Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Akt

Eine ebene, fruchtbare Landschaft. Klarer, sonnig warmer Morgen im Mai. Schräg von links nach rechts und aus dem Mittelgrunde nach vorn verläuft ein Feldweg. Die Felder zur Rechten liegen ein wenig höher als dieser. Am weitesten nach vorn ein kleines Fleckchen Kartoffelland, über dem das grüne Kraut schon sichtbar ist. Ein kleiner blumiger Graben trennt Weg und Feld, links auf der etwa mannshohen Böschung ein alter Kirschbaum, rechts Haselnuß- und Weißdornbüsche; ungefähr parallel mit dem Wege und in ziemlicher Entfernung hinter ihm wird durch Weiden und Erlen der Lauf eines Baches bezeichnet. Vereinzelte Gruppen alter Bäume geben der Landschaft etwas Parkartiges. Links im Hintergrund zeigen sich die Dächer und der Turm eines Kirchdorfes zwischen Büschen und Baumwipfeln. Rechts vorn am Weg Kruzifix. Es ist Sonntag.

Rose Bernd, ein schönes und kräftiges Bauernmädchen von zweiundzwanzig Jahren, kommt erregt und mit geröteten Wangen links hinter Büschen hervor und läßt sich an der Wegböschung nieder, nachdem sie scheue Blicke forschend nach allen Seiten gerichtet hat. Sie geht barfuß; ihr Rock ist geschürzt, Arme und Nacken sind bloß; sie bemüht sich, einen ihrer blonden Zöpfe, der aufgelöst ist, schnell wieder zu flechten. Ganz kurz darauf kommt von der andern Seite aus dem Gebüsch ein Mann geschlichen. Es ist der Erbscholtiseibesitzer Christoph Flamm. Auch Flamm macht einen scheuen, aber auch zugleich belustigten Eindruck. Er ist ein stattlicher, sportlich, aber nicht geckenhaft gekleideter Mann, an Jahren dem vierzigsten nahe. Schnürschuhe, Jagdstrümpfe. Er hat einen Riemen mit Lederflasche umgehängt. Im ganzen ist Flamm eine kernige, frische, lebenslustige, breitschultrig imponierende und durchaus sympathische Erscheinung. Nachdem er sich in gemessener Entfernung von Rose ebenfalls an der Böschung niedergelassen hat, blicken beide sich erst stumm an und brechen dann in ein unaufhaltsames Gelächter aus.

Flamm, mit steigendem Übermut immer lauter und herzlicher heraussingend und dabei wie ein Kapellmeister Takt schlagend.

Im Wald und auf der Heide,
da such' ich meine Freude!
Ich bin ein Jägersmann!
Ich bin ein Jägersmann!

Rose hat, durch den Gesang zuerst erschreckt, dann immer mehr belustigt, aus der Verlegenheit heraus mehrmals hineingelacht. Nee aber, Herr Flamm ...

Flamm, forsch. Immer sing mit, Rosine!

Rose. Ich kann ja nich singen, Herr Flamm.

Flamm. Das is ja nich wahr, Rosine! Ich hör' dich doch oft genug singen im Hofe:

Ein Jäger aus Kurpfalz ... Na!? –
der reitet durch den grünen Wald ...

Rose. Das Lied kenn' ich ja gar nich, Herr Flamm.

Flamm. Du sollst nich immer Herr Flamm sagen! Na?

Mädel, ruck ruck ruck
an meine grüne Sei-ite!

Rose, ängstlich. Die Kirchleute kommen ja gleich, Herr Flamm.

Flamm. Laß se kommen! Er steht auf und nimmt aus dem hohlen Kirschbaum links seine Flinte. Ich wer mir jedenfalls die Knarre wieder umhängen. So. – Hut! Piepe! – Nu kenn se kommen wegen mir. Er hat das Gewehr umgehängt, den Hut mit Spielhahnfeder zurechtgesetzt, die kurze Tabakspfeife aus der Tasche und in den Mund genommen. Sieh mal: knüppeldick Vogelkirschen. Er hebt eine Hand voll Kirschen auf und weist sie Rose. Mit Kraft von innen heraus. Rosine, ich wünschte, du wärst meine Frau!

Rose. O jemersch, Herr Flamm!

Flamm. Bei Gott, Rosine!

Rose, mit ängstlicher Abwehr. Aber nee, nee!

Flamm. Rosine! Reich mir mal deine grundtreue, grundbrave Tatze her. Er hält ihre Hand und läßt sich dabei nieder. Bei Gott, Rosine! – Sieh mal, ich bin ein verflucht eigentümlicher Kerl! Ich hab' meine Mutter ganz verflucht gerne, siehste wohl ...

Rose verbirgt das Gesicht im vorgehaltenen Arm. Ich tät' egelganz in de Erde sinken.

Flamm ... ich hab' meine Frau ganz verflucht gerne, sag' ich dir ... aber – die Geduld reißt ihm – das geht se gar nichts an!!

Rose muß wiederum gegen ihren Willen lachen. Nee, ieber Ihn aber o, Herr Flamm!

Flamm, herzhaft bewundernd. Mädel, du bist ein schönes Frauenzimmer! – Ach Mädel, du bist ein bildschönes Frauenzimmer! – Sieh mal an: Mutter ... das is so 'ne eigentümliche Geschichte mit Mutter und mir. Das läßt sich gar nich so einfach auseinanderpolken. Hennerjette, weißt du ja doch, is krank. Se liegt seit geschlagenen neun Jahren im Bette oder kriecht vielleicht mal in den Rollstuhl heraus. – Na, zum Donnerwetter, was soll denn das mir nützen?! Er faßt sie beim Kopf und küßt sie heftig.

Rose, unter den Küssen erschrocken. Die Kirchleute kommen!

Flamm. Denkt niemand dran! – Warum hast du's denn heute so mit'n Kirchleuten?

Rose. Weil August doch o in der Kirche is.

Flamm. Die Mucker sind immer in der Kirche! Wo solln denn die Mucker anders sein? Rosine, 's is doch noch nich mal halb elfe; wenn's aus is, fängt doch ooch's Lauten an. – Nee, nee! Und um Mutter brauchst du nich Angst haben.

Rose. Ach Christoph, die sieht een doch manchmal an, 's is reene zum in de Erde sinken.

Flamm. Du kennst eben meine Alte nich! Mutter is schlau, die sieht durch drei Bretter! Aber deshalb ... sie is ooch so gut wie'n Schaf ... Und wenn die flugs wißte, was zwischen uns is –: 'n Kopf würde die uns noch lange nich abreißen.

Rose. Nee! Nee! Ach! um Gottes wille, Herr Flamm!

Flamm. Ach was, Rosine! 'ne Prise? Hm? – Er schnupft. Ich sage noch mal: Is mir alles ganz gleichgiltig! Mit Entrüstung. Wo soll schließlich'n Kerl wie ich hin damit? – Na, was denn? Was is denn nun los, Rosine? – Du weißt doch, wie ernst mir die Sache is. Laß mich doch mal'n bißchen drauflospulvern.

Rose. Herr Christoph, Sie sind aso gutt mit mir ...! Sie küßt, Tränen im Auge, inbrünstig aufwallend Flamms Hand. ...Aber ...

Flamm, einigermaßen betroffen. Gut? Kunststück! Hol' mich der Schinder, Rosine! Gut zu dir sein is gar nichts gesagt. Wenn ich frei wäre, würd' ich dich heiraten. Ich bin 'n verfahrner Kerl, sieh mal an! Von früheren Chosen gar nicht zu reden! Ich passe vielleicht ... ja, wer weiß nu, wohin!? – Ich könnte jetzt Oberforstrat sein! Und doch, wie der Alte starb: heidi nach Hause! Karriere sofort an 'n Nagel gehängt. Ich bin nu mal nich für den höheren Schwindel. Mir is alles hier noch viel zu kultiviert. Blockhaus! Flinte! Bärenschinken! Und wenn eener kommt: Ladung Schrot in 'n Hintern – –

Rose. Aber das geht doch halt nich, Herr Flamm! – Und ... 's muß doch amal ooch a Ende hab'n.

Flamm, in sich hinein. Himmelkreuzschockschwerebrett nich noch mal! Hat denn der Schwerenotsmucker nich Zeit? Bleibt für den Kerl denn nich noch zu viel übrig? Nee, Mädel, den führt' ich gehörig ab.

Rose. Ich hab'n woll lange genug hingehalten. Über zwee Jahre wart't a nu schonn. Nu drängt er mich eemal. A wart't ni mehr! Und's kann o nu wirklich so ni mehr gehn.

Flamm, wütend. Das is alles Unsinn, versteht ihr mich! Bis jetzt hast du für deinen Vater geschuftet, hast gar keine Ahnung, was leben heißt, und jetzt willst du dich noch bei dem Buchbinder vorspannen. Das is 'ne Gemeinheit, sag' ich bloß: einen Menschen so bis auf die Knochen ausnützen! Wenn du weiter nichts willst, dazu ist immer noch Zeit.

Rose. Nee, Christoph ... Das sagen Sie so, Herr Flamm! Aber wenn Sie in solchen Umständen wären: Sie möchten woll auch andrer Meinung sein. – Ich weeß, wie wacklig der Vater is! De Herrschaft hat uns die Wohnung gekindigt. 's soll, gloob' ich, 'n neuer Kihschaffer rein! Und dann is das halt o sei Lieblingsgedanke, daß endlich amal nu ane Ordnung wird.

Flamm. Da soll doch dein Vater den Keil August heiraten! Wenn er so vernarrt in den Menschen is. Er is ja förmlich verbohrt in den Menschen. Das streift ja schon an Besessenheit.

Rose. Sie sind eben ungerecht, Herr Flamm.

Flamm. Sag lieber ... Na was denn? ... Was sag' ich denn gleich? ... Ich kann die Gebetbuchvisage nich riechen! Er kostet mich Überwindung, der Mensch. Gott verzeih' mir's und dir hauptsächlich, Rosine! Weshalb soll ich vor dir denn nich offen sein? Kann sein, daß er seine Meriten hat. Er soll sich ja wohl sechzehn Groschen erspart haben. Deshalb kriecht man doch nich in den Kleisterpott.

Rose. Nee, Christoph! Reden Se bloß ni aso! das darf ich wahrhaftigen Gott nich mit anheeren! – August hat o ausgestanden genug! – Dem seine Krankheit und dem sei Unglicke ... das tutt een ja in de Seele leid ...

Flamm. Euch Frauenzimmer begreift einer nich! Eine kluge und resolute Person, und dann plötzlich soll man auf einen Punkt treffen, da staunt man, wie dumm ihr doch eigentlich seid. So stupide, weiß Gott, wie de Gans, wenn's donnert. In der Seele weh tun: was heißt denn das? Da kannst du ja ooch'n Zuchthäusler heiraten: aus Mitleid oder aus Blödigkeit. Du sollst deinem Vater geheerig was uffmucken. Was geht denn dem August ab, sag eemal? Er is im Waisenhaus großgewachsen und hat schließlich doch seinen Weg gemacht. Willst du nich, suchen se dem eene andre. Damit wissen die Brüder im Herrn ja Bescheid.

Rose, mit Entschluß. Ich will ni! Und – 's muß eemal sein, Herr Flamm! – Was de geschehn is, bereu' ich nich, wenn ich o hab' genug in der Stille mußt leiden. Ich meene, für mich aso in der Zeit. Mag's doch! Das is o jetz nich mehr zu ändern. Aber: 's muß eemal nu o sei Ende han – und's geht und geht nu ni mehr asu weiter.

Flamm, 's geht ni mehr! Sag mal: was heißt denn das?

Rose. Halt ... weil's eben eemal ni anderscher is. Hinziehen kann ich'n nu ni mehr länger: das leid o der Vater weiter ni. Und a hat o deswegen ganz recht in der Sache. Ach Gott, Maria und Jesus Christ! 's mag meinethalben ni leichte sein! Aber wenn man's wird von der Seele hab'n ... ich weeß ni, – sie faßt an ihre Brust – man heeßt's, gloob' ich, Herzgespann. Ich hab' ord'ntlich manchmal richtig Herzschmerzen ... Da muß een doch ooch wieder anderscher wern.

Flamm. Na, dann is jetz weiter nich viel zu machen. – 's is Zeit! Ich muß nu nach Hause gehn. Er steht auf und wirft das Gewehr über die Schulter. Auf Wiedersehn! – Adje, Rosine. Rose starrt, ohne zu antworten, vor sich hin. Was is denn, Rosine? Auf Wiedersehn. Rose schüttelt den Kopf verneinend. Nich? Hab' ich dich etwa beleidigt, Rosine?

Rose. Aber ni mehr aso – wie jetz – Herr Flamm.

Flamm, von plötzlicher Liebesraserei hingerissen. Mädel, und wenn ich mich unglücklich mache ... Er umarmt und küßt sie leidenschaftlich.

Rose, nach einigen Augenblicken, jäh erschrocken. Um Gottes wille! – 's kommt eens, Herr Flamm.

Flamm, bestürzt, springt auf, hinter den Busch und verschwindet. Rose steht schnell auf, streicht hastig das Haar und die Kleider zurecht, sieht sich angstvoll um, bemerkt niemand, nimmt alsdann die Hacke und beginnt das Kartoffelland zu bearbeiten ...

Nach einem Weilchen kommt, von ihr nicht bemerkt, der Lokomobilenmaschinist Arthur Streckmann im Sonntagsstaat. Er ist ein sogenannter schöner Mann, groß, breitschultrig, in seinem Wesen von einer geckenhaften Gewichtigkeit. Er hat einen langen, bis auf die Brust reichenden blonden Bart. Man sieht an seiner Haltung, seiner Kleidung, die, vom rückwärts sitzenden Försterhütchen an bis zu den spiegelblank geputzten Schaftstiefeln, dem Gehrock und der gestickten Weste, tadellos ist, daß Streckmann außergewöhnlich viel sowohl von sich hält als auch auf sich hält und daß er sich seiner besonderen Schönheit vollkommen bewußt ist.

Streckmann, als ob er jetzt erst Rose bemerkte, mit geschraubt schönem Organ. Tag, Bernd Rosine.

Rose wendet sich erschrocken. Tag, Streckmann! Unsicher. Wo kommst'n du d'nn her? – Aus der Kirche?

Streckmann. Ich hab' mich zeitlicher fortgemacht.

Rose, erregt und mit Vorwurf. Weg'n waas denn? – Kunnt'st ni aushalt'n de Predigt?

Streckmann, forsch. Halt ... weil's aso scheen heute draußen is! – Ich hab' o mei Weib in der Kirche gelassen. Ma muß o amal für sich selber sein.

Rose. Ich tät' lieber in der Kirche sein.

Streckmann. Weiber geheeren ooch in de Kirche.

Rose. Du hast wull o Sünd'n genug uff'n Puckel! Du kennst o deswegen was abbeten gehn.

Streckmann. Mit unsen Herrgott steh' ich sehr gutt! A nimmt's ni sehr genau mit meinen Sinden.

Rose. Na, na.

Streckmann. A bekimmert sich nich viel um mich.

Rose. A eingebild'ter Laps bist du! Streckmann lacht voll und affektiert. Wenn du a richtiger Moan bist dahier, da brauchst du dei Weib derheeme ni durchpriegeln.

Streckmann, mit leuchtenden Augen. Erscht grade! Erscht recht! Das geheert sich aso! Euch Weibern muß ma a Meister zeigen.

Rose. Bild d'r ock keene Schwachheiten ein.

Streckmann. Jawull! Aso is! Was Recht is, muß Recht bleiben! Und da bin ich o stets immer zum Ziele gekomm. Rose lacht gezwungen auf. Die Leute sagen, du willst wegziehn von Flamm?

Rose. Ich bin doch bei Flamm weiter gar nich im Dienste. Du siehst's ja, ich hab' woll ernt andres zu tun.

Streckmann. Du hast doch erscht gestern bei Flamm geholfen.

Rose. Meinswegen! Ich helfe, ich helfe ni! – Bekimmert ihr euch ock um eure Sachen.

Streckmann. Is's wahr, d'r Voter is umgezogen?

Rose. Zu wem denn?

Streckmann. Zu Augusten ins Lachmannsche Haus.

Rose. Das hat August ersch noch gar nich gekooft! – Da wissen se mehr wie ich, de Leute.

Streckmann. Se sagen o jetz, ihr wollt balde Huxt machen.

Rose. O red't ihr meinswegen immerzu.

Streckmann, nach einigem Stillschweigen, nachdem er sich ihr einige Schritte genähert hat, breitbeinig aufgepflanzt. Recht haste! Das kommt o noch immer zurecht! – A Prachtmädel wie du hat's ni ängstlich mit Heirat'n: die soll sich irscht richtig ausamisiern! Ich lacht'n ja ooch ins Gesicht nei. Und's mocht's ja dem Kerle a keener nich glooben.

Rose, schnell. Wer sagt's denn?

Streckmann. Keil August!

Rose. August sagt's? – Das hat a von dem verdammten Rumred'n.

Streckmann, nach einigem Stillschweigen. August is zu a kräklicher Kerl ...

Rose. Ich will nischt heern! Laßt ihr mich zufriede! Euer Gehändel schert mich nischt! Da is eener akrat a soviel wert wie d'r andre.

Streckmann. Das heeßt!! Ock bloßig uf Forsche nich.

Rose. O jee! Deine Forsche, die kennt ma schonn. Ma braucht bloß a wing bei a Weibern rumheeren. Asu eener is woll ernt August ni.

Streckmann lacht schwerenöterhaft. Streit' ich das etwan?

Rose. Das kennt'st du o ni.

Streckmann, scharf durch gekniffene Lider blickend. Mit mir is eemal schlecht Kirschen essen. Was ich will bei am Weibe, das setz' ich o durch.

Rose, höhnisch. Na hee!!

Streckmann. Na hee! Was wett mer, Rosine! Du hast woll o oft schonn nach mir geschielt. Er hat sich ihr genähert und will sie umfassen.

Rose. Bild d'r nischt ein, Streckmann! – Bleib mer vom Leibe.

Streckmann. Wersch doch ...

Rose stößt ihn zurück. Streckmann!! – Ich hab' dirsch gesagt! – Ich will von euch ganzem Mannsvolk nischt wiss'n. – Geh deiner Wege.

Streckmann. Was tu' ich d'r denn? – – – Nach einigem Stillschweigen, mit halb boshaftem, halb verlegenem Lachen. Nu wart ock! Du kommst mer schonn noch amal! Ich sag' d'rsch: Du mußt mer schonn noch amal kumma! Magst du doch noch so sehr scheinheilig tun. – – – Da steht a Kreuze! Da steht a Baum! – Verpucht noch amol! Das sind so 'ne Sachen! – Ich hab' manches ausgefressen, jawoll! – Aber ... unter am Kreuze ... Aso mecht' ma sprechen ... Ich bin sonst ni aso, aber da schamt' ich mich woll. Was wär wull d'r Voter und August sagen? Zum Beispiel: der Birnbaum dahier, der is hohl. Nu also: hie hat ane Flinte gestand'n.

Rose hat unter der Arbeit immer mehr aufgehorcht. Nun unwillkürlich, wachsbleich und bebend. Woas red'st du? –

Streckmann. Nischte! – Ich sag' weiter nischt. – Aber wo eener gar keene Ahnung dran hat und tutt o mit gar keener Ader ni dran denken, da tutt sich aso eene schauderhaft.

Rose, erschrocken, ihrer nicht mächtig, springt vor ihn hin. Waas hast du gesoat?

Streckmann, ihren furchtbaren Blick aushaltend. Ich soate: asu eene!

Rose. Woas heeßt doas: asu eene?

Streckmann. Das heeßt weiter nischt.

Rose ballt die Fäuste, durchbohrt ihn in einer ungeheuren Aufwallung von Wut, Haß, Angst und Bestürzung mit den Augen, bis sie im Gefühle ihrer Ohnmacht die Arme sinken läßt und fast wimmernd die Worte hervorstößt. Ich wer mir mei Recht schonn verschaffen dahier! – Den rechten Arm vor die weinenden Augen haltend, mit der Linken die Schürze heraufnehmend und sich schneuzend, begibt sie sich schluchzend und gebrochen an ihre Arbeitsstelle zurück.

Streckmann blickt ihr noch mit dem alten Ausdruck boshafter Kälte und Entschlossenheit nach. Allmählich aber setzt bei ihm ein unwillkürliches Lachen ein, das sich zu einem lauten Ausbruch Bahn bricht. Das is ni and'rsch! Mach d'r nischt draus. – Was denkst du ock eegentlich von mir, Bernd Rose? – Was denn? – Was hat's denn? Das schad't doch ernt nischt!! –? Warum soll man a Leuten kee X fer a U machen? Weshalb denn ni? Warum sein s' aso tumm! – Die de das kenn, das sein mir de liebsta Frauvelker! Freilich, enner wie ich bin, der weeß Bescheid! – Gloobst d'es, ich hab' das schonn immer gewußt.

Rose, außer sich. Streckmann! Ich tu' mer a Leeds a! Verstanden! Oder geh von dem Ackerfleckl weg! – Iich bin ... mir is ... 's passiert a Unglicke!!! –

Streckmann sitzt am Rain, schlägt sich mit den flachen Händen auf die Knie. Nu jemersch, ock jemersch! Jeses, nee nee! Ich wer woll glei gehn und dich ieberall ausrichten? Dich ieberall durch a Hechel zerrn? Was geht denn das mich an, mecht' ich bloß wissen, was du fer Fahrten und Zicken machst.

Rose. Ich häng' mich d'rheeme an a Stubenbalken! Schubert Mariele hat's o so gemacht.

Streckmann. Mit der, das war a ganz and'r Ding! Die hat andre Collazien hat die verbrochen! Und ich hab' ieberhaupt nischt mit'r gehabt. Aso was is lange noch nich zum Uffhängen. Da gäb's woll längst keene Weiber ni mehr! – Das is ebens, wie's ebens ieberall is: ma sitt, wo man hinsitt, es is eemal ni andersch. Nu ja ... ma muß lachen! Mehr is weiter nich. Wie sitt bloßig dei Voter von oben runter! A schielt een'n ei Grund und Boden nei! Da is ma ... da mecht' man sich reene verkriech'n, weil man monchmal a bißl nischnitzig is. Nu da! Kehr du ock vor deiner Tiere!

Rose, zitternd, in Angstschweiß. O Jesus, Maria und Joseph, nee nee!

Streckmann. Nu sag mir amal, hab' ich etwa ni recht, ihr hatt doch's Frommtun mit Leffeln gefressen: Keil August, d'r Vater und du d'rzu!? Mit der Bigotterie kann ich freilich nich mitmachen.

Rose, mit neuem, verzweifeltem Anlauf. Das is an Lieche, du hast nischt gesehn ...!

Streckmann. Was? nischt gesehn? – Nu verknucht noch amal! Da muß ich geträumt han! – Ich weeß nu nich and'rsch! – Wenn das ni Flamm-Schulze von Dießdorf war! Ich ha heute noch kee Treppla getrunka. Hoot a dich ni bei a Zeppa kutschiert? Hoot a dich ni ei de Weida geschmissa? Mit unbändigem Gelächter. Er hoot dich wull urntlich beim Kuppe gehoat. –

Rose. Streckmann! Ich schlo d'r a Schadel ei!

Streckmann, immer noch lachend. Na heer ock! Was denn? Du werscht doch nich etwan! Weshalb denn ni? Ich verdenk ' d'rsch ni. Wer zuerscht kommt, mahlt zuerscht: das is hier ni andersch. Bloß wenn a's ernt wißte, da sähg ich ni hin.

Rose, ohnmächtig weinend und wimmernd, dabei krampfhaft arbeitend. Darf sich asu a Kerl asu was rausnahma?

Streckmann, brutal, wütend. Du nimmst dir was raus! Ich nahm' mir nischt raus! Ich weld' mir ju gerne genug o was rausnahma: wo Flamm-Schulze hiereicht, kumm' ich o no mit.

Rose, fassungslos schreiend und weinend zugleich. Ich hab' mich mei Lebtag orndtlich gehalten! 's soll eener kommen und red't mir was nach! Ich hab' drei kleene Geschwister versorgt! Ich bin morgens um drei bin ich uffgestanden! Ich hab' mir kee Treppla Milch nich vergönnt! Das wissen de Menschen! Das weeß jedes Kind ...

Streckmann. Deswegen brauchst du kenn suna Lärm macha! – De Kirchleute kumma, se läuten schonn. Du kannst umgänglich mit an Mensch'n sein! Ihr tutt ja grade vor Huchmutt platza. Kann sein ... 's sieht ju o oll's d'rnach aus! Ich wer o das weiter ni etwan verreden, daß du urd'ntlich rackern und knausern kannst. Aber suster seid ihr ni mehr wie mir andern.

Rose, in höchster Angst in die Ferne blickend. Is das ni August, der dorte kommt?

Streckmann blickt in der gleichen Richtung gegen das Kirchdorf. Mit Geringschätzung. Wo denn? – Nu freilich! – Das sein die zwee beeda! – Se stiefeln grade ums Pfarrgartla rum. – Nu was denn? – Du meenst woll, ich sollde mich furtmacha? – Vor den Gebetbichla-Hengsta fürcht' ich mich nich!

Rose, in fliegender Angst. Streckmann, ich hoa mir zwelf Toler eriebricht ...

Streckmann. Rosinla, du hust dir viel mehr derspart!

Rose. Nu gutt! Ich geb' d'r mei ganzes Bißla! Ich schmeiß' d'r doas ganze Gelumpe hin! ... Ich bring' dirsch uff Heller fer Pfennig, Streckmann, ock hab du Derbarma ... Sie sucht flehentlich seine Hände zu ergreifen, die er zurückzieht.

Streckmann. Ich nehme kee Geld.

Rose. Streckmann!!! Um all's ei d'r Welt, nee nee ...

Streckmann. Nu mecht' ich bloß sehn, ob du wirscht zur Vernunft kumma.

Rose. Wenn doas e Mensch im Dorfe derfährt ...

Streckmann. Das leit bei dir. Das braucht kee Mensch wissa. Du brauchst bloß ni druf anlegen, do heert keener nischt. – Verändert, leidenschaftlich. Nu was denn? Ich bin ebens vernarrt ei dich ...

Rose. In welches Frovolk tätst du ni vernorrt sein!

Streckmann. Nu gutt! Das kann ich ni ändern dahier. Wo unsereens hinkommt mit d'r Dreschmaschine, uff all den Gietern eim Lande rum, da braucht eener o ni fer Nachrede sorg'n. Ich weeß am best'n, wie's mit mir steht. Ehb Flamm kam – vu Augusten red' ich ni! –, hatt ich schon a Auge uff dich geschmissa! Was ich dadran gewirgt hab', das weeß keener nich. Mit eisernem Eigensinn. Aber sull mich d'r Teifel ärschlich hulln ... mag's doch! 's kommt, wie's kommt, Rosine! Zu spaßa is weiter jetzt mit mir ni! – 's is m'r eemol jitzt ieber a Weg gelauf'n! –

Rose. Woas denn?

Streckmann. Das wirscht du schonn balde sahn.

Auf dem Feldwege kommt Marthel, die jüngere Schwester Roses, gesprungen, sauber und sonntäglich gekleidet. Sie ist noch ausgesprochen ein Kind.

Marthel ruft. Rose, bist du's? – Was machst du denn hier?

Rose. Ich muß doch das Fleckel noch fertig hacken. Warum habt ihr's am Sonnabend liegen gelassen!

Marthel. O Jeeses nee, Rosla, wenn Vater kommt!

Streckmann. Wenn's was einbringt, wird a d'r a Kopp ni abreißen! Da kennt ma doch etwa a alten Bernd.

Marthel. Wer is denn das, Rosla?

Rose. O frag mich ni!

Auf dem Feldwege vom Kirchdorfe her kommt der alte Bernd in Gemeinschaft mit August Keil. Beide, sowohl der alte weißhaarige als auch der jüngere, etwa fünfunddreißigjährige Mann, sind im schwarzen Sonntagsstaat, und jeder trägt in der Hand das Gesangbuch. Der alte Bernd ist weißbärtig, sein Organ ist weich, ähnlich, als ob er früher einmal ein schweres Lungenleiden überstanden hätte. Er sieht ungefähr aus wie ein ausgedienter, würdiger, herrschaftlicher Kutscher. August Keil, der Buchbinder ist, hat ein bleiches Gesicht, dünnen, dunklen Schnurrbart und Spitzbart, schon stark gelichtetes Haupthaar und mitunter zuckende Bewegungen. Er ist mager, engbrüstig, und die ganze Gestalt verrät den Stubenhocker.

Bernd. Is das ni de Rusla?

August. Jawohl, Vater Bernd.

Bernd. Das is dem Mädel ni auszutreiben: wenn's ieber se kommt, muß se rackern gehn! 's is nu wochentags oder am Feiertage. – Schon nahe bei ihr. Is ei der Woche denn ni dazu Zeit?!

August. Du iebertreibst, Rose! Das is ni neetig.

Bernd. Wenn das unser guter Herr Pastor sähg, das tät'n ja in der Seele bekimmern. A traute gewiß seinen Augen ni.

August. A hat o wieder gefragt nach dir.

Streckmann, anzüglich. 's heeßt ja o, er will se fer Wirtschaftern annehm!

Bernd sieht ihn jetzt erst. Das is ja Streckmann!

Streckmann. Aso lang wie a iis! Das Mädel is fleißig trotz Omsa und Bien'n! Und wenn ihr de Rippa eim Leibe zerbrecha. Zum ei d'r Kirche schlofa hat die ni Zeit.

Bernd. Dorte schloaf'n wir beede o woll schwerlich dahier! Ehnder denk' ich, daß andre hier draußen schlafen, die de leider no nich geweckt wolln sein. D'r Bräutigam is nahe ...

Streckmann. Das stimmt wie geschmiert! Aber de Braut gieht d'rweil ei de Wick'n.

August. Du bist ju recht spoßig uffgelegt.

Streckmann. Das stimmt o: ich kennde an Prellsteen umarma ... meinswegen an Klingelbeutelstiel! Mir is ganz verknucht uchsamäßig zumute. Ich lach' mer de Plautze zum Halse raus.

Bernd, zu Rose. Leg zusamma, mir wulln zu Hause gehn! – Asu nich! Asu geh' ich ni heem mit dir! – Leg du de Hacke dort ei a Kirschbaum! Dad'rmit gäb' ma a bieses Ärgernis.

August. Andere laufen sogar mit d'r Flinte rum.

Streckmann. Und andre Teifel sogar mit d'r Schnapsflasche. Er zieht seine Schnapsflasche.

August. Das tutt jeder uff eegne Verantwortung.

Streckmann. Stimmt! Und derzune uff eegne Kost'n! Kumm, faß d'r a Herze und trink amal mit. Er reicht die Flasche Augusten, der ihn nicht beachtet.

Bernd. Du weeßt ja, August trinkt nie keenen Schnaps! – Wo steht denn de Dreschmaschine jetzt?

Streckmann. Aber Ihr, Vater Bernd, Ihr mißt mer Bescheid tun! Wovor seid Ihr denn Branntweinbrenner gewest? – De Maschine steht uff'n Dominium unten.

Bernd nimmt zögernd die Flasche. Weil Ihrsch seid, Streckmann, suster tät' ich's ni! – Wie ich noch uff'n Dominium war, als Verwalter, da mußt' ma ja alles machen. Aber gerne hab' ich keen Schnaps ni gebrannt, und ei der Zeit hab' ich erscht recht ni getrunken.

Streckmann, zu August, der eine daliegende Schaufel in den Kirschbaum stellt. Immer siehch d'r amal den Kirschbaum an! Piff, paff, puff! Brauchst bloß oanleg'n und lusdricka.

Bernd. 's gibt Menscha, die giehn sonntags uff de Jagd.

Streckmann. Flamm-Schulze.

Bernd. Ebens! Mir hoan a getroffa! 's is schlimm! Um die Leute tutt's een leed! Streckmann bewirft Rose mit Maikäfern.

Rose, zitternd. Streckmann!!!

Bernd. Was hat's denn?

August. Was soll denn das sein?!

Streckmann. Nischte! Mir hoan a Hiehnla zu pflicka!

August. Pflick deine Hiehnla mit wem du willst! O assa koanst se meinswegen alleene.

Streckmann, tückisch, feindlich. Nimm dich in acht, August, uffgepaßt!

Bernd. Friede! Verträglich! In Gottes Namen.

Streckmann. Die Kräte pufft immer glei uba naus!

August. Ane Kräte is der, der im Groba liegt.

Streckmann. August, wir wulln verträglich sein. Der Vater hat recht, mir wulln uns beliebt macha! Das is o ni christlich, wie du glupscht! Kumm her! Trink miit! Mir trinka amal! Hibsch biste ja ni, daß muß d'r d'r Neid lussen, aber mit Lasen und Schreiben tuste Bescheid wiss'n und hust o dei Lämmla ins Trockne gebracht! – Nu also, ihr sullt balde fröhliche Huxt mach'n. Bernd nimmt, weil August keine Miene macht, die Flasche und trinkt. Das rechn' ich mir aber o, Vater Bernd.

Bernd. Uff an frehliche Huxt, da macht ma ane Ausnahme!

Streckmann. Akkurat! Das geheert sich! Aso is recht! – Das is ni, als wenn ich noch Anspanner wär', wie dazumal uf'm Dominium drieben, wo Ihr mich habt unter d'r Fuchtel gehabt. Heute bin ich woll repetierlich geworn. Wer eemal Kopp hat, der tutt sein Weg machen.

Bernd. Nu ja, wie Gott ebens Segen verleiht! Zu August. Trink amal mit uff an fröhliche Huxt.

August nimmt die Flasche. Die soll Gott geben, dadruff braucht ma nich trinken.

Streckmann, mit den Händen seine Schenkel schlagend. Und kleene Augustla soll er geb'n! Daß de Großvater kann seine Freude erleb'n! Und der Älste vo all'n sull Schulze wern! – Jetze lußt aber Rosla o amal mittrinka.

Bernd. Du flennst ja, Rosla, was hat's denn mit dir?

Marthel. 's tutt ihr ock immerzu aus a Auga truppa.

August, zu Rose. Trink an Schluck, doß er a Willn hat!

Rose nimmt mit größter Überwindung und angeekelt die Flasche.

Streckmann. Na hopp! Immer lustig! Runder d'rmit! Rose trinkt zitternd und reicht die Flasche in unverhohlenem Ekel an August zurück.

Bernd, leise mit Vaterstolz zu Streckmann. Das is a Mädel! Die soll a sich warmhalten.


 << zurück weiter >>