Friedrich Hebbel
Reiseeindrücke
Friedrich Hebbel

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Erinnerungen an Paris.

1849.

Paris, und wieder Paris! wird mancher Leser verdrießlich ausrufen. Und doch wird er dadurch nur beweisen, daß er noch nicht dort war, denn sonst würde er selbst einen Savoyardenknaben mit Interesse anhören. Ich bin durchaus nicht enthusiastisch für die Franzosen eingenommen, ich weiß, daß wir sie in vielem übertreffen und nur in wenigem hinter ihnen zurückstehen. Aber ich liebe ihre Hauptstadt, trotz des physischen und moralischen Schlammes, an dem sie reich ist, und trotz der Koketterie, durch den sie den großartigen Eindruck, den sie immer und überall machen könnte, so oft selbst wieder zerstört. Denn in ihr drängt sich zwar nicht die Welt, aber doch so viel von der Welt zusammen, als ein Mensch mit seinen Organen auf einmal in sich aufzunehmen vermag, und wem sie nicht gefällt, der hat nicht bloß das Unglück gehabt, in Krähwinkel geboren zu werden, sondern er verdient auch in Krähwinkel zu sterben.

Ja, Paris ist eine Probe für den Besucher und nicht bloß in dem Sinn, daß er erfährt, wie ihm filtriertes Seinewasser bekommt, und wieviel Fett er nach einem Drei-Franken-Diner bei Herrn Richard im Palais Royal ansetzt. Der grobe Egoismus, der auf Geld und Amusement versessene, mag dort gedeihen, der feinere wird erstickt. Es gibt Leute, die auf die Kirchtürme eifersüchtig sind, weil diese, wenn auch nur der Uhr wegen, öfter angesehen werden, als sie. Die sollen ja nicht hinreisen, denn sie, die vor Ärger erkranken, wenn unter zehn Personen, die ihnen begegnen, sich nicht neun nach ihrem Befinden erkundigen, werden es freilich nicht ertragen, daß sich in Paris keiner um sie bekümmert, als der sie betrügen, bestehlen oder zum besten haben will. Es gibt andere, gesteigerte Exemplare der nämlichen Spezies, die, wenn sie die Welt mit einem neuen Buch oder einem Gemälde beschenkten, kein Pferd und keinen Esel mehr 220 besteigen, ohne in Gedanken auszurufen: Arme Kreatur, wüßtest du, wen du trägst! Die sollen auch zu Hause bleiben, denn an jeder Wirtstafel finden sie ihresgleichen, und es muß fatal sein, den Tischnachbar bei einer kitzligen Wendung des Disputs durch rasches Aufknöpfen des Überrocks mit einem Orden zum Stillschweigen bringen zu wollen, und bei ihm auf denselben Schmuck zu stoßen. Doch, von den Narren abgesehen, es ist auch für den gewiegten Mann, auch für den, der nicht bloß seinen eigenen Kreis kennt, sondern der auch das Verhältnis dieses seines Kreises zum größern und größten ausgemessen hat, keine kleine Aufgabe, sich mit den ungeheuren Elementen, die sich in Paris regen und durcheinander bewegen, in das Gleichgewicht zu setzen, und wer schnell damit fertig wird, der weiß gar nicht, worum es sich handelt. Darum deutet der fliegende Enthusiasmus, der gleich beim ersten Spaziergang über die Boulevards sich einstellende und unaufhörlich Beifall klatschende Bewunderungsschwindel ebensogut auf Schwerpunktlosigkeit und innere Leere, wie die philisterhafte Nörgelei, welche die Stadt, ja Land und Volk nach der zerbrochenen Kaffeetasse, oder nach dem rauchenden Kamin beurteilt, und welche sich besser amüsiert, wenn sie die Beschreibung von Paris in Paris selbst hinterm Ofen nachliest, als wenn sie sich Paris mit eigenen Augen besieht, denn ob ein Ich verdunstet, oder vertrocknet, das ist völlig einerlei.

Die Metropole eines Landes ist die verkörperte Spitze seiner Geschichte, seines Entwicklungsprozesses. Der Deutsche, der dies begreift, wird nicht ganz frohen Mutes in Paris hineinfahren, er wird die stolze Vignette des zentralisierten und deshalb zu Schutz und Trutz, ja selbst zu kühnen Griffen und zur Befriedigung seltsamer Gelüste gerüsteten Frankreichs mit sehr gemischten Empfindungen, und nicht ohne Kummer und Neid, wenn auch vielleicht ohne Angst erblicken. Was würden wir zustande gebracht haben, wenn wir, wie die Franzosen, unsere miserabeln Privatstreitigkeiten für den müßigen Sonntag aufschiebend, Hand in Hand gegangen, und beizeiten bemüht gewesen wären, das Haus, das uns alle schützen soll, unter Dach zu bringen! Ich bitte mir zuweilen in patriotischen Träumen eine Gesellschaft von steinernen Riesengästen zusammen, die einen Begriff davon geben kann, wie die Hauptstadt Deutschlands wohl ungefähr aussähe, wenn Deutschland es, wie Frankreich, zu einer Hauptstadt gebracht hätte. Man denke sich den Wiener Stephansturm, den Straßburger und den Freiburger Münster, den Kölner Dom, die Hamburger Petrikirche und so viele andere 221 architektonische Trophäen des deutschen Geistes in den Ringmauern einer einzigen Stadt vereinigt, und man frage sich, ob sich in dieser Stadt dann nicht notwendig auch eine granitne Kaiserburg erheben müßte, und ob der darin thronende Kaiser nicht mit der Rechten den Szepter der römischen Imperatoren und mit der Linken den ehemals karthageniensischen, jetzt großbritannischen Dreizack schwingen würde. Es wäre doch herrlich, wenn diese Stadt nicht bloß in Vater Jahns Gehirn läge, und es ist geradezu lächerlich, wenn man unsere Zerrissenheit und Zersplissenheit, die man höchstens als ein nun nicht mehr abzuwendendes Unglück ertragen kann, zu einer Quelle von, ich weiß nicht welchen, imaginären Vorteilen machen will. Allerdings würden wir keine gebornen Kosmopoliten sein, wenn wir in einem anderen, als dem etymologischen Sinn, Deutsche wären und sein könnten, denn auf die ganze Menschheit überträgt nur der seine Liebe, der keine Familie hat. Aber es ist keine beneidenswerte Lage, wenn man auf die Sonne zurückgehen muß, sobald man das Zentrum, mit dem man zusammenhängt, nachweisen soll. Die Sonne schützt nur die Planeten vorm Schwindel, nicht die Menschen.

Solche Gedanken waren es ungefähr, die mir vorschwebten, als ich Paris zum erstenmal betrat. Sie wurden in mir nicht bloß durch die mir von allen Seiten zuströmenden gegenwärtigen Eindrücke hervorgerufen, sie wurden in mir ebensosehr durch die jüngst vergangenen, die ich in mir aufgenommen und frisch bewahrt hatte, geweckt. Ich kam, fast unmittelbar, nach kurzem Aufenthalt in Hamburg, von Dänemark, von Kopenhagen herüber. Dort hatte ich die Hauptstadt eines kleinen Landes gesehen, wie ich hier die Hauptstadt eines großen Landes erblickte, und mich überzeugt, welch ein Bollwerk der Nationalität Erzbischof Absoloms weise Schöpfung geworden war. Die Saat, die im letzten Jahre so blutig aufgegangen ist, wurde gerade während meiner damaligen Anwesenheit in Kopenhagen ausgestreut: die Dänen kämpften in Volks- oder Wirtshaus-Versammlungen, sowie durch Zeitungsartikel und Petitionen an den König aufs eifrigste für das sogenannte »gute« Recht ihrer Deputierten, in den Schleswig-Holsteinischen Ständekammern auch bei vollkommener Kenntnis der deutschen Sprache, ja bei nur unvollständiger der dänischen, denn ein so schreiender Fall lag vor, dänisch reden zu dürfen, sie hatten so wenig die Logik, als die Geschichte für sich und hätten meine Sympathien nicht erhalten, wenn ich auch kein Dithmarscher gewesen wäre. Aber die Bewegung als energische Lebensäußerung eines numerisch 222 so unbedeutenden Völkchens gewann meinen Anteil, und ich mußte mir sagen: wäre nicht ein Bienenkorb, wie die Hauptstadt, vorhanden, in dem alles, was im kleinen Reich Stacheln hat, sich zusammenfindet, so würde die Erinnerung an die nordischen Seekönige, die in unvordenklicher Zeit alle Meere tyrannisierten, und an Kanut den Großen, der einst über das stolze England, wie über das vereinte Skandinavien herrschte, ihnen nicht mehr helfen, wie uns die Träumereien von Kaiser Karl und von Barbarossa, welche bei uns nichts erzeugen, als die verdächtige Almanachs- und Prologpoesie. Doch sie haben in ihrem Kopenhagen eben ein steinernes Album, in das die Jahrhunderte sich auf eine auch nach dem englischen Bombardement noch nicht völlig unkenntliche Weise einzeichneten, und wenn die Enkel sich tapfer regen, wenn sie zuschlagen, statt zu rechnen, so geschieht es, weil sie ihre Urväter noch hinter sich stehen sehen!



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