Hans von Hammerstein
Die blaue Blume
Hans von Hammerstein

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Des Abends gab es ein großes Tanzfest bei Hofe. Da vergnügten sich die Hohen und Vornehmen im prächtig erleuchteten Saale auf den spiegelnden Parketten, wie sich am Tage das gemeine Volk auf der grünen Wiese vergnügt hatte. Peter hatte vom Haushofmeister schöne Kleider bekommen, in denen er sich wohl gefiel, und in einer der hohen Flügeltüren des Saales stehend blickte er in das glänzende Gewirre der Fräcke und Schleppen, durch welches Orden, Diamanten und lustige Augen aufblitzten, hinein. – – – 36

Da flog einmal die Prinzessin mit dem Prinzen Eustachius im Tanz an ihm vorbei. Über die Schulter des Prinzen weg sah sie Peter an und wendete sich im Weiterdrehen nochmals nach ihm herum. Nicht lange darauf kam auch schon ein Hofkavalier steif und gemessen auf Peter zugeschritten, und flüsterte ihm wichtig ins Ohr, Ihre Hoheit geruhe ihn zu einem Tanze zu befehlen. Hocherfreut fuhr Peter auf, überrannte schier den vor ihm stehenden Höfling und ging durch den Saal auf die Estrade los, auf der die hohen Herrschaften Platz genommen hatten. Die Prinzessin Florigunde, als sie ihn kommen sah, erhob sich und ging die Stufen hinunter ihm entgegen. Sie war gar lieblich anzusehen im weißen duftigen Kleid 37 mit rosa Bändern, im Haare ein funkelndes Diadem und die schlanke Gestalt wie mit Diamanten überstreut, so daß sie einem blühenden Apfelbäumchen ähnlich war, welches voller Tauperlen in der Morgensonne steht. Und wie ihr Peter nun die Hand reichte, da wurde ihm doch ein wenig bänglich zumute. Er fühlte hundert Augen auf sich gerichtet und der weite Tanzboden spiegelte wie Glatteis. Und so tanzte er ein wenig scheu und zaghaft, was aber der Prinzessin über die Maßen zu gefallen schien, denn sie lächelte ihn in einem fort an, er aber bemerkte es nicht, denn er hatte die Augen niedergeschlagen, als sollt' er geblendet werden, wenn er ihr ins Antlitz sähe. Und nach vollendetem Tanze führte er sie wieder zur Estrade 38 hin, machte seine tiefste und schönste Verbeugung und eilte, wie ein Verfolgter, zum Saale hinaus, setzte sich draußen im Gange, den nur der Mond beleuchtete, in eine Fensternische und sah verträumt in die weite, stille Landschaft hinunter, die wie von Silber übergossen war. Sein Herz schlug ihm bis an den Hals, als wär er einen Berg hinaufgelaufen und in seinen Armen hatte er ein Gefühl, als hätte er den ganzen Frühlingshimmel mit all seinen leuchtenden Sternen und dem schönen, sanften Maimonde darin umarmt; und wieder kam es ihm vor, er hätte sich zu einer zarten weißen Blume geneigt und ihren süßen Duft eingesogen; aber er durfte es nicht wagen, die Blume zu berühren oder auch nur recht nahe 39 anzusehen. So saß und träumte er und wurde erst emporgeschreckt, als alle Gäste mit großem Lärm aus dem Saale traten, und die Diener mit Mänteln und Windlichtern hin- und herliefen, denn das Fest war vorüber. Da machte auch er sich auf und ging rasch durchs Gedränge und durch die anrollenden Wagen über den Hof in den entfernteren Flügel des Schlosses, wo ihm ein schönes Zimmer mit einem mächtigen Himmelbette zugewiesen worden war. – – –

Peter ging zu Bette, aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Der weiße Mondschein floß durch die hohen Fenster zwischen den Vorhängen herein und spielte seltsam über die Goldleisten der zierlichen Sessel und die 40 Blumengirlanden der Tapeten. Nichts rührte sich, nur die Uhr vor dem Spiegel tickte einförmig fort und fiel mit einem flötenden Menuett ein, als sie Eins schlug. Da fingen Peters Gedanken von neuem zu tanzen an und wurden immer seltsamer und schwankender, und schließlich war es ihm, er tanze wieder mit der Prinzessin durch einen langen Saal, an dessen Decke die Sterne sich drehten, und im Vorübertanzen bückte sich plötzlich die Prinzessin, pflückte eine wunderbare blaue Blume und hielt sie ihm lachend hin. Und in seiner Freude drückte Peter die Prinzessin fest an sich und küßte sie auf ihren roten Mund, daß es ihm ganz rosenrot vor den Augen wurde. Da aber tauchte plötzlich der Magister mit einer entsetzlich langen Nase vor 41 ihm auf und rief: »Osculum scandalosissimum!« und holte mit seinem Stöcklein zum Schlage aus. Mit einem Rucke erwachte Peter, und um ihn war es wirklich ganz rosenrot, denn Aurora glühte bereits durch die Fenster. Da sprang er auf, und wie er draußen den Himmel so prächtig in Feuer sah, befiel ihn eine große Lust, in den Morgen hinauszuwandern und die Welt im Augenblicke des Erwachens zu begrüßen, wo sie am allerschönsten und wundersamsten ist, wie ihm das seine Reise oft gelehrt hatte. Rasch kleidete er sich an und schritt durch die hallenden Gänge in den Garten hinaus, wo schon die Vögel zu Gottes Lob Tagwache sangen und alle Bäume erfrischt im Morgenwinde rauschten. Das Schloß mit seinen langen 42 Fensterreihen lag noch tief im Schlummer. Er hätte der Prinzessin gar zu gerne ein Morgenständchen gebracht, wenn er nur ihr Schlafgemach gewußt hätte. Sein Herz war ihm recht zum Singen gestimmt, und so sang er, während er das Schloß entlang aufs Gartentor zwischen den blühenden Beeten und plätschernden Springbrunnen zuschritt: 43

»Im Nebel tief noch schlafen
Die Täler stumm und tot,
Hoch in den Wolkenschafen
Blüht schon das Morgenrot.

Die braunen Berge steigen
Ins Zwielicht seltsam verwacht;
Sie träumen noch und schweigen
Von den Wundern der Vollmondnacht.

Und frisch zum Wandern laden
Lerchen und Wachtelschlag.
Es wird voll Lust und Gnaden
Ein rechter Gottestag!« 44

Und das Liedchen drang hinauf und fand den Weg durchs offene Fenster zum Ohre der Prinzessin, die schon erwacht in ihrem blauseidenen Himmelbette lag und nun schnell aufspringend durch die Gardinen sah, wie Peter eben zum Tore hinausschritt. – – –

Dieser schlug nun den ersten besten Weg ein, der durch die dampfenden Wiesengründe hinüber zu den waldigen Bergen führte. Ihm war's, er müßte vor Freuden den höchsten Gipfel der ganzen Gegend ersteigen, und dort Gott für all das Schöne danken, das er ihm in seiner weiten Welt schon hatte begegnen lassen. Seine Lippen aber, die glühten, als wäre der Kuß der schönen Prinzessin Florigunde eben kein Traum gewesen, und in seiner 45 Brust wühlten tausend fröhliche Klänge bunt durcheinander. Indes hatte die Sonne die Höhen im Osten erstiegen, und eine goldene Lichtfülle durchflutete die steigenden Nebel. Die Runde klärte sich, blitzend von Tau traten die Gebüsche und Bäume hervor und lachend sahen ihm von allen Seiten frische Blumenangesichter entgegen. Hin und wieder, wenn ihm eines der Blümlein besonders schön dünkte, bückte er sich darnach und pflückte es, und mit der Zeit sammelte sich ein ansehnlicher Strauß in seiner Hand. Er aber merkte es kaum, seine Gedanken wanderten weit umher, eine Menge alter Lieder fielen ihm ein, die er leise vor sich hinsang; so kam er endlich zum Walde, der weit seine grünen Arme öffnete und ihn in seinen 46 Wunderschoß aufnahm. Scharen von Vögeln lärmten in den Zweigen, die Sonnenstrahlen spielten duftig durch die Wipfel und streuten goldene Taler auf die breiten Stämme und die seltsamen, großblätterigen Pflanzen zu ihren Füßen. Blumen gab's auch hier genug, zarte weiße Maiglöckchen und blaue Glocken, auch wilde Rosen an den Bäumen hinaufgewunden zwischen Efeu und blühendem Schlinggewächs. Peter griff manchmal mit voller Hand hinein, seinen Strauß zu mehren, dann sah er wieder auf zu den Vögeln und flinken Eichkätzchen oder spähte einem Wilde nach, das durchs Dickicht entfloh. So verlor er sich immer tiefer in die prächtige Wildnis. – – – 47

Ein munter über die Felsen den Hang herabbrausender Bach kreuzte seinen Weg. An seinen Ufern blühten himmelblaue Vergißmeinnicht; sie gefielen Peter besonders, weil sie ihn so schelmisch anblickten, er kniete nieder und beugte sich tief herab, so daß ihm der Bach verwirrend ins Ohr murmelte. Und wie er das erste Vergißmeinnicht brach, da sprach ein feines Stimmchen: – – –

»Wir haben zwei Schwestern
So blau und licht,
Sie glänzten dir gestern,
Spürst du's nicht?« –

»Wohl spür ich's im Herzen mit Lust und Schmerzen,« seufzte Peter, »ihr lieben Blümlein meint wohl die blauen Augen der schönen Prinzessin?« Ihm war's, als sprächen die Blumen noch 48 weiter, aber der Bach plauderte immer lauter dazwischen. »Soll ich dir was ins Ohr sagen?« raunte er. »Nein, ich sag's nicht! ich sag's nicht!« »So sag's doch!« rief Peter. »Hab keine Zeit, mein Weg ist weit,« lachte der Bach und schoß dahin. Da setzte sich Peter an den Bachesrand ins Moos. Seine Gedanken gingen ihm so sehnsüchtig verworren durcheinander, er wußte nicht, ob er wachte oder träumte. – Ein Vöglein schwirrte ihm dicht an dem Kopf vorbei, setzte sich auf einen Stein im Bach, nahm ein Schnäblein voll Wasser, und nachdem es die kühlen Tropfen aufblickend in die Kehle hatte hinunterrollen lassen, sah es Peter schlau an und zwitscherte: »Merkst du's nicht? Merkst du's nicht?« Er tat einen Griff, das Vöglein zu 49 haschen. Das aber war flugs davon und saß hoch über ihm auf einem Aste in der Sonne und kicherte unaufhörlich. »Was der dumme Vogel nur hat?« murmelte Peter in Gedanken verloren. Indem fiel eine Nachtigall seitwärts in einem Busche an und begann zu singen: – – – 50

»Ich sang vor ihrem Fenster,
Ich sang die ganze Nacht,
Bis an den hellen Morgen,
Davon ist sie erwacht.

Sie beugt sich in den Morgen,
Sie flocht ihr goldenes Haar,
Könnt' ich's nur singen und sagen,
Wie schön, wie schön sie war!

Könnt' ich's nur singen und sagen,
Ich säng es immerzu,
O Frühling, leuchtender Frühling
Sie ist noch schöner als du.« 51

Und zwischen jeder Strophe schlug sie einen lauten Triller. »Noch einmal, liebe Frau Nachtigall!« rief Peter freudig und sprang auf. Die Nachtigall aber erschrak und war auf und davon. Und während er ihr verwundert nachsah, kam ein mächtiges Rauschen durch die Wipfel den Berg herunter, wie ein herrlicher Psalm, und als der Windstoß auch die uralte Eiche zu seinem Haupte erfaßt hatte und ihre riesigen Äste hinüberbog, da vernahm Peter aus ihrer Krone plötzlich ganz deutlich die Worte: – – –

»Wohlauf Gesell zu Glanz und Ruhme!
Viel Glück, viel Glück zur blauen Blume!«

Da stand er wie vom Donner gerührt und sah erstaunt an sich herab und 52 über den Boden umher. Auf einmal fiel sein Blick auf den Strauß in seiner eigenen Hand. Er wandte ihn herum, und siehe da, inmitten all der Blüten und Kräuter stak eine große prächtige Blume, mit seltsam geformten tiefblauen Blättern und Staubfäden aus purem Golde. Er hatte sie mit den andern in Gedanken und ohne hinzusehen gepflückt und erst in seiner Hand hatte sich die Knospe voll erschlossen. Ein himmlischer Duft stieg aus ihrem Kelche auf. – Da tat Peter einen Freudenschrei, daß es weit durch den Wald hallte und die Rehe erschreckt aus dem Dickicht empor fuhren, und sprang in wilden Sätzen unaufhaltsam den Berg hinab und durch den Wald hinaus und über Bach und Wiese fort. »Glück auf, Glück auf!« jubelten die 53 Vögel von allen Seiten. »Nimm uns mit, nimm uns mit!« riefen die Blumen und wollten sich um seine Füße winden. Er aber lief querfeldein dem Schlosse zu. Schon sah er die Türme über die Wipfel ragen, und mit einem Jauchzer verdoppelte er seine Sprünge. Da kam ihm auf der Wiese Prinz Eustachius mit seinem Gefolge entgegen. »Was gibt's?« rief ihm der Prinz von weitem zu. »Was rennt Ihr so, als wär't Ihr in ein Wespennest getreten?« – Und Peter, im Stolz und Jubel über seinen glücklichen Fund, rief ihm, ohne sich im Laufen aufhalten zu lassen, zu: »Ich hab' sie, ich hab' sie, ich hab' die blaue Blume!« Kaum aber, daß das Wort seinen Lippen entflohn war, da sprang auch schon der giftige Magister just vor ihm 54 aus einem Busche heraus und stellte ihm ein Bein, daß Peter darüber stolperte und jämmerlich hinschlug. »Packt ihn, bindet ihn!« schrie der Magister wie am Spieß. Die Leute des Prinzen waren inzwischen herangelaufen und warfen sich nun über den armen Peter, der gar nicht wußte, wie ihm geschah, und dem der Kopf brummte von seinem heftigen Sturze. »Gebt die Blume her!« herrschte ihn der Magister an. »Nie und nimmer!« stöhnte Peter. Aber sie entwanden ihm den Strauß, und der Magister stimmte ein häßliches Freudengeheul an, als er die schöne Blume drinn bemerkte. »Gebt sie gutwillig her,« sagte er noch einmal milder, »Ihr sollt Euer eigen Gewicht in Gold dafür haben.« »Nicht für alles Gold 55 der Welt, du scheußlicher Jude!« schrie Peter und machte vergebliche Anstrengungen, sich den Armen der Räuber zu entwinden. Nun war auch der Prinz herangekommen und griff vor allem hastig nach der Blume, die der Magister in der Hand hielt. Als er die schönen Goldfäden in ihrem Kelche sah, wandte er sich zu Peter und sprach: »Ihr könnt von mir verlangen, was Ihr wollt, ich mach Euch zum ersten Granden meines Reiches, wenn Ihr mir die Blume freiwillig gebt.« »Eher laß ich mich bei lebendigem Leibe braten!« ächzte Peter und begann laut um Hilfe zu rufen. Aber der Magister hielt ihm geschwind den Mund zu und befahl: »Bindet ihn, knebelt ihn, – dort im Walde steht ein alter Hungerturm, da hinein 56 mit ihm, bis er zur Raison kommt.« Und die Diener banden ihn mit ihren Leibriemen, der Magister stopfte ihm ein Tuch in den Mund, und flugs hatten sie ihn bei Schultern und Beinen genommen und schleppten ihn, so rasch sie konnten, dem Walde zu. Der Magister rannte voraus und wies den Weg. Beim Turme, der halb verfallen im Gestrüpp auf der Anhöhe stand, angekommen, öffnete er die eisenbeschlagene Tür. Da gähnte ein klaftertiefes Verließ. »Hinein mit ihm!« sagte er, »die Riemen könnt ihr ihm abnehmen, er kann doch nicht mehr herauf und schreien hört ihn hier sobald niemand.« Und sie banden ihn los und ließen ihn am Kragen, wie er sich auch wehrte und strampelte, in das feuchte, finstere Loch hinab 57 und schlugen die Türe zu. »Weh' euch! Verruchte Räuber!« hörten sie ihn noch klagen. Sie aber schoben die verrosteten Riegel vor und zogen befriedigt ab. »So, nun mag er hungern oder dursten, bis er weich wird und einsieht, wie gut wir's mit ihm meinen,« sprach der Magister. »Ihr aber säubert euch, denn wir müssen nun den Prinzen samt seiner Blume im Triumph ins Schloß bringen!« – – – 58

 


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