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Erster Akt

Erste Szene

Feldlager an der Güttländer Schanze. Offenes Zelt Zierenbergs, links durch einen schweren Vorhang von dem geschlossenen Teil des Zeltes abgetrennt. Zwei Tage später. Früher Vormittag. Zierenberg sitzt auf einer Trommel. Vor ihm steht Lorenz. Im Hintergrunde buntes Lagerleben.

Zierenberg Die Bauern sollen warten. Ihre Beschwerden kenn' ich im voraus. Sie wollen wieder nicht zahlen. Sie müssen von Haus und Hof, so ich auf der Kontribution bestehe. Heißt's nicht so?

Lorenz Ich an Eurer Stelle, Herr, ich wüßt' ein Mittel. Mit behaglichem Schmatzen Einen schönen geräumigen Rost genommen, die Kerls ärschlings draufgebunden, brennend Reisig untergelegt und hübsch mit dem Blasbalg nachgeblasen ... Ihr sollt mal sehen, wie sie Euch Dukaten schwitzen, die Schufte! In Saus und Braus könnten wir leben, mondelang!

Zierenberg Und hernach, alter Schnapphahn?

Lorenz Ei was hernach! Wer weiß, ob man nicht schon morgen irgendwo auf der Heide liegt, und die Raben balgen sich ums Aas! Im Hintergrunde Lärm und Geschrei.

Zierenberg steht auf Was gibt's?

Lorenz Werden wohl so etzliche Landstörzer und Marktschreier sein, so den Leuten ihre Quacksalbereien anpreisen.

Leutnant kommt schnell aus dem Hintergrunde Kapitän?

Zierenberg Was hat das Spektakul dahinten zu bedeuten, Leutnant Kunz?

Leutnant Zwei polnische Spione, als Kaufleute und Zahnbrecher verkleidet, haben sich ins Lager eingeschlichen, sind aber von einem Pikenierer beim Auskundschaften abgefaßt und gefangen gesetzt.

Zierenberg übergebt sie dem Regiments-Schultheiß, laßt sie visitieren und peinlich inquirieren, und so sie ein Geständnis ablegen, zum Profoß mit ihnen und ... Er macht die Gebärde des Aufknüpfens.

Leutnant Wird besorgt, Kapitän. Wieder nach hinten ab.

Lorenz Potz Blut! Da muß ich dabei sein. Ich weiß einen alten Weidenbaum, rechter Hand hinter den Schanzen; hängt schon ganz windschief übern Graben weg, aber Äste, zweimal so dick als Euer Arm, Herr, und die Krone voller Elstern und Krähen ... Der Baum wär' so was für die beiden Polacken!

Zierenberg Geh! ... Nein! Halt! Ich hab' dich noch nicht befragt, wie verlief dein Ritt so im ganzen?

Lorenz Hab' ich Euch nicht Eure Gemahlin mitgebracht, Herr, pünktlich, wie Ihr's mir auftrugt?

Zierenberg Ich meine, wie du's so fandest auf Dombrowken? So im einzelnen?

Lorenz Im ganzen und im einzelnen, alles auf dem alten Fleck! Fliesen von Marmelstein vorn im Herrenhaus, golden und silbern Tafelgerät, hinten Lehmkaten mit Strohdächern und ein Dreck, fußtief zum Klebenbleiben! Polnische Wirtschaft, Herr! ... Es ist auch zu gleicher Stunde mit mir ein Kurier ins Schloß eingeritten, scheint wichtige Briefe gebracht zu haben vom Polenkönig. Ich hab' den Polacken nachher in der Küche beim Schnaps aushorchen wollen, hat mir aber nicht sonderlich Bescheid getan.

Zierenberg Und sie? Wie empfing sie dich?

Lorenz Eure Gemahlin, Herr?

Zierenberg Frag' ich etwan nach deinen Stallmenschern, Kerl?

Lorenz O Herr, meine Stallmenscher ... die dicke Jule ist so hoch gehopst, wie sie mich ansichtig geworden ist!

Cordula Zierenberg schlägt links den Zeltvorhang zurück, bleibt wartend stehen.

Lorenz der sie zuerst erblickt Herr! Eure Gemahlin!

Zierenberg zu Lorenz Geh deiner Wege! Und denen Bauern lass' ich sagen, sie mögen sich binnen einer Stunde wieder einfinden. Es soll von Andreas Zierenberg nicht heißen, er, der selbst aus altem Bauerngeblüt entsprungen, habe sein Ohr vor der Bauern Bitten und Not verschlossen.

Lorenz schnell nach hinten in die Lagergasse ab.

Zierenberg wendet sich Cordula zu. Beide sehen sich eine Weile stumm in die Augen.

Cordula lacht spöttisch auf Mein Herr und Gemahl weiß sich vor seinem Reitknecht gar artig seines Herkommens zu berühmen!

Zierenberg Mit Fug und Recht, schöne Dame! Weiß doch mein Reitknecht so gut als der geringste Troßbub unter meinen Leuten hier, daß bäuerischer Herkunft zum Trotz Fortuna sich wohlgeneigt gegen mir erzeigt hat, da sie mir eine so edelgeborene Lagergenossin zuführte.

Cordula wie unter einem Peitschenhieb Andreas ...!

Zierenberg einen Schritt auf sie zu, stirnrunzelnd Nun?

Cordula sogleich gefaßt, mit süßem Lächeln Wie höfisch und zierlich du deine Worte zu setzen weißt!

Zierenberg Das dank' ich deinen Landsleuten, da sie mir unaufgefordert Quartier boten anderthalb Jahr lang.

Cordula wie vorher Wohl möglich! Wo findest du auf der ganzen Welt auch so courtoise Manieren und Komplimenten als im Polenland! Unser Königshof in Krakau gilt für die hohe Schule aller echten Kavalierschaft, fürnehmlich gegen Damen. Möchte doch mancher sich ein Beispiel dran nehmen!

Zierenberg Ich bin ein deutscher Kriegsmann und hab' mich mein Tagen noch keinen Pfifferling um derlei alamodische Alfanzereien geschert, werd's wohl auch hinfüro nimmer lernen. Wirst dich also zufrieden geben müssen, wie der Tölpel sich nun mal ausgewachsen hat. Er steht vor ihr, betrachtet sie.

Cordula schlägt vor seinem heißen Blick die Augen nieder Will der gestrenge Herr seiner Dienerin den Morgengruß bieten?

Zierenberg Vergaß ich's etwan?

Cordula wie tändelnd Er weiß nicht einmal! O der deutsche Grobianus! Siehst du jetzt, Herzchen, wie viel du dir noch annehmen kannst von unseren polnischen Kavaliers? Er weiß nicht, ob er sein junges Weib in der Morgenfrühe auf den Mund geküßt hat oder nicht!

Zierenberg Es war vor Tag, als ich aufstund, Cordula. Du träumtest im tiefsten Schlaf.

Cordula Wovon wohl träumt' ich?

Zierenberg Ja, das fragt' ich mich auch und stund lange neben dir und las in deinen schlafenden Augen.

Cordula Kam dir Antwort?

Zierenberg Nein, keine Antwort!

Cordula Nicht ein Wort, etwan im Schlaf geflüstert, oder ein schneller Seufzer, oder ein Name, nur so hingehaucht?

Zierenberg Nichts dergleichen.

Cordula Also belauscht hast du mich, mein Gebieter? Wolltest mir wohl mein Geheimnis abstehlen, so ich eins besitze? Am Ende schlief ich gar nicht, schloß nur die Augen und verstellte mich, dir eine Komödie vorzuspielen?

Zierenberg Nein, du schliefst. Und du träumtest auch. Es war ein Lächeln um deine Mundwinkel ... Wovon träumtest du wohl?

Cordula Von einer kurzen heißen Frühlingsnacht, so vorausgegangen ...

Zierenberg Schön lagst du da! Weiß und schön und heiß, den Kopf auf dem rechten Arm, das Haar aufgelöst, das blonde Haar ...

Cordula Und wecktest mich nicht?

Zierenberg Es dauerte mich um deinen Schlaf, um deinen Traum. So schlich ich mich auf den Zehen aus dem Zelt.

Cordula Wie lieb und zärtlich von dir!

Zierenberg dringend, wie unter dem Bann einer fixen Idee Cordula! Wovon träumtest du?

Cordula Frag' die Wahrsager, Herzchen! Die Zeichendeuter!

Zierenberg wie vorher Es war ein Lächeln um deine Mundwinkel ...

Cordula Wer will eines Weibes Traumlächeln enträtseln!

Zierenberg mit verändertem Ton Cordula! Ein Wort des Zutrauens! Der Offenheit! Ein Wort aus dem Herzen zu deinem Mann nach zween Jahren der Trennung!

Cordula Offenheit! Zutrauen! Was verlangst du doch von der Gefangenen, der Erbeuteten, der Lagergenossin? Ist es nicht genug, daß der gnädige Herr den Leib seiner Sklavin besitzt, ihre wehrlosen Glieder umfängt? Verlangt er auch noch ihr klopfendes Herz für sich? Zuviel des Begehrens, mein Freund! Zuviel!

Zierenberg Bist du nicht mein rechtmäßig und ehrlich angetrautes Weib? Wer gab dir ein, dich Sklavin zu nennen?

Cordula Du entbotest mich durch deinen Reitknecht zu dir! Du zwangst mich als Geisel für meines alten Vaters Freiheit in dein Lager! Du nutztest töchterliche Liebe aus, mir Stolz und Selbstgefühl in den Staub zu treten! Verfahrt ihr Deutschen so mit eurem Weibe oder mit eurer Leibeigenen?

Zierenberg Und du? Was tatest du? Am Hochaltar von Sankt Katharinen hattest du mir Liebe, Treue, Gehorsam angelobt. Nicht ich war's, so dir und eurem adligen Hause unehrerbietig sich genähert hätte. Dein eigner Vater hatte mich an seinen Tisch, auf seine Schlösser geladen, hatte deine Hand in meine gelegt. Und kurze paar Jahr hernach? Entlaufen! Bei Nacht und Nebel entlaufen! Und da ich dich zurückfordere, wie's mein gutes Recht, weigerst du dich! Weigerst dich gegen deinen eignen Vater! Leugne nicht! Er selbst hat mir's ehegestern verraten. Wo blieb da deine hohe töchterliche Liebe? Wo dein Schwur, vor Gott und Menschen abgelegt? Geht man bei euch Polen so mit seinem Vater, mit seinem Gatten um?

Cordula Heiratet man bei euch Deutschen, um einen Mann oder um einen Schulmeister zu haben?

Zierenberg Ja, das war das Wort, so du zu jeder Frist im Munde führtest. Wo ich dich nur bat, dies zu tun, jenes zu unterlassen, wie's deutscher Art eben entsprechend oder fremd ...

Cordula fährt auf Was kümmert mich eure deutsche Art oder Unart! Ich bin eines polnischen Edelmanns Tochter und werde so wenig jemals eine Deutsche, als ein Schlachtroß sich in einen Mülleresel verwandeln kann!

Zierenberg Sind wir wieder auf dem gleichen Punkt?

Cordula Wie an dem Winterabend ...

Zierenberg Da du mir aus dem Hause liefst ...

Cordula Weil du mich ...

Zierenberg Schweig davon!

Cordula Ich bin ja wieder in deiner Gewalt wie damals. Willst du mich nicht wieder schlagen wie damals?

Zierenberg Es sollte begraben sein. Du rufst es ans Licht. Gut! So erinnere dich auch, wie du mir meine geheimste Blöße aufdecktest. Mein ungelenkes Wesen, meine plumpen Manieren, mein niedriges Herkommen, niedrig in deinen Augen, da's nicht adlig war ... alles, worum ich oft genug ohnmächtig mit mir selber gehadert, du zieltest darauf mit dem Dolch deines Witzes! Vater und Mutter beschimpftest du mir in ihrer Gruft auf dem Dorfkirchhof!

Cordula Das tat ich nicht! Bei allen Heiligen!

Zierenberg Bei meinem Degen! Das tatest du! Und dafür schlug ich dich an jenem Abend!

Cordula Bauer du!

Zierenberg in jäher Wut, dicht vor sie hin Weib! ... Was erkühnst du dich!

Cordula Hier steh' ich! Wehrlos! Ganz dir ausgeliefert!

Zeig', daß du dein Handwerk gelernt hast! Sie steht mit zurückgeworfenen Armen, blitzenden Augen da.

Zierenberg wie berauscht von ihrem Anblick, will sie an sich reißen, bezwingt sich, wendet sich düster ab Was weißt du von meinem Handwerk! Was weißt du von meinem Leben!

Cordula wieder in unterwürfiger Haltung, aus halb geschlossenen Augen ihn anblickend Was alle Welt weiß, daß du ein gar gewaltiger Kriegsheld bist und unserm großen König ehegestern in der Schlacht schweren Abbruch getan hast. Als meinen Mann sollt' ich dich dafür lieben. Als meines Volkes Feind muß ich dich doppelt hassen. Sag' mir, was tu' ich nun?

Zierenberg Cordula! Mein Stern ist im Aufgehen, meine Bahn steigt. Willst du mir hinfüro Gefährtin dabei sein?

Cordula Ei welche Ehre, der Lagergenossin zugedacht!

Zierenberg Nichts Gemeines biet' ich dir, Cordula. Glanz und Macht seh' ich uns winken.

Cordula Große Worte, mein Herr und Gebieter!

Zierenberg Ich löse sie ein.

Cordula Und wenn ich dich einst daran erinnere?

Zierenberg Sieg oder Untergang! Mit meinem Wort steh' ich und fall ich! Er ergreift ihre Hand, drückt sie fest in der seinen.

Belicky tritt rasch von rechts vorn her ins Zelt. Er ist gewappnet und reisefertig, geht mit ausgebreiteten Armen auf die beiden zu Recht so, Kinderchen! Vertragt euch! Habt euch lieb! Wie dank' ich meinem Schöpfer, daß er meinen alten Augen noch gegeben hat, euch beide wieder vereinigt zu sehen!

Zierenberg Gottes Donner! Das Vergnügen hättet ihr früher haben können, so Ihr Euch am Königshof um meine Freilassung bemüht hättet.

Belicky Wer sagt dir denn, Bruderherz, ob du nicht mir verdankst, daß du freigekommen bist? Ein schöner Dienst, den ich unserm König da erwiesen habe! Kommst und fällst mit deinen verfluchten niemiec über ihn her, kaum daß du in Freiheit bist, und deinen grauhaarigen Schwiegervater, deinen Wohltäter läßt du mir nichts dir nichts gefangen nehmen! O Kerlchen! Kerlchen! Aber einerlei! Ich habe meinen Degen von dir zurück und du von mir dein Weib. Wir sind quitt! In meine Arme, Schwiegersohn! Er schließt Zierenberg in seine Arme Den Freundschaftskuß auf polnische Art! Er küßt ihn rechts und links auf die Wange, schüttelt seine Hand.

Zierenberg einschlagend Auf ehrliche Freundschaft! So sei's!

Belicky Und du, Töchterchen? Einziges, geliebtes Kindchen! Willst du beiseite stehen, wo dein Mann und dein alter Vater sich den Bruderkuß geben und einen Bund zusammen schließen gegen ihre verfluchten Feinde? Er zieht sie ebenfalls an sich, küßt sie, wischt sich eine Träne aus dem Auge, mit erhobenem Finger Deine Mutter im Himmel sieht mit Wohlgefallen auf uns herunter, Cordelchen.

Cordula sieht ihn lange an Glaubst du, Vater?

Belicky die Hand auf dem Herzen Ich weiß es, Kindchen, so gewiß als dies der Degen des letzten Belicky ist!

Cordula Was Mutter wohl für Augen machen würde, so sie wiederkommen und ihrer Tochter Schicksal sehen könnte!

Zierenberg Cordula!

Belicky Was redest du doch für Dummheit, mein Herzblatt! Hab' ich dir nicht immer gesagt, du kennst gar nicht, was für einen Mann du hast? O heilige Maria von Czenstochau! Daß doch deine gute Mutter noch am Leben wäre! Ihr möchtest du glauben, mir glaubst du nicht. Gut! Gut! Ich bin ein altes Gerümpel, ich fahre bald in die Grube hinab. Was liegt auch daran, ob so ein grauhaariger Schafskopf schwarz sagt oder weiß! Aber höre doch wenigstens, was unser gnädiger König schreibt ...

Zierenberg Was schreibt der König? Und wem schrieb er?

Cordula Ein Brief des Königs für meinen Vater traf ein. Ich überbracht' ihn ihm, da ich deinem Reitknecht hierher ins Lager folgte.

Zierenberg vor sich hin Der polnische Kurier, so auf Dombrowken einritt!

Belicky O du ahnst gar nicht, Schwiegersohn, was für einen großen Gönner und Protektor du an unserm erhabenen König hast!

Zierenberg Das tat er wohl kund, indem er mich wider Recht und Dignität zu Lublin festsetzen ließ?

Belicky Was willst du! Die anderen von eurer Danziger Legation sitzen noch. Kriegsrecht, Menschenskind! Kriegsrecht! Ihr Danziger habt euch gegen den König empört. Was wunderst du dich, daß er euch einstecken läßt, soviel er nur von euch habhaft werden kann!

Zierenberg Meinen Dank dafür hab' ich ihm in der ehegestrigen Schlacht mit Stückkugeln hinübergesandt.

Belicky I, er ist dir gar nicht böse deshalb! Er ist klug, unser König, und weiß einen starken und tapfern Feind wohl zu schätzen, denn die Welt ist rund, und die Sonne dreht sich, und eines schönen Morgens kann der Feind als Freund aufwachen. Es wird ja nicht immer Krieg sein zwischen Danzig und dem König. Friede wird geschlossen werden, und es wird kommen, wie es früher war, daß wieder ein Burggraf über Danzig eingesetzt wird als Statthalter und Vertreter des Königs ... das würde so ein Posten für dich sein, Kerlchen. Er klopft ihm vertraulich auf die Schulter.

Zierenberg Für mich? Burggraf von Danzig?

Belicky Warum denn nicht? Du bist ein Kriegsmann sans peur et reproche, das hast du erst neulich wieder bewiesen, und du bist der Schwiegersohn des Grafen Belicky, seiner Majestät treuesten Dieners. Die Geschlechter und der Rat von Danzig sind dir freilich nicht grün, aber was macht das! Du wirst ihnen den Daumen aufs Auge drücken und wirst dafür die Bürgerschaft auf deiner Seite haben.

Zierenberg Schrieb der König dergleichen an Euch, oder habt Ihr's vergangene Nacht nur so geträumt?

Belicky sich umsehend Mein Grauschimmel steht schon gesattelt. Er faßt ihn unter den Arm Komm, Kerlchen, gib mir das Geleit bis zum Lagertor! Ich erzähl' dir noch. Zu Cordula Gott und alle Heiligen mit dir, Kindchen! Er umarmt sie Wirst du im Lager bleiben, oder wird nicht besser sein, du gehst nach Danzig in euer schönes Haus am Langen Markt?

Cordula kreuzt die Arme Wie mein Gemahl befiehlt!

Zierenberg Du wirst noch heute gen Danzig reiten. Mach' dich reisefertig. Mein Reitknecht begleitet dich.

Cordula Hab' Dank für deine Güte!

Belicky Gott mit dir, Herzblatt! Er winkt ihr zu, geht mit Zierenberg nach rechts.

Cordula Und grüßt mir Schloß Dombrowken, Vater!

Belicky wendet sich noch einmal Es wird sehr einsam im Hause sein, mein Kindchen. Aber wir werden uns wiedersehen. Alles wird gut werden. Laß nur deinen Mann hübsch klug und vernünftig sein! Es ist kein Pappenstiel, Kinderchen, so ein Burggrafenhut! Er zwinkert beiden bedeutsam zu, geht mit Zierenberg rechts ab.

Cordula steht eine Weile wie entrückt, plötzlich macht sie eine Bewegung, als wolle sie Belicky nacheilen Vater! Vater! Nimm dein Kind mit! Sich besinnend Gegangen! Fort! Fort! ... Sie läßt den Kopf auf die Brust sinken. Was träumte mir doch die letzte Nacht von einem schweren weißen Königsmantel, so sie mir umtaten und mir eine Krone aus Demanten ins Haar drückten? Und Kerzenglanz war, und sie jubelten mir zu und knieten zu meinen Füßen ... Aber dann brannten mit eins die Kerzen trüber. Die Krone und der Hermelin schienen mich niederzuziehen. Ein kalter Windstoß kam und löschte die Kerzen. Ich schauerte und blickte mich um ... Da lag ich auf dem Paradebett in unserm Ahnensaal auf Dombrowken. Der Saal war leer und öd' und ich allein mitten im Saal auf dem Paradebett, so wie ich einst Mutter liegen sah ... Sie schauert zusammen, sinnt weiter Und plötzlich stand einer neben meinem Lager, einer mit halbvergessenen Zügen, und beugte sich über mich, und ich lächelte und lächelte ... Aus der Ferne des Lagers klingen Trommelwirbel. Sie fährt sich über die Stirn Ungereimtes krauses Zeug! Was träumt man nicht vor dem ersten Hahnenschrei! Sie geht nach links, hebt den Vorhang des Innern Zeltes Kathinka! Kathinka!

Kathinkas Stimme von innen Gleich, gnädigste Gräfin! Gleich!

Cordula Wir müssen uns reisefertig machen, Kathinka! Es geht noch heut' gen Danzig.

Kathinka erscheint in der Öffnung des Vorhangs Ach Gottchen! Ach Gottchen! Schon wieder in den Sattel! Meine armen Knochen auch!

Im Hintergrunde der Lagergasse taucht ein Zug auf. Klingendes Spiel begleitet ihn.

Kathinka Welch grausames Trommeln und Blasen! Ach und der großmächtige Aufzug!

Cordula gleichgültig Wohl gar Brief und Botschaft vom Danziger Rat für den Kapitän! Beide links ins Zelt ab. Der Vorhang schließt sich hinter ihnen. Der Aufzug ist derweil bis etwa in die Mitte der Lagergasse gelangt. An der Spitze reiten Jobs Hamel, Sebald Meinerts und Balthasar Krüger. Ihnen folgen Trommler und Sackpfeifer. Soldaten und Volk schließen den Zug ab. Jobs Hamel ist ein Mann von vierzig Jahren, mit gelben eingefallenen Wangen, messerscharfem Profil und buckliger, verwachsener Gestalt. Sebald Meinerts, etwa gleichaltrig mit Jobs Hamel, ist eine schöne männliche Erscheinung. Volles schwarzes leise ergrauendes Haar, regelmäßig geschnittene Züge, in die ein stürmisches Leben sich eingeschrieben, schlanke geschmeidige Gestalt. Er ist reich gekleidet. Ein Hauch von weltmännischem Wesen ist um ihn. Balthasar Krüger, älterer Mann, dick, rot, cholerisch. Alle drei steigen von den Pferden. Die Musik schweigt.

Leutnant der die Ankommenden geleitet hat, mit Handbewegung zum Zelt Tretet ein, werte Herren! Ich halte derweil Ausschau nach dem Kapitän.

Hamel Wir danken, Herr Leutnant. Meldet dem Kapitän, wir des Rats und der Stadt Gesandte erwarten ihn. Und eilt Euch ein wenig. Unsere Zeit ist gemessen.

Leutnant Sehr wohl, ihr Herren! Schnell nach rechts ab.

Hamel mit Wink zu Soldaten und Volk Laßt uns allein! Die Musik geht mit klingendem Spiel ab. Die Menge zerstreut sich. Hamel, Meinerts und Krüger treten in das Zelt.

Krüger wischt sich den Schweiß von der Stirn Heiliger Nepomuk, so im Wasser versoffen ist! Heiliger Schutzpatron Balthasar! Helft mir wider den vermaledeiten Durst!

Hamel Laßt die Heiligen aus dem Spiel, Meister Krüger! Derlei papistisches Teufelswerk steht einem Danziger Ältermann und Zunftmeister übel an, zumalen der papistische Erbfeind beinahe schon ante portas sich breit macht.

Krüger Redet deutsch mit mir, Herr Syndikus! Unser einer hat am Backtrog schwitzen müssen, derweilen Ihr Euch auf der Schulbank geräkelt habt. Stünde ansonsten auch besser um meine Gelehrsamkeit und schmisse wie Ihr mit lateinischen Brocken statt mit Brotteig um mich.

Hamel Ihr habt keinen von Euren Bäckergesellen vor Euch, Meister Krüger!

Krüger Und Ihr habt einem ehrsamen Handwerksmann nicht übers Maul zu fahren! Noch sitzt Ihr nicht auf dem Bürgermeisterstuhl, sollt auch, was an uns Gewerken liegt, nicht so leicht hinaufklettern!

Hamel Ihr irrt Euch, Herr Balthasar Krüger! Mein Sinn steht nicht nach Bürgermeisterehren. Meiner Ambition ist Genüge geschehen, so ich als bescheidener Syndikus dem Wohl und gemeinen Besten unserer Stadt dienen darf.

Krüger Dem Wohl und gemeinen Besten der Stadt! Die alte Litanei! Der Polenkönig meint's wohl auch nicht anders, da er mit Feuer und Schwert gegen uns heran- zieht. Ich seh' da keinen Unterschied. Die großen Herren wollen sich mästen und ihre Truhen vollstopfen. Derohalb muß dem Bürgers- und Handwerksmann das Fell über die Ohren gezogen werden. Bei Christi Leichnam! Immer noch besser, einer mästet sich auf gemeine Kosten, denn ein ganzes Kollegium mitsamt Freundschaft und Anhang!

Hamel Sachte, sachte, Meister Krüger! Müßt' ich nicht annehmen, nur Eure Zunge frevelt, nicht auch Euer Herz, wahrlich, es wäre meine Pflicht, Euch auf Hochverrat peinlich vorzuladen!

Krüger puterrot Auf Hochverrat? Ein Kickindiewelt wie Ihr einen alten eingesessenen Bürgersmann auf Hochverrat ...! I, da soll doch gleich der Deiwel rein schlagen!

Meinerts der bis jetzt vor sich hingestarrt hat, zu Hamel Bist du schon wieder mit Galgen und Rad bei der Hand? Lassen sich widerstreitende Ansichten ewig nur mit dem Richtschwert replizieren?

Krüger geht mit erhobenen Händen auf ihn zu Ja, redet Ihr, Herr Meinerts! Ihr habt ein Herz fürs Volk! Ihr wißt, wo uns einfache Leute der Schuh drückt! Das sagt jeder Schiffer und jeder Sackträger vom Hohen Tor bis Langgarten, drum gehen sie auch alle für Euch durchs Feuer und lassen Euch von Euren Feinden kein Leids antun.

Meinerts Ich hab' in so manchen Landen meine Haut zu Markte getragen, daß mir in meiner Vaterstadt nicht bange drum wäre, Meister Krüger. Immerhin Dank für den guten, Willen!

Hamel Ich warte noch auf Eure Entschuldigung, Herr Balthasar Krüger.

Krüger Donner und Hagel! Er tritt vor Hamel hin Bin ich seit neununddreißig Jahren ansässiger Bäckermeister in der Brotbänkengasse oder nicht? Hab' ich für Euren Vater, den verstorbenen Bürgermeister Hamel, alle hohen Feiertage den Napfkuchen in meinem Ofen gebacken oder nicht? Und Euch, Herr Meinerts, und Eurem Vater selig, wieviel Gänseleberpasteten und Marzipantorten hab' ich Euch wohl ins Haus geliefert? Nun sagt selbst, Herr Syndikus, bin ich ein guter Danziger oder nicht?

Hamel Die Güte Eurer Kuchen und Torten steht hier nicht in Frage.

Krüger Steht nicht in Frage! Ja was denn sonst? Was gilt denn noch, wenn ehrsames Handwerk nicht mehr gelten soll? Er stampft wild mit dem Fuß auf, wendet sich zu Meinerts Gott befohlen, Herr Meinerts! Und nichts für ungut, so ich meiner Wege reite! ... Nehmt Euch in acht, Herr Doktor Hamel, daß Euch der Brei nicht mal versalzen wird und der Polenkönig kurzen Prozeß mit denen Herren macht! Er geht schnell nach hinten ab.

Meinerts ihm nachsehend Er wird nach Hause jagen und bei seinen Leuten Lärm schlagen. In der dritten Ordnung wird's wieder böses Blut setzen. Wozu das?

Hamel Auflehnung und Zwietracht intra muros et extra! Dagegen helfen nur Feuer und Schwert! Er brütet einen Augenblick vor sich hin, sieht sich stirnrunzelnd um Mich will bedünken, man lasse uns warten.

Meinerts Zierenberg wird auf Rekognoszierung geritten sein.

Hamel halb für sich Ob es klug war, ihn zum Feldobristen zu machen?

Meinerts Es geschah auf deine eigene Proposition. Gereut's dich schon wieder?

Hamel Es ist ein zweifelhaftes experimentum für eine Handelsstadt, ihre höchste Kriegsgewalt in die Hand eines fremden Landsknechtsführers und Abenteurers zu legen. Das Schwert, so uns schützen soll, mag sich leichtlich wider uns kehren.

Meinerts Nennst du Andreas Zierenberg einen Fremden? Ich dächte, wir beide, Jobs Hamel, wir wüßten es anders aus lange vergangenen Tagen her.

Hamel finster an sich hinunterblickend Der Erinnerung bedarf es nicht, Sebald Meinerts. Ich trage sie sichtbarlich an meinem Leibe, zeit meines Lebens!

Meinerts Du konntest nie verzeihen und vergessen! ... Mir ging es anders. Ich vergaß wohl manchmal allzu schnell, und verzeihen mußt' ich mir allzuoft von andern lassen ...

Hamel aus düsterer Erinnerung aufblickend Verziehen hab' ich's ihm, wie's meine Pflicht als Christ. Vergessen? Nein! Zum Krüppel gemacht auf Lebenszeit! Verstümmelt! Verunstaltet! Um Glück und Jugend gebracht durch seine Schuld! Wie sollt' ich das vergessen?

Meinerts Und doch warst du gestern der erste, der sich im Rat erhob und ihn als Nachfolger für Tiedemann Barth vorschlug?

Hamel Wir haben keinen andern. Die Not der Stunde gebot es so. Wolle Gott, daß wir's niemals zu bereuen haben!

Meinerts tritt an ihn heran, faßt ihn ins Auge Und seine Berufung dazumal aus den spanischen Niederlanden? Ich habe mir erzählen lassen, kein anderer denn du, Jobs Hamel, habe den Rat dazu bestimmt?

Hamel wiegt den Kopf Seines Namens Glanz hatte sich von den Niederlanden bis an unsere Küste verbreitet. Auf den Schiffen, so aus Antwerpen bei uns in der Münde einliefen, sprachen sie von ihm. Schon dazumal, vor vier Jahren, erschienen mir der Zukunft Aspekten unsicher und drohend. Ein Mann tat uns not! Ein Mann von stählerner Art! Um der gemeinen Wohlfahrt willen drängt' ich das eigene widerstrebende warnende Gefühl zurück.

Meinerts Nur der gemeinen Wohlfahrt zuliebe? Nicht auch aus einem glimmenden Funken einstiger Jugendfreundschaft, Jobs Hamel?

Hamel Die starb an dem Tage, da durch seinen Frevel der junge gradgewachsene Jobs Hamel starb und der verstümmelte Krüppel an seine Stelle trat. Kein Funke davon glimmt mehr in der Asche der Zeiten. Ein Name ist er mir, fremd meinem Ohr. Ein Instrument zu Ruhm und Schutz meiner Vaterstadt. Weh' uns und ... ihm, so ich mich verrechnet hätte!

Meinerts Wir waren fünfzehnjährige Jungen, alle drei, heißblütig und überstürzt, unmächtig unserer Sinne, das bedenke, Jobs Hamel. Und du reiztest ihn! Nicht grundlos griff er dich an. Du hattest ihn an seinem Stolz gekränkt. Und da ihr auf der Treppe oberstem Absatz miteinander ranget und das Geländer brach, hätte es nicht auch geschehen können, daß du ihn hinabstürztest? Wie hättest du dann wohl das Maß der Schuld verteilt?

Hamel Ein magerer Trost, was hätte geschehen können! Ist es denn geschehen?

Meinerts Und eben, daß es nicht geschehen ist, daß das Los für ihn entschied und dich verwarf, das ist es, was dich nicht verwinden und nicht vergessen läßt.

Hamel wendet sich schweigend ab.

Zierenberg kommt rasch von rechts, tritt ins Zelt.

Hamel gemessen Ihr ließet uns warten, Herr Kapitän!

Zierenberg ebenso Im Dienst der Stadt, Herr Syndikus!

Hamel Im Dienst und Auftrag der Stadt stehen auch wir vor Euch, Kapitän Zierenberg. Hier Herr Sebald Meinerts, Ratsherr von Danzig, und ich.

Zierenberg Sebald Meinerts!

Meinerts geht mit ausgestreckten Händen auf ihn zu Ich grüße dich, Andreas Zierenberg, nach fünfundzwanzig Jahren!

Zierenberg ohne Meinerts Hand zu ergreifen, mit wiedergefundener Haltung Seid mir willkommen, Herr Ratsherr Meinerts. Auch Ihr, Herr Syndikus Hamel. Er verbeugt sich förmlich vor beiden, wendet sich dann zu Meinerts Es blieb mir unbekannt bis dato, daß Ihr von Euren Fahrten zurück seid, Herr Meinerts.

Meinerts Wir kannten uns ehedem gut, Andreas. Warum weigerst du mir die Hand?

Zierenberg nach einem Augenblick Sei's denn! Er schlägt in Meinerts Hand ein. Beide sehen sich schweigend an.

Meinerts Ich suche unsere Jugend in deinen Zügen, Andreas.

Zierenberg Du wirst sie nimmer finden. So mancher Kugelregen hat sie fortgewaschen, so mancher Pulverdampf sie hinweggebrannt. Doch du bist schön und auserlesen geblieben wie vor Zeiten. Nur grau geworden bist du, Sebald Meinerts!

Meinerts lächelnd Dich haben deine Bataillen gebräunt, Andreas. Mich die meinen gebleicht. Begreifst du wohl den Unterschied?

Zierenberg Aber gut steht es dir zu Gesicht! Die Weiber werden dich darum nicht minder heiß ans Herz drücken.

Hamel hat sich beobachtend beiseite gehalten, tritt näher Zu unserem Geschäft, ihr Herren! Darf ich bitten?

Zierenberg Was habt Ihr mir im Namen der Stadt zu melden, Herr Syndikus?

Hamel eine Urkunde in der Hand Nachdem in neulicher Feldschlacht Tiedemann Barth, unser vielerprobter Feldobrist, den rühmlichen Heldentod vor dem Feind gefunden, hat ein Ehrbarer Rat zu seinem Nachfolger Euch, Herr Kapitän Zierenberg, zu ernennen sich resolviert ...

Zierenberg Feldobrist von Danzig! Hat man sich hochmögend herbeigelassen?

Hamel wirft ihm einen Blick zu, fährt fort Und gibt Euch dies durch uns, seine Bevollmächtigten und Gesandten, formaliter kund und zu wissen. Er verbeugt sich korrekt.

Zierenberg hat sich gefaßt, verbeugt sich ebenfalls Ich danke einem Ehrbaren Rat für die erzeigte hohe Ehre, den Herren Gesandten für die persönliche Bemühung und hoffe mich sotanen Vertrauens auch fürder würdig zu erweisen.

Hamel So wünschen und erwarten wir's, Herr Feldobrist. Hier der Ernennung urkundlich vollzogenes Instrumentum nebst Unterschrift und angehängtem Sigillo. Er überreicht ihm das Schriftstück.

Meinerts legt Zierenberg beide Hände auf die Schulter Ein wunderlich traumhaftes Mirakulum das Leben, mein Alter! Da wir zum letztenmal uns so gegenüberstanden, hatten sie dich mit Schimpf und Schande aus der Stadt und vom Gymnasio academico gejagt. Da wir uns nach eines Viertelsäkulums Spanne wiedersehen, holen sie dich als einen Triumphator in ihre Mauern, und die Lateinschützen, unsere Nachkommen auf der Schulbank, werden dir selbstgefertigte Siegeskarmina singen! ... Welches von beiden Gesichtern ist nun das wahre Gesicht?

Zierenberg Am Ausgang mag sich's erweisen.

Meinerts Keines von beiden, Andreas. Das wahre Gesicht steckt hinter den Dingen. Wir bekommen es nie zu sehen, indem der Schleier es uns verbirgt.

Zierenberg Was nennst du den Schleier?

Meinerts Ein holländischer Seefahrer, so bis ins fernste Indien gedrungen, hat ein kurioses Büchlein darüber geschrieben. Mein graubärtiger Meister Jan von Harlem, dem es zugeeignet, plant sogar eine Tafel über den Gegenstand zu malen. Der Zeltvorhang links wird zurückgeschoben.

Cordula erscheint im Reitkleid, ruft Ich bin reisefertig, Andreas! Sie stutzt beim Anblick der Fremden Ah, verzeih!

Zierenberg vorstellend Hier Herr Syndikus und Doktor Jobs Hamel. Du kennst ihn ja. Dies Herr Sebald Meinerts, Ratsherr von Danzig, ein Jugendfreund. Die Herren haben mir im Namen des Rats meine Ernennung zum Feldobristen verkündet.

Cordula ist bei Meinerts Anblick jäh zusammengefahren, beherrscht sich nicht länger, taumelt gegen das innere Zelt Großer Gott ...!

Hamel der sie vom Eintreten an scharf beobachtet hat, springt hinzu Der Gräfin ist schlecht! Bringt Wasser!

Meinerts nach augenblicklichem Zögern, von der andern Seite Stützt Euch auf, edle Frau! So! Sollen wir Euch einen Sessel ...?

Cordula rafft sich gewaltsam zusammen, lächelt mit bebenden Lippen Verzeiht, werte Herren! Eine vorübergehende Schwäche nur!

Kathinka kommt von hinten mit einem Kruge Wasser gelaufen, schreit Gnädigste Gräfin! Ach mein Gottchen! ... Will gnädigste Gräfin nicht trinken?

Cordula netzt sich die Lippen, schiebt den Krug beiseite Dummes Ding! Warnt' ich dich nicht? Nur nicht das Mieder zu eng schnüren! Da hast du's jetzt!

Kathinka Soll ich gnädigste Gräfin ...?

Cordula winkt ihr fort Geh nur zu den Pferden voraus! Geh! Geh!

Kathinka nach hinten links ab.

Zierenberg hat bis jetzt als stummer Zuschauer dagestanden, runzelt die Stirne Was war das, Cordula? Was gab es da?

Cordula lächelnd Du hörst es ja, Bester, zu eng geschnürt! Nichts weiter!

Hamel Und dann die Überraschung ...

Zierenberg Die Überraschung?

Hamel Die Gräfin war doch kaum darauf gefaßt ...

Zierenberg Worauf nicht?

Hamel Nun ja! Auf Eure Ernennung zum Feldobristen!

Cordula Ja, das war es, Bester! Das war es! Sie eilt zu ihm.

Hamel Nicht nur der Schmerz, auch die Freude kann den Puls hemmen und das Blut zum Stocken bringen.

Cordula Ja, die Freude! Die Freude! Sie umhalst Zierenberg Wie glücklich bin ich, daß dir endlich dein Lohn geworden ist! So glücklich bin ich!

Zierenberg Du hast auch Ursach' dazu.

Cordula schmiegt sich an ihn an Von ganzem Herzen glücklich bin ich!

Meinerts tritt näher, verbeugt sich förmlich Gestattet, edle Frau, daß ich den vielleicht unpassenden Augenblick benütze, mich Euch als alten Bekannten und Gutsnachbarn in Erinnerung zu bringen.

Cordula Ah! Seid Ihr's wirklich? Herr Sebald Meinerts, nicht wahr?

Meinerts Der bin ich.

Cordula Ich überhörte vorhin Euren Namen.

Meinerts Sehr begreiflich!

Cordula Auch habt Ihr Euch wohl ein wenig verändert?

Meinerts Älter geworden, edle Frau!

Cordula Nun! Nicht gar zu sehr!

Meinerts Euch hingegen hab' ich auf den ersten Blick erkannt. Kein Wunder! Ihr seid in diesen Jahren erst zu Eurem wahren Selbst erblüht.

Zierenberg Ich wußte nichts von dieser Freundschaft, Cordula?

Cordula Nicht Freundschaft, Bester! Schnelle, flüchtige Bekanntschaft, von heut' auf übermorgen, bei Tanz und Spiel, die kaum begonnen, schon verklungen ...

Zierenberg Auf Dombrowken war das?

Cordula Siebzehn Jahre zählt' ich oder so.

Meinerts Mein Vater besaß ein Gut dort in der Nähe. Ich gab's nach seinem Tode in fremde Hand. Nur einmal kam ich hin.

Cordula Ihr wart unterdes auf Reisen?

Meinerts Zehn Jahre, edle Frau.

Cordula Wo wart Ihr denn überall?

Meinerts Im Welschland weit herum. Bei den Türken und Barbaresken. Auch in der Kaiserstadt lange und vieler Orten sonst.

Cordula Und seid nun heimgekehrt und habt Euren Wohnsitz in Danzig wie einst? Seid Ihr lange zurück?

Meinerts Johanni wird's ein Jahr.

Cordula Derweil wir abwesend waren, mein Mann und ich.

Meinerts So ist es, edle Frau.

Leutnant kommt schnell von rechts, salutiert vor Zierenberg Die Bauern aus dem Dorf sind wieder da. Sie sagen, Eure Wiege habe hier in der Gegend gestanden, Ihr müßt ihnen zu ihrem Recht verhelfen.

Zierenberg Meine Wiege hier in der Gegend? Erinnert man sich plötzlich daran? Eh bien! Ich bin königlicher Laune heut'! Laßt sie vor!

Leutnant nach rechts ab.

Hamel Meine Reverenz, Herr Feldobrist! Er verbeugt sich.

Zierenberg Wollt Ihr so ohne Trunk und Imbiß fort?

Hamel Meine Zeit ist gemessen. Ich erwarte dich am Lagertor, Sebald Meinerts. Er geht langsam durch die Lagergasse nach hinten ab.

Zierenberg zu Lorenz, der gleichzeitig ins Zelt eintritt Ist aufgesattelt?

Lorenz Alles parat, Herr! Auch die beiden Polacken sind, glücklich besorgt und spediert.

Zierenberg mit Blick auf Cordula Schon gut! ... Er reicht ihr die Hand Auf Wiedersehen, Frau Feldobristin, sobald Dienst und Pflicht es zulassen.

Meinerts Wir treffen uns bald, Andreas. Ich habe manches mit dir zu bereden. Es steht in der Stadt nicht alles, wie es sollte.

Zierenberg Ich bin deiner Nachricht gewärtig.

Cordula zu Meinerts Es scheint, unser Weg geht zusammen?

Meinerts So's Euch beliebt, edle Frau, bieten wir Euch unsern Schutz. Mit Cordula in die Lagergasse ab.

Zierenberg zu Lorenz Du reitest voraus und sorgst, daß im Hause alles gerüstet ist.

Lorenz ab.

Zierenberg bleibt allein, reckt sich in seiner ganzen Höhe auf Steig hinauf, mein Stern! Steig hinauf! Die Bahn ist frei!

Verwandlung.

Zweite Szene

Eine verfallene Hütte in den Dünen. Gewitter und Regen. Dämmerlicht. Nachmittag des gleichen Tages wie vorher. Meinerts und Cordula treten ein. Sie sind durchnäßt und vom Sturm zerzaust.

Meinerts führt Cordula bei der Hand Nur mir nach!

Cordula Wo sind wir?

Meinerts Im Trocknen! Wir haben ein Dach über uns.

Cordula Scherzt nur, indes das Gewitter schwarz über uns steht!

Meinerts Ich seh' ein Schauspiel der Natur darin, nicht mehr.

Cordula Mich erschreckt's! 's ist doch ein Strafgericht des Himmels. Fragt nur unsern hochwürdigen Prälaten. Blitz, gleich darauf Donnerschlag Jesus Maria! Sie stützt sich leicht auf Meinerts Arm.

Meinerts Saht Ihr jetzt im Licht des Blitzes? Da der Herd! Hier eine Bank! Ein Tisch sogar! Auf drei Beinen, scheint's. Er will sie zur Bank führen.

Cordula stößt sich Au! Au!

Meinerts Tat's weh?

Cordula Die dumme Tischkante!

Meinerts Wartet! Ich schlag' sie ab!

Cordula Redet nicht so leichtfertig mit mir!

Meinerts Da ich mich ernsthaft gebärden wollte, verbatet Ihr's Euch gleichfalls.

Cordula Ich kenn' Eure Künste zur Genüge! Redet oder schweigt! Noch einmal sollt Ihr mich nicht betören!

Meinerts Tat ich das einst?

Cordula Was ich Euch gab, gibt das ein Weib mit unbetörten Sinnen? Tut das ein Weib mit nüchternem Blut?

Meinerts Vergeßt, was gewesen, Cordula, und was nie wieder sein darf.

Cordula O ja! Ihr nahmt es, als käm's Euch zu ... Und warft es fort! Sie bedeckt das Gesicht mit den Händen Gott! Gott!

Meinerts Wir waren von Jasminduft und Ungarwein toll, Cordula! Und wie jung waren wir noch! Wie jung!

Cordula Ihr wart ein Dutzend Jahre älter, denn ich dummes, verzaubertes Ding!

Meinerts Gleich gepeitschten Rossen stürmten uns die Sinne davon! ... Ein Frühlingsgewitter war's, wie das da draußen. Und zog auch so vorüber.

Cordula Für Euch! Aber für mich? Wie ein Gott wart Ihr mir erschienen in unseres Hauses Einsamkeit! Wie einer von den Helden in unserm Ahnensaal, heruntergestiegen in Jugend und Glanz ...

Meinerts Jugend und Glanz sind verblichen, Cordula.

Cordula Warum kreuzt Ihr mir abermals den Weg? Warum seid Ihr nicht tot und begraben? Sie sinkt mit dem Kopf auf die Tischplatte.

Meinerts Gräfin, Ihr seid von Sinnen! Er drückt sie sanft auf die Bank nieder.

Cordula nach einer Weile Wo sind wir? Sie horcht Ist das der Regen?

Meinerts Wir sind in den Dünen, dicht an der See, Cordula.

Cordula So ist's die See, die so braust?

Meinerts Regen und Sturm und Meer brausen um die Wette. Der Donner macht den Grundbaß dazu, 's ist das uralte Lied, was sie singen.

Cordula Das uralte Lied ...

Meinerts Der Ältervater und die Ältermutter haben's singen hören, da sie aus dem Paradiesesgarten verstoßen waren. Die Ururenkel werden's singen hören, eh' sie wieder eingehen in den Paradiesgarten. Gleich einer unendlichen Kette schlingt sich das Lied vom ersten Menschenpaar bis zum letzten. Auch wir, Cordula, sind nur ein winziges Glied in der Kette, so stolz und groß wir uns dünken. Es liegt ein Trost darin, hab' ich gefunden.

Cordula Was braucht Ihr Trost? Ein Günstling des Glücks wie Ihr!

Meinerts Nichts ist umsonst auf Erden, Cordula. Ich bin allein! Was der Ärmste sein Eigen nennen kann, Weib und Kind, ich muß es entbehren.

Cordula Warum entbehrt Ihr's? 's ist doch Eure Schuld allein.

Meinerts Schuld und Schicksal zugleich! Wer will eins vom andern trennen! Wär' ich nicht, der ich bin, so hätt' ich wohl Weib und Kind und ein kleines, friedsames, ehrbares Bürgerglück. Aber trag' ich Schuld, daß ich bin, der ich bin? Daß das Schicksal mir den Durst nach Form und Schönheit, die unstillbare Gier nach Genuß und Sinnenlust einpflanzte? Trag' ich Schuld, daß die Fee mir als Patengeschenk dazu Wohlgestalt und alle Güter der Welt in die Wiege legte? Nein! So wie ich ward, so bin ich nun mal und so will ich auch sein. Ja, wär's nicht vermessen, es auszudenken, so wie ich bin, so und nicht anders hab' ich mich von allem Urbeginn an gewollt. Und so und nicht anders werd' ich auch enden. Wie trennt Ihr nun Schuld und Wille und Schicksal?

Cordula Sebald! Ihr seid ein Heide! Ihr habt zu lange bei den Türken und Barbaresken gelebt. Dort habt Ihr Euch um Eure Seele gebracht.

Meinerts Nicht bei den Türken und Barbaresken! Auch nicht im Land Italia, dem wahren Heidenland! Ich bin als Heide geboren, Cordula. Schon als spielendes Kind, als Knabe schon dacht' ich so.

Cordula leise Und habt als Mann danach gehandelt!

Meinerts Aber wer weiß, ob's nicht doch nur ein Glaube für junge Tage, für des Lebens bunten Vormittag! Wer zu Jahren käme, wer krank würde, siech und hoffnungslos, wer des Trosts bedürfte ... ob er ihn wohl fände in seinem Heidenglauben aus jungen Tagen?

Cordula Niemals, Sebald! Niemals! Verzweifeln müßtet Ihr mit Eurem Heidentum!

Meinerts Wär' Euch das leid! Ihr haßt mich doch?

Cordula Ich hass' Euch nicht genug, daß ich's Euch wünschen möchte.

Meinerts Seht! Ich hab' als ein Jäger auf tausend Wegen nach dem Leben gejagt. Im heiligen Hain der Kythereia hab' ich der Schönheit Opfer um Opfer gebracht. Aus dem Meere der Kraft hab' ich geschöpft und geschöpft. Und da ich Ausschau halte von der Mittagshöhe nach Kraft, Jugend, Schönheit ... entfliegen seh' ich sie mir wie Wandervögel ins Blaue! Verschweben gleich Höhenrauch überm Wald! Zerrinnen wie Tropfen in hohler Hand! Was war es nun, worum ich gefiebert, gedurstet, gebuhlt? Da! Saht Ihr den Blitz? Ein Aufleuchten von eines Atemzugs Kürze! Ein hinrollender Donnerschlag und vorbei! Das ist das Leben! ... Oder so sollte es sein!

Cordula Und was danach kommt, Sebald?

Meinerts Den Landregen meint Ihr, so dem Gewitter zu folgen pflegt?

Cordula Scherzt nicht so! Es tut mir weh.

Meinerts Ihr mißversteht mich, Cordula. Nicht an Himmel und Hölle dacht' ich. Das Alter nenn' ich den Landregen nach der Jugend Glut und Gewitter. Dem zu entgehen gibt's nur ein Mittel ...

Cordula sieht ihn fragend an.

Meinerts Wenn uns der Blitz in der Blüte erschlägt.

Cordula Wünscht Ihr Euch das?

Meinerts Ich hab' mich nie davor gefürchtet. Nach einer Pause Und doch! Wer wünscht es sich?

Schweigen.

Cordula horchend Immer noch der Sturm und Regen!

Meinerts Und das Brausen von der See!

Cordula Mir war's, ich hör' meinen Braunen im Schuppen wiehern. Oder war's Euer Fuchs?

Meinerts Mir klang's nach Möwenschrei.

Cordula Wär's nicht Zeit, uns aufzumachen, daß nicht der Abend uns überrascht?

Meinerts Geduldet Euch noch ein Weilchen, bis der schlimmste Schwall vorüber.

Cordula Wo mag Euer Doktor Hamel jetzt sein mit seinem Troß?

Meinerts Wohl längst in der Stadt!

Cordula Daß er nur nichts Arges wittert ob unseres Verschwindens!

Meinerts Was er auch wittert und argwöhnt, er behält's für sich. Ich hab' ihn erprobt von Kindheit an.

Cordula Und doch war's unrecht von Euch, mich so vom Wege abzulocken.

Meinerts Wer sprengte denn mit eins voraus und zwang mich, im Galopp hinterherzureiten?

Cordula Entkommen wollt' ich Euch! Entfliehen Eurem verhaßten Anblick!

Meinerts steht auf Sobald das Unwetter vorbei, erwart' ich Euch draußen, Gräfin.

Cordula Wo wollt Ihr hin?

Meinerts Euch nach Möglichkeit meinen Anblick ersparen.

Cordula Und mich schutzlos zurücklassen im Toben der Elemente?

Meinerts mit einem langen, ernsthaften Blick Ihr wollt mich am Narrenseil ziehen, Gräfin!

Cordula wirft trotzig den Kopf auf So wie Ihr einst mich!

Meinerts Hütet Euch, daß wir uns nicht beide drein verstricken!

Cordula Was wäre dann wohl?

Meinerts Es risse uns in den Abgrund hinunter!

Cordula Mich dünkt, Ihr fürchtet Euch nicht davor?

Meinerts tritt dicht auf sie zu Cordula! Es wäre unser beider, unser aller Verhängnis!

Cordula blickt ihn aus halbgeschlossenen Augen an Glaubt Ihr, die Cordula Belicka fürchte sich mehr als Ihr?

Meinerts Seit wann spielt Ihr so mit dem Schicksal?

Cordula Vielleicht, seitdem es mit mir so gespielt.

Meinerts Nein! Ihr tatet es von je! Einmal, ich erinnere mich wohl, ritten wir zusammen zum Weichselstrom. Hochwasser war's, zur Junizeit. Da erfaßt' Euch ein Gelüste, Euch mit Eurem Gaul in die Strömung hineinzuwerfen. Umsonst, daß ich Euch bat, Euch warnte ...

Cordula Nun? Hab' ich's vollendet oder nicht?

Meinerts Ihr setztet mit einem wilden Satz vom Deich mitten in die reißende Flut!

Cordula lächelnd Und Ihr?

Meinerts Ich setzte Euch nach ...

Cordula So wie Ihr mir heute nachgesetzt seid durch Sturm und Wetter bis hierher an die brandende See.

Meinerts Es war ein Reiten und Schwimmen ums Leben, Cordula. Noch heute begreif ich nicht, wie wir durchgekommen. Weit unten beim Fährboot trug's uns ans jenseitige Ufer.

Cordula Es scheint Euch so zugeteilt, daß Ihr mit mir durch Todesnot reitet, Herr Ratsherr Meinerts.

Meinerts Cordula! Die Götter mußten ein Wunder dazu vollbringen! Und Wunder können nur einmal geschehen!

Cordula mit blitzenden Augen Vermöcht' ich der Zeit zu befehlen: Fließe rückwärts! Stunde, sei wieder da, wo wir selbzweit auf dem Deich ritten, und unter uns, neben uns die Flut gurgelte, ich setzte zum zweitenmal mitten hinein!

Meinerts Und so nun, da Ihr die Uhr unseres Lebens zurückstellt, auch jene andere Stunde wiederkehrte?

Cordula sieht ihn fragend an.

Meinerts Jene Stunde im Gartenhaus, Cordula, bei Jasminduft und Unkengeschrei ...

Cordula senkt den Kopf und schweigt.

Meinerts Cordula! Würdet Ihr auch sie noch einmal leben wollen? Er faßt ihre Hand.

Cordula Tut mir die Liebe! Stoßt die Läden auf! Es ist schwül und dumpf hier.

Meinerts Wie Ihr befehlt! Er geht zum Fenster, stößt den Laden auf. Helles Licht flutet herein. Man hört die Brandung deutlicher. Beide lauschen ein Weilchen.

Cordula fährt sich mit der Hand über die Stirn Es war ein kindischer Traum. Verzeiht!

Meinerts am Fenster Was träumtet Ihr denn?

Cordula Daß etwas wiederkehren könnte.

Meinerts Nun?

Cordula Nichts kehrt wieder, Sebald! Nichts! Nichts! Nicht die Stunde auf dem Deich! Und nicht jene ... jene andere Stunde ...

Meinerts Ganz unwiederbringlich der Unkenruf und der Duft des Jasmins?

Cordula Unwiederbringlich dahin! ... So hört doch die Wogen branden! Spürt den Salzduft her von der See!

Meinerts atmet tief auf, richtet sich in die Höhe Salzduft und Wogenbrandung sind mir nichts Fremdes, Cordula. Bedenkt, ich bin eines Schiffsherrn, eines Seefahrers Sohn. Sturm und Meer haben in meine Kindheit gesungen. Ein Dritteil meiner Tage hab' ich Planken und Bretter unter den Füßen gehabt. Hör' ich's da draußen so donnern, so gemahnt's mich an manche jauchzende Jugendfahrt.

Cordula Aber mir klingt es fremd. Ich ward es anders gewöhnt zwischen Wiesen und Kiefernwald.

Meinerts Nicht des Jasmindufts bedarf's zum Rausch. Auf den schaukelnden Brettern, vom Seewind gewiegt, hab' ihn oftmals erfahren.

Cordula Warum nahmt Ihr mich dazumal nicht und trugt mich mit fort auf Eure schaukelnden Bretter? Vielleicht wär's ein Rausch fürs Leben geblieben.

Meinerts nach einem Augenblick Cordula?

Cordula sieht ihn an.

Meinerts Habt Ihr ... nach mir ... noch einmal ... den Rausch gekannt?

Cordula Fragt mich nicht! Ich antwort' Euch nicht!

Meinerts macht eine Bewegung auf sie, bezwingt sich Wißt Ihr, daß er mein Jugendfreund war?

Cordula Wer?

Meinerts Andreas Zierenberg!

Cordula Er?

Meinerts Wir waren unser drei gleichaltrige herzbrüderliche Freunde auf dem Gymnasio academico in Danzig.

Cordula Wer der dritte?

Meinerts Der heut' als der dritte im Zelt vor Euch stund.

Cordula Euer buckliger Syndikus?

Meinerts Vordem war er grad gewachsen wie wir.

Cordula Woher dann der Höcker?

Meinerts Er trägt ihn als unverlierbares Andenken an unseres Jugendbundes jähen Bruch.

Cordula Und der sich mit ihm überwarf?

Meinerts War Euer Gemahl!

Cordula War mein Gemahl! Erkenn' ich ihn wieder? Um was stritt er sich denn mit Euch?

Meinerts Um eines Ratsherrn Tochter ging's, blondhaarig und dunkeläugig wie Ihr.

Cordula Also stand ich schon einmal zwischen Euch, noch eh' ich's gewußt.

Meinerts lächelnd Wenn Ihr's so auslegen wollt!

Cordula Ihr liebtet sie wohl alle drei, ihr jungen Herren?

Meinerts Nicht Verliebtheit allein war im Spiel. Auch Ehrsucht.

Cordula Ehrsüchtig mein Gemahl? Welch grausame Kränkung!

Meinerts Spottet nicht so bitter, Cordula! Euer Gatte vollbrachte, was keinem von uns gelang. Aus ihres Vaters brennendem Hause trug er das Mädchen ins Freie.

Cordula Wie das?

Meinerts Am Johannisabend geschah's. Die Eltern waren zum Festmahl im Artussaal. Sie wäre verloren gewesen.

Cordula Und Ihr?

Meinerts Mich trieben Flammen und Qualm auf halbem Weg zurück. Er schlug sich bis zur Oberstufe durch. Er war der Stärkere, Cordula!

Cordula Darüber strittet Ihr Euch wohl nachmals?

Meinerts Zwischen Jobs Hamel und ihm kam der Zank, wer von ihnen beiden das Größere vollbracht, er, so das Mädchen unter Todesgefahr gerettet, oder der andere, der durch Feuergeschrei die schlafenden Bürger erweckt, somit dem Weitergreifen der Flammen Einhalt getan und schweren Brandschaden verhütet? In Erinnerung An der noch schwelenden Brandstelle kommen sie ins Ringen. Das Geländer bricht, und Jobs Hamel stürzt rücklings in die Tiefe!

Cordula Und der ihn hinunterstürzte, war mein Gemahl! Sie trommelt mit den Handknöcheln auf den Tisch Wie er sich gleichgeblieben ist! Wie er sich gleichgeblieben ist!

Meinerts Jobs Hamel hatte ihn mit schwerem Schimpf gereizt.

Cordula Und deshalb in den Abgrund! Deshalb verstümmelt! Gemordet deshalb!

Meinerts Niemand mag sich seine Abkunft verlästern lassen, sei sie noch so gering.

Cordula Zerstampfen! Zertrampeln! Zermalmen! In den Abgrund stürzen! Morden! Schänden! Mit Füßen treten! Das war von je seine Art! Sie wirft wie von Sinnen die Arme in die Luft Untier! ... Untier!

Meinerts Cordula, Ihr seid mänadenhaft schön in Eurer Raserei!

Cordula Wer hilft mir ihn verderben? Wo lebt einer, der mir hilft, ihn verderben? Wo ist der Retter? Der Held? Werden nur Memmen auf dem Erdenrund geboren?

Meinerts auf sie zu, ergreift ihre Hand Cordula! Wie kam's, daß Ihr ihn zum Gatten nahmt, da Ihr ihn so tödlich haßt?

Cordula Nahm ich ihn denn? Ward ich ihm nicht ausgeliefert gleich einer Sklavin mit gefesselten Händen? Ward ich ihm nicht preisgegeben gleich einer Lagerdirne? Ihm hingeworfen wie ein Stück Fleisch, so von der Mahlzeit des Herrn übrig geblieben?

Meinerts Cordula! Cordula! Ihr fiebert! Ihr redet, im Wahnsinn!

Cordula Glaubt Ihr, es wäre nicht bei den Nachbarn, bei der Dienerschaft ruchbar geworden, welch ein Gott zu dem Schloßfräulein von Dombrowken niedergestiegen? Meinesgleichen hat gute Witterung für derlei Wild. So ward ich an den ersten besten losgeschlagen, der fremd und unbedenklich zugriff!

Meinerts Cordula! Wenn ich Euch noch länger in Eurer wilden Schönheit vor mir stehen sehe ... Ich hab' ihn einmal meinen Freund genannt! Laßt mich nicht zum Verräter an ihm werden!

Cordula Ihr zum Verräter? Sie lacht gellend auf Nein! Wahrlich! Ihr seid kein Verräter! Seid nie ein Verräter gewesen! Merkt Ihr denn nicht, daß ich Euch nur eine Komödie vorgespielt? Euch nur auf die Probe hab' stellen wollen? Meinen Glückwunsch, Herr Ratsherr! Ihr habt sie siegreich bestanden. Ich will meinem edlen Gemahl erzählen, welch ein Heros der Freundschaft Ihr seid. Sie geht zur Tür, wendet sich Der Himmel hat sich gelichtet. Der Abend wird schön. So 's Euch beliebt, reiten wir durch die Dünen gen Danzig.

Meinerts während er ihr langsam folgt Ihr treibt ein gefährliches Spiel, Cordula!

Vorhang.


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