Gerhart Hauptmann
Die Atriden-Tetralogie
Gerhart Hauptmann

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Fünfter Akt

Die hintere Halle, der Opisthodomos, des Artemistempels mit Seitenpforten. In der Hinterwand verbindet eine verhangene Tür mit der Cella, wo Altar und Götterbild stehen.

Dahinter ist der Pronaos zu denken. Er ist eigentlich eine Vorhalle. Man hört von dort Gemurmel der Volksmenge.

Erster Auftritt

Peitho, Kritolaos und Kalchas.

Kalchas
Was ist mit Iphigenien geschehn,
seit der Pelide sie vorhin hereintrug?

Peitho
Iphianassa fiel in tiefen Schlaf.
Sie liegt bewußtlos unerwecklich still.

Kritolaos
O Peitho, hielte dieser Schlaf doch an
und ginge gleich in jenen andern über,
für den der Spruch von Delphi sie bestimmt!

Kalchas
Daß ich euch treffe, Freunde von Mykene,
tut meinem Herzen wohl: denn seht, ich bin
nicht mehr vom Gott erfüllt so wie bisher.
Furchtbar ragt Agamemnon, fremd und groß,
in gnadenloser Blindheit schreitet er,
ein andrer Zeus. Allein, ich zittere
für ihn. Der jähe Blitz vom Berg Olymp –
sein Dämon, scheint mir, hat ihn falsch gedeutet.
Es scheint mir, sag' ich: denn das Ja und Nein
in diesem Sinn bekämpft sich noch in mir.
Staunt, was in meiner Seele sich begab:
sie ist verwandelt, und ich bin's wie sie.
Der strenge Spruch von Delphi schweigt in mir,
als sei Apoll vor einem Höheren
verstummt, und nichts mehr fürcht' ich so, als daß
nun der Atrid' in blindem Priesterwahn
den Mord an Iphigenien vollzieht.

Kritolaos
Zu spät! Ich kenne ihn: er wird es tun.
Was aber hat dich, Kalchas, so verwandelt?

Kalchas
Das weiß ich nicht. Doch Zeichen immerhin,
ja Wunder haben seltsam mich umdrängt.
Seit wir im Tempel sind, hat der Kronid'
die Luft verdüstert. Eine andre Sprache
erfand der Flug der Vögel. Und was mehr ist:
ein Schwan hing an dem Tempelgiebel fest,
als wir den Pronaos betraten. – Denkt doch an!
Hat Zeus die Leda nicht als Schwan besucht?
Ist Klytämnestra nicht der Leda Tochter
wie Helena? Es scheint, der Herr der Götter
und Menschen hat sich selber eingemengt
in diesen Handel.

Peitho
                              Ja, so scheint's auch mir,
wenn ich euch nun, was ein Geheimnis ist,
eröffne – fast besteht kein Zweifel mehr! –:
in meine Kammer kam die Priesterin,
die man die Hohe nennt in diesem Tempel,
und weinte heimlich und nicht wenig tief
erschrocken, weil der Blitz das Götterbild
aus Stein der Artemis zertrümmert habe.

Kalchas
Ist das die Wahrheit? Nein, das lügst du, Peitho!

Peitho
Ich sah die Trümmer, die notdürftig man
mit vieler Mühe wieder angefügt.
Allein, ich weiß noch mehr: ein Adler stieß
brausend herab aus schwärzlichem Gewölk
auf eine Hirschkuh in der Göttin Hain.
Er riß den Leib ihr auf mit seinen Fängen:
sie schleppt die Eingeweide hinter sich
und, scheint es, kann nicht leben und nicht sterben.

Kritolaos
Ist dieses Wahrheit, kann kein Zweifel sein,
daß der Kronid' der Himmelsjungfrau zürnt
und ihrer blinden Rache Wut verwirft.
Nicht Iphianassa, Ledas Tochterkind:
Hirschkuh für Hirschkuh soll die Tat versühnen,
die Agamemnons Leichtsinn hat verübt.

Kalchas
Hört an! Ein neuer Umstand fällt mir ein:
Achilleus zürnt. Sein altes Übel hat
ihn angepackt, ein starrer Eigensinn,
den nichts und niemand brechen kann. Er will nicht,
daß man das Königskind der Göttin opfre.
Und nun bestätigt ihn darin Odysseus –
da er, man weiß, den Phrygerzug bekämpft –
aus Schlauheit. Der Pelide schwur bei Styx,
er werde lieber gegen Delphi ziehen,
eh er die Hand zum Kindesmorde biete.
Wenn Iphianassa dennoch sterben müsse,
so kehre er nach Phthia augenblicks
zurück, in seine Heimat.

Peitho
                                        Wunderlich,
was alles jählings sich zusammenzieht
über dem heiligen Altare, der
noch nach dem Opfer hungert. Von dem Schiffe
aus Tauris klingen dumpfe Aulodien,
die weinen machen jeden, der sie hört.
Es heißt, des Palamedes Leichnam habe
sein schweres Grab aus Steinen abgeschüttelt
auf einen Weckeruf des schwarzen Zeus,
von dessen Hauch das Taurerschiff erbebt.
Es habe Hekate, so hört' ich raunen,
den Herrn der Nacht gewonnen zum Vergleich.
Das Opfer soll nicht sterben, aber auch
nicht leben: soll, halbgöttisch, Priesterin
fortan der Hekate in Tauris sein.

Kritolaos
Weh ihr! Statt zu verröcheln auf dem Altar,
soll sie nunmehr bewußtlos Griechen morden
in einem grausig-göttlichen Beruf.

Peitho
Was für ein Los die Kere ihr bestimmt,
zu wissen bleibt selbst Göttern unergründlich.

Kalchas
Und Agamemnon? Agamemnon? Sprich,
o Kritolaos!

Kritolaos
                      Agamemnon ist
fast stumm gekettet an die innre Wut.
Er weiß nichts mehr von sich! Er weiß nichts mehr
von Sparta, von Mykene, weiß nichts mehr
von einem Weib, das Klytämnestra heißt,
von Kindern, die er sein genannt, und nichts mehr
auch nur von Iphigenien, seiner Tochter.
Blind wird er stehn und taub, im Priesterprunk,
das Messer in des Opfers Nacken stoßend,
gleichviel was dieses sei, ob Tier, ob Mensch,
den starren Blick auf Ilion gerichtet:
ganz nur noch Schlachtenlenker, Held und Herr!
erfüllt von nichts mehr als vom Durst nach Rache.
Laßt mich zu ihm, zu ihm! Ich muß zu ihm!
   Geht ab.

Zweiter Auftritt

Iphigenie erscheint durchaus nachtwandlerisch.

Iphigenie ist sehr langsam mit vorgestreckten Händen geschritten. Alles, was sie tut und sagt, geschieht im Traum
Ich höre Stimmen – die Kledonen flüstern
am Altar –: sagt mir, Stimmen, wo er ist,
der Gott, der mich auf starkem Arm hereintrug!
Ich taste um mich in die leere Luft
am düstren, allgefürchteten Gestade
der Styx. Und ewig soll nun sein mein Gram
um ihn, der mich ins Schattenreich getragen
mit starkem Arm, dann aber mich verließ.
Wo hätten Menschen auf der obren Welt
die Kraft, mich so zu martern, als im Land
der Träume Schatten? Welch ein Grausen dringt
aus dieser nächtigen Leere auf uns ein
mit ihrem Truge jagender Gespenster! –
Doch nein: was naht sich dort mit freiem Gang
der Götter, hell am Strande des Euripos,
bekränzt mit Myrten? 's ist mein Bräutigam,
der Sohn der blauen Woge, Sohn der Thetis,
begehrter Liebling aller Nereiden,
das große Staunen der Olympier.
O Musen, helft mich schmücken: er ist mein!
   Sie dreht sich langsam und anmutig im Tanze,
   wie wenn sie jemand berücken wollte.

Ich weiß es, daß ich wenig bin vor dir,
Pelid'! Dem Alexandros hingeschenkt –
man sagt's – ward Helena von Aphroditen.
Selbst Helena, was ist sie gegen dich,
der du im Prunk der Kraft unsterblich wandelst,
im Prunk der Schönheit und Glückseligkeit,
von Python selbst gefürchtet, weil die Neun
sogar dem Lautenspiel Apolls entlaufen,
wenn der Pelide die Kithara rührt!
   Sie weint plötzlich und zittert.
O weh, du gehst vorüber, siehst mich nicht,
mein herrlicher, mein grausamer Gemahl,
und läßt dem Räuber mich, dem schwarzen Zeus,
dem ewigen Grauen und den ewigen Tränen. –
Doch nein, ich will nicht flennen, auch nicht rasen:
ich schaue dir mit ewigem Blicke nach,
wie du erhabenen Glanzes durch den Goldsand
knirschend entschreitest – von allüberall
die Blicke der Najaden, Oreaden
und bräutlich-holder Nymphen auf dich ziehend.
O heiliger Feuerglanz, der um dich strahlt
von goldner Rüstung, die der Ätnagott,
berauscht von deiner Schönheit, deiner Kraft,
ehrfürchtig dir geschmiedet und an Gluten,
die aus den Kellern der Titanen brechen
und ewig spotten selbst der Macht des Zeus.
Titanenblut rollt auch in dir, Gemahl!
Fahr hin, fahr hin! Ich habe dich gesehen,
und wer dich sah, an dem – ich fühl's – zerbricht
des Orkus grause Nacht. Zu einer Zeit
wirst du, wie Orpheus, die Kithara regen
am Strand der Styx, und was sich heut nicht fügt,
wird dann geschehn: ein grauer Schatten schwebt
dann zu dir, Thetissohn, ob schwarzer Flut;
das ist der Ort, an dem wir uns vermählen.

Peitho
Darf ich dich wecken, o geliebtes Kind,
das Götter so verzücken und belehren?

Iphigenie aufwachend
Wo bin ich, Peitho – wenn du Peitho bist?

Peitho
Ich bin's, ich weiche nicht von deiner Seite.

Iphigenie
Und jener dort?

Peitho
                            Ist Kalchas.

Iphigenie
                                                  Oh, mich friert's!

Kalchas
Holdselige Fürstin! Stern von Hellas!

Iphigenie
                                                              Oh,
ein Zittergräslein, das den Schnitter fürchtet,
voll Seelenangst.

Kalchas
                            Oh, wie du seltsam scheinst!
Noch eben draußen vor dem ganzen Volk,
hoch aufgerichtet an des Vaters Seite,
standest du da im Stolz der Siegerin,
aufrecht bis an die Grenzen deiner Kraft.

Iphigenie
Es war die Grenze – war die Grenze, Kalchas!

Kalchas
Und jetzt mit einemmal: dich sehn heißt weinen!

Peitho
Ruh aus vom übermenschlichen Entschluß,
der aus dem schuld- und sorgenlosen Kinde
die Retterin von Griechenland gemacht,
die erste Heldin über alle Helden!
Ich führe an dein Lager dich zurück.

Iphigenie
Wo war' ich sonst wohl als auf meinem Ruhbett?

Peitho
Du wandelst, schreitest und stehst aufrecht, Kind.

Iphigenie
Wie soll ich schreiten! Meine beiden Knie
sind weiches Wachs! – Nur eines weiß ich nicht . . .
am Ende lieg' ich schon in meinem Grabe?

Peitho
Zu viel drang auf sie ein. Ich fürchte fast,
der schwarze, jähe Schreckenstrunk der Kere
hat sein so liebliches Gefäß zersprengt.

Kalchas mit unterdrücktem Schluchzen
Möcht' es doch sein, und gab' es für dies Kind
doch vor dem ewigen Schlafe kein Erwachen!

Peitho
O Priester, was hat Delphi uns beschert
durch deinen Mund!

Iphigenie grell, dämonisch aufschreiend
                                  Den Sieg! Den Sieg! Den Sieg!

Peitho
Zerrüttet ist ihr Geist, ja fast zerstört
von alledem, was jählings auf sie eindrang.

Iphigenie reckt sich auf, königlich
Die Gruft ist finster, doch im heiligen Feuer
lodr' ich, wetteifernd mit Apollons Schwester,
den Tag verfinsternd, vor dem Griechenheer
und brenne Ilion zu schwarzer Asche.

Kalchas
Im Grunde hab' ich all dies nicht gewollt;
doch Delphis Sprüche dulden kein Verweigern.

Peitho
O Jammer ohne Grenzen, ohne Maß,
wo nicht ein Wunder dieses Schrecknis wendet!
Komm, o geliebte Herrin, Fürstin, komm!

Iphigenie flüsternd
Ja, ja, nur still: zu Peleus' Sohn ins Brautbett;
er schwor mir's zu, ich lag auf seinem Arm.
Die Menge schrie und raste rings um uns,
da hat er's heftig mir ins Ohr geflüstert:
»Nach Phthia gehen wir, wir gehn nach Phthia
zu meinem braven, guten Vater Peleus;
dort wohnen wir, umhegt von Karst und Pflug,
pflegen der Herden auf der fetten Krume,
tragen den goldnen Halm der Scholle ein
und opfern Bromios und auch dem Pan
beim Wein der Hügel und der Wälder Wildbret,
am friedlich-heitren Schmause uns erfreuend.
Was geht uns Troja an? was Helena?
was leerer Ruhm und schmerzvoll-blutiges Kriegsglück?
Wir zeugen uns ein friedliches Geschlecht,
das lang und selig leben soll im Lichte!«

Peitho
Was soll man tun?

Kalchas
                              Sie wecken hieße Mord!

Iphigenie
Und doch bin ich erwacht, furchtbarer Kalchas!
Wie lang ich wach zu sein noch fähig bin
vor jenem langen Schlaf, der mir so nah ist –
ich weiß es nicht. Ist doch des Wachens Klarheit
das, was zu tragen höchste Kraft verlangt.
Nun denn, so leg' ich jetzt in eure Brust
noch meine letzten Bitten. Niemand wähne,
ich hätte mich nicht selber dargebracht
dem Vaterland mit ruhigem Entschluß.
Wer etwa meint, ich sei ein halbes Kind,
der wisse, daß ein Kind gleichwie im Blitz
die längste Lebensbahn durchlaufen kann,
wenn es der harte Spruch der Moiren will.
Und so geschah's mit mir. – Ihr seht mich tot!
Und wenn mein Wille einmal sich erhob,
so war's, was immer kommen mag, mein letzter!
Von nun an bin ich weder Kind noch Greis
noch Mensch noch Gott: ein Nichts, sosehr sie mich,
gewaltsam marternd, auch lebendiglügen.

Dritter Auftritt

Iphigenie
Was ist mit mir? Ich bin im Krampf erstarrt . . .

Sie sinkt um und wird von Peitho aufgefangen.

Peitho
Die Hand der Hekate hat sie berührt.

Drei weibliche Gestalten stehen plötzlich in einem magischen Licht: jede hält eine brennende Fackel. Es sind halbgöttische Wesen, Priesterinnen der Hekate.

Erste Gestalt
So ist es, ja.

Zweite Gestalt
                    So ist es, ja.

Dritte Gestalt
                                        So ist's.

Peitho
Wie lange habe ich euch nicht gesehn!
Ich kenne euch. Ihr kommt, um uns zu rauben.

Alle drei
Nur sie, nicht dich.

Peitho
                                Die Macht der schwarzen Mutter
ist noch in mir. Mich trennt von Iphianassa
kein Gott.

Erste Gestalt
                Wir aber haben nur den Auftrag,
der Taurisgöttin neue Priesterin
mit allen höchsten Ehren einzuholen.

Kalchas
Es geht Verwesungsatem von euch aus,
ein Höhlendunst, wie ich ihn nie gefühlt.
Ich weiß, ihr kommt vom Schiff der Hekate,
der Kreuzweggöttin, deren rechter Fuß
im Hades steht, der andere im Lichte.

Erste Gestalt
Nun, blinder Seher, hast du recht gesehn.
Vorherbestimmtes nimmt jetzt seinen Lauf.
Dreieinig, dreigestaltig sind wir hier –
fremd unter Göttern zwar wie unter Menschen –,
dreifältig blickend, uralt, aus dem Dreieck.
Ich bin die Kore.

Zweite Gestalt
                            Ich die Mutter.

Dritte Gestalt
                                                    Ich
die Säugeamme Hekates: die Milch
der schlechten Armut, die auf Straßen streunt.

Erste Gestalt
Ich die Beischläferin des schwarzen Zeus
im Abgrund, lichtgefüttert durch die Mondfrau.

Dritte Gestalt
Ich lebe in der Straßen Kot verwühlt:
thessalische Hexe – oder was ihr wollt –,
der Menschen kriechendes Geschmeiß vermehrend.

Kalchas
Was sucht ihr hier, ihr drei? Entsetzen ist
für Götter und für Menschen euer Dasein.
Was wollt ihr hier?

Erste Gestalt
                                Was sonst als Iphianassa?

Peitho
Nie führt ihr sie von dannen ohne mich.

Kalchas
Erkläre mir dies Grauen, wenn du kannst!

Peitho
Was, Kalchas, ich geahnt, vollzieht sich nun:
das süße Mägdlein wird vom Tod befreit,
um einzugehen in das Land der Schrecken,
wo sich im Grausen fürchterlicher Not
das Tantalidenschicksal ihr erneut.

Erste Gestalt zu Peitho
Unreine Hände, lasset ab von ihr!

Zweite Gestalt
Das Reine, Makellose schändet nicht!

Dritte Gestalt
Es ist der Stern, der allen leuchten muß!

Peitho
Und so auch mir! Ihr trennt von ihr mich nicht.

Erste Gestalt
Abtrünnige deiner Mutter!

Zweite Gestalt
                                          Laß sie los,
wo du Vergebung suchst!

Peitho
                                            Ich lasse sie
nicht los und suche auch nicht die Vergebung.

Zweite Gestalt
So willst du sie dem Tode überliefern?

Peitho
Niemals, niemals! Viel eher sterbe ich.

Erste Gestalt
So stirb!

Zweite Gestalt
                So stirb!

Dritte Gestalt
                                So stirb!

Die drei Gestalten machen Tanzbewegungen.

Peitho
Der Tanz des Lebens ist der Tanz des Todes.

Die drei Gestalten verweben ein großes schwarzes Tuch in ihren Tanz.

Kalchas
Was tun sie nun?

Peitho
                                Das heilige Leichentuch
um Iphigeniens lebendige Seele
im Tanze legen sie.
    Iphigenie wird von den drei Gestalten im Tanze eingehüllt.
                                Das Hadestuch
macht unsichtbar. Krampf fällt mich an.

Kalchas
                                                                Auch mich!

Iphigenie und die drei Gestalten verschwinden. Kalchas und Peitho liegen unbeweglich am Boden.

Vierter Auftritt

Menelaos erscheint.

Menelaos
Was ist mit euch? Was liegt ihr hier? Steht auf!

Kalchas erwacht
Wir sahen Rätselhaftes sich ereignen.

Menelaos
Peitho, wach auf! Der Augenblick ist da,
Säugamme, der dein Kind zum Tode führt.

Kalchas nachdem er sich erhoben und gleichsam den Traum aus den Augen gewischt hat
Sie ging ihm, König, wie mir scheint, voran.

Menelaos
Peitho, wach auf! – Dies ist das Angesicht
des Todes! Peitho, Glückliche, die nicht
erleben brauchte das, was jetzt geschieht!

Kalchas
Mir träumte, Iphianassa sei gerettet.

Menelaos
Man schmückt sie eben für den letzten Gang.

Kalchas
Zwar ist der Götter Wirrnis um mich her,
die mir der Erde festen Boden raubt
und meine Seele flattern macht im Traum.
Doch um zu glauben, König, glaub' ich dir
und eile dorthin, wo – wie du mir sagst –
sie Iphianassa für das Opfer schmücken.

Menelaos
Und du bezweifelst das?

Kalchas
                                        Ja, Herr, und nein.
Hörst du den Tubaruf des Zauberschiffs?
Mit schwarzem Segel siehst du dort: es rollt,
es macht sich los vom Anker. Ist es nicht
vielmehr ein Tier: ein schwärzlicher Delphin?
Sieh dort: er sinkt zum Grund, er taucht empor;
ein drehend Rad, zeigt er die Oberfläche
und schwimmt ins bodenlose Meer davon.
Sie rauben Iphianassa! Reitet nicht
ein goldgelocktes Kind auf dem Delphin
in schwarze Nacht davon? Aidoneus,
der Fürst, ist auch im obren Licht nicht machtlos.

Menelaos
Sie rauben Iphianassa? Welche Torheit.
Des Druckes Last hinweg von unsrer Brust!
Was ist, das ist! Die Eumeniden haben
ihr Wort gesagt und nehmen nichts zurück.
Seht, wie mein Bruder allgewaltig steht,
im erznen Auftrag des Geschicks nicht zaudernd.

Kalchas
Und dennoch sag' ich dir, daß Iphianassa
nicht sterben wird.

Menelaos
                              Sie stirbt, des sei gewiß!
In meines Bruders Herzblut ist die Tat
bereits geschehn: was noch zu tun bleibt, tut
er blind und taub und fühllos. Seine Hand
stößt zu und trifft – er weiß nicht, was –, er trifft
das Opfer, zahlt den Preis für Ilion,
nicht wissend mehr, wie hoch und was er sei.
Nun ging ein Abgrundsfeuer in ihm auf,
das unverlöschlich ist: es heult nach Rache!
Der Wind erhebt sich, alle Schiffer singen,
die Ruderbänke jauchzen. Auf nach Troja!
heißt überall der Ruf. – Weh Priamos!
In Staub mit seinen Söhnen, seinem Stamm! –
Und nun, das Unabwendbare geschieht:
das Volk wird still, die Opferhandlung hebt
nun an. Nur wache jetzt nicht auf:
bleib Götterwerkzeug, Herrscher, götternah
als höchster Priester!
    Man hört einen allgemeinen Aufschrei.
                                    So, es ist geschehn!
Mag sein, die Welt erschrickt. Mir stockt das Blut:
ein Vater mordete die eigene Tochter.
    Er zittert.

Fünfter Auftritt

Kritolaos kommt zurück.

Kritolaos
Ein Wunder ist geschehn! Vernehmt, ihr Herrn
das Unbegreifliche: man lief umher,
man suchte Iphigenien überall
und fand sie nicht. Sie blieb verschwunden, als
der Halbgott Agamemnon, voll im Prunk
des höchsten Priesters, in die Cella trat.
O Graun! o Graun! Im Zuge schritt er hin,
die blanken Klingen klirrten vor ihm her,
es stand der Mund ihm offen, seine Lippen
enthüllten weiße Zahnreihn.
Das Auge gräßlich aufgerissen, blind
trat er einher, den Tempelgrund erschütternd.
Das war der Mann, des Pfeil sein Ziel nie fehlt,
des erzner Speer den Eichenbaum durchdringt,
der fliegt und nicht auf schweren Rädern rollt,
steht er im Wagen hinter seinen Rossen.
Nun denkt: auf dem Altar lag eine Hirschkuh,
noch zappelnd, das Geschling hing um sie her!
Was wurde, so er den Betrug entdeckte? –
Und einige Choreten hielten ihn;
sie wollten mit der Wahrheit ihn belehren.
Allein, er stieß sie schweigend vor die Brust,
daß sie hinsanken und aus ihren Mündern
das Blut hervorschoß. – Und nun stieß er, blind
und rasend, mit den Messern in die Hirschkuh,
bis sie bewegungslos im Blute lag,
und damit schritt er in den Pronaos,
nichts ahnend von dem Irrtum, und es klang
wie Donner seine Stimme . . .

Sechster Auftritt

Während Kritolaos gesprochen hat, ist das Tosen des Volkes gewachsen. Unter diesem Tosen tritt Agamemnon in einem ekstatisch-überirdischen Zustand ein; es steigert sich gewaltig, nachdem er sichtbar geworden ist. Er erhebt die Hand, und Schweigen tritt ein.

Agamemnon
                                                Hört, ihr Griechen!
Die Bahn ist frei! Die Götter sind versöhnt!
Die Anker hoch, gehißt die Segel! Vorwärts!
Gen Ilion! Nach Troja! Auf nach Troja!

Die Stimme des Volkes gewaltig
Nach Troja! Auf nach Troja! Auf nach Troja!

 


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