Carl Hauptmann
Der letzte Wille
Carl Hauptmann

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IV.

Das hatte er gekonnt, Sender, alles, was der Toten galt, und was Frieden schuf für Zeit und Ewigkeit für sie und ihn. Das begriff er. Was in den letzten Worten sehnsüchtig aus dem zahnlosen Munde der einstmals jungen Mutter gekommen, daß sie Mutter sein wollte, und im Häusel im Muttergedanken umgehen wollte – gut – alles das begriff er und war versöhnt. Alles, was Ehrendes und Redliches zu tun war, um die Alte in die Erde zu decken und ihr Andenken zu verklären, das tat er. Er ging aufrecht, er wußte, alles das tat er gern und mit Feuer. Er ging sogar mit tiefer Erregung im Wesen, denn ihm war der Tod wie ein heimlicher Bote erschienen, der dem Menschen schon hier die irdische Schmach auslöscht aus seinen Gewändern und die Flecken des Grams aus seinen Zügen, und der ihn hinaufführt wie jung verklärt. Deshalb schwanden die Tage, bis die Tote in die Erde gebettet wurde, ernst und getragen hin. Auch der Sohn war erfüllt von der Mutter Abschied und saß meist in der Ecke des Zimmers, wo sie im Sarge lag, und sann in ihr Gesicht hinein, und er war gerührt und befangen, wie Einfältige sind, konnte an nichts denken, als nur diese nie erlebte Feier genießen, um dann und wann, wenn jemand aus dem Dorfe an den Sarg trat, mitzuweinen.

Nur Berta lief entschlossen hin und her. Sie tat alles für die Tote wie für eine Lebende. Und wenn sie heimlich jemand fragte: »Nun? werd's denn? werd denn de Frommelten neiziehn?« gab sie barsch und grob und ohne Rücksicht auf ihr schwarzes Gewand, das zum Blond gut stand, ihre Meinung zum besten. »Naus zieh'n mir – das sa' ich – naus zieh'n mir uf der Stelle, wenn das kimmt – keen Augenblick sull Gustav ei dam Häusel sein.« – So schantierte sie, ohne des Vaters Willen nur zu kennen. Und es peinigte sie, wo sie ging und stand, der Gedanke, was wohl der Mutter letzter Wille gewesen. Sie gab auch zu verstehen, daß der Vater sie nicht eher gerufen, als bis die Mutter nur noch ohne Worte hatte im Bette liegen und mit sterbenden Augen die Gebete des Geistlichen kaum hatte hören können. O, es peinigte sie furchtbar. Wenn sie am Vater vorbei ging, lag es ihr vielmals im Sinn, einfach im Zorn herauszuschreien: »Nu, wie werd's? was sull nu war'en?« Außerdem stachelte es sie, daß Sender am Tage, als alles für das Begräbnis bereitet war, lange noch wegblieb und oben bei der Wittfrau im Stübel saß und nichts sprach, als nur, daß es stille und friedlich um ihn wäre, und nur den Vögeln oben in den Bauern, wie sie hüpften und sprangen, mit bleicher Miene freundlich zugesehen. Und sie dachte immer wieder hin und her, wird er uns hinaustreiben, oder wird ihm der letzte Mutterwille doch im Ohre klingen. Wirklich, sie vermochte keinen freundlichen Ausdruck zu gewinnen. Sie trug den Mund, wie Eine, die nichts Gutes erwartet und darauf gefaßt ist. Sie sagte nichts, so lange die Tote im Hause lag – dazu war sie vor dem Manne zu klug, den sie nicht in der einfältigen Trauer stören und erwecken wollte. Aber sie hantierte wirklich wie Eine, die nur mit dem Leben zu schaffen hat.

So kamen Begräbnis und der Tag in's Stübel, wo man ohne Tote zurückkehrte. Da war der Vater nicht mit in's Häusel zurückgekehrt. Er kam lange nicht heim. – Erst spät in der Nacht hörte ihn die Junge sein einsames Lager aufsuchen. Der Sohn war an dem Tage noch tief ergriffen. Er sprach kein Wort, wie in Naturen, die fühlen, sich die Gefühle ineinander verstricken und umkreisen und keinen Ausweg in Worten mehr finden können. Die Junge lag neben ihm. Er war in unsäglich schweren Schlaf gesunken. Der Vater unten schlief auch bald. Die Junge, die die Unruhe immer wieder noch aus peinlichen Träumen aufscheuchte, horchte ein paarmal in's Haus, und alles schien totenstumm.

Am andern Tage kam ein Notar in's Haus, und der Vater forderte den Sohn herein und sagte ihm, daß er das Erbe teile. Es wurde alles fest gemacht. Der Sohn bekam das Häusel und gab die Hälfte des Zinses dem Vater als Einkommen. Der Vater eröffnete ihm starr und feierlich, daß er ausziehen und sich anderweit ein Stübel mieten wolle. Das tat er auch. Er zog zu einem Bauern und lebte dort zuerst für sich, ordnete alles, nahm dann Tagearbeit von neuem auf und war täglich fleißig auf irgend einem Bau – und sonst stumm und ernst. Und aus seiner Versunkenheit kam er auch für die Kameraden, die ihn kannten, nicht heraus. Langsam nur gewann er Farbe in das straffe Gesicht und Teilnahme. Er ging dann wieder öfters zu der Wittfrau, die er auch nach Jahresfrist heiratete. Nur in sein Häusel und zu seinen Kindern ging er nicht mehr.


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