Friedrich Hebbel
Maria Magdalene
Friedrich Hebbel

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Kann aber, ich darf diese Frage nicht umgehen, die so weit fortgeschrittene Philosophie die große Aufgabe der Zeit nicht allein lösen, und ist der Standpunkt der Kunst nicht als ein überwundener oder ein doch zu überwindender zu betrachten? Wenn die Kunst Nichts weiter wäre, als was die Meisten in ihr erblicken, ein träumerisches, hin und wieder durch einen sogenannten ironischen Einfall über sich selbst unterbrochenes Fortspinnen der Erscheinungswelt, eine gleichsam von dem äußeren Theater aufs innere versetzte Gestalten-Komödie, worin die verhüllte Idee nach, wie vor, mit sich selbst Versteckens spielt, so müßte man darauf unbedingt mit Ja antworten, und ihr auflegen, die viertausendjährige Sünde einer angemaßten Existenz mit einem freiwilligen Tode zu büßen, ja selbst die ewige Ruhe nicht als einen, durch ihre erst jetzt überflüssig gewordene Thätigkeit verdienten Lohn, sondern nur als ein ihr aus Rücksicht auf den von ihr der Menschheit in ihren Kinderjahren durch ihre nicht ganz sinnlosen Bilder und Hieroglyphen verschafften nützlichen Zeitvertreib bewilligtes Gnadengeschenk hinzunehmen. Aber die Kunst ist nicht bloß unendlich viel mehr, sie ist etwas ganz Anderes, sie ist die realisirte Philosophie, wie die Welt die realisirte Idee, und eine Philosophie, die nicht mit ihr schließen, die nicht selbst in ihr zur Erscheinung werden, und dadurch den höchsten Beweis ihrer Realität geben will, braucht auch nicht mit der Welt anzufangen, es ist gleichgültig, ob sie das erste oder das letzte Stadium des Lebensprocesses, von dem sie sich ausgeschlossen wähnen muß, wenn sie ohne Darstellung auskommen zu können glaubt, negirt, denn auf die Welt kann sie sich, als auf eine solche Darstellung nicht zurück beziehen, ohne sich zugleich mit auf die Kunst zu beziehen, da die Welt eben erst in der Kunst zur Totalität zusammen geht. Eine schöpferische und ursprüngliche Philosophie hat dieß auch noch nie gethan, sie hat immer gewußt, daß sie sich eine Probe, die die von ihr nackt reproducirte Idee selbst sich nicht ersparen konnte, nicht unterschlagen darf, und deshalb in der Kunst niemals einen bloßen Stand-, sondern ihren eigenen Ziel- und Gipfelpunkt erblickt; dagegen ist es characteristisch für jede Formale, und aus nahe liegenden Gründen auch für die Jüngerschaft jeder anderen, daß sie selbst da, wo sie lebendige Gestalt geworden ist, oder doch werden sollte, nicht aufhören kann, zu zersetzen, und, gleich einem Menschen, der, um sich zu überzeugen, ob er auch Alles das, was, wie er aus der Anthropologie weiß, zum Menschen gehört, wirklich besitze, sich Kopf- Brust- und Bauchhöhle öffnen wollte, die Spitze aller Erscheinung, in der Geist und Natur sich umarmen, durch einen zugleich barbarischen und selbstmörderischen Act zerstört. Eine solche Philosophie erkennt sich selbst in der höheren Chiffre der Kunst nicht wieder, es kommt ihr schon verdächtig vor, daß sie dieselbe aus der von ihr mit so viel Mühe und Anstrengung zerrissenen Chiffre der Natur zusammengesetzt findet, und sie weiß nicht, woran sie sich halten soll; da stößt sie aber zu ihrem Glück im Kunstwerk auf einzelne Parthieen, die (sollten's unter einem Gemälde auch nur die Unterschriften des Registrators seyn!) in der ihr allein geläufigen Ausdrucksweise des Gedankens und der Reflexion abgefaßt sind, weil entweder der Geist des Ganzen dort wirklich nicht zur Form durchdrang, oder weil nur eine, der Form nicht bedürftige, Copula hinzuzustellen war; die hält sie nun für die Hauptsache, für das Resultat der Darstellung, um das sich das übrige Schnörkelwesen von Figuren und Gestalten ungefähr so herum schlinge, wie auf einem kaufmännischen Wechsel die Arabesken, Merkur und seine Sippschaft, um die reelle Zahl, mit Eifer und Ehrlichkeit reiht sie diese Perlen, Sentenzen und Gnomen genannt, am Faden auf und schätzt sie ab; da das Resultat nun aber natürlich eben so kläglich ausfällt, als wenn man die Philosophie nach ihrem Reichthum an Leben und Gestalt messen wollte, so spricht sie mit voller Ueberzeugung ihr endliches Urtheil dahin aus, daß die Kunst eine kindische Spielerei sey, wobei ja wohl auch, man habe Exempel, zuweilen ein von einem reichen Mann auf der Straße verlornes Goldstück gefunden und wieder in Cours gesetzt werde. Wer diese Schilderung für übertrieben hält, der erinnere sich an Kant's famosen Ausspruch in der Anthropologie, wo der Alte vom Berge alles Ernstes erklärt, das poetische Vermögen, von Homer an, beweise Nichts, als eine Unfähigkeit zum reinen Denken, ohne jedoch die sich mit Nothwendigkeit ergebende Consequenz hinzuzufügen, daß auch die Welt in ihrer stammelnden Mannigfaltigkeit Nichts beweise, als die Unfähigkeit Gottes, einen Monolog zu halten.

Wenn nun aber das Drama keine geringere, als die weltgeschichtliche Aufgabe selbst lösen helfen, wenn es zwischen der Idee und dem Welt- und Menschen-Zustand vermitteln soll, folgt nicht daraus, daß es sich ganz an die Geschichte hingeben, daß es historisch seyn muß? Ich habe mich über diesen wichtigen Punct an einem andern Ort, in der Schrift: Ein Wort über das Drama, Hamburg bei Hoffmann und Campe, 1843, auf den ich hier wohl verweisen darf, dahin ausgesprochen, daß das Drama schon an und für sich und ohne specielle Tendenz (die eigentlich, um recht geschichtlich zu werden, aus der Geschichte heraus tritt, und die Nabelschnur, die jede Kraft mit der lebendigen Gegenwart verknüpft, durchschneidet, um sie an die todte Vergangenheit mit einem Zwirnsfaden fest zu binden) historisch und daß die Kunst die höchste Geschichtschreibung sey. Diesen Ausspruch wird Keiner, der rückwärts und vorwärts zu schauen versteht, anfechten, denn er wird sich erinnern, daß uns nur von denjenigen Völkern der alten Welt, die es zur Kunst gebracht, die ihr Daseyn und Wirken in einer unzerbrechlichen Form nieder gelegt haben, ein Bild geblieben ist, und hierin liegt zunächst der nie zu verachtende factische Beweis; er wird aber auch erkennen, daß der sich schon jetzt verstrengernde historische Ausscheidungsproceß, der das Bedeutende vom Unbedeutenden, das uns völlig Abgestorbene, wenn auch in sich noch so Gewichtige, von dem noch in den Geschichtsorganismus hinüber Greifenden sondert, sich immer steigern, daß er die Nomenclatur dereinst einmal bis auf die Alexander und Napoleone lichten, daß er noch später nur noch die Völker-Physiognomieen und dann wohl gar nur noch die durch die Phasen der Religion und Philosophie bedingten allgemeinsten Entwickelungs-Epochen der Menschheit festhalten, ja sogar, der Humor kommt hier von selbst, darum verzeihe man ihn, die deutschen Lyrici, die mit Niemand anstoßen, der ihnen nicht vorher die Unsterblichkeit einräumt, lieblos fallen lassen wird; da nun aber die großen Thaten der Kunst noch viel seltener sind, als die übrigen, aus dem einfachen Grunde, weil sie eben erst aus diesen resultiren, und da sie sich deshalb langsamer häufen, so leuchtet ein, daß die Kunst in dem ungeheuren Meer, worin Welle Welle verschlingt, noch lange Baken stecken, und der Nachwelt den allgemeinen und allerdings an sich unverlierbaren, weil unmittelbar im Leben aufgehenden, Gehalt der Geschichte in der Schaale der speciellen Perioden, deren Spitze sie in ihren verschiedenen Gliederungen bildet, überliefern, ihr also, wenn auch nicht das weitläuftige und gleichgültige Register der Gärtner, die den Baum pflanzten und düngten, so doch die Frucht mit Fleisch und Kern, auf die es allein ankommt, und außerdem noch den Duft der Atmosphäre, in der sie reifte, darbieten kann. Endlich freilich wird auch hier der Punct der Unübersehbarkeit erreicht werden, Shakspeare wird die Griechen, und was nach Shakspeare hervortritt, wird ihn verzehren, und ein neuer Kreislauf wird beginnen, oder Kunst und Geschichte werden versanden, die Welt wird für das Gewesene das Verständniß verlieren, ohne etwas Neues zu erzeugen, wenn sich nicht mit größerer Wahrscheinlichkeit annehmen ließe, daß dem Planeten mit dem Geschlecht, das er trägt, die schöpferische Kraft zugleich ausgehen wird. Die Consequenzen dieses Gesichtspunctes ergeben sich von selbst, die Geschichte, in so fern sie nicht blos das allmälige Fortrücken der Menschheit in der Lösung ihrer Aufgabe darstellen, sondern auch den Antheil, den die hervorragendem Individuen daran hatten, mit Haushälterin-Genauigkeit specificiren will, ist wirklich nicht viel mehr, als ein großer Kirchhof mit seinem Immortalitäts-Apparat, den Leichensteinen und Kreuzen und ihren Inschriften, die dem Tod, statt ihm zu trotzen, höchstens neue Arbeit machen, und wer weiß, wie unentwirrbar sich im Menschen die unbewußten und bewußten Motive seiner Handlungen zum Knoten verschlingen, der wird die Wahrheit dieser Inschriften selbst dann noch in Zweifel ziehen müssen, wenn der Todte sie sich selbst gesetzt und den guten Willen zur Aufrichtigkeit dargelegt hat. Ist nun aber solchemnach das materielle Fundament der Geschichte ein von vorn herein nach allen Seiten durchlöchertes und durchlöcherbares, so kann die Aufgabe des Dramas doch unmöglich darin bestehen, mit eben diesem Fundament, diesem verdächtigen Conglomerat von Begebenheiten-Skizzen und Gestalten-Schemen, einen zweifelhaften Galvanisirungs-Versuch anzustellen, und der nüchterne Lessing'sche Ausspruch in der Dramaturgie, wornach der dramatische Dichter die Geschichte, je nach Befund der Umstände, benutzen oder unbenutzt lassen darf, ohne in dem letzten Fall einen Tadel, oder in dem ersten ein specielles Lob zu verdienen, wird, wenn man ihn nur über die Negation hinaus dahin erweitert, daß das Drama dessenungeachtet den höchsten Gehalt der Geschichte in sich aufnehmen kann und soll, in voller Kraft verbleiben, am wenigsten aber durch Shakspeare's Beispiel, in dessen historischen Dramen die auf das Aparte zuweilen etwas versessene romantische Schule plötzlich mehr finden wollte, als in seinen übrigen, des größeren Gesichtskreises wegen unzweifelhaft höher stehenden Stücken, umgestoßen werden, denn Shakspeare scheuerte nicht etwa die »alten Schaumünzen« mit dem Kopf Wilhelm's des Eroberers oder König Ethelred's wieder blank, sondern mit jenem großartigen Blick in das wahrhaft Lebendige, der diesen einzigen Mann nicht sowohl auszeichnet, als ihn macht, stellte er dar, was noch im Bewußtseyn seines Volks lebte, weil es noch daran zu tragen und zu zehren hatte, den Krieg der rothen Rose mit der weißen, die Höllen-Ausgeburten des Kampfes und die, in der deshalb so »fromm und maaßvoll« gehaltenen Person Richmond's aufdämmernden Segnungen des endlichen Friedens. Wenn dieß von aller Geschichte gilt, wie es denn der Fall ist, so gilt es noch ganz besonders von der deutschen; es betrübt mich daher aufrichtig, daß bei uns, ungeachtet so vieler schlimmer Erfahrungen, das Dramatisiren unserer ausgangs- und darum sogar im untergeordneten Sinn gehaltlosen Kaiser-Historien immer wieder in die Mode kommt. Ist es denn so schwer, zu erkennen, daß die deutsche Nation bis jetzt überall keine Lebens- sondern nur eine Krankheits-Geschichte aufzuzeigen hat, oder glaubt man alles Ernstes, durch das In Spiritus Setzen der Hohenstaufen-Bandwürmer, die ihr die Eingeweide zerfressen haben, die Krankheit heilen zu können? Wenn ich die Talente, die ihre Kraft an einem auf diesem Wege nicht zu erreichenden, obgleich an sich hochwichtigen und realisirbaren Zweck vergeuden, nicht achtete, so würde ich die Frage nicht aufwerfen. Es giebt hiefür eine andere, freilich secundäre Form, die nicht so sehr, wie die dramatische, auf Concentration und Progression angewiesen ist, und die durch die ihr verstattete Detailmalerei ein Interesse, das sie im Volk nicht vorfindet, ohne daß das Volk darum zu schelten wäre, erwecken kann, die von Walter Scott geschaffene Form des historischen Romans, die in Deutschland keiner so vollständig ausgefüllt, ja erweitert hat, als Wilibald Alexis in seinem letzten Roman: der falsche Woldemar. Auf diesen Roman, der, an Brandenburg anknüpfend, alle deutsche Verhältnisse der dargestellten wichtigen Epoche zur Anschauung bringt und Geschichte giebt, ohne sie auf der einen Seite in Geschichten aufzulösen, oder auf der anderen einem sogenannten historischen Pragmatismus die Fülle des Lebens und der Gestalten zu opfern, nehme ich hier zur Verdeutlichung meiner Gedanken gern Bezug.


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