Friedrich Hebbel
Maria Magdalene
Friedrich Hebbel

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Vierte Scene.

Leonhard. (Vor der Thür)
Angezogen?

Klara.
Warum so zart, so rücksichtsvoll? Ich bin noch immer keine Prinzessin?

Leonhard. (tritt ein)
Ich glaubte, Du wärst nicht allein! Im Vorübergehen kam es mir vor, als ob Nachbar's Bärbchen am Fenster stände!

Klara.
Also darum!

Leonhard.
Du bist immer verdrießlich! Man kann vierzehn Tage weg geblieben seyn, Regen und Sonnenschein können sich am Himmel zehn Mal abgelös't haben, in Deinem Gesicht steht, wenn man endlich wieder kommt, immer noch die alte Wolke!

Klara.
Es gab andere Zeiten!

Leonhard.
Wahrhaftig! Hättest Du immer ausgesehen, wie jetzt, wir wären niemals gut Freund geworden!

Klara.
Was lag daran!

Leonhard.
So frei fühlst Du Dich von mir? Mir kann's recht seyn! Dann (mit Beziehung) hat Dein Zahnweh von neulich Nichts zu bedeuten gehabt!

Klara.
O Leonhard, es war nicht recht von Dir!

Leonhard.
Nicht recht, daß ich mein höchstes Gut, denn das bist Du, auch durch das letzte Band an mich fest zu knüpfen suchte? Und in dem Augenblick, wo ich in Gefahr stand, es zu verlieren? Meinst Du, ich sah die stillen Blicke nicht, die Du mit dem Secretair wechseltest? Das war ein schöner Freudentag für mich! Ich führe Dich zum Tanz, und –

Klara.
Du hörst nicht auf, mich zu kränken! Ich sah den Secretair an, warum sollt' ich's läugnen? Aber nur wegen des Schnurrbarts, den er sich auf der Academie hat wachsen lassen, und der ihm – (sie hält inne)

Leonhard.
So gut steht, nicht wahr? Das wolltest Du doch sagen? O ihr Weiber! Euch gefällt das Soldaten-Zeichen noch in der ärgsten Carricatur! Mir kam das kleine, lächerlich-runde Gesicht des Gecken, ich bin erbittert auf ihn, ich verhehle es nicht, er hat mir lange genug bei Dir im Wege gestanden, mit dem Walde von Haaren, der es in der Mitte durchschneidet, wie ein weißes Kaninchen vor, das sich hinter den Busch verkriecht.

Klara.
Ich habe ihn noch nicht gelobt, Du brauchst ihn nicht herab zu setzen.

Leonhard.
Du scheinst noch immer warmen Antheil an ihm zu nehmen!

Klara.
Wir haben als Kinder zusammen gespielt, und nachher – Du weißt recht gut!

Leonhard.
O ja, ich weiß! Aber eben darum!

Klara.
Da war es wohl natürlich, daß ich, nun ich ihn seit so langer Zeit zum ersten Mal wieder erblickte, ihn ansah, und mich verwunderte, wie groß und – (sie unterbricht sich)

Leonhard.
Warum wurdest Du denn roth, als er Dich wieder ansah?

Klara.
Ich glaubte, er sähe nach dem Wärzchen auf meiner linken Backe, ob das auch größer geworden sey! Du weißt, daß ich mir dies alle Mal einbilde, wenn mich jemand so starr betrachtet, und daß ich dann immer roth werde. Ist mir's doch, als ob die Warze wächs't, so lange Einer darnach kukt!

Leonhard.
Sey's wie es sey, mich überlief's, und ich dachte: noch diesen Abend stell' ich sie auf die Probe! Will sie mein Weib werden, so weiß sie, daß sie Nichts wagt. Sagt sie Nein, so –

Klara.
O, Du sprachst ein böses, böses Wort, als ich Dich zurück stieß und von der Bank aufsprang. Der Mond, der bisher zu meinem Beistand so fromm in die Laube hinein geschienen hatte, ertrank klüglich in den nassen Wolken, ich wollte forteilen, doch ich fühlte mich zurückgehalten, ich glaubte erst, Du wärst es, aber es war der Rosenbusch, der mein Kleid mit seinen Dornen, wie mit Zähnen, festhielt, Du lästertest mein Herz und ich traute ihm selbst nicht mehr, Du stand'st vor mir, wie Einer, der eine Schuld einfordert, ich – ach Gott!

Leonhard.
Ich kann's noch nicht bereuen. Ich weiß, daß ich Dich mir nur so erhalten konnte. Die alte Jugendliebe that die Augen wieder auf, ich konnte sie nicht schnell genug zudrücken.

Klara.
Als ich zu Hause kam, fand ich meine Mutter krank, todtkrank. Plötzlich dahin geworfen, wie von unsichtbarer Hand. Der Vater hatte nach mir schicken wollen, sie hatte es nicht zugegeben, um mich in meiner Freude nicht zu stören. Wie ward mir zu muth, als ich's hörte! Ich hielt mich fern, ich wagte nicht, sie zu berühren, ich zitterte. Sie nahm's für kindliche Besorgniß, und winkte mich zu sich heran, als ich mich langsam nahte, zog sie mich zu sich nieder und küßte meinen entweihten Mund. Ich verging, ich hätte ihr ein Geständniß thun, ich hätte ihr zuschreien mögen, was ich dachte und fühlte: meinetwegen liegst Du so da! Ich that's, aber Thränen und Schluchzen erstickten die Worte, sie griff nach der Hand meines Vaters und sprach mit einem seligen Blick auf mich: welch ein Gemüth!

Leonhard.
Sie ist wieder gesund. Ich kam, ihr meinen Glückwunsch abzustatten, und – was meinst Du?

Klara.
Und?

Leonhard.
Bei Deinem Vater um Dich anzuhalten!

Klara.
Ach!

Leonhard.
Ist Dir's nicht recht?

Klara.
Nicht recht? Mein Tod wär's, wenn ich nicht bald Dein Weib würde, aber Du kennst meinen Vater nicht! Er weiß nicht, warum wir Eile haben, er kann's nicht wissen, und wir können's ihm nicht sagen, und er hat hundert Mal erklärt, daß er seine Tochter nur dem giebt, der, wie er es nennt, nicht bloß Liebe im Herzen, sondern auch Brot im Schrank für sie hat. Er wird sprechen: wart noch ein Jahr, mein Sohn, oder zwei, und was willst Du antworten?

Leonhard.
Närrin, der Punkt ist ja gerade beseitigt! Ich habe die Stelle, ich bin Cassirer!

Klara.
Du bist Cassirer? Und der andere Candidat, der Neffe vom Pastor?

Leonhard.
War betrunken, als er zum Examen kam, verbeugte sich gegen den Ofen, statt gegen den Bürgermeister, und stieß, als er sich niedersetzte, drei Tassen vom Tisch. Du weißt, wie hitzig der Alte ist, Herr! fuhr er auf, doch noch bekämpfte er sich und biß sich auf die Lippen, aber seine Augen blitzten durch die Brille, wie ein Paar Schlangen, die springen wollen, und jede seiner Mienen spannte sich. Nun ging's an's Rechnen, und, ha! ha! mein Mitbewerber rechnete nach einem selbsterfundenen Ein mal Eins, das ganz neue Resultate lieferte; der verrechnet sich! sprach der Bürgermeister, und reichte mir mit einem Blick , in dem schon die Bestallung lag, die Hand, die ich obgleich sie nach Taback roch, demüthig an die Lippen führte, hier ist sie selbst, unterschrieben und besiegelt!

Klara.
Das kommt –

Leonhard.
Unerwartet, nicht wahr? Nun, es kommt auch nicht so ganz von ungefähr. Warum ließ ich mich vierzehn Tage lang bei Euch nicht sehen?

Klara.
Was weiß ich? Ich denke, weil wir uns den letzten Sonntag erzürnten!

Leonhard.
Den kleinen Zwist führte ich selbst listig herbei, damit ich wegbleiben könnte, ohne daß es zu sehr auffiele.

Klara.
Ich versteh' Dich nicht!

Leonhard.
Glaub's. Die Zeit benutzt' ich dazu, der kleinen buckligten Nichte des Bürgermeisters, die so viel bei dem Alten gilt, die seine rechte Hand ist, wie der Gerichtsdiener die linke, den Hof zu machen. Versteh' mich recht! Ich sagte ihr selbst nichts Angenehmes, ausgenommen ein Compliment über ihre Haare, die bekanntlich roth sind, ich sagte ihr nur Einiges, daß ihr wohl gefiel, über Dich!

Klara.
Ueber mich?

Leonhard.
Warum sollt' ich's verschweigen? Geschah es doch in der besten Absicht! Als ob es mir nie im Ernst um Dich zu thun gewesen wäre, als ob – Genug! Das dauerte so lange, bis ich dies in Händen hatte, und wie's gemeint war, wird die leichtgläubige, manntolle Thörin erfahren, sobald sie uns in der Kirche aufbieten hört!

Klara.
Leonhard!

Leonhard.
Kind! Kind! Sey Du ohne Falsch, wie die Taube, ich will klug, wie die Schlange seyn, dann genügen wir, da Mann und Weib doch nur Eins sind, dem Evangelienspruch vollkommen. (lacht) Es kam auch nicht ganz von selbst, daß der junge Herrmann in dem wichtigsten Augenblick seines Lebens betrunken war. Du hast gewiß nicht gehört, daß der Mensch sich auf's Trinken verlegt!

Klara.
Kein Wort.

Leonhard.
Um so leichter glückte mein Plan. Mit drei Gläsern war's gethan. Ein Paar Kameraden von mir mußten ihm auf den Leib rücken. »Darf man gratuliren?« Noch nicht! »O, das ist ja abgemacht! Dein Onkel –« Und nun: trink', mein Brüderlein, trink! Als ich heute Morgen zu Dir ging, stand er am Fluß, und kukte, über's Brückengeländer sich lehnend, schwermüthig hinein. Ich grüßte ihn spöttisch und fragte, ob ihm etwas in's Wasser gefallen sey. »Ja wohl – sagte er, ohne aufzusehen – und es ist vielleicht gut, wenn ich selbst nachspringe.«

Klara.
Unwürdiger! Mir aus den Augen!

Leonhard.
Ja? (macht, als wollt' er gehen)

Klara.
O mein Gott, an diesen Menschen bin ich gekettet!

Leonhard.
Sey kein Kind! Und nun noch ein Wort im Vertrauen. Hat Dein Vater die tausend Thaler noch immer in der Apotheke stehen?

Klara.
Ich weiß Nichts davon.

Leonhard.
Nichts über einen so wichtigen Punct?

Klara.
Da kommt mein Vater.

Leonhard.
Versteh' mich! Der Apotheker soll nah am Concurs seyn, darum fragt' ich!

Klara.
Ich muß in die Küche! (ab)

Leonhard. (allein)
Nun müßte hier Nichts zu holen seyn! Ich kann es mir zwar nicht denken, denn der Meister Anton ist der Art, daß er, wenn man ihm aus Versehen auch nur einen Buchstaben zu viel auf den Grabstein setzte, gewiß als Geist so lange umginge, bis er wieder ausgekratzt wäre, denn er würde es für unredlich halten, sich mehr vom Alphabet anzueignen, als ihm zukäme!


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