Friedrich Wilhelm Hackländer
Reise in den Orient. Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Viertes Kapitel. Schiffbruch des Dampfbootes Seri-Pervas.

Abreise von Konstantinopel. – Die Stadt im Schnee. – Stürmisches Wetter. – Nebel. – Einschiffung türkischer Soldaten. – Der Seri-Pervas – »Schiffbruch und Tod ist unser Loos.« – Unglück des Dr. B. – Heftige Bewegungen des Schiffes. – Unser Nachtrab. – Seesturm. – Schiffbruch. – Das Verdeck. – Versuche zur Rettung. – Unglücksfälle bei derselben. – Das Dorf Armudköi. – Pillau mit Seife. – Räubereien der Türken. – Das Dampfboot Ludovico. – Rückkehr nach Konstantinopel.

Je näher der Zeitpunkt heranrückte, auf den wir unsere Abreise von Konstantinopel bestimmt – es war gegen Ende November – um so häufiger forschten wir bei unsern Bekannten, ob die durch den Krieg mit Mehemed Ali gestörte Communication zwischen der europäischen Türkei und Syrien nicht wieder hergestellt wäre. Obgleich wir nun von Tag zu Tag mit der Nachricht vertröstet wurden, es könne nicht mehr lange anstehen, daß die Dampfschiffe des Lloyd, die früher zwischen Alexandrien, Jaffa, Beirut und Konstantinopel fuhren, ihre Touren wieder beginnen würden, so war doch all unser Spähen vergebens. Es kamen und gingen wohl viele Dampfboote, aber entweder waren sie von der Donaugesellschaft und kamen von dem schwarzen Meere her, um dahin zurückzukehren, oder es erschienen englische Dampffregatten, die den Mittag einliefen, ihre Depeschen so rasch wie möglich wechselten und oft, ehe wir noch Zeit gehabt hatten, uns nach ihnen zu erkundigen, wieder nach Beirut, wo sich die Flotten befanden, zurückkehrten. Um den Weg zu Land durch Kleinasien nach Syrien zu machen, hätten wir, besonders unter den jetzigen Zeitverhältnissen, gewiß an zwei Monate gebraucht, und dazu obendrein noch einen äußerst unangenehmen und beschwerlichen Marsch gehabt.

So waren wir wirklich wegen unsers Fortkommens von Konstantinopel in einiger Verlegenheit und unterhielten uns eines Abends ziemlich mißmuthig von diesen Hindernissen. Wir warteten mit dem Essen auf unsern lieben Reisegefährten, den Oberstlieutenant Philippowich, den seine Geschäfte im östreichischen Gesandtschaftshôtel heute etwas länger als gewöhnlich zurückhalten mochten, als derselbe plötzlich mit dem freudigen Ausruf in die Stube trat: »Meine Herren, es ist eine sehr günstige Gelegenheit da, um uns nach Beirut zu schaffen.« Wir sprangen ihm überrascht entgegen und hörten von ihm, daß die türkische Regierung von der östreichischen Dampfschifffahrtsgesellschaft ein Boot gemiethet habe, um fünfhundert Mann türkischer Infanterie nach Beirut zu bringen.

Diese Soldaten wurden natürlich mit ihren Offizieren auf dem Verdeck placirt und für den Oberstlteutenant, sowie für den Grafen Szechenyi, der ebenfalls noch Etwas von dem Feldzug in Syrien genießen wollte, hatte man die Damenkajüten bestimmt, und uns würde man, wie der Oberstlieutenant glaubte, da in den Kajüten noch Platz genug sei, die Ueberfahrt ebenfalls gerne bewilligen. Da die Abfahrt auf übermorgen Abend bestimmt war, traf der Baron am folgenden Morgen gleich alle Anstalten, um bei den betreffenden Behörden die Erlaubnis; zur Mitfahrt zu erhalten, was ihm bei den vielen Bekanntschaften und Empfehlungen, die er hier hatte, nicht schwer wurde.

Jetzt wurde gepackt und unser Reisegeräthe gemustert, wobei sich vieles Schadhafte von unserer türkischen Landreise her vorfand, was noch heute reparirt werden mußte. Auch eilte jeder, noch kleine Einkäufe zu besorgen, die wir unkluger Weise bis auf den letzten Tag verschoben hatten. Während unsers ganzen Aufenthalts in Konstantinopel hatten wir das herrlichste Wetter von der Welt; doch heute am 1. December änderte sich die Temperatur so bedeutend, daß der Thermometer, der sich immer zwischen fünfzehn und siebenzehn G. R. über Null gehalten hatte, in der Nacht plötzlich auf zwei G. R. unter Null herabsank. Auch hatte sich gegen Morgen ein heftiger Wind erhoben, der uns ein lustiges Schneegestöber brachte, das im Lauf des Tages die Häuser und umliegenden Berge mit einer dünnen weißen Decke überzog, für Konstantinopel gewiß ein seltenes Schauspiel.

Von unserer guten Wirthin, der Madame Balbiani und ihren liebenswürdigen Kindern, die uns nicht wie Fremde, sondern wie Hausgenossen und Verwandte behandelt hatten, nahmen wir den herzlichsten Abschied und stiegen nach Top-Chana hinunter, wo das Dampfboot – es war der Seri-Pervas (»Schnellläufer«) in der Mitte des goldenen Horns vor Anker lag. Nie hatte ich das Wasser in dem sonst so ruhigen Hafen in solcher Aufregung gesehen; die kleineren Kaiks verließen das Ufer und bargen sich zwischen die Häuser und Schiffe; nur einige der größten waren noch da, die aber von den bewegten Wellen so in die Höhe geworfen und hin und her geschaukelt wurden, daß es uns erst nach langer Anstrengung gelang, unsere Effekten, als Koffer, Mantelsäcke etc. in zwei derselben zu bringen. Wir ruderten nach dem Schiffe und fanden draußen die Bewegung der Wellen noch ungleich stärker, als am Ufer, so daß wir trotz der hülfreichen Hand der Matrosen mehrmals von dem Schiffe zurückgeworfen wurden, ehe es uns gelang, die Kaik anzulegen und unsere Effekten hinaufziehen zu lassen. Nicht ohne Gefahr folgten wir ihnen nach, da die Boote bald tief unter der Treppe des Dampfschiffes lagen, bald von den Wellen mehre Fuß hoch hinaufgeschleudert wurden.

Das Schiff hatte eben erst seinen Kohlenvorrath eingenommen und noch keinen der Soldaten an Bord. Wir gingen auf dem Verdeck umher und sahen uns zum letzten Mal die schöne majestätische Stadt an, die wir nun wohl für immer verlassen sollten. Der Schnee, der wie mit einem weißen Schleier die Kuppeln der Kirchen bedeckte, verlieh dem ganzen Bilde einen eigenthümlichen phantastischen Reiz. Man ist so gewohnt, sich die Moscheen mit ihren schlanken Minarets, sowie die dunkeln Cypressen nur unter einem heiteren blauen Himmel im heißen Sonnenstrahle zu denken, daß diese orientalische Winterlandschaft mit den darüber hängenden dichten Schneewolken einen sonderbaren beklemmenden Eindruck auf das Herz machen mußte. Mir war, als sei die ganze Umgebung, Stadt und Hafen, viel stiller, denn sonst, als verwunderten sich neben den Türken, die wirklich erstaunt die weißen Flocken fallen sahen, selbst die leblosen Gebäude und Bäume über den kalten Schleier, der sich über sie gebreitet.

Der Kapitän, Herr L., der mit großen Schritten auf dem Radkasten umherging und in das wogende Meer hinaus sah, begrüßte uns freundlich, theilte uns aber gleich seine Besorgniß mit, daß wir während der Nacht einen heftigen Sturm haben könnten. Wirklich wurde das Wetter auch von Minute zu Minute unangenehmer; das Schneegestöber, mit Regen untermischt, begann auf's neue und heftiger als heute Morgen, wobei sich endlich der Nebel herabsenkte, so daß wir kaum die auf den Masten flatternden Fahnen erkennen konnten. Der Baron, sowie die östreichischen Offiziere, waren mit ihren Abschiedsbesuchen beschäftigt und noch in Pera geblieben, um eine Stunde später als wir an Bord zu gehen.

Gegen fünf Uhr lichtete der Seri-Pervas die Anker, um nach Skutari zu fahren, wo wir die türkischen Soldaten aufnehmen sollten. Das Meer warf lange flache Wellen, die das Schiff unter so starker Bewegung durchschnitt, daß ich, der ich meine erste Seereise machte, mich schon hier im Hafen kaum aufrecht erhalten konnte. Von dem asiatischen Ufer herüber drang, so oft es die heftigen Windstöße erlaubten, eine gräßliche Militärmusik in unser Ohr, deren barbarische Klänge es den armen Soldaten, die in dichten Reihen am Ufer standen, leichter machen sollte, von der Heimath, von Weib und Kind zu scheiden. Wir warfen auf's neue Anker und die Soldaten kamen in großen Booten angefahren. Die Bekleidung dieser Leute war ziemlich gut und warm. Sie hatten dicke Tuchmäntel und über dem Feß noch eine Art Kapuze; dagegen war ihre Verproviantirung um so schlechter, indem sie für die ganze Fahrt, welche gewöhnlich sieben Tage dauert, von Seiten der Regierung nur harten Zwieback und Oliven erhalten hatten. So oft eine Schaluppe ihre Ladung bei uns abgesetzt hatte, fingen die Türken gleich an, sich so gut wie möglich häuslich einzurichten. Anfänglich drängte Alles nach der Puppa, Hintertheil, wo der Kapitän ein großes Segel hatte ausspannen lassen, als eine Art Schutzdach gegen den Schnee und den Regen. Die Leute breiteten dicht neben einander Teppiche, deren jeder einen bei sich führte, auf dem Verdecke aus, setzten sich darauf auf die untergeschlagenen Beine und begannen Tabak zu rauchen. Die ganze Einschiffung dauerte eine starke Stunde und da man statt fünfhundert, wie anfangs bestimmt war, sechshundert eingeschifft hatte, war das ganze Verdeck, trotz dem die Menschen ganz dicht gedrängt saßen oder standen, so angefüllt, daß der Kapitän sich genöthigt sah, längs der einen Schiffswand Balken und Taue ziehen zu lassen, die einen Gang für die Matrosen bildeten, denen es sonst unmöglich gewesen wäre, so schnell als es der Dienst auf dem Schiffe erfordert, hin und her zu laufen.

Schon fing es an dunkel zu werden, und unsere Freunde kamen noch immer nicht; auch wurde das Schneegestöber stärker, der Wind erhob sich mehr und mehr und der Nebel war so dicht geworden, daß man von der Prouva, Vordertheil des Schiffes, kaum bis zur Puppa sehen konnte: Umstände, die unsern Kapitän veranlaßten, nach einer Berathung mit seinen Offizieren einen derselben an's Land zu schicken, um bei dem Pascha, der die Einschiffung befehligt hatte, die Erlaubniß auszuwirken, wegen des ungünstigen Wetters die Abfahrt bis morgen zu verschieben. Doch umsonst. Der Pascha, ein brutaler Türke, wollte nichts von Aufschub hören und ließ dem Kapitän sagen, das Schiff wäre zur Abfahrt auf heute gemiethet und er solle seine Pflicht thun.

Daß unsere Freunde noch immer nicht kamen, setzte sowohl den Kapitän wie uns etwas in Verlegenheit. Ersterer ließ auf's neue die Anker lichten und fuhr mit halber Kraft in einem großen Bogen nach Top-Chana zurück, um das Boot mit denselben, im Fall es sich in dem Nebel verirrt hätte, aufzusuchen. Auch ließ er mehrere Schüsse thun und wir standen an der Puppa und spähten umher. Endlich sahen wir ein Boot mit einer rothen Flagge gegen uns kommen, das die Wellen gewaltig auf- und abwarfen. Bald schwebte es hoch auf einer Woge, bald entschwand es uns gänzlich, und so dauerte es noch eine ziemliche Zeit, bis es anlegen konnte. Als die Freunde wohlbehalten an Bord gestiegen waren, ließ der Kapitän das Schiff wieder wenden, und eilte mit der vollen Kraft der Maschine in's Marmormeer hinaus. Wir aber stiegen in die Kajüte hinab, um das für uns bereitete Souper einzunehmen.

Außer den beiden östreichischen Offizieren, die ich genannt, machte nur noch ein Herr S., östreichischer Dolmetscher bei der Pforte, die Reise mit uns, so daß wir in den Kajüten Platz genug hatten; besonders da der Kommandeur der türkischen Truppen beständig im Hintergrund der Kajüte auf seinem Teppich lag. Alle andere Offiziere, worunter sogar ein Oberstlieutenant und zwei Majors türkischer Währung sich befanden, waren vorne in der zweiten Kajüte.

Bei Tische erschien der Kapitän, Herr L., ein sehr liebenswürdiger gebildeter Italiener, für einige Augenblicke mit einem andern Passagier, den wir bis dahin nicht bemerkt hatten. Letzterer war ein ungemein langer und magerer Mensch, seinem Titel nach Agent der Dampfschifffahrtsgesellschaft und unser Nachtrabe; denn jede seiner Reden war entweder eine böse Prophezeiung für die kommende Nacht, oder eine Erzählung über die schlechte Disciplin der türkischen Truppen. So sagte er unter Anderem: man habe für den Truppentransport diesmal ein Dampfboot gewählt, weil schon zweimal der Fall vorgekommen sei, daß die auf gleiche Art an Bord eines Segelschiffs gewesene Mannschaft sich empört, den Kapitän gezwungen habe, sie wieder an's Land zu setzen und alsdann desertirt sei; Thatsachen, die wir später bestätigen hörten. Bei einem Dampfboot aber, setzte er hinzu, sei dergleichen nicht zu befürchten, indem ihre Scheu vor der Maschine sehr groß wäre und sie den Kapitän, der diese zu leiten wisse, beinahe für ein übernatürliches Wesen ansähen. Daß es eine ziemlich zügellose und wilde Bande sei, die über unsern Köpfen lagerte, hatten wir schon heute Abend hinreichend Gelegenheit zu erfahren; denn einige attakirten den Kellner, oder vielmehr die Suppenschüssel, die dieser auf unsern Tisch brachte; eine Frechheit, bei der schon Vermuthungen aufstiegen, was es wohl geben könnte, wenn uns mit diesen sechshundert Menschen an Bord irgend ein Unglück zustieße.

Während dem Essen wurde das Schwanken des Schiffes so stark, daß einige Mal die Gläser und Flaschen über einander fielen. Für Einige von uns, worunter auch ich, die zum ersten Mal eine Seereise machten, war dies Wetter sehr geeignet, die fast unvermeidliche Seekrankheit schnell und stark herbeizuführen. Sogar die, welche schon das Meer kannten, machten die ungewöhnlichen Stöße unwohl, und es war komisch zu sehen, wie einer nach dem Andern aufstund und sich an den Wänden festhaltend, um nicht hinzustürzen, sein Bett suchte. Ich für meine Person hatte das ungewöhnliche Glück, in Gesellschaft des Oberstlieutenauts Philippowich, und des Grafen Szechenyi, ohne unwohl zu werden, bis zu Ende dem Souper tapfer zusprechen zu können, obgleich zuweilen Stöße kamen, die unsere Stühle zwei bis drei Fuß vom Tische entfernten. Gegen zehn Uhr stieg ich noch einmal aufs Verdeck, um mich umzusehen; doch verhinderte die ungewöhnliche Finsterniß der Nacht jede Aussicht. Das Schneegestöber, mit Regen untermischt, hatte sich verstärkt und wüthete unter den Soldaten, die ohne Dach – das Ausgespannte Segel hatte man, da der Wind zu heftig wurde, wegnehmen müssen – auf dem Verdeck dem ganzen Unwetter Preis gegeben waren. Viele dieser armen Menschen waren in die Magazine gekrochen, andere saßen und lagen auf den Treppen herum und überall, wo sie nur das geringste Obdach fanden. Trotzdem war das Verdeck noch so überfüllt, daß die Matrosen und Steuerleute kaum ihre Arbeit verrichten konnten, und sie hatten heute Nacht alle Hände voll zu thun. Der Nordwestwind, der uns stark in die rechte Seite blies, so daß das Schiff mit aller Kraft der Maschine seinen Cours kaum halten konnte, wurde von Minute zu Minute heftiger. Auch wogte das Meer immer stärker auf und spritzte leichte Wellen auf's Verdeck, weßhalb ich mich so rasch wie möglich wieder in die Kajüte zurückzog.

Zum Schlafen hatten wir die Damenzimmer eingenommen, die aus zwei Kabinetten bestanden, das eine mit sechs, das andere mit vier Betten. Außerdem waren zu beiden Seiten der großen Kajüte noch acht Zimmerchen, jedes mit zwei Betten, woraus man ungefähr auf die Größe dieses schönen Schiffes schließen kann. In allen seinen Theilen war es auf das Eleganteste eingerichtet; doch konnte der Sachverständige einen großen Fehler an ihm entdecken, nämlich den, daß die Maschine von hundertundzwanzig Pferdekraft viel zu schwach war für den großen Körper des Bootes. Schon bei Uebernahme des Schiffes im vorigen Jahre – es war erst gegen Ende 1839 in Triest vom Stapel gelaufen – hatte unser jetziger Kapitän der Dampfschifffahrtsgesellschaft dies Mißverhältniß zwischen Maschine und Fahrzeug auseinander gesetzt, um sich gegen alle Folgen zu verwahren, zugleich erklärte er, bei seiner jetzigen Construction sei er überzeugt, daß sich das Schiff bei einem starken Sturm nicht gegen Wind und Wellen erhalten könne. Diese kleinen Details gab uns der Nachtrabe mit zu Bette und verließ uns mit einem bedenklichen: Nous verrons, nous verrons! Alles lag schon in den Betten, außer dem Grafen Szechenyi und mir. Ich weiß nicht, ich konnte mich nicht dazu entschließen, in den niedrigen Kasten zu kriechen. Wir saßen auf einem der Sophas in der Damenkajüte und sangen allerlei Lieder, unter andern den Refrain aus dem Liede des Zampa, worauf wir sonderbarer Weise immer wieder zurückkamen und der lautet:

»Schiffbruch und Tod – ist unser Loos.«

und trieben das so lange, bis uns die Andern aus ihren Betten heraus ernstlich ermahnten, mit unsern für die jetzigen Verhältnisse wirklich gottlosen Liedern einzuhalten und den Teufel nicht an die Wand zu malen. Und wirklich war unser Gesang eine böse Vorahnung, für den armen Szechenyi in doppelter Hinsicht; denn nachdem ihn das Meer verschont und er später wieder glücklich Konstantinopel erreicht hatte, führte ihn sein Geschick nach Damaskus, wo er an der Pest starb.

Unterdessen begab ich mich, nicht ohne viele Mühe, in mein niederes Bett, wobei ich so wenig wie die Andern an irgend ein Unglück dachte, daß wir uns ganz wie zu Hause ausgezogen hatten, auch heiter und guter Dinge waren. An Schlafen war freilich nicht zu denken, vielmehr mußte man sich mit beiden Händen festhalten, um von den starken Stößen nicht aus dem Bette geschleudert zu werden. Dabei fing das Schiff an, sich auf eine wirklich beunruhigende Art zu bewegen und ganz entsetzlich zu krachen. Bald war die Seite, auf der wir lagen, hoch in der Luft und wir sahen förmlich auf unsere Gefährten hinab, bald stiegen diese und wir befürchteten nur, wenn sie so über uns schwebten, es möge einer aus seinem Bette fallen, der dann wahrscheinlich ohne Gnade auf uns gestürzt wäre. Je heftiger diese Schwankungen des Schiffes wurden, je stärker wurde das betäubende Getöse und schnitt uns die Worte vom Munde ab. Die Bretter und Balken, aus denen das Schiff gebaut war, dehnten und bewegten sich knarrend und stöhnend. Kein Stück des Schiffes, kein Tau, kein Holz, kein Metall schwieg, jedes gab seinen Ton des Schmerzes von sich; draußen schlugen die Wellen mit einem unglaublichen Gepolter an die Seiten des Schiffes. Neben diesem furchtbaren Ernst, den Meer und Wind zu machen schienen, fehlte es unserer Kajüte nicht an komischen Scenen, die Lachen erregen mußten. So öffnete eine Woge die kleine Luke über dem Bette des Oberstlieutenant Phlippowich und goß einen phosphorisch leuchtenden Wasserstrahl hinein, und als er aufsprang, um sein Lager von Neuem zu ordnen, ließ er bei dieser Beschäftigung sein Bett mit den Händen los und rutschte unaufhaltsam bis an die andere Seite des Zimmers. Lange brauchte er dazu, um sein Lager wieder zu erreichen, und so oft er einige Schritte vorwärts gethan hatte, warf ihn ein neuer Stoß des Schiffes wieder zurück. Auch konnte ihm Niemand von uns helfen; denn sowie einer seine Bettwände losgelassen hätte, würde es ihm ebenso ergangen sein.

Viel schlimmer noch aber erging es unserm kleinen Doctor B. Ein natürliches Bedürfniß, gegen das er lange angekämpft hatte, zwang ihn endlich, sein Bett zu verlassen und ein kleines Gemach zu besuchen, das sich neben unserer Kajüte befand. Nicht ohne große Mühe öffnete er die Thüre desselben, die ein neuer Stoß des Schiffes hinter ihm dergestalt wieder in's Schloß warf, daß beide Klinken davon flogen. Jetzt hörten wir lange Zeit nichts von ihm; doch glaubte jeder, er liege wieder in seinem Bett. Plötzlich schrie uns der Oberstlieutenant mit aller Kraft seiner Stimme zu: er höre neben sich etwas klopfen, könne jedoch nicht begreifen, was es sei. Jetzt fiel mir auf einmal unser Doctor bei. Ich rief seinen Namen, und als ich keine Antwort bekam, sprang ich aus dem Bette und lavirte nach der Gegend hin, wo jene kleine Thüre war. Sie war fest verschlossen und wirklich hörte ich hinter derselben die klägliche Stimme unseres Freundes; mehrere Male ließ ich mich nun mit dem Rücken gegen die Thüre fallen, bis sie endlich zusammenbrach und ich so den armen Doctor aus seinem Gefängniß erlöste. Ihm war es indessen sehr schlecht ergangen. Die beständigen Bewegungen des Schiffes hatten ihn in dem kleinen Gemache wie eine Erbse in der Schote herumgeschüttelt und am ganzen Körper braun und blau zerschlagen. Obendrein hatte das Wasser an der Einrichtung dieses geheimen Gemachs etwas zerbrochen und jede Welle führte einen Strom Wasser hinein, der sich an der Decke brach und dann auf den Unglücklichen herabfiel.

Ein Beamter in Konstantinopel hatte uns gesagt: Wenn Sie einstens einen Seesturm erleben sollten, kann es Ihnen ein Zeichen sein, daß er heftig wird, sobald die Stühle in der Kajüte umherspazieren; und ich dachte jetzt lebhaft an seine Worte; denn nicht nur die Stühle, sondern auch unsere sehr schweren Koffer wanderten förmlich auf und ab. Ich lag in meinem Bette auf dem Rücken, und jede Schwankung des Schiffes legte mich so stark auf die Seite, daß ich mich gegenstemmen mußte, um nicht auf das Gesicht zu fallen. Dabei waren diese Bewegungen äußerst langsam und schwerfällig; das Boot legte sich, wie schon gesagt, ganz auf die Seite und blieb einige Secunden so, dann hob es sich als wie mit vieler Mühe wieder auf. Neben dem großen Spektakel, den Wände und Geräthe in unserer Kajüte verursachten, war das Gerassel und Gepolter auf dem Decke noch ungleich toller. Zwei Kanonen hatten sich losgemacht und rollten oben auf und ab, bis sie die Brustwehr durchstoßen hatten und in's Meer gefallen waren. Dabei schrieen und heulten die Soldaten oben wild durch einander; es war eine schreckliche Nacht.

Von Zeit zu Zeit erschien unser Nachtrabe und brachte schlimme Nachrichten von oben. Gegen zwölf Uhr verkündigte er uns, die Maschine, welche bei gutem Wetter zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Rotationen in der Minute machte, brächte jetzt kaum drei bis vier zu Stande und könne das Schiff nicht mehr gegen den mächtigen Nordwestwind halten, und obgleich unser Cours beinahe ganz West sei, würden wir doch allen Bemühungen mit Segeln und Steuer zum Trotz ganz südöstlich getrieben. Hätte uns einer der Schiffsoffiziere diese Nachricht gebracht, so wären wir vielleicht aufgestanden und hatten uns angekleidet, um bei einem etwaigen Unglück gleich bei der Hand zu sein. Doch da uns jener stets mit bösen Prophezeiungen heimgesucht, blieben wir ruhig liegen, hörten aber doch mit wachsender Unruhe den immer mehr zunehmenden Sturm, sowie das stets heftiger werdende Tosen und Klopfen der Wellen gegen die Schiffswände. Plötzlich schmetterte die hängende Lampe so gegen die Decke des Zimmers, daß sie in kleinen Stücken herabfiel und wir im Dunkeln waren. Ich sprang aus dem Bette, und war kaum im Stande, zur Thüre zu kommen, um zu sehen, ob es möglich sei, ein anderes Licht zu erlangen; doch konnte ich nicht hinaus, indem die Treppen zu unserer Kajüte, sowie der ganze Gang mit türkischen Soldaten bedeckt war. Auch drang mir ein so unangenehmer Geruch entgegen, daß ich wieder zurücktrat und mein Bett suchte. Jetzt aber ward unsere Lage wirklich auf's Aeußerste unangenehm und beunruhigend. Um uns die dickste Finsterniß, während wir auf eine nicht zu beschreibende Art zusammengeschüttelt wurden. Der Tisch in der Mitte unseres Zimmers brach und stürzte um, die Wandgetäfel fielen herab, und der künstlich zusammengefügte Boden war auseinander gegangen, so daß man sich bei dem Gehen sehr in Acht nehmen mußte, um nicht in die entstandenen Oeffnungen zu treten und den Fuß zu brechen. Ueber uns vermehrte sich das Poltern der Soldaten und wir hörten ein Getöse, wie von schweren Ketten, die hin und her geschleudert wurden. Dazwischen das Rufen und Wehklagen jener Menschen, die gewiß von Sturm und Regen gewaltig litten, und dennoch im Fall eines Unglücks besser daran waren, als wir, indem sie sich wenigstens nach Außen regen konnten, während wir so gut wie eingeschlossen waren; ein Gedanke, der für mich diese Nacht der schrecklichste war. Ging das Schiff unter, so konnten wir nicht einmal einen Versuch machen, uns zu retten, und mußten wie in einem Sacke eingeschlossen, elend ertrinken. Der Plafond unserer Kajüte mußte auch gelitten haben, denn zuweilen drang Wasser von oben herein. Ich für meine Person spürte sehr gut die großen dicken Tropfen, die mir auf meine rechte Hand und den Arm fielen und mich auf dieser Seite in kurzer Zeit durchnäßten. Doch lag ich ganz ruhig und lauschte nur auf das Rauschen der Maschine, das ich von Zeit zu Zeit, doch sehr undeutlich hörte, indem ich bei mir dachte, so lange die Räder gehen, ist dem Schiffe nichts zugestoßen und treibt es noch auf hoher See umher. Man konnte sehr gut hören, wenn der Andrang der Wellen die Räder für eine Minute oder länger gänzlich hemmte; dann wurde das Ventil an der Maschine eröffnet oder öffnete sich von selbst und der Dampf fuhr laut pfeifend mit einer Gewalt hinaus, was man trotz des Sturmes deutlich hören konnte.

Dies dauerte ungefähr bis vier Uhr Morgens. Da glaubten wir Alle, die Gewalt des Sturmes habe sich gelegt und jede Gefahr sei vorüber, denn die Schwankungen des Schiffs waren weniger heftig und die Wellen lärmten nicht mehr so gewaltig wie früher; doch nur einige Augenblicke täuschte uns diese Hoffnung – ein fürchterlicher Stoß von entsetzlichem Krachen des Schiffes begleitet, erschütterte das ganze Gebäude und warf uns in den Betten hoch empor. D« Baron war der Erste, der auf den Boden sprang und mit den Worten: Wir sind gescheitert! das aussprach, was wir kaum zu denken wagten. Vergeblich horchte ich auf das Brausen der Räder, ich hörte nichts als das Heulen des Sturmes. Das Stoßen des Schiffes hatte eine ganz andere Gestalt angenommen; es war nicht mehr das Gefühl, von den Wellen hin und her geschaukelt zu werden, sondern wir fühlten, daß das Boot fest saß und von der Gewalt des Sturmes rechts und links gegen Steine oder Felsen geworfen wurde. Wie wir nun in den ersten Augenblicken rathlos und thatlos dastanden, erschallte die Stimme des langen Agenten durch den Lärmen, der uns durch die Thür zurief: »Messieurs, nous avons échoué au milieu de la mer.« Keiner konnte, ohne sich anzuhalten, aufrecht stehen bleiben. Was war zu thun? Jeder wollte sich natürlich so schnell wie möglich ankleiden, um auf das Verdeck zu kommen, weil, wenn das Schiff einen bedeutenden Leck erhalten hatte, oder von der Macht der Wellen zertrümmert worden wäre, man seine Rettung nur vom Verdeck aus hätte suchen können.

Das Erste, was wir thaten, war, zur Thür hinauszudringen und uns Licht zu verschaffen. Doch war das wegen der davor liegenden Soldaten keine Kleinigkeit; besonders jetzt, wo auch sie wußten, daß uns irgend ein Unglück betroffen. Der Oberstlieutenant war der Erste, der unter sie trat, um draußen nach dem Kellner des Schiffs zu rufen. Die Türken umringten ihn augenblicklich und faßten seine Arme und Beine, wobei sie ihm in ihrer Todesangst zuriefen: Effendum Saalam war? – Herr, ist noch Rettung? Er beschwichtigte sie so gut wie möglich, und vermochte sie, sich von unserer Thür zu entfernen und den Kellner hineinzulassen, der endlich mit zwei Wachskerzen erschien.

Nun galt es, aus dem Chaos von Kleidern, Stiefeln, Koffern und sonstigen Sachen das Seinige herauszufinden. Es war eine vollkommene Fischerei, denn wenn man z. B. glaubte, einen Stiefel zu haben, schleuderte ihn ein neuer Stoß des Schiffes in eine andere Ecke. Jeder zog in der Eile an, was er gerade fand, wodurch wir, da unsere Gesellschaft aus sehr großen und kleinen Leuten bestand, auf das Sonderbarste costumirt wurden. Wir versuchten, auf das Verdeck zu kommen und zu sehen, wo wir seien und was eigentlich mit dem Schiffe vorgegangen; aber die Türken drängten sich dergestalt auf Treppen und Gängen, daß es nur dem Oberstlieutenant und dem Grafen Szechenyi gelang, hinaufzudringen. Doch konnten sie nicht gleich zur Thür des Kajütenhäuschens hinaus, indem eine der schweren Ketten, die den Schornstein der Maschine hielten, zerrissen war und hin und her geschleudert wurde. Beide mußten deßhalb den Augenblick abwarten, wo sie längs der Thür flog, und dann hinausspringen. Es war dieselbe Kette, die ich in der Nacht hatte klirren hören und die, wie wir später hörten, sechs Soldaten in der Dunkelheit über Bord gerissen hatte. Natürlich waren die Unglücklichen spurlos verschwunden.

Unsere beiden Gefährten kamen noch einigen Minuten zurück und berichteten uns, das Schiff sei allerdings gescheitert, doch wo, wisse man noch nicht. Man hoffe jedoch nicht weit vom Lande. Nach einer Viertelstunde kam der Agent und sagte: der Kapitän glaube in der Bucht von Mudania zu sein und da es zu vermuthen stünde, daß die heftigen Wellen das Schiff, welches zwischen großen Steinen fest sitze, in Kurzem zerschmettern, so mache er Anstalten, die Mannschaft auszuschiffen.

Wir kleideten uns etwas sorgfältiger und betraten alle das Verdeck, um selbst zu sehen, was für unsere Rettung zu thun sei.

Welch einen Anblick bot das Schiff! Ungefähr hundertfünfzig Schritt von einem schneebedeckten Ufer hing es zwischen Felsen, und haushohe Wellen warfen es von einer Seite zur andern. Doch nur die Spitze des Schiffes lag fest, das Hintertheil dagegen, tief im Wasser, wurde von der Gewalt der andringenden Wellen oft hoch in die Höhe gehoben. Dann fiel es wieder in's Wasser zurück und drohte durch dieses immerwährende Aufprellen in der Mitte von einander zu brechen. Jede Planke, jedes Holz ächzte, die Taue der Masten, von denen einer zerbrochen war und das Schiff mit Segeln und Tauwerken bedeckte, pfiffen durch die Luft, und Niemand konnte aufrecht stehen bleiben. Dabei das dichteste Schneegestöber, das uns im Verein mit den ungeheuern Spritzwellen, die jeden Augenblick über das Verdeck rollten, in wenigen Minuten durchnäßt hatte und ganze Klumpen Eis des auf dem Meer zusammengeballten Schnees über uns warf. Nie hab' ich später ähnliche Wellen gesehen. Donnernd brachen sie sich an den Wänden des Schiffs und fuhren daran empor, nicht selten über dem Schornstein zusammenfallend.

Die Soldaten, um sich aufrecht zu erhalten, hingen an der rechten Seite des Schiffes in dichten Reihen an einander. Die ersten hatten das Geländer und die Taue erfaßt, und die folgenden hielten sich an diesen. Doch kam dann und wann ein Stoß, der diese Menschenkette aus einander riß und einen Theil der Soldaten mit unglaublicher Gewalt gegen die andere Flanke warf, wo sie sich dann mit erstarrten Händen und klappernd vor Frost wieder fest zu halten suchten. Das Verdeck war ganz bedeckt mit Waffen, Kochgefäßen und irdenen Geschirren, aufgeweichtem Zwieback und verschiedenen Sachen der Soldaten: als Pfeifen, Teppichen ec. Die Wellen stürmten mit gleicher Heftigkeit noch immer gegen die linke Seite des Boots. Von Weitem sah man sie heranrollen, langen Reihen schwarzer Pferde gleich, auf denen der weiße Schaum kolossale Reiter bildete, die einen Chock auf unser Schiff wachten. Immer größer wurden sie und immer lauter das Getöse, mit welchem sie näher kamen.

Ehe der Kapitän Anstalten zu unserer Rettung traf, hatten sich fünf türkische Soldaten auf eigene Faust, aber auf eine sehr verwegene Art vom Schiffe entfernt. Sie sprangen in eines der Boote, die an der Seite des Schiffes hingen, zogen ihre Messer, schnitten zugleich die vier Taue, die es hielten, ab, und ließen sich in das brausende Meer fallen. Eine Zeit lang glaubten wir sie wirklich verloren; denn die Wellen rissen sie im Kreise herum und drohten das kleine Boot umzuschlagen. Bald jedoch warfen sie es nach dem Ufer zu, die Soldaten sprangen heraus und liefen, ohne sich weiter um uns und das Schiff zu bekümmern, schleunigst davon.

Nach langen Berathschlagungen, wie es möglich sei, ein Tau an's Ufer zu befestigen und so eine Art von Brücke zu bilden, wagte einer der Matrosen sein Leben, um diesen Plan auszuführen. Er band sich einen dünnen Strick, der einige hundert Schritte lang war, um den Leib, und sprang vom Boogspriet aus in's Meer. Nicht ohne Beklemmung und Angst sahen wir ihm zu, sahen, wie die Wellen ihn zuerst herumdrehten, und es lange dauerte, bis er seine Hände und Füße gebrauchen konnte, um vorwärts zu schwimmen. Kräftig und gewandt arbeitete er sich bis auf vielleicht fünfzig Schritte vom Ufer, wo ihn die Brandung auf's Neue erfaßte und wir ihn und uns mit verloren glaubten. Mehrmals warfen ihn die Wellen bald zurück, bald gegen die Felsen des Ufers, so daß wir glaubten, die Rippen müssen ihm zerbrechen. Endlich faßte ihn eine größere Welle und führte ihn hoch auf den Strand wo er gewiß eine Viertelstunde wie todt liegen blieb. Mit welchen Gefühlen wir dies Alles vom Schiffe aus ansahen, kann sich jeder leicht vorstellen. Schon war es sehr schwer geworden, einen der Matrosen zu diesem ersten Versuche zu bewegen, und den Verunglückten vor Augen, würde kein Zweiter denselben Weg gemacht haben. Glücklicher Weise aber war er nicht todt, sondern fing langsam an, sich zu bewegen. Doch dauerte es noch einige Minuten, ehe er seine ganze Besinnung wieder hatte und wußte, wo er sich befand. Dann stand er auf, zog den Strick nach sich, an welchen man unterdessen ein dickeres Tau gebunden hatte, befestigte dies an zwei Olivenbäume, die glücklicher Weise am Ufer standen, und bildete so eine, wenn gleich unsichere Verbindung mit dem Lande. Die Mitte dieses langen Taues hing durch seine eigene Schwere tiefer als die beiden Enden und die vom Ufer abprallenden Wellen schlugen hoch über dieselbe zusammen; ein Umstand, der das Hinüberklettern noch mehr erschwerte.

Obgleich ein zweiter Matrose auf diesem Taue glücklich an's Ufer kam, wollte doch keiner der Türken zuerst den gefährlichen Weg versuchen. Wir drängten uns durch die Massen der Soldaten bis vorne zum Boogspriet und nahmen die stark schwankende Brücke in Augenschein. Der Oberstlieutenant war der Erste, der sich hinaufwagte und mit Lebensgefahr hinüber kam. In der Nähe des Ufers, vielleicht betäubt von den über ihn stürzenden Wogen, ließ er das Tau zu früh los und würde wahrscheinlicher Weise ertrunken sein, wenn nicht die beiden Matrosen ihm entgegen gesprungen wären und ihn herausgezogen hätten. Der Zweite war unser Baron, der, ungemein geschickt in allen gymnastischen Uebungen, äußerst schnell und glücklich hinüber kam. Dann folgte der Graf Szechenyi, der ebenfalls das Land glücklich erreichte, und nach diesem wollte ich mein Heil versuchen. Schon stand ich oben auf einem Anker, wo das Tau angebunden war, und wollte mich eben hinablassen, als ich mich von mehreren Seiten und unter wildem Geschrei von den Türken angefaßt fühlte. Da ich nicht wußte, was sie wollten, versuchte ich es, meine Arme los zu machen und zog eine Pistole aus dem Gürtel, nicht um auf die Türken zu schießen, da sie ganz naß war, sondern nur um ihnen auf die Köpfe und Hände zu klopfen, damit sie mich loslassen sollten. Doch wurde das Geschrei hierdurch noch größer und nach ihren wilden Blicken konnte ich fürchten, sie würden mich ohne Weiteres in's Meer werfen. Auch riefen mir ein Paar von den Matrosen auf Italienisch zu, ich möchte ja meine Pistole einstecken, was ich that. Hierauf rissen mich die Türken gleich von meinem Anker herunter und mehrere gaben mir durch Worte und Pantomimen zu verstehen, sie wollten nun zuerst hinüber und wir Giaurs könnten warten, bis sie gerettet seien. Wir seien ohnedies Schuld daran, daß sie in den Krieg müßten. Was war zu thun? Mit dieser zügellosen Bande, die durch das Unglück der vergangenen Nacht, durch Sturm und Unwetter noch mehr aufgereizt war, ließ sich nicht spassen. Wir zogen uns also mit den Matrosen auf das Hintertheil des Schiffes zurück und ließen die Soldaten ihr Heil versuchen.

Eben so rathlos wie wir auf dem Verdecke standen, waren unsere Freunde am Lande. Die ganze Gegend war fußhoch mit Schnee bedeckt und zeigte kein Haus, keinen Weg noch Steg. Der Baron zeigte uns vom Ufer her durch Pantomimen an, sie wollten den Strand entlang gehen, um zu sehen, ob nicht ein Dorf oder sonst menschliche Wohnungen in der Nähe seien.

Unterdessen begannen die Soldaten nicht zu ihrem Heil die Rutschpartie nach dem Lande zu. Als sie gesehen, daß unsere drei Freunde so glücklich hinüber gekommen waren, glaubten sie, die Sache sei nicht schwer und fingen an, es nachzumachen. Einige kletterten an das Tau und rutschten hinab, doch als es, um an's Ufer zu gelangen, galt, wieder in die Höhe zu klettern, verließ die Meisten Kraft und Muth. Sie ließen die Beine los und hingen mit ausgestreckten Armen, jämmerlich um Hülfe rufend, über den tobenden Wellen, die von Zeit zu Zeit hoch über ihren Köpfen zusammen schlugen; ein gräßlicher Anblick. Viele wurden von den schon am Ufer befindlichen Matrosen gerettet, mehrere aber ertranken vor unsern Augen, indem das tückische Meer sie keine zehn Schritte vom Lande lange herumrollte und endlich als Leiche auf den Strand warf.

Nach Verlauf einer starken halben Stunde kamen unsere Freunde zurück, zeigten uns an, sie haben nichts gefunden und wollten jetzt ihr Heil in der entgegengesetzten Richtung versuchen. Wenn sie im Verlauf einer Stunde nicht zurück wären, sollten wir ohne Weiteres ihren Fußtapfen, die wir im Schnee leicht sehen könnten, folgen. Es kostete viele Mühe, ehe wir uns durch Zeichen und einzelne Worte auf diese Art verabreden konnten.

Sehr langsam ging während dieser Zeit die Ausschiffung von Statten, und da uns, wie oben schon erzählt, die Türken nicht an das Tau kommen ließen, so gingen wir in die Kajüte zurück, um ruhig die Zeit abzuwarten. Doch kann sich hier Niemand unsere Lage denken. Durchnäßt waren wir bis aus die Haut und das Schiff wurde bei jedem Wellenschlage so erschüttert, daß ich mich unter eines der Betten klemmte, um nicht jede Minute hin und her geschleudert zu werden. Die Thüren sprangen von selbst auf und zu, die Schellen in den Zimmern klingelten, als würden sie mit Macht gezogen, und in Wände und Fußboden rissen große Spalten. Tische, Stühle und unsere Effecten lagen, einen unordentlichen Haufen bildend, zertrümmert durch einander.

Nach Verlauf einer Stunde ging ich wieder hinauf, um zu sehen, ob noch viele Soldaten droben seien. Es waren wenigstens noch zwei bis dreihundert auf dem Verdeck. Auch hatte sich das Schiff mit der Spitze etwas dem Lande genähert und das Tau hing fast ganz im Wasser, konnte auch nicht wieder straffer gespannt werden, da die Schiffswinden zerbrochen waren. Jetzt war das Hinüberklettern noch gefährlicher geworden, weßhalb der Kapitän den großen Mast hatte kappen lassen und zur Seite in's Meer stellen, so eine neue Brücke zur Rettung bildend. Der Mast ging vielleicht bis auf achzig Schritt vom Schiffe, und die Türken setzten sich rittlings darauf und rutschten hinab. Unten mußten sie dann warten, bis die in's Meer zurückkehrenden Wellen die Felsen ein wenig entblößten. In diesem Augenblick sprangen die Leute in's Wasser, das ihnen nur bis zur Brust ging und mußten dann so schnell wie möglich eilen, das Ufer zu gewinnen. Nie hab' ich Menschen gesehen, die mehr den Kopf verloren hatten, als diese Türken. Einige hielten schon in der Mitte des Mastes an und sprangen trotz allen Zurufungen in die Wellen, die sie dann sogleich mit fort nahmen. Andere ließen den Baum in dem Augenblick los, wo die Brandung wiederkehrte, wurden von ihr erfaßt und ertranken. In Allem mochten etliche zwanzig Menschen ertrunken sein.

Gegen vier Uhr Abends war endlich die Zahl der sich noch am Bord befindlichen Soldaten so gering, daß wir Europäer allenfalls mit Gewalt zum Maste durchdringen konnten. Das Einzige, was ich von unsern Effecten mitnahm, war der Nachtsack des Barons, der die ganze Reisekasse enthielt. Zerschellte auch das Schiff während der Nacht, so waren wir doch wenigstens mit Geld versehen. Wir bestiegen nun den Mastbaum und sahen, daß das Hinabrutschen hier eben so unangenehm und gefährlich war, wie früher an dem Tau. Die Bewegung des Schiffes war so stark, daß ich, schon ungefähr drei Fuß tief hinabgeklettert, von einem starken Stoß wieder an zwei Fuß über das Verdeck gehoben wurde. Unten angekommen, galt es, genau den Augenblick abzupassen, wo man sich loslassen mußte, um nicht in's Meer gerissen zu werden. Doch kamen wir Alle, freilich von Neuem durchnäßt, mit dem Geldsack am Ufer an.

Da standen wir nun an dem kahlen Ufer, durchnäßt, hungrig und halb erfroren. Vor uns lag das schöne Schiff auf spitzigen Felsen wie eine zerbrochene Nußschaale und die gierigen Wellen leckten über das ganze Verdeck und suchten überall in die Luken und Fenster zu dringen. Es kam mir vor wie der Leichnam eines riesigen Thiers, das gestern noch munter sein Element, das Wasser, durchschnitt. Jetzt liegt es todt am Strande, sein Athem braust nicht mehr stolz in die Lüfte hinauf, und seine Glieder, die Räder, sind unbrauchbar geworden und zerbrochen.

Das ganze Meer, sowie der Himmel, war in ein schmutziges Gelb gekleidet und lange Nebelstreifen zogen über die Wellen und das Schiff, – traurige Bahrtücher, die uns gestern Abend schon warnend erschienen waren. Am Ufer um uns her lagen viele Leichen der Soldaten, die heute umgekommen waren; einige wurden von ihren Freunden und Bekannten eingescharrt, andere blieben liegen, halb vom Seewasser bespült, und es fand sich Niemand, der ihnen den letzten Liebesdienst erzeigte.

Die Richtung, in der unsere Freunde gegangen und nicht wieder zurückgekehrt waren, schlugen auch die meisten Soldaten, sowie sie den Boden betraten, in vollem Laufe ein. Es schien mir, als seien einige von ihnen hier bekannt. Wir folgten ihnen und kamen nach Verlauf einer halben Stunde an eine Olivenpflanzung, durch welche die Fußtapfen der uns Vorangegangenen führten. Aeußerst beschwerlich und unangenehm war der Weg, den wir zu machen hatten. Der Schnee war oft zwei Fuß hoch und der Boden darunter so uneben, daß man bei jedem Schritte fürchten mußte, zu stürzen. Bald jedoch kamen wir auf einen gebahnteren Weg, der durch Weingärten führte, woraus wir mit Freuden ersahen, daß wir bald in der Nähe von menschlichen Wohnungen kommen müßten. Jetzt erreichten wir einen Brunnen, wo sich mehrere unserer Leidensgefährten gelagert hatten, um einen Trunk frischen Wassers zu sich zu nehmen. Dann bogen wir um einen Hügel und sahen vor uns ein kleines Dorf, es hieß Armudkoi – Birnendorf – liegen, auf das wir, obgleich es sehr ärmlich aussah, mit schnelleren Schritten zugingen.

Am Eingang desselben kam uns einer unserer Matrosen entgegen, den der Baron hinausgeschickt hatte, um nach uns zu sehen und uns in das Haus zu bringen, welches sie gefunden. Unter den schlechten Häusern dieses Dorfs war das unsere ohne Widerrede das erbärmlichste. Es bestand aus einem einzigen Zimmer, das zwanzig Fuß lang und vielleicht fünfzehn breit sein mochte, hatte zwei kleine Fenster und das Mobiliar bestand aus einem hölzernen Divan, der längs einer Wand lief, ähnlich den, wie wir sie zu Stambul in den Kaffeehäusern und ärmlichen Barbierstuben gesehen. Wir fanden unsere Freunde in einer wirklich komischen Lage. In der Mitte dieses Gemachs stand auf dem Boden ein großer Mangahl, um den alle saßen und beschäftigt waren, ihre Kleider zu trocknen, da aber jeder augenblicklich nur das besaß, was er auf dem Leibe trug, so wurde Stück für Stück heruntergezogen, über das Feuer gehalten, und nachdem es nothdürftig getrocknet war, wieder angelegt. So war der Eine ohne Rock, ein Anderer ohne Hosen und ein Dritter hielt gar sein Hemd über das Feuer, als wir eintraten. Alle freuten sich sehr bei unserm Anblick und gaben uns den besten Platz um den Mangahl frei, um auch unsere ganz nassen Sachen etwas zu trocknen. Wir befanden uns wirklich in keiner beneidenswerthen Lage. Den ganzen Tag hatten wir nichts gegessen und hatten auch jetzt noch keine Aussicht, etwas zu bekommen. Ganz durchnäßt waren wir, und das kleine Kohlenfeuer reichte nicht hin, uns zu trocknen und zu erwärmen. Auch brach der Abend herein und wir erhielten mit Mühe ein kleines Stümpchen Talglicht, um unsern Salon zu erleuchten. Ein Paar von den Matrosen und der Kellner des Schiffs, die auch bei uns einquartirt waren, gingen in das Dorf, um zu sehen, ob sie nicht irgend etwas Eßbares auftreiben konnten. Wirklich kamen sie auch nach einiger Zeit mit etwas Reis zurück, den sie irgendwo gekauft. Das ganze kleine Dorf lag voll unserer Soldaten, und die Einwohner waren bei ihrer Ankunft größtentheils geflohen. Reis hatten wir also, eine Schüssel fand sich bei näherer Nachsuchung auch vor und einen Braten führte uns das versöhnte Schicksal ebenfalls zu. Eine große Gans nämlich trieb sich längere Zeit vor unserer Thür herum und näherte sich endlich so unvorsichtig, daß einer der Matrosen sie am Hals fassen konnte und hereinzog. Noth kennt kein Gebot. Das Thier wurde als gute Beute erklärt und zugleich mit dem Reis gekocht. Selten oder nie bin ich mit größerem Heißhunger über eine Schüssel, hergefallen, als hier. Allen erging es aber so, und das Gefäß war schon beinahe zu drei Theilen leer, ehe unser Appetit so weit gestillt war, daß wir uns über den Geschmack des Genossenen Rechenschaft geben konnten. Mir kam vor, der Pillau schmecke etwas nach Seife, und kaum hatte ich meine Vermuthung ausgesprochen, so stimmten mir die Andern bei. Und wir hatten Recht, denn bei näherer Betrachtung ergab es sich, daß der Kellner den Reis in einer großen Bartschüssel gekocht hatte, die er in einem Winkel des Gemachs aufgefunden; wir befanden uns, wie wir später erfuhren, in der öffentlichen Barbierstube des Dorfes.

Mit dem Kapitän, den Offizieren, mehreren Matrosen und Kellnern waren wir zu vierzehn Mann hier einquartirt, wonach man ausrechnen kann, daß zum Schlafen auf jeden nicht viel Raum kam. Wir mußten wie die Pickelhäringe zusammengedrängt liegen, was den Nutzen hatte, daß wir nicht gar zu sehr froren; denn es wurde in der Nacht unangenehm kalt. Vor dem Einschlafen hatten wir verabredet, ein Theil von uns solle am nächsten Morgen, wenn das Unwetter etwas nachgelassen habe, mit einigen Pferden, die sich allenfalls wohl auftreiben ließen, an Bord zurückkehren, um nachzusehen, was von unsern Effecten gerettet werden könnte.

Am Morgen sehr früh, es war noch ganz dunkel, ging der Baron und der Maler F. mit mehreren von der übrigen Gesellschaft nach dem Meere, um zu sehen, was auf dem Schiffe zu machen sei. Wie sie an den Strand kamen und das Schiff in dunkeln Umrissen vor sich sahen, bemerkten sie zu ihrer größten Verwunderung, daß sich viele Lichter auf demselben hin und her bewegten. Das Meer war indessen viel ruhiger geworden und gestattete ihnen durch die Radkasten, die sammt den Rädern ganz aus dem Wasser hervorsahen, hinauf in das Schiff zu steigen. Hier bot sich ein überraschender Anblick dar. Einige zwanzig Türken waren mit Lichtern in den Händen beschäftigt, Kisten und Kasten zu erbrechen, um sich die Sachen, die ihnen gefielen, anzueignen. Daß unsere Freunde sie in diesem angenehmen Geschäft augenblicklich störten, war natürlich, und wenn diese edlen türkischen Soldaten nicht im Allgemeinen so ausgezeichnet feig wären, hätte es zu einem ernstlichen Handgemenge kommen können. So aber ließen sie beim Anblick der Franken ihre Beute fahren oder sprangen mit einzelnen Stücken, die sie in der Hand hielten, geradezu in das jetzt schon viel seichter gewordene Meer, um doch etwas von ihrem Raub davon zu bringen. Glücklicher Weise waren unsere Koffer, da sie für die lange Reise dienen sollten, außerordentlich stark und fest gebaut, weßhalb es diesen Räubern nicht sogleich gelang, sie zu erbrechen. Einige der Türken, die bei dem ersten Anlauf sich in die Kajüte gerettet hatten, wurden da hinausgeprügelt und mußten sich zu einem Sprung in's Meer entschließen, was sie auch meistens gutwillig thaten, eine Taufe, die diesen heillosen Burschen wohl zu gönnen war.

Da es dem Kapitän gelang, einige Pferde zu erhalten, sowie auch manche von den Einwohnern aus Neugierde mit an's Schiff liefen und sich dann später durch ein kleines Trinkgeld gern bereitwillig finden ließen, etwas von unsern Effecten nach dem Dorfe zu schleppen, so waren bald alle unsere Sachen aufgeladen und noch vor Mittag kehrten unsere Freunde damit zurück. Auch hatten sie nicht versäumt, von den Speisevorräthen und den vorhandenen Weinen so viel zu retten, als möglich war, weßhalb wir aus der bittern Armuth von gestern uns auf einmal zu einem solchen Wohlleben erhoben sahen, daß wir die armseligen Einrichtungen unseres Locals ziemlich vergaßen. Wir hatten Thee, Kaffee, alle möglichen in- und ausländischen Weine, Fleisch, Geflügel und hiezu alle nöthigen Geschirre, so daß wir heute Abend ein glänzendes Souper machten.

Bis jetzt hatten wir noch nicht Zeit gehabt, über unsere Zukunft nachzudenken, d. h. wohin wir uns von hier wenden sollten und auf welche Weise. Nach Konstantinopel zurück war, was das Erstere betraf, natürlich der einstimmige Vorschlag; jedoch hinsichtlich des Zweiten, die Art, wie wir dahin kommen sollten, waren die Meinungen getheilt. Einige meinten, man müsse von dem gestrandeten Schiffe von Zeit zu Zeit Nothschüsse thun, um dadurch vielleicht ein anderes herbeizuziehen. Andere glaubten, wir könnten uns vielleicht einem großen Fischerboot anvertrauen, und mit ihm längs der Küste nach Stambul fahren, was aber sehr lange gedauert haben würde. Ein dritter Vorschlag war, einen Reitenden nach Skutari zu schicken, der dem k. k. östreichischen Internuntius unsere Lage mittheilen sollte und abwarten, was dieser für uns thun könnte. Der Baron endlich schlug zuletzt noch einen andern Ausweg vor, der als der beste auch festgehalten und ausgeführt werden sollte, nämlich den, im Fall es möglich sei, Pferde anzuschaffen, selbst nach Skutari zu reiten, was man wohl in drei Tagen von hier abmachen konnte, und von da nach Kräften für die zurückgelassenen Matrosen und Effecten zu sorgen.

Der Schech des Dorfes wurde herbeigeholt, zum Abendessen eingeladen, und nachdem er sich's hatte gut schmecken lassen, befragte man ihn, ob es ihm möglich sei, für uns Pferde zu einem Ritt nach Skutari anzuschaffen. Anfänglich machte er Schwierigkeiten und versicherte, die meisten Einwohner seien in's Gebirge geflohen und würden wahrscheinlich nicht eher zurückkehren, bis die Soldaten und wir abgezogen seien; auf keinen Fall aber würde man sie dazu vermögen können, ihre Pferde zu unserem Gebrauche herzugeben. So sprach anfänglich der Schech. Aber nachdem, ein paar Gläser Champagner ihre Wirkung gethan hatten, wurde er umgänglicher und sagte, für einen hohen Preis würden sich doch vielleicht einige entschließen, ihre Thiere herzugeben.

Bald darauf entfernte er sich mit dem Versprechen, er wolle sehen, was sich thun lasse, kehrte aber den Abend nicht wieder zurück.

Die langen kalten Nächte ohne Betten, Teppiche oder Decken zuzubringen, war das Unangenehmste von der ganzen Geschichte. Auch waren wir Alle mehr oder minder erkrankt; denn die Nässe, worin wir einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hatten zubringen müssen, hatte uns sammt und sonders stark mitgenommen. Einer klagte über Kopfweh, der Andere über Zahnweh, jener hatte Uebelkeiten, dieser ein entsetzliches Bauchgrimmen, Alles Klagen, die dann erst lauter gehört wurden, wenn sich der Schleier der Nacht auf unsere armselige Behausung senkte und die Härte der Pritsche und des Bodens das Ihrige dazu beitrugen, alle jene Leiden doppelt fühlbar zu machen.

Wie gerädert stand man am andern Morgen auf, und es dauerte eine ziemliche Zeit, ehe man sich von den Strapazen der Nacht erholen konnte. Trotz allem diesem Elend wurde viel gelacht und besonders war es Graf Szechenyi, der die drolligsten Geschichten anfing. Er hatte einen Bedienten, mit Namen Hansel, der früher Fiaker in Wien gewesen war; ein ehrlicher, treuer Oestreicher, der seinen armen Herrn später in Damaskus bis zum letzten Augenblicke pflegte. Beide gaben uns viel Stoff zum Lachen. So machte der Graf z. B. fast täglich zum Scherz Toilette, wobei ihm Hansel assistirte, als seien sie in ihrem Palais zu Wien; Abends lud er uns zum Thee ein und machte auf einem großen Steine sitzend in bester Art die Honneurs des Hauses.

Am zweiten Tag erst gegen Mittag kam der Schech wieder zu uns und versicherte, er habe zwölf Pferde für uns gefunden, wofür er jedoch einen entsetzlichen Preis verlangte. Aber was war zu thun? Wir hätten im Nothfalle das Doppelte und Dreifache bezahlt, um nur dies Nest verlassen zu können. Den Nachmittag brachten wir damit zu, unsere Sachen zu packen und unsere Kleider wieder etwas in Stand zu setzen, wobei der Baron ganz zufällig das Glück hatte, seine ungarische Bunte, die vom Schiffe gestohlen war, zurückzuerhalten. Er stand nämlich in dem Augenblick an der Thür, wo ein türkischer Lieutenant vorüber ging, der den Pelz über die Schulter geschlagen hatte und ganz ruhig damit paradirte. Natürlich wurde er gleich angehalten und einer der Matrosen verdolmetschte ihm, der Mantel, den er trage, gehöre jenem Franken und er solle sagen, wo er ihn her habe, worauf der Lieutenant ganz ruhig erwiderte, er habe ihn nicht weit von hier in einer Scheune gefunden, wo noch mehr dergleichen Sachen lagen. Wir gingen augenblicklich dahin und fanden wirklich noch verschiedene Kleinigkeiten, die wir bisher vermißt, als Stiefel, Ueberröcke, lange Pfeifen etc., alle Sachen, die nicht in Koffern verschlossen waren, sondern offen in der Kajüte lagen. Wie sie hieher in die Scheune kamen, konnte uns Niemand sagen.

Der Schech hatte uns für den folgenden Morgen sehr früh die Pferde versprochen, weßhalb wir mit der Dämmerung reisefertig waren und ihn erwarteten. Er kam auch, aber allein, und versicherte auf unsere heftigen Fragen, wo die Pferde blieben, Gott wisse, daß er die Wahrheit spreche, aber zu unserem eigenen Besten dürfe er uns die Pferde nicht geben. In der Nacht seien von den sechshundert Mann, die mit uns Schiffbruch gelitten haben, zweihundert fünfzig desertirt, die uns theilweise wahrscheinlich auf dem Wege zwischen hier und Skutari auflauern, überfallen und berauben würden. Wir mochten dem Schech noch so viele Gegenvorstellungen machen, und ihm versichern, wir würden die Sache ganz auf uns nehmen, wir fürchteten uns nicht vor diesen Leuten, es half nichts, er blieb dabei, er dürfe uns keine Pferde geben, indem ihn Gott hart bestrafen würde, wenn er uns Fremde ins Unglück rennen ließe. Ob der Schech in der That diese musterhaften Gesinnungen hatte, oder ob er uns keine Pferde geben wollte, blieb uns ein Räthsel. Bei diesen Aussichten hatten wir Gott weiß wie viel Tage noch in diesem elenden Nest zubringen können, wenn man nicht in Konstantinopel, wohin sich schon am zweiten Tag nach unserem Unglück – wie? haben wir nie erfahren – das Gerücht verbreitet hätte, der Seri-Pervas sei in der Bucht vor Mudania gescheitert, gleich Anstalt zu unserer Rettung getroffen hätte.

Am folgenden Morgen waren wir Alle eigenhändig mit der Zubereitung unseres Frühstücks beschäftigt, als plötzlich ein Paar türkische Lieutenants, die sich am Meere umher trieben, mit dem Geschrei: »Vapore! Vapore!« ins Dorf und in unsere Stube stürzten. Wir sprangen Alle überrascht auf, ließen unsere Beschäftigung liegen und eilten an den Strand. Gott weiß, in meinem Leben hat mich der Anblick eines Dampfbootes nicht so erfreut, als das, welches die Türken uns angezeigt und das sich rauchend und brausend dem Lande näherte. Wir tanzten vor Freude auf dem Sand herum und winkten mit unsern Tüchern dem Kapitän, der auf dem Radkasten stand, freudig entgegen. Jetzt ließ das Dampfboot die Anker fallen und ein Boot stieß ab, in dem sich ein Offizier befand, der uns meldete, daß das Dampfboot – es war der Ludovico – durch den k. k. Internuntius, Baron von Stürmer, abgesandt sei, uns zu holen. Wir flogen ins Dorf zurück, packten unsere Sachen zusammen und befanden uns in kurzer Zeit am Bord des Ludovico, wo wir uns behaglich auf die weichen Kissen ausstreckten. In fünf Stunden erreichten wir Konstantinopel und kletterten den steilen Hügel von Pera hinauf zum Gasthof unserer freundlichen Madame Balbtani, die uns mit Thränen in den Augen und herzlicher Freude empfing.

Am andern Tage waren wir mehr oder minder krank; doch hatten wir nicht lange Zeit im Bette zu bleiben, denn schon am Mittage hieß es, ein anderes Dampfschiff gehe morgen nach Smyrna und würde uns, dießmal aber ohne Soldaten, mitnehmen. Wir hatten kaum Zeit, unsere halb zu Grunde gegangenen Effecten wieder etwas herrichten zu lassen, denn schon am andern Nachmittag um drei Uhr gingen wir wieder an Bord, dießmal unter günstigeren Auspicien. Das Wetter hatte sich wieder aufgeklärt und von dem Schnee, der uns bei unserer ersten unglücklichen Seefahrt zum Abschiede geleuchtet, war nichts mehr zu sehen.


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