Wilhelm Hauff
Phantasien im Bremer Ratskeller
Wilhelm Hauff

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»Andreas!« rief die Jungfrau Rose. »Lieber Vetter, Du hast solch eine schöne, zarte Stimme, willst Du nicht singen zum Ruhme des Rheingaues und seiner Weine?«

»Wenn es Euch erheitert, edle Jungfrau, Und Euch nicht Beschwer macht, edler Bacchus, wie auch Euch nicht unangenehm ist, mein Herr und Ritter Roland, so will ich eines singen.« Und er sang eine schöne Weise voll zarter Töne und Worte, klangvoll und zierlich gefüget, so, daß man wohl merken konnte, es sei ein Lied eines alten Meisters von 1400 oder 1500. Verflogen sind seine Worte aus meinem Gedächtnis, aber seine Weise möchte ich doch wohl finden, denn sie war einfach und schön, und Petrus begleitete ihn mit einem sonoren herrlichen Sekund. Die Lust des Gesanges schien über alle herabzukommen, denn als Andreas geendet, sang Judas unaufgefordert ein Lied, und ihm folgten die übrigen. Selbst Rose, so sehr sie sich zierte, mußte ein Lied von 1615 singen, was sie mit angenehmer, etwas zitternder Stimme vortrug. Mit dröhnendem Baß sang Roland eine Kriegshymne der Franken, von welcher ich nur einige Worte verstand, und endlich, als sie alle gesungen, schauten sie auf mich, und Rose nickte mir zu, etwas zu singen. Da hub ich denn an:

Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben,
    Da wächst ein deutscher Wein;
Da wachsen sie am Ufer hin und geben
    Uns diesen Labewein.

Sie lauschten, als sie diese Worte hörten, sie nickten sich zu und rückten näher zusammen; und die Entfernteren streckten die Köpfe vor, als wollten sie kein Wort verlieren. Mutiger erhob ich meine Stimme, lauter und immer lauter ward mein Gesang, denn es wogte in mir wie Begeisterung, vor solchem Publikum zu singen. Die alte Rose nickte den Takt mit dem Kopfe und summte den Chorus leise, leise mit, und Freude und Stolz blickten aus den Augen der Apostel. Und als ich geendet, drängten sie sich zu, drückten mir die Hände, und Andreas hauchten einen Kuß auf meine Lippen.

»Doktor!« rief Bacchus, »Doktor, welch ein Lied! Wie geht einem da das Herz auf! Herzensdoktor, hast du das Lied gedichtet in deinem eigenen graduierten Gehirn?«

»Nein, Euer Exzellenz! solch ein Meister des Gesanges bin ich nicht. Aber den, der es gedichtet, haben sie längst begraben; er hieß Matthias Claudius!«

»Sie haben – einen guten Mann begraben«, sagte Paulus. »Wie klar und munter ist dies Lied, so klar und helle wie echter Wein, so mutig und munter wie der Geist, der im Weine wohnet, und gewürzt mit Scherz und Laune, die wie ein würziger Duft aus dem Römer steigen; der Mann hat gewiß verstanden, welch gutes Ding es um ein Glas lautern Weines ist.«

»Herr, er ist lange tot, das weiß ich nicht, aber ein anderer großer Sterblicher hat gesagt: Guter Wein ist ein gutes, geselliges Ding und jeder Mensch kann sich wohl einmal von ihm begeistern lassen. Und ich denke, der alte Matthias hat auch so gedacht unter guten Freunden, hätte ja sonst solch ein schönes Lied nicht machen können, das noch heute alle fröhlichen Menschen singen, die im Rheingau wandeln oder edlen Rheinwein trinken.«

»Singen sie das?« rief Bacchus. »Nun seht, Doktor, das freut mich, und so gar miserabel muß Euer Geschlecht doch nicht geworden sein, wenn sie so klare, schöne Lieder haben und singen.«

»Ach, Herr!« sprach ich bekümmert. »Es gibt der Überschwenglichen gar viele, das sind die Pietisten in der Poesie, und wollen solch' Lied gar nicht für ein Gedicht gelten lassen, wie manchen Frömmlern das Vaterunser nicht mystisch genug zum Beten ist.«

»Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben, Herr!« erwiderte mir Petrus. »Und jeder fegt am besten vor seiner eigenen Türe. Aber weil wir gerade bei seinem Geschlecht sind, erzähl' er uns doch, wie es auf der Erde ging im letzten Jahr?«

»Wenn es die Herren und Damen interessiert« – sprach ich zögernd.

»Immer zu«, rief Roland, »wegen meiner könntet Ihr die letzten fünfhundert Jahre erzählen, denn auf meinem Domhofe sehe ich nichts als Zigarrenmacher, Weinbrauer, Pfarrer und alte Weiber.« Auch die übrigen stimmten mit ein; ich hob also an: »Was zuerst die deutsche Literatur betrifft –«.

»Halt, manum de tabula!« rief Paulus. »Was scheren wir uns um Euer miserables Geschmier, um Eure kleinlichen, ekelhaften Gassenstreite und Kneipenraufereien, um Eure Poetaster, Afterpropheten und –«

Ich erschrak; wenn diesen Leuten nicht einmal unsere wunderherrliche, magnifike Literatur interessant war, was konnte ich ihnen denn sagen? Ich besann mich und fuhr fort: »Offenbar hat Joko im letzten Jahre, was das Theater anbelangt –«

»Theater? Geht mir weg!« unterbrach Andreas. »Was sollen wir von Euren Puppenspielen, Marionettenkomödien und sonstigen Torheiten hören! Meinet Ihr etwa, uns komme viel darauf an, ob einer Eurer Lustspieldichter ausgepfiffen wurde oder nicht? Habt Ihr denn dermalen gar nichts Interessantes, nichts Welthistorisches, das Ihr etwa erzählen könntet?«

»Ach, daß Gott erbarm«, erwiderte ich, »bei uns ist die Welthistorie ausgegangen, wir haben in diesem Fach nur noch den Bundestag in Frankfurt. Bei unsern Nachbarn höchstens gibt es noch hin und wieder etwas; zum Beispiel in Frankreich haben die Jesuiten wieder Macht gewonnen und das Zepter an sich gerissen, und in Rußland sollte es eine Revolution geben.«

»Ihr verwechselt die Namen, Freund!« sagte Judas, »Ihr wolltet sagen, in Rußland sind die Jesuiten wieder eingezogen, und in Frankreich sollte es eine Revolution geben.«

»Mit nichten, Herr Judas von Ischarioth«, antwortete ich, »so ist es, wie ich gesagt.«

»Ei der tausend!« murmelten sie nachdenklich, »das ist ja ganz sonderbar und verkehrt!« – »Und«, fragte Petrus, »Krieg gibt es nicht?«

»Ein klein wenig, wird aber bald vollends zu Ende sein, in Griechenland, gegen die Türken.«

»Ha! das ist schön«, rief der Paladin und schlug mit der steinernen Faust auf den Tisch. »Hat mich schon vor vielen Jahren geärgert, daß die Christenheit so schnöde zuschaute, wie der Muselman dies herrliche Volk in Banden hielt; das ist schön, – wahrlich! Ihr lebet in einer schönen Zeit, und Euer Geschlecht ist edler, als ich dachte. Also die Ritter von Deutschland und Frankreich, von Italien, Spanien und England sind ausgezogen, wie einst unter Richard Löwenherz, die Ungläubigen zu bekämpfen? Die Genueser Flotte schifft im Archipel, die Tausende der Streiter überzusetzen, die Oriflamme naht sich Stambuls Küsten, und Österreichs Banner weht in der ersten Reihe? Ha! zu solchem Kampfe möchte ich selbst noch einmal mein Roß besteigen, mein gutes Schwert Durande ziehen und in mein Hifthorn stoßen, daß alle Helden, die da schlafen, aufstünden aus den Gräbern und mit mir zögen in die Türkenschlacht.«

»Edler Ritter«, antwortete ich und errötete vor meiner Zeit, »die Zeiten haben sich geändert. Ihr würdet wahrscheinlich als Demagoge verhaftet werden bei sotanen Umständen und Verhältnissen, denn weder Habsburgs Banner noch die Oriflamme, weder Englands Harfe noch Hispaniens Löwen sieht man in jenen Gefechten.«

»Wer ist es denn, der gegen den Halbmond schlägt, wenn es nicht diese sind?«

»Die Griechen selbst.«

»Die Griechen? Ist es möglich?« rief Johannes. »Und die andern Staaten, wo sind denn diese beschäftigt?«

»Noch haben sie Gesandte bei der Pforte.«

»Mensch, was sagst du?« sprach Roland starr vor Staunen. »Kann man es ignorieren, wenn ein Volk um seine Freiheit kämpft? Heilige Jungfrau, was ist dies für eine Welt! Wahrlich, das möchte einen Stein erbarmen!« Er quetschte im Zorn, während er die letzten Worte sprach, den silbernen Becher wie dünnes Zinn zusammen, daß der Wein darin an die Decke spritzte, fuhr rasselnd auf vom Tisch, nahm seine Tartsche und sein langes Schwert und schritt düster mit dröhnenden Schritten aus dem Gemach.

»Ei, was ist der steinerne Roland für ein zorniger Kumpan!« murmelte Rose, nachdem er die Pforte klirrend zugeworfen, indem sie etliche Weintropfen, die sie benetzten, vom Busentuch abschüttelte. »Will der steinerne Narr auf seine alten Tage noch zu Felde ziehen! Wenn er sich sehen ließe, sie steckten ihn gleich ohne Barmherzigkeit als Flügelmann unter die Brandenburger Grenadiere, denn die Größe hat er.«

»Jungfer Rose«, erwiderte ihr Petrus, »zornig ist er, das ist wahr, und er hätte können auf andere Weise davongehen; aber bedenket, daß er einst Furioso, wahnsinnig war und noch ganz andere Sachen getan als silberne Becher zerquetscht und Frauenzimmer mit Wein besudelt. Und genau beim Lichte besehen, kann ich ihm seinen Unmut auch nicht verdenken; war er doch auch einmal ein Mensch und dazu ein herrlicher Paladin des großen Kaisers, ein tapferer Ritter, der, wenn es Karl gewollt hätte, allein gegen tausend Muselmanen zu Felde gezogen wäre. Da hat er sich denn geschämt und ist unmutig geworden.«

»Laßt ihn laufen, den steinernen Recken!« rief Bacchus, »hat mich geniert, der Bursche, hat mich geniert. Er paßt nicht unter uns, der Lümmel von zehn Schuh, er sah immer höhnisch auf mich herab. Die ganze Freudigkeit und mein Vergnügen hätt' er gestört. Wir wären nicht zum Tanzen gekommen, nur weil er mit seinen steifen, steinernen Beinen keinen tüchtigen Hopser hätte riskieren können, ohne elend umzustülpen.«

»Ja tanzen, heisa, tanzen!« riefen die Apostel; »Balthasar spiel' auf, spiel' auf!«

Judas stand auf, zog ungeheure Stülphandschuhe an, die ihm beinahe bis zum Ellbogen reichten, trat zierlich an die Jungfrau heran und sagte: »Ehrenfeste und allerschönste Jungfer Rose, dürfte ich mir die absonderliche Ehre ausbitten, mit Ihr den ersten –«

»Manum de – unterbrach ihn Bacchus pathetisch. »Ich bin es, der den Ball arrangiert hat, und ich muß ihn eröffnen. Tanze Er, mit wem er will, Meister Judas, mein Röschen tanzt mit mir. Nicht wahr, Schätzerl?«

Sie machte errötend einen Knicks zur Bejahung, und die Apostel lachten den Judas aus und verhöhnten ihn. Mir aber winkte der Weingott heroisch zu. »Versteht Er Musik, Doktor?« fragte er.

»Ein wenig.«

»Taktfest?«

O ja, taktfest wohl.«

»Nun, so nehme Er dies Fäßlein da, setze er sich neben Balthasar Ohnegrund, unseren Kellermeister und Zinkenisten, nehme er diese hölzernen Küperhämmer zur Hand und begleite jenen mit der Trommel.«

Ich staunte und bequemte mich. War aber schon meine Trommel etwas außergewöhnlich, so war Balthasars Instrument noch auffallender. Er hielt nämlich einen eisernen Hahnen von einem achtfudrigen Faß an den Mund, wie eine Klarinette. Neben mich setzten sich noch Bartholomäus und Jakobus mit ungeheuren Weintrichtern, die sie als Trompeten handhabten und warteten des Zeichens. Der Tisch wurde auf die Seite gerückt, Rose und Bacchus stellten sich zum Tanze. Er winkte, und eine schreckliche, quiekende, mißtönende Janitscharenmusik brach los, zu der ich im Sechsachteltakte auf mein Faß als Tambour aufschlegelte. Der Hahn, den Balthasar blies, tönte wie eine Nachtwächtertute und wechselte nur zwischen zwei Tönen, Grundton und abscheulich hohem Falsett, die beiden Trichtertrompeter bliesen die Backen auf und lockten aus ihren Instrumenten Angst- und Klagelaute, so herzdurchschneidend, wie die Töne der Tritonen, wenn sie die Meermuscheln blasen.

Der Tanz, den die beiden aufführten, mochte wohl vor ein paar hundert Jahren üblich gewesen sein. Jungfer Rose hatte mit beiden Händen ihren Rock ergriffen und solchen an den Seiten weit ausgespannt, daß sie anzusehen war wie ein großes, weites Faß. Sie bewegte sich nicht sehr weit von der Stelle, sondern trippelte hin und her, indem sie bald auf-, bald niedertauchte und knickste. Lebendiger war dagegen ihr Tänzer, der wie ein Kreisel um sie herfuhr, allerlei kühne Sprünge machte, mit den Fingern knallte und Heisa, Juhe! schrie. Wunderlich war es anzusehen, wie das kleine Schürzlein der Jungfer Rose, das ihm Balthasar umgetan, hin und her flatterte in der Luft, wie seine Beinchen umherbaumelten, wie sein dickes Gesicht lächelte vor inniger Herzenslust und Freude.

Endlich schien er ermüdet, er winkte Judas und Paulus herbei und flüsterte ihnen etwas zu. Sie banden ihm die Schürze ab, faßten solche an beiden Enden und zogen und zogen, so daß sie plötzlich so groß wurde wie ein Bettuch. Dann riefen sie die andern herbei, stellten sie rings um das Tuch und ließen es anfassen. »Ha«, dachte ich, »jetzt wird wahrscheinlich der alte Balthasar ein wenig geprellt, zu allgemeiner Ergötzung. Wenn nur das Gewölbe nicht so niedrig wäre, da kann er leicht den Schädel einstoßen.« Da kam Judas und der starke Bartholomäus auf uns zu und faßten – mich; Balthasar Ohnegrund lachte hämisch; ich bebte, ich wehrte mich; es half nichts, Judas faßte mich fest an der Kehle und drohte mich zu erwürgen, wenn ich mich ferner sträubte. Die Sinne wollten mir vergehen, als sie mich unter allgemeinem Jauchzen und Geschrei auf das Tuch legten; noch einmal raffte ich mich zusammen. »Nur nicht zu hoch, meine werten Gönner, ich renne mir sonst das Hirn ein am Gewölbe«, rief ich in der Angst des Herzens, aber sie lachten und überschrien mich. Jetzt fingen sie an, das Tuch hin und her zu wiegen, Balthasar blies den Trichter dazu. Jetzt ging es auf und abwärts, zuerst drei, vier, fünf Schuh hoch, auf einmal schnellten sie stärker, ich flog hinauf und – wie eine Wolke tat sich die Decke des Gewölbes auseinander; ich flog immer aufwärts zum Rathausdach hinaus, höher, höher als der Turm der Domkirche. »Ha«, dachte ich im Fliegen, »jetzt ist es um dich geschehen! Wenn du jetzt wieder fällst, brichst du das Genick oder zum allerwenigsten ein Paar Arme oder Beine! O Himmel, und ich weiß ja, was sie von einem Mann mit gebrochenen Gliedmaßen dankt! Ade, ade, mein Leben, meine Liebe!«

Jetzt hatte ich den höchsten Punkt meines Steigens erreicht, und ebenso pfeilschnell fiel ich abwärts. Krach! ging es durchs Rathausdach und hinab durch die Decke des Gewölbes, aber ich fiel nicht auf das Tuch zurück, sondern gerade auf einen Stuhl, mit dem ich hintenüber auf den Boden schlug.

Ich lag einige Zeit betäubt vom Fall. Ein Schmerz am Kopfe und die Kälte des Bodens weckten mich endlich. Ich wußte anfangs nicht, war ich zu Hause aus dem Bette gefallen oder lag ich sonstwo. Endlich besann ich mich, daß ich irgendwo weit herabgestürzt sei. Ich untersuchte ängstlich meine Glieder, es war nichts gebrochen, nur das Haupt tat mir weh vom Fall. Ich raffte mich auf, sah mich um. Da war ich in einem gewölbten Zimmer, der Tag schien matt durch ein Kellerloch herab, auf dem Tische sprühte ein Licht in seinem letzten Leben, umher standen Gläser und Flaschen und rings um die Tafel vor jedem Stuhl ein kleines Fläschchen mit langem Zettel am Halse. – Ha, jetzt fiel mir nach und nach alles wieder ein. Ich war zu Bremen im Ratskeller; gestern nacht war ich hereingegangen, hatte getrunken, hatte mich einschließen lassen, da war –; voll Grauen schaute ich um mich, denn alle, alle Erinnerungen erwachten mir mit einem Male. Wenn der gespenstische Balthasar noch in der Ecke säße, wenn die Weingeister noch um mich schwebten! Ich wagte verstohlene Blicke in die Ecken des düsteren Zimmers, – es war leer. Oder wie? Hätte dies alles mir nur geträumt?

Sinnend ging ich um die lange Tafel; die Probefläschchen standen, wie jeder gesessen hatte. Obenan die Rose, dann Judas, Jakobus, – Johannes, sie alle an der Stelle, wo ich sie leiblich geschaut hatte diese Nacht. Nein, so lebhaft träumt man nicht, sprach ich zu mir. Dies alles, was ich gehört hatte, geschaut, ist wirklich geschehen! Doch nicht lange hatte ich Zeit zu diesen Reflexionen. Ich hörte Schlüssel rasseln an der Türe, sie ging langsam auf, und der alte Ratsdiener trat grüßend ein. – »Sechs Uhr hat es eben geschlagen«, sprach er. »Und wie Sie befohlen, bin ich da, Sie herauszulassen. Nun«, fuhr er fort, als ich mich schweigend anschickte, ihm zu folgen; »nun, und wie haben Sie geschlafen diese Nacht?« – »So gut es sich auf einem Stuhl tun läßt, ziemlich gut.« – »Herr«, rief er ängstlich und betrachtete mich genauer. »Ihnen ist etwas Unheimliches passiert diese Nacht. Sie sehen so verstört und bleich aus, und Ihre Stimme zittert!« – »Alter, was wird mir passiert sein!« erwiderte ich, mich zum Lachen zwingend. »Wenn ich bleich aussehe und verstört, so kommt es vom langen Wachen, und weil ich nicht im Bette geschlafen.« –

»Ich sehe, was ich sehe«, sagte er kopfschüttelnd. »Und der Nachtwächter war heute früh auch schon bei mir und erzählte, wie er am Kellerloch vorübergegangen zwischen zwölf und ein Uhr, habe er allerlei Gesang und Gemurmel vieler Stimmen vernommen aus dem Keller.«

»Einbildungen, Possen! Ich habe ein wenig gesungen und im Schlaf gesprochen, das ist alles.«

»Diesmal einen im Keller gelassen in solcher Nacht und von nun an nie wieder«, murmelte er, indem er mich die Treppe hinaufbegleitete. »Gott weiß, was der Herr Greuliches hat hören und schauen müssen! Wünsche gehorsamst guten Morgen.«

»Doch hat daselbst vor allen
Eine Jungfrau mir gefallen.«

Der Worte des fröhlichen Bacchus eingedenk und von Sehnsucht der Liebe getrieben, ging ich, nachdem ich einige Stunden geschlummert, der Holden guten Morgen zu sagen. Aber kalt und zurückhaltend empfing sie mich, und als ich ihr einige innige Worte zuflüsterte, wandte sie mir laut lachend den Rücken zu und sprach: »Gehen Sie und schlafen Sie erst fein aus, mein Herr.«

Ich nahm den Hut und ging, denn so schnöde war sie nie gewesen. Ein Freund, der in einer andern Ecke des Zimmers am Klavier gesessen, ging mir nach und sagte, indem er wehmütig meine Hand ergriff: »Herzensbruder, mit deiner Liebe ist es rein aus auf immerdar, schlage dir alle Gedanken aus dem Sinne.«

Sie viel ungefähr konnte ich selbst merken«, antwortete ich. »Der Teufel hole alle schönen Augen, jeden rosigen Mund und den törichten Glauben an das, was Blicke sagen, was Mädchenlippen aussprechen.« – »Tobe nicht so arg, sie hören es oben«, flüsterte er. »Aber sag' mir um Gotteswillen, ist es denn wahr, daß du heute die ganze Nacht im Weinkeller gelegen und getrunken hast?« – »Nun ja, und wen kümmert es denn?«

»Weiß der Himmel, wie sie es gleich erfahren hat, sie hat den ganzen Morgen geweint und nachher gesagt, vor einem solchen Trunkenbold, der ganze Nächte beim Wein sitze und aus schnöder Trinklust ganz allein trinke, solle sie Gott behüten. Du seist ein ganz gemeiner Mensch, von dem sie nichts mehr hören wolle.« – »So?« erwiderte ich ganz gelassen und hatte einiges Mitleiden mit mir selbst. »Nun gut, geliebt hat sie mich nie, sonst würde sie auch mich darüber hören. Ich lasse sie schön grüßen. Lebe wohl.« – Ich rannte nach Hause und packte schnell zusammen und fuhr noch denselben Abend von dannen. Als ich an der Rolandsäule vorüberkam, grüßte ich den alten Recken recht freundlich, und zum Entsetzen meines Postillons nickte er mir mit dem steinernen Haupt einen Abschiedsgruß. Dem alten Rathaus und seinen Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, drückte mich dann in die Ecke meines Wagens und ließ die Phantasien dieser Nacht noch einmal vor meinem Auge vorübergleiten.


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