Friedrich Hebbel
Julia
Friedrich Hebbel

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Dritter Akt.

Erste Szene.

Graf Bertram. Julia. Alberto (treten auf).

Graf Bertram. Nun wird Ihrem Freunde genug geschehen sein! Die Trauung ist vollzogen, Sie selbst sind Zeuge gewesen, und hier ist das Witwen-Instrument. Lesen und prüfen Sie's!

Alberto (tut's). Nach Ihrer Großmut messe ich Ihre Liebe! Mit Ruhe reise ich zurück und lasse dies Kind in Ihren Händen! (Zu Julia.) Danken Sie Ihrem Gemahl! Er hat Ihnen für einen Fall, den dem ich hoffe, daß er nicht kommen wird, dies ganze Gut vermacht. Zwar bedurften sie dessen nicht, denn auch ich – Doch, das brauchen Sie erst zu erfahren, wenn ich tot bin!

Graf Bertram. Ich beklage nur, daß ich nicht Italiens ewig blauen Himmel darüber ausspannen lassen kann! (Zu Alberto.) Jetzt möchte ich um ein paar einsame Minuten mit meiner Gemahlin bitten! Sie verzeihen mir's gewiß!

Alberto. Ich werde inzwischen die zu meiner Rückreise nötigen Vorkehrungen treffen; denn ich muß gleich wieder fort! (Ab.)

Zweite Szene.

Graf Bertram. Julia, wir haben soeben im Angesicht Gottes feierliche Schwüre miteinander ausgetauscht!

Julia. Die uns für ewig aneinander binden. Ja.

Graf Bertram. Für ewig? Doch nur bis in den Tod!

Julia. Nur bis in den Tod! O gewiß! Nur bis in den Tod!

Graf Bertram. Und den Tod kann man rufen, wenn er länger an seiner Sense wetzt, als billig ist. Schweig! Nimmer darf sie das ahnen! Denn nimmer würde sie's fassen, daß eine solche Notwendigkeit die höchste Wohltat für dich wäre, und daß du bloß, um sie heraufzurufen, den unauflöslichen Bund mit ihr geschlossen hast! Nimmer darfst du sie so tief in den Greuel der Verwesung schauen lassen, bis sie's begreift!

Julia. Was pochst du noch, Herz? Ist die Lösung denn so schwer? Poche so, wenn die Stunde naht, wo mein Dolch dich treffen soll, daß ich dich nicht verfehle! Doch, das tust du wohl von selbst!

Graf Bertram. Sie werden des Moments noch gedenken, in dem ich Sie zum erstenmal sah. Ich stellte Ihnen damals eine Bedingung, an diese Bedingung muß ich Sie jetzt mahnen. Geloben Sie mir denn, daß Sie es mir sagen wollen, wenn Sie den Mann, den Sie liebten, dereinst mit den alten Gefühlen, mit einem Rest der alten Gefühle wiedersehen sollten!

Julia. Das wird nie geschehen!

Graf Bertram. Nie? Auch nicht, wenn er sich rechtfertigt?

Julia. Er kann sich nicht rechtfertigen!

Graf Bertram. O, unergründlich sind die Verschlingungen des Lebens! Die Bahnen der Menschen sind nicht die der Sterne!

Julia. Er wird sich nicht rechtfertigen! Ich werde ihn nicht hören!

Graf Bertram. Das kam nicht aus Ihrer Seele! Sie werden, Sie müssen ihn hören! Das sind Sie ihm, das sind Sie sich selbst schuldig! Und wenn – Ihre Hand!

Julia. Mir die Ihrige!

Graf Bertram. Worauf?

Julia. Sie fragen? Sie glaubten vielleicht, als Sie mich beim Eintritt in die Kapelle erbleichen und taumeln sahen, das geschähe, weil statt Ihrer ein anderer an meiner Seite ging? Sie hatten das Recht, meine heilige Regung so zu mißdeuten, denn Sie mußten sich ja erinnern, wie stumpf und dumpf ich in die Annahme Ihres ungeheuren Opfers willigte, als Sie sich erboten, es mir zu bringen, Sie mußten ja glauben, daß ich für die Größe desselben gar kein Gefühl hätte, aber Sie irrten sich! Nein! Nein! Das konnte mir nur in einer Stunde begegnen, wo mich Leben und Tod zugleich auszustoßen schienen, aber dann – Mir war, wie wir uns dem Altar näherten, als erblickte ich in dem Dämmerlicht, das ihn umfloß, mitten unter den ernsten Heiligenbildern eine zitternde Schattengestalt, die mich durch scheue Blicke zur Umkehr zu bewegen suchte und die vor mir erlosch, wie ich doch herantrat. – – Sie sind ein Mann, wie die Welt noch keinen sah, welche ein Weib muß Ihnen bestimmt sein! Und ich, ich stellte mich zwischen zwei Menschen, die zueinander gehören, wie der Edelstein und das Gold? Nimmermehr! Eine Totenkrone für mich, den Brautkranz für die, die Sie verdient! Ich habe kein Gelöbnis zu geben, ich habe eins zu fordern! Ihr Wort, daß Sie es mir nicht verheimlichen wollen, wenn Ihr Herz einmal für ein weibliches Wesen zu schlagen anfängt. Ich verlange es im Namen der Edelsten meines Geschlechts, denn die ist Ihnen bestimmt, und ich wäre die Niedrigste, wenn ich nicht darauf bestünde.

Graf Bertram. Julia! Wenn Sie wüßten – –

Julia. Weichen Sie mir nicht aus! Glauben Sie nicht, daß Sie es können! Wenn Sie mir Ihr Wort verweigern, so zwingen Sie mich – fühlen Sie nicht, wozu Sie mich zwingen? Ihr Opfer konnte nur einen Zweck haben, dieser Zweck ist halb erreicht, er wird es bald ganz sein! Glauben Sie, daß ich die Hand festhalten werde, die Sie mir nur boten, um mich aus den Wellen zu ziehen? Dann erniedrigen Sie mich doch tiefer in Ihren Gedanken, als recht ist! Aber ich wäre vielleicht schwach genug, es so lange zu tun, bis eine andere ihre Rechte geltend machte – ich hätte den Ring, den Sie mir heute aufsteckten, vielleicht so lange getragen, bis ich die Hand, die er auf ewig schmücken soll, erblickt hätte – Sie wollen's nicht.

Graf Bertram. Ich will! (Für sich.) Ich muß mich zum letzten entschließen, sie muß mich sehen, wie ich bin! Nun wahrlich, nur ihr möcht' ich das ersparen, nicht mir selbst! (Zu Julia.) Nun aber auch doch Wort gegen Wort?

Julia. Was Sie voraussetzen, ist unmöglich. Ist unmöglich, auch wenn er sich rechtfertigen könnte. Zweifeln Sie nicht! Aber es ist nicht unmöglich, daß er zurückkehrt; ich stand ja noch nicht an seinem Grabe! Wenn ich ihn wiedersehe – er kann mir ja noch einmal in einer Kirche das Weihwasser reichen, er kann sich noch einmal in meinen Garten schleichen – wenn das geschieht, so werden Sie's erfahren!

Graf Bertram. Ich danke Ihnen! (Für sich.) Und nun eine Leichenöffnung, damit sie – Sie wird schaudern, aber sie darf nicht länger in den Ketten eines übermenschlichen Edelmutes zu gehen glauben, ich muß sie frei machen, um welchen Preis es auch sei! – (Zu Julia.) Julia, haben Sie nie gehört, daß es Menschen gab, hohle, ausgekernte, todesbedürftige Menschen, die einen Mord begingen, um nur ihres Lebens los zu werden?

Julia. Ich hatte eine alte Amme, die mir, seit sie blind und furchtsam geworden war, denn früher tat sie's nicht, aus ihrem Kauerwinkel heraus alles Schreckliche erzählte, wovon sie je gehört hatte, aber das war nicht darunter. Nein, das nicht.

Graf Bertram. Es kommt vielleicht in einem Lande nicht vor, wo die Sonne alle Tage scheint. Gleichviel! Bei uns, wo das Lichtscheue besser gedeiht, wo Schierling und Bilsenkraut so hoch aufschießen, daß man sich darunter niederlassen und träumen kann, gibt es Menschen, die das tun! Mancher Rabenstein kann es bezeugen! Wie, wenn's auch solche gäbe, die mit einem verlassenen Mädchen eine Ehe schlössen, weil sie hofften, daß der Geliebte, dessen Stelle sie sich anmaßen, zürnend wiederkehren, daß er ihnen den Selbstmord, auf den sie bis dahin nicht einmal ein Recht zu haben glaubten, zur Pflicht, zur heiligen Pflicht machen könnte – wie dann? Julia, wie dann?

Julia. Die, der das begegnete, würde sich anfangs entsetzen und wähnen, daß ihr Unglück frevelhaft gemißbraucht worden sei, aber das, Sie sehen es, würde nicht lange dauern, sie würde bald den Grund eines so ungeheuren Schrittes ahnen –

Graf Bertram. Ja?

Julia. Sie würde es fassen, daß der Ekel vor der Schlechtigkeit der Menschen in einem edlen Gemüt bis zum Grauen vor dem Dasein, bis zur herben Unempfindlichkeit gegen die leuchtende Schönheit der Welt steigen kann. –

Graf Bertram. Reden Sie nicht aus! Sie verstehen mich nicht!

Julia. Sie würde nicht zürnen, sie würde nur mitleidig weinen und sich bestreben, den Unglücklichen zu heilen, ihn dadurch zu heilen, daß sie sich von den anderen Menschen ein wenig, ein ganz klein wenig zu unterscheiden suchte!

Graf Bertram. Sie sind – Ich muß einen andern Weg wählen! Der Alte ist noch da, ihm will ich vertrauen! (Ab.)

Dritte Szene.

Julia (allein). Wohl sind sie unergründlich, die Verschlingungen des Lebens! Wie das jetzt weiter geht, immer weiter! Schließt die Augen! Der Abgründe sind zu viele, um den Sturz zu vermeiden! Da ist's besser, gar nicht zu sehen!

Vierte Szene.

Christoph (tritt ein). Gnädige Frau – ich kann den gnädigen Herrn nur nicht finden, sonst hätt' ich ihn erst gefragt, ob ich auch dürfe!

Julia. Was denn, Alter?

Christoph. Den Fremden melden, der durchaus zu Ew. Gnaden will!

Julia. Zu mir? Ein Fremder? Du irrst dich!

Christoph. Nein, o nein! Aber sonderbar genug ist es, nicht wahr? Kaum sind wir hier, ich habe noch nicht einmal nach der kleinen Birke gesehen, die ich bei der Abreise pflanzte, ich weiß es noch nicht, ob ich die Wette, die ich mit dem Verwalter über meinen Raben einging, verloren oder gewonnen habe, und schon klopft einer von den Schwarzköpfen, wie sie nur unter den Zitronen aufwachsen, bei uns an und stört uns, wenigstens mich, denn ich war gerade im Garten beschäftigt, für Ew. Gnaden einen Strauß zu pflücken!

Julia (für sich). Sollte es – Nein! Nur das nicht! Nur das nicht! Wo ist er?

Christoph. Wahrscheinlich vor der Tür! Er war von seinem Verlangen nicht abzubringen und wurde nur um so hitziger, als ich ihm sagte, daß es wenigstens heute unmöglich sei, weil Ew. Gnaden Ihre Hochzeit feierten! Er wolle und müsse Sie sprechen! rief er aus und trat die Tuchnadel, die ihm währenddem entfiel, und nach der ich mich niederbückte, mit Füßen, der jüngste Tag sei angebrochen, und ich möge meine Pflicht tun! Was sollt' ich machen? Ich ging, aber erst zum gnädigen Herrn! Doch den traf ich nicht in seinem Zimmer und –

Fünfte Szene.

Antonio (tritt ein).

Christoph. Da ist er schon!

Julia. Geh! Ich kenne diesen Herrn!

Antonio. Ich danke Ihnen, Frau Gräfin, daß Sie sich meiner erinnern! Sie hätten sich ja auch mir ins Angesicht verleugnen können! (Zu Christoph.) Nun?

Christoph. Der muß ans Befehlen gewöhnt sein! (Ab.)

Antonio. Also hier ist das Land, wo die Toten auferstehen? O, daß ich einen Bach sähe, Wolken, die der Wind verweht, Wellen, die er hinunterjagt, etwas Flüchtiges, Enteilendes, Veränderliches, nicht so viel Starres, Stockendes! Es bringt mich um! Diese Züge sind dieselben, diese Augen können mich noch einmal – Weib, alles hat sich an dir verwandelt, warum nicht auch das Gesicht?

Julia. Nicht diesen Ton! (Für sich.) Und doch! Und doch! Würde er ihn annehmen, wenn er nicht unschuldig wäre? Wohl mir, ich soll nicht einfrieren in dem letzten Gefühl, das ich von ihm hatte!

Antonio. Reden Sie, in welchem Tone Sie wollen, nur reden Sie!

Julia. Ich dächte, das wäre an Ihnen!

Antonio. O! Was ich zu sagen habe, ist geringfügig. Von einer Wunde könnte ich sprechen, die ich in dem Augenblick erhielt, wo ich mich zu dem Rendezvous mit Ihnen auf den Weg machen wollte – sie ist wieder geheilt, obgleich sie tief genug war, um mir für den Rest meiner Lebenszeit die Aderlässe zu ersparen. Von einem Selbstmordsversuch an dem Grabe, das ich – ha, ha, ha! für das Ihrige halten mußte – er wurde durch den alten Diener Ihres Vaters vereitelt, der, als ich mich in die weiche Erde über Ihrem leichenlosen Sarg eben mit halbem Leibe hineingewühlt hatte und nun den Hahn meiner Pistole aufzog, hinter einem Grabstein hervorstürzte und mir zähneklappernd zuschrie, Sie lebten noch. Von einem Griff an die Kehle des feigen Plauderers, durch den ich ihn so ich Schrecken jagte, daß er sich gegen mich ausschüttete, als ob ich sein Beichtvater wäre – das alles versteht sich von selbst, denn wie hätte ich Ihren gräflichen Sitz entdecken sollen, wenn er mir ihn nicht aus Respekt vor meiner Pistole verraten hätte! Wer wird bei solchen Alltäglichkeiten verweilen, wo es Wunder aufzulösen gibt! Und Ihr Scheinbegräbnis, Ihre Auferstehung von den Toten, Ihre Heirat, das sind Wunder, über die ich meinen Verstand verlieren werde, wenn Sie den Ihrigen nicht verloren haben.

Julia. Sie sprechen von einem Rendezvous. Ich verzeihe Ihnen das. Aber, was bedeutet es, dies Rendezvous? Warum bewilligte ich es Ihnen? Wozu war ich bereit?

Antonio. Sie wollten mir folgen!

Julia. Und was, was konnte mich zu einem Schritt drängen, der für ein Mädchen so ungeheuer war, daß Sie selbst ihn im Anfang nicht ohne Zittern von mir zu verlangen wagten?

Antonio. Der Wunsch, dacht' ich, mir den höchsten Beweis Ihrer Liebe zu geben, das Gefühl, mir ihn schuldig zu sein!

Julia. Nein! Das Bewußtsein, Ihnen ihn schon gegeben zu haben!

Antonio. Wie?

Julia. War es edel, mich so weit zu bringen, daß mir keine Wahl mehr blieb? War es auch nur stolz?

Antonio. Julia, das hab' ich nicht geahnt! Das hast du mir nicht –

Julia. Das hättest du ahnen sollen! Das lag in meinem Entschluß! Hätt' ich meinen Vater verlassen können, wenn ich mir nicht hätte sagen müssen, daß mein Bleiben ihm ein noch größeres Leid bereitete, als meine Flucht?

Antonio. Und wenn – Nichts in der Welt kann mein Weib rechtfertigen, daß sie das Weib eines andern geworden ist. Nichts in der Welt, und das am wenigsten!

Julia. Nichts in der Welt, wenn sie es anders als zum Schein geworden wäre!

Antonio. Wie? Versteh' ich dich? (Faßt ihre Hand.)

Julia. O nein! Zurück! Zwischen dir und mir steht mein Gemahl!

Antonio. Ha!

Julia. Steht mein Gemahl, wie du zwischen ihm und mir!

Antonio. Wie ich zwischen ihm und dir? Dann lagst du nie an seiner Brust! Kannst du mir das schwören?

Julia. Nein! Denn einmal geschah's! Aber es war den Abend, als die Grabgesänge, die mir galten, auf der Straße angestimmt wurden, als der Flackerstrahl der Leichenfackeln grell durch das Fenster drang, von dem aus und, die Lebendige, auf das Begräbnis herabsah, das ein unerbittlicher Vater mir trotz meiner Zurückkunft ausrichten ließ. Wie aus dem hungrigen Bauch der Erde herauf schien mir dies dumpfe de profundis zu dringen, ich dachte, sie werde sich gleich schütteln und einen ihrer Toten wecken, damit er seine Knochen zusammenlese und klappernd hinter mich trete, um mich in ihren hungrigen Schlund hineinzuscheuchen, mir war, als müßte ich aus dem Fenster springen und dem Zug voraneilen. Ich taumelte, ich sank um, und mein Gemahl, der edle Mann, der jetzt mein Gemahl ist, fing mich in seinen Armen auf!

Antonio. Das hieß, zwischen deinen Kopf und den nächsten Tisch treten, an dem du dir ihn sonst vielleicht zerschlagen hättest. Dafür bin ich ihm verpflichtet, es ersparte dir eine Wunde, auf die eine Narbe gefolgt wäre! Aber nun das Wort – das Rätsel hab' ich. Du sprachst von deiner Zurückkunft, du mußt also auch von deiner Flucht sprechen können!

Julia. Bleiben konnt' ich nicht, du weißt warum, darum mußt' ich fliehen!

Antonio. Wohl! Weiter! Gibt's kein Wort, das alles auf einmal sagt?

Julia. Du hattest mir einen Namen genannt, eine Stadt –

Antonio. Den Namen, den ich führe, die Stadt, in der ich geboren bin!

Julia. Ich suchte sie auf, diese Stadt. Niemand kannte dich!

Antonio. Weil ich sie als Kind schon – Was liegt daran? Fahr' fort!

Julia. Ich hatte dich dort nicht lebendig, aber tot zu finden gehofft, ich hatte den Kirchhof, an dem ich vorbeikam, eher betreten, als die Straßen, ich hatte die neuen Gräber ein nach dem andern besucht und die Inschriften gelesen!

Antonio. Halt ein!

Julia. Dein Grab war nicht darunter, ich konnte mich also auch nicht darauf niedersetzen und mich erhungern!

Antonio. Ha! Alles das, alles das, und doch –

Julia. Wo warst du, als ich – Warum bliebst du jenen Abend aus? Warum all die Abende, die ihm folgten?

Antonio. Ich lag verwundet, auf den Tod verwundet, du hörtest es schon!

Julia. Ich hörte es. Warum schicktest du keinen Boten?

Antonio. Wem sollte ich trauen? Wen von meinen Teufeln durfte ich – Der Beste wäre dem Schlechtesten gleichgeworden, wenn er dich erblickt hätte! Er hätte dich verlockt, mit ihm zu gehen und mir bei der Zurückkunft vielleicht grinsend deine Ohrringe hingeworfen! Wer wär' auch nur gegangen! Nur weil sie meine Schritte ausgekundschaftet hatten, weil sie ahnten, daß ich ein neues Leben in einem neuen Weltteil anzufangen und nie mehr zu ihnen zurückzukehren dachte, vertraten sie mir in offener Empörung mit dem Dolch in der Faust den Weg und warfen mich nieder.

Julia. Mensch, was redest du?

Antonio. Tritt drei Schritte zurück, schrei um Hilfe, ich bin ein Räuberhauptmann aus den Abruzzen!

Julia (schnell). Leise! Aber weiter, weiter! Denn du mußt viel, sehr viel hinzuzufügen haben!

Antonio. Ich habe nichts hinzuzufügen, denn ich kann nicht sagen, daß ich log.

Julia. Und ich, ich kann nicht glauben, daß du raubst und mordest, wie andere jagen und fischen, ich kann nicht glauben, daß ich mich so ganz in dir getäuscht habe, ich kann nicht glauben, daß sich ein Mensch so ganz in dem andern täuschen kann!

Antonio. Höre, wie ich's wurde, vielleicht entschuldigt's, daß ich's bin! Mein Vater war dasselbe, mein Los war entschieden, ehe ich meinen ersten Gedanken dachte!

Julia. Wehe der Welt, daß das möglich ist!

Antonio. Und wehe dem Menschen, den es trifft! Doch dauerte es lange, ehe ich mir des Fluchs meiner Geburt bewußt ward, und mein Vater tat alles, um es mir auf immer zu verbergen, aber es war umsonst! Er ließ mich in tiefster Einsamkeit bei einem alten Köhler aufziehen, der nichts von ihm wußte, als daß er geächtet war und bei den Tieren der Wildnis die Zuflucht suchen mußte, die er bei den Menschen verwirkt hatte. Ich wuchs in einem Walde auf, wegen dessen die Landstraße selbst furchtsam einen Umweg macht, und in den sich sogar der Sonnenstrahl, dem doch niemand sein Gold rauben kann, nur selten hinein verirrt; ich lernte alle Schlangen eher kennen, als einen einzigen Schmetterling. Mein Vater ging ab und zu; zuweilen kam er oft und blieb lange, dann lehrte er mich Schießen und Fechten, auch Lesen und Schreiben und manches mehr; zuweilen verschwand er ganz, dann sagte der Köhler: nun haben sie ihn wohl erwischt, und hielt mich noch fleißiger wie sonst zum Beten an. So legte ich ein Jahr nach dem andern zurück; mein Vater erschien trotz der ängstlichen Zwischenpausen immer wieder, verriet mir aber, auch wie ich größer und größer wurde, nicht das mindeste von seiner Hantierung, nur das kommt mir in der Erinnerung unheimlich vor, daß er mir einst sein Messer, aus seinem gewöhnlichen finstern Brüten plötzlich auffahrend, mit zorniger Heftigkeit entriß, als ich es vom Tisch, an dem er saß, wegnahm, um eine Melone damit zu zerteilen.

Julia. Ha! Da dämmert's!

Antonio. Dagegen gingen wir nun, wenn er da war, zusammen auf die Eberjagd, und als ich mich dabei eines Tages besonders gut hielt, rief er aus: »Nun ist der Soldat bald fertig!« »Ein Soldat? – fragt' ich und sah von dem Eber, in dessen Eingeweiden ich wühlte, auf – was ist das?« »Ein Kerl im bunten Rock – versetzte er – der so auf Menschen losgeht, wie du auf wilde Tiere, und der um so höher geschätzt wird, je ärger er's treibt; willst du nicht einer werden?« Gewiß hatte er nur darum beizeiten einen guten Jäger aus mir gemacht, damit ich mich später um so besser zum Soldaten schicken möge, und vielleicht war der Tag, an dem er mich aus der Einsamkeit in die Welt entlassen wollte, schon nahe genug, aber alles schlug zum Unheil aus. Einmal war ich allein in den Wald gegangen, und als ich von meiner Streiferei zurückkehrte, die Büchse noch geladen im Arm, und ungeduldig noch auf dem Heimweg nach etwas Hüpfendem und Springendem herumspähend, das den gesparten Schuß wert sei, da sah ich die Köhlerhütte von Buntröcken umringt, die wirklich so auf meinen Vater losgingen, wie ich damals auf den Eber. Er wehrte sich tapfer, aber ihrer waren zu viele, sie wurden Herr über ihn und warfen ihn zu Boden; ich legte an, ich drückte ab, und ich glaubte zu tun, was niemand schelten könne. Es stürzte einer, und mein Vater erhub sich wieder; aber er entsetzte sich, als er mich erblickte, und gebot mir mit Angst, ja mit Zorn und Wut, zu fliehen. Ich gehorchte nicht, ich lud aufs neue, doch ehe ich noch einmal abdrücken konnte, ward ich hinten von einem starken Arm gepackt und ins Gebüsch gerissen. Ein häßlicher Mensch von riesigem Knochenbau hatte mir diesen unwillkommenen Dienst erwiesen; kannst du nicht zählen? – sprach er mit heisrer Stimme – wie wäre der noch zu retten? nur rächen kann man ihn! Ich kannte den Menschen, er war mir schon hin und wieder im Walde begegnet, aber er war mir immer mit sonderbarer Scheu ausgewichen und hatte sich sogar, als ich ihn einmal anredete, taub und stumm gestellt. Ihm und allen seinen Kameraden war es, wie ich später erfuhr, bei Todesstrafe von meinem Vater verboten worden, mich anzusprechen, oder mir auch nur Antwort zu geben, und das rührte ich tief, denn es bewies mir, wie ernst es ihm darum zu tun gewesen war, mein Schicksal von dem seinigen zu trennen. Jetzt ab der Mensch sich mir als einen Gefährten meines Vaters kund und berichtete mir mit schlecht verhehlter Schadenfreude alles, was ich nicht wußte, und was ich nie hätte erfahren sollen. Ich hörte mit Schaudern von ihm, daß ich nicht eine heilige Pflicht erfüllt, sondern ein todeswürdiges Verbrechen begangen hatte, als ich meinen Vater verteidigte, dann fuhr er mir frech mit seinen steifen Fingern durch die Haare und rief: dieser Kopf gehört jetzt nicht mehr dir, und es handelt sich nur noch darum, ob du ihn gleich jetzt höflich hergeben oder wie teuer du ihn verkaufen willst. Ich stieß mit dem Fuß nach ihm, als ob er mich zu dem gemacht hätte, was ich so plötzlich geworden war, ich legte die Büchse auf ihn an. Hei, noch seh' ich ihn, wie er vor mir zurückwich, und wie die magere Schlange auf die er trat, als er's tat, sich ihm zischend und züngelnd ums Bein flocht!

Julia. Aber du stießest ihn nicht immer mit dem Fuß!

Antonio. Wie sollt' ich! Da stand ich – ausgestoßen aus dem Kreise der Menschheit – jeder Arm gegen mich, den Mörder, bewaffnet – mußt' ich nicht schwindeln, wie bei einem Erdbeben, mußt ich die einzige Hand, die mir geboten ward, nicht ergreifen? Ja, ich hörte zu beten auf, und ich fing erst wieder an, als ich dich zum erstenmal – Was soll's! Es war ja auch Narrheit!

Julia. Antonio!

Antonio. Auf jenen düstern Tag folgte ein zweiter! Ich sah das Haupt meines Vaters fallen! Fühlst du, was das heißt? Ihn hatte ich nie einen Tropfen Bluts vergießen sehen, das seinige sah ich in dickem Strahl aus dem kopflosen Rumpf, wie aus einem Springbrunnen, fast lustig himmelan steigen! Es war sn einem schönen Morgen, die Sonne beschien den Henker und sein Opfer hell und freundlich; du pflücktest vielleicht um dieselbe Stunde frische Blumen in deinem Garten. Ich hatte mich nicht zu diesem furchtbaren Schauspiel gedrängt, ich war durch ungereimte Vorspiegelungen dahin gelockt worden, man hatte mir von der Möglichkeit einer Befreiung gesprochen, es war lächerlich! Aber was man wirklich beabsichtigt haben mochte, das erreichte man, ich wurde vom Wirbel bis zur Zehe mit Wut und blindem Rachedurst erfüllt, ich schwur – was ich leider hielt, was ich so gut hielt, daß die Teufel um mich herum bald vor mir zu zittern anfingen, wie die Welt vor ihnen, und mich zu ihrem Anführer machten.

Julia. Ich schaudre! Doch ich fasse das!

Antonio. Und fassen wirst du's auch, mit welchen Empfindungen ich an deinen Vater dachte, wenn du vernimmst, daß er, er den meinigen so weit –

Julia. Nimmermehr!

Antonio. Man sagte mir, daß mein Vater den Namen Tobaldi sehr oft und nie ohne Fluch und Zähneknirschen im Munde geführt, man wollte etwas wissen, von einer verratenen Verschwörung und einer darauf erfolgten Ächtung, und immer klang dieser Name schrecklich und widerwärtig durch.

Julia. Wie hieß dein Vater?

Antonio. Grimaldi!

Julia. Grimaldi!

Antonio. Du kennst den Namen! Du fährst zusammen!

Julia. Ich kenne ihn, mein Vater hat ihn genannt, aber wahrlich nicht in dem Judaston, durch den sich ein verletztes Gewissen verraten mag!

Antonio. Vielleicht war der Haß ungerecht, oder zu stark, denn du, du bist die Tochter Tobaldis, doch darnach fragt' ich nicht, ich übernahm ihn, wie eine heilige Erbschaft und –

Julia. Du schwurst uns Rache und Tod!

Antonio. Ich tat's, ich betrat die Stadt, in der dein Vater lebte, nur um ihn zu verderben, es sollte mein letztes Geschäft sein, es war mir gleich, ob man mich dabei ergriff. Ich kam, ich sah dich! Ja, Weib, es ist wahr, ich habe unwillkürlich die Hände gefaltet, als ich dich erblickte; denn wie du so heraustratst auf den Balkon, vom Frühlicht umflossen, die Rose in der Hand und freundlich auf mich herabsehend, da war es mir, als schaute ich zum erstenmal in den blühenden Garten der Welt hinein, durch ein eisernes Gitter zwar, das mir den Eintritt wehrte, aber doch mit hellem Auge, mit erfrischtem Sinn. Das geschah, ehe ich wußte, wer du warst!

Julia. Und als du's erfuhrst?

Antonio. Da habe ich anfangs mit meinem Herzen gegrollt und ihm den Entschluß, deinen Vater doch niederzustechen, sobald ich ihn träfe, wieder abgetrotzt, auch hätte ich das getan, wenn ich sah, daß sein Blick leuchtete, daß seine Brust sich stolz und übermütig erhob, als ich dich verwirrt und entzückt betrachtete, ich schaute in seine Seele hinein und entdeckte den Punkt, wo er am verwundbarsten war. Nun rannen in meiner Brust die widersprechenden Gefühle, die sich bis dahin auf Tod und Leben bekämpft hatten, ineinander, ich glaubte, daß dem Haß, den ich nicht unterdrücken durfte, und der Liebe, die ich nicht unterdrücken konnte, zugleich genügt werden könne; ich setzte sich zum Zeichen, ob Gott und Welt noch zu versöhnen seien; ich dachte: wenn die dir lächelt, wenn die dir folgt und ihn verläßt – – Ha, du hast mir gelächelt, du warst bereit, mir zu folgen, und nun bist du das Weib eines andern!

Julia. Ja, aber eines Mannes, der zwischen mich und den Tod trat, als er schon in Gestalt eines Mordknechts neben mit stand, den ich selbst in meiner Verzweiflung so lange gereizt und herausgefordert hatte, bis er in einsamem Walde den Dolch gegen mich zückte –

Antonio. Ha!

Julia. Eines Mannes, dem ich fremd und unbekannt war, der nichts für mich empfand, nichts von mir verlangte und mir doch in großmütigem Mitleid seine ganze Zukunft zum Opfer brachte –

Antonio. Er sah dich aber doch in dem Augenblick, wo er's tat, nicht wahr?

Julia. Eines Mannes, der mich ernst, wie ein Engel des Gerichts, an das heilige Doppelleben in meinem Schoß mahnte, als ich zögerte, sein Opfer anzunehmen, und der – jetzt wirst du auf deine Knie fallen und vor ihm vergehn, wie vor Gott! – der mir heute zur Krönung seines Werkes nach kaum vollzogener Trauung das Versprechen abdrang, ihm – doch nein, nein, was mach' ich da, das darf er nie hören oder erst spät!

Antonio. Ich brauche nur eins noch zu hören. Liebst du ihn? Einer von uns muß aus der Welt, er oder ich. Von deiner Antwort hängt es ab, wer!

Julia. Antonio, wenn du ahntest –

Antonio. Ich ahne genug, du stockst, du umgehst die Antwort! Wenn du Nein sagen könntest, so würdest du auch Nein sagen müssen! Er hat nichts von dir verlangt? Daran tat er wohl! Das war ja, ich seh's, das sicherste Mittel, alles von dir zu erhalten! Alles! alles! So viel, daß nicht bloß ich, daß selbst dein Schutzheiliger eifersüchtig auf ihn werden muß. Er hat nichts für dich empfunden? Wie, wenn das Heuchelei gewesen wäre? Wen er sich bloß so gestellt hätte, sich noch so stellte? Der Blitz der Liebe zündet rasch! Das weiß ich, ich. Wie lange Zeit brauchte er denn, um aus meiner Brust eine ganze starre Welt von Haß und Rache hinwegzuschmelzen!

Julia. Nichts weiter! Daß die Reue dich nicht zu tief brenne, wenn du ihn kennen lernst!

Antonio. Wenn ich ihn – Aber ward denn je ein Mensch so – Jedes Wort ihres Mundes ist eine Verklärung für ihn! Wenn ich ihn kennen lerne, so werd' ich ihm eine Frage vorlegen, eine einzige, ich werde –

Julia. Du wirst nicht! Du wirst schweigen, du wirst jetzt gehen, oder noch einmal und auf ewig verlieren, was du – was du vielleicht wieder gewonnen hast!

Antonio. Auf ewig, was ich wieder – So hab' ich noch nicht alles verloren? So willst du mit mir fliehen? So darf ich dich heut abend im Garten erwarten?

Julia. Nein! Nimmermehr! Darfst du das denn fordern? Hast du nicht so gut, wie ich, die Pflicht zu büßen? Hast du ein Recht auf Glück?

Antonio. Ja! Ja! Wer seine Vergangenheit so ganz hinter sich geworfen hat, wie ich, wer sich selbst in dem Augenblick frei von ihr fühlt, wo sie ihm die letzte höhnische Fratze schneidet und die ganze Zukunft hinunterzuknirschen droht, der mag sich verirrt haben, wie weit er will, er darf so antworten!

Julia. Er kann das Schicksal aber nicht zwingen, ihm die Probe zu erlassen! Laß uns sie bestehen, laß und scheiden! Wir müssen's, und je mehr es uns kostet, um so leichter sollt' es uns werden!

Antonio. Was dir leicht wird, sollte mir nicht schwer fallen! Recht! Recht! Nun, wer weiß, was ich tu, wenn mein Geschäft hier beendigt ist! Vielleicht ist mir der Gedanke doch zu peinlich, daß ich für dich nur einer unter vielen war, während du für mich die einzige unter allen gewesen bist. Dann geh' ich nach Italien zurück und bezahle alte Schulden mit meinem Kopf. Vielleicht – es wird sich finden! Aber vorher muß mein Geschäft beendigt sein, vorher muß ich –Heilige entlarven! Einen gewiß, und wer weiß, ob nicht zwei! Denn daß sich unter einem so übermenschlichen Edelmut der feigste Eigennutz versteckt, ist sicher, es könnte sich aber auch unter einer so glühenden Verehrung eine zitternde Liebe verbergen, und das –

Julia. Allmächtiger Gott! Er kommt!

Sechste Szene.

Graf Bertram und Alberto (treten ein).

Antonio (tritt dem Grafen entgegen). Das muß ich wissen! Herr Graf – Nicht wahr, Sie sind doch der Gemahl dieser Dame –

Graf Bertram. Aber Sie, wer sind Sie?

Antonio. Ich bin derjenige, auf dessen Kosten Sie – Sehen Sie Ihre Gemahlin an und Sie werden die Frage nicht wiederholen! Dagegen muß ich, ich an Sie eine stellen. Warum –

Julia (entreißt ihm seinen Dolch). Ich töte mich, wenn du ihn zwingst, sich zu töten.

Antonio. Wenn ich ihn zwinge, sich zu töten? Ich wüßte nicht, wie mir so viel Macht über ihn kommen sollte.

Alberto. Was geht hier vor?

Graf Bertram (zu Alberto). Ich ahne schon alles, wenn ich auch noch nicht begreife, wie es zusammenhängt. Meine Reue ist ernst, darum wird meine Buße nicht verschmäht! Wenn ich jetzt zwischen den zwei Pistolen zu wählen hätte, ich würde mich nicht wieder vergreifen! Das fühl' ich! Julia, dieser Mann –

Julia. Geht Sie nichts an, geht mich –

Antonio. Auch nichts an? Weib, wage nicht zu viel! Ich könnte dich früher, als dir's lieb wäre, zur Witwe machen! Nicht durch einen Dolchstoß um Mitternacht, aber – – (zu Graf Bertram.) Nicht wahr, wenn ich nicht freiwillig abtreten wollte, was mir gehörte, so würden Sie mir doch erlauben, einmal auf Sie zu schießen? Wenigstens hat man mir gesagt, daß ihr das so unter euch verhaltet, und wer, wie ich, den Habicht im Fluge zu treffen pflegt, der würde nicht fehlen, wenn er – (zu Julia.) Fürchte nichts! Ich will nicht mich, ich will nur noch die Heiligen rächen, ich will die Glorie um eine Gleißnerstirn auslöschen, und dich, dich zwingen, die Gefühle, die du im Busen hegst, auch mit dem Munde zu bekennen! Und also –

Julia (wirft den Dolch weg). Sprich!

Antonio (zu Graf Bertram). Wenn Sie dies Weib wirklich bloß, wie Sie vorschützten, dem Untergang entziehen wollten, warum führten Sie es nicht zu Ihrer Schwester oder Ihrer Mutter, warum, wenn Sie das nicht konnten, nicht in ein fremdes Haus, warum schlossen Sie mit ihm den einzigen Bund, der unter Menschen unauflöslich ist, den Bund der Ehe? Und wenn Sie es liebten, warum heuchelten Sie, warum suchten Sie ein Herz durch falsche Künste zu bestricken, das sonst, ich muß es noch jetzt glauben, da Sie sich doch nicht ohne Not zu einer Gaukelei verstanden haben werden, wohl nie das Ihrige geworden wäre? Was gab Ihnen ein Recht zu so unehrlichem Spiel?

Julia (tritt dicht vor Antonio hin). Knie nieder, wühle dich noch einmal in die Erde hinein und komm' nicht wieder hervor, tu das Gelübde, nie mehr zur Sonne aufzusehen und die Augen jedesmal zu schließen, wenn dein Blick auf eine Blume fällt!

Graf Bertram. Halten Sie ein!

Julia. Nein! Nein! Ich wollte Ihnen das Versprechen, das Sie von mir forderten, nicht geben, weil ich seine furchtbare Bedeutung verstand, denn ich konnte nicht wissen, wie leicht man mir's machen würde, es zu halten!

Graf Bertram. Nicht weiter!

Julia. Doch! Doch! Ihre Ahnung trog Sie nicht; Der, dem dies Versprechen galt, ist erschienen, aber nicht, um ein Schicksal, das er selbst heraufbeschwor, würdig und still dahinzunehmen und sich im Moment des Scheidens wieder für ewig in meine Seele einzuzeichnen, sondern um roh und gewaltsam den letzten Faden zu zerreißen, der mich, mir selbst unbewußt, im tiefsten Innern noch an ihn knüpfte! Ja, so war's, ich darf es jetzt bekennen; denn es ist vorbei! Als ich ihn wieder sah, als es sich verteidigte und mich anklagte, als seine Schuld sich in ein ungeheures Unglück zu verwandeln schien, da fing ich schon an zu fürchten, daß Sie mein Herz besser verstanden hätten, als ich selbst, und wenn er nun gegangen wäre, wie er gehen mußte, so würde ich Ihnen nie, nie verraten haben, was ich empfand, aber gewiß hätte ich ihm in mancher Nacht heiße Tränen nachgeweint! Doch jetzt – jetzt –

Graf Bertram (leise). Auch jetzt verstehe ich dein Herz besser, als du selbst, und danke dem Himmel für die leidenschaftliche Regung, in der es sich mir bloßlegt.

Julia (zu Antonio). Und nun die Antwort für ihn! Warum er tat, was er tat, und nicht, was du getan hättest? Weil er nicht bloß einen Doppelmord verhüten, weil er zugleich dem Vater die Tochter, dem Weibe die Ehre retten, und weil er – jetzt wird's dir sein, als ob du ihn Flügel bekommen sähest – aus der Welt gehen wollte, wenn du wiederkehrst, um dir die Mutter deines Kindes zurückzugeben!

Graf Bertram. Fügen Sie noch hinzu, daß ich ausgezogen wäre, ihn zu suchen!

Antonio. Wenn es einen Menschen gibt, der einer solchen Tat fähig ist, so war ich ein eitler Prahler, als ich erklärte, ich sei des Glücks noch würdig. Das kann ich nicht fassen und noch viel weniger vollbringen!

Julia. Darin sieh dein Gericht!

Antonio. Und du meine Entschuldigung! Aber – es gilt die Probe!

Julia. Die Probe?

Graf Bertram (zu Antonio). Sie meinten, ich würde Ihnen die Erlaubnis erteilen, auf mich zu schießen, wenn Sie's verlangten! Das werde ich nicht tun, denn es würde schreckliche Folgen für Sie haben, wenn Sie träfen! Aber ich werde auf mich selbst schießen, sobald Sie wollen!

Antonio. Gibt es solche Menschen auf der Welt? Was bin denn ich?

Julia (zu Graf Bertram). Sie fühlen doch, daß mein Tod sogleich auf den Ihrigen folgen wird?

Antonio (zu Julia). Fürchten Sie nichts! Ich gehe, und Sie sehen mich niemals wieder! Niemals! (Zu Graf Bertram.) Umarmen Sie Ihre Gemahlin! Ihre Gelübde gelten nicht mehr, ich stoße sie um, ich gebe meine Rechte auf! (Zu Julia.) Alle! alle! Sogar das Recht auf einen Platz in Ihrem Gedächtnis! Vergessen Sie mich! Und wenn Sie das nicht können, so denken Sie an mich, wie an einen Menschen, der sich durch seiner Hände Arbeit im Schweiß seines Angesichts sein Brot erwirbt! Denn das werd' ich tun! Ich werde mit dem nächsten Tagelöhner, den ich auf dem Acker erblicke, die Kleider wechseln und dann die Erde bauen, wie er! Je drückender das Leben mir wird, je mehr es mich anekelt, um so sorgsamer will ich's pflegen, um so mühseliger die Mittel, es mir zu erhalten, herbeischaffen. Das soll meine Buße sein! Es ist die schwerste!

Julia. Das ist der Mensch, den ich liebte!

Graf Bertram (leise). Und liebe! Zum Ende! (Zu Alberto.) Lösen Sie die Verwirrung! Erklären Sie meine Tat! Ich habe mich Ihnen anvertraut, Sie können's!

Alberto. Sie erwarten zu viel von mir!

Graf Bertram. Sagen Sie, daß ich der edle Mensch nicht bin, für den man mich hält!

Alberto. Das kann ich nicht!

Graf Bertram. Nun, so kann ich's selbst!

Antonio (zu Julia). Leben Sie wohl!

Julia (streckt ihm die Hand entgegen). Und – du tötest dich nicht? Du kehrst nicht nach Italien zurück!

Antonio. Nie! Nie! (Will gehen.)

Graf Bertram (leise). Wie sie für ihn zittert! Wohl! (Tritt Antonio in den Weg.) Bleiben Sie! Hören Sie! (Zu Julia.) Sie meinen, ich will aus der Welt gehen, weil die Welt zu schlecht für mich ist? Sie irren sich, es treibt mich fort, weil ich zu schlecht für die Welt bin! (Zu Antonio.) Sie halten mich für den ersten der Sterblichen? Wie, wenn ich's nur deswegen schiene, weil ich schon einmal der letzte war, wenn mein Gewissen mir die Tat, die Sie bewundern, als Strafe auferlegt hätte, als Strafe für eine andere, die Sie verabscheuen würden?

Antonio. Der Gedanke durchzuckte mich schon, aber ich schämte mich seiner und wies ihn ab!

Graf Bertram. Der Gedanke war der rechte! Erfahren Sie, was ich verbrach, und stellen Sie sich meiner Buße nicht länger entgegen! Ich habe einen Menschen getötet –

Julia. Unmöglich!

Graf Bertram. Doch! Mehr als getötet, ein stolzes, herrliches Geschöpf, das nicht alle Tage, ich muß es leider sagen, obgleich es meine Schuld erhöht, so aus den Händen der Natur hervorgeht, das vielleicht zu großen Dingen bestimmt war und durch mich – Sie schaudern schon, Sie wenden sich von mir ab, Sie treten dem Mann Ihrer Wahl nah! Ich halte inne, aber Sie müssen selbst erkennen, daß es nur ein Mittel gab, der Welt den Raub, den ich an ihr beging, zu ersetzen, und daß ich dies Mittel ergriff, als ich zwischen Sie und den Tod trat! Mache denn keiner meine Tat zur Torheit, hindre mich keiner an dem Schritt, den ich vollbringen muß, wenn ich von heute an nicht so zwischen Ihnen und dem Leben stehen soll, wie ich bisher zwischen Ihnen und dem Tod stand, folge mir keiner! (Will gehen.)

Antonio. Ich weiche nicht von Ihrer Seite! Wir alle haben zu büßen, und ich zumeist! (Zu Julia.) Ich werde über ihn wachen, als ob er mein Bruder wäre!

Julia. Vergib mir!

Alberto (zu Graf Bertram). Gehen Sie nicht zu weit! Ihre Schuld ist getilgt, mehr als getilgt! Sie haben der Welt ein Doppelleben erhalten, das ihr schon sicher verloren war, und Sie können doch nimmermehr glauben, daß Julia diesem Mann eine Hand, die nur durch das furchtbarste Mittel frei werden kann, reichen, oder daß er sie ergreifen wird! Ihr Blut oder ein Ozean zwischen beiden, ich denke, beides ist gleich!

Graf Bertram. Das ist wahr! (Leise.) Eben so wahr, als daß ich sterben muß! Ich werde Gemsen jagen, so lange Gemsen jagen, bis ein verunglückender Sprung mich zwingt, die Tiefe eines Abgrundes zu messen, aus dem man nicht einmal als Leichnam wieder heraufkommt! Keinen Monat soll's dauern! Und dann – Ha, es kommt mir doch vor, als ob noch etwas folgte, als ob, wer redlich büßte, irgendwo auf einen freundlichen Empfang rechnen dürfte. (Zu Alberto.) Sie haben recht! (Zu Antonio und Julia.) Wir bleiben beisammen, so lange das Schicksal will! Aber wenn ich sterben sollte, eines natürlichen Todes sterben sollte, so – das versprechen Sie mir beide –

Julia. Dann –

Antonio. Dann wollen wir uns fragen, ob wir noch glücklich sein dürfen!

Julia. Wir wollen uns fragen, ob wir noch glücklich sein können!


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