Friedrich Hebbel
Reiseeindrücke
Friedrich Hebbel

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Agram.

1850.

I.

Agram, 7. Juli. Der Fremde bemerkt, wenn er in ein Haus tritt, oft auf den ersten Blick, was dem Bewohner entgeht. Diese alte Wahrheit möge den Durchreisenden bei Ihrem gewöhnlichen Korrespondenten entschuldigen, wenn er seinen kurzen Aufenthalt in Kroatien und dessen Hauptstadt zu einer flüchtigen Schilderung der hiesigen Zustände benützt. Die Hauptstadt eines Landes ist fast immer die Silhouette desselben; lassen Sie mich deshalb mit Agram beginnen. Agram ist am besten mit einem erst halb angekleideten Menschen zu vergleichen; die blanken Stiefel, die neuen Pantalons, hat er bereits an, ebenfalls das schillernde seidene Gilet, aber der alte zerrissene Schlafrock schlottert ihm noch um die Beine, und Stroh und Federn sitzen ihm in den Haaren. Die Stadt kann, ihrer Lage nach, eine der schönsten Europas werden; an einen Berg hinangebaut, wie sie ist, bietet sie die köstlichsten Aussichten dar und ist in ihrem untern Teil mit herrlichen Plätzen geziert. Aber auf diesen Plätzen wächst Gras und Unkraut, und die Straßen sind derart, daß man den Hals brechen könnte, wenn man einfach spazieren geht. Es laufen ebensoviele Schweine als Hunde herum und an den Markttagen sieht man Bäuerinnen mit Ferkeln auf den Armen, die sie zärtlich wiegen, wie Kinder. Das würde nun freilich nichts machen, wenn sich auf diesen unsaubern Straßen nur ein wirklich kräftiger Volksstamm bewegte, der für den Mangel an Kultur durch ursprünglichen Gehalt und Sittenstrenge entschädigte; auch unsere deutschen Altväter mögen zu der Zeit, wo sie den Bären aus seiner Höhle vertrieben, wenn sie eine Wohnung brauchten, nicht sehr säuberlich angetan gewesen sein. Aber hier hapert's eben; nur selten begegnet man einer markigen, von Kraftfülle strotzenden Gestalt, vor der ein alter Römer Respekt gehabt haben würde; die meisten sind ebenso unansehnlich, als schmutzig. Dagegen sind die Gefängnisse überfüllt, und man kann fast nicht über die Straße gehen, ohne auf Trupps von Eingekerkerten zu stoßen, die an Händen und Füßen gefesselt 246 sind und zur Arbeit geführt werden. Ich schreibe dies wahrlich nicht mit schadenfrohem Vergnügen nieder; ich bin der Überzeugung, daß, wie alle Farben zum Regenbogen, so auch alle Völker zur Menschheit gehören, und daß die Menschheit sich nur durch die verschiedenen Völker, wie durch ebensoviele besondere Organe, nach allen Seiten vollständig entwickeln kann. Darum ist es eine Torheit, die sich selbst straft, wenn eines auf das andere mit Verachtung herabsieht; es ist aber auch eine Torheit und eine noch größere, wenn das zurückgebliebene, oder noch gar nicht in den Gang gekommene die Hilfsmittel verschmäht, die das benachbarte, fortgeschrittene ihm bietet. Und dieser Torheit macht man sich hier jetzt in hohem Grade schuldig. Ich will Ihnen dies an einem Beispiel, das in den Kreis meiner eigenen Erlebnisse fällt, veranschaulichen. Es besteht in Agram bekanntlich seit vielen Jahren ein deutsches Theater. Im letzten Winter wurde in demselben von Dilettanten illyrisch gespielt. Wie nun unter einer neuen Direktion zu Ostern die deutsche Saison wieder begann, verpflichtete sich die illyrisch-kroatische Partei gegenseitig mit Wort und Handschlag, keinen Fuß mehr hineinzusetzen. Das muß, ich bemerke es ausdrücklich, keinen Künstler abschrecken, hieher zu kommen; es sind hier Deutsche genug vorhanden, um die Lücke zu decken, und sie bleiben nicht nach ihrer sonstigen Gewohnheit im Winkel sitzen, sie tun redlich das ihrige. Aber es zeigt, wieweit die nationale Gehässigkeit, die von den Magyaren auf die »Germanen« übertragen wurde, hier geht. Nun gesellt sich noch die Absurdität hinzu, daß die illyrischen Dilettanten, die nach dem Urteil eines gebildeten Mannes recht gut wären, wenn sie nur nicht Künstler vorstellen wollten, fortwährend deutsche Stücke spielen, weil es an einheimischen fehlt. Man kann also dem deutschen Wesen gar nicht entfliehen, und wenn man ein Vergnügen daran findet, unsern edlen Wein aus der Schweinsblase zu trinken, statt aus goldenen Bechern, so ist das höchst possierlich. Wäre nun der nationale Drang nur wirklich echt und stark, so könnte man sich am Ende auch mit solchen Absurditäten aussöhnen. Aber das ist keineswegs der Fall. Erklärte doch ein einsichtsvoller slawischer Schriftsteller, der hier lebt, sogar alles für Strohfeuer, und die Tatsachen, die er mir erzählte, ließen sein Urteil wenigstens als beachtenswert erscheinen. So ist hier z. B. ein Lehrstuhl für slawische Sprache und Literatur errichtet worden. Der Professor fand anfangs großen Zulauf, aber als das Auditorium ungefähr wußte, ob er blond oder braun war und im Baß oder Diskant sprach, verlief es sich, und jetzt kann er aus Mangel an Zuhörern nicht mehr lesen. Fragt 247 man nach dem Grund, warum man alles Deutsche haßt, so ist die Antwort die gewöhnliche: aus Furcht vor dem Germanisiertwerden. Diese Antwort erfüllt mich jedesmal, wo ich sie auch vernehme, mit Wehmut und mit Grimm. Mit Wehmut, weil ich wünsche, daß sie Grund hätte, indem wir, wenn der Trieb, uns geltend zu machen, in uns läge, längst etwas gelten müßten! Mit Grimm, weil sie ganz aus der Luft gegriffen ist und weil diejenigen, die sie vorbringen, das selbst recht gut wissen! Wir und germanisieren! Wir selbst sind unter Regierungen, die, seit den Tagen Hermanns des Cheruskers, lieber die Präfekturen fremder Gewalthaber spielten, als sich auf ihre eigenen Füße stellten, schon romanisiert, französiert, russifiziert und danisiert worden, aber wir, von unserer Seite, werden niemand germanisieren. Ein Volksstamm, der uns nicht widerstehen kann, erliegt dem einfachen Größenverhältnis; wir selbst tun nichts dazu!

II.

Agram, 9. Juli. Lassen Sie mich meine hiesigen Eindrücke vervollständigen! Während ich Ihnen schreibe, ist in Deutschland ein Ereignis eingetreten, das die törichte Furcht vor dem Germanisiertwerden auch in dem letzten Kroaten ersticken muß. Schleswig-Holstein! Der Preußische Friede. Sie verstehen mich. Ein neues Stichwort, meine Herren Slawen, wenn wir bitten dürfen, mit dem alten wird's nicht mehr gehen. Zwischen Euch und uns handelt es sich nur um einen Wettkampf um die Krone der Bildung; daß wir aber in diesem Wettkampf bis jetzt die Sieger waren, wird wenigstens der Kroate nicht bestreiten können. Und warum es nicht frei und freudig einräumen? Für jeden Schüler kommt die Zeit, wo er seinen Meister bezahlen kann, denn in jedem liegt etwas Eigentümliches, und auf gegenseitiger Ergänzung beruht die Welt. Glaubt Ihr, es wird uns verdrießen, wenn sich der Gast in den Schenken plötzlich in den Wirt verwandelt und uns zum Dank neuen Nektar reicht? Das habt Ihr bei uns am wenigsten zu fürchten, nur Spülicht muß es nicht sein, was Ihr uns bietet, und ebensowenig der vor der Zeit ausgequetschte Saft unreifer Trauben. Pflanzt und begießt, das übrige wird sich finden! In Kroatien hat man es bis jetzt, wie ich auf meine Frage erfuhr, noch nicht einmal zu einer Grammatik gebracht, es gibt also für den Fremden noch gar keinen Weg zu der Sprache, die übrigens sehr wohlklingend ist, besonders aus werblichem Munde. Diese Lücke kann nicht schnell genug gestopft werden, und es läßt sich von der anerkennungswerten Energie der nationalen Partei erwarten, daß sie es tun wird. Ein 248 Museum hat sie bereits gestiftet, ein ebenso geschmackvolles, als zweckmäßig eingerichtetes Gebäude, das kein Durchreisender unbesucht lassen sollte. Die Sammlungen sind zwar noch dürftig, sie enthalten aber doch schon viel Interessantes, das in die Vorzeit zurückführt und auf uralte Zustände hinweist. Manche Curiosa, die aber nichts weiter, als solche, sind, wird man später gewiß ausscheiden; einstweilen füllen sie einen Platz aus. Im Museum sieht man auch mehrere Gemälde eines in Rom ausgebildeten und in der Tat sehr wackern kroatischen Malers, namens Carvas, unter anderem das Porträt einer zu ihrer Zeit renommierten Römerin, dessen große Ähnlichkeit Ihr Berichterstatter von seinem römischen Aufenthalt her verbürgen kann. Da wäre denn schon ein Anfang nationaler Kunst. Die Wissenschaft fände sehr viel zu tun; die historische schon durch das bloße Edieren vorhandener Manuskripte, die sich auf der bischöflichen Bibliothek befinden, und auf die ich die kaiserliche Akademie aufmerksam machen möchte. Wahrlich, an Arbeit gebricht es nicht, und ohne Zweifel würden die Deutschen gern mit Hand anlegen, wenn man sie nur nicht zurückstieße. Doch die Versöhnung beider Parteien wird wohl bald erfolgen, und um so sicherer, als es auch hier nicht an einer mittleren fehlt, die allerdings das nationale Wesen gehoben sehen will, die aber wohl weiß, auf welch einer niedrigen Stufe es noch zurzeit steht, und die eben darum der Aufführung einer chinesischen Mauer, wie sie den Fanatikern recht wäre, aus allen Kräften widerstrebt. Alle Parteien erwarten das Außerordentliche vom Banus, der bis jetzt, was man auch darüber verbreitet haben möge, in Kroatien allgemein auf den Händen getragen wird; natürlich erwarten die Repräsentanten der Extreme das Widersprechende von ihm, und so ist seine Aufgabe eine höchst schwierige. Wahrscheinlich wird er sich um das Geschrei, das sich ohne Zweifel bald auf der einen, bald auf der andern Seite erhebt, je nachdem er einen Schritt nach links oder nach rechts tut, gar nicht kümmern, sich aber bemühen, den noch so sehr darnieder liegenden materiellen Wohlstand des Landes zu steigern. Gelingt ihm dies, bringt er den Bauer, der bis jetzt, wie seine Lehmhütte und sein schlechtes Kleid beweist, mit der erbärmlichsten Existenz zufrieden ist, wirklich dahin, daß er den üppigen Boden gehörig bebaut und den hundertfältigen Ertrag erntet, welchen das Evangelium dem fleißigen Säemann verspricht, so wird er der eigentliche Schöpfer seines Volkes werden. Mit den reichlicheren Saaten werden auch die Dörfer und die Städte, an denen es bis jetzt fast noch gänzlich fehlt, aus der Erde hervorschießen, die nackten Kinder, die 249 jetzt dutzendweise an den Landstraßen kauern, werden verschwinden, und diese Straßen selbst, die dem Bauer zurzeit völlig gleichgültig sind, da er sie nicht benutzt, werden sich ebnen. Ist es nicht ein grausames Mißverhältnis? Im preußischen Schlesien möchten die Menschen sich die Hand mit Erde füllen und Kohl darin bauen, und von dem fruchtbaren Kroatien liegt ein Drittteil so gut, wie brach. Ich habe es im Jahre 1848 schon gesagt, und ich wiederholte es: nur eine organisierte Völkerwanderung kann den gegenwärtigen Notzustand der Gesellschaft gründlich heben. Die unorganisierte kommt früher oder später von selbst, aber die überschwemmt dann auch die Zivilisation. – Lassen Sie sich zuletzt noch ein Bild zeichnen, wie man es nur in Kroatien und Ungarn sieht. Ich wohne in der Nähe des Komitatshauses, in dem ein Teil der Gefangenen steckt, und wurde heute morgen durch einen starken Lärm ans Fenster gelockt. Was erblickte ich? Eine Zigeunerfuhre! Natürlich eilte ich sogleich auf die Straße und besah mir die ägyptischen Gäste. Weibergesichter, die man kaum noch unter die menschlichen rechnen konnte; schwarze, zottige Haare, die noch nie gekämmt worden waren; Augen, deren Blicke förmlich stachen. An gelben Brüsten säugten sie schmutzige Kinder, zugleich aber zankten sie in ihrer unverständlichen Mundart aufs heftigste mit den Soldaten, die ihre Wagen abluden, weil sie gestohlen hatten. Eine Alte, welche die Urmutter des ganzen Stammes hätte vorstellen können, lehnte sich mit dem Rücken gegen ein Pferd und schmauchte ruhig ihre kurzstielige Pfeife. Die Sachen, die sich auf den Wagen vorfanden, waren derart, daß ein zivilisierter Bettler sie ohne Zweifel mit Indignation unangerührt hätte liegen lassen, wenn sie ihm irgendwo vorgekommen wären; hier wurde darum gehadert, wie um Edelsteine und Gold. Zwei Kroaten niedrigster Bildungsstufe, wie wir sie zuweilen in Wien mit ihren rauhen Jacken durch die Gassen ziehen sehen, schlossen das Bild; sie schauten mit Verachtung auf die wilden Barbaren des Waldes herab. Es wäre etwas für den Historienmaler gewesen; ich dachte an unsern Freund D. in Wien. – Jetzt wird Meister Ludwig Löwe in Agram erwartet; er kann auf den schönsten Enthusiasmus rechnen, und wenn der wahre Künstler nur Liebe findet, so wird er nichts anderes vermissen. Der frühere Darsteller des Holofernes wird vor Entsetzen den Geist aufgeben, wenn er Löwes Meistergebilde erblickt. 250


Berlin.

1851.

I.

Berlin, 16. April.

Wunderbare Zeit des Lenzes,
      Wo man selbst das Unkraut liebt,
Weil es einen grünen Faden
      Mit zum großen Teppich gibt.

Diese Verse summten mir unaufhörlich im Kopfe, als ich den Dampfwagen bestiegen hatte, und nun in raschem Fluge von Süden nach Norden entführt wurde. Ach, es liegt für das menschliche Gemüt etwas unendlich Rührendes in diesem Keimen und Sprossen der ersten Frühlingstage; wie aus Gottes Munde kommt der erweckende Hauch, und nun regt sich's in den Tiefen, wie auf den Höhen, und in naiver Werdelust, unbekümmert um das Wieweit? und Wozu? sucht sich das gemeinste, wie das edelste Gewächs dem dunklen Mutterschoße zu entwinden. Ja, im Entstehen, wie im Vergehen ist alles sich gleich; und gerade diese anscheinende Einheit der noch verhüllten Mannigfaltigkeit macht einen Eindruck, dem kein zweiter entspricht. Wer sieht im Wonnemond an der Brennessel etwas anderes, als daß sie grün ist, und wer sieht am Rosenstrauch mehr? Auch der Frühling der Menschenwelt hat einen ähnlichen Moment; wer denkt nicht an die schöne Kinderzeit zurück, wo alles, was sich jetzt durch schwindelerregende Klüfte getrennt erblickt, auf dunkler Schulbank friedlich zusammensaß und mit glühenden Wangen am Katechismus stammelte, ja wo der künftige Grobschmied den künftigen Dichter nicht selten übertraf, und ihm aus seinem Schatz der ABC-Weisheit großmütig einen sehr nötigen Vorschuß machte. Seltsam genug wollten diese Phantasien, die äußerst wenig zu meiner geräuschvollen Umgebung paßten, gar nicht weichen; kein Gespräch konnte sie verscheuchen, ja selbst die drolligste Fratze, deren mehr als eine unter den Reisegefährten auftauchte, vermochte nicht, mich ihnen zu entreißen. Anfangs dachte ich: sie werden schon mit dem Frühling selbst verschwinden, denn ich war darauf gefaßt, in Norddeutschland noch Eis und Schnee, oder doch wenigstens kahle Bäume anzutreffen. Aber ich hatte mich verrechnet, ich fand die Wiesen in Breslau ebenso grün, wie in Wien, und ich würde sie in Berlin nicht anders gefunden haben, wenn es dort Wiesen gäbe. Da ließ ich die Empfindungen denn ruhig ausklingen, was um so länger dauerte, als sie jeden Augenblick frische Nahrung erhielten. So wunderte ich mich 251 z. B. nicht wenig, alle Dörfer, durch die wir kamen, voll Gesang und Musik zu finden, obgleich es keineswegs Sonntag war; später merkte ich, daß der Jubel von einer Kompanie böhmischer Soldaten ausging, die mit uns übrigen auf der Eisenbahn befördert wurden, und ihre sehr melodischen Nationallieder absangen. Ebenso lustig waren eine Menge Handwerksburschen, von denen einige nach Bremen gingen, um sich dort den nach Amerika Auswandernden anzuschließen, wie mir einer von ihnen, mit dem ich mich auf einer Station ins Gespräch einließ, mitteilte. Auf mich macht die Freude dieser armen Teufel immer einen tiefen Eindruck; sie müssen sich am Gastmahl des Lebens mit den Trebern begnügen, wie der verlorne Sohn im Evangelium, und haben doch niemals, gleich ihm, gesündigt: ihr Frohlocken ist wie eine sittliche Tat. Zuletzt freilich wurde die Romantik überwältigt; einem Offizier gelang es, sie durch eine Anekdote in die Flucht zu schlagen, die er mir von seinem Bedienten erzählte. Haben Sie je etwas Ergötzlicheres gehört? Der Mensch wird in Berlin in ein bestimmtes Haus zu einem bestimmten Manne geschickt, um dort etwas abzugeben. Zurückgekommen und befragt, ob er seinen Auftrag erfüllt habe, erwidert er: allerdings, aber der Herr wohnt nicht im zweiten Stock, sondern im dritten, er ist auch nicht General, wie Sie mir sagten, sondern Posamentier, die Hausnummer allein war richtig. Es gibt ordinäre Dummheiten, die nur zu einer Ohrfeige herausfordern; es gibt aber auch andere, die man mit einem Lorbeerkranz belohnen möchte, weil die Genialität der Natur in ihnen so gut, wie in ihren positivsten Leistungen, zum Vorschein kommt, und diese scheint mir dazu zu gehören. Aus Dankbarkeit für die Mitteilung lieh ich dem Erzähler nun auch ein williges Ohr für seine politischen Ansichten, denn, so auffallend es klingen mag, noch nie, selbst im Jahre 1848 nicht, hat die Politik nach meiner Erfahrung die Menschen aller Klassen so angelegentlich, ja so ausschließlich beschäftigt, wie jetzt. Auf die Gründe dieser Erscheinung werde ich wohl noch zurückkommen; einstweilen sei sie selbst notiert. Es kommt den meisten so vor, als ob der Strom, der vor zwei Jahren aus seinem Bette trat, nicht sowohl in dies Bett zurückgekehrt, als nur gefroren sei, und als ob die Linien und Figuren, welche die Schlittschuh laufende Diplomatie dem Eise einzuprägen sucht, keinen Bestand haben werden.

II.

Berlin, 19. April.

Da wäre ich denn einmal wieder in der Metropole deutscher Intelligenz, wie Berlin sich so gerne nennen hört. Wahr ist's, 252 Deutschland hat nur eine Stadt, die den Namen einer großen gleich auf den ersten Blick erobert, und diese eine Stadt ist Berlin. Was sind das für Straßen, für Plätze und Gebäude; man fühlt sich an Paris, sogar an Rom erinnert. Aber freilich, man darf nicht näher hinsehen, man darf nur blinzeln, wenn man den Eindruck nicht wieder verlieren soll. Denn genau betrachtet: wie leer sind diese Straßen, wie öde diese Plätze, wie wenig solid diese Gebäude. Alles ist, wie auf den Kauf gearbeitet, die Erde braucht sich nicht zu schütteln, um es zu zerstören, es fällt schon von selbst wieder um. Wohl gibt es Zeugnis von einem außerordentlichen Dasein, aber nicht von dem Dasein eines Volkes, das sich behaglich einrichtete, sondern von dem Dasein eines mächtigen Individuums, das sich ein Denkmal setzte. Friedrich der Große ist es, der uns an allen Ecken und Enden entgegentritt, denn auf sein Kommando haben sich die Häuser ebensogut in Reihe und Glied gestellt, wie seine Soldaten, und man hat das Gefühl, daß sie ebensowenig in alle Ewigkeit so stocksteif stehen bleiben können, wie diese stehen geblieben sind. Wie ganz anders ist das mit Wien! Da ist alles gewachsen, nichts gemacht; der Stephansturm scheint unmittelbar in der Erde zu wurzeln, und Paläste und Hütten scheinen sich, wie Vasallen um ihren Herrn und Gebieter, in treuer Anhänglichkeit um ihn geschart zu haben. Dazu die üppige Natur, die hier nur fürs Herbarium produziert, so daß der Frühling notgedrungen seine Erquickungen ganz homöopathisch abmißt und den Duft einer Blume auf tausend Menschen verteilt!

Dagegen läßt es sich nicht leugnen, daß sich in Berlin von jeher die bedeutendsten Repräsentanten der Kunst und Wissenschaft zusammenfanden. Die guten Berliner hatten freilich nichts davon, als daß sie sich den Instinkt, auf den die Massen nun einmal angewiesen sind, durch die Krittelei verderben, ohne zur wahren Erkenntnis vorzudringen. Aber es kam Deutschland zugute, denn was sonst einsam in seiner Zelle gesessen und vor sich hin gebrütet hätte, das berührte sich nun, und nur die Friktion steigert die Kräfte. Auch damit ist es nun fast vorbei, wenn auch noch ehrwürdige Reste vorhanden sind. Schelling klappert zwar noch immer mit seinem Schlüssel zur absoluten Wahrheit, aber niemand glaubt mehr daran, daß sich etwas damit aufschließen läßt. Der alte Tieck ist dem Tode, dem er fast schon verfallen war, noch einmal wieder entgangen, doch von irgendeiner Tätigkeit kann bei ihm nicht mehr die Rede sein. Friedrich Rückert, der mir von jeher ein sehr zweifelhafter Gewinn schien, ist mit seinem preußischen Gelde wieder ins Vaterland 253 zurückgekehrt. Nur Humboldt und Cornelius sind trotz ihrer hohen Jahre noch frisch und lebendig. Doch halt, da beleidige ich eine Notabilität, da trete ich Ernst Raupach zu nahe! Wir alle kennen das Taschenspielerstück, daß aus einem einzigen Sacktuch eine Unzahl von Federbüschen hervorgezogen werden. Dies wiederholt die dramatische Muse mit Raupach; sie schüttelt eine solche Menge von Trauer-, Schau- und Lustspielen aus ihm heraus, daß man nun erst sieht, wie stiefmütterlich sie ihre früheren Lieblinge, z. B. den Shakespeare, der es bekanntlich nicht über dreißig brachte, behandelt hat. Da ist jetzt aus dem Königstädtischen Theater ein Märchen »Rübezahl« von ihm erschienen, auf das ich jeden Staatsmann aufmerksam mache. Der Dichter hat das Mittel entdeckt, wie man den Abgrund der Revolution für ewig schließen kann. Er bedarf zu dem Ende nicht der Armee, noch weniger der Reformen, er bedarf bloß einiger Dutzend Ohrfeigen, die freilich zur rechten Zeit und durch den rechten Mann, in früher Jugend nämlich, und durch den Schulmeister, appliziert werden müßten. Mirabeau, Robespierre, ja selbst Napoleon, als Knaben gezüchtigt, hätten nicht als Männer von der Tribüne gedonnert, auf dem Grèveplatz guillotiniert und halb Europa bekriegt und besiegt; sie hätten sich ein bescheidenes Los zu gründen gesucht und »Nun danket alle Gott« gesungen, wenn das Geschäft einigermaßen gegangen wäre. Das wohlgemeinte und zeitgemäße Werk fand leider wenig Anerkennung beim Publikum und noch weniger bei der Kritik; ich besuchte die dritte Vorstellung und hätte die Anwesenden sehr leicht splendide bewirten können, ohne mich zu ruinieren. Doch das wird wohl noch kommen, denn die »Kreuzzeitung« bemüht sich aufs angelegentlichste, den Rübezahl ins rechte Licht und seine Gegner in den rechten Schatten zu setzen. Vor allem sucht sie den unbequemen Rötscher auf die Seite zu bringen, und freilich hat sie dazu gute Gründe, denn dieser Kritiker ist nicht bloß mit dem ästhetischen, sondern auch mit dem politischen Teile des Märchens unzufrieden. Er zeigt sich nicht allein stumpfsinnig genug, die tiefsinnige Pointe desselben zu tadeln, die darin besteht, daß umgestürzte Kegel durch Werfen wieder aufgerichtet werden; er geifert sogar gegen die Gesinnung des Dichters, zieht ein saures Gesicht zu der Verhöhnung des Geschworenengerichts und spricht die vermessene Meinung aus, die Geschichte lasse sich nicht zurückschrauben. Dafür hat er doch gewiß eine derbe Züchtigung verdient, und die wird ihm auch zuteil. 254

III.

Berlin, 21. April.

Berlin hat noch manchen bedeutenden Mann, obgleich die Epoche vorüber scheint, wo es den natürlichen Mittelpunkt bildete, dem jede hervorragende Entwicklung zustrebte. Aber, wenn sich auch alle auf einmal versammelten, etwa bei einem Jubiläum, dessen Hauptgenuß darin besteht, daß der Alte sich dem Ältern gegenüber jung fühlt und sein Podagra im Vergleich mit dem Asthma, das diesen quält, erträglich findet: sie würden sich gegen die einst so laute, jetzt so still gewordene Gemeinde außerordentlicher Geister, die ehedem von hier aus über ganz Deutschland ihre Strahlen aussandten, sehr winzig ausnehmen. »Kommen Sie,« sagte am Karfreitag ein junger Dichter zu mir, »auch wir wollen einen frommen Gang zu Gräbern machen, die der Menschheit heilig sind und es ewig bleiben werden!« Ich folgte seinem Ruf, ein Maler, Professor S[chramm]. aus Weimar, der mein undankbares Gesicht zeichnet, schloß sich an, die geheimnisvolle Drei, die das bindet, was sonst auseinanderfiele, war also beisammen. Der Nachmittag war sehr schön, ein frischer Regen hatte sich hastig ergossen, jedes Blatt hauchte Duft. Was in Berlin auffällt, ist die unendliche Fülle von Hyazinthen, die man feilbieten sieht; jeder Markt ist voll davon, auf allen Straßen werden sie herumgetragen, in allen Häusern, sogar in den Restaurationen, trifft man Sträuße. Ein freundlicher Anblick! Mein Führer und Mitpilger war nicht der beste; er wußte nicht allein die Gräber nicht, er wußte nicht einmal den Kirchhof, wir kamen auf einen ganz verkehrten, wo uns die Frau Totengräberin, in Samt und Seide gekleidet, wie die vornehmste Dame, wenigstens so weit zurechtwies, daß wir erfuhren, vor welchem Tore wir das Ziel unserer Wanderung zu suchen hätten. Endlich fanden wir, bei schon einbrechender Dämmerung, den Gottesacker, es ist der Werdersche, still und anspruchslos, wie es sich für die Stätte geziemt, wo alle Eitelkeiten der Welt ihr Ende haben, zugleich aber auch ehrfurchtgebietend, wie es dem Orte wohl ansteht, wo der edelste Staub sich dem gemeinen wieder mischen soll. Hier war die Totengräberin, wenn ich sie anders nicht mit ihrer Magd verwechsle, keine Frau von Stande; aus einem schmucken Häuschen, dessen Fenster mit Blumen fast zugestellt waren, trat ein kurzes, dralles Weibchen hervor und beantwortete unsere Erkundigung nach dem Grabe Hegels und Fichtes ungefähr so, als ob wir bei Lebzeiten nach ihrer Wohnung gefragt hätten. »Folgen Sie mir, meine 255 Herren,« sagte sie, »Sie sind hier durchaus nicht irre, ich werde Sie sogleich zu den Herren Professoren führen!« Man sieht, es fehlt nur das: sie sind noch immer nicht ausgezogen, ich behandle meine Leute gut, bei mir bleibt ein jeder, bis er abreist! Dann fügte sie, ihre fetten Arme in die Schürze wickelnd, hinzu: »Es sind aber noch viel mehr hier, die können Sie auch gleich mitnehmen, wenn es nicht zu früh dunkel wird, es wird Sie nicht gereuen!« Ich liebe den unfreiwilligen, unbewußten Humor, während ich gegen den bewußten, der seit Jean Paul so viel Glück macht, von Jahr zu Jahr stumpfer werde; jener kommt ungefähr so zustande, wie eine schnurrige Figur, wenn Tische, Stühle und Bänke, oder was sonst immer, durcheinanderpurzeln und so scheinbare Verbindungen eingehen, die freilich nur für unser Auge bestehen. Auf dem Kirchhof ist nun eigentlich alles Tun des lebendigen Menschen humoristisch, denn Leben und Tod sind nicht in Einklang zu bringen; am allerpossierlichsten nehmen sich aber die Dienstleute des Todes aus. Wer in Hamburg je eine Leiche bestatten sah, wer die roten, jugendlichen Gesichter der Träger unter den weißgepuderten Perücken erblickte, die sie zu Greisen stempeln sollen, der hat ohne Zweifel einen Eindruck, wie aus dem Callot, mit hinweggenommen, der hat ein Gefühl gehabt, als habe irgendein verrücktes Menschengehirn den Schädel gesprengt und den tollsten seiner Träume in die Welt entlassen. Mir ging es nicht viel anders auf dem Werderschen Kirchhof, wie ich unsere Cicerone den Ruhm glossieren hörte, während sie uns von Grab zu Grab führte. »Das war der Philosoph Fichte, dem haben sie die messingenen Schilder vom Denkmal heruntergebrochen, er wird viel besucht; dort liegt ein Kollege von ihm, er heißt Hegel, etwas weiter weg findet sich noch ein anderer Kollege, namens Solger, er verdient's doch auch, daß Sie die paar Schritte seinetwegen machen! Hier bemerken Sie die Dichterin Amalie von Imhof, die hat ein schönes Grab usw.« Gerade so, als ob ein Guckkasten vorgezeigt worden wäre! Mitunter wurden wir fast mit Gewalt zum Stehenbleiben gezwungen, um einem Toten die Reverenz zu bezeigen, der uns wenig kümmerte, den unsere Führerin aber protegierte; »ganz gewiß« – sagte sie dann – »auch das war ein berühmter Mann, ich muß es doch wohl wissen!« Auch rührende Verse ließ sie uns lesen; sie schien sich ihren Bedarf an Poesie von den Leichensteinen zusammenzukratzen, und so hat denn jeder Dichter sein Publikum, sogar der Inschriftenverfasser. Der Werdersche Kirchhof ist an interessanten Gräbern nun auch in der Tat überreich; so viel erloschene Fackeln auf einmal trifft 256 man wohl nur in Paris auf dem Père Lachaise wieder beisammen. Von den Majestäten, von Hegel, Fichte und Solger noch abgesehen: was ruht dort nicht alles aus! Der heitere, lebenslustige Eduard Gans, dies Musterbild eines echten Schülers, der, wie mein Begleiter mir erzählte, noch im Tode eine Demonstration gemacht, durch seinen Leichenzug nämlich, den eben von Potsdam kommenden König am Weiterfahren gehindert hat; der gelehrte Buttmann, die Plage jedes Tertianers, der Griechisch lernen muß; der unermüdliche und doch so rasch überholte Hufeland, der das menschliche Leben so kurz fand, daß er es durch sein Buch zu verlängern suchte; der heitere Klenze, der in München die Glyptothek erbaute, ohne zu erwägen, ob der weiche Tonboden auch die Last des Gebäudes trüge; der breite, redselige Schadow; Hitzig, der treue redliche Freund, der sich erst niederlegte, nachdem er seinen Hoffmann und seinen Chamisso unsterblich gemacht hatte; schüchtern in einem Winkel, als ob er sich in so vornehmer Gesellschaft seiner Schwänke ein wenig schäme, sogar der spaßige Langbein; die alle, und noch mehr, liegen hier friedlich beieinander. An wie manchen dieser Namen knüpft sich eine ganze Epoche, die einem vor die Seele tritt, so wie er nur genannt wird! Nur Hoffmann, der phantasiereiche Verfasser der Nachtstücke, der Serapionsbrüder und so vieler anderer seltsamer Werke, der in Deutschland aus der Mode gekommen ist, in Frankreich aber enthusiastischer, wie jemals, gefeiert wird, fehlt hier, und ebenfalls Seydelmann, dem Rötscher ein so schönes Denkmal gesetzt hat, – sonst ist alles beisammen, was leuchtende Fußstapfen auf diesem Boden hinterließ!

IV.

Berlin, 23. April.

Man sieht die Natur eigentlich nur so lange, als man den Menschen noch nicht sieht; er drängt sie augenblicklich in den Hintergrund, sobald er hervortritt. Dies finde ich auch hier bestätigt; ich bemerke den Sand schon nicht mehr, ich vermisse die gewohnten Berge nicht, ich lasse die »Linden« als eine Abbreviatur des Waldes gelten und bin zufrieden, wenn ihr bescheidenes Laub mich nur gegen die brennendsten Sonnenstrahlen schützt, ich frage die Veilchen nicht, ob sie aus den Treibhäusern oder von den Wiesen stammen, ich kaufe mir einen Strauß und stecke ihn an die Brust, ohne zu reflektieren. Das alles ist doch nur Dekoration, wenn freilich auch zwischen Italien und der Lüneburger Heide ein größerer Unterschied besteht, als Lessing zugeben wollte; es fesselt den Blick so lange, bis der Held des Stücks 257 erscheint, aber keine Minute länger. Unsere Gräberfahrt hat uns gelehrt, daß die Artustafel, die einst den Stolz Berlins und den Ruhm seines Königs ausmachte, nicht mehr vollständig besetzt ist; es ist jedoch noch mehr als ein Paladin zurückgeblieben, der von der Vergangenheit zeugt. Von Schelling rede ich nicht; er ist das mysteriöse X der Algebra, und gleicht einem Manne, der sein Gold von Zeit zu Zeit wohl zeigt, um nicht für einen Bettler gehalten zu werden, der es aber nicht ausgibt, weil er es doch lieber allein behält, als es mit der Welt teilt. Ich kenne ihn von München her, habe ihn aber nicht besucht. Den alten ehrwürdigen Tieck habe ich gesehen, und zwar zum erstenmal; ich war ihm nie vorher persönlich im Leben begegnet. Von einem sehr schweren Krankheitsanfall erst halb hergestellt, ist er noch nicht imstande, das Bett zu verlassen, aber sein Geist ist schon wieder kräftig und frisch und sprüht Funken jenes köstlichen Humors, der nicht das blöde Resultat einer verzerrten Weltanschauung ist, sondern aus einer vollendeten Bildung hervorgeht, welcher nichts Einzelnes mehr ungebührlich imponiert. Welch ein Auge hat dieser Mann; wie ein unsterbliches Wesen von der Höhe eines Turms, der unter ihm zusammenbricht, schaut es mit Siegermut und Stolz auf den gebrechlichen Leib herab, und wohl könnte dieser zu ihm sagen: Du hast des Feuers zu viel gebraucht, das muß ich büßen, darum verhöhne mich nicht! Wie ich den greisen Dichter in aller seiner Schwäche so ungebeugt daliegen sah, hätte ich ihm mit einem alten Vers von mir zurufen mögen:

»Du bist mir der Unsterblichkeit
      Ein Zeugnis, ewigen Gewichts,
Des Todes Sense ist die Zeit,
      Trifft die uns nicht, so trifft uns nichts!«

Die Situation, in der ich ihn fand, mußte mir die Pflicht auflegen, tiefere Gespräche zu vermeiden, ich überzeugte mich jedoch trotzdem, daß die Kluft zwischen ihm und den poetischen Bestrebungen der Gegenwart nicht so groß sein kann, als die Hegelsche Philosophie sie gemacht hat. Wie sollte sie auch! Zwischen dem Künstler der einen und dem der anderen Epoche wird sich zwar stets eine Differenz ergeben, die notwendigerweise aus ihrem verschiedenen Verhältnis zu der Materie dieser beiden Epochen, zu dem, was dieselben treibt und bewegt, entspringen muß. Aber ewig und über allen Wechsel erhaben sind die Formen, in denen diese immer wandelbare Materie ihren dauernden Ausdruck finden soll, und sie verbinden wieder, was dem 258 Philosophen aus seinem abstrakten Standpunkt unvereinbar erscheint. Steht daher nur wirklich auf jeder Seite ein Poet, so wird die Vermittlung nicht ausbleiben, vorausgesetzt, daß nicht zufällig die höchste Abgestumpftheit des Alters und die erste ungebändigte Wildheit der Jugend zusammentreffen. Auch meinen alten Freund Cornelius sah ich wieder, und traf ihn vor seinem großen Karton, der das Ende aller Dinge, das neue Jerusalem, darstellt. »Sehen Sie« – rief er mir zu – »daran glaube ich nun buchstäblich, das alles wird kommen und es fragt sich bloß, ob früher oder später«; mancher wäre zurückgeprallt und hätte den Meister darauf angesehen, ob er nicht wahnsinnig geworden sei, Cornelius denkt aber natürlich nicht daran, daß das Tier mit sieben Hörnern einst auf Erden erscheinen, oder daß die Schale des Zorns ausgegossen werden wird, er hält nur die Zuversicht auf eine endliche Ausgleichung der Verwirrungen fest, die bis jetzt fast ausschließlich den Inhalt der Geschichte ausmachen, und diese teile ich mit ihm. Seine neuen Schöpfungen habe ich, beschränkt in meiner Zeit, wie ich es war, zu flüchtig gesehen, um mir ein Urteil darüber erlauben zu können; der hinreißend mächtige Eindruck versteht sich von selbst, und das will etwas sagen, da die Symbolik der Apokalypse der modernen Welt fast so fern liegt, wie die Hieroglyphik des alten Ägyptens. Er war sehr erfreut darüber, daß ich nicht, wie so viele, den Kopf hängen lasse, und rief mir beim Abschied zu: »Ich hab's immer gesagt, die Hoffnung ist eine große männliche Tugend.« Ein ebenso schönes, als tiefes Wort! Auch dieser außerordentliche Mann, obgleich von kaum mittlerer Größe, ist ein Beweis dafür, daß die Natur den Sokrates nur aus Versehen, oder in einer Laune, in ein so häßliches Gehäuse steckte, daß sie sich aber gewöhnlich nach einer Kristallvase für eine reine Flamme umsieht. Man rufe die ganze Armee der Leute zusammen, die jetzt in Deutschland den Pinsel führen, vom ersten an, bis zum letzten herunter, und jeder, der nicht selbst Fischaugen hat, wird Peter Cornelius als den geborenen Generalissimus herausfinden. Wilhelm von Humboldt, der mir von jeher als genialer Sprachforscher so wichtig war, weil nach meiner Überzeugung die tiefsten Mysterien des Geistes gerade in dem Gebiet, das ihn vorzugsweise beschäftigte, ihre Lösung finden müssen, ist leider geschieden, aber Theodor Mundt und seine liebenswürdige Gattin führten mich nach seinem vielgeliebten Tegel heraus. Man sollte wirklich einen so freundlichen Punkt in der Nähe Berlins nicht vermuten; ein allerliebstes Wäldchen, ein reizender See und in der Mitte eine anspruchslose und doch äußerst geschmackvolle Villa, die 259 nicht, wie so oft, das Aussehen hat, als ob sie durch irgendein Mißgeschick aus Italien nach Deutschland verschlagen worden wäre, sondern die zu dem Orte paßt, wo sie steht. Wir traten hinein, und selten habe ich ein Gebäude erblickt, das ich in dem Sinne, wie dies, ein lebendiges nennen möchte, es atmet den Geist seines Erbauers und ist vielleicht sein bestes Porträt. Nicht ohne Wehmut durchwandelte ich diese festlichen und doch engen Räume, in denen ein Reichtum waltet, der sich selbst beschränkt, wie es bei Humboldt selbst der Fall war; alles liegt und steht noch, wie er es verließ, man hat ein Gefühl, als ob er jeden Augenblick wieder hereintreten könnte, und weiß dennoch, daß es nicht geschehen wird. – Zum Schlusse werde noch auf ein kleines, aber wertvolles Büchlein aufmerksam gemacht, das bei uns gar nicht bekannt geworden ist, und das Goethes Verehrern doch manche schöne Gabe bietet. Es ist betitelt: »Goethe in Berlin.« Erinnerungsblätter zur Feier seines hundertjährigen Geburtsfestes am 28. August 1849. Berlin bei Duncker, 1849, und bringt unter anderem einige interessante Anekdoten, von denen ich zur Probe eine nacherzähle. Der einst bekannte, jetzt vergessene Dichter Burmann hatte an Goethe geschrieben und wurde infolgedessen von diesem, als er nach Berlin kam, besucht. Darüber fühlte sich Burmann so entzückt, daß er hoch in die Höhe sprang, sich dann niederwarf und auf dem Boden des Zimmers, wie ein Kind, herumkugelte. Goethe erstaunt und fragt, was das bedeute, Burmann erwidert, er könne seine Freude nicht anders ausdrücken. Nun, versetzt Goethe, wenn das ist, so lege ich mich zu Ihnen! – Verfasser des Büchleins ist der Hofrat Teichmann, von dem jetzt eine Geschichte des Berliner Theaters zu erwarten steht.

V.

Berlin, 5. Juli.

Wie verschieden ist die Physiognomie der Jahreszeiten! Der Frühling hat etwas von einem Traum, und erweckt in jedem Menschen die Hoffnung, daß nun werden wird, was noch nie gewesen ist. Warum sollte es nicht neben den kleineren auch größere Zeitabschnitte geben, welche gebundene Kräfte entfesseln und in das Leben rufen, was der Erde bisher fehlte, um ganz ein Paradies zu sein! so phantasiert man und würde gar nicht erstaunen, wenn plötzlich ein Wunder geschähe, wenn die Luft sich wirklich, wie der Roué in der »Schauspielerin« es wünscht, bei dem bloßen Gedanken des Durstigen an eine Kirsche in seinem Munde zur Kirsche verdichtete, und wenn die Sonnenstrahlen sich 260 mittags als Kerzen für die Nacht einsammeln ließen. Man stößt sich nicht im mindesten daran, daß der Kalender von solchen Zeitabschnitten nichts weiß, man findet das höchst einfach und natürlich, man denkt: Moses hat sich geirrt, als er von sieben Schöpfungstagen sprach, wir stehen noch beim ersten, und Gott ermannt sich eben jetzt zum zweiten! Da ist man denn durchaus poetisch gestimmt und verbannt, um das heilige Werk nicht durch eigene Unwürdigkeit zu stören, alle Disharmonie aus der Seele, man rezitiert Goethe und Uhland, man fühlt sich empört, wenn irgendein Reisegefährte nach der Uhr fragt und stellt sich lieber taubstumm, als daß man antwortete. Du lieber Himmel, wie ganz anders ist das im Sommer! Man hat es wieder so recht gründlich erfahren, daß alles Grünen und Blühen nur zu Äpfeln und Birnen, zu Gurken und Kartoffeln führt, und daß der ganze große Prachtaufwand der Natur an Duft und Farbe nicht mehr bedeutet, als der Lorbeerkranz, mit welchem die Hausfrau den Braten schmückt. Da kehrt der Mensch auch seinerseits ins alte Gleis zurück, zieht Notizen über die besten Gasthäuser ein, erkundigt sich nach dem Kurs und macht, um sich nur des Schlafes zu erwehren, dumme Witze und elende Späße, kommt gar wohl so weit, daß er sich mit einem Kartoffelfeld aussöhnt und sich freut, wenn er die edle Frucht herrlich gedeihen sieht. Merkwürdig ist dabei, daß sich jede Jahreszeit in irgendeinem phantastischen oder skurrilen Naturbild verkörpert, das ein Hogarth nur auf die Leinwand zu übertragen braucht, um die ganze Zickzackreihe von Gedanken und Empfindungen, die sich an sie selbst knüpfen, wieder zu erwecken. Ist ein Zweig, der voll Knospen sitzt, nicht das treue Konterfei des Frühlings? Und kann – man verzeihe den Übergang, aber es gibt kein treffenderes Bild! – kann ein Hund, dem die Zunge vor Hitze aus dem Halse hängt und der uns an all die staubigen, vom grellsten Sonnenschein beschienenen Straßen erinnert, die wir vor oder hinter uns haben, nicht für die Vignette des Sommers gelten? Ich sehe von meinem Fenster aus eben jetzt einen solchen Märtyrer; unter ihm brennen die glutgetränkten Steine, von oben beschießt ihn Apoll mit seinen glühendsten Pfeilen; dabei ist er frei, wie der Mensch, und weicht, wie dieser, dennoch nicht von der Stelle. Nur ein Fußtritt, der ihn gewaltsam in den kühlen Schatten des offenen Haustores hineinschleudert, und nach dem er sich gewiß nicht sehnt, kann ihn noch retten, sonst wird er völlig geröstet und vom ersten besten Konsorten als Leckerbissen verzehrt, er ist schon jetzt nicht viel mehr als ein atmendes Beefsteak. Zu so prosaischen Betrachtungen fühlte ich mich bei meinem diesmaligen Ausflug 261 von Wien aufgelegt; ich hatte keinen anderen Wunsch, als den, das Ziel meiner Reise nur rasch zu erreichen und pries mich glücklich, im Zeitalter der Eisenbahnen zu leben, wenn ich mich auch eines kleinen Verdrusses darüber, daß die Luftschiffahrt noch immer nicht geregelt ist, nicht zu erwehren wußte. Links und rechts lag der Segen Gottes in sichtbarer Gestalt auf den Feldern; das Getreide stand so üppig, als ob die Erde das befruchtende: Es werde! erst eben vernommen hätte, und rot und weiß gesprenkelte Mohnäcker waren, wie glänzende Stücke eines zerschnittenen Prachtteppichs, dazwischen gesäet. Aber ich hatte keine Augen dafür, ich freute mich nur der mit Sturmeseile dahinbrausenden Maschine und berechnete die Stunde, wo ich in Berlin eintreffen und das mir von liebevoller Freundeshand schon bereitgehaltene Logis beziehen würde. Das war ein Frevel, der gebüßt werden mußte, und die nimmer schlummernden Eumeniden waren, da doch nicht zu Jupiters Blitz gegriffen werden durfte, auch um eine Rute nicht verlegen. Wie wir des Nachts um zwei Uhr in Dresden ankamen und uns von einem Bahnhof zum andern befördern ließen, erfuhren wir, daß plötzlich eine Veränderung in der Abgangszeit der Personenzüge eingetreten sei, und daß wir, da wir uns nicht genug beeilt hätten, wovon uns der Kondukteur selbst abgehalten hatte, bis nachmittag vor Anker liegen müßten. Die Überraschung war nicht die angenehmste; es schien mir nicht in der Ordnung zu sein, daß man auf dem ersten Bahnhof nicht wüßte, was auf dem ihm korrespondierenden zweiten vorgehe, und es war vielleicht verzeihlich, daß ich die sächsische Höflichkeit durch »ein Schock neuer Flüche« auf die Probe stellte. Doch ich mußte mich fügen, und am nächsten Morgen betätigte sich der Frauentrost: wer weiß, wozu das gut ist! an mir auf die glänzendste Weise. Kaum hatte ich aus dem Fenster meines Gasthofs einen Blick auf die Straße geworfen, als ich mir in einem höchst wunderlichen Lichte erschien; ich dachte: du bist auf dem Wege zur Wüste und grollst, daß man dich für ein paar Stunden im Paradiese zurückgelassen hat. Dresden ist gar zu freundlich; es scheint nur so hingemalt zu sein. Mit wahrem Vergnügen erging ich mich in diesen reinlichen Straßen, auf diesen fröhlichen Märkten; seit dem Rosenfeste in Genzano im Römischen habe ich nicht so viele Kinder der Flora beisammen gesehen. Man sieht Blumen auf allen Tischen, an allen Fenstern, in allen Händen; die Sträuße werden in ganz Deutschland nicht so geschmackvoll gewunden, eine Bäuerin trug sogar ein aus Rosen geflochtenes Grabkreuz. Dann begab ich mich in die Galerie, um nach der überströmenden Fülle der Natur auch die 262 der Kunst auf mich wirken zu lassen. Ich pflege, um eines reinen Genusses sicher zu sein, bei einem nur flüchtigen Besuch immer zu dem mir schon Bekannten zurückzukehren, und so verschloß ich auch diesmal die Augen so lange, bis ich vor der Sixtinischen Madonna stand. Wunderbar, daß Raffaels höchste Leistung – denn das ist sie, ich kenne alle ihre Schwestern aus eigener Anschauung – aus Italien nach Deutschland verschlagen werden mußte! Nicht weit von ihr hängt eine Madonna von Hans Holbein, auch ein recht wackeres Bild, ein Meisterstück der altdeutschen Schule. Aber welche Kluft zwischen beiden: sie scheinen kaum auf einem und demselben Stern entsprungen zu sein! Wenn Maria dem alten Holbein wirklich erschienen ist, so hat sie es aus Barmherzigkeit getan, aus Mitleid mit dem braven Altbürger, der sich doch nicht ganz umsonst plagen durfte; sie hat einen grauen Nebeltag gewählt, und sich noch überdies in einen siebenfachen Schleier eingewickelt. Auf Raffael hat sie aus freier Liebe herabgelächelt, und ihm, wenn nicht himmlische Herrlichkeiten enthüllt, so doch den Blick für alle irdischen erschlossen. Das Werk ist durchaus eine Spitze, und der Maler, der es in sich aufgenommen hat, und sich trotzdem an Madonnen wagt, ist entweder keiner, oder er arbeitet, was er freilich muß, um zu leben, auf Bestellung, denn die Aufgabe ist so verzweifelt, als wenn jemand der Sonne ein neues Gesicht geben oder mit einem Blütenzweig, der vielleicht recht duftig ist, über einen Stern wegwerfen sollte!

VI.

Berlin, 9. Juli.

Als ich im Frühling hier war, staunte ich über die unendliche Menge von Hyazinthen, die ich, wie aus Himmelshöhen, über die Stadt des »Sandes« ausgestreut fand. Jetzt, im Sommer, setzt mich die Fülle der Früchte in Verwunderung, womit die Märkte überschwemmt sind. Erdbeeren und Kirschen, wie wir sie in solcher Größe und Schönheit in Wien nur selten erblicken und noch seltener bezahlen können, werden hier zu den billigsten Preisen feilgeboten, und kommen deshalb ebensogut auf den Tisch des Handwerkers, wie auf die Tafel des Geheimrats oder des Rentiers. Nur die Pfirsiche und Trauben machen sich nicht mit dem Proletarier gemein, alles übrige gehört ihm so gut, wie den Exklusiven. Das ist das Resultat der Eisenbahnen, die den Überschuß der Provinzen und der Nachbarstaaten aufs rascheste hieher befördern, denn früher war es allerdings anders. Welch ein Triumph des Geistes spricht sich in dieser einfachen 263 Tatsache aus, und welch eine Perspektive öffnet sie für die Zukunft! Ja, wahrlich, die Zeit wird kommen, wo die Erdteile sich die Hände reichen, wie jetzt die einzelnen Länder, und sobald kein Halm mehr verfault, keine Frucht mehr verdirbt und kein Ochse mehr bloß der Haut wegen geschlachtet wird, kann auch kein Mensch zu viel mehr geboren werden. Das steht fest, und diesen Zustand möglichst bald herbeizuführen, ist die dringendste Aufgabe der Geschichte. Sie wurde freilich dadurch nicht erreicht, daß Demokraten vom reinsten Wasser den Damen, denen sie begegneten, die weißen Schnupftücher aus der Hand rissen, sich derselben bedienten und sie beschmutzt zurückgaben, wie es in den Straßen Berlins im Jahre 1848 mehrfach vorkam. Sie wird aber auch dadurch schwerlich erfüllt, daß die Staatslenker die furchtbare Macht der hungernden Mägen ignorieren oder wenigstens zu gering anschlagen, was doch hie und da, wenn auch nicht bei uns, zu geschehen scheint. Das Jüngste Gericht hat Pausen und nur, wenn diese nicht benutzt werden, brechen Himmel und Erde wirklich zusammen. Möge die gegenwärtige segenbringend sein; niemand kann es sehnlicher wünschen, als der Künstler!

Mein erster Gang war diesmal zum Denkmal Friedrich des Großen. Nun, Deutschland ist wirklich um ein bedeutendes Kunstwerk reicher geworden, und das will etwas sagen. Es war nicht leicht, den Alten Fritz des Volkes, der sich des Krückstocks gern als Szepter, der Westentasche als Schnupftabaksdose bediente, und den Heroen des Siebenjährigen Krieges in eins zu verschmelzen; aber es ist gelungen. Seiner Unsterblichkeit gewiß, blickt der König von seinem kühnen Roß auf den Haufen von Gaffern und Bewunderern herab, der sich fast unablässig zu seinen Füßen drängt, allein es sind nicht alle Züge der Verwandtschaft zwischen ihm und dem Stamm, aus dem er hervorging, verwischt, es ist etwas »Erde« an seinem Stiefel sitzen geblieben, und gerade dies Bißchen märkischer Erde erhält ihn lebendig. Nichts Abscheulicheres, als der fürchterliche zweite Tod in Erz und Stein durch Bildner und Gießer, auf den es bei einer verunglückten Auferstehung immer hinausläuft; dies idealistische Verblasen einer bedeutenden Menschengestalt ins Nichts der sogenannten reinen Form, oder das rohe Verbacken derselben zu einem Klumpen Materie, worin der Realismus sich gefällt. Beide Klippen sind glücklich vermieden, und darum hat man einen Eindruck, als ob der Heros uns aus den Wolken noch einmal die Hand reichte. Es kann mir nicht einfallen, das Denkmal zu beschreiben; als Beweis des großen Sinnes, worin es gedacht und ausgeführt ist, werde nur noch bemerkt, daß neben der königlichen auf dem Sockel auch 264 anderen Unsterblichkeiten, die sich nicht mit dem Degen, sondern mit einem friedlicheren Instrument ein Recht auf das Andenken der Jahrtausende eroberten, der schuldige Ehrenzoll zuteil wird. Da findet sich nicht bloß der »Preußische Grenadier«, der alte Gleim, der mit seinen Kriegsliedern das Heer begeisterte; nicht bloß Ewald Christian Kleist, der auf dem Schlachtfelde an einer Kosakenlanze zu Tode blutete; nicht bloß Christian Garve, der Philosoph, den die Wissenschaft überhüpfen mag, der aber allen Leidenden in seinem erhabenen Duldungsmut ein ewiges Vorbild werden kann. Da findet sich auch Christian Wolf, der zähe Apostel Leibnizens, den Friedrichs Vater aus dem Lande jagte und, falls er sich nach vierundzwanzig Stunden noch betreten ließe, mit dem Strick bedrohte; da findet sich Gotthold Ephraim Lessing, der kühne Johannes eines größeren Messias, den die Protestanten, denen er angehörte, noch eher in den Bann taten, als die Katholiken; da findet sich endlich Immanuel Kant, der die Welt von seinem Katheder herab noch viel gewaltiger bewegte und erschütterte, wie Friedrich mit all seinen Kanonen, und den später ein Wöllner, ein Individuum, das nur wegen dieses Attentats auf den letzten Zeus der Vergessenheit entgeht, unter Zensur stellte. Das heißt im Geist des großen Königs denken und gereicht dem Monarchen, welcher der Konzeption des Künstlers seine Sanktion nicht versagte, ebensowohl zum bleibenden Ruhme, wie diesem selbst.

Der Sprung von Friedrichs Denkmal zum Theater ist groß und mag halsbrechend scheinen; ich mache ihn aber auch nur, weil ich aus den Brettern dem Jahrhundert Friedrichs zu meiner höchsten Überraschung wieder begegnete. Eine alte komische Oper, »Doktor und Apotheker« von Dittersdorf, deren sich wohl nur noch die Veteranen des Siebenjährigen Krieges erinnern, ist von der neuen Intendanz wieder hervorgesucht worden, und füllt das Haus. Das ist erstaunlich, nicht wahr? Noch erstaunlicher aber ist es, daß es mit Recht geschieht. Ja, wahrlich, das ist Komik, das ist Musik! Freilich alles unschuldig, nicht pikant, aber dafür auch frisch und natürlich. Man sieht die Kunst in der Kindheit, aber eben ein Kinderantlitz gleicht einem Engelantlitz.

VII.

(Schluß)

Ich hatte Ihnen ein Tagebuch in Briefen zugedacht, und wahrlich es mangelte nicht an Stoff der mannigfaltigsten Art, aber ich hatte dabei nicht in Anschlag gebracht, daß der Reisende 265 ein Gemeingut ist, wornach ein jeder greifen darf, dem es gefällt. Der eine bittet sich seinen Morgen aus, weil er ihm etwas Interessantes zu zeigen hat; der andere legt Beschlag auf seinen Mittag, weil er ihn mit Teilnehmenden, oder, um Goethes Ausdruck zu gebrauchen, mit Wohlwollenden bekannt machen will; der dritte verlangt seinen Abend, weil man sich denn doch auch einmal ausplaudern muß. So ist der Tag aber herum, und da sich nach Mitternacht ein Gläubiger einzustellen pflegt, den niemand abweisen kann, so bleibt für das Tagebuch keine Zeit übrig, und es fällt weg. Ich will Sie jetzt durch einen Rückblick entschädigen.

Lassen Sie mich mit dem ehrwürdigen Tieck beginnen. Ich fand ihn leider nicht so weit fortgeschritten, als ich gehofft hatte; der kalte Sommer war ihm zu feindselig gewesen. Ein Diner in Potsdam, auf das er sich sehr zu freuen schien, konnte nicht zustande kommen, weil der Arzt ihm verbot, die Stadt zu verlassen; dennoch sah ich ihn oft und verlebte unvergeßliche Stunden in seiner Nähe. Nicht, als ob das Gegensätzliche, das in mancher Beziehung in unseren Naturen liegt, nicht zum Vorschein gekommen, oder gar absichtlich zurückgehalten worden wäre. Im Gegenteil, es wurde offen ausgesprochen, und da zeigte es sich in einem konkreten Fall, daß der Altmeister das Bestreben des Jüngeren, allen seinen Gebilden eine reale Basis zu geben, und das Moment der Idealität ausschließlich in die Verklärung dieser Basis zu legen, für eine Art von Furcht hält, das Element in reine Poesie aufzulösen, während der Jüngere sich nur dadurch vor der Abirrung ins Leere schützen zu können glaubt. Aber der Punkt wurde von beiden Seiten nicht ohne jene heilige Scheu berührt, welche die Achtung vor dem mit jedem Individuum gesetzten und immer nur zum kleinsten Teile enträtselbaren Mysterium erheischt, und freilich ist es ein anderes, ob ein Unterschied auf die Natur selbst zurückgeführt, und aus der Weltwurzel abgeleitet wird, oder ob man bei Zufälligkeiten stehen bleibt, und wohl gar, wie es oft geschieht, verschiedene Stadien eines und desselben Weges miteinander verwechselt, sich also an Differenzen abquält, die nur scheinbar vorhanden sind. Für mich waren diese Erörterungen unendlich fruchtbar, für Tieck waren sie jedenfalls anregend, und darum heilsam; sein Geist ist ein Spiegel, der die Erscheinungen, soweit sie überall hineinfallen, mit unglaublicher Treue und Reinheit wiedergibt, wer daher den Rahmen, der die Objekte zuweilen zerschneidet, abzuziehen versteht, was immer und überall notwendig ist, der trägt einen 266 bleibenden Gewinn davon, wenn er sich mit ihm berührt. Wir Deutsche bewegen uns in einem höchst seltsamen Widerspruch, der wohl nur den wenigsten zum Bewußtsein kommt, in der Kunst verlangen wir eigentümliche, scharf umrissene Charaktere, die uns überraschen, sich mithin doch gewiß auch von uns unterscheiden sollen, im Leben können wir sie nicht ertragen, so daß der armselige, nur auf die ganz unreife Jugend und die gestempelte Mittelmäßigkeit passende Spruch: »ex sociis noscitur« bei uns wirklich, wie wir zu unserer Schande eingestehen müssen, im weiteren Kreise Anwendung findet. Wenige haben sich auf dem Wege unablässiger Fortbildung von dieser plumpen Schranke so frei gemacht, wie Tieck, und gerade in dieser Beziehung möchte ich der Nation den edlen Greis als Vorbild empfehlen. Es ist doch der entschiedenste Beweis von innerer Haltlosigkeit, wenn man seinem Gegensatz, mit dem man sich messen und an dem man sich stärken sollte, feig und zitternd ausweicht, und es verrät doch den dürftigsten Begriff von der Menschennatur, wenn bei uns fast allgemein angenommen wird, daß zwei prinzipielle Gegner nicht miteinander zu Mittag essen können, ohne daß der eine oder der andere Gefahr läuft, die Seele einzubüßen, d. h. seine Grundüberzeugungen aufzugeben. Je bedeutender das Individuum ist, um so weniger ist es dem ausgesetzt, um so mehr bedarf es aber auch eines Reizes, den ein vielstimmiges Echo, wie es aus dem Umgang mit lauter unbedingt Gleichgesinnten hervorzugehen pflegt, niemals darzubieten vermag. Bei dem Dichter, wenn er anders nicht zu den Mückenfängern und Veilchensängern gehört, versteht sich das von selbst, denn er kann das Gesetz nur aus der Totalsumme aller Erscheinungen abstrahieren, er steht der Welt gegenüber, wie einem difformierten Gemälde, einem jener zerschnittenen Vexierbilder, an denen kein Stück fehlen darf, wenn es richtig entziffert werden soll. Aber es dürfte auch im allgemeinen das Hauptkennzeichen echter Bildung sein, ob jemand imstande ist, den Menschen, wie ein Kunstwerk, als ein nun einmal so und nicht anders Gegebenes, hinzunehmen und gelten zu lassen, oder nicht. Allein es wird bei uns wahrscheinlich noch lange dauern, ehe diese Ansicht der Dinge sich Bahn bricht, obgleich sie sich bei einigem Nachdenken von selbst ergibt; fällt es uns doch sogar noch schwer, sie auch nur in der Literatur festzuhalten, wie Tiecks eigenes Beispiel am besten beweist. Möge der seltene Mann sich bald so weit erholen, daß er an die Redaktion seiner Memoiren gehen kann; ein wertvolleres Geschenk kann er der Nation, nun sein höchst bedeutender Briefwechsel völlig geordnet und druckreif vorliegt, nicht mehr machen, und 267 ich habe ihm die Herausgabe dringend ans Herz gelegt. Das Buch wird manches überraschende Urteil, manche frappante Anekdote bringen; eine, die für das Verhältnis der Hegelschen Philosophie zur romantischen Schule Epoche machend und verhängnisvoll geworden sein soll, darf ich erzählen. Tieck liest eines Abends in Anwesenheit Hegels und mehrerer seiner Schüler den Othello vor und erregt, wie gewöhnlich, einen mächtigen Eindruck, namentlich durch seine Reproduktion des Jago. Der Philosoph, ebenfalls stark ergriffen, schweigt lange, räuspert sich dann und bricht in die unglaublichen Worte aus: »Wie zerrissen muß dieser Mensch – Shakespeare nämlich! – in seinem Innern gewesen sein, daß er das so darstellen konnte!« Der Dichter, seinen Ohren kaum trauend, antwortet lebhaft: »Professor, sind Sie des Teufels?« und die entente cordiale war nicht bloß für den Abend gestört. Die Anekdote verbürgt sich selbst, noch ganz abgesehen von dem Munde, aus dem sie kommt, denn sie ist symbolisch, und wird sich zwischen Philosophen und Poeten immer und ewig wiederholen, sonst würde sie hier von mir nicht ausgezeichnet worden sein. Tieck ist durch die Pietät seines Königs in eine nicht bloß sorgenfreie, sondern möglichst behagliche Lage versetzt, und diese Pietät ist nicht genug anzuerkennen. Als Friedrich Wilhelm IV. bei seiner Thronbesteigung in Schelling, Cornelius, Tieck usw. die Repräsentanten einer vergangenen Zeit nach Berlin berief und die Gegenwart ausschloß, da war der Witz leicht gemacht, daß man in Preußen die niedergebrannten Kerzen teurer bezahle wie die ganzen. Aber er war unverständig, denn die Jugend soll sich selbst helfen, und wenn sie das nicht kann, so steckt nichts hinter ihr, geht also auch nichts an ihr zugrunde; das Alter dagegen, das seine Kräfte ausgegeben und nicht sich in kleinlichem Eigennutz die Hütte gebaut, sondern, unbekümmert um die eigene Zukunft den Tempel der Nation mit einem neuen Pfeiler versehen, oder mit einem neuen Zierat geschmückt hat, soll im Prytaneum des Staats seines Platzes nicht entbehren. Dabei ist denn freilich zu wünschen, daß nicht die persönliche Sympathie oder Antipathie der Leitenden, sondern allein die durch die Wirkung erprobte Bedeutung entscheide, denn dem Staat geziemt es noch mehr, als dem einzelnen, alle Gegensätze in sich aufzunehmen, da er, wie die Welt selbst, eben auf der Vermittlung derselben beruht.

Auch an jüngeren Männern von Geist und Talent ist Berlin noch immer reicher wie jede andere deutsche Stadt, und mehr als einer ist darunter, der sich um Wissenschaft und Kunst schon 268 unsterbliche Verdienste erworben hat. Vor allen wäre da Rötscher zu nennen, aber sein Kreis ist bereits so groß, und seine Position trotz aller Anfeindungen so fest, daß er dessen überall nicht mehr bedarf. Also nicht von dem Hauptrepräsentanten der gegenwärtigen dramatischen Kritik sei hier die Rede; dieser wird sich der Nation nächstens durch eine gewichtige Arbeit über den Gervinusschen Shakespeare selbst in Erinnerung bringen. Aber ein Wort über den Mann und Menschen ist nicht überflüssig, da man von diesem ziemlich allgemein ein ganz verkehrtes Bild zu haben scheint. Niemand hat die Professorenperücke weiter weggeworfen als Rötscher; er gleicht einem gebildeten Offizier, der, wenn er den Salon betritt, sich's gar nicht merken läßt, daß er den Degen je gezogen hat. Wer im geselligen Leben aus ihm den Hegelianer herauszuwittern glaubt, der verwechselt höchstwahrscheinlich den Hegelianismus mit dem Geist überhaupt und wähnt, dieser unbequeme Gast sei erst mit Hegel in die Welt gekommen; wer gar von gelehrtem Pedantismus redet, der muß im Verkehr an die allerleichteste Scheidemünze gewöhnt sein, und sich einbilden, der Pedantismus fange an, wo die Unwissenheit und die Fadheit aufhört. Auch Theodor Mundt hat sich jetzt mit seiner reichbegabten Frau, seine Breslauer Professur mit einer Bibliothekarstelle vertauschend, bleibend in Berlin angesiedelt, und übt sein gar nicht genug zu schätzendes Vermittelungstalent in angestrengtester Tätigkeit nach allen Seiten. Sehr liebenswürdig steht seiner harmonisch abgeschlossenen Persönlichkeit die schöne Hingebung, deren sie fähig ist, wie mich denn die mir von ihm auf alle mögliche Weise dargelegte herzliche Freude über den Erfolg der »Judith«, in dem er, wohl zu enthusiastisch, eine förmliche Rehabilitierung des Theaterpublikums erblickte, fast noch mehr erblickte, wie dieser Erfolg selbst. Eine eigentümliche, aber höchst bedeutende Erscheinung, mehr gehaßt und gemieden, als geliebt und ausgesucht, ist J. L. Klein, als dramatischer Dichter bekannt, als Kritiker gefürchtet. Man kennt meine Vorliebe für Spezialitäten, für Menschen, deren Hintermann niemand nennen kann, und wahrlich, eine größere ist mir noch selten vorgekommen. Die Natur scheint zuweilen eine Fülle kostbarer Elemente in einem Individuum niederzulegen, aber die Mischung scheint ihr zu mißglücken oder das Individuum läßt es an sich fehlen und rundet sich nicht ab. Eines von beidem ist der Fall bei Klein. Wer kann seine Stücke: »Maria von Medicis«, »Luines«, »Schützling«, »Kavalier und Arbeiter« usw. lesen, wer nur eine einzige seiner Kritiken, ohne über den Reichtum von Anschauungen und Gedanken zu erstaunen, der ihm entgegenblickt? 269 Aber wer hat nicht eine Empfindung dabei, als ob er Irrlichter im Zugwind tanzen sähe, weil es überall an den reinen Linien mangelt, die freilich einschränken, aber nur, um fertig zu machen? Klein streut sein Pulver auf den Tisch, statt es in die Büchse zu laden, er ergötzt sich mehr daran, es in phantastischen Zickzackfiguren rasch verflackern zu lassen, als es zum Schuß zu verwenden. Er kehre die Sache einmal um, und er wird erlegen, was er aufs Korn nimmt; dann wird er sich aber auch mit manchem aussöhnen, wogegen er jetzt ungerecht ist. Meine warme Teilnahme kann er nicht verkennen, darum beherzige er meinen Fingerzeig. Übrigens ist er im »Schützling« schon auf gutem Wege. Bruno Bauer habe ich nicht gesehen, obgleich ich ihn aufsuchte und, dem mir gewordenen Rat folgend, mit dem Fuß, anstatt mit dem Finger bei ihm anklopfte; er bildet eine Art von Gegensatz zu Klein, indem in ihm ein einzelnes Vermögen auf Kosten aller übrigen ungebührlich hervorgetreten ist, und ich hätte mir ihn schon aus diesem psychologischen Grunde gern gegenständlich gemacht.



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