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Des Pastors Weihnachtsgast.

Man muß ziemlich fest in den Netzen der Liebe verstrickt sein und einen starken Glauben an die unmittelbare Fürsorge unseres Herrn haben, um sich als Pastoradjunkt zu verheiraten.

Beides war der Fall bei Pastor Alm, und deshalb war er auch seit dem vierten Buß- und Bettage glücklicher Ehemann, und jetzt war es Heiligabend.

Er hatte 300 Mark Gehalt und bekam ebenso viel als Kostgeld und Mietentschädigung, seit er nicht mehr beim Präpositus aß und wohnte. Das machte beinahe zwei Mark für jeden Wochentag aus, und Sonntags müssen Geistliche wohl von Gottes Wort und etwas Aufgewärmtem leben können.

Später kommt freilich hin und wieder ein kleiner, unbefiederter, zahnloser Engel vom Himmel, aber dann kommt vielleicht auch ein Kalbsbraten vom Freibauern oder ein Käse vom Kirchenvorsteher und damit gleicht sich dann die Sache aus. Aber man darf weder den Gelüsten des Gaumens, noch den Vorschriften des Modejournals folgen, und die fleißige Hand, die die schadhaften Stellen in dem abgetragenen Rock des Pastors ausbessert, muß flink und sparsam mit den schwarzen Töpfen umzugehen wissen.

Doch nun war es Weihnachten mit Schweinebraten, Reisgrütze und Laugenfisch.

In den Salons des Herrn Adjunkten konnte man sich nicht verlieren. Drei Stuben und Küche, das war alles. Im »Saale« ein Tisch von gebeiztem Tannenholz, Wiener Stühle, ein perlfarbener Geschirrschrank, ein altes, verstimmtes Klavier, zwei kleine, birkene Fenstertische und ein großer, lithographirter Martin Luther. Im Zimmer des Pastors ein altes Ledersopha aus dem Hause seiner Eltern, ein birkener Schreibtisch, tannene Stühle mit Bezügen von zu Hause gewebtem Zeug, zwei gut angerauchte Pfeifen und ein magerer Bücherschrank. Dahinter lag die Schlafstube mit wenig Raum auf dem Fußboden und großen Bettgardinen, alten Möbeln und neuen Leuchtern.

Doch nun war es Weihnachten, und zwei Lampen und acht Lichter warfen ihren Schein auf die frischgescheuerten Fußböden.

Die kleine Frau war nicht hübsch. Ihre Nase trotzte den antiken Schönheitsgesetzen und ihr Fuß sprach jeder eleganten Schuhfaçon Hohn. Die Hände waren etwas zu groß und die Augen ein Bißchen zu klein; aber die Schönheit der Gesundheit, die Anmut der Jugend und weibliche Milde machten Frau Alm zu einer ebenso lieblichen Saronsrose, wie sie je ihren Kelch in einem neu aufgeschlagenen Hirtenzelt entfaltet hat.

Und nun war es Weihnachten, das kleine Heim in Ordnung, und die beiden saßen dicht an einander geschmiegt und warfen prüfende Blicke auf ihren ziemlich einfachen Weihnachtsbaum, den ersten im eigenen Heim. Und der Pastor bewunderte den Zierrat, der an der Tanne hing, und konnte nicht begreifen, woher Frau Emma ihn bekommen habe.

Und dann zog er sein Weibchen an sich und fragte sie, ob es ihr nicht grade so ginge wie ihm, wenn er einen eben geschmückten Weihnachtsbaum sähe, könnte er sich eines wehmüthigen Gefühles bei dem Gedanken nicht erwehren, daß derselbe nun bald verwelkt, vergessen, bei Seite geworfen würde. Wäre das nicht ein Bild aller menschlichen Freude? Müßte man nicht für sein eigenes Glück beben! Wer könnte wissen, was die Zukunft in ihrem Schoße trüge.

Sie lächelte und antwortete:

»Weshalb welkt die Tanne, Gustav? Weil sie von ihrer Wurzel im Waldesschoße gerissen wird. Draußen trotzt sie Sturm und Kälte und wächst um so stärker, je mehr der Nordwind ihre Aeste peitscht. Hier drinnen in Licht und Wärme siecht sie dahin und stirbt. Wir sollen uns hüten, unsere Freude von dem Boden loszulösen, in dem sie jetzt erstarkt; wir dürfen nie vergessen, daß keine Weihnachtslichter der Welt der armen Tanne den himmlischen Wind und die Sterne am Himmelszelte ersetzen können.«

Und nun kamen die Geschenke zum Vorschein. Geringfügige Sachen, deren man doch unter allen Umständen für's Haus und für die Garderobe bedurft hätte, die aber jetzt einen viel größern Wert hatten, als wenn man sie zur gewöhnlichen Zeit so nach und nach angeschafft hätte.

Frau Emma konnte nicht begreifen, woher Gustav das Geld zu einem neuen schwarzen Kleide bekommen hatte, und Pastor Gustav fragte sich, ob nicht zwei ganze Dutzend neuer Bäffchen auf einmal doch ein strafbarer Luxus wären.

Da öffnete sich die Küchenthür.

»Draußen ist ein betrunkener Geselle in der Küche; ich fürchte mich ordentlich vor ihm,« meldete die Magd.

»Wir können ihm kein Nachtlager geben, aber gieb ihm Essen und Bier und bitte ihn, nachher zu Peter Olssons zu gehen, da kann er wohl in der Knechtstube liegen«, sagte der Pastor.

Einige Minuten später hörte man in der Küche eine heisere, zornige Stimme, die die Worte nur so herausstieß, in Schimpfen und Drohungen ausbrechen, und das Dienstmädchen stürzte in's Zimmer und bat den Pastor mit von Schluchzen erstickter Stimme, hinaus zu kommen.

Am Küchentische stand ein Mann, der ungefähr im Alter von dreißig Jahren zu sein schien. Sein Gesicht sah schrecklich aus, schmutzig, unrasiert, und der Stempel der Trunksucht war jedem Zuge scharf aufgedrückt. Die Kleidung stimmte mit der Physiognomie überein; es war genau der Typus, der in Schweden auf dem Lande unter dem Namen »reisender Gesell« bekannt ist, obgleich diese Gesellen recht oft die Gesellenprüfung nirgends anders als in Bacchus Werkstatt abgelegt haben.

Sowie der Pastor in die Küche trat, war der »Gesell« wie verwandelt; die aufgedunsenen Züge wurden leichenblaß, die Gestalt richtete sich auf, und ohne ein Wort des Abschieds öffnete er die Thür und ging fort.

Es war ein ungemütlicher Gast, von dem man mit Freuden Abschied nehmen konnte, doch dem Pastor war es, als ob seine Weihnachtsfreude getrübt werden würde, wenn dieser Elende an einem solchen Abend ohne einen Bissen aus seiner Thür ginge. Er bezwang darum seinen Widerwillen und eilte auf die Landstraße hinaus, dem Bettler nach.

»Mein Freund, es war nicht meine Absicht, Dich fortzujagen. Ich wollte nur, daß Du Dich höflich und anständig betragen solltest.«

Der Bettler beschleunigte seine Schritte, ohne zu antworten. Er ging nun recht schnell und schien auf einmal ganz nüchtern geworden zu sein.

»Komm und iß ein wenig am Weinachtsabend!« bat der Pastor.

»Laß mich in Ruhe!« murmelte der Bettler zwischen den Zähnen.

»So werde doch nicht bitter; hier hat Dich niemand beleidigt. Komm jetzt!«

»Laß mich in Ruhe, Gustav Alm!«

»Großer Gott, ist das nicht Ljüng?«

»Ja, das stimmt,« sagte der Bettler jetzt wieder in frechem Ton, »ich glaubte der Demütigung entgehen zu können, mich meinem geehrten Verbindungsbruder vorstellen zu müssen, aber da Du durchaus den Genuß haben willst, zu sehen, welch' ein Lump Dein ehemaliger Kamerad von der Universität geworden ist, so steh' ich Dir gerne zu Diensten, alter Junge!«

»Ich wußte, daß es mit Dir abwärts gegangen ist, seit ich Upsala verlassen habe, aber ich glaubte nicht, daß Du so weit heruntergekommen wärest«, sagte Alm erbleichend.

»Jawohl, ich habe, wie Du siehst, eine feste, etatmäßige Anstellung beim ehrenwerten Landstreicherkorps erhalten. Wie steht's mit Dir, mein alter Freund, Du bist wohl noch Extraordinarius in unseres Herrgotts Diensten?«

»Lästere nicht, Ljüng! Komm herein und bleibe die Nacht über in meinem Hause!«

»Ja so. Du legst Dich auf die Wohltätigkeit! Nun, mir kann's recht sein! Aber weißt Du, da nehme ich lieber einen Christian (dänische Silbermünze, mit König Christian's Bilde) in baar zu etwas Branntwein. Ihr Theologen pflegt manchmal den Appetitsschnaps bei Euren Mahlzeiten zu vergessen.«

Halb mit Gewalt führte Alm seinen seltsamen Gast in's Haus zurück und in sein eigenes Zimmer, bat ihn, seinen Anzug, so gut es gehen wollte, in Ordnung zu bringen, und ging dann hinaus, um seiner Frau zu sagen, wer dieser Landstreicher wäre und daß er ihn eingeladen hätte. Thränen füllten ihre Augen, und sie seufzte:

»Ach, Gustav, daß uns der Weihnachtsabend so gestört wird! Er kann doch wohl in der Küche essen?«

Da streichelte der Pastor sanft ihre vor Verdruß gerötete Wange und sagte:

»Unser Glück wurzelt in Liebe, Liebe nicht nur zu uns selbst, sondern auch zur Menschheit; sieh' zu, mein Kind, daß es sich nicht von seiner Wurzel loslöst und wie der Weihnachtsbaum verwelkt!«

Als Alm wieder bei seinem Gaste eintrat, hatte dieser vermittelst Wassers, einer Bürste und eines Kammes ein etwas menschlicheres Aussehen bekommen und trat ihm mit der spöttischen Frage entgegen:

»Sieh' da, bin ich nun fein genug, um mich der Köchin des Herrn Adjunkten vorstellen zu können?«

Alm schwieg, öffnete die Thür, führte ihn freundlich in den Saal und sagte einfach, ohne jede Affektation:

»Hier, liebe Frau, bringe ich Dir einen alten Universitätsfreund, Herrn Ljüng, der zufällig heute Abend hier vorbeikam und nun über Nacht bei uns bleiben will. Er will mit der Bequemlichkeit, die mein altes Sopha ihm bieten kann, vorlieb nehmen.«

»Willkommen, Herr Ljüng!« sagte die Frau Alm in so freundlichem Ton, daß der Gast jetzt wirklich ernstlich zu glauben begann, es sei ihre Absicht, ihn als ihres Gleichen zu behandeln.

Und mit jeder Minute fiel die Vagabundenmaske mehr von dem alten Studenten ab. Seit langer, langer Zeit hatte er keinen Abend in einer Familie verlebt. Er hatte sich nie viel aus dieser Art Vergnügen gemacht, doch jetzt so aus der Kälte und Dunkelheit der Landstraße in helle, warme Zimmer zu kommen und zum ersten Male seit Jahren nicht als Landstreicher, sondern als Gast behandelt zu werden, das war etwas anderes, als sich in Upsala von dem lustigen Gelage der Kameraden loszureißen, um bei einem Philister zu soupieren, und bald unterhielt er sich ganz ungeniert mit der Wirtin.

Seine Geschichte?

Ach, ihr habt sie wohl schon hundertmal gehört! Ein froher Bursch' mit einer kleinen netten Baritonstimme. Abneigung gegen die Arbeit, Mangel an eisernem Willen, lustige Konzerte, lustigere Abende, trübe Selbstbetrachtungen am Vormittage, angenehme Skatpartien des Nachmittags, Schulden machen, kein Kredit mehr, »bemoostes Haupt,« relegiert. Absynth, Punsch, Cognac, Doppelkümmel, Fusel. Restaurant, Bierhalle, Spelunke, Landstraße. Diese Skalen hatte er durchlaufen und stand nun am Anfang vom Ende.

Das Abendbrot kam und schmeckte auch ohne Appetitschnaps.

Als die Mahlzeit zu Ende war, wandte sich Alm zum Gaste und sagte ruhig und ernst:

»Meine Frau und ich wollen den Tag mit einem kurzen Gebet beschließen. Wenn dies aber nicht mit Deinen Gewohnheiten und Neigungen übereinstimmt, so will ich Dir keinen Zwang auferlegen. Dein Bett ist fertig gemacht.«

Ljüng murmelte etwas wie »außerordentlich angenehm« und blieb.

Und der Pastor betete. Bat, daß Weihnachtslicht und Weihnachtsfreude in aller Herzen einziehen möchten, wie Er es gemeint, der das Licht zuerst über die Hirten auf dem Felde zu Bethlehem hatte aufgehen lassen. Und nach dem Gebete setzte sich seine Frau an das alte, heisere Klavier, dessen Saiten resonierten, und

»Sei uns gegrüßet, schöne Morgenstunde!«

tönte es durch das Zimmer.

Ljüng stand halb hinter dem Tannenbaum verborgen. Es war, als ob etwas in ihm schmelze und etwas anderes, etwas warmes und weiches dafür aufkeime. Das Eis schmolz mitten im Winter, und große schwere Tropfen fielen auf seine zerlumpte Weste nieder.

Schließlich wurde es ihm zu viel, und mit leisen, großen Schritten näherte er sich der Thür und eilte in die Nacht hinaus.

Als der Choral zu Ende war, wandten sich der Pastor und seine Frau um. Sie wollten dem Gaste gute Nacht sagen, aber – er war fort. Man wartete eine halbe, eine ganze Stunde, er blieb verschwunden.

Er schritt raschen Schrittes auf der Landstraße dahin, und die Gefühle kämpften in seiner Brust.

Da fiel ihm ein, daß in der kleinen Flasche, die er in der Brusttasche trug, doch noch ein Tropfen sein müsse. Er zog sie hastig hervor ...

Seine Pulse flogen, sein Herz schlug hörbar ... Sollte er?

Er siegte. – Im nächsten Augenblick flog die Flasche weit über das Feld hin, und der Wanderer eilte weiter.

*

Fünf Weihnachten sind vergangen, und der Adjunkt hatte eine Pfarre bekommen. Die Geschenke bei Alm's sind bedeutend zahlreicher geworden, denn nun wollen auch noch drei Alm'sche Sprößlinge ihren Anteil an der Freude haben, die denn auch groß ist. Da kam die Posttasche.

»Nein, sieh doch, ein Brief aus Amerika!« rief Frau Alm aus. »Du hast doch gar keine Bekannten dort, nicht wahr, Gustav?«

Und der Pastor zog die Lampe ein Bischen näher heran, rückte die Brille zurecht und las:

St. Paul, den 13. Dezember.

Bruder!

Dank für den Weihnachtsabend! Ich kann mich nicht über die Menschen beklagen, sie haben viel für mich gethan, sie haben mir Ratschläge, Ermahnungen, Geld und Beschäftigung gegeben, wenn ich auch alles verbummelte.

Du gabst mir einen brüderlichen Handschlag, einen Einblick on eine glückliche Häuslichkeit und einen Hauch vom Flügel des Weihnachtsengels und – das half.

Ich bin nun ein geretteter Mann, in unabhängiger Lage, sogar von meinen Leidenschaften unabhängig.

Ein andermal mehr. Jetzt ist mir das Herz zu voll. Grüße Deine Frau herzlich von

Deinem Freunde
Axel Ljüng.

Gustav Alm bat seine Frau, es nicht übel zu nehmen, wenn er diese Weihnachtsgabe über alle ihre Geschenke stellte, sogar über die neuen gestickten Morgenschuhe.

 


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