Karl Gutzkow
Zopf und Schwert
Karl Gutzkow

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Fünfter Aufzug.

Ein Saal in den Gemächern der Königin. Rechts ein Fenster. Drei Thüren; im Hintergrunds links und rechts. Tische und Stühle. Auf den Tischen brennende Armleuchter, Service und Karten.

Erster Auftritt.

Kamke (steht auf einem Tritt und befestigt vor dem Fenster einen großen Vorhang). Zwei Lakaien (sind ihm dabei behilflich). Dann Fräulein von Sonnsfeld.

Kamke (oben). So! Empfangt jetzt die Damen an der kleinen Seitentreppe! Sie kommen alle in Portechaisen. Ohne Geräusch, hört ihr? Leise, leise!

Lakaien (ab).

Sonnsfeld (tritt von links ein). Nun, das ist doch einmal ein Fest, womit sich der preußische Hof wieder sehen lassen kann! Kamke, wozu verstopft Er denn die Fenster?

Kamke. Damit man unser Fest nicht sehen kann! (Heruntersteigend.) Sie lassen sich also auch in diese Staatsverschwörung ein.

Sonnsfeld. Die Königin wird alles verantworten! Sie setzt ihre eigene Freiheit an die Freiheit ihrer Tochter und empfängt heute den Prinzen von Wales im verschwiegensten Incognito. Ist alles bereit?

Kamke. Sie wollen die Prinzessin aus ihrer Haft befreien? Bedenken Sie, Fräulein, das ist ein Majestätsverbrechen.

Sonnsfeld. Es muß gelingen, es koste, was es wolle! Die Königin will die Prinzessin im Kreise des gesellschaftlichen Zirkels sehen, den sie heute zu einem geheimen Zweck eingeladen hat. Die Prinzessin ist unterrichtet. Sie weiß, daß ich kommen werde und zur Täuschung der Wache statt ihrer im Gefängniß bleibe. An dem blauen Saal wird sie Ihm begegnen –

Kamke. Da – wo seit einigen Nächten die weiße Frau gesehen wird?

Sonnsfeld. Sie wird Ihm erscheinen –

Kamke (entsetzt). Mir?

Sonnsfeld. Sie wird Ihn anreden –

Kamke. Mich?

Sonnsfeld (zieht ihn an die Thür rechts). Ja, gebildeter Berliner! Ihm und Ihn! Und du führst sie hierher, ergreifst ihre Hand und bringst sie auf dem sichersten Wege in die Gesellschaft –

Kamke. Fräulein – Wen? Die Prinzessin Wilhelmine?

Sonnsfeld (im Abgehen nach rechts). Nein, nein, Kamke, die weiße Frau! Aber geschwind, geschwind! (Beide ab.)

Zweiter Auftritt.

Frau von Viereck, Frau von Holzendorf und noch etwa sechs Damen (treten nach und nach behutsam durch die Mittelthüre herein). Lakaien. Später die Königin.

Viereck. Pst! Treten Sie behutsam auf!

Holzendorf (flüsternd). Es ist noch alles still. Wenn nur meine verwünschten Schuhe nicht so knarren wollten!

Viereck (flüsternd). Was mag Ihre Majestät die Königin nur vorhaben!

Holzendorf. Ist denn Se. Majestät der König verreist?

Viereck. Beim französischen Gesandten hört' ich, Se. Hoheit der Kronprinz wäre von Rheinsberg gekommen –

Holzendorf Wahrscheinlich zugleich mit Sr. Hoheit dem Prinzen von Wales –

Viereck (leise). Beide waren soeben in der Tabagie des Königs. Der Kronprinz soll sich auf's neue mit seinem Vater über die künftige Verwaltung des Staates überworfen haben.

Holzendorf. Ist es möglich?

Viereck. Und der Prinz von Baireuth soll den Streit haben vermitteln wollen, aber der Prinz von Wales soll dem Kronprinzen beigestanden haben.

Holzendorf. Der Prinz von Wales? So ist er also doch empfangen worden?

Viereck. Der König, in der Hitze des Wortwechsels, soll Befehl gegeben haben, die Prinzessin Wilhelmine, die Ursache des Streites, sogleich nach Küstrin abzuführen –

Holzendorf. Großer Gott, meine Damen! Und da liegen Karten auf den Tischen! Still, ich höre Geräusch.

Viereck. Es ist die Königin.

Die Königin (im großen Kostüm, tritt sehr aufgeregt und doch voll Bangen ein).

Hofdamen (verneigen sich).

Königin. Willkommen, meine Damen! Ich fühle mich glücklich, wieder einmal einen Kreis von Wesen um mich zu haben, die mich lieben! Nehmen Sie Platz! Ich habe mir vorgenommen, geselliger zu werden und Sie wieder öfter bei mir zu sehen. Sie werden spielen, Frau von Viereck?

Viereck. Spielen, Majestät! Seit achtzehn Jahren erinnere ich mich nicht, im Schlosse eine Karte gesehen zu haben.

Königin. Ja, das soll anders werden. Meine Damen, Sie kennen meine Pläne noch nicht; Sie wissen noch nicht, welche Ueberraschung Ihnen der heutige Abend bereiten wird –

Holzendorf. Ueberraschungen, Majestät?

Königin (zeigt an einem Spieltisch am Fenster). Dorthin, liebe Holzendorf! Machen Sie Partie mit Frau von Viereck –

Holzendorf (bei Seite). Mein Himmel, spielen? Und durch diesen Vorhang kann man deutlich die Conturen meines Schattens sehen.

Königin (die sich gesetzt hat). Warum zögern Sie?

Viereck. Um Vergebung, Majestät, wenn wir die Tische etwas näher rückten? An den Fenster hier zieht es.

(Lakaien rücken den Tisch etwas vom Fenster ab.)

Königin. Ja, meine Damen, mit dem heutigen Abend beginnt eine neue Epoche unserer Monarchie – ich breche endlich unsere bisherige Etikette! (In Bezug auf die servirenden Lakaien.) Befehlen Sie, was Sie vorziehen! Die Getränke Chinas und der Levante sollen von jetzt an keine Fremdlinge mehr an unserm Hofe sein.

Holzendorf. Was seh' ich, Thee?

Viereck. Kaffee? Diese verbotenen Getränke?

Holzendorf. Wenn Se. Majestät der König –

Königin. Befürchten Sie nichts! Geben Sie sich dem lautesten Ausbruch Ihrer Gefühle, geben Sie sich ohne Furcht dem Bewußtsein einer Sicherheit hin – (Es klopft rechts.) Klopft es nicht?

Viereck (zittert, für sich). Was soll das geben –!

(Es klopft wieder, alle stehen erschrocken auf.)

Königin. Ruhig, meine Damen. Wir sind ohne Gefahr. Dieser Abend wird Schlag auf Schlag eine Ueberraschung nach der andern bringen. Wen vermuthen Sie wohl dort an der Thür?

(Man pocht wieder.)

Holzendorf. Die Hand scheint nicht die zarteste zu sein.

Königin. Doch! Doch! Es ist das ungestüme Verlangen eines Wesens, das ich den Muth gehabt habe, aus einer entwürdigenden Lage zu befreien. Nehmen Sie ruhig Ihre Plätze ein, meine Damen. Lassen Sie sich durch nichts, durch keine Ueberraschung stören. Von den Dingen, die heute kommen werden, ist dies der Anfang, und so ruf' ich denn, mit überwallendem Gefühl, (während wieder geklopft wird) mäßige dein Ungestüm, geliebtes Wesen, du findest, was du suchtest, deine Mutter! (Sie öffnet.)

Dritter Auftritt.

Der König (in einem weißen Mantel, den Hut tief in's Gesicht gedrückt). Die Vorigen.

König. Ja, deine Mutter!

Hofdamen (stehen mit einem Entsetzenslaut auf).

König (nimmt den Hut ab).

Königin (zur Seite vernichtet). Der König!

König (zornig, sich aber zur Leutseligkeit zwingend). Sieh, sieh, was das hier hübsch ist! Wie schön sich das hier ausnimmt, wenn so recht viel Lichter brennen! (Bläst einige aus.) Warum verstecken Sie sich denn so, meine Damen? Haben Sie diesen Besuch erwartet?

Königin. Majestät –

Hofdamen (stellen sich so, daß sie Tische verdecken, und verbergen die Karten).

König. Lassen Sie sich doch nicht stören, meine Damen! Welches ist denn der Gegenstand Ihrer angenehmen Unterhaltung? Ei, ei, Frau von Holzendorf, ein Schälchen Suppe, gern gegeben! (Geht näher, sieht die Service.) Hoho, Silberservice! (Sieht in die Tassen.) Was? Thee? Schokolade? Kaffee?

Königin. Sie werden – erlauben Majestät, daß wir – mit unserm Jahrhundert fortschreiten.

König. Frau von Viereck, Sie, dächt' ich, wären doch mit Ihrem Jahrhundert schon lange genug fortgeschritten! Vor dreißig Jahren bekam ich alter Knabe manchmal ein Händchen von Ihnen – (Reicht listig eine Hand.)

Viereck (sucht hinten die Karten zu verbergen). Ach diese Gnade, Majestät –! (reicht ihm eine Hand.)

König. Beide, beide, Frau von Viereck!

Viereck (läßt hinten die Karten fallen).

König. Was ist das? Sie ließen etwas fallen? Mein Gott, Karten! (Steht sprachlos.) Karten –! (Zur Königin) Madame, Karten –! Ein christlicher Hof – und Karten! Nicht wahr, Frau von Viereck, Sie haben aus den Karten nur geweissagt, Sie haben sich blos die Karte gelegt, meine Damen, Sie haben blos wissen wollen, Frau von Viereck, ob Sie noch einmal Ihren fünften Mann begraben werden? Wie? Oder doch –? Geld auf den Tischen – (Schlägt die Hände zusammen.) Sie haben gespielt! An meinem Hofe gespielt! Karten gespielt! (Es klopft rechts.) Wer klopft da?

Königin (bei Seite). Wilhelmine oder der Prinz von Wales! Ich bin verloren. (Es klopft wieder leise.)

König. Erwarten Sie noch mehr Besuch? Herein –! (Geht selbst und öffnet.)

Vierter Auftritt.

Wilhelmine (weiß verschleiert und im weißen Domino tritt behutsam herein). Die Vorigen.

König. Eine verschleierte Dame? So geheimnißvoll die Besuche, die hier empfangen werden? (Hebt den Schleier ab.) Was seh' ich? Wilhelmine!

Wilhelmine (stürzt ihm zu Füßen). Vater, Vergebung!

König. Ein Einbruch in die Staatsgefängnisse? Ein Attentat auf meinen allerhöchsten Willen?

Wilhelmine (sich erhebend, bei Seite). Da bin ich schön angekommen. (Es klopft jetzt links.)

König. Klopft es nicht schon wieder? (Es klopft stärker.) Ich glaube, das Schloß ist verhext? So bin ich also dem Ausbruch einer Verschwörung noch glücklich zuvorgekommen! (Es klopft stärker). Wer ist an jener Thür? Sie antworten nicht? Nun, so muß ich selbst öffnen.

Königin (tritt ihm entgegen). Sie werden nicht!

König. Sie wollen mich hindern, die Feinde der Krone kennen zu lernen? Ich werde öffnen.

Königin. Nimmermehr!

König. Sie bieten mir Trotz? Sie widersetzen sich dem König?

Königin. Ja, ich fühle die Kraft in mir. Meine Damen, hören Sie, weshalb ich Sie einlud, heute in diesen Zimmern, heute bei Ihrer Königin zu erscheinen. Ja, Sire, der Zweck dieser Stunde war, die Fäden Ihrer Politik durch zwei Hände zu zerreißen, welche bestimmt sind, vereint durch's Leben zu gehen.

Wilhelmine. Zwei Hände?

Königin. Wilhelmine, ich habe dich aus einer Gefangenschaft befreit, die der Tochter eines Königs unwürdig ist. Oeffnen Sie, Sire! Sie finden meinen Neveu, meinen künftigen Schwiegersohn, den Prinzen von Wales?

Alle. Den Prinzen von Wales?

König (nachdem er sich gesammelt hat). Madame, Sie erreichen, was Sie wollen. Sie zerreißen das Band, das mich bisher an meine Familie, das mich an's Leben fesselte. Sie wissen, daß mir die Ehre und der gute Ruf über alle Berechnungen der Politik gehen. Sie wissen, daß durch diese nächtliche Scene, durch dies geheime Einverständniß mit einem für mich nur abenteuerlichen Fremdling Wilhelminens Ruf auf immer vernichtet ist. Freuen Sie sich Ihres Triumphes auf Ihrem künftigen Wittwensitz Oranienbaum, wohin ich Sie hiermit nach den Gesetzen unseres Hauses für die noch kurze Zeit meines Lebens verweise.

Wilhelmine (auf den König zueilend). Nimmermehr!

König. Madame, lassen Sie jetzt den Prinzen von Wales eintreten!

Königin (schwankt mit hörbaren Athemzügen an die Thür; sie wirft noch einen Blick gen Himmel und öffnet).

Fünfter Auftritt.

Der Erbprinz (tief in einen weißen Mantel gehüllt). Hotham (mit einer spitzen Blechmütze in der Hand, wie sie zum damaligen preußischen Militärkostüm gehörte; doch darf diese noch nicht gesehen werden). Die Vorigen.

Wilhelmine. Wie? Wen seh' ich?

Alle. Der Erbprinz von Baireuth!

Königin. Was ist das, Ritter? Wo ist der Prinz von Wales?

Hotham. Majestät, ich erstaune! Wie ich soeben, in diesem Augenblick, erfahren habe – der Prinz ist auf einer Reise nach Schottland begriffen.

Alle. Wie?

Königin (gleichzeitig). Der Prinz ist nicht in Berlin?

Hotham. Während einige der glaubwürdigsten Zeugen versichern, der Prinz wäre wirklich hier gewesen, wollen andere behaupten, er wäre nach England in dem Augenblick zurückgekehrt, wo er erfahren mußte, daß sich das Interesse seines Patriotismus, das Interesse der Baumwolle, mit den Empfindungen seines Herzens nicht vereinigen ließe.

König. Was soll der Erbprinz von Baireuth?

Hotham. Er suchte, wie wir, den Prinzen von Wales, mit dem er im Begriff ist, sich auf Tod und Leben zu schlagen.

Alle. Ha!

König (gleichzeitig). Zu schlagen? Warum denn Er?

Hotham. Weil der arme Prinz eines kleinen Landes dem Prinzen eines Weltstaates seine Flotten, seine Armeen, seine Schätze gönnt, einen Schatz aber nur mit seinem Blut ihm abtreten wird, die Hand der Prinzessin Wilhelmine, die er liebt!

(Allgemeine Bewegung.)

König. Die er liebt? Die Hand meiner Tochter? Ja, kann denn der Erbprinz von Baireuth auch ein Schwert führen?

Hotham (zieht dem Erbprinzen den Mantel ab und setzt ihm die blecherne Mütze auf).

Erbprinz (steht im Kostüm eines Grenadiers der Zeit da. Sein Haar ist in einen langen Zopf geflochten. Er bleibt unbeweglich, in militärischer Haltung).

König. Was seh' ich? Der Erbprinz? Ein Grenadier? Mit Zopf – und – Schwert?

Hotham. Die Equipirung des jungen Rekruten vom Regiment Glasenapp, den ich vor seiner Abreise nach Pasewalk Ew. Majestät vorzustellen die Ehre habe.

König. Ein deutscher Prinz, der sich's zur Ehre rechnet, in meiner Armee von unten auf zu dienen? (Kommandiert.) Bataillon, linksum! Bataillon, vorwärts marsch!

Erbprinz (exercirt auf Wilhelmine zu).

König. Halt! (Zu Wilhelminen.) Ist der Feind da drüben gesonnen, sich der diesseitigen Kapitulation anzuschließen?

Wilhelmine. Bis in den Tod!

König. Ganzes Regiment, rechtsum schwenkt! Vorwärts marsch, Rechten, Linken, einundzwanzig, zweiundzwanzig!

(Alle drei marschiren auf die links stehende Königin.)

König. Halt!

Wilhelmine und Erbprinz (sinke der Königin zu Füßen). Mutter!

König. Das war kein Kommando.

Erbprinz. Aber der Drang des Herzens.

Hotham (gutmüthig zur Königin flüsternd). Majestät, verbessern Sie den Fehler der beiden jungen Rekruten.

Königin. Gehen Sie mir aus den Augen, Sie Verräther an Ihrem Königshause. Steh' auf, Wilhelmine. (Zum König, zögernd.) Wir haben ja aber noch Oesterreich?

König. Aber Oesterreich hat nicht uns. Die Kreaturen, Prinz? Morgen früh gibt's Abschiede und Pensionen. Mütterchen, nehmen wir ihn zum Schwiegersohn?

Königin. Unter der Bedingung – daß – die Aussteuer von mir festgesetzt wird –

König. Und der – daß du (die Königin umarmend) an meinem Herzen bleibst! Jetzt fehlt nur Friedrich noch! Ritter Hotham, das kam also alles von Ihrer Baumwolle her? Danke Ihnen für den prächtigen Rekruten! (Zu Hotham laut in's Ohr.) Wie ist er denn so schnell nüchtern geworden!

Erbprinz. Majestät, Vergebung, noch bin ich ja trunken vor Freude!

König. Vergebung? Für Ihre Rede, mein Sohn? Wenn sie einst so, wie Sie sie gehalten haben, im Buch der Geschichte steht, ist mein altes Herz zufrieden und wünscht nur noch, daß man hinzufügt. Er wollte mit seinem Schwert wohl König, aber mit seinem Zopf im Staat nur der erste Bürger sein!

Gruppe.

Der Vorhang fällt.

 

 


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