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Neunzehntes Kapitel.
Das Geständnis

Die vier andern Verhaftungen waren auch geglückt. Keiner der Gefangenen erfuhr etwas von den übrigen; jeder beteuerte seine Unschuld und wollte wissen, was man ihm zur Last lege – aber vergebens. Die Fahnder verharrten in unheilvollem Schweigen.

Dies Schweigen, diese Zurückhaltung wirkten beängstigend. Den Missethätern schlug das Gewissen; sie durchforschten die dunkeln Falten desselben mit einem Eifer wie nie zuvor. Besonders Mc. Gloin, dem wir weiter folgen müssen, sah sich von Angst und Unruhe gefoltert. Er, den der Inspektor in eigener Person verhaftet hatte, wurde sofort in eine Gefangenzelle des Hauptpolizeiamts geführt. Die schwere Thür fiel hinter ihm ins Schloß – er blieb zur Nacht allein. Bei seiner Aufregung und Beängstigung war jedoch an Schlaf nicht zu denken. Bald setzte er sich, den Kopf zwischen den Händen, auf die hölzerne Bank, bald stand er auf und versuchte durch das Gitterfenster oben in der Thür zu blicken; dann ging er ruhelos in der Zelle hin und her. Wieder und wieder flogen ihm dieselben Gedanken durch das wirre Hirn: Weswegen war er verhaftet worden? Konnte irgend ein Schuldbeweis gegen ihn vorliegen? Hatte ihn einer seiner Genossen verraten? – Vor seiner Seele stieg ein Bild auf, das er nicht aus dem Gedächtnis zu bannen vermochte, das ihm stets Furcht und Schrecken einjagte und immer wiederkehrte – nicht schwach und unbestimmt, nein in grauenvoller Wirklichkeit, klar und deutlich in allen Einzelheiten. Warum konnte er es nicht vergessen? So vieles hatte er schon abgeschüttelt. Aber das ließ sich nicht verscheuchen. Es verfolgte ihn im Wachen und im Traum, er sollte es nicht los werden bis zum Grabe! Was war es denn? – Ihm war es nie über die Lippen gekommen – aber manchmal überfiel ihn ein unwiderstehliches Verlangen, die schwarze That zu offenbaren, sich von dem quälenden Bewußtsein zu befreien. Aber der Preis solcher Befreiung wäre ein grauenvoller schimpflicher Tod! So lange er schwieg, drohte ihm keine Gefahr und er hatte das Geheimnis stets wieder in seiner Brust verschlossen.

War er denn aber auch wirklich sicher? – In dem Dunkel, der Totenstille, die ihn umgab, überfiel ihn auf einmal der Zweifel: Hatte er keine Spuren hinterlassen, die ihn verraten konnten? Durfte er sich auf die Verschwiegenheit seiner Freunde verlassen? – Worin bestand denn ihre Freundschaft? Sie hatten mit einander die Nächte durchzecht, sich in den Straßen umhergetrieben, zusammen geraubt und gestohlen – war dadurch ihr Bund besiegelt, würden sie ihm treu bleiben in der Stunde der Gefahr? – Er konnte sich nicht besinnen, daß er ihnen je Großmut erwiesen, sie sich durch Freundlichkeit und Gefälligkeit geneigt gemacht hätte. Anmaßend war er gewesen, prahlerisch, grausam und treulos. Mit seinen nächsten Gefährten verknüpfte ihn kein festeres Band als das gemeinsam verübter Bosheit. Wenn sie sich nun durch die ausgesetzte Belohnung verlocken ließen! Was sollte sie daran hindern?

Er sprang auf, reckte und schüttelte sich. Er wollte solchen Gedanken nicht nachhängen. Noch wußte er ja nicht, weswegen er verhaftet war; vielleicht quälte er sich mit ganz unnützer Furcht, man legte ihm vielleicht nur irgend eine kleine Verletzung des Gesetzes zur Last oder begehrte sein Zeugnis in einer Sache, bei der er nicht der Hauptthäter war – dann hätte er sich alle diese Angst sparen können! Und doch – wie trügerisch konnte diese Hoffnung sein. Warum war die Verhaftung so geheimnisvoll, so plötzlich und planmäßig vorgenommen worden? Das mußte Schlimmes bedeuten! Wäre nur die Nacht vorbei! Diese Ungewißheit war die schrecklichste Qual, jede Gesellschaft besser als diese furchtbare Einsamkeit!

Der Morgen brach endlich an, Mc. Gloins Zelle öffnete sich und der schweigsame Gefängniswärter winkte ihm, daß er folgen solle. Ihre Fußtritte hallten auf dem Gang und der steinernen Treppe wieder, dann ging es den breiten Korridor entlang, der durch das riesige Gebäude führt. Durch die großen Thüren an den Enden fiel ein Strahl der Tageshelle. Würde er je wieder als freier Mann in den Sonnenschein hinaustreten dürfen? – Die Hand, die auf seiner Schulter lag, trieb ihn vorwärts, durch eine Seitenpforte, in das Vorzimmer. Hier blieb er wieder eine Weile allein, das Auge auf die Thür geheftet, die ins nächste Gemach führte. Was wartete seiner dort?

Bei dem scharfen Laut einer Glocke fuhr er zusammen; noch hatte er sich nicht wieder gefaßt, da ging die Thür auf und er trat in ein geräumiges Zimmer. Den Boden bedeckte ein Teppich, vor ihm befand sich ein mit grünem Tuch bezogener Tisch, an den Wänden die Sammlung von Verbrecherwerkzeugen, Messern, Totschlägern, Feuerwaffen und schwarzen Kappen, die Mc. Gloin zum erstenmal sah. Der Anblick hatte nichts Beruhigendes. Aber seine Augen weilten nicht lange dabei, sie blieben auf dem Manne haften, der am Tisch saß, von dem Licht beschienen, das durch zwei Fenster, zu seiner Rechten und Linken, ins Zimmer strömte. Die Fenster gingen auf einen innern Hof, der an allen vier Seiten von hohen weißen Mauern umgeben war. In der Mauer gegenüber befand sich eine Thür, und eine zweite Thür nicht weit davon an der rechten Seite. Der Hof war leer, nur der Schnee lag darüber ausgebreitet wie ein großes weißes Tuch.

Der Mann an dem Tisch war Inspektor Byrnes. Er warf einen Blick auf den eintretenden Gefangenen und vertiefte sich wieder schweigend in seine Papiere. Mc. Gloin vermochte endlich die Stille nicht mehr zu ertragen.

»Warum hat man mich hergebracht?« fragte er, »was soll ich hier?«

Erst nach einer Weile sah der Inspektor auf. »Sie sind hier, nicht um Fragen zu thun, sondern um mir Rede zu stehen!« Er griff nach der Feder und begann das Verhör.

»Wie heißen Sie?«

»Michael Mc. Gloin.«

»Wie alt sind Sie?«

»Aber, Herr Inspektor,« stammelte der Gefangene, »ich weiß gar nicht, was ich hier soll.«

»Wie alt sind Sie?«

»Nun denn – 21 Jahr.«

»Wo wohnen Sie?«

Mc. Gloin erkannte, daß jeder Widerstand gegen diese eiserne Geschäftsordnung vergeblich sein würde; er antwortete gefügig: »In der 29. Straße W. Nr. 259.«

Der Inspektor schrieb die Antworten nieder, erhob sich dann von seinem Sitz und verließ das Gemach.

Mc. Gloin sah sich zu seiner Ueberraschung abermals allein. Er blickte scheu umher. Die Bildnisse der Diebe und Mörder starrten ihn von den Wänden an und die unheimlichen Werkzeuge waren deutlich erkennbar. Er sah durch das Fenster in den schneebedeckten Hof, ein kalter Schauder überlief ihn, er räusperte sich und befeuchtete seine trockenen Lippen. Wie lange sollte dies schreckliche Warten noch dauern! Noch war keine Beschuldigung wider ihn erhoben, kein Ankläger ihm gegenüber getreten. Mit aller Gewalt versuchte er sich zu ermannen und neuen Mut zu fassen. Er galt bei seinen Kameraden für einen kecken Gesellen. Jetzt wollte er zeigen, daß er so gut war wie sein Ruf. Wenn Beweise gegen ihn vorlägen, würde man nicht gezögert haben, sie vorzubringen. Er war auf einen unbestimmten Verdacht hin festgenommen. Darum kühn der Gefahr entgegen!

Leise ging die Thür hinter Mc. Gloin auf und Fußtritte glitten über den Teppich. Zuerst blieb er unbeweglich, da aber niemand näher kam, schaute er verstohlen über seine Schulter. Ein Mann und ein Knabe standen unter der Thür, ihn mit forschenden Blicken betrachtend. Keiner sprach ein Wort. Anfänglich ließ er sich die Besichtigung ruhig gefallen, dann reizte es ihn, sie zu erwidern. Doch als er sich umwandte, fuhr ihm ein neuer Schrecken durch die Glieder! Die Gesichter waren ihm nicht unbekannt: der Mann wenigstens nicht – das war ja der Pfandverleiher Bernhard Rosenthal aus der neunten Avenue. Mc. Gloin stockte der Atem. – Die Leute sollten ihn wiedererkennen! Konnten sie dies? – sie ließen sich nichts merken, gaben keinen Laut von sich – vielleicht mißlang der Versuch. Mc. Gloin schöpfte neue Hoffnung.

In diesem Augenblick trat der Inspektor wieder ein. Er ging auf die beiden zu und empfing etwas aus des Knaben Hand; Mc. Gloin konnte nicht sehen, was es war. Rosenthal und der andere zogen sich zurück, die Thür schloß sich leise hinter ihnen. Der Inspektor nahm nun seinen Platz wieder ein und legte einen Gegenstand vor sich auf den Tisch, bei dessen Anblick Mc. Gloin das Blut in den Adern erstarrte. Es war ein fünfläufiger Revolver mit weißem Griff.

Er starrte entsetzt und wie gebannt darauf hin. Dann besann er sich und zwang sich gewaltsam, die Augen abzuwenden, da traf er den Blick des Inspektors, der durchbohrend auf ihm ruhte.

Es war ein verhängnisvoller Augenblick. Der Kampf zwischen den beiden Männern begann. Der Beamte focht für Wahrheit und Gerechtigkeit, der Gefangene für sein Leben. Die Waffen waren jedoch nicht so ungleich, wie man wohl auf den ersten Blick hätte glauben mögen. Freilich stand dem Inspektor das Ansehen des Gesetzes zur Seite und der mächtige Vorteil, daß Mc. Gloin keine Ahnung hatte, welche Beweise gegen ihn vorlagen und in wie weit seine Sache schon verloren war. Mc. Gloin besaß dagegen den Mut der Verzweiflung und der Instinkt der Selbsterhaltung belehrte ihn, daß noch kein vollgültiger Schuldbeweis gegen ihn erbracht sein könne, weil man ihn sonst sogleich vor Gericht geführt haben würde, statt ihn erst hier förmlich von allen Seiten zu belagern. War er auch moralisch überführt, weil er sich durch seine innere Bewegung verraten hatte, so galt doch dies Zeugnis nichts vor den Geschworenen, die ihm das Urteil sprechen würden. Mc. Gloin wußte jetzt so gut wie der Inspektor, um welches Verbrechen es sich handle; dieser beharrte darauf durchzusetzen, daß Mc. Gloin sein eigener Ankläger wurde, doch ebenso unerschütterlich war Mc. Gloins Entschluß, seine That nicht einzugestehen. Der feste Wille des einen Kämpfers stand dem des andern gegenüber. Der Inspektor hatte seinen Angriff bis ins kleinste überdacht, aber Mc. Gloin waffnete sich zum Widerstreit mit aller Hartnäckigkeit, die ihm zu Gebote stand.

»Treten Sie näher, Mc. Gloin,« begann jetzt der Inspektor in so ermunterndem Ton, daß der Gefangene fast vergaß, auf seiner Hut zu sein. »Treten Sie näher, ich habe noch mit Ihnen zu reden.«

Er stellte seinen Stuhl vor das Fenster, das Licht fiel auf den Gefangenen ihm gegenüber, so daß er jeden seiner Züge und ihren wechselnden Ausdruck genau beobachten konnte.

»Sie sind nicht zum erstenmal in Haft, Mc. Gloin?« sagte der Inspektor.

»Einmal bin ich ertappt worden, bei einem kleinen Diebstahl,« entgegnete der andere, »das Glück war wider mich, den übrigen hätte das ebenso gut passieren können.«

»Auch der Bande gehörten Sie an, welcher neulich der Fang mit dem Karren gelungen ist.«

»Ich?«

»Sie, Healy, Banfield und Morrisey, vielleicht auch andere. Können Sie mir sagen, wo Sie am dritten des Monats um elf Uhr Abends waren?«

Bei dieser rasch gestellten Frage atmete Mc. Gloin wie befreit auf. Das war der Faßdiebstahl in der untern fünften Avenue, etwas ganz anderes als der Mord. War dies alles – so war er gerettet.

»Ich weiß nicht, wo ich war, Herr Inspektor,« sagte er mit der unschuldigsten Miene von der Welt, »irgendwo in der Stadt, bei einem Glase Bier.«

»Banfield fuhr den Karren an jenem Abend, Sie, Morrisey und Healy luden das Faß Rum auf. Sie versetzten dem Schutzmann den Schlag hinters Ohr. Erst vorletzte Nacht haben Sie ja die Geschichte selbst erzählt, daher müssen Sie es noch wissen,« sagte der Inspektor in ruhigem Ton und sah ihm voll ins Gesicht.

Mc. Gloin wurde rot und biß sich auf die Lippen. Die Enthüllung von Charlottens wahrem Charakter erfüllte ihn mit Grimm und Scham. Daß das Mädchen ihn von Anfang an zum Narren gehalten hatte, war ein Dolchstich für seine tiefeingewurzelte Eitelkeit. Bald aber trieb ihm ein anderer Gedanke alles Blut aus den Wangen: Wenn sie ihn betrogen hatte – konnte nicht jeder seiner Gefährten ein Polizeispion sein?

»Mc. Gloin,« fuhr der Inspektor mit fester Stimme fort, »Sie stammen aus einer anständigen Familie und hätten sich ihren redlichen Unterhalt verdienen können. Statt dessen sind Sie ein Dieb, ein Bösewicht geworden. Sie schlossen sich an eine Bande verworfener Menschen an, mit Zechen und Rauben verbrachten Sie Ihr Leben. Sie begingen Diebstähle in den Straßen, in den Schenken. Sie versuchten alle Diebeskniffe, manchmal mit, manchmal ohne Erfolg.«

Der Inspektor hielt inne, Mc. Gloin starrte zu Boden, seine schlimmsten Befürchtungen wurden wieder wach.

»Hätten Sie sich damit begnügt, Sie wären jetzt nicht hier. Aber Sie gingen noch weiter. Sie trachteten danach, für schlimmer, für verwegener zu gelten als ihre Genossen. In einer Nacht begingen Sie ein Verbrechen –«

Wohin schweifte Mc. Gloins Blick? Er sah nicht nach dem Inspektor, sondern an ihm vorüber, hinaus auf den schneebedeckten Hof und Entsetzen malte sich in seinen Zügen. Der Polizeichef saß mit dem Rücken nach dem Fenster, doch mochte er wohl wissen, was jetzt draußen vorging; Mc. Gloin aber übersah von seinem Platz aus den ganzen Hof. Die Thür in der Mauer gegenüber öffnete sich und drei Männer schritten langsam und schweigend nach der andern Thür hinüber. Zwei waren Polizeidiener; zwischen ihnen ging mit Handschellen gefesselt, bleich im Gesicht, Mc. Gloins früherer Freund und Genosse, Tom Healy.

Der Schlag traf ihn zu unerwartet; die Wirkung ließ sich nicht verbergen. Krampfhaft verzog sich das Gesicht des Gefangenen und seine Lippen zitterten. Er biß die Zähne aufeinander, doch vermochte er nicht mehr dem Blick des Inspektors zu begegnen. Mit heiserer Stimme stieß er die Frage heraus:

»Was soll ich denn begangen haben?«

»Die Anklage gegen Sie lautet auf Mord!« war die vernichtende Antwort.

Im Augenblick der größten Not raffte er jedoch alle Kraft zusammen. Wenn er sich jetzt nicht bezwang, war er verloren. Es gelang ihm, eine sorglose zuversichtliche Miene anzunehmen.

»Mich beschuldigt man des Mordes! Das fehlt nur noch. Und wen soll ich denn umgebracht haben?«

Der Inspektor ließ fast eine Minute verstreichen, dann erwiderte er mit Nachdruck:

»Der Name des Mannes, dessen Mörder Sie sind, war Louis Hanier.«

»Sie meinen den Franzosen in der 26. Straße!« Der Inspektor neigte bejahend das Haupt. Mc. Gloin versuchte zu lachen – es war ein schauerlicher Ton, den er herausbrachte.

»Wer sagt, ich hätte ihm das Leben genommen?«

»Der volle Schuldbeweis liegt gegen Sie vor.«

»Niemand kann es bezeugen.«

»Sie sind im Irrtum, Mc. Gloin,« entgegnete der andere mit eiserner Ruhe. Er nahm den Revolver zur Hand und hielt ihn in die Höhe. Mit der Kugel aus dieser Waffe haben Sie Hanier erschossen. Der Revolver ist unser erster Beweis. Unter falschem Namen versetzten Sie ihn dann bei Rosenthal. Er und sein Sohn, die eben hier waren, haben Sie mit Sicherheit wiedererkannt.«

Der Gefangene fühlte, wie der Boden unter ihm zu wanken begann. Aber noch gab er den Kampf nicht auf.

»Und wenn ich auch die Pistole dort versetzt habe, was beweist denn das? Ich fand sie auf der Straße. Wer sagt, ich hätte Hanier umgebracht?«

Wie zur Antwort auf diese Frage öffnete sich abermals die Thür in der Mauer und wie vorher schritten drei Männer über den Hof. Aber diesmal war es Morrisey, der zwischen den Polizeidienern einherging.

Dem Verbrecher sauste es in den Ohren, die Stimme des Inspektors klang wie aus weiter Ferne zu ihm herüber. »Glauben Sie wirklich, Mc. Gloin, daß Ihre Mitschuldigen Sie nicht verraten werden? Jene haben den Schuß nicht abgefeuert – können Sie sich vorstellen, daß sie lieber selbst die Strafe erleiden würden, statt den Thäter anzugeben?«

Wer konnte daran zweifeln? Es war vorbei mit der Hoffnung. Todesangst nagte ihm am Herzen. Es galt einen letzten Versuch.

»Es ist erlogen!« rief er. »Erfunden und erlogen. Ich habe Hanier nicht umgebracht, ich schwöre es, und niemand kann mich überführen!«

»Mc. Gloin,« sagte der Inspektor ernst und streng. »Sie haben schon zu viel verraten, um ferner zu leugnen. Auch wissen wir bereits alles, was Sie noch verbergen wollen. Ich kann Ihnen nicht versprechen, daß Sie Gnade erlangen werden; hoffen dürfen Sie jedoch nur darauf, wenn Sie ein volles unumwundenes Geständnis ablegen. Das steht ganz bei Ihnen. Alle Ihre Mitschuldigen sind verhaftet und sobald Sie das Zimmer verlassen, werden Sie ihnen gegenübergestellt.«

Vergebens versuchte der elende Verbrecher eine trotzige Erwiderung. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, er brachte keinen Laut hervor. Da öffnete sich zum drittenmal die verhängnisvolle Thür, wieder schritt ein gespenstischer Zug vorüber und verschwand wie die früheren. Der Mann, der dort in Ketten einherging, war kein anderer als Banfield.

Mc. Gloin wartete nicht länger. Der Kampf war aus – er war unterlegen. Aschfahl im Gesicht sank er in die Kniee und stammelte mit blutlosen Lippen:

»Erbarmen, Inspektor, retten Sie mich vom Galgen!«

Beim Anblick des verzweifelnden Geschöpfs, das gebrochen und vernichtet, sich vor ihm im Staube wand, wollte den Inspektor eine Regung des Mitleids beschleichen. Er hatte einen großen Sieg davongetragen und ein Meisterstück in seinem Beruf ausgeführt. Das rechtzeitige Erscheinen der drei Helfershelfer Mc. Gloins – dieser Kunstgriff, den er angewendet – hatte ganz die beabsichtigte Wirkung gehabt. – Und doch – was für ein erbärmlicher Gegner war dieser feige winselnde Schurke vor ihm! Er war ja den Strick nicht wert, mit dem man ihn hängen würde!

Dann aber dachte er an Haniers kleine Kinder, wie sie in der schauerlichen Dezembernacht neben dem blutigen Leichnam ihres ermordeten Vaters knieten, und sein Mitgefühl für den Mörder schwand. Er hatte Menschenblut vergossen und verfiel der rächenden Gerechtigkeit.

Der Polizeichef erklärte Mc. Gloin, daß sein Geständnis keinen Wert habe, wenn es nicht im Beisein einer Gerichtsperson zu Protokoll genommen werde. Mc. Gloin, der jetzt ebenso begierig danach verlangte, sein Verbrechen zu enthüllen, als er früher getrachtet hatte, es zu verbergen, bat, daß dies unverzüglich geschehen möchte. Vielleicht hoffte er noch das Urteil zu mildern, oder war es nur der Wunsch, das grausige Geheimnis endlich von der Seele los zu werden!?

Aus seinem Bekenntnis haben wir nur noch wenig nachzuholen. Das Verbrechen war ganz so begangen worden, wie der Inspektor von Anfang an vermutet. Die Gaunerbande hatte den Laden beraubt und alles zertrümmert aus Rache, daß sie beim Bestehlen der Geldschublade entdeckt worden waren. Als sie Haniers Schritte vernahmen, waren die andern geflohen, nur Mc. Gloin hatte in trotziger Prahlerei vom Fuß der schmalen Treppe aus auf den Hinabkommenden gezielt und ihn mitten ins Herz getroffen. Dies war sein Verbrechen, das er bekannte. Die Aussagen seiner Mitschuldigen bestätigten es und er erlitt dafür die volle Strafe des Gesetzes. Unsere Erzählung hat mit ihm nichts mehr zu schaffen.

Es bleibt uns nur noch eine Begebenheit zu berichten, die den erfreulichen Schluß zu einer Geschichte bilden mag, welche wenig ansprechende Züge aufzuweisen hat.

Einige Zeit nach den zuletzt beschriebenen Vorgängen erschien eine Deputation in dem Bureau des Inspektors, welchen der Sprecher folgendermaßen anredete:

»Sie haben durch Ihre Bemühung, Herr Inspektor, die Entdeckung und Bestrafung jenes Verbrechers herbeigeführt, dessen Schicksal allen Spitzbuben New-Yorks eine Lehre sein wird. Wir wünschen Ihnen hierfür unsern Dank und den aller Bürger der Stadt auszudrücken. Zugleich haben Sie aber auch noch den vollen Anspruch auf eine andere Anerkennung Ihrer Verdienste erworben.«

Bei diesen Worten legte er das Plakat mit der für Entdeckung von Louis Haniers Mörder ausgesetzten Belohnung von fünfhundert Dollars, sowie diese Geldsumme selbst auf den Tisch.

Inspektor Byrnes nahm das Geld mit ruhiger Geschäftsmiene in die Hand. Auf die schmeichelhafte Anrede versuchte er keine Erwiderung. Er sagte einfach: »Meine Herren, mir scheint am richtigsten, wenn diese Summe der Witwe und den Kindern Louis Haniers zugute kommt; vielleicht haben Sie die Güte, sie ihnen zu übermitteln.«

Die Anwesenden murmelten ihren Beifall und der Sprecher sagte: »Dies ist zwar eine ganz neue Verwendung solchen Blutgeldes, aber sie macht Ihnen, Herr Inspektor, und Ihren Beamten alle Ehre!«

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