Hans von Hammerstein
Die blaue Blume
Hans von Hammerstein

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Während sich solches im Felde draußen zutrug, war der König zur Prinzessin gekommen und redete sie also an: »Liebes Kind! Du kannst mit deinen Launen die Leute nun nicht länger zum Narren halten. Des Spiels und der Kurzweil ist's genug; jetzt kommt der Ernst an die Reihe. Der Prinz Eustachius ist der Sohn und Erbe meines mächtigsten Nachbars, mit dem ich mich gut stellen muß. Es ist mein Wunsch, und wenn nötig mein Befehl, daß du ihn heiratest.« »Aber Herr Vater,« entgegnete die Prinzessin erschrocken, »er hat ja die 59 blaue Blume noch nicht gefunden!« »Ach was, mit deiner dummen Blume da,« brauste der König auf. »Das sind ja lauter Schrullen und Phantastereien. Und wenn sie schließlich wirklich einer fände und brächte, weiß Gott, was er für ein Kerl ist. – Aber das sag ich dir, so du mir den Prinzen beleidigst und dazu bringst, daß er im Zorne fortgeht, ich geb dich wahrlich dem ersten besten Schneidergesellen, der zur Tür hereinkommt, ob er die blaue Blume hat oder nicht.« »Ach, vielleicht bringt sie heut der hübsche Schüler! Laß mich doch nur noch einen Tag warten, lieber Vater,« flehte die Prinzessin. »Der Schreiber, der Windbeutel!« polterte der König, »der wär dir wohl recht! Das gäbe eine schöne Geschichte! – Gut, daß 60 du's selber verrätst, daß er dir gefalle. Noch heute soll er des Landes verwiesen werden. Frecher Pöbel! – Reicht man ihm gnädig einen Finger, langt er auch schon nach der ganzen Hand! – Wenn der Prinz zurückkehrt, werde ich ihm mitteilen, daß du bereit seiest, ihn zu nehmen auch ohne blaue Blume. Und damit punktum!« – – –

Schon wollte er majestätisch hinausschreiten, als plötzlich im Hofe ein gewaltiger Rumor losging. »Was gibt's?« rief er zum Fenster tretend, und auch die Prinzessin hielt in den Tränen, die sie zu vergießen begonnen, inne und sah hinaus. Unten aber zog eben Prinz Eustachius, begleitet von einer großen Menschenmenge, triumphierend mit seinem frechen 61 Raube ins Schloß ein. Vorne hüpfte der Magister und trug auf einem weißseidenen Kissen die schöne Blume, rechts und links vor ihm schritten zwei Diener und hielten ausgespannte Sonnenschirme über den kostbaren Schatz. »Mir scheint wahrhaftig, da hat der Prinz deine Blume gefunden!« rief der König freudig aus, als er den Aufzug erblickte. Die Prinzessin wurde bleich bis in die Fingerspitzen und war einer Ohnmacht nahe. Aber da gab's keinen Zweifel mehr. Schon wälzte sich der ganze Schwarm die Treppe herauf, ein Kammerherr stürzte atemlos herein und meldete den Prinzen. Gleich darauf erschien der Magister und tänzelte gebläht wie ein Pfau auf die Prinzessin zu; und vor ihr niederkniend rief er pathetisch 62 aus: »Fortuna ist doch loyal und standesehrlich gesinnt und wohlerzogen in diesem Lande, indem sie den Einzigen, der unter Tausenden der süßen Gunst Ew. Hoheit würdig ist, den glücklichen Fund tun ließ. – Empfangt die vielgesuchte Wunderblume, den ebenbürtigen Bräutigam und mich selbst als Eueren alleruntertänigsten Sklaven, erhabene Prinzessin!« – Auch der Prinz hatte sich nun vor ihr auf die Knie niedergelassen und die Blume vom Seidenkissen nehmend, reichte er sie der Prinzessin, die bleich und zitternd in der Fensternische lehnte und kein Wort der Erwiderung hervorbringen konnte. Endlich faßte sie sich und stammelte, mit den Tränen kämpfend: »Ja, ist es denn wirklich die wahre blaue Blume?« – »Ew. 63 Hoheit geruhen einen Zweifel an ihrer Echtheit zu haben?« rief der Magister aufspringend. Und flugs war er draußen und kam nach einem Augenblicke mit einem Käfig wieder, in welchem zwei Kanarienvögel hockten, und der sonst auf einem Stiegenabsatz zwischen ausländischen Pflanzen stand. »Geruhen Ew. Hoheit die Blume in die allerschönsten Hände zu nehmen und sogleich werden Ew. Hoheit die Sprache dieser niedlichen Tiere vernehmen,« erklärte er. Da nahm die Prinzessin die Blume und näherte sich dem Käfig. Und alle drängten sich dicht heran, neugierig, was geschehen werde. Es geschah aber gar nichts, als daß die Vögel, erschreckt von den vielen Gesichtern und starrenden Augen in ihrer Nähe, scheu an den 64 Käfigstangen herumflatterten. »Laßt sie sich erst beruhigen,« dozierte der Magister, »sie sind eingeschüchtert von so vielen hohen Herrschaften.« Und er setzte den Käfig auf den Tisch nieder und bat die Umstehenden, zurückzutreten. Eine erwartungsvolle Stille trat ein. Endlich begann das Weibchen, indem es den Kopf auf die Seite legte und zur Prinzessin hinsah, zu piepsen: »Gib, gib, gib mir ein Körnlein Brot!« Da fiel auch das Männchen mit den Flügeln schlagend ein: »Gib her, gib her, gib her!« Als ihnen aber niemand was gab, machten sie beide Schöpfe und schimpften unisono: »Mögt ihr nicht, dann stört uns nicht!«

Die Prinzessin aber, die, weil sie die Blume in der Hand hielt, allein 65 verstand, was die dummen Stubenvögel sprachen, ließ nun die Blume fallen, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und lief aus dem Zimmer. »Das Übermaß der Freude!« beschwichtigte der Magister den König und den Prinzen. Doch die brauchten beide keiner weiteren Beschwichtigung. »Topp, Herr Schwiegersohn,« rief der König, dem Prinzen die Hand reichend. »Das habt Ihr gut gemacht. – Und gleich morgen soll Hochzeit sein – habt ihr's gehört?« wandte er sich zu den Hofleuten. »Trefft ohne Verzug alle Vorbereitungen dazu und spart nicht das Gold in den Truhen und den Wein im Keller. Es soll ein Fest werden, wie's diese wackligen Mauern noch nie erlebt haben!« Damit verabschiedete er die Gesellschaft. – – – 66

Im Schlosse ging sogleich ein lustiges Treiben an. Die Türen flogen auf und zu, die Diener hin und her, es wurde geputzt, gescheuert, gerieben und geklopft, die Gärtner zogen mit Körben und Scheren aus, den Garten seines Blumenschmucks zu berauben, die Jäger mit Flinte und Netz in den Wald, um Rehe, Hasen, Schnepfen und Fasanen für die Tafel zu besorgen. In der Küche wurde geschlachtet, geschält, gesotten und gebraten, draußen wurden Triumphbögen errichtet, und die Kuriere sprengten wie der Wind zu den Toren nach allen Richtungen hinaus, um die frohe Botschaft im Reiche zu verkünden. – – –

Die Prinzessin aber hatte sich in ihr Schlafgemach eingesperrt und weinte 67 bitterlich. Und so sehr ihr die Hofdamen und Kammerfrauen durch die Türe zureden mochten, es wurde immer noch schlimmer. Sie haßte den Prinzen nun geradezu, der ihr vorher immer gleichgültig gewesen, und schauderte beim Gedanken, seine Gemahlin werden zu müssen. Und doch hatte sie's selber verschuldet mit ihrem unglückseligen Einfall von der blauen Blume, die sie jetzt, nachdem sie endlich gefunden war, so wenig sehen oder berühren mochte wie ihren Bräutigam. – – –

Das kam dem Prinzen zugute. Er hatte ohnehin nicht wenig Angst ausgestanden, die Prinzessin möchte die Blume behalten und irgend ein Vogel, oder der Wind oder sonst ein Wesen 68 möchte ihr seine Schandtat enthüllen. Nun nahm er das Wundergewächs, steckte es in ein Glas Wasser und stellte es beruhigt in seinem Zimmer auf den Kamin. So bequem indes sollte ihm der Frieden nicht werden. Der erste Schreck widerfuhr ihm, als der König bei der Tafel plötzlich fragte, wo denn der Schreiber wäre. Er hätte dringende Aufträge für ihn. Denn daß er ihn hatte verjagen wollen, das war in der Freude längst vergessen. »Der Schreiber, der . . .« stammelte der Prinz, ohne daß die Frage eigentlich an ihn gerichtet war, »der hat sich im Walde verirrt.« »So habt Ihr ihn also heute schon gesehen?« fragte der König weiter. »Gewiß,« nahm hier der Magister das Wort, »wir sahen ihn heute weit hinüber in 69 den Wald laufen. Er rannte, als hätt' er was gestohlen. Und das wird er auch wahrscheinlich getan haben und sich sobald nicht mehr blicken lassen. Ich sagt' es ja schon gestern, daß man derlei fahrendem Gesindel nicht über den Weg trauen dürfe.« »Nun, wenn er nichts weiter verbrochen hat,« meinte der König, »einen kleinen Diebstahl können wir schon noch vertragen.« Und er war eigentlich recht froh, den verwegenen Burschen, dessen hübsches Gesicht auf die Prinzessin ohnehin schon zu viel Eindruck gemacht zu haben schien, auf solche Art los zu sein. – – – 70

 


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