Heinrich Hansjakob
Aus dem Leben eines Vielgeprüften
Heinrich Hansjakob

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2

Man spricht in unseren Tagen so viel von drahtloser Telegraphie als der neuesten Erfindung, und doch ist sie so alt als die Menschheit. Die Gefühle des Hasses und der Liebe, der Sympathie und der Antipathie sind nichts anderes als die drahtlose Telegraphie von Herz zu Herz, von Aug zu Aug.

Dieselbe besteht und wirkt seit dem Tage, da ich ihm seine Decke auf den Rücken gelegt, auch zwischen mir und dem alten Rotschimmel vor meinem Hause. Auf dem Wege dieser Telegraphie hat er mich alles aus seinem Leben wissen lassen.

Kaum merkte er am ersten Morgen nach unserer näheren Bekanntschaft, daß der elektrische Strom meiner Sympathie zu ihm gedrungen sei, als es aus seinen Mienen zu telegraphieren begann. Die Chiffren lauteten, von mir übersetzt, etwa also:

»Du am Fenster und ich am Milchkarren sind beide Melancholiker, weil uns der Himmel der Jugendzeit längst verschlossen ist. Du träumst wehmütigen Blickes am Fenster oft von der seligen, goldenen Jugendzeit, und ich senke, bei allem Wetter auf dem Franziskanerplatz stehend, trübsinnig mein Haupt und denke zurück an die einzigen schönen Tage, die ich hienieden verlebt, an die meiner Fohlenzeit.«

»Von ihnen will ich dir drum zuerst erzählen.«

»Du kennst das Hanauerland, jenes üppige Fruchtland, das vom Rhein bespült und von deinem heimatlichen Kinzigflusse am Ende seines Lebens durchzogen wird; du kennst auch das kerngesunde, stattliche Völkchen, das dort wohnt und in seiner malerischen Tracht sicher dein Herz schon längst gewonnen hat.«

»Bisweilen sehe ich auch hier eine Hanauerin mit ihrem prächtigen Kopfputz an mir vorübergehen, und jedesmal gedenke ich wehmutsvoll der Jugendzeit, die ich bei den Hanauern verlebt, und ihrer schönen Heimat, die auch die meinige ist.«

»Das Licht der Welt im wahren Sinne erblickte ich zum erstenmal an einem schönen Frühlingstage Ende der achtziger Jahre, als ich, an der Seite meiner Mutter vor Freude aufhüpfend, in Gottes freie Natur kam.«

»Alles grünte und blühte. Die Vöglein sangen in Hurst und Wald, die Schwarzwaldberge grüßten von der Ferne herüber ins Hanauerland, und fröhlich und friedlich gingen die Menschen an die Arbeit.«

»Meine Lust am Leben erwachte ins Ungemessene, da ich, aus finsterem Stalle kommend, die Welt zum erstenmal im Frühling sah. Ich merkte, voll von meinem Jugendglück, die Mühe und den Schweiß meiner Mutter gar nicht. Sie zog neben mir einen schweren Pflug durch schweres Erdreich. Ich achtete auch nicht auf die Peitschenhiebe, welche ihr von Zeit zu Zeit unser Herr, der Bauer, versetzte, um sie anzutreiben.«

»Ich hab' aber gesehen, daß ihr Menschen es auch so macht, wie ich, der ich in meinem Fohlenglück die Not der Mutter nicht beachtete. Eure Kinder spielen auch und sind fröhlich, während die Eltern arbeiten, sorgen, sich grämen und weinen und den Kleinen nichts sagen von ihren Leiden.«

»Auch meine Mutter schwieg lange Zeit, weil sie mein Jugendglück nicht stören wollte. Und so hüpfte ich denn neben ihrer harten Arbeit und ihren schmerzenden Peitschenhieben her, sorglos und heiter, wie nur die Jugend sein kann.«

»Das Leben kam mir immer schöner vor, je mehr die Erde mit Blumen sich schmückte, je üppiger die Saaten aufgingen und je schneller meine Lebenskräfte anwuchsen. Wie toll sprang ich in jugendlichem Uebermut über Stock und Stein, über Gräben und Bäche.«

»Ich war zudem der Liebling der ganzen Hauauer Bauernfamilie. Alles liebkoste mich: Kinder, Mädchen, Burschen, auch der Bauer und sein Weib. Das letztere hatte stets ein Stück Brot, mit Salz bestreut, für mich parat, wenn ich aus dem Stalle kam.«

»Ich weiß nicht, war es Eifersucht oder Wohlwollen meiner Mutter; aber nachdem sie die Liebkosungen, welche ich erfuhr, lange genug angesehen, sprach sie in einer hellen Mondnacht, die von ihrem Silberlicht auch etwas in den Stall warf, also zu mir: ›Kind, traue den Menschen nicht! Ihre Liebkosungen sind eitel Selbstsucht. Sie hegen und pflegen dich, um später ein schön Stück Geld für dich zu bekommen, oder um in ihrem harten Dienst dich gut verwenden zu können. Du hast das muntere Kälblein gesehen, das in unserem Stalle stand. Aus seinen Augen sprachen Unschuld und Güte, und es hüpfte auch wie du. Was ist aus ihm geworden? Dem Schlächter hat es der Bauer zum frühen Tode überliefert für schnödes Geld. Du hast die Wehrufe von Mutter und Kind gehört, als das Kälblein fortmußte zur Schlachtbank. Und wenn sie dich nicht für größeren Gewinn leben ließen und wenn Pferdefleisch bei den Menschen so beliebt wäre wie Kalbfleisch, so würdest du auch schon des gleichen Todes gestorben sein‹«

»Diese Worte gaben mir einige Tage zu denken. Doch in des jungen Fohlen-Lebens Lust gingen sie bald wieder unter.«

»Bald darauf sprach der Bauer im Stalle davon, mich auf die Fohlenweide zu bringen, hinauf ›in die Baar‹. Er hatte dies Vorhaben dem Knecht gegenüber geäußert und meine Mutter es wohl verstanden.«

»Als wir wieder allein waren und ich sie fragend anschaute, meinte sie: ›Zu meiner Zeit hat man nichts von Fohlenweiden gewußt. Da wurde ein junges Pferd ausgebildet und erzogen neben der Mutter her. Jetzt hat man eigene Stationen errichtet, wie Schulen, in denen die Fohlen aufwachsen und sich ausbilden sollen. Diese Ausbildung aber verdirbt sie. Sie meinen dann, gescheiter zu sein als ihre Eltern und in Herrenställen und bei Stadtkutschern bessere Stellen zu bekommen, als unsereiner bei den Bauern‹«

»›Diese machen es aber mit ihren eigenen Kindern ähnlich. Unser Bauer hat seine Tochter in eine Haushaltungsschule geschickt. Seit ihrer Rückkunft will sie aber keine Kuh mehr melken, kein Schwein mehr füttern und keine Mistgabel und keinen Rechen mehr auf die Schulter nehmen‹« –

»Meine Mutter hatte nur zu recht. Ich kam auf die Fohlenweide, tobte aus und kehrte mit großen Dämpfen von meiner Kraft und Schönheit wieder heim.«

»Es war allerdings meine glücklichste Zeit, weil ich allen meinen jugendlichen Launen freien Lauf lassen konnte und mir im Spiel mit Altersgenossen die Tage dahinflogen so schnell, wie wir Fohlen über die weiche Ebene der Baar dahingaloppierten.«

»Aber als ich nach Jahr und Tag heimkam ins Hanauerland, stolz auf meine Ausbildung und meine körperliche Gewandtheit, da fing das Unglück an.«

»Ich sollte arbeiten und war es nicht gewohnt. Bisher war ich frei umhergesprungen; jetzt ward mir ein harter Zaum angelegt, und ich mußte diesem folgen. Tat ich das nicht, so gab es Flüche und Peitschenhiebe in Menge.«

»Und die ordinäre Arbeit, wie meine Mutter sie verrichtete – Dung führen, den Pflug ziehen, Garben und Gras heimschleppen – wie war sie mir, dem stolzen Jungpferd, verhaßt. Ich hielt mich zu Besserem geboren und verwünschte den ganzen Bauernstand um der mir verhaßten Arbeit willen.«

»Ich hatte in der Baar droben die Wagen- und Reitpferde des Fürsten von Fürstenberg gesehen, wenn sie in silberplattiertem Geschirr mit leichter Karosse stolz dahinsausten.«

»Solch ein Pferd wollte auch ich werden, darum ward ich störrig bei jeder gemeinen Bauernarbeit und bekam unzählige Hiebe.«

»Folgsam und gut gelaunt war ich nur, wenn der Bauer mit mir in leichtem Wägele nach Straßburg hinüberfuhr und es der Stadt zuging.«

»Meine Mutter warnte mich vergeblich und sprach oft also: ›Sei zufrieden mit deinem Schicksal als Bauernpferd und wünsche nicht in die Stadt und in Herrendienste zu kommen. Bei den Bauern ist noch das beste Los für unsereins. Man hat bei ihnen immer Heu in der Raufe und ist bei dem schönsten und notwendigsten Beruf der Menschheit tätig, bei der Landwirtschaft. Und ein rechter Bauer hält ein rechtes Pferd allzeit in Ehren und gibt ihm schließlich in alten Tagen das Gnadenbrot.‹«

»›Ein Herrengaul aber dient Leuten, die keinen Dank kennen für ihre Diener. So lange der Gaul schön ist und springt wie ein Reh, gilt er etwas. Hört aber beides auf, so wird er verkauft und seinem Schicksal überlassen.‹«

»›Ein Bauernpferd hat ferner, wenn der Abend kommt, seine Ruhe bis zum Morgen. Herrenpferde dagegen müssen vor Theatern und Ballhäusern oft bis nach Mitternacht auf ihre Herrschaften warten in Wind und Wetter, in Regen und Schnee.‹«

»›Eine Schwester von mir hatte Herrendienst; sie kam später krank und elend wieder in unser Dorf und hat mir all das erzählt.‹«

»›Also glaube mir, folge unserm Bauer und bleib, wo du bist, sonst geht es dir wie meiner Schwester.‹«

»So und ähnlich sprach die Mutter. Aber Jugend und Leichtsinn haben keine Ohren für solche Reden. Auch ich hörte nicht, wie viele vor mir und nach mir, und mußte fühlen.«

»Es überkommt mich bei dem Gedanken an jene Mahnungen der Mutter, die ich nicht befolgt habe, solche Reue, daß ich jetzt nicht mehr weiter erzählen kann.«

»Laß mich drum für heute allein mit meinem Schmerz.«

Der Rotschimmel schwieg und senkte, Tränen in seinen großen Augen, kummervoll sein Haupt. –

 


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