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Erster Akt

Das Musikzimmer bei Frau Günther. Ein länglicher, schmaler Raum, der durch eine offene breite Portierentür in der Mitte des Hintergrundes mit dem Salon in Verbindung steht.
Links: ein großes Fenster; davor, freistehend, ein Flügel.
Rechts: Tür zum Korridor, Sofa, Tisch und Sessel. Moderne Eleganz.

Erste Szene

Hermann Günther (sitzt am offenen Flügel, auf dem er hin und wieder einen Ton anschlägt.)

Moritz Lange (sieht zum Fenster hinaus. Er wendet sich plötzlich mit einem Seufzer um:) Ja, ja, mein lieber Hermann! Nicht jeder hat's so leicht wie du. Nicht jeder hat dein glückliches Temperament. – Dem einen wächst das Haar in Locken und dem andern liegt es wie Balken auf dem Scheitel. – Na, aber was hilft das Jammern! »Der Mann muß hinaus.«

Hermann. Aber deshalb mußt du doch nicht gleich nach Straßburg.

Moritz (steht auf.) Allerdings muß ich deshalb nach Straßburg. Und wenn es eine deutsche Universität gäbe, die noch weiter von Berlin entfernt läge, würd ich eben dahin gehn.

Hermann. Ach, du nimmst dir das ja viel zu sehr zu Herzen. Mama ist nun mal so. Eine riesig verständige Frau. Die Verständigkeit selber. Weißt du: das ist ihr Stolz. Aber laß nur: wenn sie erst merkt, daß es dir und Suse Ernst ist, dann wird sie schon klein beigeben, verlaß dich drauf. Eben: wieder aus »Verständigkeit«. (Moritz schüttelt den Kopf.) Ich, an deiner Stelle, hätte überhaupt nicht mit ihr gesprochen. Was hast du nun davon! Wärst du fein still gewesen und einfach hübsch hiergeblieben, hättst du nach wie vor die Suse jeden Tag sehn und sprechen können . . . dafür hätt ich schon gesorgt.

Moritz (etwas ungeduldig:) Na ja, schon gut. Nun hör mal auf damit! Ich sagte dir schon: die Menschen sind eben leider – verschieden. Was dem einen 120 natürlich ist, ist dem andern unmöglich. Ich für meine Person konnte und kann nun mal nicht anders. Er ist auf und ab gegangen und setzt sich jetzt. Und übrigens hat deine Mutter ganz recht. Das ist ja das Schlimme! Sie hat mir vorgerechnet, an den Fingern vorgerechnet, daß ich vor zehn Jahren überhaupt nicht ans Heiraten denken kann und nachher – eigentlich auch nicht. Denn schließlich: was sind dreitausend Mark! Du brauchst ja schon als Student viel mehr.

Hermann. Hat sie das behauptet?

Moritz. Ja.

Hermann. Na, siehst du: sie übertreibt eben alles!

Moritz. Na, na!

Hermann. Was ich dir sage! Hundertfunfzig Mark gibt sie mir. Monatlich! Keinen Pfennig mehr.

Moritz. Als Taschengeld. Jawohl.

Hermann. Bitte sehr! Davon muß ich mein Zimmer in der Chausseestraße bezahlen. Macht dreißig Mark.

Moritz. Nun ja, aber zum Essen gehst du nach Hause, hast überhaupt alles andere frei! – Na, aber das ist ja alles Nebensache. Tatsache bleibt doch, daß ihr eben an ganz andere Verhältnisse gewöhnt seid als unsereins; daß ich mir – also selbst, wenn wir noch zehn Jahre warteten – unmöglich einen Hausstand begründen kann, der auch nur einigermaßen Suses Bedürfnissen entspräche.

Hermann. Aber Mensch, das brauchst du ja auch gar nicht. – Wir haben ja so viel Draht! (Er schlägt einen tiefen Baßton an.)

Moritz. Hermann, du – kennst mich doch wohl zur Genüge, denk ich, um zu wissen, daß ich damit niemals rechnen würde. Ein Mann muß das Weib, das ihn liebt, selber ernähren können, sonst ist er in meinen Augen eben ein . . . ein . . .

Hermann. Oberlehrer.

Moritz. Ich wollte etwas anderes sagen.

Hermann. Ich weiß ja. Ich kenne ja deine 121 erhabenen Grundsätze. Aber wohin führen sie denn? Zum Zölibat – bis ins Greisenalter. Da lob ich mir Meta!

Moritz. Ja – du!

Hermann. Na, erlaube mal! Das ist doch 'ne ideale Sache. Keiner fragt überhaupt nach den Moneten. Denn warum? Sie liebt mich. Na, du weißt es doch. So was könntest du auch haben. Du Esel.

Moritz. Ja, ja. Die Meta ist aber auch – eine Ausnahme. Ein gutes Mädchen; vielleicht – na!

Hermann. Was denn?

Moritz. Nichts. Ich bin nun mal – anders.

Hermann. Ach, ich weiß ganz gut, was du sagen wolltest.

Moritz. So?

Hermann. Jawohl. »Vielleicht – zu gut für mich«? Was? Das hast du sagen wollen!

Moritz. Allerdings. Der Gedanke scheint auch dir – ziemlich nahe zu liegen. Oder wie?

Hermann. Hm. (Er klimpert.)

Moritz (steht auf.) Ja – nun will ich aber gehn. Mein – Geschäft bei euch wäre ja nun erledigt . . .

Hermann. Moritz! Herrgott: das ist doch alles nur halb so schlimm! (Er steht ebenfalls auf. Beide stehen in der Mitte.) Laßt mich nur machen! Mit der Zeit! Mit der Zeit wird schon alles werden. Ich garantier es dir. Sieh mal: ihr seid doch beide noch so jung: ihr . . .

Moritz (bitter:) Ja. Das ist wahr. Aber – erstens ist das in meinen Augen kein Fehler, überhaupt kein Fehler. Und dann, was speziell das Heiraten betrifft – meine Großeltern haben zum Beispiel mit achtzehn und einundzwanzig Jahren geheiratet – sie war Dienstmädchen, er war Schlosser. Na: und wie glücklich die heutigen Tages noch leben, das ist bei uns zu Hause geradezu sprichwörtlich. Hättst mal bei der goldnen Hochzeit sein sollen. 122 Aber freilich waren die nicht zehn Jahre – verlobt, sondern knapp zehn Wochen. Siehst du: das ist ja der Haken! Da sagen die weltklugen Moralisten: Ja, mit diesen Neigungsheiraten! Gewöhnlich – werden unglückliche Ehen daraus. – Ja, zum Kuckuck, weshalb denn? Wann verliebt man sich denn? Doch in einem Lebensalter, in dem man – als gebildeter Mensch – überhaupt nicht ans Heiraten denken kann. Na also! Da kommt dann – das Verlöbnis! – Das Verlöbnis! – Herr du meine Güte! – Man sagt, daß die Ehe vom lieben Gott stammt. Ich weiß nicht . . . ich kann das nicht kontrollieren. Aber das weiß ich bestimmt –: das Verlöbnis stammt sicher vom Teufel!

Hermann. Donnerwetter!

Moritz. Verlaß dich drauf! Ich geb's dir schriftlich. Bei fast allen meinen Geschwistern hab ich es erlebt. Und auch sonst.

Hermann. »Die holde Maienzeit der jungen Liebe.«

Moritz (setzt sich.) Jawohl! Eine höllische Institution. Als man die Tortur abschaffte, hat man sie blöderweise vergessen! – – Anfänglich schadet sie wohl bloß der Gesundheit . . . aber nach und nach, so ganz allmählich, stiehlt sie dem Menschen alles . . . alles, was er an Glücksmöglichkeiten in sich trägt – bis zur völligen Lähmung aller Gemütsfunktionen. Das geht so langsam und heimlich – er spürt es kaum. – Plötzlich aber, eines Tages, bemerkt er: es ist ganz leer und kalt und tot – hier – in der Brust. – – – (Er springt wieder auf.) Jetzt kann er heiraten!

Hermann. Hm. Dann meinst du also: wenn es ginge: und . . . ihr könntet euch jetzt heiraten . . . daß ihr dann glücklich werden würdet?

Moritz. Glücklich! Glücklich! . . . Das ist ja gar kein Wort dafür! Vollendet würden wir! Eins durchs andere vollendet! Gottgleich! – Überhaupt erst » Mensch«!

Hermann. Aber – nach zehn Jahren . . .

Moritz. »Nach zehn Jahren«! Herrgott: wieviel Jahrzehnte lebt denn der Mensch? – Wenn wir 123 hören, daß ein armer Sünder zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt ist, so scheint uns der für dieses Leben – abgetan. Wir bedauern ihn höchstens, daß er nicht lieber geköpft wird. Da ist also unser Mitleid gleich rege. Aber wenn wir von einem guten Freunde hören, daß er – verlobt ist – da gehen wir in unserer Gefühlsroheit hin und – gratulieren ihm! Es ist zum Sterben komisch! Und grad dies Jahrzehnt zwischen zwanzig und dreißig, grade das! – – (Geht einmal im Zimmer auf und ab und setzt sich dann wieder zu Hermann.) Siehst du! Und deshalb bin ich deiner Mutter sogar noch dankbar. Sie ist eine sehr kluge Frau und in sentimentaler Hinsicht – völlig schwindelfrei. Sie hat mir alles so recht klar vor die Augen geführt . . . so, wie es wirklich ist . . . gar nicht verschleiert, überhaupt nicht damenhaft – fast brutal. Wie sie zu Ende war, stand ich auf und sagte: »Gnädige Frau –: Sie haben recht. Ohne weiteres – recht. Ich war verrückt – bitte um Verzeihung.« – – Und so hab ich – verzichtet. Suse wird's nach einem halben Jahr verwunden haben – ich – vielleicht – nach einem ganzen. Dann sind wir aber doch wenigstens wieder frei, gehören wieder uns und dem Leben. Andernfalls hingegen – wenn wir uns – verlobten – nun ja: dann würden wir eben so lange im Sande nebeneinander herkriechen – bis wir uns glücklich müde gekrochen hätten – fürs ganze Leben. Und ob wir dann – schon heiraten könnten – wäre immer noch sehr die Frage. – Also: lieber ein Ende mit Schrecken – ab nach Straßburg, der wunderschönen Stadt! Ein wenig Herzweh – und recht viel Arbeit – recht viel Arbeit. –

Hermann (ernst:) Pfui Teufel! Es ist wirklich bedauerlich! Und wer hat nun eigentlich schuld, daß es so ist?

Moritz (leidenschaftlich-bitter:) Wer schuld hat? (Er springt auf. Die Wut erstickt seine Stimme, er stößt einen heiseren Schrei aus, indem er die Fäuste schüttelt.) 124

Hermann (springt ebenfalls auf.)

Moritz (beherrscht sich.) Adieu, Hermann. – Es ist gut, wenn ich gehe. – Nein, nein! Laß mich gehn! – Sag der Suse nichts. Ich werde ihr schreiben. Vielleicht – wenn sie mich hassen kann – wird's ihr leichter. Adieu. (Sie gehen Hand in Hand zur Tür rechts.) Und grüß auch die Meta noch von mir. Hörst du? Und wenn du gescheit bist – halte sie dir in Ehren. So ein freier Bund ist immer das, was der Mann daraus macht. Wenn er es versteht und das Zeug dazu hat – na: sei kein Lump! Das ist alles. Leb wohl!

Hermann (geleitet ihn bis zur Tür. Dort drücken sie sich noch einmal stumm die Hand.)

Moritz, (da Hermann Miene macht, ihm zu folgen, in der Tür:) Nein. Bleib hier! –

(Er schließt die Tür.)

Hermann (geht langsam, indem er sich die Augen wischt, wieder nach links und setzt sich wieder ans Klavier:) Gemeinheit, verfluchte! – – (Klimpert und steckt sich dann eine Zigarette an:) Sind ja alle nicht wert . . . (Raucht und spielt das Vorspiel zum Tannhäuser. Summt dann zwischen den Zähnen die Melodie mit.)

 

Zweite Szene

Jenny, (adrett-kokett gekleidet, einen Staubwedel in der Hand, tritt von rechts ein. Sie sieht zu Hermann hinüber, der sie nicht gleich bemerkt, und – lächelt. Dann beginnt sie um das Sofa herum die Möbel abzustäuben.)

Hermann (bemerkt sie plötzlich und bricht ab.) – Jenny!

Jenny (korrekt:) Herr Doktor?

Hermann. Hm. (Erhebt sich langsam und affektiert ein Gähnen.) Ja, ja . . . (Sucht sich ihr zu nähern.)

Jenny (springt hinter das Sofa.) Wie meinten Sie?

Hermann (seufzend:) Ach, Jenny!

Jenny (deutet zur Portierentür:) Sst! Herr Doktor! 125

Hermann (leise:) Ähä! (Schleicht zur Portiere und sieht in das hintere Zimmer; dann, sich zurückwendend, laut:) Ist ja niemand drin. Das wußt ich doch. Mama zieht sich an und Suse ist ausgegangen. (Indem er sich ihr wieder zu nähern sucht:) Also – was wollen Sie denn, Sie – süßes Laster?

Jenny (ihm wie oben ausweichend:) Nein, nein! Lassen Sie mich zufrieden . . . Ich will nicht. Gehen Sie wo anders hin, wenn Sie so – liebenswürdig sein müssen. Sie wissen schon.

Hermann. Aber Jenny! Ihre Grausamkeit ist wirklich – bedauerlich.

Jenny. Oh, ich bin gar nicht so grausam, aber . . . Jetzt spielen Sie weiter. (Nach rechts rückwärts deutend.) Die gnädige Frau kann das drüben in ihrem Schlafzimmer recht gut hören – wenn Sie nicht spielen. Und sie weiß, daß ich hier jetzt abwische. – Also: spielen Sie weiter, Herr Doktor.

Hermann. Na, ich bin doch nicht verpflichtet, zu spielen.

Jenny. Gleich wird die gnädige Frau klingeln. Sie sollen sehen. – Die paßt ja so auf. Spielen Sie doch!

Hermann (geht langsam wieder zum Klavier:) Ich weiß wirklich nicht, was Sie für 'ne dumme Angst vor mir haben. Es ist und bleibt bedauerlich. (Setzt sich und spielt wieder den Pilgerchor.)

Jenny (kichert.)

Hermann. Ach bitte, Jenny: dann stören Sie mich wenigstens nicht. Sie können recht gut abwischen, ohne dabei so – so – na: lachen ist überhaupt kein Ausdruck dafür.

Jenny (kichert wieder, etwas leiser.)

Hermann (erregt:) Jenny!! Mädel, Sie machen mich ja verrückt. Der Teufel halte das aus. Es ist eine Gemeinheit, so zu lachen, während ich hier sitzen muß und mit beiden Händen spielen. Nein! Das geht nicht. (Er springt wieder auf.) 126

Jenny (entschieden:) Ich verlasse sofort das Zimmer, wenn Sie nicht sitzen bleiben und weiterspielen.

Hermann (stöhnend:) Oa ... Das ist ja . . . (Setzt sich wieder und spielt weiter. Grob:) Übrigens . . . ich sehe absolut nicht ein, weshalb Sie hier gerade immer dann Staub wischen müssen, wenn ich spiele. Kann das nicht zu 'ner andern Zeit geschehn?

Jenny (lustig:) O ja, aber . . . Gott, Herr Doktor, ich höre so gern Musik . . .

Hermann. So, so. Was Sie, sagen. Ist ja sehr interessant.

Jenny. Ne wirklich, Herr Doktor . . . für mein Leben gern! (Sie tritt ihm vorsichtig näher:) Ist das nicht von Tannhäuser?

Hermann. Jawohl, mein Engel, die bekannte Holzauktion auf der Wartburg. Aber bitte nicht so dichte ran. Bleiben Sie bei Ihrer Arbeit – wie ich bei der meinigen.

Jenny. Herrje! Auf einmal! Aber da sieht man's so recht! Wenn man nicht gleich – pariert – nicht wahr? Gott, nun ja, man is ja bloß en Stubenmädel.

Hermann. Unsinn, Jenny: Sie sind die Krone der Fraun. Müssen sich nur diese beklagenswerte Borstigkeit abgewöhnen. Das ist eine bedauerliche Verirrung Ihrer sonst so gesunden Natur. (Singt und spielt:) »Wer dich mit Glut in seine Armé geschlossen . . .« trala . . . la . . . la . . . la . . .

Jenny (lebhaft:) Ach ja! So geht es!

Hermann (singt:) »Der weiß, was Liaiebe heißt – der kann davon erzählen!« – – –

Jenny. Na, na! Jetzt weiß ich, an wen Sie denken.

Hermann (noch leise spielend:) Was?

Jenny (scharf:) An Fräulein Meta Hübcke – was?

Hermann (hält plötzlich bei dem Namen Meta lebhaft erschrocken inne.) Donnerwetter! Wie kommen Sie darauf?

Jenny, (wieder beim Abstäuben, tut ganz gleichgültig:) Na – man erfährt ja, Gott sei Dank, so hin und wieder 127 noch das ein oder andere. Und manchmal grade, wenn man's braucht. – Ja, ja, Herr Doktor. Das ist ganz gut so. Denn sonst! Na! Wenn man Sie so hört: »Jenny! Ach Jenny! Sie sind die Krone der Fraun,« und solchen Stuß – da sollte man manchmal wirklich . . .

Hermann. Na?

Jenny. Na ja: ich meine nur: es ist eben ganz gut, wenn man bei Ihnen weiß, woran man ist. Ja, ja! Da brauchen Sie mich gar nicht so anzusehn.

Hermann (brutal:) Ach Gott: Sie bilden sich doch nicht etwa ein, daß ich mir ernstlich was aus Ihnen mache?

Jenny. Nö, nö: ich weiß ja: (Sie kommt zurück zu Hermann.) Sie machen sich überhaupt aus Garnichts – ernstlich was. Aber – das hätte Ihnen nun grade so passen können –: eine da draußen, auf dem Wedding – und eine hier in Schöneberg, bei Muttern! So 'ne kleine Filiale . . . wie? Doppelt genäht – hält besser! – – – Ne! mein lieber Herr Doktor. So haben wir nicht gewettet! So blau is Jenny noch lange nich!

Hermann. Ach Sie . . . . . . (Er klimpert verlegen weiter.)

Jenny (lachend:) Ja, ja, Herr Doktor . . . »Bedauerlich«, wie?

Hermann. Ach, wissen Sie, das geht Sie ja überhaupt gar nichts an. Sie können das doch nicht begreifen. Die Sache liegt auf einem ganz anderen Felde.

Jenny (setzt sich auf den Stuhl, höhnisch:) So, so. »Auf einem ganz anderen Felde«. Gott, glauben Sie doch nicht, daß Sie mich dumm machen können. Wohl weil das Fräulein 'ne Konfektioneuse ist? Hö! – Deshalb trägt sie höchstens längere Strümpfe als ich.

Hermann (ernstlich geärgert:) Jenny, ich verbitte mir das. Ich sehe jetzt ein: es ist – bedauerlich, daß ich mich mit Ihnen überhaupt beschäftigt habe. Es war unschön von mir. 128

Jenny. Auf einmal!

Hermann. Bitte: Schluß! – Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort: ich bedaure, mich mit Ihnen eingelassen zu haben.

Jenny. Na also: denn sind wir ja einig. (Sie beschäftigt sich wieder in philosophischer Ruhe mit Abwischen:) Übrigens: ich hab noch gar nicht mal gemerkt, daß Sie sich mit mir eingelassen haben. Dazu gehören doch immer zwei . . . Wie? . . .

(Es klingelt draußen, Jenny geht nach rechts ab, indem sie sich zweimal mit spöttischem Lächeln nach Hermann umdreht.)

Hermann (hat wieder angefangen zu spielen. Als Jenny die Tür schließt, hält er inne, erhebt sich mißmutig und steckt seine Zigarette wieder an. Entrüstet, zwischen den Zähnen:) Dummes Frauenzimmer! – – Hä! – – Was die sich einbildet . . .

 

Dritte Szene

Suse (tritt schnell von rechts ein. Sie ist im Promenadenkostüm, trägt ein Portemonnaie und ein Paket am Faden in der Hand.)

Hermann (liebenswürdig kordial:) Guten Morgen, Suse . .

Suse (sieht ihn, ohne daß er es bemerkt, wütend an und geht dann durch die Mitte in den Salon.)

Hermann (tritt, indem er die Portiere weghebt, in die Verbindungstür, lehnt sich an den Türpfosten und spricht das Folgende, indem er sich in den Hüften wiegt, in kordial gemütlichem Tone ins hintere Zimmer hinein.) Na – wie geht's? Schlechter Laune? Nu! Was? – Schon ausgewesen? So früh am Tage? Ist erst elf Uhr. Großartig! Du bist wirklich ein Übernormalmensch, Suse. Wenn ich dich so beobachte, wird mir manches klar, was ich sonst gar nicht verstehe. Zum Beispiel die blödsinnige Tatsache, daß es Professoren gibt, die ihre Kollegien mitten in der Nacht lesen. Die Studenten, die da rein gehen, müssen solche Kerle sein wie du. Ich glaube, du stehst jeden Morgen um halb Acht auf – was? Du bist es imstande. – Überhaupt: ich finde, 129 die Rollen sind zwischen uns ganz falsch verteilt – aus dir wäre ein patenter Streber geworden – so recht nach dem Herzen der Mama – und aus mir mit Leichtigkeit ein freundliches junges Mädchen« . . . Wie? Meinst nicht auch? Sieh mal, schon zum Beispiel mit dem Gelde . . . – Ach, hör mal Suschen . . . Du, du weißt doch noch: was du mir neulich in deiner himmlischen Güte in Aussicht gestellt hast? Siehst du: auch in dem Punkt bist du mir unendlich überlegen – du hast immer Geld! Sieh mal: ich spare ja, wie ich kann – wirklich! Extravaganzen kenn ich gar nicht. Aber schließlich: was soll man zu einem Monate sagen, der 31 Tage hat! Da hört eben alles auf! Auch das Geld natürlich! – Aber trotzdem, wenn du mir bloß zwanzig Mark pumpst, so versprech ich dir . . .

Suse (kommt plötzlich hastig und schnell ins Zimmer, so daß Hermann zurückfährt und die Portiere losläßt. Wutschnaubend platzt sie los:) Zwanzig Mark!? Braucht Fräulein Meta Hübcke vielleicht schon wieder ein neues Jackett? – Oh du . . . du schlechter Mensch . . .

(Sie eilt schluchzend rechts ab.)

 

Vierte Szene

Hermann (bleibt stumm stehn und sieht ihr nach:) Heiliger Strohsack!

Jenny (tritt von rechts wieder ein.)

Hermann (auf sie los, grob:) Sie! Haben Sie etwa geklatscht?

Jenny (tritt zurück und mißt ihn von oben bis unten, vornehm:) – Was wünschen Sie, mein Herr?

Hermann. Na, nu tun Sie man nich so! Sie haben meiner Schwester von meinem Verhältnis erzählt!

Jenny (beleidigt, von oben herab:) Herr Doktor! Ich verbitte mir einen derartigen Argwohn. Wenn Sie etwa glauben, daß Sie sich derartiges einem – 130 Dienstmädchen gegenüber herausnehmen dürfen, so sieht Ihnen das zwar sehr ähnlich – läßt mich aber ganz kalt!

Hermann. Aber woher soll sie's denn sonst wissen?!

Jenny. Was man sich selber einbrockt, Herr Doktor, soll man nachher nicht andern Leuten in die Schuhe schieben. Woher weiß ich's denn? (Zieht einen Brief aus der Bluse:) Da – bitte zu lesen.

Hermann (nimmt den Brief und liest.)

Jenny. Elegante Handschrift, was? Wollte, ich könnte so schreiben . . . Und Fräulein hat grad so einen gekriegt . . . heute früh. Danach ist sie dann ausgegangen.

Hermann (hat den Brief gelesen.) Verdammt! Und natürlich anonym! Der Lump! Wirklich: heute scheint die ganze Hölle gegen mich losgelassen.

Jenny (herumsuchend:) Wo hab ich denn nur mein Wischtuch liegen gelassen?

Hermann. Ha! Stumpfsinn über Stumpfsinn! Ewig die alte Hühnerleiter . . . (Er seufzt tief auf.)

Jenny (kommt beim Suchen ganz in seine Nähe.)

Hermann. Hm? Wischtuch? – Was, Jenny? Ein Blödsinn – dieses Leben! Einer sucht's dem andern nach Kräften schwer zu machen – weiter wissen sie nichts – das ist alles. Und das ist doch so dumm, so bodenlos dumm! Wie? Jenny . . .

Jenny. Das ist doch 'ne alte Sache. – Wo ist denn nur das Wischtuch?

Hermann. Ach, Jenny . . .

Jenny (weicht ihm aus.) Hm?

Hermann (elegisch:) Ach, Sie sind auch so. Hartherzig und stolz – ohne jedes Mitgefühl!

Jenny. Haben Sie eine Ahnung! Ich –hartherzig? Na, wissen Sie: da sind Sie der Erste. – Aber: das ist es ja eben: – bei so 'ner Konfektioneuse natürlich – da geben Sie sich doch wenigstens noch Mühe – sind hübsch artig und galant und bezahlen ihr 131 die Miete und kaufen ihr das Eine oder das Andere – manchmal auch beides, und gehen mit ihr überallhin . . . Bei so 'n Stubenmädel aber haben Sie das ja alles nicht nötig – da muß es von allein kommen! Die braucht man bloß mal so um die Taille zu fassen: »süßer Käfer!« – fertig ist die Arbeit. Und wenn sie da nicht gleich stillhält und ja sagt, schwupp wird sie wieder angeschnauzt wie jeder andere – Dienstbote. ( Hermann will erwidern.) »Dienstbote« – jawohl! – – Aber ich sehe das gar nicht ein! Absolut nicht! Oder meinen Sie vielleicht, daß die Ladenmädchen besser wären wie wir? Na, so blau! Im Gegenteil! Unsereins weiß doch wenigstens, wo es hingehört und wo es satt zu essen kriegt. Und hat man sich das etwa nicht redlich und sauer verdient? Aber die – ne! Nich in die Hand!

Hermann. Hm. Sehr richtig. Lichtvoll und klar! Übrigens, Jenny: mir brauchen Sie das eigentlich gar nicht zu sagen. Ich habe mich gerade mit diesen Fragen eingehend beschäftigt. Ich weiß sehr wohl, daß so ein Dienstmädchen . . . Ich meine: das kommt ja schon von der sozialen Stellung.

Jenny (eifrig:) Ja! Nicht wahr? Das tut es auch! Und deshalb ist es auch gar kein Wunder, daß es so viele Sozialdemokraten gibt. Herrgott! Wenn ich ein Mann wäre . . .

Hermann. Jenny! Das ist mir ein peinlicher Gedanke.

Jenny. Wie?

Hermann. Na, Sie werden mir doch im Ernste nicht zutrauen, daß ich so beschränkt bin und wirklich einen Unterschied mache zwischen einer Konfektioneuse und einem Stubenmädchen. Für mich ist das Jacke wie Hose –: ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!

Jenny. Na also. Sehen Sie: und deshalb ist das auch – offen gesagt – gar nicht mal recht von dem Mädchen.

Hermann (erstaunt:) Was denn? 132

Jenny. Gott, sie muß doch wissen, daß Sie sie nicht heiraten können.

Hermann (unsicher:) Ja . . . wie?

Jenny. Nu ja: wenn sie also ein verständiges Mädchen ist, das in die Welt paßt . . . was soll denn das da heißen: »es liegt auf einem ganz anderen Felde«? Wie?

Hermann (noch immer verdutzt:) Das versteh ich nicht.

Jenny. Eben! Ich auch nicht. (Es klingelt:) Sst! Es hat geklingelt.

(Verschmitzt lächelnd rechts ab.)

 

Fünfte Szene

Hermann, (allein, sieht ihr nach und schüttelt den Kopf. Wirft ihr eine Kußhand nach:) Feudal! Aber . . . Ä!

(Man hört im hinteren Salon Stimmen.)

Jenny, (unsichtbar, ladet Bella König zum Eintreten in den Salon ein.) Bitte, gnädiges Fräulein . . . einen Augenblick. Ich werde Sie sogleich der gnädigen Frau melden.

Bella, (ebenfalls noch unsichtbar:) Ist Fräulein Suse nicht zu Hause?

Hermann (hat gestanden und gelauscht. Sobald er Bellas Stimme hört, entsetzt:) Um Gottes willen! Die Bella . . . (Eilt nach rechts ab.)

Jenny. Auch, jawohl . . .

 

Sechste Szene

Jenny (hält die Portiere zurück und läßt Bella eintreten. Dann steckt sie die Portiere fest und gebt ab. Die Portiere bleibt von nun an offen.)

Bella König, (eine blasse Modefigur, kommt langsam durch die Mitte und stellt sich vor den Spiegel.)

Suse (kommt ihr aus dem Salon nach. Sie hat verweinte Augen und trägt ein Taschentuch in der Hand. Lebhaft:) Bella! Guten Morgen. (Schüttelt ihr mit großer unmotivierter Herzlichkeit, wie kondolierend, die Hand.) 133

Bella (spricht stets sehr langsam und in zarten Tönen:) Guten Morgen, liebe Suse. Wie geht es dir?

Suse (führt Bella zum Sofa und setzt sich auf den Stuhl in der Mitte, den sie dem Diwan näher rückt.) Ich danke dir, liebe Bella: mir . . . mir geht es ganz gut. Komm, bitte, nimm Platz! Willst du nicht ablegen?

Bella (setzt sich:) Ich danke, liebe Suse. Ich will gleich wieder weitergehn. Ich habe nämlich für Mama ein halbes Pfund Tee gekauft. (Sie zeigt Susen das kleine Paket, das sie in der Hand trägt.) Und wollte nur schnell mal sehn, wie es dir geht und deiner Mama.

Suse. So, das ist lieb von dir. Nun, und wie geht es dir und deiner lieben Mama? Wohl und munter?

Bella. Ja. Gottlob. Ich danke.

Suse. Du siehst ordentlich blühend aus!

Bella. Ja: das kommt von dem schönen Wetter und der frischen Luft. Es ist tüchtig windig.

Suse (gedankenlos:) Ja – das Wetter ist schön. Das läßt sich nicht leugnen.

Bella (stumpfsinnig:) Ja – und windig ist es!

Suse. Gewiß. Windig. Hm.

Bella. Ja . . .

Suse. Ja. Nun, und was gibt es sonst Neues?

Bella. Ja, denk mal, Suse: ich nehme jetzt auch Malstunden. Mit Elise Roscher zusammen.

Suse. So? Ach! – Übrigens: wie war es denn Freitagabend bei Roschers?

Bella. Sehr nett . . . nein, wirklich sehr nett. Ach ja!

Suse. So. Ja – ach ja: ich finde, bei Roschers ist es eigentlich immer sehr nett. Nicht wahr?

Bella. O ja. Das muß man wirklich sagen.

Suse. Ja. Mama und ich mußten diesmal leider absagen, weil Mama nicht recht wohl war. Aber Hermann hat sich sehr gut amüsiert.

Bella (schüchtern:) Hermann?

Suse. Ja. Er erzählte, wie viel er mit dir getanzt hätte . . .

Bella. Ja . . . Aber . . . entschuldige, Suse, aber ich glaube . . . (Weinerlich:) Hermann war gar nicht da. 134

Suse erschrocken: War nicht da?

Bella (weinerlich:) Sei mir nicht böse, Suse . . . aber ganz gewiß: er war nicht da.

Suse. Das ist ja . . . (Fällt ihr stürmisch um den Hals, küßt sie. Schluchzend:) O Bella! Meine liebe, arme Bella! (Beide ziehn die Taschentücher.)

Bella (ebenfalls weinend:) Ach, ich bin ja so unglücklich . . .

 

Siebente Szene

Frau Günther (kommt von rechts. Robuste Dame, Anfang der Vierziger, entschiedenes, selbstbewußtes Wesen. – Sie wird von den beiden nicht bemerkt und beobachtet sie einen Augenblick kopfschüttelnd. Dann ruhig:) Guten Tag, meine liebe Bella.

(Die beiden fahren auseinander und stehen auf.)

Bella (sucht sich zu fassen:) Guten Tag!

Frau Günther, (indem sie mit einer Handbewegung zum Sitzen einladet und sich selber setzt, gleichgültig freundlich:) Nun, Wie geht es Ihnen?

(Alle Drei setzen sich.)

Bella. Ich danke, gnädige Frau: es geht mir recht gut.

Frau Günther. Aber wollen Sie nicht ablegen?

Bella. Nein. Ich danke sehr, gnädige Frau, aber ich will gleich wieder weitergehn. Ich mußte nämlich für meine Mama ein halbes Pfund Tee kaufen.

Frau Günther. Soso. Nun, wie befindet sich Ihre Frau Mama? Gut, ja?

Bella. Ja, Gottlob. Ich danke sehr. –

Frau Günther. Na, das ist ja schön. Bei Ihnen braucht man gar nicht zu fragen. Sie sehen ja so prächtig, wohl aus.

Bella. Ja, ich meine: das macht wohl das Wetter . . . Weil es so windig ist, mein ich.

Frau Günther. Ja, es ist heute wirklich sehr windig. – Nun, erzählen Sie mal: wie war es denn 135 Freitagabend bei Roschers? Es hat mir so leid getan, daß ich nicht hingehn konnte . . . War's nett? Ist der Hermann hübsch galant gewesen?

Bella unruhig: Ach . . . Ja, gnädige Frau: hm . . .

Frau Günther. Wie? – –

Suse. Denk mal, Mama –: Bella hat jetzt auch Malstunden.

Bella. Ja!

Frau Günther. Ach was! In Öl?

Bella (bescheiden:) Nein, – nur in Wasser.

Frau Günther. So. – Sieht verwundert von einer zur andern.

Bella. Ja. (Erhebt sich.) Aber nun will ich doch lieber gehn, damit ich noch Zeit für meine Besorgungen behalte . . .

Suse (steht auf.) Aber Bella, es ist ja noch nicht Zwölf . . .

Bella. Ja, aber . . . ich will doch das schöne Wetter noch benutzen und noch ein wenig spazieren gehn. – Ja. Adieu, gnädige Frau.

Frau Günther (steht auf.) Adieu, meine liebe Bella. Und lassen Sie sich nicht wegblasen . . . vom Winde, mein ich.

Bella. Ja, es ist wirklich . . .

Frau Günther. Und grüßen Sie auch Ihre liebe Frau Mutter. Adieu.

Bella, (von Suse begleitet, ab.)

 

Achte Szene

Frau Günther, (nach links gehend:) Bählamm! –

Suse (tritt zögernd wieder ein. Sie schlägt wie schuldbewußt die Augen nieder.)

Frau Günther. Nun? Was war das? Was hatte das zu bedeuten?

Suse. Ach Mama!

Frau Günther. Na: was wird denn da nun wieder herauskommen? 136

Suse. Mama: du mußt einmal sehr ernstlich mit Hermann sprechen. Er . . . er hat zu schlecht an ihr gehandelt! Die arme Bella!

Frau Günther (setzt sich. Gleichgültig:) Aha. Na, denn komm mal her. Setz dich! So! Nun erzähle mal. Was ist denn Schreckliches passiert?

Suse (ebenfalls sitzend:) Denk mal, Mama: er ist vorigen Freitag gar nicht bei Roschers gewesen!

Frau Günther. Ah! das ist stark! Das ist allerdings stark!

Suse (weinerlich:) Ja. Nicht wahr? Oh, Mama: er ist ein ganz schlechter Charakter.

Frau Günther. Na, na!

Suse (heftig:) Ja, Mama! Es ist ja nicht bloß das! Es ist ja noch was Schlimmeres. Er . . .

Frau Günther. Nun? Heraus damit.

Suse (mit dem Taschentuch vor dem Gesicht:) Er . . . er hat . . . eine Geliebte.

Frau Günther, (einen Augenblick sprachlos, dann kalt und streng:) Ich begreife nicht, Suse, wie du ein solches Wort in den Mund nehmen magst. Wie kommst du nur auf so was? Es ist durchaus unschicklich – es ist unerhört für ein junges Mädchen, von solchen Dingen überhaupt zu wissen – geschweige denn, davon zu sprechen.

(Sie erhebt sich indigniert und geht durchs Zimmer.)

Suse (weint leise.)

Frau Günther (bleibt vor ihr stehn:) Nun? Woher weißt du denn das?

Suse. Ich . . . ich hab heut früh . . . einen anonymen Brief gekriegt.

Frau Günther. Zeig ihn mir!

Suse. Ich hab ihn nicht mehr.

Frau Günther (erstaunt:) Du hast ihn nicht mehr?!

Suse. Sie hat ihn mir weggenommen.

Frau Günther. »Sie?!« Du kennst sie?!

Suse. Vorhin hab ich sie . . . gesehen.

Frau Günther (erregt:) Na, das heißt . . . nun hört 137 doch verschiedenes auf. (Heftig:) Bitte, möchtest du dich nun nicht endlich mal dazu bequemen, mir das alles zu erklären? Mir scheint, du hast plötzlich die Sprache verloren. Wie?

Suse. Ja, Mama, das stand ja in dem Briefe . . . Also: wenn es mich interessiere, die Ge . . . meines Bruders kennen zu lernen, so möchte ich nur heute früh um Zehn in die Leihbibliothek zu Borstell kommen, die Dame, die ich da träfe, und die dasselbe Jackett anhätte wie ich – das wäre sie – das Jackett wäre . . . ein Geschenk von Hermann . . .

Frau Günther (mit Aplomb:) Das ist stark! Das ist wirklich stark! Das Seidenplüschjackett?

Suse. Ja. Das neue.

Frau Günther. Das ist stark. – Und sie war da?

Suse. Ja . . . Sie kam.

Frau Günther (heftig:) Ich wollte sagen: du bist hingegangen? Auf einen solchen, noch dazu anonymen Brief? Der edle Unbekannte hat wohl gewußt, was er tat, daß er an dich und nicht an mich geschrieben hat: bei mir wandert so was unbeachtet in den Ofen. Schämst du dich denn gar nicht?

Suse (weint stärker:) Aber Mama! Ich mußte doch . . . wegen Bella . . . Sie tat mir ja so leid . . .

Frau Günther (energisch:) Daß du Bella kein Wort sagst! Verstehst du mich? – Nun, und weiter! Du hast sogar mit ihr gesprochen?

Suse. Ich habe sie angefleht . . .

Frau Günther. Angefleht? Ausgezeichnet!

Suse. . . . von ihm zu lassen.

Frau Günther. Sehr gut! Und sie? Was sagte sie?

Suse. Sie sagte gar nichts. Sie sah mich nur ganz groß an . . .

Frau Günther. Ernst?

Suse. Wie?

Frau Günther. Hat sie dich ernst angesehn – oder hat sie gelacht?

Suse. Aber Mama! Furchtbar ernst. 138

Frau Günther. So. Und dann?

Suse. Nichts. Sie nahm mir den Brief aus der Hand und ging.

Frau Günther. Pöbelhaft! (Geht an den Tisch und nimmt ein Notizbuch.) Weißt du, wie sie heißt?

Suse. Meta Hübcke.

Frau Günther (sich notierend:) Und wo sie wohnt?

Suse (schweigt.)

Frau Günther. Nun: das weißt du wohl nicht?

Suse. O doch, Mama . . .

Frau Günther (ungeduldig:) Na, dann sag's mir doch!

Suse. Ach, Mama, das . . . das ist ja grade das Entsetzlichste!

Frau Günther. Hm? (Sieht sie fragend an; Suse verbirgt das Gesicht im Taschentuch.) Ah . . . verstehe! Also deshalb diese – »Studentenwohnung« – Hm.

Suse. . . . und Bella liebt ihn doch so unendlich! Daß er gar nicht an sie gedacht hat!

Frau Günther (sinnend und dann in einem ganz anderen, entschlossenen Ton:) Hm. – Weißt du, Suse: das wird mir doch zuviel. Die Sache ist doch viel ernsthafter, als ich glaubte. Ich fühle mich ihr als Frau nicht gewachsen. (Setzt sich am Tisch nieder und schreibt in ihr Notizbuch. Dabei sprechend:) Du bist wohl so freundlich . . . und besorgst nachher gleich . . . dies Telegramm . . . an Onkel Otto.

Suse (erstaunt:) An Onkel Otto?

Frau Günther. Ja. Er soll nach Berlin kommen. Er ist der Nächste dazu. Er – muß mir helfen. Hier! Also gleich!

Suse. Ja, Mama.

(Sie steht auf, trocknet sich die Augen, schneuzt sich und tritt dann zu Frau Günther.)

Frau Günther (gibt ihr das Telegramm.) – War sie denn hübsch?

Suse. Ich weiß nicht, Mama. Jedenfalls, so schön wie Bella lange nicht.

Frau Günther. Also geh jetzt und schick mir Hermann her. Ich will mit ihm sprechen. 139

Suse. Ja. – Aber Mama . . .

Frau Günther. Nun?

Suse. Sei nicht gleich zu hart gegen ihn! Vielleicht bereut er seinen Fehltritt und du kannst ihn mit Güte auf den rechten Weg zurückbringen. Erinnere ihn nur an Bella!

Frau Günther. Ach bitte, überlaß mir nur diese Erziehungsfragen.

Suse (geht gedrückt zur Tür.)

Frau Günther. Übrigens, eh ich das vergesse. Der . . . Herr Lange war vorhin bei mir.

Suse (zuckt zusammen und dreht sich schnell um. Bebend:) So?

Frau Günther (in gleichgültigem Tone:) Ja. Er wollte sich verabschieden. Er geht nach Straßburg. – Er läßt sich dir empfehlen.

Suse (bleibt sprachlos stehn und starrt ihre Mutter angstvoll an.)

Frau Günther. Nun: was ist dir?

Suse (schüttelt den Kopf und geht langsam, gebrochen ab.)

Frau Günther (allein. Sie tritt vor den Spiegel und rückt an ihrem Haar.) Hm. – – – Ein heißer Tag!


 

Neunte Szene

Hermann (tritt ein. Burschikos:) Servus, Mama!

Frau Günther (eisig:) Bitte! Setz dich! Ich habe mit dir zu reden.

Hermann (setzt sich. Vergnügt:) Das dacht ich mir doch!

Frau Günther. Ach bitte! – – – Ich habe dir zunächst meinen verbindlichsten Dank auszusprechen, daß du mir zu einer so, einer so . . . außerordentlich erquicklichen Auseinandersetzung mit deinem Freunde Lange verholfen hast. Wirklich: sehr nett von dir!

Hermann. Aber Mama: ich hab doch nichts dazu getan.

Frau Günther. So. – Nun: Lange hat mir ja selber gestanden, daß er dir seine – wie? Liebe zu Suse gebeichtet habe. Deine Pflicht wäre es gewesen, mir 140 direkt Mitteilung zu machen und ihn gleich energisch davon abzubringen. Es durfte gar nicht so weit kommen. Ich werde von jetzt an genötigt sein, immer erst Erkundigungen einzuziehn, eh ich dir gestatte, einen deiner sogenannten Freunde hier ins Haus zu bringen. Ich habe keine Lust, mich häufiger einer so dämlichen Situation auszusetzen – wie mit diesem . . . diesem Studenten.

Hermann. Aber . . .

Frau Günther. Schweig! – – – Ferner! Du bist vielleicht so gütig, dich zu erinnern, daß Roschers am letzten Freitag eine Gesellschaft gaben, zu der sie uns alle Drei eingeladen hatten. Suse und ich waren verhindert. Du bist allein gegangen.

Hermann. Jawohl, gewiß. Stimmt. Ich erinnere mich.

Frau Günther. Du warst also da?

Hermann. Ich – – – (Schweigt.)

Frau Günther. Nun? Heraus mit der Lüge! Gewiß warst du da! Hast uns ja ausführlich geschildert, wie nett es gewesen wäre und wie oft du mit Bella getanzt hättest . . .

Hermann. Nun ja. So – würd es doch auch gewesen sein. Ich kenne das eben schon auswendig.

Frau Günther. Es ist schlimm genug, wenn du bereits keine Freude mehr hast an – anständigen Vergnügungen. Aber ich sollte meinen, gerade in diesem Falle hättest du wirklich Ursache genug, deine Pflichten gegen die Gesellschaft zu erfüllen. Ich meine wegen Bella. Was soll denn das Mädchen denken?

Hermann (mit einem Seufzer:) Ach Mama –: wozu soll das Mädchen überhaupt was denken?

Frau Günther. Und die andern? Meinst du, daß es denen nicht auffällt? – Du sollst mal sehn: wenn du es so weiter treibst, wirst du dir eines schönen Tages die Partie verscherzt haben – du weißt gar nicht, wie! 141

Hermann. Oh! – Dann hätte sie mich nie geliebt! – Aber nein, Mama. Im Ernst! Ich bin ja doch kein Hornochse . . .

Frau Günther. Ach, du meinst: sie läuft dir nicht davon? Sie ist zu arglos.

Hermann. Ach ja, Mama, das ist sie wirklich . . . arglos.

Frau Günther. Und inzwischen kannst du dir andere Zerstreuungen gestatten – wie?

Hermann. Offen gesagt: ja. Solange wir nicht offiziell verlobt sind . . . Man will doch auch mal . . . jung gewesen sein. –

Frau Günther. Auch ein Grundsatz. – Aber schön. Zugegeben, du dürftest dir jetzt noch Freiheiten gestatten . . .

Hermann. Freiheit! Jawohl. Siehst du. Das ist es. Freiheit!

Frau Günther. Ah: großartig. Das hast du wohl von diesem Lange. Bist doch sonst nicht so pathetisch veranlagt. Na . . . Du lieber Gott, ich bin vernünftig genug, von einem jungen Mann in deinem Alter, in deiner Lage und mit deiner – unberufen – robusten Gesundheit nicht zu verlangen, daß er – wie 'n Duckmäuser leben soll. Im Gegenteil. Ich möchte das nicht mal. Es ist gar nicht gut . . . grade in bezug auf die Ehe später. Aber! So weit darf es niemals kommen, daß darüber ernsthafte gesellschaftliche Pflichten vernachlässigt werden! Da ist die Grenze!

Hermann. Die Grenze . . .

Frau Günther. Jawohl! Und bei der scheinst du mir jetzt gerade angelangt zu sein. Bei dem gefährlichen Wendepunkt, wo sich ein junger Mann zu entscheiden hat, ob er mit der Gesellschaft oder abseits von ihr seinen Weg gehen will. Ich will nicht hoffen, daß du schon gewählt hast. Du würdest es zu bereuen haben! (Sie erhebt sich. Scharf:) Wozu hast du dir deine Studentenwohnung gemietet? 142

Hermann (sieht sie unsicher an:) Aber Mama, ich dächte, das wäre doch längst zwischen uns erledigt . . .

Frau Günther. Es scheint nicht so. Also bitte! –: Was ist der Zweck dieses – Asyls?

Hermann. Nun, ich sagte dir ja –: allein zu sein.

Frau Günther. Allein zu sein. So. Und bist du auch sicher, daß du dort – wirklich allein bist?

Hermann (schweigt bestürzt.)

Frau Günther. Hm? –

Hermann, (nach einem tiefen Seufzer, mit sanftem, klagendem Vorwurf:) Ach, Mama, ihr wißt aber auch alles! Es ist bedauerlich. (Er steht auf.) Man ist einfach nicht mehr konkurrenzfähig. Wirklich! Man ist verraten und verkauft.

Frau Günther (mit Abscheu:) Ich weiß allerdings alles. Pfui! – (Sie steht auf und geht auf ihn zu. Nahe bei ihm, mit gesenkter Stimme, aber sehr energisch:) Pfui!! Du wirst dieses Verhältnis lösen und zwar binnen vierundzwanzig Stunden! Hier ist Geld!

Hermann (tritt zurück:) Nein! – – Mama!

Frau Günther (heftig:) Keine Widerworte! – Hast du mich verstanden?

Hermann. Aber Mama, das . . . das wäre . . .

Frau Günther (laut:) Ob du mich verstanden hast, frag ich!

Hermann (begütigend:) Ja, ja . . . aber . . .

Jenny (wird rückwärts sichtbar; sie belauscht das Gespräch.)

Frau Günther. Kein Aber! Es gibt kein Aber! – Hier! Nimm das Geld! (Da er zögert, heftig:) Nimm es! Was du nicht brauchst, verlang ich zurück. ( Hermann steht mit dem Geld in der Hand niedergeschlagen da.) Ich will mit der ganzen schmutzigen Sache nichts zu tun haben. Ich habe an Onkel Otto telegraphiert. Er wird kommen und sich und mich überzeugen –: daß du meine Befehle – du verstehst: meine Befehle – ausgeführt hast. – Noch eins: was ist die Person?

Hermann. Buchhalterin. Ein ganz ordentliches und braves Mädchen . . . Jawohl! 143

Frau Günther. So. Das ist gut –: dann brauchst du ihr kein Geld zu geben. (Sie nimmt ihm das Geld in brüsker Weise wieder aus der Hand.)

Hermann. Ja, aber –

Frau Günther (schroff:) Kein Wort! (Sieht ihn an.) Binnen vierundzwanzig Stunden! (Wendet sich brüsk ab und geht schnell nach hinten. Sie bemerkt Jenny. Streng:) Was suchen Sie hier?

Jenny (schlagfertig:) Ich suche mein Wischtuch, gnädige Frau!

Frau Günther. Weshalb entfernten Sie sich nicht, als Sie sprechen hörten?

Jenny. Ich trete eben ein, gnädige Frau!

Frau Günther. So? –

(Sie geht rückwärts links ab.)

 

Zehnte Szene

Jenny (kommt flink nach vorn. In der Tür flüsternd:) Herr Doktor!

Hermann (aus seinen Gedanken auffahrend:) He?

(Er macht ein paar Schritte nach rückwärts.)

Jenny (eifrig flüsternd:) Tun Sie, was Ihnen Ihre Mutter sagt! Es ist das Beste für Sie! Das sage ich Ihnen!

(Flink ab, rechts.)

Hermann verdutzt: Jenny . . . ? 144

 


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