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Zwölftes Kapitel.
Maskenball

Am Abend des 19. Januar 1882 herrschte ein ungewöhnliches Leben und Getümmel in der 14. Straße O. Die Fenster der Musikakademie strahlten von Licht; aus allen benachbarten Straßen kamen zu Fuß und zu Wagen Scharen herbeigeströmt, und von drinnen ertönte der rhythmische Klang der Musik mitten in den Lärm und das Gewirre der draußen durcheinander wogenden Menge. Die Luft war klar und frisch – das bringt Leben in die Geister und beschleunigt die Schritte! Aber, was ging denn vor? – Keine Primadonna, selbst nicht die unvergleichliche Patti hatte wohl eine so ungeheure und verschiedenartige Zuhörerschaft herbeigezogen! Wie seltsam sahen die Gestalten aus, welche in grotesken oder strahlenden Kostümen mit vorgebundenen Masken aus den anfahrenden Droschken und Wagen stiegen, vor dem Eingang herumwimmelten und in der Thüre verschwanden! War dies vielleicht eine Oper, in der alle Zuschauer mitspielten und sich in die Rollen verkleideten?

Etwas derartiges war es allerdings, nämlich der französische Maskenball, der alljährlich einmal in New-York abgehalten wird und eins der wenigen malerischen Feste bildet, welche die Großstadt noch kennt. Er ist auch darin einzig in seiner Art, daß die vornehme Welt ihm noch immer offen oder insgeheim ihre Gunst zuwendet, während zugleich die unteren Schichten der Gesellschaft, die für gewöhnlich streng in ihre abgegrenzten Kreise verwiesen sind, bei dieser Gelegenheit mit übermütigem Frohlocken einen Glanz entfalten, der sie für alle Geringschätzung des übrigen Jahres schadlos halten soll. Eine so gemischte Gesellschaft ist sonst nirgends zu finden, daher ist es kein Wunder, wenn die halbe Stadt den französischen Maskenball mit Freuden erwartet und die andere Hälfte ihm nicht ohne Neugier entgegensieht.

Vom moralischen Standpunkt mag man Bedenken haben gegen eine aus so verschiedenartigen Elementen bestehende Festversammlung, in der das Laster und die Ehrbarkeit in allzu nahe Berührung treten – für das Auge jedoch kann es kaum ein fesselnderes und ergötzlicheres Schauspiel geben! Der riesige Saal strahlt von Lichterglanz und buntem Fahnenschmuck. In dem breiten Halbkreis der Logen und Balkone wogt ein Meer von Spitzen, Seide und Atlas, Federn wehen und Juwelen funkeln. Im unteren Raume herrscht eine noch sinnverwirrendere Pracht, da verliert die weise Mäßigung die Zügel und die Fröhlichkeit wird zur Ausgelassenheit. Eine Flut von Licht ergießt sich über die Menge, die in allen Farben des Regenbogens in Goldstoff und Flitterstaat umherschwärmt. Die Strahlen spiegeln sich in den geschliffenen Edelsteinen, die kaum weniger hell blitzen als die lachenden Augen rings umher. Fantastische Masken, bunte Dominos, reiche Gewänder rauschen und wallen durcheinander, sich suchend und wieder trennend – die Blicke begegnen sich, sie fragen, sie antworten; blendend weiße Schultern, schön geformte Arme erheben und senken sich; tausend wechselnde Gestalten, anmutsvoll, plump, komisch und gravitätisch schwingen sich im Reihen, eilen dahin, bilden ein festes Knäuel, das sich wieder entwirrt und löst – ein vielfarbiges, stets sich erneuerndes Bild! Geharnischte Ritter, Kavaliere in Hoftracht, Pagen und Paladine, Blumenmädchen und Göttinnen, wilde Indianer und Wassernymphen – alle Charaktere, welche die Einbildung zu erdenken vermag, sieht man hier in buntem Gewimmel. Einen sonderbaren Kontrast zu all dem Mummenschanz bilden die wenigen unmaskierten Gäste, die an der Wand lehnen oder im Saal umherschweifen mit ihren schwarzen Fräcken und weißen Vorhemden. Um die ausgelassensten und fantastischsten Tänzer sammelt sich hier und da eine Zuschauergruppe; lautes Gelächter, Hurrahrufen, Gespött und Getöse schallt durch den hohen Saal und mischt sich mit den schmetternden Klängen der Musik, die betäubend und berauschend, lockend und bestrickend erschallt, Herz und Sinne gefangen nehmend mit unwiderstehlichem Zauber. Die bunten Wimpel und Fahnen erzittern in der warmen Luft, die von hundert süßen Düften durchschwängert ist.

Von 9 Uhr an bis gegen Mitternacht wuchs das Gedränge unaufhörlich und der Jubel wurde wilder, zügelloser. In den Straßen standen die Wagen dicht gedrängt, die Kutscher, die mit ihren Fuhrwerken in dem Gewirre festgekeilt waren, schrien, fluchten und wetterten aus Leibeskräften; die Schutzleute konnten nur mit äußerster Anstrengung, mit eiserner Festigkeit, unerschütterlicher Ruhe und Geduld und wahrer Stentorstimme die Menge einigermaßen in Ordnung halten und den Kommenden und Gehenden die Wege bahnen. In der Reihe der anfahrenden Wagen befand sich auch ein hübsches elegantes Coupé, das schon in den nächsten zehn Minuten die Eingangsthür erreicht haben konnte. Zwei Frauen, die eine in einem orangegelbem, die andere in einem blauen Domino, saßen darin und unterhielten sich aufs eifrigste in französischer Sprache.

»Sie wissen also ganz genau, was Sie zu thun haben, Elise,« fragte der blaue Domino.

»Verlassen Sie sich darauf, Madame,« war die Antwort; »und selbst im schlimmsten Falle kann keine große Gefahr dabei sein.«

»Ach, wenn mein Mann etwas von unserer Unternehmung erführe!« rief der blaue Domino mit krampfhaftem Zucken der Schultern.

»Das brauchen wir nicht zu fürchten; er ist mit dem Abendzug nach Philadelphia gefahren und kann vor morgen nicht zurück sein.«

»Es läßt mir keine Ruhe! Ich hätte ihm alles sagen sollen. Warum habe ich es nur nicht gethan!«

»Der Brief erwähnte ganz besonders, daß er nichts davon wissen dürfe.«

»Ach, aber ein anonymer Brief! – Wenn der Schreiber es redlich meinte, würde er seinen Namen nennen. Was soll er mir auch zu sagen haben? Louis ist tot – nun habe ich niemand als meinen Mann – und doch steht im Briefe, ich solle eine wichtige Nachricht über eine mir teuere Person erhalten. Wer kann das sein?«

»Wir werden es ja erfahren,« versetzte die mit Elise Angeredete, »etwas Schlimmes kann nicht dabei herauskommen. ›Der Briefsteller – er mag sein, wer er wolle – wird mit dem orangegelben Domino reden, der rechts einen Diamantohrring und links einen Ohrring von Rubinen trägt.‹ Da ich nun auf Ihren Wunsch diese Kleidung und den Schmuck angelegt habe, so wird er sich an mich wenden; finde ich nun, daß er wirklich etwas von Wichtigkeit mitzuteilen hat, so bitte ich ihn, einen Augenblick zu warten und wir führen unsern Plan aus. Ist er aber nur ein Betrüger, so können wir ihm leicht entschlüpfen und uns zurückziehen.

»Ich will nur hoffen,« sagte die andere seufzend, »daß kein Unglück geschieht! Um des Himmels willen, Elise, seien Sie vorsichtig und begehen Sie keinen Irrtum. Erinnern Sie sich auch noch genau, wo Sie ihn treffen sollen?«

»Seien Sie ohne Sorgen, ich kenne alle seine Anweisungen auswendig. – Jetzt sind wir angekommen!«

Der Wagen hielt und ein Schweizer öffnete den Schlag. Die Damen eilten die mit rotem Teppich belegten Treppenstufen hinauf, übergaben ihre Eintrittskarten einem andern kostümierten Diener, traten zuerst in die Damengarderobe und dann auf den Balkon hinaus, von wo sie den Saal und die Gesellschaft überblicken und womöglich die Person ausfindig machen wollten, die sie hierher bestellt hatte – die Verkleidung, in welcher sie erscheinen würde, war in dem Briefe genau beschrieben.

Zuerst schwirrte ihnen alles vor den Augen so bunt durcheinander, daß sie es für unmöglich hielten, einzelne Gestalten zu unterscheiden. Allmählich gewöhnten sie sich jedoch an das glänzende Gewirre, die Tänzer sonderten sich von den Zuschauern ab und ihr Blick verweilte auf den hervorstechendsten Erscheinungen. Vergebens aber schauten sie aus nach dem Mann in weißem Wams und Kniehosen mit dem blauen Stern auf dem Rücken und einem leeren Vogelkäfig in der Hand. Dies Kostüm des Unbekannten war auffallend genug, um selbst aus dem Wirrwarr hervorzustechen, der sie umgab – doch, entweder war er noch nicht da, oder sie hatten ihn übersehen. An der festgesetzten Zeit fehlten ja auch noch volle fünfzehn Minuten – es war erst drei Viertel auf elf Uhr.

Während Elise und die Dame in blauem Domino so beschäftigt waren, traten zwei Männer in die Loge neben der ihrigen und nahmen daselbst Platz. Der eine war hager von Gestalt, mit etwas gewölbten Schultern; er trug einen Ueberrock, eine schwarzseidene Gesichtsmaske und einen schwarzen Domino über den Arm geworfen. Der andere, ein großer plumper Bursche, mit gemeinem rotem Gesicht, breitem Mund und gutmütigem Ausdruck, zeigte keinerlei Verkleidung, sondern hatte einen großen schäbigen Rock an, einen wollenen gestrickten Shawl um den dicken Hals und seine Hände steckten in einem Paar unglaublich schmutziger Buckskinhandschuhe. Er sah wie ein Droschkenkutscher von der Straße aus und war auch niemand anderes als unser alter Bekannter Mc. Bride.

»Jetzt schnell,« sagte Mc. Brides Gefährte, »machen Sie die Augen auf und suchen Sie ihn heraus. Sie sind doch ganz sicher, daß Sie ihn am Eingang sahen?«

»Ich werde doch wohl!« entgegnete der Kutscher zuversichtlich. »Gleich beim ersten Blick habe ich ihn erkannt. Er war es in eigener Person, die Größe, der Umfang, der graue Bart – alles stimmt. Den habe ich am Sonnabend vor Neujahr in der Nacht gefahren und keinen andern.«

»Sahen Sie sein Gesicht? War er denn damals nicht maskiert?«

»Das wohl, Herr; aber es kam so: Ich stand auf der Treppe und steckte eben das Geld für meine Fahrt in den Beutel, da hält er in seinem Kabriolet an und springt gerade vor mir hinaus. Er hatte seinen Domino um – ein roter ist es – und war maskiert, aber wie er die Börse zog und nach einem Dollarschein suchte, schob er die Maske in die Höhe. Da sah ich ihn und kann mich drauf todschlagen lassen, daß er's war!«

»Ein Glück, daß ich gerade dazu kam,« murmelte der Hagere halb für sich. »Es war der reinste Zufall, daß ich auf dem Wege nach dem Bureau hier vorsprach. – Die Frau hatte er also nicht bei sich, sagen Sie?«

»Nein Herr, wenigstens nicht im Kabriolet; vielleicht will er hier mit ihr zusammentreffen.«

»Was er überhaupt hier suchen mag?« – murmelte der andere; »wenn mich mein Glück nicht im Stiche läßt, muß ich's entdecken. Sehen Sie ihn noch nicht?«

»Es ist, als ob man die Sterne zählen wollte, wenn man betrunken ist!« sagte Mc. Bride, die Augen weit aufreißend. »Wenn sie alle einmal stille ständen, ging's vielleicht, aber so lange sie so durcheinander wirbeln – es geht nicht, Herr – ich bring's nicht zu Wege!«

»Dann kommen Sie wieder hinunter,« sagte der Hagere, »vielleicht begegnen wir ihm im Vorsaal oder auf dem Hausflur.« Er stand schnell auf und ging mit sonderbar schleppendem Gang voraus, während der Droschkenkutscher hinter ihm drein stampfte.

Die Dame im blauen Domino folgte ihnen mit ängstlichen Blicken und faßte in großer Aufregung ihre Gefährtin am Arm.

»Elise,« sagte sie, »die Stimme des Droschkenkutschers kam mir so bekannt vor; ich täusche mich gewiß nicht. Sagte er nicht etwas über die Nacht vom Sonnabend vor Neujahr?«

»Ja, er habe in jener Nacht Jemand gefahren. Aber was thut das?«

» Mon Dieu, Sie wissen doch, das war die Nacht, in der mein Mann und ich – – Schnell, lassen Sie uns nach Hause gehen. Wenn er es ist, bin ich verloren!«

»Aber warum denn, Madame? Ich verstehe Sie nicht?«

»Das ist doch nicht schwer! Er sagte, er habe den Mann, welchen er in jener Nacht gefahren, heute Abend auf der Treppe gesehen. Mein Mann muß also in diesem Augenblick hier sein; wahrscheinlich hat er erfahren, wo ich bin und sucht mich. Wir haben keine Zeit zu verlieren, kehren wir schnell zurück, ehe er uns findet!«

»Aber Madame,« sagte Elise in beruhigendem Ton, »Sie irren sich ganz gewiß. Selbst wenn Ihr Gemahl hier wäre, könnte er Sie unmöglich erkennen; wir haben jedoch allen Grund anzunehmen, daß er über hundert Meilen von hier entfernt ist. Was den Droschkenkutscher betrifft, so sprechen sie alle gleich und sehen einander ähnlich. Denken Sie nur, wie viele Dutzende von Kutschern am Sonnabend vor Neujahr nachts unterwegs gewesen sein mögen! Es wäre doch zu unwahrscheinlich, daß gerade dieser Sie gefahren haben soll. – Aber sehen Sie einmal da!« rief sie plötzlich und deutete in den Saal hinunter. »Nein, dort unter der großen Fahne in der Ecke. Da ist er – das weiße Wams, der blaue Stern, der Vogelkäfig – es trifft alles zu. – Nachdem Sie einmal so viel gewagt haben, werden Sie doch im letzten Augenblick nicht alles wieder aufgeben wollen! Auch bin ich es ja, die mit ihm sprechen soll!«

»Gut, daß wir es so verabredet haben,« versetzte die andere mit bebender Stimme, »ich zittere an allen Gliedern und könnte nichts thun, selbst wenn die Not drängte. Wie können Sie nur so kaltblütig sein, Elise? So habe ich Sie noch nie gesehen.«

»Mir ist ganz eigen zu Mute,« erwiderte das junge Mädchen und stand lachend auf. »Ich fühle mich unter der Maske so frei, als wäre ich unsichtbar; es ist ganz köstlich, sein eigenes Selbst auf einmal los zu sein; ich fürchte mich vor nichts und vor niemand. Warum binden die Leute, die lebensmüde sind, nicht lieber eine Maske vor, statt sich umzubringen – sie wären dann auf einmal wie verwandelt und könnten doch wieder in die Welt und ihr eigenes Ich zurückkehren, sobald sie wollen. – Nun weiß ich, warum so viele für Maskenbälle schwärmen!«

»Es ist schrecklich,« klagte die Dame im blauen Domino, »wäre ich nur fort von hier und in Sicherheit!«

Sie überließ sich jedoch der Leitung ihrer Gefährtin, die sie die Stufen zu dem großen Ballsaal hinabführte. Hier drängten sie sich, so gut es ging, durch, die Menge, bis sie den Teil des Saales erreichten, der für die Zusammenkunft bestimmt war. Diese sollte an der rechten Seite der Bühne stattfinden, etwa vier Schritte von der ersten Opernloge. Hier war man außerhalb des Gedränges und der Platz hatte noch einen andern Vorteil, wie Elise sogleich bemerkte. Von einer Ecke der Loge, bis zu den hinteren Seitenkulissen auf der Bühne, war nämlich ein breiter roter Vorhang ausgespannt, der eins Art Scheidewand zwischen dem Raum hinter den Kulissen und der Bühne bildete, zugleich aber auch einen prächtigen Versteck bot, von dem aus man hören konnte, was vorn auf der Bühne gesprochen wurde.

Rasch machte Elise die Dame im blauen Domino auf diesen Umstand aufmerksam und suchte nach einer Oeffnung, durch welche man in den Versteck gelangen konnte. Zwischen zwei Stützen, die den Vorhang in der Mitte hoben und durch eine Draperie verhüllt waren, schlüpften die beiden Damen in den hinteren Raum und kletterten zwischen allerhand Gerümpel und Theaterrequisiten bis dicht an die rote Scheidewand. Hier konnte man sich hinter aufgetürmten Kisten und Kasten wie in einer Art Verschlag verbergen.

Elise kehrte allein auf die Bühne zurück, wo der Unbekannte im weißen Wams, mit dem Käfig in der Hand, schon auf sie zu warten schien. Sie ging mehrmals an ihm vorüber, scheinbar ohne ihn zu bemerken; sobald er jedoch ihrer ansichtig wurde, trat er näher, blickte sie einen Augenblick forschend an, blieb dann vor ihr stehen und sagte: »Guten Abend, Orangenblüte, hast du meinen Papagei gesehen?«

»Jawohl,« entgegnete Elise, »er sagte mir, ich würde den Zuckerhut hier finden.«

»Das ist in der Ordnung,« entgegnete der im weißen Wams.

Dies geistreiche Zwiegespräch war von dem Schreiber des anonymen Briefes als weiteres Erkennungszeichen bestimmt worden, um jede Möglichkeit eines Irrtums auszuschließen.

Kaum waren die Worte gesprochen, als der Unbekannte leise flüsterte: »Es ist gut so. Folgen Sie mir an einen Ort, wo wir ungestört mit einander verhandeln können.«

»Nein,« entgegnete Elise mit verstellter Stimme, aber rasch und entschieden. »Sie müssen sich hier aussprechen – nur hier will ich Sie hören. Was wollen Sie von mir?« – Sie war einige Schritte zurückgetreten und stand nun in nächster Nähe der Scheidewand, hinter welcher die Dame im blauen Domino verborgen war.

»Wie es Ihnen beliebt,« versetzte der andere herzutretend. »Es liegt mehr in Ihrem Interesse, als in dem meinigen, daß uns niemand behorcht. Es handelt sich um einen Mann Namens Louis Hanier.« – Das Mädchen schwieg einen Augenblick und sagte dann ruhig: »Sprechen Sie – ich höre!«

»Ich kenne die Natur Ihres Verhältnisses zu ihm; es hängt nur von mir ab, es allgemein bekannt zu machen. Verstehen Sie mich?« –

»Es liegt mir nichts daran, das Verhältnis, in welchem ich zu ihm stand, zu verbergen. Haben Sie mir sonst nichts zu sagen?«

»Geben Sie sich keine Mühe, diesen Ton mit mir anzuschlagen,« erwiderte der Mann. »Ich spreche nicht ohne Grund. Hanier war Ihr Geliebter. Weil Ihr Mann dies argwöhnte, entließ er ihn vor Jahren aus seinem Dienst. Sie fuhren fort, ihn heimlich zu empfangen. Bei Ihrem letzten Zusammentreffen, kurz vor seinem Tode, hat man beobachtet, daß Sie ihn küßten – einen Mann, der früher Ihr Bedienter gewesen! – Sie schickten ihm Geschenke, das letzte, das er erhielt, war ... soll ich weiter reden?«

»Wenn es Ihnen beliebt!« lautete die in gleichgültigem Ton gegebene Antwort.

»Wohl – es war ein Cigarettenetui, das Ihrem Manne gehörte. Sie sehen, ich weiß, um was es sich handelt.«

»Das mag sein, nur verstehe ich den Zweck Ihrer Worte nicht!«

»So hören Sie weiter: Ihr Mann brauchte aus einer Ihnen damals unbekannten Ursache das Cigarettenetui, bald nachdem Sie es Hanier geschenkt. Er fragte Sie danach. Sie erschraken, wollten ihm einreden, es sei verloren, aber endlich behielt seine Entschiedenheit die Oberhand, Sie ließen sich einschüchtern und bekannten die ganze Wahrheit.«

»Welche Wahrheit?« fragte Elise.

»Daß Sie Hanier das Etui gegeben hatten und daß er Ihr Geliebter sei.«

»Das ist unwahr,« erwiderte Elise bestimmt.

Der Gleichmut und die Kühnheit ihres Benehmens reizten den andern offenbar; er erwiderte rauh und nicht länger wie bisher mit verstellter Stimme: »Sie wissen, daß ich die Wahrheit rede und ich kann Ihnen beweisen, daß Sie es wissen: Am Abend nach Ihrem Geständnis fuhren Sie mit Ihrem Mann in einer Droschke nach Haniers Hause. Dieses war schon geschlossen; Sie erlangten Einlaß, Ihr Mann blieb in der Droschke. Sie sagten Hanier, daß alles entdeckt sei und auf Ihre Bitte stellte er Ihnen das Etui wieder zu. Dann fuhren Sie mit Ihrem Mann nach Hause zurück.«

»Nur weiter,« sagte das Mädchen. Während der letzten Minuten hatte sich ihre ganze Haltung verändert, sie hörte mit verdoppelter Aufmerksamkeit zu und blickte forschend auf den Mann, der vor ihr stand.

»Das Etui hatte Ihr Mann zurückerhalten,« fuhr dieser fort, »doch das befriedigte ihn nur halb. So lange Hanier lebte, hatte er keine Ruhe. Erstens konnte Hanier den geheimen Inhalt des Etuis entdeckt haben – dann lag es in seiner Macht, ihm in wichtigen Dingen großen Schaden zuzufügen; zweitens konnte er seine Ehre und gesellschaftliche Stellung gefährden, wenn er Ihre Intrigue enthüllte. Das waren die Gründe, die Ihren Mann zu seiner That bewogen. Wünschen Sie, daß ich Ihnen sage, zu welcher That?«

»Das ist der einzige Teil Ihrer Geschichte, den ich zu erfahren begierig bin,« erwiderte das Mädchen mit ruhiger Haltung.

Der andere blickte sie mit unverkennbarem Erstaunen an: »Sie haben stärkere Nerven, als ich glaubte. Aber das wird Sie nicht schützen. Sie denken vermutlich, ich spreche nur vom Hörensagen, während ich die Beweise in Händen habe.« Er trat jetzt näher und flüsterte dicht an des Mädchens Ohr: »Ihr Mann ist in jener Nacht nach Haniers Haus zurückgekehrt und hat ihn mit kaltem Blut erschossen. Er ist ein Mörder und ich brauche nur an einem andern Orte zu erzählen, was Sie soeben gehört haben – so wird er überführt und stirbt am Galgen.«

Diese Worte, welche nur von Elise allein vernommen werden konnten, brachten auf sie nicht die Wirkung hervor, welche der Sprecher wahrscheinlich erwartete. Sie trat zurück, schaute ihn einen Augenblick an und es klang wie unterdrücktes Lachen unter der Maske hervor. Doch bezwang sie sich sogleich und sagte:

»Ob Sie Ihre Anklage beweisen können, mag dahingestellt bleiben – da Sie mich jedoch zu dieser Unterredung aufgefordert haben, vermute ich, daß Sie andere Absichten verfolgen. Was für welche?«

»Ich werde die Sache geheim halten,« fuhr jener in gedämpftem Tone fort – »unter gewissen Bedingungen: Sie müssen mich über verschiedene Dinge, die Sie auskundschaften können, unterrichten und von Zeit zu Zeit auf dem Laufenden halten, wenn ich es verlange. Ihr Mann steht an der Spitze einer Verbindung, welche gegen die Sache, der ich diene, Feindseliges im Schilde führt. Ich habe Grund anzunehmen, daß Sie bisher hiervon nichts wußten und werde Ihnen bei Gelegenheit Näheres darüber mitteilen. Für jetzt genügt es, wenn Sie erfahren, daß Ihr Mann das Vertrauen der Verbindung besitzt, alle ihre Geheimnisse kennt und ihre wichtigsten Dokumente an verschiedenen Orten in Verwahrung hat. Sie müssen erkunden, wo er sie verbirgt, Einsicht in dieselben gewinnen und mir Mitteilung davon machen. Geben Sie mir dies Versprechen nicht, so verklage ich ihn bei der Polizei. Sie haben die Wahl. Wozu entschließen Sie sich?«

»Wollen Sie mir sagen, wer Sie sind?« fragte das Mädchen nach einer Pause.

»Sie werden es zur rechten Zeit erfahren. Zuerst muß ich Ihr Versprechen haben.«

»Ich brauche es nicht von Ihnen zu hören – ich habe Sie schon selbst erkannt!« sagte das Mädchen, ihn durchdringend anblickend. »Hätten Sie gewußt, wer ich bin, es wäre besser für Sie gewesen. Ihr Brief war nicht an mich gerichtet, aber ich habe ihn gelesen. Sie vergaßen Ihre Unterschrift. Der Name, welcher darunter stehen sollte – ich will es Ihnen sagen – ist Robert Johnson.«

Trotzdem der Mann im weißen Wams sich sorgfältig maskiert hatte, erkannte man leicht, wie sehr er durch diese Enthüllung bestürzt war und der Fassung beraubt. Sie kam ihm völlig unerwartet. Zwar kannte er die Dame, die er in dem orangegelben Domino vermutete, dem Aussehen nach, doch hatte er nie Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen und sich deswegen der Mühe überhoben geglaubt, seine Stimme zu verstellen. Diejenige aber, die wirklich vor ihm stand, und in welcher der Leser längst Lieschen Pond vermutet hat, kannte natürlicherweise Robert Johnsons Sprache und Betonung aufs genaueste und war mit jeder seiner Gebärden und Bewegungen vertraut. Sie hatte seine Verkleidung leicht durchblickt; ihr eigenes Inkognito verstand sie trefflich zu wahren und bei der ganzen Begebenheit interessierten sie nicht sowohl seine Enthüllungen über Oberst Desmond und dessen Frau, als hauptsächlich das seltsame Licht, welches dabei auf seinen eigenen Charakter fiel. Wer war der, welcher solche Forderungen stellte, solche finstere Absichten verriet? Wer war dieser Robert Johnson, dem sie so unbedingt geglaubt, den sie sogar in ihr Herz geschlossen hatte? – Sicherlich nicht das, wofür er sich ausgab! – aber ob ein Räuber, ein Verschwörer oder etwas noch Schrecklicheres oder Verabscheuungswürdigeres – das vermochte sie nicht zu entscheiden.

In den letzten Tagen hatte Mrs. Desmond durch mehrere vertrauliche Unterredungen in Lieschens Ansicht über ihr Benehmen und ihre Handlungsweise einen großen Umschwung hervorgebracht. Lieschen wußte nun, daß die Französin sich keines ernstlichen Verstoßes gegen ihre ehelichen Pflichten schuldig gemacht hatte. Was die Möglichkeit einer Anklage des Mordes betraf, so verwarf sie dieselbe als völlig unglaubhaft mit der größten Verachtung. Dabei hatte sie jedoch die Geistesgegenwart, jede Meinungsäußerung zu unterdrücken und in der einmal angenommenen Rolle der Mrs. Desmond, Johnson zu verleiten, alle seine Karten auszuspielen, bis sie ihm schließlich offenbarte, daß er gar nicht mit der Frau des Obersten, sondern mit einer andern (ihm unbekannten) Person verhandelt habe, wodurch sie ihn in die größte Klemme brachte.

Aber sah sich Johnson auch besiegt, so war er doch nicht der Mann, einen Schlag hinzunehmen, ohne den Versuch zu machen, ihn zurückzugeben, rasch that er einen Schritt vorwärts, um der Unbekannten die Maske vom Gesicht zu reißen. Sie aber hatte dies kommen sehen und wich zurück – im selben Augenblick ertönte ein Schrei hinter dem roten Vorhang, dieser wurde plötzlich mitten durchgerissen, dann folgte ein Knacken und ein großer Krach; – die hierdurch entstehende Verwirrung benutzte Lieschen zu ihrer Rettung.

Was war denn aber geschehen? – Als Mrs. Desmond sich allein hinter den Coulissen befand, hatte sie zuerst nur auf das Gespräch geachtet, welches in geringer Entfernung von ihr geführt wurde. Bald aber wurde sie in ihrem Versteck aufgestört. Fußtritte glitten über den Bretterboden und sie vernahm leises vorsichtiges Stimmengeflüster. Durch einen Spalt blickend gewahrte sie fünf Männer, die wenige Schritte von ihrem Versteck eifrig miteinander sprachen. Sie trugen alle lange rote Dominos und weißseidene Gesichtsmasken. Sie mochten sich wohl für ganz gesichert halten, denn zwei von ihnen hatten sogar die Masken abgebunden, doch konnte Mrs. Desmond bei dem Düster, welches in dem Raume herrschte, ihre Züge nicht unterscheiden.

Auf einmal vernahm sie dicht neben sich einen leisen Tritt und erspähete eine schwarze Gestalt, die sich, schleichend wie eine Katze, der Versammlung der roten Dominos näherte und hinter einer vorspringenden Coulisse verschwand.

Jetzt kamen auch die fünf Männer, von einem aus ihrer Mitte dazu aufgefordert, mehr in ihre Nähe: nur ein mit Leinwand bespannter Rahmen trennte sie von ihnen.

»Hier geht es besser!« hörte sie neben sich sagen. So harmlos diese Worte waren – bei dem Ton derselben erbleichte Mrs. Desmond unter ihrer Maske – sie hatte die Stimme des Obersten erkannt; er war also doch nicht nach Philadelphia gefahren!

Flucht war ihr erster Gedanke; aber als sie sich umwandte, um sich leise zu entfernen, sah sie sich der schwarzen Gestalt gegenüber, die eben in ihr Versteck schleichen wollte. Sie erblickte ein langes, hageres Gesicht, zwei scharfe dicht zusammenstehende Augen – dann klappte der Eindringling die Maske wieder herunter und verschwand. In ihrer Verwirrung blieb sie mit dem Fuß im Saum ihres Dominos hängen und stolperte gegen ein loses Brett, dieses fiel um, in den roten Vorhang hinein, den es durch und durch riß, und stürzte mit lautem Krachen zu Boden. Der Raum hinter den Coulissen lag nun plötzlich offen da vor den Blicken der Menge im Ballsaal! Es entstand eine kurze Stille, dann ein verwirrter Lärm. Einige schrieen laut auf, weil sie Gefahr fürchteten; andere verspotteten sie und lachten sie aus; noch andere riefen, es habe nichts auf sich – kurz, in der Nähe des Vorfalls erhob sich ein aufgeregtes Getöse. Die fünf Männer in den roten Dominos hatten sich sofort zerstreut und die geheimnisvolle schwarze Gestalt war nirgends zu sehen. Hinter den Logen herum glitt die Dame im orangegelben Domino durch eine Seitenthür nach der Vorhalle und von dort dem Ausgang zu. Der Mann im weißen Wams sah, welche Richtung sie nahm und wollte ihr nach, aber einige angeheiterte Masken, die nach dem Schauplatz der Katastrophe zustrebten, versperrten ihm den Durchgang. Rasch entschlossen kehrte er um und bahnte sich einen Weg durch den Ballsaal, aber als er wenige Minuten später die Eingangsthür des Hauses erreichte, war jede Spur des orangegelben Dominos verschwunden.

Lieschen Pond hatte, sobald sie sich befreit sah, den Domino umgewandt und ihn mit der inneren blauen Seite nach außen angezogen. Sie brauchte nun nicht mehr zu fürchten, erkannt zu werden. Mit Mrs. Desmond hatte sie zuvor verabredet, daß sie sich, wenn irgend ein unvorhergesehener Fall eintrete, in der Damengarderobe treffen wollten. Dahin eilte sie jetzt, und fand zu ihrer Herzenserleichterung, daß Mrs. Desmond bereits wartete.

Die Dame war, wie natürlich, in großer Aufregung; sie teilte ihrer Begleiterin die Entdeckung über Oberst Desmond mit, und äußerte starke Besorgnis, er möchte früher nach Hause kommen als sie und ihre Abwesenheit bemerken. Lieschen beruhigte sie jedoch einigermaßen damit, daß der Oberst, welcher angekündigt hatte, er fahre nach Philadelphia, schwerlich vor dem morgenden Tag nach seinem Hause zurückkehren werde. Die beiden Damen wagten sich nun in den Korridor hinaus, gelangten glücklich zu ihrem Wagen und fuhren fort.

Als sie das Haus verließen, verkündeten eben die Stadtuhren die Mitternachtsstunde; zugleich gab ein rauschender Tusch des Orchesters das Zeichen für ein allgemeines Demaskieren. Der Fasching wurde nun wilder und ausschweifender als zuvor; die niederen Schichten bekamen die Oberhand und schwelgten im Taumel des Festes.

*


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