Friedrich Hebbel
Maria Magdalene
Friedrich Hebbel

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Vorwort.

Das kleine Vorwort, womit ich meine Genoveva begleitete, hat so viel Mißverständniß und Widerspruch hervorgerufen, daß ich mich über den darin berührten Hauptpunct noch einmal aussprechen muß. Ich muß aber ein aesthetisches Fundament, und ganz besonders einigen guten Willen, auf das Wesentliche meines Gedankenganges einzugehen, voraussetzen, denn wenn die Unschuld des Worts nicht respectirt, und von der dialectischen Natur der Sprache, deren ganze Kraft auf dem Gegensatz beruht, abgesehen wird, so kann man mit jedem eigenthümlichen Ausdruck jeden beliebigen Wechselbalg erzeugen, man braucht nur einfach in die Bejahung der eben hervorgehobenen Seite eine stillschweigende Verneinung aller übrigen zu legen.

Das Drama, als die Spitze aller Kunst, soll den jedesmaligen Welt- und Menschen-Zustand in seinem Verhältniß zur Idee, d.h. hier zu dem Alles bedingenden sittlichen Centrum, das wir im Welt-Organismus, schon seiner Selbst-Erhaltung wegen, annehmen müssen, veranschaulichen. Das Drama, d. h. das höchste, das Epoche machende, denn es giebt auch noch ein zweites und drittes, ein partiell-nationales und ein subjectiv-individuelles, die sich zu jenem verhalten, wie einzelne Scenen und Charactere zum ganzen Stück, die dasselbe aber so lange, bis ein Alles umfassender Geist erscheint, vertreten, und wenn dieser ganz ausbleibt, als disjecti membra poetae in seine Stelle rücken, das Drama ist nur dann möglich, wenn in diesem Zustand eine entscheidende Veränderung vor sich geht, es ist daher durchaus ein Product der Zeit, aber freilich nur in dem Sinne, worin eine solche Zeit selbst ein Product aller vorhergegangenen Zeiten ist, das verbindende Mittelglied zwischen einer Kette von Jahrhunderten, die sich schließen und einer neuen, die beginnen will.

Bis jetzt hat die Geschichte erst zwei Krisen aufzuzeigen, in welchen das höchste Drama hervortreten konnte, es ist demgemäß auch erst zwei Mal hervorgetreten: einmal bei den Alten, als die antike Welt-Anschauung aus ihrer ursprünglichen Naivetät in das sie zunächst auflockernde und dann zerstörende Moment der Reflexion überging, und einmal bei den Neuern, als in der christlichen eine ähnliche Selbst-Entzweiung eintrat. Das griechische Drama entfaltete sich, als der Paganismus sich überlebt hatte und verschlang ihn, es legte den durch alle die bunten Götter-Gestalten des Olymps sich hindurchziehenden Nerv der Idee bloß, oder, wenn man will, es gestaltete das Fatum. Daher das maaßlose Herabdrücken des Individuums, den sittlichen Mächten gegenüber, mit denen es sich in einen doch nicht zufälligen, sondern nothwendigen Kampf verstrickt sieht, wie es im Oedyp den Schwindel erregenden Höhepunct erreicht. Das Shakspearsche Drama entwickelte sich am Protestantismus und emanzipirte das Individuum. Daher die furchtbare Dialectik seiner Charactere, die, so weit sie Männer der That sind, alles Lebendige um sich her durch ungemessenste Ausdehnung verdrängen, und so weit sie im Gedanken leben, wie Hamlet, in eben so ungemessener Vertiefung in sich selbst durch die kühnsten entsetzlichsten Fragen Gott aus der Welt, wie aus einer Pfuscherei, herausragen mögten.

Nach Shakspeare hat zuerst Goethe im Faust und in den mit Recht dramatisch genannten Wahlverwandtschaften wieder zu einem großen Drama den Grundstein gelegt, und zwar hat er gethan, oder vielmehr zu thun angefangen, was allein noch übrig blieb, er hat die Dialectik unmittelbar in die Idee selbst hinein geworfen, er hat den Widerspruch, den Shakspeare nur noch im Ich aufzeigt, in dem Centrum, um das das Ich sich herum bewegt, d. h. in der diesem erfaßbaren Seite desselben, aufzuzeigen, und so den Punct, auf den die gerade, wie die krumme Linie zurück zu führen schien, in zwei Hälften zu theilen gesucht. Es muß Niemand wundern, daß ich Calderon, dem Manche einen gleichen Rang anweisen, übergehe, denn das Calderonsche Drama ist allerdings bewunderungswürdig in seiner consequenten Ausbildung, und hat der Literatur der Welt in dem Stücke: das Leben ein Traum! ein unvergängliches Symbol einverleibt, aber es enthält nur Vergangenheit, keine Zukunft, es setzt in seiner starren Abhängigkeit vom Dogma voraus, was es beweisen soll, und nimmt daher, wenn auch nicht der Form, so doch dem Gehalt nach, nur eine untergeordnete Stellung ein.

Allein Goethe hat nur den Weg gewiesen, man kann kaum sagen, daß er den ersten Schritt gethan hat, denn im Faust kehrte er, als er zu hoch hinauf und in die kalte Region hinein gerieth, wo das Blut zu gefrieren anfängt, wieder um, und in den Wahlverwandtschaften setzte er, wie Calderon, voraus, was er zu beweisen oder zu veranschaulichen hatte. Wie Goethe, der durchaus Künstler, großer Künstler, war, in den Wahlverwandtschaften einen solchen Verstoß gegen die innere Form begehen konnte, daß er, einem zerstreuten Zergliederer nicht unähnlich, der, statt eines wirklichen Körpers, ein Automat auf das anatomische Theater brächte, eine von Haus aus nichtige, ja unsittliche Ehe, wie die zwischen Eduard und Charlotte, zum Mittelpunkt seiner Darstellung machte und dieß Verhältniß behandelte und benutzte, als ob es ein ganz entgegengesetztes, ein vollkommen berechtigtes wäre, wüßte ich mir nicht zu erklären; daß er aber auf die Hauptfrage des Romans nicht tiefer einging, und daß er ebenso im Faust, als er zwischen einer ungeheuren Perspective und einem mit Katechismus-Figuren bemalten Bretter-Verschlag wählen sollte, den Bretter-Verschlag vorzog und die Geburtswehen der um eine neue Form ringenden Menschheit, die wir mit Recht im ersten Theil erblickten, im zweiten zu bloßen Krankheits-Momenten eines später durch einen willkürlichen, nur nothdürftig-psychologisch vermittelten Act curirten Individuums herabsetzte, das ging aus seiner ganz eigen complicirten Individualität hervor, die ich hier nicht zu analysiren brauche, da ich nur anzudeuten habe, wie weit er gekommen ist. Es bedarf hoffentlich nicht der Bemerkung, daß die vorstehenden, sehr motivirten Einwendungen gegen den Faust und die Wahlverwandtschaften diesen beiden welthistorischen Productionen durchaus Nichts von ihrem unermeßlichen Werth abdingen, sondern nur das Verhältniß, worin ihr eigener Dichter zu den in ihnen verkörperten Ideen stand, bezeichnen und den Punct, wo sie formlos geblieben sind, nachweisen sollen.

Goethe hat demnach, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, die große Erbschaft der Zeit wohl angetreten, aber nicht verzehrt, er hat wohl erkannt, daß das menschliche Bewußtseyn sich erweitern, daß es wieder einen Ring zersprengen will, aber er konnte sich nicht in gläubigem Vertrauen an die Geschichte hingeben, und da er die aus den Uebergangs-Zuständen, in die er in seiner Jugend selbst gewaltsam hingezogen wurde, entspringenden Dissonanzen nicht aufzulösen wußte, so wandte er sich mit Entschiedenheit, ja mit Widerwillen und Ekel, von ihnen ab. Aber diese Zustände waren damit nicht beseitigt, sie dauern fort bis auf den gegenwärtigen Tag, ja sie haben sich gesteigert und alle Schwankungen und Spaltungen in unserem öffentlichen, wie in unserem Privat-Leben, sind auf sie zurück zu führen, auch sind sie keineswegs so unnatürlich, oder auch nur so gefährlich, wie man sie gern machen möchte, denn der Mensch dieses Jahrhunderts will nicht, wie man ihm Schuld giebt, neue und unerhörte Institutionen, er will nur ein besseres Fundament für die schon vorhandenen, er will, daß sie sich auf Nichts, alsauf Sittlichkeit und Nothwendigkeit, die identisch sind, stützen und also den äußeren Haken, an dem sie bis jetzt zum Theil befestigt waren, gegen den inneren Schwerpunct, aus dem sie sich vollständig ableiten lassen, vertauschen sollen. Dies ist, nach meiner Ueberzeugung, der welthistorische Proceß, der in unseren Tagen vor sich geht, die Philosophie, von Kant, und eigentlich von Spinoza an, hat ihn, zersetzend und auflösend, vorbereitet, und die dramatische Kunst, vorausgesetzt, daß sie überhaupt noch irgend etwas soll, denn der bisherige Kreis ist durchlaufen und Duplicate sind vom Ueberfluß und passen nicht in den Haushalt der Literatur, soll ihn beendigen helfen, sie soll, wie es in einer ähnlichen Krisis Aeschylos, Sophocles, Euripides und Aristophanes, die nicht von ungefähr und etwa blos, weil das Schicksal es mit dem Theater der Athener besonders wohl meinte, so kurz hinter einander hervortraten, gethan haben, in großen gewaltigen Bildern zeigen, wie die bisher nicht durchaus in einem lebendigen Organismus gesättigt aufgegangenen, sondern zum Theil nur in einem Scheinkörper erstarrt gewesenen und durch die letzte große Geschichts-Bewegung entfesselten Elemente, durcheinander fluthend und sich gegenseitig bekämpfend, die neue Form der Menschheit, in welcher Alles wieder an seine Stelle treten, in welcher das Weib dem Mann wieder gegenüber stehen wird, wie dieser der Gesellschaft, und wie die Gesellschaft der Idee, erzeugen. Damit ist nun freilich der Uebelstand verknüpft, daß die dramatische Kunst sich auf Bedenkliches und Bedenklichstes einlassen muß, da das Brechen der Weltzustände ja nur in der Gebrochenheit der individuellen erscheinen kann, und da ein Erdbeben sich nicht anders darstellen läßt, als durch das Zusammenstürzen der Kirchen und Häuser und die ungebändigt hereindringenden Fluthen des Meers. Ich nenne es natürlich nur mit Rücksicht auf die harmlosen Seelen, die ein Trauerspiel und ein Kartenspiel unbewußt auf einen und denselben Zweck reduciren, einen Uebelstand, denn diesen wird unheimlich zu Muth, wenn Spadille nicht mehr Spadille seyn soll, sie wollen wohl neue Combinationen im Spiel, aber keine neue Regel, sie verwünschen den Hexenmeister, der ihnen diese aufdringt, oder doch zeigt, daß sie möglich ist, und sehen sich nach dem Gevatter Handwerker um, der die Blätter wohl anders mischt, auch wohl hin und wieder, denn Abwechselung muß seyn, einen neuen Trumpf einsetzt, aber im Uebrigen die altehrwürdige Erfindung des Ur-Ur-Großvaters, wie das Natur-Gesetz selbst, respectirt. Hier wäre es am Ort, aus dem halben Scherz in einen bittern ganzen Ernst überzugehen, denn es ist nicht zu sagen, bis zu welchem Grade eine zum Theil unzurechnungsfähige und unmündige, zum Theil aber auch perfide Kritik, sich den erbärmlichen Theater-Verhältnissen unserer Tage und dem beschränkten Gesichtskreis des großen Haufens accomodirend, die einfachen Grundbegriffe der dramatischen Kunst, von denen man glauben sollte, daß sie, nachdem sich ihre Kraft und Wahrheit vier Jahrtausende hindurch bewährte, unantastbar seyen, wie das Einmaleins, verwirrt und auf den Kopf gestellt hat. Der Maler braucht sich, und er mag dem Himmel dafür danken, noch nicht darüber zu entschuldigen, daß er die Leinewand, aus der auch Siebbeutel gemacht werden könnten, bemalt, auch verlacht man ihn noch nicht, wenn man sieht, daß er auf die Composition seines Gemäldes Mühe und Fleiß verwendet, daß er die Farben, die ja doch auch schon an sich dem Auge schmeicheln, auf Gestalten, und die Gestalten wieder auf einen inneren, für den bloßen Gaffer reicht vorhandenen Mittelpunkt bezieht, statt das Farbenbrett selbst mit dem eingerührten Blau, Gelb und Roth, für das Gemälde zu geben, oder doch den bunten Gestalten- und Figuren-Tanz; aber jene Kunst, die, wie alles Höchste, nur dann überhaupt etwas ist, wenn sie das, was sie seyn soll, ganz ist, muß sich jetzt, wie über eine Narrheit, darüber hudeln lassen, daß sie ihre einzige, ihre erste und letzte Aufgabe, im Auge behält, statt es sich bequem zu machen und für den Karfunkel den Kiesel zu bieten, für ein tiefsinniges und unergründliches Lebens-Symbol ein gemeines Lebens-Räthsel, das mit der gelösten Spannung in's Nichts zerplatzt, und, außer Stande, auch nur die dürftigste Seele für einen Moment zu sättigen, Nichts erweckt, als den Hungerruf: was Neues! was Neues! Ich sage es Euch, ihr, die ihr Euch dramatische Dichter nennt, wenn Ihr Euch damit begnügt, Anecdoten, historische oder andere, es gilt gleich, in Scene zu setzen, oder, wenn's hoch kommt, einen Character in seinem psychologischen Räderwerk aus einander zu legen, so steht Ihr, Ihr mögt nun die Thränenfistel pressen oder die Lachmuskeln erschüttern, wie Ihr wollt, um Nichts höher, als unser bekannter Vetter von Thespis her, der in seiner Bude die Marionetten tanzen läßt. Nur wo ein Problem vorliegt, hat Eure Kunst etwas zu schaffen, wo Euch aber ein solches aufgeht, wo Euch das Leben in seiner Gebrochenheit entgegen tritt und zugleich in Eurem Geist, denn Beides muß zusammen fallen, das Moment der Idee, in dem es die verlorne Einheit wieder findet, da ergreift es, und kümmert Euch nicht darum, daß der ästhetische Pöbel in der Krankheit selbst die Gesundheit aufgezeigt haben will, da Ihr doch nur den Uebergang zur Gesundheit aufzeigen und das Fieber allerdings nicht heilen könnt, ohne Euch mit dem Fieber einzulassen, denn dieser Pöbel, der Euch über die Paroxismen, die Ihr darstellt, zur Rechenschaft zieht, als ob es Eure eigenen wären, müßte, wenn er Consequenz besäße, auch dem Richter, der dem Missethäter das Verbrechen abfragt, um seine Stellung zum Gesetz zu ermitteln, ja dem Geistlichen, der Beichte hört, den Vorwurf machen, daß er sich mit schmutzigen Dingen befasse, und Ihr seyd für Nichts, für gar Nichts, verantwortlich, als für die Behandlung, die, als eine freie, Eure subjective Unabhängigkeit vom Gegenstand und Euer persönliches Unvermischtseyn mit demselben hervor treten lassen muß, und für das letzte Resultat, ja auch das Resultat braucht nicht im Lanzen-Spitzen-Sinn die Spitze Eures Werks zu seyn, es darf sich eben so gut als Ausgangspunct eines Characters hinstellen, wie als Ausgangspunct des ganzen Dramas, obgleich freilich, wenn Letzteres der Fall ist, das Drama der Form nach einen höheren Grad von Vollendung für sich in Anspruch zu nehmen hat. Man kann, wenn man sich genöthigt sieht, über Dinge, die Niemandem ohne innere Erfahrung ganz verständlich werden, zu sprechen, sich nicht genug gegen Mißdeutung verwahren; ich füge also noch ausdrücklich hinzu, daß man hier nicht an ein allegorisches Herausputzen der Idee, überhaupt nicht an die philosophische, sondern an die unmittelbar in's Leben selbst verlegte Dialectik denken muß, und daß, wenn in einem Proceß, worin, wie in jedem schöpferischen, alle Elemente sich mit gleicher Nothwendigkeit bedingen und voraussetzen, überall von einem Vor und Nach die Rede seyn kann, der Dichter (wer sich für einen hält, möge sich darnach prüfen!) sich jedenfalls eher der Gestalten bewußt werden wird, als der Idee, oder vielmehr des Verhältnisses der Gestalten zur Idee. Doch, wie gesagt, die ganze Anschauungsweise ist eine unzulässige, die aber noch sehr verbreitet zu seyn scheint, da, was aus ihr allein hervorgehen kann, selbst einsichtige Männer nicht aufhören, mit dem Dichter über die Wahl seiner Stoffe, wie sie es nennen, zu hadern, und dadurch zeigen, daß sie sich das Schaffen, dessen erstes Stadium, das empfangende, doch tief unter dem Bewußtseyn liegt und zuweilen in die dunkelste Ferne der Kindheit zurückfällt, immer als ein, wenn auch vereiteltes, Machen vorstellen, und daß sie in das geistige Gebären eine Willkür verlegen, die sie dem leiblichen, dessen Gebundenseyn an die Natur freilich heller in die Augen springt, gewiß nicht zusprechen würden. Den Gevatter Handwerker, dessen ich oben gedachte, mag man schelten, wenn er etwas bringt, was dem gnädigen Herrn mit vielen Köpfen nicht behagt, denn der wackere Mann kann das Eine so gut liefern als das Andere, er hat sich, als er seine Anecdote auswählte; bloß im Effect verrechnet und für Rechenfehler ist jedermann verantwortlich; dem Dichter dagegen muß man verzeihen, wenn er es nicht trifft, er hat keine Wahl, er hat nicht einmal die Wahl, ob er ein Werk überhaupt hervorbringen will, oder nicht, denn das einmal lebendig Gewordene läßt sich nicht zurück verdauen, es läßt sich nicht wieder in Blut verwandeln, sondern muß in freier Selbstständigkeit hervortreten, und eine unterdrückte oder unmögliche geistige Entbindung kann eben so gut, wie eine leibliche, die Vernichtung, sey es nun durch den Tod, oder durch den Wahnsinn, nach sich ziehen. Man denke an Goethes Jugend-Genossen Lenz, an Hölderlin, an Grabbe.


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