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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Don Quixote und Tiger


Die sonst so starke Natur des Herrn Larioz war von den ausschweifenden Festlichkeiten, die bei seiner Aufnahme in den Bund zum Dolche Rubens statt gefunden, etwas zu stark mitgenommen worden, was sich, wie Doktor Flecker sagte, durch ein heftiges, wenngleich für den Patienten glücklicherweise nicht gefährliches, Katarrhfieber äußerte. Dem stechenden Kopfschmerz nach, sowie einigen Anwandlungen von Uebelkeit, die den Kranken in der ersten Nacht, sowie auch den folgenden Tag bedeutend geplagt, hatte der Armenarzt etwas Gefährlicheres vermuthet und oft länger neben dem Bette des Schreibers gesessen, das Kinn auf den Elfenbeinknopf des Stockes gestützt und ihn durch die Brillengläser fester betrachtend, als er sonst wohl zu thun pflegte. Denn er mochte ihn leiden, den langen Mann; sprach doch aus allem, was er that, so viel natürlicher Verstand, so viel Herzensgüte, so viel Wohlwollen für alle Menschen, daß man darüber die Eigenheiten und oft seltsamen Ansichten des edlen Spaniers wohl vergessen konnte. Dabei beurtheilte ihn der Doktor ganz richtig, indem er fühlte, daß man es hier mit einem Menschen voll glühender, ja, vielleicht ausschweifender Phantasie zu thun habe, mit einem Gemüthe voll Poesie, welche in ihm schon als Kind durch seine eigenthümliche und abenteuerliche Umgebung geweckt worden war und die seine jetzige, mehr als prosaische Stellung wohl auf Momente zu fesseln im Stande war, aber so wenig unterdrücken konnte, daß sie, den zufälligsten Ausweg benutzend, ihn oft in ganz excentrische Bahnen hinein riß.

Herr Larioz hatte dabei einen unüberwindlichen Abscheu vor aller Falschheit, vor aller Hinterlist. Wie es Jemand möglich sei, seinen Nebenmenschen zu hintergehen, zu betrügen, davon hatte er keine Idee; und da ihm in dergleichen Fällen der Hehler ebenso schlecht wie der Stehler vorkam, so hielt er es für das verdienstvollste Werk, ja, für die Schuldigkeit eines Jeden, unnachsichtlich dem Betrogenen die Augen zu öffnen, wobei er dann aber schon oft in den Fall gekommen war, sich in Dinge zu mischen, die ihn, durchaus nichts angingen, und für welche Einmischung er nicht selten den größten Undank erntete, was ihn aber nicht abschreckte, ein anderes Mal wieder gerade so zu verfahren.

Daß er selbst dabei von einer musterhaften Redlichkeit und Treue war, brauchen wir wohl nicht zu sagen – Eigenschaften, die ihm den Doktor Flecker zum Freunde gemacht hatten, und die auch sein Prinzipal, Herr Rechtsconsulent Plager, bedingungsweise an ihm hochschätzte. Wir sagen: bedingungsweise; denn bei den Geschäften des Advokaten, in die auch Herr Larioz mehr oder minder eingeweiht war, kamen zuweilen Dinge vor, die mit des Letzteren Gesinnungsart nicht immer harmonirten, und die hier und da wohl zu unangenehmen Erörterungen zwischen dem Rechtsconsulenten und seinem Gehülfen Veranlassung gegeben hatten. Doktor Plager, der natürlicherweise ganz anders fühlte, konnte es nicht begreifen, wie man sich weigern könne, für eine gut zahlende Partei einen schlechten Prozeß zu übernehmen, und hatte in solchen Fällen die größte Mühe, seinen Schreiber davon abzuhalten, daß er den Parteien erklärte: Laßt das Prozessiren sein, seid gescheidt und spart euer Geld. Und das war doch schon einige Mal zur Verzweiflung des Advokaten vorgekommen, wobei es mitunter in der Schreibstube Scenen gab, die schon öfter beinahe zur Trennung der Beiden geführt hätten. Gewöhnlich aber lenkte Doktor Plager wieder ein, da es ihm doch darum zu thun war, einen zuverläßigen Mann, wie Larioz, zu behalten.

Daß dieser seinerseits durch die drückenden Verhältnisse, in denen er sich befand, ein halbwegs begütigendes Wort seines Prinzipals bereitwillig entgegen nehmen mußte, stimmte ihn begreiflicherweise nicht milder gegen das hinterlistige und trugvolle Treiben eines leider so großen Theiles der Menschheit und veranlaßte ihn dann noch mehr, sich außerhalb seines Geschäftes um Sachen zu bekümmern, die ihn durchaus nichts angingen. Wie oft hatte er sich bei solchen Veranlassungen auf der Straße oder an öffentlichen Orten einer, wie er glaubte, unschuldigen oder unterdrückten Partei angenommen, zum Beispiel im Wirthshause eines vielleicht nachläßigen Kellners, der von einem erzürnten Gaste mit Schimpfreden bedient wurde, und war vom Letzteren dafür nicht glimpflicher behandelt worden; auf dem Exercirplatze eines geknufften Rekruten, wo es ihm beinahe noch schlechter ergangen wäre als dem militärischen Zöglinge selbst; auf der öffentlichen Promenade, wo er den Dienstmägden wie ein langes Gespenst erschien, das sie mit eindringlichen Worten an ihre Pflichten erinnerte und ihnen bewies, wie unverantwortlich es sei, leichtsinnigerweise zusammen zu sprechen, und die ihnen anvertrauten Sprößlinge während der Zeit der Gefahr auszusetzen, unter die Räder der vorüberrollenden Wagen zu kommen! Er konnte es nun einmal nicht lassen, so zu handeln, und wenn er alsdann von den ungeziemendsten Ausdrücken begleitet, am Ende das Feld räumen mußte, so that er das ingrimmig, mit dem heißen Wunsche nach einem guten Pferde, einer tüchtigen Klinge, sowie für andere Fälle nach einer tüchtigen Karbatsche, um damit zur Besserung der Menschheit beizutragen, den Schuldigen zu bestrafen, dem Leidenden Schutz zu gewähren. In solchen Augenblicken konnte er sich vollkommen in die Gefühle und die Lage seines großen Landsmannes von der Mancha hinein denken und begriff es ganz gut, welches Glück, welche Seligkeit jener sinnreiche Junker darin fand, als irrender Ritter umherzuziehen, die Starken niederzuwerfen, den Schwachen beizustehen.

Auf Befehl des Doktors hatte Don Larioz schon seit sechs Tagen das Zimmer gehütet; doch war ihm erlaubt worden, sein Bett zu verlassen, und so saß er denn in dem uns wohl bekannten Lehnstuhle vor dem Ofen, angethan mit der Jacke von grauem Baumwollensammt, ein rothes Tuch turbanartig um den Kopf gedreht, über seine Füße einen alten Pelz gebreitet, den wir aus dem Anfang unserer Geschichte zu kennen das Vergnügen haben. Der lange Mann hatte einen kleinen Spiegel in der Hand und strich mit einer Bürste seine kurz geschnittenen Haare in die Höhe, und als das bestens geschehen, legte er Bürste und Spiegel neben sich auf einen Stuhl und drehte seinen gekräuselten Schnurrbart in die Höhe, wobei er häufig einen Blick auf das Bild warf, welches an der Wand über dem Kamine hing.

Es war um die Mittagsstunde und der Tiger im Begriff, ein weißes Tuch über den alten Tisch zu legen und die spärliche Mittagsmahlzeit aufzustellen, welche die alte Magd in einem Korbe gebracht hatte, und die während der Krankheit des Schreibers von dem Tiger und dem kleinen Gottschalk zu gleichen Theilen verzehrt wurde; zu gleichen Theilen können wir eigentlich nicht sagen, denn der Tiger, welcher sich an dem großen Appetit des Knaben erfreute, schob diesem die besten Bissen hin und begnügte sich mit einem kleinen Theile der Gerichte und dem übrig gebliebenen Brode, vermittelst dessen die Magd obendrein die Schüsseln und Teller so rein abputzte, daß von Gemüse oder Sauce auch nicht eine Spur übrig blieb.

Obgleich die Schreibstube schon geschlossen war und der Rechtsconsulent dem Knaben gern erlaubte, manche sonst der Arbeit gewidmete Stunden bei dem Kranken zuzubringen, so war Gottschalk doch noch nicht erschienen, was den langen Schreiber endlich zu der Bemerkung veranlaßte, die er gegen den Tiger aussprach: der Kleine bleibe heute ungewöhnlich lange aus.

»Ja, es hat schon zwölf Uhr geschlagen,« antwortete die alte Magd. »Aber es ist auch ziemlich weit von hier bis zum Hause, wo die Eltern des Kleinen wohnen. Und dann ist vielleicht auch die Suppe noch nicht fertig gewesen. Wissen Sie, Herr Larioz, das muß sehr umständlich und genau gekocht werden für so einen Kranken.«

»Ja, für so einen Kranken,« murmelte der Schreiber. Dann setzte er lauter hinzu: »Ich möchte wohl, der Doktor dispensirte mich von den ewigen Krankensuppen; ich hätte Lust zu was Festerem. – Was habt Ihr heute?«

»Ach, du lieber Gott!« entgegnete der Tiger fast erschrocken, »etwas sehr Unverdauliches: Klöße mit Wurst. Wenn der Herr Larioz sich erlaubte, davon was zu essen, ich glaube, der Herr Doktor Flecker brächte mich um. Ja, er brächte mich wahrhaftig um.« – Damit war sie an das Fenster gelaufen und sagte mit sehr freudigem Tone der Stimme: »Sehen Sie, da kommen sie schon; sie sind schon zum Hofthore herein.«

»So, sie kommen?«

»Ja, Gottschalk mit seiner Schwester. Was das für ein gutes und liebes Geschöpf ist! Und wie sorgsam sie die Suppe trägt! Ein so braves Mädchen gibt's nicht wieder; den ganzen Tag arbeitet sie und besorgt noch die Küche und Alles – So! jetzt will ich Ihnen das Handtuch geben und den Löffel.«

Sie trippelte bei diesen Worten hinter einen hölzernen Verschlag, holte die beiden eben genannten Sachen vor, reichte das Handtuch Herrn Larioz, der es auf seine Kniee breitete, und legte den Löffel neben ihn.

In diesem Augenblicke traten Gottschalk und Margarethe in das Zimmer; letztere trug einen kleinen Suppennapf und schien etwas befangen, als sich Don Larioz gegen sie umwandte und ihr freundlich mit dem Kopfe zunickte.

»Gerstenschleim, famos!« sagte lustig der Knabe, und dabei nahm er seiner Schwester das Geschirr ab und trug es zu dem Kranken hin. »Ohne alles Gewürz, wie es Doktor Flecker befohlen; von Margarethen selbst gekocht, und die versteht's.«

»Daß deine gute Schwester das versteht, habe ich schon lange mit großem Danke empfunden,« entgegnete würdevoll Don Larioz. »Wollen Sie nicht einen Augenblick Platz nehmen?« wandte er sich an das junge Mädchen, die schüchtern näher getreten war und sich nach einer Handbewegung des langen Mannes auf den Stuhl niederließ, von dem Gottschalk in aller Eile Haarbürste und Spiegel entfernte. Den Löffel hatte Herr Larioz in die Hand genommen. Er versuchte die Suppe, und daß er sie vortrefflich fand, zeigte ein freundliches Lächeln, welches um seine Mundwinkel spielte, sowie ein dankbarer Blick, den er auf Margarethe warf.

Obgleich diese schon öfter zur gleichen Stunde mit ihrem Bruder hier im Gemache gewesen war, so betrachtete sie dasselbe doch immer wieder mit neuer Verwunderung, denn es sah hier so ganz anders aus als in den Zimmern, wo sie bis jetzt schon gewesen. Wie es ihrem Bruder am ersten Abend hier geschehen war, so beschäftigte auch sie vor Allem das ernste Bild über dem Kamin, das Don Larioz zu gleichen schien und doch wieder so viel Fremdartiges hatte; und wenn sie von demseben ihre Blicke auf diesen selbst niedergleiten ließ, so kam ihr oft die Idee, wenn der da oben aus seinem Rahmen herabstiege, so würde er wohl nicht seltsamer erscheinen als Herr Larioz selbst in seinem eigenthümlichen Anzuge, mit seinem so ganz fremdartigen Gesichte. Ferner beschäftigten sie die einfachen hölzernen Stühle, der lange Stoßdegen in der Ecke und heute besonders eine kleine Laute, welche der Schreiber vor einigen Tagen hervorgesucht und mit neuen Saiten versehen hatte.

Unterdessen hatte sich Gottschalk dem Tische genähert, wo der Tiger auf die Klöße und die Wurst zeigte und dann pantomimisch zu verstehen gab, Herr Larioz hätte selbst Appetit darauf bekommen, doch habe sie ihn schlauer Weise auf seine Krankensuppe verwiesen. Dabei sahen die ernsthaften Geberden, welche die alte Person machte, so komisch aus, daß Gottschalk sich auf die Lippen beißen mußte, um nicht laut hinaus zu lachen. Ein Kichern aber konnte er nicht unterdrücken, und als hierauf sowohl Don Larioz als Margarethe nach ihm hinblickten, sagte er, um nicht nach dem Grunde seiner Lustigkeit gefragt zu werden: »Heute, Margarethe, heute mußt du mit uns essen; der Herr Larioz wird's erlauben, und wir thun es nun einmal nicht anders.«

Ueber die Züge des langen Mannes fuhr ein leichtes Lächeln, als er entgegnete: »Bei San Jago! mir scheint, unser Mittagessen stammt von den Broden ab, wovon eine geringe Anzahl ausgiebig war zur Speisung von viertausend Menschen. Ja, das muß so sein, es liegt ein besonderer Segen darauf. Da speist die alte Frau und Gottschalk mit großem Appetit, und nun wollen sie das Fräulein da auch noch einladen.«

»Nur des Spaßes halber,« meinte Gottschalk; »du kriegst nicht viel, Schwester, aber du mußt einmal sehen, wie vortrefflich wir leben. Komm, ich bitte dich.«

Margarethe zögerte, doch sagte Herr Larioz: »So thun Sie ihm den Gefallen; das ist ein kleiner, eigensinniger Mensch, und Ihren Appetit werden Sie sich bei dem Schmause keinenfalls verderben.«

Das junge Mädchen erhob sich von ihrem Stuhle und ging nach dem gedeckten Tische, wohin der Tiger eilfertig einen dritten Teller und einen dritten Löffel holte.

»Was hast du denn für Ideen?« sagte Margarethe zu Gottschalk so leise, daß es der Kranke nicht hören konnte; »du kannst doch nie Ruhe geben! Was werde ich denn mit euch essen?«

»Nur versuchen sollst du,« lachte ihr Bruder; »von essen oder satt essen ist freilich keine Rede; du sollst der Mutter sagen, daß wir hier auch gut gekocht bekommen.«

Margarethe setzte sich kopfschüttelnd nieder, ließ sich eine Gabel in die Hand nöthigen und einen von den Klößen auf den Teller legen. Dann aß sie, konnte aber dabei nicht unterlassen, zuweilen nach Herrn Larioz zu blicken, der mit seiner Krankensuppe fertig war, den Topf neben sich auf den Stuhl gestellt hatte und mit zusammengelegten Händen nach den Dreien hinüber schaute. Er vertiefte sich dabei in Träumereien über das, was er an jenem Tage auf dem Burgplatze erlebt. Wenn er das schöne, edle Profil des jungen Mädchens dort am Tische sah, besonders aber, wenn sie ihm auf einen Moment die großen, glänzenden Augen zuwandte, so kam es ihm vor, als habe sie eine Aehnlichkeit mit jener unvergleichlichen Schönheit, die er in dem Atelier der Gebrüder Breiberg zu sehen so glücklich und wieder so unglücklich gewesen war. Gleich darauf aber mußte er über einen solchen Vergleich lächeln, denn er sah alsdann ein, daß das Aeußere der Beiden himmelweit verschieden war. Die Spanierin – denn das war sie, die er neulich gesehen – hatte fast blauschwarzes Haar, ihr Auge war größer und glänzender, doch hatte, wie er sich erinnerte, ihr Blick etwas Starres; dagegen war der Teint für eine Südländerin fast zu weiß und durchsichtig gewesen, die Röthe ihrer Wangen beinahe zu scharf abgegränzt. Doch Alles wurde wieder gemildert durch die Lieblichkeit des feingeschnittenen kleinen frischen Mundes. Und wenn er dabei an die weißen Zähne dachte, so mußte er sich gestehen, nie in Wirklichkeit, nie auf Bildern, nie im Traume etwas Reizenderes gesehen zu haben. Dort das junge Mädchen war auch schön, ihr Wuchs untadelhaft und elegant; aber wenn er sie betrachtete, so empfand er nur ein sanftes Wohlbehagen, eine Zuneigung, welche ihm entstanden zu sein schien aus dem lieblichen Glanz ihres Auges, aus ihrem offenen, ehrlichen Blicke, der Zeugniß ablegte für ihre Herzensgüte und Reinheit.

Der Anblick der Anderen aber hatte ihn wie mit dämonischer Gewalt gefaßt, es war ihm, als sei er plötzlich einer leuchtenden Flamme zu nahe gekommen, als sei von derselben sein Herz versengt worden. Er dachte an die Spanierin mit einem glühenden Verlangen, das er bisher nicht gekannt und dessen er sich fast schämte. Unmöglich war es ihm, sich des leicht geöffneten Mundes mit den blendenden Zähnen zu erinnern, ohne sich dabei einen innigen Kuß auf diese frischen Lippen vorzustellen. Das glühende Auge konnte er nimmer vergessen, es hatte ihn freilich etwas starr angeblickt, aber welchen Ausdruck mußten diese Sterne annehmen, wenn sie zum Beispiel bezeichnen wollten: O, Larioz, ich liebe dich mit der ganzen Gluth, die ja nur im glücklichen Spanien zu finden ist! – Diese Augen hatten ihm in den ersten Nächten seines Unwohlseins viel zu schaffen gemacht; denn wenn sie ihm auch anfänglich in der That wie die Sterne an einem glänzenden Nachthimmel erschienen, so hatte doch die Macht des Fiebers diesen Nachthimmel nach und nach getrübt, und wenn er so lange und unaufhörlich hingeschaut, so sah er vor sich nichts als eine nebelhafte Finsterniß, als zwei glühende Punkte, die ihn anstierten und die ihn, sich zuletzt ungeheuerlich vervielfältigend, voller Schrecken erwachen ließen.

»Jetzt aber keinen Bissen mehr!« sagte Margarethe mit ihrer sanften und doch so wohlklingenden Stimme.

Und es war dem Spanier angenehm, daß der Ton derselben jene Phantasieen verjagte, in die er in der Erinnerung an sein Fieber wieder zu verfallen Gefahr lief.

»Du hast gut reden,« fuhr das Mädchen lachend fort, als ihr Bruder sie zurückhalten wollte. »Meinst du, ich hätte zu Haus nichts zu thun? Herr Larioz wird mir Recht geben und es nicht übel deuten, wenn ich mich entferne.«

»Gewiß nicht, mein Kind,« antwortete freundlich mit dem Kopfe nickend der Spanier. »Und mein herzlicher Dank begleitet Sie. Hoffentlich habe ich auch in den nächsten Tagen nicht mehr nöthig, Ihre Güte in Anspruch zu nehmen. Denke mir doch, Doktor Flecker werde mich aus seiner Kur entlassen.«

Der Tiger schüttelte mit dem Kopfe, als Don Larioz so sprach, und bemächtigte sich hastig des letzten der Klöße, der sich in der Schüssel befand, nicht ohne ihn vorher mit einem wehmüthigen Blicke betrachtet zu haben, während Gottschalk seine Schwester, die dem langen Manne zum Abschied freundlich die Hand gereicht, bis an die Treppe begleitete.

Als er zurückkehrte, setzte er sich wieder an den Tisch und theilte mit der alten Magd aufs gewissenhafteste die übrig gebliebene Brühe, die Beide, Jedes mit dem letzten Stücke Brod bewaffnet, aufs eifrigste vertilgten.

Während der Tiger mit beiden Backen kaute, sagte er mit einem Male zu dem Knaben, aber mit so leiser Stimme, daß Herr Larioz nichts davon hörte: »Gottschalk, gestern Abend habe ich es wieder gesehen.«

»Dummes Zeug!« entgegnete dieser. »Was werdet Ihr gesehen haben? Ihr seht überhaupt nicht gut.«

»O laß das gut sein; was ich sehen will, das sehe ich doch. Und ich habe es gestern Abend wieder gesehen. Ich sage es noch ein Mal: da ist etwas Unrichtiges dahinter.«

»Ihr meint am Ende, es könnten Diebe sein?«

»Was Diebe! Haben sie denn je etwas da unten gestohlen?«

»Nun, was soll es denn sonst sein?«

»Geister sind es, Gespenster!«

Bei dieser Aeußerung des Tigers lachte der Knabe so laut auf, daß sich die alte Magd veranlaßt sah, ihn mit der Hand an die Schulter zu stoßen, um ihn zum Schweigen zu bringen, aus Furcht, Herr Larioz möchte aufmerksam werden. Auch hatte dieser das Lachen gehört und fragte: »Nun, was gibt's denn auf einmal?«

Der Knabe wußte nicht recht, sollte er die geheimen Beobachtungen des Tigers, welche dieser ihm mitgetheilt, seinem Vorgesetzten Preis geben, oder sollte er die alte Magd veranlassen, das selbst zu thun. Er hielt letzteres für räthlicher und war dabei boshaft genug, zu sagen: »Das muß Sie eigentlich laut erzählen, es könnte am Ende doch etwas Wahres daran sein und der Herr Larioz sich veranlaßt finden, der Sache nachzugehen.«

»Und was gibt es denn?« fragte dieser. »Nun laßt hören.«

Halb und halb war der Tiger froh, daß er jetzt mit der Sprache heraus mußte; was er sagen wollte, hatte ihn schon lange auf dem Herzen gedrückt; nur wußte die alte Magd, daß Herr Larioz durchaus nicht abergläubisch war und gar nichts von Hexen, Geistern und Gespenstern hielt. Deßhalb sagte sie auch: »Der Gottschalk ist halt ein Bub, und wenn man ihm das Geringste erzählt, so macht er eine große Geschichte daraus.«

»Und was habt Ihr ihm denn erzählt?« fragte ernst Herr Larioz. »Es scheint schwer aus Euch heraus zu gehen.«

»Ja, ich habe ihm nur gesagt,« entgegnete der Tiger, während er anfing, seine Schürze in kleine Falten zu legen – »und daß es wahr ist, darauf können Sie sich verlassen – es ist mir jetzt nämlich einige Mal Abends passirt, daß ich von hier aus nach Hause gegangen bin.«

»Das passirt Ihr wohl jeden Abend?«.

»Ja, das passirt mir alle Abend. Wenn ich also nach Hause gegangen bin, so habe ich zuweilen gesehen, das heißt nur in den letzten Tagen, so lange Herr Larioz krank sind, daß in der Schreibstube drunten ein Licht war.«

»Nun, was weiter?«

Die Magd schluckte heftig, denn ihre Erzählung, da sie in ihrer Phantasie Geister und Gespenster hinein verwob, erschien ihr natürlicher Weise weit graulicher, als jedem Andern.

»Die grünen Vorhänge waren herabgelassen und doch sah ich das Licht durchschimmern.«

»Ist das ein Ereigniß?« meinte Herr Larioz. »Da wird Herr Doktor Plager noch in seinem Zimmer gearbeitet haben.«

»Nein, nein, das hat Herr Doktor Plager nicht gethan,« sagte eifrig die alte Person und setzte pfiffig lächelnd hinzu: »Wir sind auch nicht so dumm.«

»Wie wir aussehen,« flüsterte Gottschalk.

»Als ich das Licht zum ersten Mal schimmern sah, ging ich zur Hausthür hinein, nach dem Zimmer des Herrn. Das war aber geschlossen, und ich erinnerte mich auch wohl, ihn eine halbe Stunde vorher weggehen gesehen zu haben.«

»Das hätte Sie mir gleich sagen sollen,« versetzte Herr Larioz ernst.

»Ja, du mein Gott, das konnte ich ja nicht! Herr Larioz waren ja krank, und der Herr Doktor Flecker hatte befohlen, Sie nicht zu stören.«

»Und du hast auch darum gewußt?« fragte der Schreiber den Knaben.

»Mir hat es der Tiger erzählt, wie Ihnen so eben, aber ich glaube, er hat nicht recht gesehen. Was soll das gewesen sein? Ich dachte freilich Anfangs an Spitzbuben, aber als ich den andern Morgen auf das Bureau kam, da war Alles wie Tags vorher, nichts in Unordnung, nichts fehlte. Und da hätte ich denn beinahe die Ansicht der alten Frau getheilt,« setzte er schelmisch lachend hinzu.

»Welche Ansicht?«

»Es seien Geister oder Gespenster gewesen.«

»Mit eurem dummen Zeuge!« entgegnete streng Don Larioz. »Ich hätte euch wahrhaftig für klüger gehalten.«

»Ach, du mein Gott, Herr Larioz,« sprach schüchtern die Frau, »es ist das hier ein uraltes Haus, in dem schon so viele Menschen gestorben sind und allerhand passirt ist. Da könnte doch –«

»Halt Sie Ihr Maul, Frau; so etwas mag ich nicht hören,« antwortete der Spanier. »Sprech Sie vernünftiges Zeug. Und das Licht hat Sie jeden Abend gesehen?«

»So lange Herr Larioz zu Bett lag, jeden Abend, zwischen sechs und acht Uhr.«

»Und hat Sie nie etwas gehört? Sie ist doch gewiß näher geschlichen, um zu lauschen.«

»Ein einziges Mal nur,« versetzte der Tiger, indem er die Hände aufhob, »und dann gewiß nicht mehr.«

»Und da hörte Sie etwas in der Schreibstube?«

»Ja, es war mir, als flüsterte dort etwas zusammen und lachte auch.«

»Nun, da sieht Sie also, Frau,« sagte Herr Larioz nach einigem Nachdenken mit großer Ruhe, »daß es keine Gespenster gewesen sind. Gespenster sind, so viel ich weiß, vollkommen stumm und geben nie einen Laut von sich.«

»O nein, Herr Larioz,« sprach fast ängstlich die alte Person, »das weiß ich bester; ich weiß eine Geschichte von einem flüsternden Gespenst, von einem lachenden Teufel und von einem schmatzenden Todten. Gewiß, die weiß ich ganz genau.«

Gottschalk machte ein etwas langes Gesicht, als er die drei fürchterlichen Titel hörte; doch nahm er sich vor, den Tiger bei nächster Veranlassung zu ersuchen, ihm diese schreckliche Geschichte mitzutheilen.

Herr Larioz zuckte mit den Achseln und erwiderte einiger Maßen verdrießlich: »Meinetwegen, es soll schmatzende Gespenster geben.«

»Schmatzende Todte, Herr Larioz,« sagte demüthig die alte Frau.

»Auch das; aber ich kann Sie versichern, man hat noch nie etwas davon gehört, daß sich Gespenster in der Schreibstube eines Advokaten herum treiben. Dergleichen Wesen können den Papiergeruch nicht vertragen. Verlass' Sie sich darauf: das muß etwas Anderes gewesen sein, und wir wollen schon dahinter kommen. Hat Sie das Licht auch gestern Abend gesehen?«

»Gewiß, auch gestern Abend.«

»Nun, so geb' Sie Achtung, ob es heute Abend wieder kommt. Sage Sie aber keinem Menschen vorher etwas davon; auch dem Herrn Doktor Plager nicht, und wenn Sie es wieder sieht, so komme Sie zu mir herauf und geb' Sie mir Nachricht. Hat Sie mich verstanden?«

»Gewiß, Herr Larioz, es soll nicht fehlen.«

»Gut, und auch du, Gottschalk, sprichst mit Niemand darüber, das bitte ich mir aus.«

»O, ich werde mich hüten,« sagte pfiffig lachend der schlaue Knabe, halb gegen die Magd gewandt; »Herr Larioz wird schon wissen, mit Euren Gespenstern umzugehen.«

»Ja, ja, das wollen wir schon unternehmen,« sprach wichtig der lange Schreiber. »Aber jetzt geh du an deine Arbeit, und die Frau soll den Tisch abräumen.«

Beide thaten so, wie ihnen befohlen, und eine Viertelstunde darauf war der Spanier allein in seinem Zimmer.

Er erhob sich von seinem Stuhle, streckte und dehnte sich behaglich, warf etwas Holz in den Ofen und schritt dann händereibend in dem Gemach auf und ab. »Wenn die Frau nicht falsch gesehen hat,« sprach er zu sich selber, »so bin ich doch begierig, was es dort mit dem Lichte für eine Bewandtniß hat. Vielleicht ist es der Herr Rechtsconsulent selber, der absichtlich sehen läßt, daß er das Bureau verläßt, um dann wieder zurückzukehren und heimlicher Weise noch etwas zu arbeiten. Aber Herr Doktor Plager pflegt nicht zu flüstern und noch weniger zu lachen.«

Unter diesen Gedanken war Don Larioz in die Ecke des Zimmers getreten, wo sein langer Stoßdegen lehnte, eine echte alte Toledoklinge, den er jetzt, in Gedanken versunken, unter den Arm nahm und so seinen Spaziergang fortsetzte. Doch hatte er das Zimmer noch nicht zwei Mal durchmessen und kehrte gerade der Stubenthür den Rücken, als er in seinen Phantasieen durch ein lautes Lachen unterbrochen wurde, das ihn unangenehm berührt haben würde, wenn er die Stimme nicht augenblicklich als die des Armenarztes erkannt hätte.

»Das muß ich sagen,« rief derselbe, »unser edler andalusischer Freund, kaum aus dem Krankenbett wieder aufgestanden, scheint irgend einen Kampf bestehen zu wollen, vielleicht ein Gefecht mit Windmühlen oder Riesen. Aber Sie werden mir zugeben, Verehrtester, daß ich eigentlich hätte gefragt werden sollen, ehe man in seinem Zimmer so extravagante Bewegungen macht. Ei! ei! Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihnen diese Bewegungen nicht mißgönne, aber ruhig, alter Freund! So etwas Hin- und Herschlendern im Zimmer, das könnten wir uns am Ende schon gefallen lassen, aber nehmen Sie mir nicht übel, daß ich Sie da auf und ab rennen sehe, den Degen unter dem Arm, den Kopf erhitzt von Gott weiß welchen kriegerischen Phantasieen, das kann mir durchaus nicht angenehm sein. Also in den Stuhl gesetzt! Lassen Sie Ihren Puls fühlen.«

Der Schreiber stellte den Stoßdegen in die Ecke, nickte dem Doktor zu und entgegnete: »Wieder viel Lärmen um nichts!« ließ sich aber doch folgsam auf seinen Sessel nieder und streckte dem Armenarzt die dürre Hand entgegen.

Herr Doktor Flecker war im Schlafrock und führte wie gewöhnlich, wenn er zu Hause war, die lange Pfeife. Er griff behutsam an den Puls des Patienten und schien mit seinen Beobachtungen zufrieden zu sein. Auch das Aussehen der Zunge befriedigte ihn, worauf er sich einen Stuhl neben den Sessel des Herrn Larioz zog, sich darauf niederließ und dann durch ein paar tüchtige Züge seine Pfeife wieder in Brand brachte.

Der Spanier schnüffelte nach dem Dampfe und machte dabei ein so wohlgefälliges Gesicht, daß Herr Doktor Flecker sagte: »Mir scheint, Sie hätten nicht übel Lust, das auch einmal wieder zu versuchen. Geniren Sie sich gar nicht und stecken Sie eine Papiercigarre an, wenn es Ihnen nicht zuwider ist.«

»Ich habe mich darauf gefreut,« sagte Don Larioz freundlich; »Sie kennen aber meine Folgsamkeit, und ich hätte um Alles in der Welt ohne Ihre Bewilligung nicht geraucht. Da Sie aber nichts dawider haben, so will ich mit einer wahren Wollust die ersten Züge thun.«

So geschah es denn auch. Der Spanier drehte seine Papiercigarre sehr umständlich, ja, mit einer gewissen Feierlichkeit, zündete sie langsam an, und als er sich nun in den Sessel zurücklehnte, einen langen Zug in sich hineinsog und dann die Augen schloß, spielte ein außergewöhnliches Behagen auf seinem sonst so ernsten Gesichte.

Der Doktor schaute ihm lächelnd zu, und es dauerte wohl ein paar Minuten, ehe derselbe sagte: »Sie werden mir zugeben, Freund Larioz, daß ich nicht neugierig bin, das heißt nicht neugieriger, als es die Pflicht eines Arztes ist. Aber jetzt sagen Sie mir einmal, auf welche Art sind Sie in den verfluchten Zustand gekommen, worin ich Sie vor einigen Tagen fand? Wissen Sie wohl, Herr, daß wir sehr nahe an einem Nervenfieber herumgestreift sind?«

»Ja, ich war recht krank,« sprach ernst der lange Schreiber, »das habe ich wohl gefühlt, weiß auch die Ursache und will sie nicht vorenthalten. Ich gerieth da zufällig in eine Gesellschaft lustiger Brüder, die mich leider zum Trinken nöthigten, und wo ich denn unbegreiflicher Weise mehr als seit langen Jahren that, ja, mehr, als ich eigentlich ertragen konnte.«

Der Armenarzt nickte mit dem Kopfe.

»Obendrein passirte es mir noch,« fuhr Herr Larioz fort, »daß ich mich sehr erkältete. Wie das kam, weiß ich nicht genau anzugeben.«

»Ja, ja, die Wirkung zeigte sich gehörig. Ich wiederhole Ihnen, wir sind nicht ein Haar breit an einer sehr schlimmen Krankheit vorbeigerutscht.«

»Gott sei Dank, daß sie uns nicht erwischte!« entgegnete lächelnd der Spanier. »Doch kann ich Ihnen versichern, bester Doktor, daß es ein unnennbar angenehmes Gefühl ist, sich, wenn man mehrere Tage im Bette zugebracht, wieder einmal so recht ausstrecken zu können – Ah!«

Damit hatte Herr Larioz die Füße auf den vor ihm stehenden Stuhl gelegt, streckte sich weit in den Lehnsessel zurück und ließ den Dampf seiner Cigarre kräuselnd in die Höhe steigen. Den bläulichen Ringen blickte er nach, und die Frage des Doktors vorhin nach den Erlebnissen jenes Tages hatte ihm so recht wieder den Burgplatz mit allem, was er dort erlebt, vor die Seele gebracht. Wenn er auch während seiner Krankheit keinen Augenblick versäumt hatte, des schönen und unglücklichen Mädchens zu gedenken, die ihn interessirt wie nie ein weibliches Wesen, so war doch das Unwohlsein schuld daran, daß er wie im Traum, wie in einer Betäubung ihrer gedachte, nicht mit der vollen Kraft seines ziemlich scharfen Verstandes. Jetzt aber verschwanden die Schleier, die seinen Geist gefangen hielten, und nach und nach tauchte alles, was er gehört und gesehen, wieder so klar, in so scharfen Umrissen vor seinem Geiste auf, wie man ferne Berge, durch einen wohlthätigen Regen von ihrem Dunste befreit, nach einem schweren Gewitter zu sehen pflegt. Dabei aber hütete er sich wohl, den Doktor, den er als großen Spötter kannte, von seinen Erlebnissen geradezu in Kenntniß zu setzen, traute sich aber Feinheit genug zu, ihn um Einiges fragen zu können, ohne daß dieser die Absicht merke, warum dies geschehe. Wenn er auch weit entfernt war, zu glauben, daß der Spruch des großen maurischen Weisen zur Errettung jenes unglücklichen Mädchens beitragen könnte – denn wie wir bereits wissen, hielt er durchaus nichts auf Gespenster, Phantome oder Zauberer – so hatte er sich doch schon unsägliche Mühe gegeben, diesen Spruch wieder in sein Gedächtniß zurückzurufen, was ihm aber durchaus nicht gelingen wollte; auch hatte er wohl dabei gedacht: vielleicht ist es eine Formel, woran die wunderbar schöne Dame ihren Erretter zu erkennen im Stande ist. Denn daß sie mit dieser Rettung irgendwie zusammen hängen müsse, daran zweifelte er eben so wenig, als daß die Brüderschaft zum Dolche Rubens bereit sein würde, ihm bei der Errettung der Unglücklichen beizustehen.

Der Doktor hatte ruhig seine Pfeife geraucht und warf auch zuweilen einen schlauen, lächelnden Blick auf den Spanier, in dessen Gesichtszügen er wohl las, daß etwas für denselben Wichtiges seine Seele bewege.

»Ich habe,« sagte Don Larioz nach einer Pause, »mich neulich wieder einmal mit altspanischer, eigentlich maurischer Literatur beschäftigt und suche schon lange den Namen eines Weisen, von dem viel vortreffliche Sprüche im Munde des Volkes leben; aber ich suche ihn vergeblich.«

»Der Teufel mag auch diese maurischen Namen behalten,« versetzte lachend der Arzt; »namentlich für uns Deutsche ist das sehr schwer. Das muß euch Spaniern schon leichter werden; das klingt Ben Hamet, Ben Homet oder Ben Humet, Triangeli oder Sperangeli, was weiß ich? Meine Kenntniß eurer so schönen Sprache beschränkt sich leider nur auf ein paar Worte, die ich obendrein von Ihnen habe, vortrefflicher Don, zum Beispiel Caracho, was, glaube ich, nichts sehr Schönes bedeutet.«

»Man sagt das allerdings nicht häufig in guter Gesellschaft,« bemerkte der Schreiber.

»Olla potrida,« fuhr der Doktor lustig fort, »und vor allen Dingen, was ich früher am häufigsten von Ihnen gehört: Carbanzos.«

»Ah, Carbanzos!« wiederholte der Spanier, und seine Augen leuchteten.

»Ihr Leibgericht, das Wort erweckt Ihnen wohl angenehme Erinnerungen? Ich glaube dicke Erbsen und Speck. Sie strahlen ordentlich.«

»Nicht wegen der dicken Erbsen mit Speck,« entgegnete Don Larioz feierlich, indem er sich aufrichtete; »aber warten Sie einmal. Wie kann man so ein Wort vergessen. Carbanzos, richtig! Carabanzos – Carabanzeros. Das ist es! Seht, Doktor, wie der Zufall spielt, Carabanzeros ist der Name des maurischen Weisen, der mir gänzlich entfallen war.«

»Den Teufel auch!« erwiderte der Doktor und sah seinen Freund mißtrauisch an; »das muß ein sehr unbekannter Weiser sein, euer Carabanzeros. Ich habe mein Lebtag nichts von ihm gehört.«

»Ja, ja,« sagte nachsinnend der Spanier, »ein sonderbarer Weiser. Es existiren eigenthümliche Sprüche von ihm, die sich, namentlich in eure etwas hart klingende Sprache übersetzt, seltsam genug, man könnte sagen: holperig, ausnehmen. Glauben Sie wohl, Doktor,« damit wandte er sich sehr ernst an den Nebensitzenden, »daß es von dem maurischen Weisen Carabanzeros einen Spruch gibt, der anfängt:

Trau, treue Trine –«

»Nein,« versetzte der Armenarzt laut lachend, »das glaube ich nicht.«

»Und doch gibt es einen solchen,« fuhr Don Larioz mit unverwüstlicher Ruhe und ohne eine Miene zum Lächeln zu verziehen fort: »Trau, treue Trine – so beginnt der arabische Spruch, in Deutsch übersetzt, aber ich weiß nicht, wie er weiter heißt, und das beunruhigt mich einigermaßen.«

Der Doktor glaubte nicht anders, als sein Gegenüber wolle sich einen Spaß mit ihm machen; da er aber sah, daß dessen Gesichtszüge vollkommen ernst blieben, ja, seine Augen düster sinnend auf ihm ruhten, so kamen ihm ganz absonderliche Gedanken, und er vergaß es ein paar Sekunden lang, die Pfeifenspitze in seinen weit geöffneten Mund zu stecken.

»Trau, treue Trine« – wiederholte der Spanier, indem er schwärmerisch an die Decke emporblickte, »so fängt der Spruch an, und ich gäbe was darum, wenn ich die Fortsetzung wüßte. Daß der Name Trine eine freie Uebersetzung ist, glaube ich überzeugt sein zu dürfen, und vielleicht liegt es auch in diesem nicht ganz wohlklingenden Namen, daß der Anfang des Spruches uns etwas hart vorkommt. Nehmen wir zum Beispiel an, es hieße: Trau, treue Fatme, oder: Trau, treue Mirza, so würden Sie nicht läugnen können, Doktor, daß das dann äußerst angenehm wäre.«

»Ja, dem Ohre wäre es allerdings angenehm,« sagte der Doktor kopfschüttelnd, wobei er es nicht Unterlasten konnte, leicht den Arm des Schreibers zu fassen und nach dessen Puls zu fühlen.

Dieser hatte sich gänzlich wieder einmal in seine Träumereien und Phantasieen versenkt, und während er scheinbar in nebelgraue Fernen vor sich hinausstarrte, sagte er: »Das vierte Wort war etwas von Trug: trugvoll oder dergleichen. Aber ebenso überzeugt, wie ich bin, daß ich den ganzen Spruch mit dem ungeheuersten Nachdenken nicht so auf einmal wieder in mein Gedächtniß zurückrufen kann, ebenso bestimmt weiß ich, daß er mir plötzlich einmal einfallen wird. Das hoffe ich.«

»Wenn es Ihnen Freude macht, so will ich mich auch etwas darum bemühen. Also der große maurische Weise – Carabanzeros –«

»Hat ihn gethan, diesen Ausspruch. Und er fängt an: Trau, treue Trine.«

»Gut, ich werde das nicht vergessen,« erwiderte der Armenarzt; dann setzte er lauernd hinzu: »Und das haben Sie neulich erfahren an dem Tage, ehe Sie unwohl wurden?«

»So ist es; in einem Hause auf dem Burgplatze.«

»Auf dem Burgplatze?« fragte der Doktor, indem er seine Brille fester an die Augen drückte und auf den Boden blickend eine kleine Weile nachsann. »Auf dem Burgplatze? Hm, hm? Ah, das ist da unten, ich weiß schon, es wohnen dort viele Künstler, Maler, Bildhauer, Kupferstecher und dergleichen Volk. So! da hinein sind Sie gerathen? Nun, da werden Sie natürlicher Weise viel Gescheidtes erfahren haben.«

Der lange Schreiber legte die Hände über einander, nickte bedächtig mit dem Kopfe und erwiderte: »Das habe ich auch; ich kann Ihnen versichern, Doktor, daß dort Leute wohnen, die das Herz auf dem rechten Flecke haben; ich sage Ihnen, hingebende Charaktere, mit denen man die Welt erobern könnte, Bursche voll Gefühl für die Leiden ihrer Nebenmenschen und zum Helfen bereit, wo es nur angeht. Wenn es mir möglich ist, so werde ich Sie später dort einmal einführen.«

»Also eine geschlossene Gesellschaft?« fragte der Doktor, wobei er sehr bedenklich aussah.

»Ja, wenn Sie wollen, es ist so etwas,« versetzte Herr Larioz; »eine Verbrüderung, ein Bund zum Schutz und Trutz, sowie zum Frommen aller edlen Menschen, etwas wie gewisse Ritterorden der früheren Zeit.«

»O weh, o weh!« sprach der Armenarzt halb laut vor sich hin. »Der scheint mir in gute Hände gerathen zu sein. Das fehlte noch, daß ihn Spaßvögel an dieser seiner so außerordentlich schwachen Seite anfassen. Es wäre wahrhaftig Schade um dieses gute und edle Gemüth.« – Dann setzte er laut hinzu: »Ja, ja, das kann schon was Rechtes sein; man muß sich die Sache in der Nähe ansehen. Also eine Verbrüderung? – Und darf man deren Namen wissen?«

Herr Larioz wandte seinem Freunde mit großem Ernste das lange und nach seinem Unwohlsein außerordentlich schmale Gesicht zu, legte den Finger auf den Mund und sagte: »Unmöglich, der Name darf nur von und vor Eingeweihten genannt werden. Aber ich versichere Ihnen, Doktor, ich werde Alles daran setzen, Ihnen in diese vortreffliche Gesellschaft Eintritt zu verschaffen, und dann werden Sie selbst sehen.«

»Ja, ich werde sehen!« seufzte der Armenarzt, und setzte murmelnd hinzu: »Vorderhand habe ich genug gehört. Thun Sie mir aber den einzigen Gefallen und strengen Sie Ihr Gehirn nicht so an, um den Spruch des großen maurischen Weisen Carabatoxos wieder zu finden; ein Reconvalescent, wie Sie sind, muß sich Ruhe gönnen, körperlich und geistig. – Nun, leben Sie wohl, ich sehe auf den Abend nochmals nach Ihnen.«


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