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Vorspiel

Höhe über dem Weichseltal, mit weitem Blick ins Land.

Ein Frühlingsmorgen.

Zierenberg und Lorenz geharnischt, staubbedeckt. Seitwärts ihre dampfenden Pferde.

Zierenberg ist von mächtiger, überragender Statur. Sein quadratförmiger Schädel ist von dünnem, glattem Haar bedeckt. Die Nase springt weit vor. Großer Mund. Ebenso Hände und Füße. Die Augen grüblerisch und bohrend. Alles an ihm von Natur aus ungeschlacht und bäuerisch, aber durch eine gewisse erworbene Haltung und Würde geadelt. Er steht anfangs Vierzig, erscheint aber älter, ohne sichtlich ergraut zu sein.

Lorenz, untersetzte Landsknechtfigur, mit verwildertem Haar und Bart, von unbestimmtem Alter.

Lorenz wischt sich den Schweiß von der Stirne Potz Blut und Wunden! In dreien Tagen von Lublin hergesprengt! Und keine Stunde aus dem Sattel! Hackt mich in Stücke, Kapitän! So geht's nicht weiter!

Zierenberg schüttelt ihn Vorwärts, Kujon! ... Er murmelt vor sich hin Der Mensch kann alles. Der Mensch vermag alles. Ich hab's in mancher verloren gehaltenen Bataille, vor mancher eisengespickter Bastion erfahren. Er reckt sich in die Höhe Mort de ma vie! Wir müssen durch! Eh' es auf Sankt Katharinen zur Vesper läutet, heißt es in der Stadt sein. Gedenk' der durchgesteckten Botschaft, bevor sie uns in Lublin der Haft entlassen haben! Der Polenkönig ist im Anmarsch auf Danzig. Da gibt's leichtlich kein Aufhaltens mehr, es sei denn, ein Stärkerer kommt und verlegt ihm den Paß.

Lorenz Und der soll Zierenberg heißen!

Zierenberg Wäre der Name unwürdiger, denn irgendein anderer auf der Welt? Klingt seines Tonfalls Melodie gemeiner als etwan in des großen Frundsbergs Namen? Was war der, ehbevor Fortuna ihn erhöht hatte? Und weiß die Chronika nicht von gar manchem ruhmbeglänzten Haus zu melden, so aus Niedrigkeit und Dunkelheit her seinen Ursprung genommen? Ich für mein Teil will lieber der Erste meines Namens denn der Letzte, lieber Ahnherr als Enkel heißen.

Lorenz Ich seh' Euch schon als Feldobrist von Danzig, Herr. Oft genug hab' ich's Euch in der Haft in Lublin gewahrsagt, wenn Ihr Euch die Haare gerauft habt, was Euch draußen alles an Schlachtruhm und Kriegsbeute entginge ...

Zierenberg packt ihn am Arm Alter! Du hast mir in Lublin die finstern Gedanken verjagt, so mich wie Fliegengeschmeiß umsurrten. Dafür bin ich dein Schuldner auf Lebenszeit. Willst du mich jetzo wieder zu deinem Gläubiger machen und mich durch dein Säumen und Fackeln um meine Sternenstunde bringen?

Lorenz Herr! Schmeißt Euch ins Gras und streckt alle viere von Euch. Er wirft sich hin, dehnt sich behaglich Eurer Sternenstunde entgeht Ihr derohalb nicht, so wenig als einer der Musketenkugel entgeht, welche für ihn gegossen ist.

Zierenberg Das Polenheer muß mitten im Lande stehen. Der Weg möchte uns abgeschnitten werden, noch eh' wir's vermuten. In eines Augenblicks Kürze können die Würfel über ein achtzigjähriges Leben fallen. Aufgesessen, Patron! Dein Kapitän befiehlt's!

Lorenz ohne sich zu rühren Seht Ihr nicht, wie die Rackers dampfen und die Flanken schmeißen, Kapitän? So 'n Vieh vermüdet doch mal.

Zierenberg Also Wille, Kraft, Ausdauer ohnmächtig gegen die Unvernunft der Kreatur! Immer wieder an den Grenzen des Menschlichen! Er läßt sich nieder, stützt düster den Kopf in die Hände.

Lorenz nach einem Weilchen Seht Ihr dorten ganz weit das silberne Band mit den drei weißen Segeln drauf? Das ist der Weichselstrom!

Zierenberg schweigt.

Lorenz Vorhin dünkt mich, stunden die drei Segel ein Stück weiter gen Mittag zu. Mögen von Polen herunterkommen gleich uns. Da! Wie sie in der Sonne blinken! Sehr fern müssen die sein! Wollen gewiß mit Getreide nach Danzig hinein.

Zierenberg zerstreut Wo sie der Polenkönig durchpassieren läßt.

Lorenz lacht Am Ende wär's gar der Polenkönig selber, so den Weg zu kürzen, mit dem Vortrab zu Schiff gegangen wäre?

Zierenberg Tod und Teufel!

Lorenz Herr, Ihr schäumt ja, wie ein wütiges Frauenzimmer, dem der Herzallerliebste gestohlen ist?

Zierenberg setzt sich wieder Die lange Haft in Lublin hat sich mir ins Geblüt geworfen. Achtzehn Monde tatenlos auf der Streu! Derweil andere an deinen leergewordenen Platz aufrücken und deine unvollbrachten Kriegstaten tun. Denn mit denen Taten verhält es sich nicht anders, als mit Äpfeln und Birnen zur Sommerszeit. Es gibt ihrer in jedem Säkulo nur eine bestimmte und festgesetzte Anzahl. Gleich als es nur soundso viele Äpfel im Obstgarten gibt. Nicht einen einzigen darüber! Und wer sie pflückt, der hat sie. Der andere aber, so zu spät gekommen, mag sich die Finger schlecken. Für ihn wachsen keine neuen Äpfel mehr nach, und ehbevor ein zweiter Sommer mit frischen Äpfeln gleich als ein neues Säkulum mit neuen Taten heraufgestiegen, da ist der arme durstige Narr längst vermodert und zu Staub zerfallen.

Lorenz Herr, was für Grillen und Hirngespinste! Denkt an die Federfuchser, Eure Gefährten von der Danziger Legation zum polnischen Reichstag! Liegen noch zu der Stunde wohlversorgt in der Polackei auf dem Stroh, und Ihr, Herr, Ihr könnt Euch als ein freier Mann im Grase wälzen und den Frühjahrswind blasen hören. Möcht' wissen, was den Polen in den Kopf gekommen ist, daß sie grade Euch haben laufen lassen? Ihren schlimmsten Feind!

Zierenberg finster Hast du vergessen, daß es einmal einen Andreas Zierenberg gegeben hat, so von den Polen als eine hohe Hoffnung gefeiert und fast für einen ihresgleichen gehalten worden ist?

Lorenz Ihr gedenkt Eurer polnischen Gemahlin, Herr, und deren Freundschaft.

Zierenberg Ja, ich gedenke meiner Gemahlin, so mir am Hochaltar von Sankt Katharinen angetraut und zween Jahre hernach davongelaufen ist.

Lorenz Ihr redet daher, als wäre sie Euch mit einem andern fortgelaufen?

Zierenberg Wäre sie's! Sie lägen beide kalt und stumm. Mit diesem guten Stahl hätt' ich dafür gesorgt. Tote wissen zu schweigen und Gräber halten reinen Mund. Man pflanzt ein Kreuz mit einer Jahrzahl drauf und besucht's am Allerseelentag. Damit ist's aus und abgetan! Aber dies Weiterleben, nicht kalt, nicht warm, dieser fressende Wurm in tiefster Brust: Du hast dein rechtmäßig angetrautes Weib nicht festhalten können, du hast dein Eigentum dir aus der Hand schlüpfen lassen gleich als eine goldschillernde Schlange, die einer mit Not seines Leibes eingefangen hat, sie aber nicht fest genug gepackt hält, und da sie ihm zwischen den Fingern durch ins Gras entwischt, den Einsatz seines Lebens verloren sieht ... Er stöhnt wild auf, krampft die Fäuste zusammen.

Lorenz vertraulich Herr! Ich hab' auch mal so eine gehabt ...

Zierenberg Schweig von deinen Hurenmenschern!

Lorenz Herr! Frauenzimmer bleibt Frauenzimmer, ob's hinterm Distelbusch oder im Grafenschloß zur Welt gekommen ist. Zeigt ihnen die Faust und sie laufen Euch nach.

Zierenberg erhebt seine Hand Ist die von Eisen oder nicht?

Lorenz Ihr habt's in mancher Bataille bewiesen, Kapitän!

Zierenberg Bewies ich dir's nicht selbst dazumal in den Spanischen Niederlanden?

Lorenz Ich denk's wie heut'! Wir stunden unter feindlichen Fahnen. Ich hob die Helleparten gegen Euch. Ein Augenblinzeln und Eure Zeitlichkeit war um! Da dreht Ihr Euch auf Eurem Gaul, mein Stoß geht fehl, ein Griff am Genick, ich fühl' mich in die Höh' gehoben und wieder auf den Grund gestemmt, daß Zeit und Ewigkeit in eins verschwimmen! Gott sei mir gnädig! stöhnt' ich inwendig und gab mich Euch zu eigen. So habt Ihr mit der Faust aus einem span'schen Musketierer einen niederländ'schen Reitknecht gemacht.

Zierenberg Und hab' mir doch mein Weib damit nicht zähmen können. Mag also wohl besser fürs Kriegführen taugen, denn zum Karessieren, die Faust.

Lorenz Herr, Ihr wißt ja: Würfel und Weib, Satans Zeitvertreib!

Zierenberg Ja, sie brauchen immer irgendein gleißend Spielzeug, damit zu tändeln. Irgendein funkelnd Prachtgeschmeide, sich daran zu berauschen. Wer ihre Einbildung entflammt, ihre Hoffnung nimmermüde schürt, dem fallen sie zu. Der Aufrechte, der Gradsinnige, der nie mehr bietet als sich selbst, gilt ihnen plump und ungeschlacht. Tod und Teufel! Mir ist, als wär' ich sehend geworden. Als hätt' ich von dem Zauberkraut verkostet, so zur Vollmondszeit am Kreuzweg nur einmal alle Dutzend Jahre sprießt. Meines Weibes Flucht zu ihrem Vater, die lange Haft im Polenland, die unverhoffte Freilassung, da schon Verzweiflung mich lindwurmgleich umringelte ... Dies alles umsonst und zwecklos? Kein Sinn und Bedeutung dahinter? Der Herrgott ein Lehrbursch in seinem Handwerk? Er richtet sich auf. Alter! Du hast mich in Lublin zum Feldobristen aus deinen Gnaden gemacht. Wie wär's, wenn ich mich zum Herrn über das ganze Land hier in der Runde aus eigener Gnade machte? Aus weiter Ferne Kanonendonner. Er fährt auf. Was war das?

Lorenz mit grimmigem Lachen. Prompte Antwort, Kapitän!

Zierenberg springt auf, reckt sich. Geschützdonner! Vorwärts! Zu Pferd! Keinen Augenblick gefackelt!

Lorenz erhebt sich ebenfalls. Am Ende habt Ihr doch recht gehabt, Kapitän, mit denen drei Segeln da auf dem Weichselstrom!

Wiederholter Kanonendonner.

Zierenberg Der Polenkönig läßt uns grüßen! Auf! Ihm Bescheid getan! Beide eilen zu den Pferden.

Vorhang.


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