Hans von Hammerstein
Die blaue Blume
Hans von Hammerstein

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Sonne tat eben den ersten Strahlenblick über die bewaldeten Gipfel, da trat eine Kammerfrau in das Schlafgemach der Prinzessin, um sie zu wecken. Die aber hatte die halbe Nacht kein Auge zugetan und saß schon verweint auf dem Bettrande, traurig vor sich hinblickend. Draußen trugen die Mägde das Wasser für das Bad herbei. Und als sie es ins marmorne Becken gossen, rief die eine plötzlich: »Sieh' da hat sich ein Stück Schilf in den Brunnen verirrt.« »Nein, eine welke Seerose ist's,« meinte die andere und fing's aus dem Wasser. »Was habt 113 ihr da?« fragte die Prinzessin, die eben hinzutrat. Und wie ihr die Magd die Pflanze hinreichte, erkannte sie plötzlich an den goldenen Fäden, die aus der welken Blüte hingen, daß es die blaue Blume war. Sie erstaunte, sagte indes kein Wort, sondern nahm das Gewächs und legte es in eine Fensternische. Und als sie fertig angekleidet und bräutlich geschmückt war, und die Zofe ihr eben noch den langen Schleier und den Myrtenkranz im reichen Goldhaar befestigt hatte, befahl sie der Dienerschaft, sie allein zu lassen. Dann nahm sie die welke blaue Blume und setzte sich in die Nische ans offene Fenster. Draußen war ein prächtiger, frischer Morgen auf das Gewitter gefolgt, und die Vögel 114 sangen lustig in den blühenden Akazien an der Schloßmauer. Unter ihr hielten just zwei Amseln einen Morgenplauder. Die eine sprach: – – –

»Hast du den Klang vernommen?
Heut, wie es tagt', ist er verlor'n
Im Winde übern Wald gekommen.
Das war König Elmreichs Silberhorn.«

Darauf die andere: – – –

»Das war König Elmreichs Silberhorn.
Und hoch über Wipfel und Kluft
Durch die stille Luft
Mit wallendem Mantel und Haaren,
Bogen und Pfeil in der Hand,
Sah ich die Waldkönigin fahren.
Das bedeutet Glück im Land.«

Da flog ein Schwarzblättchen herzu und fiel ein: – – – 115

»Habt ihr den Bräutigam gesehn?
Der geht in Seid und Samt
Und ist so schön
Wie der Morgen, der überm Wald aufflammt.«

Und ein Rotkehlchen rief vom andern Baum: – – –

»Im Kirchlein drunt, wo ich mein Nest gebaut,
Kniet einer seit der Morgen graut, –
Und harrt der Braut.«

Da kam ein Schwalbenpaar durch die Luft geschossen, und vor dem Fenster kreuzend zwitscherten sie: – – –

»Glück zu, Glück zu, lieb Königstöchterlein.
Schmücke dich fein!
Das wird eine fröhliche Hochzeit sein! –« 116

»Das wird eine fröhliche, selige Hochzeit sein!« riefen alle andern Vögel jubilierend im Chor. Und die arme Prinzessin wußte nicht, ob sie lachen sollte oder weinen. Denn ihr mochte die Hochzeit gar nicht fröhlich vorkommen. Gern hätte sie die Vögel noch um den Sinn ihrer seltsamen Lieder gefragt, aber da kamen schon die Hofdamen und meldeten ihr, es sei alles bereit, und der Hochzeitszug ordne sich schon zur Fahrt in die Kirche. Da stand sie auf und legte geschwind die Wunderblume in ihr Gebetbuch. Und ihr Herz überkam auf einmal eine große Freudigkeit, als sollte sich nun alles zum Guten wenden.

Im Schloßhofe glänzte und funkelte es von prächtigen Trachten und 117 Uniformen. Vier-, sechs- und achtspännige Wagen rollten vor und ab, voran fuhren die Hofleute, die Gäste und die Geistlichkeit, dann kam der Prinz und der König und zum Schlusse fuhr der Brautwagen, der ganz weiß und mit Gold verziert und mit Blumengewinden geputzt war und den acht spanische Schimmel zogen.

Vor dem stillen Waldkirchlein, wo die Trauung stattfinden sollte, hatte sich schon eine große Menge Neugieriger gesammelt. Die Kirche selbst war noch leer. Nur die Sänger standen an der Orgel und einige Diener liefen musternd und ordnend die geschmückten Bänke entlang. Und rückwärts in einer Ecke kniete ein Mann, der war ganz in einen grauen 118 Mantel gehüllt. Die Diener hielten ihn für einen Pilgrim, der wohl die Nacht schon in der Kirche zugebracht hatte. Nun fuhren die Wagen nach und nach vor und die Bänke füllten sich mit vornehmen Leuten. Und als jetzt ein gewaltiges »Vivat«-Rufen draußen die Ankunft der Braut verkündete, erhob sich der Mann im grauen Mantel, der die Kapuze tief über die Augen gezogen hatte, und trat in den mittleren Kirchengang, seine Blicke nach dem Eingange richtend. Hier erschien nun unter den Klängen der Orgel das Brautpaar und der König. Alles trat ehrerbietig zur Seite, um den Weg zum Altare, der über einen blumenbestreuten Teppich führte, frei zu machen. Nur der graue Pilger stellte sich mitten 119 auf denselben und wich auch nicht, als ihn ein Hofkavalier in eine der Bänke hineinziehen wollte. Das Brautpaar war indessen schon nahe an ihn herangetreten, da fuhr der Prinz plötzlich erbleichend zurück, denn der Graue hatte die Kapuze etwas zurückgezogen, und er erkannte nun Peters Gesicht. Auch die Prinzessin erkannte ihn und erschrak, da sie ihn in so sonderbarem Aufzuge erblickte, und der König runzelte finster die Stirn und wollte eben den Befehl geben, daß man Peter mit Gewalt entfernen sollte, als dieser den Mantel auseinanderschlug und abwarf und in seiner ganzen funkelnden Pracht vor ihnen stand. Der König wußte sich vor Erstaunen kaum zu fassen, den Prinzen wollte eine neuerliche Ohnmacht 120 ankommen, denn er glaubte nun nicht anders, als daß er einen ebenbürtigen und vielleicht weit mächtigeren Rivalen hatte um sein Recht betrügen wollen. Die Prinzessin aber stieß einen leisen Freudenschrei aus, denn nun wußte sie, was die Vögel so fröhlich von einer schönen Hochzeit gesungen hatten. Rings durch die Kirche ging eine mächtige, murmelnde Bewegung, die Sänger brachen mitten im Lied ab, die Orgel hörte auf zu spielen, aller Augen richteten sich auf die wunderbare Erscheinung. Und Peter sprach mit fester, klarer Stimme zum Prinzen: »Prinz Eustachius, gebt mir die blaue Blume zurück, die Ihr mir geraubt habt.« Wieder ging ein Murmeln durch alle Bänke. Dem Prinzen war es, er müsse in den Boden versinken 121 vor Scham, und seine letzte Kraft zusammennehmend rief er: »Aus dem Wege, elender Schreiber! Es ist alles Lug und Trug, was Ihr behauptet. Ihr habt Euern Lohn empfangen. Glaubt Ihr, wir würden Euch wegen Eures Fastnachtsputzes für einen Fürsten halten? Platz, oder Eure letzte Stunde hat geschlagen!« Und schon drängten sich die Höflinge heran, um Peter zu ergreifen. Da setzte dieser das Silberhorn an den Mund und stieß hinein, daß von dem hellen Klange das Gewölb widerhallte. Und siehe, an den Wänden erhob sich ein Rasseln, wie von Schwertern, Sporen und schweren Rüstungen, denn die alten Ritter, die da in Marmor gehauen über ihren Grüften standen, wurden lebendig und kamen von allen 122 Seiten wuchtigen Schrittes herbei und scharten sich kühnblickend um Peter, daß die Hofleute entsetzt zurückwichen. Und der Prinz fiel vor Schrecken um und wurde von den Seinigen hinausgetragen. Da rief der König verwundert aus: – – –

»Wer bist du, mächtiger Königssohn?
Wo ist dein Reich, dein Szepter und Kron'?«

Und Peter antwortete: – – –

»Mein' Kron', die ist ein Lorbeerkranz,
Mein Szepter ist ein Wanderstab.
Mein Reich ich selbst gebaut mir hab.
Das ist aus lauter Sonnenglanz,
Aus Mondenschein und Frühlingsduft,
Liegt auf den Wolken hoch in der Luft.
Mein Vater, das ist der Sonnengott, 123
Meine Mutter ist Frau Morgenrot,
Meine Brüderlein und Schwesterlein,
Das sind die Sterne groß und klein.
Frau Venus vor allen in ihrer Pracht
Leucht't mir zu mancher schönen Nacht.
Waldvöglein meine Boten sind,
Meine Rosse die frischen Sausewind'.
Schatzmeister sind im Berge
Die emsigen kleinen Zwerge.
Meine Hofleut' die zarten Elfen,
Die sollen meinem Bräutlein dienen und helfen.
Wohlan, du Königstöchterlein,
Willst du's sein?
Schlag ein!«

Und er hielt der Prinzessin die Rechte hin. Diese hatte indes die blaue Blume aus ihrem Gebetbuche genommen und gab sie ihm nun, und wie er 124 das welke Kraut mit dem Finger berührte, da war die Blume auf einmal frisch und schön, als wäre sie eben erst gepflückt worden. Peter hingegen zog einen der Ringe von seiner Hand und steckte ihn der Prinzessin an den Finger. Der König ließ es ruhig geschehen, da er wohl sah, daß Peter ein rechter Prinz von Gottes Gnaden war, dem der Himmel mit großen Wundern zu Hilfe kam. Und als er nun Peter und die Prinzessin bei der Hand faßte und zum Altare führte, da ging eine wunderbare Musik am Chore an, denn alle die kleinen hölzernen Blasengel an der Orgel waren lebendig geworden und spielten auf ihren Instrumenten und sangen himmlische Lieder dazu, und die Orgel begann von selbst 125 dazu zu spielen; denn der Kantor, der sie sonst meisterte, stand noch immer mit seinen Sängern an der Brüstung und gaffte hinunter. Vom Altare aber stieg der heilige Paulus, der da schön gemeißelt und gemalt in einer Nische stand, herab und schritt, seinen schleppenden Mantel zusammenraffend, das Schwert in der Hand, zur Kanzel und bestieg dieselbe. Als das der heilige Petrus sah, der auf der andern Seite in einer Nische thronte, wurde er gleichfalls lebendig, erhob sich von seinem Stuhle, auf dem er mit überschlagenen Beinen gesessen hatte, legte die Schlüssel weg und begann die Messe zu lesen, und die Geistlichen eilten aus der Sakristei herbei, um ihm zu assistieren. Nach dem Evangelium hielt der heilige 126 Paulus eine wunderschöne Predigt über die blaue Blume, die so recht das Bild der göttlichen Gnade sei, die rings in der sichtbaren und unsichtbaren Natur blühe, und die jedem zuteil würde, der sich an Gottes Wunderwerken mit reinem Herzen und rechter Liebe erfreue, und die dem Demütigen und Einfältigen mehr Macht und Reichtum verleihe, als die schwerste Königskrone es vermöchte. – Und alle lauschten andächtig und sprachen tiefgerührt: »Vergelt's Gott!« als er geendet hatte und wieder herunterstieg und sich in seine Nische stellte. Wie aber der heilige Petrus nach vollendetem Hochamte die Monstranz aus dem Tabernakel hervorholen wollte, da stieg die Muttergottes selbst aus dem großen 127 Altarbilde in ihrem weiten Sternenmantel mit dem Kindlein auf den Armen herab, und dieses segnete lächelnd das Brautpaar und die ganze Gemeinde. Nun nahm der heilige Petrus die Trauung vor, und nachdem er die Brautleute gefragt, ob sie einander wollten, und diese aus Herzensgrund »Ja« gesagt hatten, schloß er mit seinem Himmelsschlüssel den Bund ihrer Herzen. Darauf sprach die Muttergottes zu Peter: »Nun gib mir die blaue Blume. Ihr braucht sie nicht mehr; wer sie einmal gefunden hat, dem ist fürderhin die Sprache der Natur nichts Fremdes. Sie könnte aber leicht in unrechte Hände kommen, und möchte viel Unheil und Böses mit ihr angerichtet werden.« Da gab ihr Peter die blaue Blume, und die 128 Jungfrau segnete das glückliche Paar noch einmal, küßte auch Florigundis auf die Stirne und stieg wieder in ihren Goldrahmen hinauf. Auch der heilige Petrus begab sich zu seinem Stuhl, setzte sich, schlug die Beine übereinander, und ward Stein. Die Ritter stellten sich über ihre Grüfte und falteten die Hände über dem Schwertgriff, die Engel hörten zu spielen und zu singen auf, die Orgel zu klingen und alles war wie vorher. Da gingen alle aus der Kirche und vor dem Tore stand das Volk und rief »Vivat« ohne Ende. Peter umarmte seine Florigunde, die lachte und weinte vor Freude. Und der König lachte, daß alles so gut ausgegangen. Und als Peter nun in sein Horn stieß, da kamen von allen Seiten die Vögel 129 und Tiere des Waldes herbei und huldigten dem jungen Paare zum großen Erstaunen der Leute, die nun erkannten, daß es König Elmreichs Horn wäre und die uralte Sage in Erfüllung gegangen war. Und nun wurde eine lustige Hochzeit gefeiert, bei der es hoch herging. – – –

Der Prinz Eustachius hatte sich, nachdem er wieder zu sich gekommen war, samt seinen Leuten auf und davongemacht. Nur der arme Magister war im Turme zurückgeblieben. Der König, dem nun Peter die ganze Geschichte erzählt hatte, ließ ihn holen, und da hatte er nun zu allem Schaden noch den Spott, denn das Volk setzte ihm eine Schellenkappe auf, gab ihm einen alten Besen in die Hand, hob ihn auf 130 einen Esel, so daß er mit dem Gesichte nach hinten saß und sich am Schweife festhalten mußte, und so wurde er unter Spott und Hohn herumgetrieben. Und die Kinder sangen ein Lied auf ihn, das fing an: – – –

»Es war ein Doktor einst, der wollt'
Sich machen einen Sack voll Gold.
Hei! Doktor im Hungerturm! – usw.«

Und das ärgerte den Magister am allermeisten. Auf Peters Fürsprache jedoch wurde ihm eine Pension ausgesetzt, und er lebte von da ab ganz klein und verborgen in einem Häuschen hinterm Walde und ging in sich und tat noch viel Gutes, indem er arme Leute kurierte, wenn sie noch zu kurieren waren. Peter aber lebte 131 mit der Prinzessin Florigunde glücklich und zufrieden. Seine Eltern ließ er in einer prächtigen Hofkarosse holen, und sie wohnten bei ihm bis an ihr Ende. Und seine stolzen Brüder wurden seine Hoflieferanten. Nach dem Ende des alten Königs bestieg Peter den Thron und herrschte weise und gerecht, und Kunst und Wissenschaft blühten unter seinem milden Szepter. Und bei Todesstrafe verbot er, schöne Wälder des Gewinnes wegen zu verwüsten, oder ehrwürdige alte Bäume zu fällen. Die blaue Blume aber hat die Muttergottes wieder in den Wald getragen und irgendwo eingepflanzt. Da blüht sie still und schön weiter, und wer sie finden will, der zieh aus und suche.

 


 


 << zurück