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Fünfter Akt

Die Wohnstube im Häuschen des alten Bernd. Sie ist ziemlich geräumig, hat graue Wände und eine alte geweißte Balkendecke. Eine Tür im Hintergrund führt zur Küche, eine Tür links zum Hausflur, rechts sind zwei Fensterchen. Zwischen diesen Fensterchen steht eine gelbe Kommode, auf ihr eine Petroleumlampe, unangezündet, darüber an der Wand hängt ein Spiegel. In der Ecke links ein Bauernofen. In der Ecke rechts Wachsleinwandsofa, Tisch mit Tischdecke und Hängelampe darüber. Über dem Sofa an der Wand ein biblisches Bild: »Lasset die Kindlein zu mir kommen!«, darunter Photographien Bernds aus seiner Militärzeit und einige: er und seine Frau gemeinschaftlich. Vorn links steht ein Glasschrank, angefüllt mit gemalten Tassen und Gläsern usw. Auf dem Tisch steht ein Kruzifix. Auf der Kommode liegt eine Bibel, über der Flurtür hängt ein Ölbild »Christus mit der Dornenkrone«. Auf der Diele liegen Fleckeldecken. Die Fenster haben Mullgardinen. Vier bis fünf gelbe Holzstühle sind jeder auf seinen Platz geordnet. Alles macht einen sauberen und sehr frostigen Eindruck. Einige Bibeln und Gesangbücher liegen auf dem Schrank. Am Türpfosten der Flurtür hängt eine Sammelbüchse.

Es ist abends gegen sieben Uhr des gleichen Tages, an dem die Vorgänge des vierten Aktes stattgefunden haben. Die Tür zum Flur steht offen, ebenso die in den Küchenraum. Es herrscht tiefe Dämmerung.

 

Man hört außer dem Hause Stimmen, danach wird mehrmals an das Fenster geklopft. Danach sagt eine Stimme durchs Fenster. Bernd! – Is denn gar kee Mensch nich d'rheeme? – M'r gehn amal an de Hingertier! Nun wird es still, bald aber geht die Hintertür, und man hört Stimmen und Schritte im Hausflur. Jetzt erscheinen in der Flurtür Kleinert und Rose Bernd, diese sichtlich erschöpft und von Kleinert gestützt.

Rose, schwach, mühsam. 's is niemand d'rheeme! 's is alles finster.

Kleinert. So kann ich dich jetzt ni alleene lass'n!

Rose. Weshalb denn ni, Kleinert! Mir fehlt ja nischt.

Kleinert. Das gloob' ock a andrer, daß dir nischt fehlt! Suster hätt' ich dich woll ni uffgelasa.

Rose. Nee – ich bin doch bloß a wing schwindlig geword'n. – Wirklich! – 's geht jetzt! – Ich brauch' Euch ni weiter.

Kleinert. Nee, nee, Madel, nee, das gieht ni asu.

Rose. Ja, ja, Vater Kleinert! Ich dank' scheen! 's is gutt! Mir fehlt nischt! Ich biin wieder ganz eim Stande! Das kommt aso manchmal, das is weiter nischt.

Kleinert. Du lagst ja halb tot dahier hinger a Weida! Du hust dich ja wie a Wurm gekrimmt.

Rose. Kleinert, gieht Euer Wege ... ich mache glei Licht! – Ich muß Feuer uffzinda ... gieht Eurer Wege! ... Se wem glei kumma zum Abendbrot! ... Ach nee, Kleinert, Kleinert, ich bin aso miede! Aso schauderhaft miede, das gleebt eener nich!

Kleinert. Und da willste no Feuer uffzind'n dahier? Das is nischt fer diich, du gehierscht eis Bette.

Rose. Kleinert, gieht Eurer Wege, gieht! Wenn Vater ... wenn August ... die derfen nischt wiss'n! Tutt mer die Liebe – tutt mer das ni oa!

Kleinert. Will ich d'r etwa was Bieses oatun?

Rose. Nee, nee, ich wiß schunn. Ihr wart immer gutt! Hat sich von dem Stuhl rechts an der Tür, auf den sie hingesunken war, erhoben und ein Licht hinterm Ofen vorgezogen und angesteckt. Jedennoch ... ich bin gutt zuwege jetzt wieder. – Mir fählt nischt! – Da kennt Ihr ganz ruhig sein.

Kleinert. Das sagst du aso!

Rose. Weil's werklich so is. Marthel kommt mit bloßen Armen und barfuß vom Felde herein. Da is ja ooch Marthel!

Marthel. Rose, bist du's? – Wo bist'n a ganzen Tag gewesen?

Rose. Mir hat geträumt, ich war uff'n Gericht.

Kleinert. Nee, nee, sie war wirklich uff'n Gerichte! – Paß a wing uff, uff de Schwester, Marthla, zum wingsten aso lange, bis Vater kommt: 's is mit dam Madel ni all's ganz richtig.–

Rose. Marthla, feder! Zind Feuer uff! Daß m'r schnell de Kartoffeln kenn zusetzen. – Wo is denn Vater?

Marthel. Uff Augustens Land.

Rose. Und August?

Marthel. Das weeß ich nich, wo a is. A war heute nich uff'n Felde draußen.

Rose. Hast du neue Kartoffeln?

Marthel. De Scherze vull! Sie schüttet Kartoffeln gleich hinterm Kücheneingang auf den Boden.

Rose. Bring ane Schissel und an Topp, da kann ich glei mit Schälen anfang'n. Selber holn kann ich mirsch nich.

Kleinert. Sool ich etwa was bestelln ergendwo?

Rose. Wo denn? ... Beim Totengräber vielleicht? – Nee, nee, Pate Kleinert, wegen meiner nich! Ich kumm' uf a ganz besondres Fleckla.

Kleinert. Na adje!

Rose. Na adje!

Marthel, frisch. Komm Se wieder, Pate Kleinert! Kleinert, wie immer die Pfeife im Munde, kopfschüttelnd ab. Marthel, das Feuer anzündend. Is dir ni gutt, Rusla?

Rose. O ja, mir is gutt! – Leise, mit gerungenen Händen zum Kruzifix. Jesus, Maria, erbarm dich ock meiner!

Marthel. Rose?

Rose. Was denn?

Marthel. Was hat's denn mit dir?

Rose. Nischte! Bring mir a Topp und Kartoffeln!

Marthel hat das Feuer in Gang gebracht, kommt nun mit einer irdenen Schüssel voll Kartoffeln, auch ein Messer liegt darin. Ach nee, Rusla, ich ängst' mich, wie siehst du ock aus!

Rose. Wie säh' ich d'nn aus, hä, sag mer amal? Wie denn? Hoa ich ernt was oa a Händen? Is mer ernt was ieber de Augen gebrannt? 's kommt mer oll's aso wie gespenstig vor! Unheimlich lachend. Nee, Jeses! Jetze säh' ich von dir kee Gesichte! Jetze säh' ich an Hand! Jetze säh' ich zwee Augen! Jetze Punkte! Marthla, ich wer woll blind.

Marthel. Rosla, dir is wull ernt was passiert?

Rose. Behitt' dich ock Gott davor, was mir passiert is ... Winsch du d'r lieber an friehzeitigen Tod. Denn's heeßt ja, wenn eener o zeitlich stirbt, da is a doch, heeßt's ja, ei d'r Ruhe. Da braucht a nich leben und Oden hulln. – – Wie is mit'n kleenen Kurt Flamm gewest? – Ich wiß nee! ... Mir schwindelt! ... Ich ha's vergess'n! ... Ich ha alles vergess'n ... 's Leben is schwer! – Wenn's ock aso bliebe! – Wenn ma ock ni mehr uffwachte! – Fer was das ock alles mag vorfalln dahier!? –

Marthel, ängstlich. Wenn ock Vater bloß heemkäm' ...

Rose. Marthla, kumm, heer uff mich! Du derfst Vater nischt sag'n, daß ich hier war ... hier biin. Gelt, Marthla, gelt, das versprichst du mir?! ... Ich ha dir o manches zuliebe getan ... gelt, Marthla? Das hast du no ni vergess'n ... wenn's o jetze um mich ... gar aso dunkel is!

Marthel. Wülste a Neegel Kaffee haben, 's steht noch a Neegel in d'r Rehre. Ich angst' mich aso, Rusla ...

Rose. Ängst dich ock ni! Ich will a wing nuff in de Kammer gehn! – Ich will mich a wing ... ock a bissel hinlegen! Sonste is mer ganz wohl – sonste is weiter nischt.

Marthel. Vatern soll ich nischt sagen?

Rose. Kee Sterbenswort!

Marthel. Und Augusten o nischt?

Rose. Mit keener Silbe! Mädel, du hast keene Mutter gekannt, und ich hab' dich ei Ängsten großgezogen. Wie manche Nacht hab' ich durchgewacht ei Sorgen um dich in schwerer Krankheet. Aso alt wie du war ich no nich, da hatt' ich mich an dir fast schief geschleppt, da kamst du dahier von dem Arm gar ni runter! Verrätst du mich jetze, is's aus zwischen uns.

Marthel. Rosla, 's werd doch nischt Bieses sein ...? Nischt Gefährliches, meen' ich ...?

Rose. Das gloob' ich ni! Kumm, Marthla, greif a wing ... stitz mich a wing! – – Ma is halt zu sehr ei d'r Welt verlass'n! Ma is eemal zu sehr alleene dahier! – Wenn ma bloß nich aso alleene wäre! – Ma is zu sehr alleene hier uff d'r Erde!

Rose und Marthel ab durch die Hausflurtür.

Einige Sekunden bleibt das Zimmer leer, hernach erscheint in der Küche der alte Bernd, er setzt einen Korb und eine Kartoffelhacke ab und guckt dann mit ernstem Gesicht forschend herein. Inzwischen tritt wieder Marthel vom Flur aus ins Wohnzimmer.

Marthel. Sein Sie's, Vater?

Bernd. 's is ja kee heeßes Wasser! Du weeß doch, ich muß doch mei Fußbad haben. Is Rose ni da? –

Marthel. Se is noch ni da, Vater!

Bernd. Was? is se noch ni vom Gerichte zurück? Das is ja ni meeglich, 's is ja bald achte. – War August ni hier?

Marthel. Noch ni!

Bernd. O noch ni? Nu, da wird se vielleicht bei Augusten sein. Haste de große Wolke gesehn, Marthel? So gegen sechse vom Streitberge her?

Marthel. Ja, Vater, 's war ganz finster geworden.

Bernd. 's wird amal noch viel finsterer werden! Zind mer amal de Tischlampe an und leg mer de Heilige Schrift zurechte! Hauptsache is: in Bereitschaft sein. Marthel, denkst du o immer ans ewige Leben? – Daß du kannst vor'n ewigen Richter stehen? – De wenigsten Menschen denken dran. Eben wie ich am Wasser nach Hause ging, da heert' ich mir wieder amal eenen nachschimpfen. Wo wär' ich a Leuteschinder gewest? – A brillte und schrie nämlich: Leuteschinder! Ich hab' nischt als bloß meine Pflicht getan. De Rotte Korah lebt immer noch! – Durchstechereien! Zwee Augen zudricken! Ruhig zusehen, wie ma betriegt! Da is ma unter a Menschen gelitten. – – An a Herrn Jesus halt' ich mich. – Wir Menschen brauchen alle die Stitze! Bloß gute Werke tun macht's eben nicht! Hätte Rose das mehr in Gedanken gefaßt, vielleicht wären wir um allerlei Heimsuchung und um manches Schwere und Bittre gekomm. Der Gendarm erscheint im Türrahmen. Wer kommt denn?

Der Gendarm. Ich hab' eine Zustellung, ich mechte amal Ihre Tochter sprechen.

Bernd. Meine ältste Tochter?

Der Gendarm liest. »An Rose Bernd.«

Bernd. Meine Tochter is noch nich zurück vom Gerichte. – Kann ich den Brief ni abgeben?

Der Gendarm. Nein. – Ich muß auch persönlich amal recherchieren. Morgen gegen acht wer ich da wiederkomm.

August erscheint eilig.

Bernd. Da is ja o August.

August. Is Rose nich hier?

Bernd. Nee. – Der Herr Wachtmeester fragt ooch nach er; ich dachte, ihr wärt mitnander sein.

Der Gendarm. Ich muß ieber an Punkt noch Recherchen anstellen, und dann hab' ich o hier ane Zustellung.

August. Ewig und immer die Streckmann-Geschichte. Ni bloß, daß ma sei Auge hat eingebießt, aber nu noch die Scherereien dazu. Das nimmt ja, Gott verzeih' mir's, kee Ende!

Der Gendarm. Gu'n Abend! Morgen vormittag um acht. Ab.

August. Marthel, geh amal in de Kiche jetzt! – Vater, ich hab' was mit Ihn zu sprechen. Geh, Marthel, geh, mach de Tiere zu. – Marthel, hast du nischt von Rose bemerkt?

Marthel. Nee, nischte. Sie winkt ihm verstohlen mit dem Zeigefinger. Ich wer d'r was sagen, August.

August. Mach de Tiere zu, Mädel, ich hab' keene Zeit. Er schließt selbst die Küchentür. Vater, Ihr mißt Eure Klage zuricknehm!

Bernd. Alles, August! Das kann ich nich.

August. Es is nich christlich. Ihr mißt se zuricknehm.

Bernd. Ich gloobe ni, daß das ni christlich is! – Denn warum? Das bleibt eine Ruchlosigkeit, aso a'm Mädel de Ehre abschneiden. Das is a Verbrechen, das Strafe verdient.

August. Wie soll ich ock anfang. Vater Bernd ... Ihr seid in der Sache zu hitzig gewesen.

Bernd. Das beansprucht mei Weib, das im Grabe liegt! O meine Ehre beansprucht das! Meine Hausehre und meines Mädels Ehre! Und o deine Ehre zu guter Letzt.

August. Vater Bernd, Vater Bernd, wie soll ich da anfang, wenn Ihr gar aso unverseehnlich seid! Ihr habt von so vieler Ehre gered't! Ma soll aber seine Ehre ni suchen, sondern Gottes Ehre und sonst keene nich!

Bernd. In der Sache is das a ander Ding: da is Weibes Ehre o Gottes Ehre! Oder kannst du dich ieber Rose beklagen?

August. Ich hab' d'rsch gesagt, ich beklag' mich nich.

Bernd. Oder hast du dir mit ihr was vorzuwerfen?

August. In der Sache da kennt Ihr mich woll, Vater Bernd. Ehb ich da eim geringsten vom Wege abwiche ...

Bernd. Nu also! Das weeß ich! Das hab' ich gewußt! Und da soll die Gerechtigkeit o ihren Gang gehn.

August, den Schweiß von der Stirn wischend. Wenn ma ock wißte, wo Rose is.

Bernd. Wer weeß, is se schonn von Striegau zurick!

August. So ane Vernehmung, die dauert ni lange. Um Uhre fünf wollt se d'rheeme sein.

Bernd. Se wird haben die Einkäufe gleich mitgemacht. Sollt' se nich das und jenes noch einkoofen? – Ich denke, 's fehlt euch noch das und das?

August. Kee Geld hat se aber nich mitgenommen. Und was wir noch for a Laden brauchten: Stoff forsch Schaufenster und an der Eingangstier, da wollten wir ja miteinander gehn.

Bernd. Ich war ja der Meinung, se kam' mit dir.

August. Ich bin ihr ieber ane Meile entgegengelaufen, aber nischt ni gesehn und geheert von ihr. Stattsdessen hab' ich a Streckmann begegnet.

Bernd. Das nenn' ich'm Teifel begegnet sein!

August. Ach, Vater, der Mann hat o Weib und Kind! Was kenn die fer dessen seine Sind'n! Was habe ich davon, daß a sitzen muß! Wenn eener bereut ... mehr will ich nich.

Bernd. Der schlechte Kerl und bereun! O jee.

August. 's hat aber doch's Aussehen darnach.

Bernd. Hast du mit'n gesprochen?

August. A ließ ni nach. A lief neben mir her und tat in mich neinsprech'n. 's war weit und breit keene Seele zu sehn. Uff d'r Jenker Schussee! Zuletzt tat a mer leed. Ich kunnde ni andersch.

Bernd. Du hast'n geantwort? – Was sagt er denn?

August. A sagte, Ihr sullt de Klage zuricknehm.

Bernd. Eender kann ich ni seelnselig sein! 's wär' wetter nischt, wenn's mich beträf! Ich kann's ertragen, ich lache drieber! Ich bin a Mann und a Christ obendrein! Bei an Kinde is das ane andre Geschichte! – Wie sold' ich denn dir ins Gesichte sehn, wenn ich daas an ihr sitzen ließ' dahier! Und nu erseht gar nach dem schrecklichen Unglicke! Sieh ock, August, das geht ni, das darf ni sein! – Alle sein se uns uff a Fersen gewest, weil mir anderscher lebten wie andre Leute! Alle han se uns Mucker und Heuchler genannt! Und Leisetreter und was aso is! Und wollten uns stets was am Zeuge flicken! Was war das fier die fer a Fressen sein. Und o sonst ... das Mädel ist so erzogen: ei der Furcht Gottes und arbeitsam, daß, wenn a christlicher Mann die heirat, a auch a christliches Haus kann uffricht'n! Aso is das! Aso geb' ich se aus d'r Hand! – Und ließ ich den Gift an ihr hängen dahier? – Liebersch wollt' ich da Salz und Kartoffeln essen, als da noch an Pfennig annehmen von dir.

August. Vater Bernd, Gottes Wege sein wunderbar! – A kann eem täglich Priefungen schicken! – Selbstgerecht darf eemal der Mensch ni sein! – Und wenn ich o wollte, 's geht eemol ni! Ich kann's Euch ni länger ersparen, Vater! Unse Rose war o ock a Menschenkind.

Bernd. Wie meenst du das, August?

August. Vater, fragt weiter nich!

Bernd hat an der Seite des Tisches auf einem Stuhl so Platz genommen, daß sein Gesicht der Wand zugekehrt ist. Auf die letzte Äußerung hin blickt er August groß und fremd einige Sekunden lang an, alsdann wendet er sich dem Tische zu und schlägt mit zitternden Händen das Bibelbuch auf, dessen Blätter er in steigernder Erregung bald so, bald so herumwirft. Damit innehaltend, blickt er wiederum August an. Schließlich faltet er die Hände über dem Buche und läßt den Kopf darauf niedersinken, während sein Körper mehrmals konvulsivisch zuckt. So bleibt er eine Weile, dann richtet er sich wieder auf. Aber nee! Ich hab' dich ni richtig verstanden! – Sieh ock, wenn ich dich richtig verstanden hoa ... da war' das ja wirklich ... da wißt' ich ja nich ... da geht m'r de ganze Stube im Kreise ... da mißt' ich ja taub und blind mißt ich ja sein. – Nee, August! Taub und blind bin ich ja ni! Laß du dir ni etwan von Streckmann was uffbinden. Dam Streckmann is jetz jedes Mittel recht! A sitzt ei d'r Falle! Es kommt'n heem! Nu will a sich ... irgendwie will a sich rausschwindeln! Und da bringt a dich gegen das Mädel uff. – Nee, August ... bloß, August ... uff die Bricke ni! ... Uff die Bricke muß du beileibe nich treten! ... Da durchschaut ma die Niederträchtigkeit! ... Nachgestellt hat a dem Mädel genung. Geht's uff jene ni, geht's uff'n andre Weise! ... Nu will a's uff die Art versuchen dahier! – Kann sein, daß a euch ausnanderbringt! Mehr wie eemal is das schonn vorgekommen, daß Leute aso getrennt worden sein, durch a Teifel und seine nichtsnutzigen Ränke, die de Gott fiereinander geschaffen hat. Se han dich dem Mädel so niemals vergennt. Meinswegen! Ich wer d'r de Rose nich nachschmeißen. Mir sein ja bis jetzt o so satt geworden! Wenn de aber von mir a Wort willst heeren: da lag' ich dir hier meine Rechte eis Feuer ...

August. Herr Flamm hat aber'n Eid geschworen.

Bernd. Zehn Eide for mir! Zwanzig Eide for mir! Da hat a falsche Eide geschworn! Sich zeitlich und ewig zugrunde gericht!!

August. Vater Bernd ...

Bernd. Itze wart amal eene Sekunde – eh de weiter ee Wort zu der Sache rädst! – Hier nehm' ich de Bücher! – Hier nehm' ich a Hütt! – Hier nehm' ich o de Missionsbichse runter. – Das stell' ich hier alles zusammen dahier. – Und wenn das richtig is, was du sagst, da geh' ich jetzt zum Herrn Paster nieber ... wenn bloß a Funke wahrer dran is! ... und spreche: Herr Pastor, so und so ... ich kann ni mehr Kirchenvorsteher sein! Ich kann de Missionskasse nich meh verwalten! Adje! Und dann sitt mich kee Mensch hier ni meh! Nee, nee, nee, um's Himmels wille ni! – Nu red du weiter! Sag, was de zu sagen hast! Ock quäl mich weiter ni unnitz lange.

August. Ich hab' o denselben Gedanken gehabt! Ich will o Haus und Land wieder verkoofen! Man kann ja vielleicht woandersch sehn.

Bernd, in unsäglichem Staunen. Haus und Land willste verkoofen, August? – Woher kommt denn das alles uff eemal dahier! – Das is ja ... Da mecht' ma sich ja fast bekreuzen, gleichwoll ma kee Katholike is. – Is denn de Welt gar ringlich geword'n? Oder stieht gar der Jingste Tag vor der Tiere? – 's kann o mei letztes Stindla sein! Itze antwort, August, mehr will ich ni wiss'n! ... Antwort uff Seelenseligkeit!

August. Wie's o is, Vater Bernd, ich verlass' se nich!

Bernd. Das magst du halen, wie du willst dahier! Das geht mich nischt an! Das brauch' ich ni wiss'n, ob a Mann so a Mensch ei sen Hause mag hab'n. Ich nich! Denn aso a Mann bin ich nich! Nu also ...?

August. Ich kann weiter nischt ni sagen – als daß amal irgendwie was muß mit'r gewest sein! Ehb das nu mit Flamm oder mit Streckmann is –

Bernd. Das wern'r glei zweee!

August. Ich kann's ja ni wiss'n.

Bernd. Nu, da war ich ock zum Herrn Paster gehn! Birscht mich ab, August, putz mich ab! Mir is, als hätt' ich de Kretze am Leibe! Er geht in den Hausflur, im gleichen Augenblick kommt Marthel aus der Küche gestürzt und redet in höchster Angst zu August.

Marthel. Mit Rose is, gloob' ich, a Unglück passiert! Rose is oben! Se is längst zu Hause.

Bernd kommt wieder, durch einen gelinden Schreck verändert. 's muß jemand uff'n Boden sein!

August. Marthel sagt eben, Rose is da.

Marthel. Ich heer' se! Se kommt schonn de Treppe runter.

Bernd. Gott verzeih' mir de Sinde. Ich mag se ni sehn! Er setzt sich wie vorher an den Tisch, hält mit den Daumen die Ohren zu und senkt den Kopf tief in die Bibel. Rose wird in der Tür sichtbar. Sie hat den Hausrock und eine lose Kattunbluse an. Ihre Haltung ist krampfhaft aufrecht. Das Haar hängt aufgelöst zur Hälfte herunter, zur Hälfte in einem Zopf geflochten. Etwas furchtbar Gefaßtes, Bitter-Trotziges liegt in Roses Gesicht. Sie überschaut einige Augenblicke lang das Zimmer: den Alten über der Bibel, August, der sich langsam auch von der Tür abgewandt hat und sich stellt, als blicke er angelegentlichst durchs Fenster. Dann beginnt sie, eine Stütze suchend, mit erzwungener Energie zu reden.

Rose. Gut'n Abend mitnander! – –? – Gut'n Abend!

August, nach einigem Kilstern. Scheen Dank!

Rose, bitter, eisig. Meegt ihr mich hier nich, da geh' ich wieder.

August, nüchtern. Wo willst'n noch hin? Wo bist'n gewest?

Rose. Wer viel fragt, der derfährt viel! Manchmal mehr als'n lieb is. – Marthel, komm amal rieber zu mir! Marthel kommt. Rose hat unweit des Ofens Platz genommen und faßt ihre Hand. Dann laut. Was hat's denn mit Vätern?

Marthel, betreten, ängstlich, halblaut. Das weeß ich doch nich.

Rose. Was hat's denn mit Vätern? Du kannst immer laut sprechen! Und, August, mit dir o ... was hat's denn mit dir? ... Du hätt'st Grund, August, wirklich, du kennt'st mich veracht'n! Das kennt'st du! Jawull! Das bestreit' ich nich!

August. Ich verachte niemanda hier ei d'r Welt!

Rose. Ich aber! Alle! Alle miteinander!

August. Das is mir dunkel, was du da red'st!

Rose. 's is dunkel! Jawull! Ich geb's zu! 's is dunkel! Und reißende Tiere heert ma schrein! – Hernachert aber uff eemal, hernachert werd's helle! Do kann eens spieren, wie de Helle brennt. – Marthla ...

Bernd hat ein wenig gehorcht, erhebt sich und macht Marthels Handgelenk von Roses Hand frei. Vergift mer ni noch das Kind! – Hand weg! – Marsch in de Kammer, schlafen! Marthel weinend ab. Nischt heeren! Nischt sehen! Tot mechte man sein! Er vertieft sich wie vorher ins Bibelbuch.

Rose. Vater! – Ich lebe! – Ich sitze hier! – Das iis was! – Das heeßt was, daß ich hier sitze! Ich dächte, Voater, Sie mißten das sehn! Das iis ane Welt ... da sein Sie versunka ... da kinn Sie mer nischt nimeh antun dahier! O Jees, ei een kleen Kämmeria lebt ihr mitnander! Ihr wißt nischt, was äußern der Kammer geschieht! Ich wiß! ei Krämpfen hab' ich's gelernt! Da is ... ich weeß ni ... all's von mir gewichen ... als wie Mauer um Mauer immerzu ... und da stand ich drauß'n, im ganz'n Gewitter ... und nischt mehr war unter und ieber mir ... da seid ihr de reenst'n kleen Kinder dagegen.

August, angstvoll. Nu, Rose, wenn's wahr is, was Streckmann sagt, da hätt'st du ja falsche Eide geschworen ...

Rose, bitter lachend. Ich weeß ni! Das kann ja all's meeglich sein – ich kann mich dadruff ni besinnen jetzunder: aus Lieg'n und Trieg'n besteht de Welt.

Bernd seufzt. Herr Gott, meine Zuflucht fier und fier.

August. Aso nimmst du's falsche Eide schweeren?

Rose. Das iis gar nischt! Nischte! Was soll das denn sein? Da liegt was! Das is was! Das liegt bei a Weida! – Das is was! Das andre schiert mich ni. Do hoa ich wull ernt in de Sterne gesehn! Da hoa ich wull ernt geschrien und geruffa! Kee himmlischer Vater hat sich geriehrt.

Bernd, erschrocken, zitternd. Du lästerst a himmlischen Vater dahier? Is das aso weit, da kenn' ich dich ni!

Rose nähert sich ihm auf den Knien. Aso weit is! Und Ihr kennt mich o, Vater! Ihr hat mich ja uff a Knien gewiegt, und ich hoa Euch ja au manchmal beigestand'n! – Itze is halt was ieber uns alle gekomm – ma hat sich dagegen gewohrt und gewohrt ...

Bernd, betroffen. Was is das?

Rose. Ich weeß ni! – Ich weeß das ni! Sie bleibt zitternd, in die Knie gesunken, vor sich hinstarrend auf der Erde hocken.

August, von dem Anblick überwältigt, hingerissen. Rosla, steh uff, ich verluss' dich ni! Steh uff, ich kann dich ni daliegen sehn! Mir sein alle mitnander sein mir Sinder! Wer aso bereut, dem wird o verziehn. Steh uff, Rose! Vater, hebt Ihr se uff! Mir sein ni von den'n, ich wenigstens nich! Ich kann a Pharisäer ni machen! Ihr seht ja, wie's 'r zu Herzen geht! Mag kumma, was will, ich halte zu dir! Ich bin kee Richter! Ich richte ni! Unse Heiland eim Himmel hat o ni gerichtet! Fierwahr, a hat unsre Krankheet getragen, mir aber hielten ihn fier den, der von Gott geschlagen und gemartert were! Vielleicht habt Ihr o manchen Fehler begangen! Ich hab' nachgedacht! Ich sprech' mich ni frei! Eh se mich hat recht richtig gekannt, hat se schunn missen ihr Amen sagen! Was geht mich de Welt an? Nach der frag' ich nich!

Rose. August, se han sich an mich wie de Klett'n gehang'n ... ich konnte ne ieber de Straße laufen! ... Alle Männer warn hinter mir her! ... Ich hab' mich versteckt ... Ich hab' mich gefircht! Ich hab' solche Angst vor a Männern gehabt! ... 's half nischt, 's ward immer schlimmer dahier! Hernach bin ich von Schlinge zu Schlinge getreten, daß ich gar ni bin mehr zur Besinnung gekomm.

Bernd. Du hast frieher de strengste Meinung gehabt! Du hast de Leichnern verdammt und de Kaisern veracht! Du hast geprahlt, dir soll eener kumma! Hust a Müllerknecht ei de Fresse geschlag'n! A Madel, die das tutt, haste gesoat, die verdient kee Mitleed, die soll sich uffhenka! Jetzt red'st du von Schlingen.

Rose. Itze weeß ich Bescheed!

August. Mag kumma, was will, ich halte zu dir, Rose! Ich verkoofe mei Land! Mer ziehn ei de Welt! A Onkel von mir is ei Brasilien drieben. Mir wern mitnander a Auskumma hoan! Ei jeder Beziehung, aso und aso. Itze sein mer vielleicht erst reif dazu.

Rose. O Jesus, Jesus, was is denn mit mir? – Warum bin ich denn irschte heemgekrucha? Warum bin ich denn ni bei mein Kindla geblieben?

August. Bei wem geblieben?

Rose steht auf. August, mit mir is aus! Erst hat's, een wie rasnig eim Kerper gebrannt! Hernach wurd' ma nei ei a Taumel geschmissen! Hernoernt kam ane Hoffnung: da is ma gerannt wie ane Katzenmutter, 's Kitschla eim Maule! Nu han's een de Hunde abgejoat.

Bernd. Verstehst du a Wort, August?

August. Nee! Von dem ni ...

Bernd. Weeßt du, wie mir jetzt zumute is? Das is, das tutt sich ock immer uf f reißa ... immer ee Abgrund underm andern dahier. Was wird ma ock hier noch miss'n heern!

Rose. An Fluch! An Fluch werd Ihr missa hiern! Dich sah ich! Dich treff ich! Am Jingsten Gerichte! Dir reiß' ich a Schlunk mit a Kiefern raus! Du stiehst mir Rede! Du sollst mir antworta.

August. Wen meenste denn, Rosla?

Rose. War's is, der wiß's! Eine Erschöpfung überkommt sie, und fast ohnmächtig sinkt sie auf einen Stuhl nieder. Längeres Stillschweigen.

August, um sie bemüht. Wie is denn das ieber dich gekumma? Du bist ja uff eemal ...

Rose. Das weeß ich nich! – Hätt ihr mich ock frieher d'rnach gefragt, verleichte ... heute kann ich's ne wissa! – 's hat een kee Mensch ne genung liebgehat.

August. Wer weeß, welche Liebe stärker is: ob nu de glickliche oder de unglickliche.

Rose. Ich bin stark! Ich bin stark! Ich bin stark gewest! Nu bin ich schwach! Itze bin ich am Ende.

Der Gendarm erscheint.

Der Gendarm, mit ruhiger Stimme. De Tochter soll doch im Hause sein! Der alte Kleinert sagte: se war' schonn zu Hause.

August. 's is so, wir haben's nich gewußt vorhin.

Der Gendarm. Da wollt' ich's doch lieber gleich mit abmachen. – 's is was zu unterschreiben hier. Er legt, ohne Rose in dem schlecht beleuchteten Raum zu bemerken, einige Papiere auf den Tisch.

August. Rose, du sollst hier was unterschreiben. Rose lacht heraus mit grausig hysterischer Ironie.

Der Gendarm. Sein Sie die, da gibt's nischt zu lachen, Freilein. – Bitte!

Rose. Sie kenn ... noch an Augenblick ... bleiben.

August. Nu weshalb denn?

Rose, mit brennenden Augen, tückisch. Ihr hott mei Kind derwergt.

August. Was spricht se? Was sagst du, um Himmels willen?

Der Gendarm richtet sich auf, betrachtet sie prüfend, fährt aber fort, als ob er nichts gehört hätte, 's wird wegen der Streckmann-Sache sein.

Rose, wie vorher, kurz, bellend. Streckmann? Der hat mei Kind derwergt!

Bernd. Mädel, schweig stille, du bist ja unsinnig!

Der Gendarm. Sie haben doch ieberhaupt kein Kind – –?

Rose. Was? – Hätt' ich's sonst kenn mit a Hända derwerga? – Ich ha mein Kind mit a Hända derwergt!!

Der Gendarm. Sie sind woll besessen? Was fehlt Ihnen denn?

Rose. Ich bin ganz klar! Ich bin ni besessen! Ich bin ganz klar bin ich uffgewacht! Kalt, wild, grausam-fest. 's sullde ni laba! Ich wullte's ni!! 's sullde ni meine Martern derleida! 's sullde durt bleib'n, wo's hiegeheert.

August. Rose, besinn dich! Zermartre dich ni! Du weeßt woll nich, was du sprichst dahier! Du machst uns ja alle mitnander unglicklich.

Rose. Ihr wißt ebens nischt! Ihr seht ebens nischt! Ihr habt nischt gesehn mit offnen Augen. A kann hinger de große Weide sehn ... bei a Erlen ... hinten am Pfarrfelde draußen ... am Teiche ... da kann a das Dingelchen sehn.

Bernd. Aso was Furchtbares hätt'st du getan?

August. Aso was Unsägliches hätt'st du verbrochen?

Sie wird ohnmächtig, die Männer sehn sich bestürzt und ratlos an, August stützt Rose und bemüht sich um sie.

Der Gendarm. 's beste is, Sie komm mit ihr uffs Amt. Da kann se a freies Geständnis ablegen. Wenn das ni bloß Phantasien sind, da wird ihr das sehr zugute komm.

August, ernst aus der Tiefe. Das sein keene Phantasien, Herr Wachtmeester. Das Mädel ... was muß die gelitten han!


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