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Zweiter Akt

Die große Wohnstube im Hause des Erbscholtiseibesitzers Flamm. Der große, niedrige Raum, der zu ebner Erde liegt, hat eine Tür nach rechts in den Hausflur. Eine zweite Tür in der Hinterwand verbindet das große Zimmer mit einem kleineren, das Herr Flamm seine Jagdkammer nennt. Es sind darin Vorrichtungen zur Anfertigung von Patronen, Kleider und Gewehre hängen an der Wand, ausgestopfte Vögel, die man bemerkt, wenn die Türe geöffnet wird, und der standesamtliche Aktenschrank. Der große Wohnraum macht mit seinen drei Fenstern auf der linken Seite, seiner braunen Balkendecke und seiner übrigen Einrichtung einen wohnlichen und behaglichen Eindruck. Links in der Ecke steht ein großes, altmodisch geblümtes Sofa, davor ein eichener, dunkel gebeizter Ausziehtisch. Über dem Sofa an der Wand dicht beieinander Hirschgeweihe und Rehgehörne. Über der Jagdkammertür hängt ein Glaskasten mit einer ausgestopften Rebhuhnfamilie. Weiter nach rechts zunächst dieser Tür das Schlüsselbrett mit Schlüsseln daran. Nicht weit davon ein Glasschrank, dicht mit Büchern gefüllt Auf diesem Glasschrank steht ein ausgestopfter Uhu, neben dem Glasschrank hängt an der Wand eine Kuckucksuhr. Ein großer, bläulich gesprenkelter Kachelofen nimmt die rechte Ecke des Raumes ein. Vor den drei Fenstern der Linkswand blühende Blumenstöcke. Das Fenster in der Nähe des Tisches steht offen Auch das andere weiter nach vorn. Vor diesem Fenster sitzt im Rollstuhl Frau Flamm. Die Fensterchen haben Mullgardinen. Unweit des vordersten Fensters eine alte, geschweifte Kommode mit Spitzendecke, Gläsern und allerhand Familienerinnerungen Nippes und dergleichen darauf. An der Wand darüber Familienphotographien. Zwischen Ofen und Flureingang, mit der Klaviatur zum Ofen gekehrt, steht ein alter Flügel mit gesticktem Sessel. Über dem Klavier mehrere Kästen einer Schmetterlingssammlung. Vorn rechts ein hellpolierter Rollschreibtisch, davor ein einfacher Stuhl. Mehrere solcher Stühle, dicht bei dem Schreibtisch, an der Wand. Zwischen den Fenstern ein alter, mit braunem Leder bezogener Großvaterstuhl. Über den Tisch herab hängt eine große englische Hängelampe mit breitem Messingrand. Über dem Rollschreibtisch an der Wand befindet sich die große Photographie eines fünfjährigen, hübschen Knaben in einfachem Holzrahmen. Das Bildchen ist von einem Kranz frischer Feldblumen eingefaßt. Eine große gläserne Schale mit Vergißmeinnicht darunter, die in feuchten Sand gesteckt sind. Herrlicher Spätfrühlingstag gegen elf Uhr früh.

Frau Flamm ist eine matronenhaft aussehende, anziehende Frau von vierzig Jahren. Sie trägt ein glattes, schwarzes Alpakakleid mit altmodischem Blusenschnitt, ein weißes Spitzenhäubchen auf dem Kopf, ein Spitzenkrägelchen um den Hals, und ihre abgezehrten und feinen Hände sind halb bedeckt von Spitzenmanschetten. Ein Buch und ein dünnes Battisttaschentuch liegen in ihrem Schoß. Das Gesicht der Frau Flamm hat große, imponierende Verhältnisse. Ihre Augen sind hellblau und durchdringend, die Stirn hoch, die Schläfe breit. Ihr Haar ist bereits grau und dünn, sie trägt es in korrektestem Scheitel. Sie streicht es zuweilen leicht mit den Fingerspitzen der flachen Hand zurück. Der Ausdruck ihres Gesichtes verrät Wohlwollen. Der Ernst ist ohne Härte darin. Um Auge, Nase und Mund spielt viel Schalkhaftigkeit.

Frau Flamm blickt nachdenklich ins Freie, seufzt, vertieft sich ins Buch, horcht alsdann, schließt das Buch, nachdem sie ein Buchzeichen hineinlegt, wendet sich nach der Tür und spricht mit gesteigerter und sympathischer Stimme. Immer wer draußen is ... ock immer rein! Es klopft, die Flurtür öffnet sich ein wenig, und der Kopf des alten Bernd wird sichtbar. Na, wer denn? – Das is woll d'r Vater Bernd, unser Waisenrat und Kirchenvorsteher! Immer kommt ock, ich beiße Euch nicht, Vater Bernd.

Bernd. Mir wollden gern a Herr Leutnant sprechen. Er tritt ein, ihm folgt August Keil, beide sind wiederum sonntäglich gekleidet.

Frau Flamm. Na, na! Das sieht ja sehr feierlich aus.

Bernd. Gu'n Morg'n, Frau Leutnant.

Frau Flamm. Scheen gut'n Tag, Vater Bernd! – Mein Mann war vorhin in der Jagdkammer drinne. Mit Bezug auf August. Da is ja auch der Herr Schwiegersohn?

Bernd. Jawohl, mit Gottes Hilfe, Frau Flamm.

Frau Flamm. Nu da nehm Se ock Platz! Da wolln Se woll anmelden? Nu soll's woll endlich amal vor sich gehn.

Bernd. Jawohl, 's is Gott sei Dank nu so weit.

Frau Flamm. Das freut mich! Das Warten führt ja zu nischte! Wenn's eemal sein soll, kurzen Prozeß! – Da hat se sich nu entschlossen?

Bernd. Jawohl! Und mir is auch jetz wirklich a Stein von der Seele. Se hat ja a langes Gewirge gemacht. Jetze drängt se dazu aus freien Sticken. Lieber heute wie morgen soll Hochzeit sein.

Frau Flamm. Das freut mich, Herr Keil! Das freut mich ja, Bernd! – Christel! – Ich denke, mein Mann wird gleich komm! – Also war' das nu o ins Gleise gebracht. Nu, Vater Bernd, da kennt Ihr von Glick sagen! Da mißt Ihr ja nu sehr zufrieden sein.

Bernd. Nu 's is auch! Se haben auch recht, Frau Flamm! – Vorgestern haben wir gesprochen zusamm. Und da hat Gott sogar noch mehr Segen gegeben: dann is August beim Gnadauer Freilein gewest, und die is aso ieberaus mildtätig gewesen und hat'n dreitausend Mark geborgt. Dad'r mit hat a nu kenn das Lachmannsche Haus kaufen.

Frau Flamm. Ach! wirklich? Is das die Möglichkeit! – Nu da haben Sie's wieder amal, Vater Bernd: wie Se von der Herrschaft entlassen wurden ohne a Stickel Gnadenbrot, da warn Se verzagt und hoffnungslos – 's war ja auch ane richtige Gemeinheit! – Nu hat Gott doch alles zum Gutten gekehrt

Bernd. Aso is! Der Mensch is halt immer kleinmittig.

Frau Flamm. Nu da! Da sein Se ja scheene raus! Erschtlich liegt ja das Haus direkt vor der Kirche, und dann is auch das scheene Stick Land ja dabei! Und Rose – das dächt ich! – versteht zu wirtschaften. Nee, nee, da kenn Se zufrieden sein.

Bernd. Was so eine Dame fer Segen stift! Nächst Gott, wem hat man's am meisten zu danken? War' ich beim Gnadauer Freilein im Dienste gestanden und hätt' mich für die so rungeniert wie hier im Dienst von unser Herrschaft, da mecht' ich woll ni so zu klagen haben.

Frau Flamm. Sie haben jetz nich mehr zu klagen, Bernd.

Bernd. Beileibe! gewiß nich! In eener Art ni.

Frau Flamm. Uff Dankbarkeit kann man im Leben nich rechnen. Mei Vater war vierzig Jahr Oberferster, und Mutter hat doch hernachert gedarbt. – Sie haben jetz an braven Schwiegersohn! Sie kenn in am netten Hause wohn und haben sogar Ihre Landarbeit. Daß all's orndlich vorwärts statts rickwärts geht, dafier lassen Sie ock Ihre Kinder sorgen.

Bernd. Das hofft man wahrhaftig o ganz gewiß! – Sehn Se, da zweifle ich mitnichten dran. Wer sich aso hat ruffgearbeit, erschtlich mit Schriften-Kolpotieren ...

Frau Flamm. Wollten Sie nich auch mal Missionar werden?

August. Da war leider meine Gesundheit zu schwach.

Bernd. ... mit Schreiben und Lesen und Handwerklern, und dabei asu christlich und rechtschaffen is, da kann ich mei Haupt ganz geruhigt hinlegen, und wenn's flugs zum letzten Schlafe is.

Frau Flamm. Wißt Ihr denn ieberhaupt, Vater Bernd, daß mein Mann seine Standesamtssachen abgibt? Eure Rose wird a woll schwerlich noch traun.

Bernd. Se sind uff'n Rapse ...

Frau Flamm. Ich weeß woll, ich weeß! Rose hilft ja ooch mitte. Se is heute morgen schonn bei mir gewesen. Wenn Se mal gehn wolln ... glei hinterm Hofe ... Christel! ... Da is a ...

Flamm, unsichtbar, ruft. Zur Stelle! Sofort!

Frau Flamm. Standesamtliche Sachen.

Flamm, ohne Rock und Weste, erscheint in der Jagdkammertür. Sein glänzend weißes Hemd steht vorn offen. Er ist damit beschäftigt, den Doppellauf einer Jagdflinte zu reinigen.

Flamm. Jawohl. Der Maschinist Streckmann war eben hier. Ich mechte am liebsten gleich ausdreschen lassen. Die Maschine steht aufm Dominium. Aber da sind se noch lange nich fertig ... Herr Gott ja! Da is ja d'r Vater Bernd.

Bernd. Jawohl, Herr Flamm, wir sind hergekommen. Wir wollten ...

Flamm. Eins nach'n ander! Geduld! Indem er die Flintenläufe vor die Augen hält. Wenn Ihr Standesamtschosen habt, Vater Bernd, da solltet Ihr lieber 'ne Weile noch warten. Mein Nachfolger wird Rendant Steckel sein, der nimmt das bedeutend feierlicher.

Frau Flamm, die, ihre Häkelnadel am Kinn, ihren Mann aufmerksam betrachtend, zugehört hat. Nee, Christel, was red'st'n du da fier Zeug!

August, bleich von Anfang an, ist bei Erwähnung Streckmanns noch bleicher geworden, nun erhebt er sich feierlich und erregt. Herr Leutnant, ich will eine Trauung anmelden. – Ich bin mit der Hilfe Gottes bereit, in den Stand der heiligen Ehe zu treten.

Flamm nimmt die Gewehrläufe von den Augen, sagt obenhin. Das is woll nich meeglich! Pressiert d'nn das so?

Frau Flamm, mit Humor. Was geht denn das dich an, Christel, nee, nee! Laß du doch de Menschen geruhigt heiraten! Du bist schon d'r richtige Prediger, du! Wenn's dem Manne nach ginge, Vater Bernd, gab's nischt wie bloß ledige Mannsen und Weibsbilder.

Flamm. Die Ehe is auch bloß'n Gimpelfang. – Sie sind doch der Buchbinder August Keil?

August. Zu dienen!

Flamm. Sie wohnen in Wandriß drüben? Und hab'n das Lachmannsche Haus gekauft?

August. Zu dienen!

Flamm. Sie wolln einen Buchladen einrichten?

August. Buch- und Papierladen. Ja. Vielleicht.

Bernd. Hauptsächlich denkt a, Erbauungsschriften.

Flamm. Zu dem Lachmannschen Haus gehört doch auch Land. Das muß doch beim großen Birnbaum sein?

Bernd und August, gleichzeitig. Jawohl.

Flamm. Da grenzen wir ja aneinander. Er legt die Gewehrläufe weg und sucht in den Taschen nach einem Schlüsselbund, hernach ruft er hinaus. Minna! Schiebe mal die Frau Leutnant raus! Er nimmt, einige Unruhe verratend, aber mit Resignation, am Schreibtisch Platz.

Frau Flamm. Ein sehr ein cheval'resker Mann! A hat aber recht! Ich bin ieberflissig! Zu dem propren Stubenmädchen, das hereinkommt und sich hinter sie gestellt hat. Mädel, schieb mich ock in de Jagdkammer rein. Du kannst d'r dei Haar o amal besser uffstecken. Frau Flamm und das Mädchen ab in die Jagdkammer.

Flamm. Mir tun die Lachmannschen Leute leid! Zu Keil. Sie hatten Ersparnisse auf dem Grundstick? Keil hustet erregt und verlegen. Na schließlich ist das ja einerlei! Wer das Grundstick hat, kann sich gratulieren. – Sie wollen also? ... Da fehlt ja die Braut? – Wie denn? – Die Braut ist wohl widerspenstig?

August, sehr erregt und entschlossen. Mir sein uns einig, soviel ich weiß.

Bernd. Ich geh' und hol' se herzu, Herr Flamm. Schnell ab.

Flamm, der sichtlich zerstreut den Rollschreibtisch geöffnet hat, bemerkt zu spät Bernds Verschwinden. Unsinn, das eilt ja deswegen noch nich. Er blickt konsterniert einige Augenblicke nach der Tür, hinter der Bernd verschwunden ist, dann zuckt er die Achseln. Macht, was ihr wollt, tut, was ihr sollt! – Ich will mir doch aber 'ne Pfeife angokeln. Er steht auf, nimmt aus dem Bücherschrank einen Tabaksbeutel, von der Wand eine kurze Pfeife, stopft sie und zündet an. Dabei zu August. Rauchen Sie?

August. Nein.

Flamm. Und auch schnupfen nich?

August. Nein.

Flamm. Und Sie trinken kein Bier, keinen Schnaps, keinen Wein?

August. Nichts außer dem Wein beim Abendmahle.

Flamm. Eiserne Grundsätze! – Musterhaft! – Herein! – Es hat doch geklopft? – Oder nich? – Das sind die verfluchten Tackel gewesen! – Sie quacksalbern manchmal zum Zeitvertreib? – August schüttelt den Kopf. Ich dachte, Sie heilen vielleicht durch Gebet! Mir is so, als hätt' ich geheert von der Sache.

August. Das war' wohl was anders als Quacksalberei.

Flamm. Wieso?

August. Der Glaube kann Berge versetzen. Und was man bittet im rechten Geist ... da is der Vater auch heut noch allmächtig.

Flamm. Herein! –? Es hat doch schon wieder geklopft? – Herein! Herein! In drei Deibels Namen ... Der alte Bernd selbst sehr bleich, drückt die bleiche und widerstrebende Rose herein. Sie und Flamm sehen einander einen Augenblick lang fest in die Augen. Danach fährt Flamm fort. Schön! Warten 'n kleinen Augenblick! Er geht, wie um etwas zu holen, in die Jagdkammer.

Die nachfolgende Auseinandersetzung zwischen Bernd, Rose und August geschieht im heftigen Flüstertone.

Bernd. Was hat denn Streckmann zu dir gesagt?

Rose. Wer denn? Nee, Vater ...

Bernd. Streckmann war draußen. A hat immer in se reingered't

Rose. Nee, was soll a ock in mich neingered't haben?

Bernd. Das frag' ich dich eben.

Rose. Und ich weeß ebens nich.

August. Du sollst dich mit so an Schubiack nich einlassen!

Rose. Kann ich was derfier, wenn a mit mir red't?

Bernd. Nu da siehst's doch, daß er mit dir gered't hat.

Rose. Nu wenn o; da hab' ich nich druff geheert.

Bernd. Den Streckmann, den war ich noch miss'n anzeigen. Ich wer'n noch amal miss'n verklagen. Da mer vorhin vorieberging'n, wo se arbeiten tun mit d'r Dreschmaschine – heertersch, nu fang se wieder an! –, man hört das ferne Summen und Dröhnen der Dreschmaschine – da hat er uns irgendwas nachgerufen. Was, hab' ich bloß ebens nich deutlich geheert.

August. Wenn a Mädel mit dem zwee Worte red't, da is o ihr guder Ruf schon zuschanden.

Rose. Da such du d'r ock ane Bessere aus.

Flamm tritt wieder ein. Er hat einen Kragen umgelegt und ein Jagdjackett angezogen. Sein Wesen ist fest und gesetzt. Allerseits guten Morgen! – Was steht nu zu Diensten? Wann soll nun also die Trauung sein? Was gibt's denn? Ihr seid wohl nich einig mitnander? Da red' doch mal einer gefälligst ein Wort! – Na, Leute, dann seid ihr wohl noch nich so weit!? – Ich will euch da mal'n Vorschlag machen geht nach Hause, beschlaft's euch noch mal! Und wenn ihr schlüssig seid, kommt ihr wieder.

August, diktatorisch. Die Sache wird jetzt ei Ordnung gebracht.

Flamm. Ich habe gewiß nichts dagegen, Keil! Im Begriffe, mit einem Bleistift die Notizen zu machen. Also: wann soll dann, die Sache stattfinden?

Bernd. Aso bald wie's ebens meeglich wär', dachten wir halt.

August. Ei vier, fünf Wochen, jawohl, wenn's sein kennte.

Flamm. Schon in vier, fünf Wochen?

August. Jawohl, Herr Flamm!

Flamm. Dann bitt' ich um den genauen Termin! Es geht ja nicht übers Knie zu brechen, und ...

Rose, in peinlicher Erregung, unwillkürlich. 's hätte o gutt noch a bißl Zeit! –

Flamm. Was meinst du? Was meinen Sie, wollt' ich sagen. Wir kennen uns ja von Kindheit an. Aber wenn eine Braut ist, duzt man nich mehr. Also bitte: Sie ist, scheint's, nich einverstanden.

August, der bei der Äußerung Roses zusammengefahren ist, hat sie von da ab angestarrt. Jetzt kämpft er seine Erregung nieder und sagt mit unheimlicher Ruhe. Nu also! – Lebt wohl und gesund, Vater Bernd!

Bernd. Hier bleibst du, August, sag'ich d'rbloßig! Zu Rose. Und du! Dir will ich amal was sagen! Entweder oder! Verstehst du mich! Ich hab' lange Geduld gehabt mit dir! Und August ooch mehr wie neetig is! Wir haben deine Mucken uff uns genommen. Wir dachten immer: Geduld, Geduld! Unse Herrgott wird se schon noch zu Vernunft bring'n. Aber es wird immer schlimmer und schlimmer mit dir. Vor drei Tagen hast du's mir in die Hand gelobt und hast Augusten o de Hand druff gegeben, und du selber konnt'st 's gar ni derwarten dahier. Heute willste davon wieder nischte wiss'n. Was heeßt das? Was denkst du'n eegentlich von dir? Denkst du, du kannst dir alles rausnehmen, weil du a jung proper Mädel bist? Weil du uff dich gehalten hast und arbeitsam bist und weil dir kee Mensch ni kann etwa was nachreden? In der Art bist du die eenzige nich. Das geheert sich! Man braucht sich dadruff nischt einbilden! – 's sein noch andere, die nich zum Tanze gehn! 's han andere ooch kleene Geschwister erzogen und an alt'n Vater a Haushalt gefiehrt! Se sind nich alle Schlumpen und Wischhadern, weil du a fromm anständig Mädel bist. Was sollte denn sein, wenn's anderscher wär'? Da lägst du längst uff d'r Straße draußen! Aso ane Tochter hätt' ich nich. Der Mann hier, der August, der brauch dich nich! Aso a Mann brauch a Finger ausstrecken ... da hat a an Haufen Frauenzimmer dran, Frauenzimmer aus a besten Familien. Ganz andere vielleicht noch, wie du eene bist. Wahrhaftig! Da reißt een woll die Geduld. Da muß een woll die Geduld amal reißen. Hochmutt! Hoffart! Iebermutt! – Entweder du wirscht dei Versprechen jetzt einleesen ...

Flamm. Na, na, Vater Bernd! Immer sanftmietig sein!

Bernd. Herr Leutnant, Sie kenn die Geschichte nich! Will a Mädel an Ehrenmann so hinzerren und rumreißen, da kann se nich meine Tochter sein.

August, dem Weinen nahe. Rose, was hast du mir vorzuwerfen? Weshalb bist du jetzt aso schlecht gegen mich? Ich hab' zwar nie kee Vertrauen in mei Glick nich gehabt, denn warum? Ich bin ebens bestimmt zum Unglicke! Das hab' ich o Ihn, Vater Bernd, schon immer gesagt! – Jedennoch, ich hab' gesorgt und gearbeitet, und in der Art hat Gott ooch Segen gegeben, daß ich nich bin zuschanden geworden. Ma flennt! Das kommt asu! 's is eemal nich andersch! Fer mich war' das eemal zuviel gewest! Ma is eim Waisenhaus uffgewachsen! Ma hat keene Häuslichkeit niemals gekannt! Keene Schwester nich und keen Bruder nichn ... nu, ma muß sich halt an a Heiland halten. – Mag sein, daß ich nich der Scheenste bin! Ich hab' dich gefragt, du hast ja gesagt! Uffs Inwendige kommt's an! Gott sieht uffs Herze! Du wirst's aber noch amal bitter bereun! Er will fort, Bernd hält ihn zurück.

Bernd. Noch amal, August! Hiergeblieben! – Verstehste, Rosine! Wort fier Wort! Der Mann hier ... entweder ... das wer ich nich zugeben. – Dahier, der is meine Stütze gewest, lange ehb a um dich hat angehalten. Da ich krank war und nischt erwerben konnte und keener sich um uns bekimmern tat: a hat a Bissen Brot mit uns geteelt. August kann seiner Erregung nicht mehr Herr werden, nimmt seinen Hut und geht ab. A is wie a Engel vom Himmel gewesen! – August!

Rose. Ich will ja. Ihr kennt mir doch Zeit lassen!

Bernd. A hat dir drei Jahre lang Zeit gelassen! D'r Herr Paster hat in dich neingered't ... Nu hat a genug! Wer will's 'n verdenken! All's hat ane Grenze! Recht hat a dermit! Aber nu sieh du, wo du bleibst ... was du willst ... ich mag mit dir o keen'n Staat nich mehr mach'n. Bernd ab.

Flamm. Na! Na! Na! Na! Schockschwerebrett nich noch mal! Rose ist abwechselnd totenblaß und rot geworden. Man merkt ihrem Wesen schwerste innere Erregungen an, die oft so stark sind, daß es mehrmals den Anschein hat, als wollten sie durchbrechen. Nachdem auch Bernd verschwunden ist, erscheint das Mädchen zu einer unheimlichen Blässe erstarrt. Flamm, nachdem er das Register zugeklappt und den Mut gefunden hat, Rose anzusehen. Rose! – Wach auf! – Was ist denn mit dir? – Du wirst dir doch aus dem Geschwefel nichts draus machen!? Da sie einen Frostanfall bekommt und ihre starren großen Augen voll Tränen stehen. Rose! – Verständig! – Was heißt denn das?

Rose. Ich weeß – was ich will, und – ich wärsch o – schon durchsetz'n. – Und wenn's – ni is, da is – ooch – weiter nischt!

Flamm geht erregt hin und her, lauscht nach der Tür. Natierlicherweise, warum denn nich! – Scheinbar nur für das Schlüsselbrett interessiert, von dem er Schlüssel nimmt, flüstert er mit steigender Hast. Rose! – Du! – Rose! – Rose, heerst du denn nich?! – Wir missen uns hinterm Vorwerk treffen! – Ich muß alles noch mal bereden mit dir. – Pst! – Mutter is in der Jagdkammer drin. – Hier geht's nich.

Rose, mühsam hervorgerungen, aber mit Energie. Nie und nimmer, Herr Flamm!

Flamm. Du willst uns wohl alle mitnander verrückt machen!? Du bist wohl des Deibels, sage mal an!? – Ich laufe dir nun schon vier Wochen nach und will'n verninftiges Wort mit dir sprechen: du tust ja, als wenn ich aussätzig wär' – – so is's dann! Dann kommen dann solche Geschichten ...

Rose, wie vorher. Und wenn das noch zehnmal so schlimm kommt dahier. Immer schlagt uff mir rum, ich verdien' das nich besser! Immer putzt euch an mir eure Stiefeln ab, aber ...

Flamm steht am Tisch, wendet sich mit entrüstetem Staunen jäh nach Rose um. Hält an sich. Plötzlich schlägt er unwillkürlich mit der Faust auf die Tischplatte, daß alles dröhnt. Kreuzmillionendonnerwetter noch mal!!!

Rose. Um's Himmels wille ...

Frau Flamm in ihrem Rollstuhl, von einem Mädchen geschoben, erscheint in der Jagdkammertür.

Frau Flamm. Was gibt's denn, Flamm? Flamm ist aschfahl geworden, faßt sich mit Entschluß, nimmt Stock und Hut von der Wand, geht durch die Tür rechts ab. Frau Flamm blickt erst ihrem Mann betroffen nach, begleitet sein Verschwinden mit Kopfschütteln und wendet sich dann fragend an Rose. Was is denn geschehen? – Was hat denn der Mann?

Rose, überwältigt von tiefer Erschütterung. Ach, liebe Frau Leutnant, ich bin doch zu unglicklich!! – Sie bricht vor Frau Flamm zusammen und verbirgt ihr Gesicht in deren Schoß.

Frau Flamm. Nu sag mer amal ... nu jemersch nee, Mädel ... was is denn in dich gekrochen dahier? – Was hat's denn? – Du bist ja rein umgeändert. – Das versteh' ich im ganzen Leben nich. – Zu dem Stubenmädchen, das sie hereingeschoben hat. Ich brauch' dich jetzt nich! – Hernach kommste wieder! Mach alles soweit in der Kiche zurecht. Das Stubenmädchen ab. Nu also! – Wo fehlt's denn? – Was hat's denn gegeben? – Immer sprich du dich aus! Erleichtere dich! – Was? – Wie? – Was sagste? – Was haste gesagt? – Willste den Kleister-August nich heiraten? – Oder steckt dir a andres Sehndel im Kopf? – I was denn: 's taugt eener soviel wie d'r andre, und richtig was wert is dir keener nich.

Rose, endlich sich fassend und sich erhebend. Ich weeß, was ich will, und damit is gutt.

Frau Flamm. So?! Siehste, ich dachte, vielleicht tätste das nich wiss'n. D' Weiber wiss'n das manchmal nich. Geschweige in deinen Jahren mitunter. Manchmal kann da an Alte behilflich sein. Aber wenn du's weeßt, nu da is ja gutt! Da wirscht du dich schon alleene rausfind'n. Mit scharfem Blick, nachdem sie eine Brille aufgesetzt hat. Rosine! Biste denn etwa krank?

Rose, erschrocken, verwirrt. Krank? – Wie denn ...?

Frau Flamm. Halt krank, wie das ebens so is. Frieher bist du doch ebens anders gewesen.

Rose. Ich bin doch nich krank ...?! ...

Frau Flamm. Ich sag's ja ooch nich. Ich frage ja. Deswegen frag' ich ja eben! – Mir missen uns recht verstehn, sieh ock amal an! – 's is wahr! – Mir wollen doch nich um uns rumtanzen! Versteckenspieln wolln mir doch nich. – Du denkst doch nich, daß ich's mit dir ni gut meene? Rose schüttelt energisch den Kopf. Das wär' woll ooch etwan! – Na, abgemacht. Du hast noch mit mein Kurtel gespielt. Ihr seid nebeneinander hergewachsen, bis Gott und a nahm mir mei eenziges Kind. – Und da um die Zeit deine Mutter o starb – ich weeß woll, sie lag uff'n Sterbebette! –, da hat se sogar noch gered't mit mir: ich sollt' mich a bissel, wenn's ging', deiner annehm.

Rose starrt vor sich hin. 's beste wär' schon, ins Wasser mit mir! – Wenn's aso is ... Gott verzeih' mir die Sinde!

Frau Flamm. Wenn's aso is? – Was? – Ich versteh' dich nich! Du kennt'st dich vielleicht a wing deutlicher ausdricken. – Erschtlich bin ich an Frau, mir verschlägt's weiter nich! Und dann war ich ooch eine Mutter deswegen, wenn ich o jetzt ohne Kinder bin. Mädel, wer weeß, was mit dir is! Ich hab' dich beobachtet seit vielen Wochen, du hast vielleicht nischt nich gemerkt davon, du sollt'st mit der Wahrheit nu bald amal rausricken. – Schieb mich amal an de Kommode hin. Rose tut es. So! – Hier in den Schieben sein alte Sachen! – Noch die Kindersachen von Kurtel her ... Deine Mutter sagte amal zu mir: meine Rose, das wird ane Kindermutter! Sonste aber, ihr Blutt is a wing gar zu heeß! – Ich weeß ja nich: 's kann immer sein, daß se recht hatt'. Sie nimmt eine große Puppe aus einem der Schübe. Nu siehste's! Das mag sein, wie's will dahier! Ane Mutter is auch nich zu verachten! – Mit der Puppe hast du und Kurtel gespielt. Hauptsächlich du hast se großgezogen, gewaschen, gefittert und trockengemacht, und eemal is Flamm derzune gekommen, da hast d'r se gar an de Brust gelegt. – – Du hast heute morgen Blumen gebracht. Nich wahr, die Vergißmeinnicht dorte im Schälchen?! Hast o Kurtels Grab wieder am Sonntag bekränzt. Kinder und Gräber sein Weibersachen. Sie hat ein Kinderhemdchen aus dem Schube genommen, hält es mit beiden Händen an den Ärmeln auseinander und spricht darüber hinweg. Gelt, Rose? – Ich dank' dir o scheene dafier! Dein Vater, der hat's mit der Mission, mit a Bibelstunden und all solchen Sachen. A spricht: Alle Menschen sein Sinder dahier, und a will se alle zu Engeln mach'n. Kann sein, a hat recht, ich versteh's ebens nich. Ich hab' ane eenzige Sache gelernt: neemlich was ane Mutter is hier uff der Erde und wie die mit Schmerzen gesegnet ist. Rose ist überwältigt und röchelnd auf die Knie gesunken und küßt zum Bekenntnis und dankbar unzählige Male die Hände der Frau Flamm. Frau Flamm verrät durch ein blitzartiges Aufleuchten ihrer Augen, daß sie die Wahrheit erkannt und das Bekenntnis verstanden hat, spricht aber ruhig weiter. Siehste, Mädel, das hab' ich gelernt. Ich hab's gelernt, und die Welt hat's vergessen. Von viel andern Sachen da weeß ich nischt; da weeß ich nich mehr, als was jeder so weeß, und was de jeder so weeß, das nenn' ich kee Wissen. Sie legt das Kinderhemdchen vorsichtig auf den Schoß. Nu da geh jetzt nach Hause und sei gutes Muts! Ich will mir jetzt alles erscht fer mich ieberlegen. 's is gutt! Weiter frag' ich dich jetze nich. Du bist jetze ni mehr die und das ... Und da heeßt das getoppelt behutsam sein. Ich will nischt wissen! Verlaß dich uff mich! Mir sein ieberhaupt de Väter ganz gleichgiltig: ob's a Landrat oder a Landstreicher is. Mir miss'n de Kinder doch selber zur Welt bring'n. Daderbeine hilft uns doch keener nich. Drei Dinge muß ma sich ieberleg'n: mit Vatern, mit Augusten ... und manches noch: dazu hab' ich ja Zeit! Ich will mersch recht durchdenk'n. Wingsten is ma noch zu was gutt in der Welt.

Rose hat sich wieder starr aufgerichtet. Ach nee, Frau Leutnant, tun Se das nich! – Es geht nich! – Sie sollen sich nich meiner annehm! – Ich hab's um Ihn und niemanden verdient. – Das weeß ich. – Ich muß das alleene durchfress'n! – Uff andre verlass'n darf ich mich nich! – 's is ... deutlicher kann ich mich nich erklären! ... Sie sind aso gutt wie a Engel, Frau Leutnant! ... Gott im Himmel: Sie sein viel zu gutt mit mir! ... 's geht aber nich! – Ich kann's ebens nich annehm. Adje, Frau Leutnant ...

Frau Flamm. Bleib amal noch! Ich kann dich aso jetze nich von mir fortlass'n. Wer weeß, was du noch fier Geschichten machst.

Rose. Nee, da kenn Se ganz ruhig sein, Frau Flamm: zum Letzten greif ich noch lange nich! Im Notfalle kann ich fiers Kind ja arbeit'n: d'r Himmel is hoch, und de Welt is weit! – Wenn's uff mich bloß ankäm' und Vater nich wär' und August tät' een nich gar zu leid tun ... und a Kind muß eemal an Vater han!

Frau Flamm. Gutt! Sei du a resolutes Ding! Du bist ja immer a forsches Frauvolk gewesen! Um so besser, wenn d' a Kopp oben behältst! – Aber wenn ich dich recht verstanden hab', da kann ich dich glei wieder nich begreif'n: weshalb de dich gegen de Hochzeit sperrst.

Rose, wieder verstockt, bleich und ängstlich. Was soll ich'n sagen? – Ich weeß ja nich! – Ich will mich ja ooch weiter kinftig nich sperr'n, bloß ... Streckmann ...

Frau Flamm. Sei off'n, verstehste mich! – Meinshalben geh jetze nach Hause, meinswegen! Komm morgen wieder! – Heer du uff mich! – Freu dich! Ma soll sich freun uff sei Kind ...

Rose. Das tu' ich weeß Gott woll! – Ich wärsch o schon durchsetzen, bloß, helfen kann mer dabei niemand nich. Schnell ab.

Frau Flamm, allein, blickt ihr nach, seufzt, nimmt das Hemdchen vom Schoß, spannt es wie vorhin auseinander und sagt. Nu, Mädel, 's is doch a Glick, was du hast! Fer a Weib gibt's kee greeßeres! Halt du's feste.


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