Heinrich Hansjakob
Aus dem Leben eines Vielgeprüften
Heinrich Hansjakob

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4

Es interessierte mich, wie es meinem Rotschimmel bei dem Bankier ergangen sein mochte, und schon am andern Morgen setzte ich mich wieder zeitig ans Fenster. Er stand, wie immer, gesenkten Hauptes auf dem Platz und zeigte in Gebärde und Haltung wieder jene wunderbare Resignation und Geduld, die ich so oft schon an ihm bewundert hatte.

Er fühlte alsbald, daß ich ihm heute erneut diese Bewunderung zollte, und sandte mir zunächst darüber die folgenden Gedanken-Molekülchen:

»Ich merke, daß du staunst über meine stille Ergebung und Geduld. Ich will dir nur sagen, daß beide das Ergebnis langjähriger Erfahrung sind. Ihr Menschen haltet uns Pferde für dumm, und doch sind wir in der Hauptsache viel gescheiter als ihr. Wir werden durch Schaden klug und geduldig, ihr Menschen aber nicht.«

»Einzelne von uns schlagen bisweilen aus gegen Mißhandlung und Verkennung; aber wir merken mit der Zeit, daß es nichts nützt, und ergeben uns in unser Schicksal.«

»Ihr Menschen jammert und murrt und klagt ohne Aufhören über widrige Schicksale und schlechte Behandlung; wir aber stehen schließlich all diesen Dingen gegenüber, wie ich auf dem Franziskanerplatz zu Freiburg im Breisgau. Wir lassen Gottes Wasser über Gottes Land und Regen und Schnee, Sturm und Wetter, Schläge und Flüche über unsern Leib gehen mit der gleichen Gemütsruhe, die diesen Dingen gegenüber das Brachfeld zeigt.«

»Ich hebe höchstens ein- oder das anderemal meine Beine in die Höhe, wenn mein Rheumatismus zu stark wird; aber sonst schweige ich und beuge meinen Nacken vor dem Unabänderlichen.«

»Mach es auch so! Du bist ein großer Murrer und Klager, löckst allzeit gern gegen den Stachel und siehst wenig friedliche Tage. Lerne von mir, dessen resignierte Haltung dir so imponiert!«

»Auch ich bin Pessimist, wie du, und hab' wahrscheinlich noch mehr Grund dazu; aber glaube mir, dem Schicksale gegenüber so hinstehen, wie ich hinstehe vor deinem Fenster, das ist die einzig wahre und erlösende Philosophie.«

»Heldentum heißt pfeifen, pfeifen auf die ganze Welt und auf die Tyrannen in ihr, auf die Menschen.«

»Und nun will ich dir weiter erzählen aus meiner Jugendzeit.«

»Als wir zwei in den schön getäfelten Stall des Bankiers kamen, und jeder einen eleganten ›Stand‹ mit emaillierter Krippe bekam, waren wir fröhlich wie Kinder und glaubten, es breche jetzt eine neue, schönere Zeit für uns an.«

»Wir trafen im Stalle noch ein Reitpferd des Bankiers an, einen Braunen, der uns ziemlich verächtlich ansah, als wären wir Pferde zweiter Klasse, oder Bauern einem Baron gegenüber.«

»Er würdigte uns die ersten Tage keines Wortes und keines Blickes. Aber eines erfuhren wir trotzdem bald, daß es auch beim Bankier nur schmale Kost gab und man sich auch bei ihm die Zeit nicht mit Fressen vertreiben konnte, wie in einem Bauernstalle.«

»Bei unsereinem ist aber das Futter das Entscheidende, wie bei euch Menschen der Brotkorb, nach dessen Inhalt sich auch bei euch die Lust am Leben regelt.«

»Das lernte ich alsbald bei unserem Kutscher kennen. Er hatte freie Wohnung, hundert Mark monatlichen Gehalt und Livree, dazu ein Weib und fünf Kinder. Der Mann wurde seines Lebens nicht froh und war meist in gedrückter Stimmung.« –

»Es war Winter, als wir beim Bankier eintraten. Es kamen die Bälle, die Theater und die Abendgesellschaften. Wir mußten jeden Abend die Herrschaft zu irgend einer dieser Vergnügungen bringen und tief in der Nacht sie wieder holen.«

»Stundenlang hielten wir in Kälte und Schnee und warteten und froren, bis es der Herrschaft gefällig war, heimzufahren.«

»Der Kutscher saß schweigend und grimmig da, einen Pelzkragen um den Hals, Hunger im Leibe und Flüche auf der Zunge über seine elende Existenz und über die Ueppigkeit der oberen Zehntausend.«

»Wir vernahmen seine Stimmung und teilten sie vollauf. Nie wird ein armer Teufel ingrimmiger über sein Los, als wenn er draußen stehen und frieren muß, während andere drinnen im Ueberfluß schwelgen.«

»Jetzt trug ich das lang ersehnte, mit Silber beschlagene Geschirr; aber es half mir nichts gegen Kälte und Hunger. Wenn wir noch so spät heimkamen, gab's kein Futter mehr. Die Rationen waren dem Kutscher zugewogen, und es gab keine Extrafütterungen.«

»Ein Bauer, wenn er spät heimkommt mit seinem Gaul, wirft ihm wenigstens noch Heu für die Nacht in die Raufe. Herrenleute, die gesättigt von Feinschmeckereien und Champagner um Mitternacht heimfahren, kümmern sich keinen Teufel um den Hunger und den Durst ihrer Pferde und ihres Kutschers und dessen Familie.« –

»Als es Frühjahr geworden war im Lande, machten wir auch Ausfahrten hinüber ins Badische, wo unser Herr ein Gut am Rebgebirg unterhalb Offenburg besaß.«

»Wir kamen dabei jeweils durch meine alte Heimat, durchs Hanauerland. Dort sah ich die Pferde gemütlich mit dem Pflug über die Aecker ziehen in frischer Morgenluft, während wir in Staubwolken dahinrasen mußten. In Wehmut gedachte ich der Mahnungen meiner guten Mutter und seufzte: ›O selig, ein Bauernpferd zu sein!‹«

»Wenn wir dann am späten Abend heimfuhren durch die Dörfer des Hanauerlandes, war alles in süßer Ruhe, Menschen und Tiere, Wir aber mußten rastlos in die Nacht hinein rennen.« –

»Das Reitpferd neben uns spielte lange Zeit den Baron und verkehrte nicht mit uns, weil es bessere Tage sah und nicht so viele und keine bis nach Mitternacht dauernde Dienste leisten mußte.«

»Es wurde aber bald demütiger. Eines Tages kam der Herr mit ihm von einem Spazierritt zurück, und als er abgestiegen war, sprach er zu unserm Kutscher: ›Der Hektor – so hieß der Braune – muß mir jetzt auch bald aus dem Stall; er geht nicht mehr gut und stolpert oft.‹«

»Darob ergrimmte der Hektor und war nun froh, seinen Grimm uns mitteilen zu können. Er wurde fortan gesprächig und schimpfte über den Undank der Menschen. ›So lange man jung und gesund ist, ästimieren sie uns,‹ meinte er; ›sobald aber ihre Selbstsucht und Eitelkeit ins Spiel kommen, sind wir ihnen im Wege. Wenn unsereiner vor Müdigkeit und Hunger, oder weil der Reiter den Zügel nicht festhält, stolpert, so ist das Ehrgefühl des Reiters verletzt, und wir müssen es büßen.‹«

»›Und doch, was wären die Menschen ohne das Pferd?‹«

»Und nun erzählte er uns die ganze Geschichte unseres Geschlechtes. Er war einige Zeit von dem Schwiegersohn unseres Bankiers, einem Universitätsprofessor der Zoologie, geritten worden und hatte dabei in Bälde dessen ganze Gelehrsamkeit in sich aufgenommen.«

›Unsere Heimat ist‹ so fing der Hektor zu erzählen an, ›wie die des Menschen, Asien, wo die Perser die ersten Pferdezüchter waren und ihre Tiere hoch in Ehren hielten.‹

›Weiße Pferde wurden göttlich verehrt bei den Heiden. Die alten Deutschen hielten solche in ihren heiligen Hainen. Ihr Wiehern und Schnauben galt als Prophezeiung. Allgemein glaubten die alten Völker an unsere Prophetengabe, an unsere Ahnungen und an unser Geistersehen.‹

›So groß war unser Ansehen und unsere Ehre im Heidentum, während wir im Christentum schlecht und bei den spezifisch katholischen Völkern am schlechtesten behandelt werden.‹« –

»Der Russe und ich horchten, staunten und seufzten, da unser Hektor so redete, und bedauerten, nicht früher gelebt zu haben. Dem Hektor aber gaben wir fortan aus Respekt vor seinem Wissen den Namen ›Professor‹.«

»›Nichts wären die Menschen ohne uns,‹ so sprach oft unser Professor. ›Wir haben ihnen im Altertum und im Mittelalter allein das Reisen ermöglicht. Alles, was jetzt die Eisenbahnen leisten, haben früher wir vollbracht.‹

›Wir führen ihnen heute noch alle Materialien zum Bau ihrer Häuser herbei, sowie das Holz, mit dem sie kochen und heizen.‹

›Wir haben ihnen geholfen ihre Schlachten schlagen. Denn was wären sie ohne Reiterei?‹

›Wie viele von ihnen verdanken das Leben ihren Rossen!‹

›Wie viele von ihnen sehen nur was gleich, wenn sie zu Pferde sitzen!‹

›Um wie viel übertrifft bei zahllosen dummen Gänsen ein reitender Leutnant einen solchen zu Fuß!‹

›Wie viele Esel unter den Menschen sitzen zu Pferd, während die gescheiten Leute zu Fuß gehen müssen!‹

›Wie viele von den obern Zehntausend haben nur Sinn für Pferde und Weiber! Hatte nicht selbst ein Salomon 40 000 Pferde und 1000 Weiber!‹

›Was wären Fürsten und Fürstinnen, wenn sie nicht reiten und fahren könnten und zu Fuß gehen müßten unter der sie umdrängenden und anhochenden Menge!‹

›Fürsten, die nicht auf dem Throne sitzen oder von Pferden getragen und gezogen werden, gleichen auf der offenen Straße Adlern, die über ein Brachfeld gehen, von Mücken umschwärmt.‹

›Der Adler imponiert nur in den Lüften, die Fürsten nur auf Thronen, in Wagen und auf Pferden.‹

›Was wären die Stiftungstage der Korps und Burschenschaften in den Universitätsstädten ohne die Pferde!‹

›Und wie helfen wir der menschlichen Ordnung und Gerechtigkeit durch die berittenen Gendarmen, von denen jeder einzelne – zwanzig Schutzmänner zu Fuß aufwiegt!‹

›Die größte leibliche Wohltat der Neuzeit vollends verdanken die Menschen uns Pferden. Das Heilserum, welches alljährlich Hunderten und Tausenden von Kindern das Leben rettet und sie vor dem sichern Tode bewahrt, das verdanken sie dem Pferdeblut!‹

›Und selbst wenn sie sterben, diese Undankbaren, müssen wir ihnen in den Städten noch die letzte Ehre geben. Was wären ihre Leichenwagen, wenn statt der Pferde Esel oder Menschen sie zögen!‹«

»So und ähnlich sprach unser Hektor, und der Russe und ich kamen aus dem Staunen und Seufzen nicht heraus. Unser Ingrimm über euch Menschen wuchs, aber er konnte uns nicht helfen.« –

»Nach einigen Wochen erschien eines Tages der Jude Levi, brachte ein neues Reitpferd und nahm den gelehrten Braunen weg. Wir werden ihn später nochmals treffen.«

»Aber da kommt schon wieder mein Milchmann. Ich muß heim; ein andermal Fortsetzung.«

 


 << zurück weiter >>