein Schiff nach dem andern ging zugrunde, aber immer neue Kiele durchpflügten die Polarmeere. Der Nordpol hatte die größere Anziehungskraft, denn er liegt Europa am nächsten, mitten im Nördlichen Eismeer, das von den Küsten Asiens, Europas und Nordamerikas eingeschlossen wird.

siehe Bildunterschrift

Die Gebiete um den Nordpol.

Die Geschichte der Polarforschung ist ungemein reich an Heldentaten und Katastrophen; einige davon wollen wir uns kurz ins Gedächtnis zurückrufen.

Des vom Glück begünstigten Versuches Nordenskjölds, längs der Küste Nordasiens die Nordostdurchfahrt zu finden, habe ich schon gedacht. Auch die Nordwestdurchfahrt ist eines der Probleme, die trotz aller Mißerfolge immer wieder unternommen wurden. Die verhängnisvollste dieser Expeditionen war die Polarfahrt des Engländers John Franklin km Jahre 1845.

Franklin war Offizier der englischen Flotte. Er hatte, zu Lande und zu Wasser, auf der nördlichen und südlichen Halbkugel der Erde Expeditionen geleitet, in Seeschlachten gefochten und Kartenaufnahmen bedeutender Strecken der Nordküste Amerikas im Osten der Beringstraße gemacht. Der größte Teil der amerikanischen Festlandsküste war ihm also bekannt, und es handelte sich nur noch darum, einen fahrbaren Wasserweg zwischen den im Norden der Küste liegenden großen Inseln zu finden. Vorhanden war er ohne Zweifel, aber ob er sich zur Schiffahrt eigne, war die Frage. Eine Reihe gelehrter Sachverständiger beschloß, eine große Expedition auszurüsten, um die Durchfahrt zu finden.

Ganz England begeisterte sich für den Plan, und Hunderte tapferer Männer meldeten sich zur Teilnahme. Admiral John Franklin war schon früher in diesen Gegenden gewesen und hatte daher den glühenden Wunsch, Leiter der Expedition zu werden. Allerdings fürchtete die Admiralität, daß Franklin mit seinen sechzig Jahren der Aufgabe nicht mehr gewachsen sein werde. »Ich bin erst neunundfünfzig«, entgegnete aber Franklin mit Nachdruck, und so wurde er der Leiter einer Expedition, – von der weder er noch einer seiner Untergebenen zurückkehren sollte.

Die Schiffe, die vom Kiel bis zum Mast seetüchtig gemacht wurden, hießen »Erebus« und »Terror«, »Unterwelt« und »Schrecken«! Franklin hißte seine Admiralitätsflagge auf dem »Erebus«, wo Kapitän Fitzjames ihm an Rang der nächste war; Befehlshaber des »Terror« und zweiter Führer der Expedition wurde Kapitän Crozier. Das Offizierkorps wurde mit größter Sorgfalt ausgewählt; nur kräftige, auf dem Meer abgehärtete Männer von gründlichen Kenntnissen wurden angenommen. Die Besatzung der beiden Schiffe bestand aus dreiundzwanzig Offizieren und hundertelf Mann. Lebensmittel wurden auf drei Jahre mitgenommen und in beide Schiffsrümpfe Dampfmaschinen eingebaut, was damals noch nie in den Polarmeeren versucht worden war.

Von seiner vorgesetzten Behörde erhielt Franklin eine Anweisung, nach der er sich zu richten hatte; natürlich behielt er dabei das Recht, unter Umständen anders zu handeln. Seine Aufgabe war, von der atlantischen Seite aus das nördliche Amerika zu umsegeln und durch die Beringstraße in den Stillen Ozean einzulaufen. Mit der Lösung dieser Aufgabe wäre die Nordwestdurchfahrt gefunden gewesen.

Am 19. Mai 1845 verließen die beiden Schiffe England. Befehlshaber und Mannschaft waren voll der herrlichsten Hoffnungen auf Erfolg und entschlossen, ihre äußerste Kraft zur Erreichung des Zieles aufzubieten. Alle träumten schon von den warmen Winden, die sie im Stillen Ozean empfangen würden, und von dem unsterblichen Ruhm, der ihrer wartete, wenn sie durch die schmale Meerenge, wo Asien und Amerika nur wenige Meilen voneinander entfernt sind, südwärts steuern würden.

Auf See hielt der Admiral eine Ansprache an seine Leute, erklärte ihnen, um was es sich handle, und sprach die Erwartung aus, daß jeder seine Pflicht erfülle. Sie fuhren an den Orkney-Inseln vorbei, und am Johannistag sahen sie Kap Farewell, die Südspitze Grönlands, verschwinden. Tags daraus stießen sie auf das erste Eis, mächtige schwimmende Eisberge, die wilde, ausgezackte Formen zeigten und an der Wasserlinie vom Wellenschlag glockenförmig ausgehöhlt waren. Den meisten von der Mannschaft war dieses Schauspiel neu, sie standen auf Deck und bewunderten diese schwimmenden Berge, deren Zinnen noch den Wimpel des Großmastes überragten. Dann und wann schlug auch einer der Eisberge um, und das Meer geriet in Aufregung, wenn er seine vom Wasser zernagte Unterseite nach oben kehrte.

Zehn Tage später ankerten die beiden Schiffe bei der Insel Disko an der Westküste Grönlands. Hier trafen sie mit einem andern englischen Schiff zusammen, das vorausgesandt worden war, um mit seiner Ladung ihre Vorräte an Proviant und sonstigen Ausrüstungsgegenständen zu ergänzen. Der Kapitän dieses Schiffes war der Letzte, der mit den Mitgliedern der Franklin-Expedition gesprochen hat; niemals, versicherte er später, habe er eine so tüchtige Schar gut vorbereiteter und für ihre Sache begeisterter Seeleute gesehen. Die würden sich überall durchschlagen, habe er geglaubt. Die letzte Postsendung der Polarfahrer nahm er mit. Einige der Briefschreiber gaben Kamtschatka, die Sandwichinseln und Panama als Postadresse an; in einem Jahr, meinten sie, würden sie wieder in Europa sein, und die Briefe berichteten von der begeisterten Stimmung, die in der Offiziersmesse herrschte, und von der Bewunderung vor dem Admiral, dem alten Seebären, der nicht einmal bei stürmischem Wetter die Zahl der gehißten Segel verringerte, um nur schnell, weiterzukommen! Denn er wußte, daß hier im Norden nur kurze Zeit während des Spätsommers auf offenes Wasser zu rechnen ist. Auf drei Jahre Proviant war vorrätig, sogar auf Deck stand jeder Winkel voll von Kisten und Tonnen – was war da weiter zu fürchten?

Am 26. Juli wurden »Erebus« und »Terror« von einem englischen Walfischfänger gesichtet. Das war das letzte Mal, daß ein sterbliches Auge sie erblickte; seit diesem Tage umgab die unglücklichste aller Polarexpeditionen ein grauenhaft tiefes Dunkel!


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