Friedrich Hebbel
Julia
Friedrich Hebbel

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Erster Akt.

(Zimmer im Hause Tobaldis.)

Erste Szene.

Tobaldi und Valentino.

Tobaldi. Nun? Immer noch keine Spur?

Valentino. Es ist unbegreiflich, wo das Fräulein –

Tobaldi. Wer spricht vom Fräulein? Kannst du es denn nicht behalten, einfältiger Mensch, daß meine Tochter krank zu Bette liegt und dem Tode nahe ist? Daß –

Valentino. Daß sie keine ihrer Gespielinnen sehen kann, weil die geringste Erschütterung die fürchterlichsten Folgen haben würde, daß – – und so weiter, o ich habe nichts vergessen, und weiß, was ich zu antworten habe, wenn ich über die Straße gehe und gefragt werde. Aber ich dächte, hier, unter uns, mit Ihnen allein –

Tobaldi. Und ich sage dir: Nein und noch einmal nein! Du sprichst mit mir, wie mit anderen, dann macht es nichts, wenn du einmal mit anderen sprichst, wie mit mir! – Also vom Papagei keine Spur?

Valentino. Nein!

Tobaldi. Das Schicksal trifft mich zu hart! Die Tochter heute und der Papagei morgen – es ist zu viel für einen Mann! Du hast bekannt gemacht, daß demjenigen, der mir den Vogel wiederbringt, eine Belohnung von zehn Dukaten gewiß ist?

Valentino. Bist jetzt nicht!

Tobaldi. Und warum nicht?

Valentino. Mir deucht, der Schmerz eines Vaters um die Tochter, und also auch die Krankheit der Tochter könnte verdächtig werden, wenn der Vater so viel Angst um einen entflogenen Papagei an den Tag legte!

Tobaldi. Esel, du solltest ausbringen, daß die Kranke in ihren Fieberträumen immer nach dem Papagei seufze, und daß mir deshalb alles daran liege, ihn wieder zu bekommen. Das sollte den Betrug – die Krankheit mein' ich, wahrscheinlicher machen. Hast du mich jetzt verstanden? Fort denn, und dann auf die Apotheke wegen der neuen Medizin!

Valentino. Um sie aus dem Fenster zu gießen, wenn sie da ist! Gut! (Ab.)

Zweite Szene.

Tobaldi (allein). Wer hätt' es je gedacht! Entlaufen! Die Tochter einer solchen Mutter entlaufen! Und das zwei Tage vor dem Rosenfest, wo sie als Marien-Jungfrau – – Gerade, als ob sie es aller Welt hätte kund tun wollen, mit wieviel Recht sie erwählt worden sei. Wer kommt da?

Dritte Szene.

Alberto (tritt ein). Guten Morgen, alter Freund!

Tobaldi. Guten Morgen, Doktor! Du kommst früh, freilich, freilich, einen gefährlicheren Kranken, wie mein armes Kind, wirst du nicht haben, der Tor – Doktor, ich zweifle nicht an deiner Kunst, du siehst es, ich rufe keinen deiner Kollegen herbei, mein Vertrauen in dich ist grenzenlos! – aber der Tod ist ihr gewiß, und ich denke, was meinst du? er kommt noch heut, wenn nicht zu Mittag, so doch wenigstens zu Abend!

Alberto. Tobaldi, ich mich dich endlich fragen: wie weiß denkst du's denn eigentlich zu treiben?

Tobaldi. Wie weit? Nun, wie weit treibt's eine Krankheit mit einem Menschen, wenn sie ihn nicht wieder aufkommen läßt? Sie macht Mist aus ihm, oder wenn du willst, Blumenfutter!

Alberto. Als ich an jenem Morgen zu dir kam, als ich dich, wie festgenagelt, auf deinem Stuhl sitzen sah, als du mich anfangs gar nicht zu erkennen schienst, dann aber plötzlich aufsprangst, mir um den Hals fielst und mich beschwurst, dir beizustehen, die Ehre deines Hauses zu retten, da – –

Tobaldi. Da benahmst du dich, wie du dich immer benommen hast, seit wir miteinander bekannt sind. Du sagtest: sieh mich doch nur an, ich bin kein Kalender-Heiliger, der sein Wunder erst dann verrichtet, wenn man sich die Hände wund gerungen und den Hals heiser gebetet hat, ich bin dein alter Stubenbursche Alberto, der alles tut, was er kann, sobald er weiß, was er soll!

Alberto. Ich tat, was du verlangtest, ich – Gott vergebe es mir – ich brachte unsern alten Streit, ob das Lügen unter Umständen erlaubt sei – du behauptetest immer das Gegenteil, du weißt doch noch? – durch die Praxis auf einmal zu Ende, ich schrieb für eine Kranke, die nicht da war, Rezepte, ich legte mein Gesicht – es war bei so abgehärteten Muskeln keine Kleinigkeit – in teilnahmvolle Falten, und ging von Haus zu Haus und sagte – – nun, ich sagte meine Lektion auf! – Aber –

Tobaldi. Aber? dies Aber erschreckt mich – du fandest hoffentlich Glauben? Wenigstens hast du's mir versichert!

Alberto. Nur zu viel, nur zu viel! Noch eben, da ich zu dir ging – höre, Freund, du magst davon denken, was dir beliebt, aber ich habe ein Herz, und ich kann dafür seit fünf Minuten einen besseren Beweis aufstellen, als die Regelmäßigkeit meines Blutumlaufs. Ich möchte durch Lügen nicht gern Nervenfieber aussäen, obgleich die blanke Ernte davon keinem anderen zuwachsen würde, als mir selbst.

Tobaldi. Ich verstehe dich nicht!

Alberto. Nicht? Nun, du weißt, wie der junge Anselmo deine Tochter immer – wie nennt man's doch? An Menschen ist's mir verhaßt, an Turteltauben kann ich's wohl leiden!

Tobaldi. Aber Julia hat ihn immer fern gehalten!

Alberto. Gleichviel! Der tritt mir eben in den Weg und mit einem Gesicht – ernsthaft, ich glaube, ich bin ein Schurke, daß ich seine stumme Frage mit Kopfschütteln und Achselzucken beantwortet habe!

Tobaldi. Pah!

Alberto. Ei was, ich las in seinen Augen, in seinen Mienen – – die Hand konnt' ich nicht erwischen, so gern ich auch Räderwerk und Zifferblatt zugleich untersucht hätte, aber ich wette auf einen Puls von Einhundertundfünfzig in der Minute, und es wäre doch arg, wenn wir durch eine erlogene Krankheit eine wirkliche herbeiführten.

Tobaldi. All das kümmert mich nicht! Mir ist, als lebt' ich unter Pflanzen und Steinen! Sie sind mir nicht verwandt, das weiß ich jetzt; was geht's mich an, ob sie verwelken, ob sie zerbröckeln!

Alberto. Großen Dank!

Tobaldi. Gute Nacht, mein Vater! Träume süß! Wenn du das gehört hättest –

Alberto. Und selbst diesen letzten Abend fiel dir nichts an ihr auf?

Tobaldi. Nein! Daß du's weißt! Den Tag zuvor traf ich sie mit verweinten Augen bei ihren Blumenstöcken. Kind, sagt' ich tröstend, es geht nicht alle Tage ein Messina zugrunde! Verstehst du mich? ich glaubte, die Erdstöße, die alle Welt mit Entsetzen erfüllten, hätten sie so erschreckt. So fern lag mir das Mißtrauen. Folgt daraus, daß ich ein Esel bin? Oder daß sie verschmitzt war, wie keine zweite? Lebten wir noch in den Zeiten der Kreuzzüge, ich wollte mir einbilden, sie habe eine Vision gehabt und sei ausgezogen, einen Nagel vom Kreuz Christi zu suchen!

Alberto. Und was denkst du denn zu tun?

Tobaldi. Die acht Tage sind um. Die Frist, die ich ihn für die freiwillige Zurückkunft bestimmte, sind abgelaufen. Sie wird heute sterben und morgen begraben werden.

Alberto. Bist du –

Tobaldi. Auf meinen Diener kann ich mich verlassen, ich weiß warum, und du – nun, das versteht sich von selbst!

Alberto. Die Kranke konntest du vor fremden Menschen verschließen, die Tote wird man sehen wollen.

Tobaldi. Das wird niemand einfallen. Meine Schwester liegt selbst an ihrem alten Übel darnieder, und die Nachbarn und guten Freunde werden durch die Furcht ferne gehalten. Ich bat dich nicht umsonst um eine ansteckende Krankheit.

Alberto. Bedenke wohl, was du tust! Deine Tochter kann noch immer wiederkommen.

Tobaldi. Warum nicht? Jeder Verführer wird seiner Beute satt, und wenn dann die Tür des Vaterhauses noch offen steht, so kehren die lieben Mädchen wohl zurück. Darum eben will ich die meinige beizeiten schließen. Täte sie's dennoch, so würd' ich sie freilich nicht für ein Gespenst erklären, aber ich würde sagen: Madame, Sie haben eine erstaunliche Ähnlichkeit mit meinem hingeschiedenen Kinde, leider können Sie sich nicht selbst davon überzeugen, denn meine Julia liegt auf Sankt Lorenzo. Wollen Sie das Epitaphium einmal besichtigen, ob es nach Ihrem Geschmack ist? Auch Blumen habe ich ihr aufs Grab gepflanzt, vielleicht gefällt es Ihnen, sich eine zu pflücken! (Ruft.) He! Valentino! – Noch nicht da!

Alberto. Du mußt also die Mutter Gottes durchaus übertreffen?

Tobaldi. Wie meinst du?

Alberto. Sie hatte nur einen Speer im Herzen. Du hast daran nicht genug?

Tobaldi. Keine Rätsel!

Alberto. Grimaldi!

Tobaldi. Bring' ihn den Raben in Erinnerung, die sich von seinem Fleisch gemästet haben! Schieß einen davon herunter, wenn du ihn rächen willst!

Alberto. Wer machte ihn zur Rabenspeise?

Tobaldi. Ich doch wohl nicht?

Alberto. Wer jagte ihn ins Elend?

Tobaldi. Adam, unser Eltervater, der all die Torheit auf ihn vererbte, die ihm nach dem Apfelbiß noch übrig blieb!

Alberto. Du verstehst mich!

Tobaldi. Nicht ganz! Wenn ein Narr Minen gräbt, bei denen nichts herauskommen kann, als daß das Pulver verteuert wird, ist es ein Verbrechen, ihn zu stören?

Alberto. Wer behauptet das?

Tobaldi. Du, wenn du glaubst, ich anklagen zu dürfe, weil ich diesem hohlen Grimaldi in den Weg trat, als er einen Aufruhr erregen wollte, der vierundzwanzig Stunden gedauert und jahrelange Verfolgungen nach sich gezogen hätte. Weißt du, was ihn trieb? Nicht das letzte Aufatmen des erstickten Ahnherrn in der Brust des erniedrigten verkümmerten Enkels, nicht die Glut einer heiligen Scham, die manchen unter uns verleiten könnte und auch wohl verleitet – du weißt, was ich meine, und hast mich oft genug darum gescholten – das Unmögliche zu unternehmen, weil wir's nicht aushalten, der Spott der Welt, ja unserer eigenen Dränger zu sein! Nein! Die jammervollste Unfähigkeit, einen Verlust, wie er wohl andere auch trifft –starb nicht auch mir eine Frau? – zu ertragen, die eigensüchtige Raserei eines unmännlichen Verzweiflung, die Gegenwart und Zukunft eines Volkes preisgeben zu dürfen glaubt, wenn sie dabei nur großmütig ein Leben mit aufs Spiel setzt, das ihr zur Bürde geworden ist, und womit sie nichts mehr aufzustellen weiß. Es gibt Leute, die den Weltuntergang herbeiführen möchten, um sich den Selbstmord zu ersparen! Als ich ihn einst aufforderte, blieb er ruhig in seinem Winkel sitzen, denn ihn fesselte die Untersuchung, ob die Küsse eines Weibes mit den Jahren an Süßigkeit gewinnen oder verlieren; hätt' ich aufstehen sollen, nun er kam? Der einzige Moment, in dem etwas gelingen konnte, war verstrichen, denn Napoleon hatte zu donnern aufgehört; nur ein Toller konnte meinen Plan wieder aufnehmen und erwarten, daß ich ihn unterstützen würde; nur ein Narr konnte darin, daß ich das Gegenteil tat, einen Abfall von mir selbst erblicken. Laß die Welt sich häuten, laß eine neue Zeit kommen: mit wackelndem Kopf und schlotternden Knien werd' ich mich unter ihr Banner reihen. Aber damals, wo alles schlief, wo nicht einmal die Erinnerung mehr wachte, wär's Wahnsinn gewesen

Alberto. Dennoch hätte ich wohl ein anderes Mittel gefunden, ihn unschädlich zu machen, als das, was du wähltest! Es war nicht nötig, daß er geächtet, daß er auf Tod und Leben verfolgt wurde. Ohne das wär' er gewiß nicht so weit gekommen, unter die Räuber zu gehen und auf dem Schaffot zu enden!

Tobaldi. Und ich, meinst du, hätte in den Abruzzen den Überfall nicht erlebt, der dir das Reisen an meiner Seite für immer verleidete, und durch den er mir seinen Dank für eine Sünde abtrug, die ich nie an ihm beging!

Alberto. Die du nie an ihm begingst?

Tobaldi. Nein! Ich drohte ihm, als er durchaus nicht dahin zu bringen war, in seine Vaterstadt und in sein Haus zurückzukehren, allerdings mit der Entdeckung, aber ich tat's nur, um ihn zu zwingen, mir auf den Leib zu rücken und mir Gelegenheit zu geben, den sieben Teufeln, die ihn plagten, mit einem Dolch in einfacher Notwehr irgendwo die Tür zu öffnen. Während ich nun zuvorkommend viele einsame Spaziergänge machte, verriet ein Schurke, dem er sich nach seiner Art vorschnell anvertraut hatte, ihn wirklich, und er mußte flüchten. Daß er mir das auf die Rechnung setzte, war natürlich, denn Leute, wie er, begreifen's nicht, daß ein Mann, der selbst einmal Brandstifter gewesen ist, schon deshalb nicht Feuerwächter wird, weil das aussehen könnte, als wollte er sich dadurch seinen Pardon sichern. Daß du das aber auch getan hast, wundert mich!

Alberto. Ich glaubte, du müßtest dir einer Schuld gegen den Vater bewußt sein, weil du so oft Nachforschungen nach dem Sohn anstelltest!

Tobaldi. Das Mitleid mit dem Sohn eines Räubers ist doch wohl auch ohne eine solche Schuld erklärlich. Welch einem Schicksal geht er entgegen! Ihn dem Abgrund, um den er schon als Kind herumspielt, entziehen, heißt mehr tun, als alle zehn Gebote auf einmal erfüllen! Meine Bemühungen waren umsonst!

Vierte Szene.

Valentino (tritt ein). Die Medizin, Herr!

Tobaldi. Weg damit! Zum Tischler! Bestelle den Sarg für meine Tochter! Nimm's Maß nach dem Bett und bring's ihm! Sag, sie sei eben gestorben. Der Doktor wird den Totenschein gleich schreiben!

Valentino. Ja! Aber –

Tobaldi. Du meinst, man muß auf alles denken! Richtig! Wenn jemand davon spricht, daß er sie sehen will, so antworte, sie sei bis zur Unkenntlichkeit entstellt und ihr letztes Wort sei gewesen: mein Vater, einen Schleier über mein Gesicht!

Valentino. O! Das wird nicht geschehen! Sie laufen sogar vor mir, selbst der Apotheker trat drei Schritte zurück, als ich kam, und schob seinen Burschen vor. Die Angst vor der Ansteckung ist zu groß.

Tobaldi. Um so besser! Geh' auch ins Kloster und laß Seelenmessen lesen! Sag, der Arzt – (zu Alberto) deine Reputation erlaubt das doch? – hätte den tödlichen Ausgang nicht geahnt, wenigstens nicht so schnell, und ich hätte die letzte Ölung, der Aufregung wegen, so lange verschoben, bis es zu spät gewesen sei. Fort!

Valentino. Wenn ich's nur gut mache! (Ab.)

Alberto. Du gehst weit! Ich glaubte, du wolltest die Zeit der vorgeschützten Krankheit benützen, um Nachforschungen anzustellen, und –

Tobaldi. Nachforschungen? Ist sie mir etwa geraubt? Gestohlen? Ist sie, kann ich daran zweifeln, nicht freiwillig gegangen? Hab' ich auch nur einen Verdacht, mit wem? Nein, diese Heuchelei, diese Verstellung – glaube mir, sie ist mir mehr als tot! (Ab.)

Alberto. Hätt' ich's vorher gewußt, ich hätte mich widersetzt! Nun ist's zu spät! Aber der hat seine Tochter nie geliebt! Nur das Bild, das er sich von ihr machte! Freilich, wer liebt anders! Es ist nun einmal das Schicksal der Menschen, daß man ihn wegen Eigenschaften verehrt und anbetet, verabscheut und haßt, die er gar nicht besitzt, die ihm von andern nur geliehen werden! Armes Mädchen! Hätte er dich nicht für eine Ausnahme deines Geschlechts gehalten, er würde dich strenger überwacht, er würde dir, da dir die Mutter nun einmal fehlte, ein weibliches Wesen, dem du dich anvertrauen konntest, beigegeben und nie Ursache gefunden haben, gegen dich zu wüten! Doch du sollst auch jetzt nicht verloren sein, ich weiß, was ich tu'! (Folgt Tobaldi.)


(Wald.)

Fünfte Szene.

Graf Bertram (tritt auf). Christoph (folgt ihm).

Graf Bertram. Nun, alter Christoph, laß mich eine Stunde allein! Aber ganz allein, hörst du? Du weißt, ich kann Pistolen abschießen, wenn es im Gebüsch um mich her zu rascheln anfängt. Ich habe Stunden, wo es mich empört, daß ich mich nicht vor Gott in irgend einen dunkelsten Winkel der Nacht zurückziehen kann, wo ich mein Auge schließe, weil es mich brennt, als ob von oben eins hineinschaute! Hast du das noch gehört?

Christoph. Ich gehe, Disteln zu köpfen. Täten Ew. Gnaden dasselbe, ich ginge leichter. Eine Stunde? (Zieht seine Uhr.) Drei! Also bis Vier!

Graf Bertram. Daß du mir die Uhr nicht schiebst, Alter! Du hast es wohl schon getan!

Christoph. Und wenn ich's tat, so geschah's – Gnädiger Herr, ich ließ Sie noch nie an solchen Tagen allein, daß Sie des Abends nicht wieder Blut gespien hätten. Trotzen sollt' ich Ihnen, sprechen: ich will nicht gehen! oder etwas ähnliches, damit Sie über mich ergrimmten und Ihren finstern Gedanken entrissen würden! Und wenn ich's unterlasse, so geschieht's wahrhaftig nicht, um meinen alten Rücken zu schonen. Der kann mehr vertragen, als Ihre Brust!

Graf Bertram. Pah! als ob's ein Unglück wär', Blut zu speien! Nur das ist eins, nicht genug zu speien! Und du meinst, das kommt von finstern Gedanken? Ei, alter Narr, als ob du nicht recht gut wüßtest, daß es vom Tanzen, Trinken, Schwärmen, Jagen, genug, von den angenehmsten Dingen der Welt, gekommen ist!

Christoph. Das erstemal!

Graf Bertram. Nun gut, all dieser genossenen Herrlichkeiten erinnere ich mich, wenn ich unter einem alten kräftigen Baum liege, der aussieht, als ob er der Erde die Auszehrung entziehen könnte, weil er zu stark an ihren Brüsten saugt. Ich gedenke des brillanten Balls beim Minister, wo ich gegen Morgen meine Brust zum erstenmal fühlte, und wo ich nur um so ärger zu rasen anfing, weil ich sie natürlich dafür strafen mußte, daß sie nicht von Eisen war; ich vertiefe mich in die Wonnen jenes dreitägigen Kommerses, wo mir zuletzt das helle Blut aus dem Halse schoß, und wo ich noch mit röchelnder Lunge so lange behauptete, es sei der rote Wein, bis ich ohnmächtig zusammensank; ich – – o, du weißt nicht, wie einem Helden zumute ist, wenn er auf seine Taten zurückschaut und das herrliche Ziel, dem sie ihn entgegenführten, ins Auge faßt! Ich weiß, wenn ich bis zu diesem Punkt komme, auf einmal wieder, wozu ich nütze bin; hab' ich denn nicht vortrefflichen Mist aus mir gemacht? Hab' ich den Elementen, die dich und deinesgleichen gewiß nicht ohne Magenweh verdauen können, nicht wacker vorgearbeitet? Wird ein Baum, wie dieser hier, nicht vielleicht, wenn ich ihn dünge, noch einen letzten Schuß tun, so übermütig-keck, daß die Himmelsdecke erschrocken um tausend Meilen weiter zurückweicht, damit der schöne blaue Atlas, womit sie ausgefüttert ist, nicht Schaden nehme an irgend einem scharfen Zweig? Denn daß ein solcher Baum mir das Holz zum Sarg hergeben sollte, daran ist, obgleich er sein Alter schon nach Jahrhunderten zählt, nicht zu denken; ich fragte neulich einen, dem ich zu Füßen lag, aber der fing unwillig den Kopf zu schütteln an und warf mir zur Antwort sein grünstes Blatt ins Gesicht!

Christoph. Ja! So sprechen Sie, und ich soll gehen!

Graf Bertram. Nun, so bleib, alter Narr, aber nimm dich in acht, ich werde dich quälen! Sag mir doch, Christoph, wie alt bin ich?

Christoph. Ja, das weiß ich, wie's Kirchenbuch! Es war zu Weihnacht –

Graf Bertram. Ich bin als Weihnachtsgeschenk geboren, ich weiß. Aber wie alt?

Christoph. Ihre gnädige Frau Mutter – Gott hab' sie selig –

Graf Bertram. Zur Hölle ist sie wenigstens nicht verdammt, ihren Sohn sieht sie nicht verwesen. Ich weinte, als sie starb – wie lächerlich! Aber noch einmal, wie alt?

Christoph. Nun, du mein Gott, zweiunddreißig –

Graf Bertram. Jahre oder Jahrhunderte?

Christoph. Ei, da Sie so scherzhaft sind, wie Sie wollen, gnädiger Herr!

Graf Bertram. Also Jahrhunderte! Nun, da kommt's aus! Ist mir doch zumute, als wüchsen aus meinem Fleisch die wüsten Disteln und Brennesseln schon heraus, die sich auf meinem Grabe brüsten werden – ich brauche mich nur nach Art der Toten auf den Rücken zu legen und die Augen zu schließen, so hab' ich ein Gefühl, als ob ich ein wucherndes Beet voll Kirchhofunkraut wäre; das neigt und beugt sich gegeneinander: auch schon da, Frau Muhme? und ein kalter Wind bläst hindurch! Pah, wieder sollt's anders sein! Wer mir Friedrich Barbarossa vor Mailand lag, wer mit dem Hunnenkönig kämpfte und ihn dreimal aus dem Sattel hob, der braucht sich nicht zu schämen. Damit verteidigte ich mich neulich im Traum gegen einen, der mir Nasenstüber gab und mich dabei ausspottete, weil mir der Arm, den ich zur Abwehr gegen ihn erheben wollte, am Leibe hängen blieb, als hätte ich ihn von einem Leichnam geborgt. Ich hielt ihm meinen Anteil an jeder berühmten Heldentat der letzten zwei Jahrtausende entgegen; ich beschrieb ihm die Wunde, die ich dem Richard Löwenherz im linken Bein über dem Knie beibrachte, ganz genau; ich fragte ihn zuletzt triumphierend, ob's genug sei und ob ich mich erschöpft fühlen dürfe. Er zog ab, wie einer von einem Toten abziehen mag, an dem er im Rausch gefrevelt hat, weil er ihn für einen Faulpelz hielt; er war zufriedengestellt, ich war es selbst und legte mich auf die andere Seite; mir war wirklich, als ob ich die hungrige Zeit mit meinem dünnen Ich schon so viele Jahrhunderte, als ich Jahre zählte, gefüttert und ihr doch noch für den nächsten Tag ein kleines Frühstück aufgehoben hätte. Und wahrlich, wenn ich dies alles nicht wirklich getan habe, so kann die Ewigkeit, und kriecht sie ihren Ring bloß meinetwegen noch zehnmal aus, keine Entschuldigung dafür ausfinden, daß ich bin, was ich bin!

Christoph. Gnädiger Herr, wollen Sie mir nicht zürnen, wenn ich ein Wort – Sie können ja, so schnell Sie wollen: halt's Maul! sagen!

Graf Bertram. Du willst dich für das Zuckerwerk bezahlt machen, das du, als ich noch ein Bübchen war, für mich stahlst. Ich erinnere mich, du kamst einmal selbst in den Verdacht der Näscherei und mußtest von der Beschließerin eine lange Rede über einen sehr schnöden Text anhören. Dein Gesicht – Alter, sieh noch einmal so aus, vielleicht werd' ich auf einen Augenblick wieder Knabe. Nun gut, sprich, ich bin in deiner Schuld!

Christoph. Die Trine, die! Nun also, gnädiger Herr – das müßige Umherziehen in der Welt tut Ihnen nicht gut! Warum – Sie sind so klug, können den ganzen Tag sprechen, ohne dieselbe Sache zweimal zu sagen, reden in jedem neuen Lande mit einer neuen Zunge, bon jour, buon giorno, als ob Sie in Jerusalem die ersten Pfingsten mitgefeiert hätten – und warum – ich weiß ja, wie oft Ihr Herr Onkel Ihnen ein Amt angeboten hat, noch letztes Neujahr, wenn nicht seitdem schon wieder, warum nehmen Sie keins an? Er nimmt's so übel, wie unsereiner, wenn wir einen guten Bekannten zum Mittagessen einladen und er »Danke!« sagt, und – ja, Ew. Gnaden, das glauben Sie nur, Beschäftigung – – Hätte ich nicht immer für Sie zu tun und zu sorgen gehabt, ich wär' auch ein Melancholikus geworden, wenn das nicht ein Hochmut von mir ist; denn es steckt auch in mir noch ein anderer Kerl, als bei Sonnenschein aus dem Fenster sieht, – wenn's regnet, kriecht er aus, wie die Würmer, aber dann klopf' ich einen Rock aus, und das wirkt, als ob ich mich selbst ausklopfte. Ein Amt – –

Graf Bertram. Ich habe ein Amt – ich lebe!

Christoph. Dies Amt haben wir alle!

Graf Bertram. Für Euch ist's eine Freude, ein Spaß, für mich ein Geschäft, das ich nicht aufgeben darf, obgleich ich bankerott bin, weil mir scheint, daß ich's für fremde Rechnung führe! Pah, du weißt viel davon, was vorgefallen war, als ich dich jenen Abend von zwei Pistolen, die auf dem Tisch lagen, die eine aus dem Fenster abfeuern ließ!

Christoph. Das war mein Meisterschuß! In Nacht und Nebel hinein und doch was getroffen. Der Rabe trappt noch jetzt mit zerschoßnem Flügel auf dem Hof!

Graf Bertram. Damals fragt' ich an – (Für sich.) Aber Nein! war die Antwort! O, welch ein Tag! Es war der erst nach meiner Genesung! Vor dem Weinstock unter meinem Fenster, der mich mit seinen schwellenden Trauben zu höhnen schien, vor der aufblühenden Schönheit des Gärtnerkindes, das mir einen Strauß brachte, vor allem, was mir frisch und lebendig-reizend entgegentrat, fühlte ich mein Nichts; wie eine vom Wind aufgeblasene Menschenhaut mit verklebter Mundritze kam ich mir vor. Es war Abend – wozu soll es wieder Morgen für mich werden? dacht' ich und griff zur Pistole. Aber da durchzuckte mich ein anderer Gedanke. Hast du nach einem solchen Leben denn auch das Recht auf einen solchen Tod? Und neben die erste mit der Kugel legt' ich die zweite ohne die Kugel und rief: entscheidet, ihr dort oben! Nun ein Gang durchs Zimmer, ein Griff aufs Geratewohl, den Hahn aufgezogen, die kalte Metallröhre an die Schläfe gesetzt und abgedrückt – – Ha, ich lebe noch (laut) – Christoph, feure die da durchs Fenster ab!

Christoph. Längst geschehen, gnädiger Herr!

Graf Bertram. Ich glaube, immer allein zu sein!

Christoph. Könnt' ich ihn doch auf andere Gedanken bringen! Frisch darauf los! Auch der Ärger wird ihn zerstreuen! – Und wenn's denn mit dem Amt nichts ist, Ew. Gnaden könnten auch heiraten! H'raus ist's, wie der eingerostete Schuß aus der Büchse, die er verdarb!

Graf Bertram. Nicht wahr, Alter, es müßte reizender sein, in den Armen eines schönen Mädchens zu verwesen, als im Grabe! Für ein staubiges Leichenkissen eine schwellende Brust, die den Schlummernden wiegte, und milde sanfte Augen, die statt kalt blinkender Sterne auf ihn herabschauten, vielleicht gar auch ein Finger, der mit überwundenem Ekel den ersten Wurm zurückschnellte – welche ein Tausch! Aber, wie ich darüber denke, könntest du wissen, du hast gesehen, mit welchem Entsetzen ich floh, als jenes unglückliche Kind – unglaublich ist es mir, unglaublich, es heißt doch, daß ein Kainszeichen flammt! Und doch, ich darf nicht hoffen, daß ich mich getäuscht habe, sie fand wirklich Gefallen an mir! Genug, ich verdammte mich zur schleunigsten Flucht, als ich's bemerkte, und wir sind jetzt zweihundert Meilen von ihr entfernt!

Christoph. Ja, und sie – ei, was weiß ich alter Esel davon, aber dafür bin ich Bürge, wenn ihr die Ohren klingen, so sagt sie jedesmal zu sich selbst: nun spricht einer von mir, und der eine – jetzt geschah's ja auch!

Graf Bertram. Du meinst, dies Kind hätte einen Menschen, wie mich, nicht über den ersten Zeisig, den man ihr im Frühling fing, wieder vergessen?

Christoph. Nein! so wenig, als den Zeisig über Ew. Gnaden, wenn ihr einer davongeflogen wäre. Solche alte finstere Schlösser im Norden, ei, ich bin ja selbst so in der Einsamkeit aufgewachsen und weiß, wie die Menschen da sind; die pflücken keine Rose, die nicht nachher in die Bibel gelegt und getrocknet würde, und wenn ein Mädchen – vornehm und gering, sie sind alle gleich! Nun, das war eine Grafentochter, und da Ew. Gnaden nun einmal solche Skrupel haben – gut, gut! Aber es gibt auch andere, Arme –

Graf Bertram. Und die, meinst du, darf man ruhig mit dem goldenen Ring an einen Leichnam kette, die darf man – – nein, bewahre mich Gott in Gnaden vor einer Großmut dieser Art; erwecke er in mir, wenn er mich nicht anders davor schützen kann, noch jetzt den Ahnenstolz meines Ur-Urgroßvaters, der einmal als Jüngling, wie er von einer Mesalliance hörte, erklärt haben soll, er werde eher um eine Löwin oder eine Bärin werben, als um eine Venus aus dem Bürgerstande. Ich scheue die Mißheiraten nicht so sehr, wie er, aber die zwischen Leben und Tod scheue ich allerdings; denn sie ist die Mutter der Gespenster!

Christoph. Um eine Bärin! Das war der wilde Herr mit der Reiherfeder auf dem Hut, dessen Nase man nicht mehr sieht, weil die Mäuse sie aus seinem Porträt herausgefressen haben; natürlich Folge davon, daß man die Katzen zu gut bei uns füttert. Ich hab's tausendmal gesagt, wenn ich hinter die Treppe guckte und die zinnerne Schüssel stehen sah, die immer voll war!

Graf Bertram. Jetzt geh' zum Wagen, Alter, ich folge; es wird kühl!

Christoph. Kühl! (Für sich.) Ja wohl, in Gedanken! Ich kann's mir recht lebhaft vorstellen, wie angenehm es jetzt bei uns zulande von den Firnen herweht! Ja, Tirol, Tirol! Aber hier, wo die Eier nur so lange frisch sind, als die Henne sie noch nicht gelegt hat – – Gott, Gott, wie glücklich werde ich mich fühlen, wenn ich keine Orangen und Zitronen mehr sehe, außer wo sie hingehören, am Weihnachtsabend in der Punschterrine oder auf der Bratenschüssel im Maul eines Eberkopfs! – Soll Paul näher heranfahren? Ich glaube, daß er's kann!

Graf Bertram. Nein! (Christoph ab.)

Sechste Szene.

Graf Bertram (allein). So ist's, Jammermensch, so ist's! Bilde dir nicht ein, daß du dich zu tief herabsetzen kannst! Du bist solch ein Aber der Menschheit, das sie knirschend hinzufügt, wenn sie ihre Cäsaren und Napoleone aufgezählt hat. Ha, Taten! Hast du nicht einst von Taten geträumt? Aber du meintest, diese Zeit sei nicht die Zeit der Taten, als ob's nicht auch eine Tat wäre, sich bereitzuhalten, und nun machtest du's, wie ein schlechter Soldat, der sich auf seinem Posten langweilt, du verspieltest deine Waffen! Schaudre! Schaudre! Wie ständest du da, wenn du jetzt gerufen würdest! Und dennoch könnt' es kommen; denn die Erde bebt in ihren Festen, und es wird so schwer sein, sie an Ketten zu legen, als in der Donnerwolke, die finster und geladen über ihr schwebt, die Blitze mit einer Handspritze auszulöschen. – Und wenn das Auge eines Mädchens freundlich auf dich blickt, so muß du das deinige schließen und vor ihm zurückweichen; denn nie darfst du eins zum Weibe machen, dein eigener Sohn würde dich dereinst dafür auf Pistolen fordern! Was bleibt dir? Nichts als die Hoffnung, daß es vielleicht noch irgendwo ein Loch in der Welt gibt, wo ein Kerl, wie du, der nur noch Ding ist, hingestopft werden kann, wie ein Fetzen in einen Fensterriß; nichts, als ein Nachspringen ins Wasser, wenn ein Trunkenbold hineinfiel, um ihn zu retten, oder, wie's dir ging, als du's tatst und selbst untersankst, von ihm gerettet zu werden, nichts, als – (Man hört Stimmen.) Menschen! Ich kann keine sehen! (Ab.)

Siebente Szene.

Julia und Pietro (treten auf).

Julia. Ist dies der rechte Weg?

Pietro. Würdet Ihr mich bezahlen, wenn ich Euch einen verkehrten führte?

Julia. Ich hoff', er lügt. (Laut.) Er ist so einsam, als ob wir ihn erst bahnen sollten!

Pietro. Fürchtet Ihr Euch vor mir?

Julia. Ich will ihn reizen! (Laut.) Vor dir, der du dich selbst im letzten Dorf vor einem lahmen Hund fürchtetest?

Pietro. Wie war das?

Julia. Und er hatte nicht einmal mehr Zähne im Maul, er biß nur noch in Gedanken!

Pietro. Es ist hier wirklich einsam. Man täte wohl, mich bei guter Laune zu erhalten!

Julia. Ja?

Pietro. Ja, und noch einmal Ja!

Julia. Warum?

Pietro (zieht ein Messer).

Julia. Du hast doch auch Äpfel bei dir?

Pietro. Hohn und Spott? Weib, wenn ich dich niedersteche, so fällt nicht einmal ein Verdacht auf mich! Man wird's den Räubern mit auf die Rechnung setzen, die hierherum im Walde hausen. Darum – gibst du mir, was du bei dir trägst? Dreimal hast du deine Börse gezogen, ohne daß es nötig war, ich weiß, sie ist schwer!

Julia. Gute Nacht, Welt! (Laut.) Wenn ein andrer das sagte, so – dir dreh' ich bloß den Rücken zu! (Sie tut's.) Und doch tu ich's nur, weil mich schaudert!

Pietro. Ha! (Er dringt mit dem Messer auf sie ein.)

Achte Szene.

Graf Bertram (tritt hervor). Bube!

Pietro (wirft das Messer nach ihm). Verflucht! Ich – spaßte ja nur! (Entspringt.)

Julia. Ich kann Ihnen nicht danken, denn ich muß dies Messer selbst wieder aufnehmen!

Graf Bertram. Ich versehe Sie nicht!

Julia. Sie meinten es gut –Leben Sie wohl! (Sie will gehen.)

Graf Bertram. Gehen Sie nicht. Sie begreifen, daß ich Sie so nicht gehen lassen kann!

Julia. Ich fühle, daß Sie es doch tun werden!

Graf Bertram. Nimmermehr! Dieser Mensch könnte Ihnen noch auflauern.

Julia. Ich hoffe es sogar! Nur weil ich ihn für einen verkappten Banditen hielt, erkor ich ihn zu meinem Führer.

Graf Bertram. Sie wollen sterben?

Julia. Ich muß!

Graf Bertram. Ich werde Sie hindern, solange ich nicht weiß, daß Sie ein Recht dazu haben!

Julia. Ich bin unglücklich!

Graf Bertram. Ich bin's mehr, wie Sie, und ich lebe!

Julia. Ich würde andre unglücklich machen!

Graf Bertram. Und diese andren – sind sie's wert, daß Sie ihnen das ersparen?

Julia. Ich – Wer sind Sie, daß Sie mir Fragen vorlegen, auf die ich nur Gott zu antworten brauche?

Graf Bertram. Ein Mann, der nicht über Meer fährt, ohne den Wunsch zu hegen, hineinzuspringen, der keine Pistole erblickt, ohne unwillkürlich die Hand danach auszustrecken, und der sich doch schon auf dem Meer bei einem Sturm am Mastbaum festhielt, der doch jede Pistole liegen läßt. Ein Mann, der allen das Leben gönnt, die es haben, aber nur den wenigen den Tod, die ihn verdienen.

Julia. Wenn Sie mich zu diesen wenigen rechnen müssen, wollen Sie mir ihn geben?

Graf Bertram. Um keinen geringeren Preis Ihr Vertrauen? Ich habe sogar die Kinderkunst, Schmetterlinge zu fangen und Rosen zu pflücken, wieder verlernt.

Julia. Ich verlangte etwas Törichtes. Verzeihen Sie es meinem Mädchenmut! Ich möchte den Tod finden, es schaudert mich, ihn zu rufen.

Graf Bertram. So jung, so schön, und – es kann nicht sein!

Julia. Hören Sie mich, und wenn Sie mich gehört haben, so gehen Sie links und lassen Sie mich rechts gehen. Ich werde, das fühl' ich, den letzten Schritt leichter tun, wenn ein Zweiter ihn billigt.

Graf Bertram. Wenn ich ihn billige, so werde ich ihn nicht länger verhindern. Reden Sie!

Julia. Ich bin aus dem Hause meines Vaters geflohen.

Graf Bertram. Warum?

Julia. Um – aber glauben Sie, glauben Sie, ich konnte nicht anders, ich wäre wahnsinnig geworden, wenn ich es nicht getan hätte! Sollte man denn nicht wahnsinnig werden, wenn ein Mensch, dem man vertraut hat, wie man Gott vertraut, auf einmal – – Und doch, doch! Bin ich denn jetzt wahnsinnig? Wer weiß! Wer weiß!

Graf Bertram. Fassen Sie sich, und eröffnen Sie mir Ihr Herz, Sie sagten mir noch nichts. Sie flohen aus dem Hause Ihres Vaters, um –

Julia. Um meinen Geliebten aufzusuchen, meinen Bräutigam! Ich erröte nicht, indem ich es eingestehe. Ging ich denn, um mich von ihm in die Hochzeitskammer einführen zu lassen? O nein, darauf rechnete ich nicht mehr Ich ging, weil ich nicht zweifelte, daß man mir, wenn ich nach ihm früge, statt seiner Wohnung ein Grab zeigen würde. Denn er mußte tot sein, oder – – Gott, Gott, wie konnte ich ahnen, daß ich's mit einer Maske zu tun hatte!

Graf Bertram. Mit einer Maske?

Julia. O wie edel, wie ganz des Begriffs würdig, den jede meines Geschlechts von einem Mann in ihrem Herzen trägt! So im Vorübergehen eine junge Seele zu zerpflücken wie einen verwelkten Blumenstrauß, und ihr zum Andenken, zum Lohne für ihre unschuldige Hingebung nichts zu hinterlassen, als den Domino, den man eben trug!

Graf Bertram. Armes Kind!

Julia. Nicht einmal den Namen! Nicht einmal den Namen! Fürchtetest du, Antonio, mein Fluch möchte sich an ihn ketten? Der ewige Rächer wird doch wissen, wem er gilt. O, daß ich schon daläge in meinem Blute, und daß er dich heranführte! Daß er dich zwänge, deine Verdammnis aus den Verzerrungen meines Gesichts, aus meinem gebrochenen Auge herauszulesen! Er kennt meinen Schmerz, er tut es vielleicht. Elend, verächtlich ist ein Weib, das sich betrügen läßt und ein hohles Leben feig zu Ende schleppt. Hätte die erste, an der ein Treubruch begangen ward, den Mut gehabt, sich einen Dolch ins Herz zu stoßen, wer weiß, ob eine zweite das gleiche Schicksal erfahren hätte!

Graf Bertram. Ich ahne –

Julia. O freilich, Sie ahnen, Sie sind ein Mann! Und ich, nicht wahr, ich bin eine Törin, zum wenigsten eine Törin, daß ich mich beschwere. Warum ließ ich auch die Rose fallen, da er eben vorüberging! Hätt' er ich bemerkt, hätt' er zu mir aufgesehen, wenn dies nicht geschehen wäre? Jetzt tat er's, er war in seinen Gedanken gestört, sollt' er sich dafür nicht an mir rächen? Mir entfiel sie freilich mehr, als ich sie fallen ließ! Und als zugleich mit ihm ein Betteljunge darnach griff, und er zu meinem Balkon hinaufrief: wem gehört sie? da sagte ich: dem Wind, der sie mir entführte! und trat zurück.

Graf Bertram. Und?

Julia. Und? Sie ahnen nicht alles? Sie fragen noch? Nun ja, warum nicht, es führt wohl mehr als ein Weg zur Hölle. Wissen Sie, wie ein Mädchen ist? Lachen Sie doch! Wenn ihr jemand auf Schritt und Tritt folgt, wenn sie ihn allenthalben sieht, in der Kirche unter den Heiligenbildern, im Garten unter den Rosen, wenn er ihr durch Blicke und Mienen zeigt, er sei unendlich unglücklich und sie könnte ihn glücklich machen: sie zweifelt, sie zweifelt vielleicht lange, aber sie glaubt's zuletzt. Wenn er sich nun, sobald ihr Auge mit teilnahmvollem Mitleid auf ihm zu ruhen anfängt, zur Nacht in ihr Haus, ja in ihre Kammer zu schleichen weiß, wenn er in dem Augenblick, wo sie sich vor der Mutter Gottes auf ihren Knien niederlassen will, aus einem Winkel vor sie hintritt und ihr zuruft: reiche mir deine Hand, oder wecken Sie Ihren Vater, daß er mit seinem Dolch einen Unglücklichen durchbohre, der sich nicht verteidigen wird! da kann es begegnen, daß sie vor Entsetzen in Ohnmacht fällt, und sich doch, wenn sie aus der Ohnmacht erwacht, den Armen, in die sie hineingesunken ist, nicht mehr zu entwinden sucht; es kann begegnen, daß sie sich dem Mann, der das tut, in Liebe ergibt, weil sie ihn nicht auf die Schlachtbank zu liefern wagt.

Graf Bertram. War das Ihr Fall?

Julia. O, nicht ganz, nicht ganz! Die Zusammenkunft hätt' ich ihm nicht bewilligt, das weiß ich, und ohne die erste wäre auch die zweite und dritte, wäre mein ganzes Unglück nicht möglich gewesen. Aber seine edle Gestalt, sein Gesicht mit dem rätselhaften Schmerzenszug, sein dunkelleuchtendes Auge, alles dies hatte sich meinem Herzen schon zu tief eingeprägt, als daß mein Blick nur Mitleid, nur Teilnahme hätte ausdrücken sollen. Genug, ich fand ihn, und mein Vater fand ihn nicht.

Graf Bertram. Warum hielt er nicht um Sie an?

Julia. Er heißt anders, als er sagte, er lebt in einer andern Stadt, als er mit nannte, er wird auch andere Gründe gehabt haben, als er vorschützte. Soll ich wiederholen, was er gegen mich aussprach, und was ich selbst nicht mehr glaube? Etwas seltsam Geheimnisvolles umgab ihn; es kam mir zuweilen vor, als ob er mich über sich und seine Verhältnisse täuschte, aber so, daß ich es merken sollte; ich gab es ihm einmal zu verstehen, da lächelte er und antwortete: sei nur erst mein, und du wirst klar sehen! Ich ward sein! Ich ward es erst nach den heiligsten Schwüren, von denen Gott selbst wohl nicht geglaubt hat, daß sie gebrochen werden könnten, aber ich ward's! Verachten Sie mich, ich weiß, daß ein Weib das Unmögliche möglich machen, ich weiß, daß es lieben und doch nicht vertrauen, daß es in einem Wesen untergehen und dies Wesen doch zugleich des schmählichsten Verrates fähig halten soll! Ich bewundere meine Schwestern, die das können!

Graf Bertram (faßt ihre Hand). Ich verachte Sie nicht.

Julia. Ich ward sein. Ich schauderte vor der wilden Freude, die er nun verriet; mir war, als ob ihn nicht bloß die Liebe, sondern zugleich ein fremdes unheimliches Gefühl, die Rache, hätt' ich sagen mögen, berauschte, ich fragte ihn, und ich wußte selbst nicht warum, ob er meinen Vater hasse. Nicht mehr, versetzte er, aber wenn auch? Dich lieb' ich darum nicht weniger! Mich überlief es kalt, er bemerkte es, preßte mich noch einmal in die Arme und rief: vergib, aber du weißt nicht, was ich alles in meiner Brust ersticken mußte, ehe dein Kuß mir so süß schmecken konnte. Er unterbrach sich, nach einer Weile murmelte er: nun muß sie mir mit fort, sobald die Stunde kommt, ihr bleibt keine Wahl! Er hatte recht, ich mußte, mir blieb keine Wahl. Aber, als nun die Stunde kam, als ich meinen schlafenden Vater schon, ich glaubte zum letztenmal, geküßt und ihn durch eine meiner brennenden Tränen, die auf seine Wange fiel, aus dem Schlummer fast geweckt hatte, als ich, den Schlüssel zur Tür in der Hand, harrend auf dem Balkon stand, da stellte der Mann, dem ich dies größte Opfer zu bringen gedachte, sich nicht ein, um es entgegenzunehmen, da harrte ich umsonst und hatte ein Gefühl, wie es diejenige haben mag, die, zum äußersten Schritt bereit, in einen See hinabspringt und ihn unter sich gefroren findet! Ha! der Mond mag mit Abscheu auf ein Geschöpf geblickt haben, das entschlossen war, den alten Vater zu verlassen und dem Geliebten zu folgen, aber die Morgensonne hat gewiß nicht ohne Mitleid ein verschmähtes Weib, das sich erst jetzt entehrt, geknickt und zertreten fühlte, zurückschwanken sehen ins Haus!

Graf Bertram. Und Sie hörten nichts weiter von ihm?

Julia. Nichts, nichts. Die Tage verrannen, die Wochen, die Monate, ich hörte ich sah nichts von ihm. Anfangs standen die Gedanken mir still, ich erfuhr, daß man aufhören kann zu leben, ohne zu sterben, ich brachte Stunden damit hin, daß ich meine Pulsschläge zählte. Dann begann es sich unter meinem Herzen zu regen, mir war, als ob es lebendig würde in einem Sarg, das Bewußtsein kehrte mir zurück, ich empfand den schwersten Fluch des Weibes, der die Seligkeit, die höchste Seligkeit in Verdammnis verwandelt, ich fing an, den Menschen, der ihn mir auferlegt hatte, zu hassen, wie das Böse selbst. Auch diese Zeit ging vorüber; ich dachte an das Schicksal und seine Tücke, er wird krank sein, rief ich aus, er ist tot, setzte ich hinzu, als mir einfiel, daß Kranke Boten finden können, und dieser Gedanke, nicht wahr, es ist entsetzlich?, erhöhte meine Verzweiflung nicht, er verringerte sie, er war mir tröstlich. Aber nun löste eine Qual die andere ab, ich dachte an meinen Vater, und das Herz wollte mir zerspringen! Er ahnte nichts, er sah nichts, sein Vertrauen in mich war grenzenlos; er suchte, als er mich einmal im Weinen überraschte, den Grund meiner Tränen in der Furcht vor dem Weltuntergang! Ich schauderte vor dem Augenblick seiner Enttäuschung, ich schauderte noch mehr, als man mich zur Marienjungfrau wählte, als man mich, mich auserkor, am Rosenfest allem Volk das heilige Bild vorzutragen, und als ich seine verhaltene Freude darüber sah, sein erzwungen gleichgültiges, mühsam zusammengehaltenes, und doch vor befriedigtem Stolz fast zerspringendes Gesicht. Sollte ich den furchtbaren Tag abwarten, um zur Sünde den Meineid zu fügen? Sollte ich vor den Altar treten, das Bild herunternehmen und feierlich schwören: ich berühre dich mit reiner Hand! um gleich darauf zusammenzubrechen und auszurufen: ich habe falsch geschworen!? Denn das ist schon einmal geschehen, und ein Jahr ist darauf gefolgt, in dem jedem Dämon Gewalt über die Menschen gegeben war, weil die Gnadenmutter ihr Antlitz zürnend abgewandt hatte. So verstockt hatte mich die Verzweiflung noch nicht gemacht, ich beschloß zu fliehen, ich tat's. Mein Geliebter hatte mir einen Namen genannt, eine Stadt, ich begab mich dahin und fand keine Spur von ihm, was blieb mir noch übrig, als den Tod zu suchen? Sie sehen, wie unrecht Sie hatten, den Mann mit dem Messer zu stören!

Graf Bertram. Ich sehe, daß eine Pflicht Sie aus der Welt hinausweist, aber auch, daß eine zweite und eine noch heiligere Sie darin zurückhält. Es kann beiden genügt werden. Ich bin bereit, Sie zu heiraten.

Julia. Sie?

Graf Bertram. Fragen Sie nicht nach dem Warum. Es kann Ihnen gleich sein. Fürchten Sie nicht, daß ich Liebe von Ihnen fordern werde! Ich selbst kann Ihnen keine gewähren und werde Ihre Hand nur das eine Mal berühren, wo der Priester sie vor dem Altar in die meinige legt. Ich will nichts, als Ihrem Vater einen Schmerz und Ihnen eine furchtbare Notwendigkeit ersparen.

Julia. Ha!

Graf Bertram. Ich bin ein vornehmer Herr, ein deutscher Graf; welche Ansprüche Ihr Vater an seinem Eidam machen mag, ich kann alle und jede befriedigen. Ihren übereilten Schritt nehme ich auf mich, ich werde ihn so darzustellen wissen, daß er Verzeihung findet! Ich – ich bin Ihr Entführer!

(Julia faßt sich an die Stirn.)

Graf Bertram. Ich habe für Sie die Bedingung gemacht und werde sie heilig halten: Sie werden mir ewig so fremd bleiben, als Sie es mir gestern, als Sie es mir noch vor einer Stunde waren! Auch ich habe Ihnen eine zu stellen, sie ist leicht: Sie sollen es mir bloß sagen, wenn Sie den Mann, der Sie verließ, durch Zufall wiedersehen, und mir bekennen, mit welchen Gefühlen Sie ihn wiedersehen! Und nun fragen Sie Ihr Herz, ob es Ihnen noch das Recht auf den Tod zuspricht – ich zweifle.

Julia. Nein! Wenigstens noch nicht!

Graf Bertram. So folgen Sie mir zu Ihrem Vater!

(Beide ab.)


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