Karl Gutzkow
Zopf und Schwert
Karl Gutzkow

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Erster Aufzug.

Ein Saal mit einem Fenster und vier Eingängen. Links ein Tisch und zwei Lehnsessel.

Erster Auftritt.

Eversmann (schnupft mit Behaglichkeit aus einer Dose). Zwei Trommler der Garde. Darauf Fräulein von Sonnsfeld.

Die Trommler (schlagen dicht an der vordern Thür links, die zur Prinzessin führt, einen Wirbel).

Fräulein von Sonnsfeld (aus dieser Thür blickend). Es ist schon gut.

Trommler (schlagen einen zweiten Wirbel).

Sonnsfeld (wieder hervorsehend). Wir wissen schon, sag' ich.

Eversmann (winkt zum dritten mal).

Trommler (schlagen einen dritten langen Wirbel).

Sonnsfeld (tritt nun unwillig heraus und spricht, nachdem der Lärm vorüber). Es ist nicht zum Aushalten. Die Nerven möchten einem zerspringen. Links um, vorwärts marsch! – Hinaus mit euch auf den Exerzierplatz, wo ihr hingehört! (Trommler sind inzwischen trommelnd abmarschiert. Nachdem es still geworden.) Eversmann, Sie sollten sich schämen, daß Sie den König nicht endlich auf die Achtung aufmerksam machen, die den Damen gebührt.

Eversmann. Gnädiges Fräulein, ich befolge die Befehle unsres königlichen Herrn. Sintemal das Zuspäteaufstehen ein Laster der heutigen Jugend ist, wird jeden Morgen um sechs Uhr vor den Zimmern der königlichen Prinzen und Prinzessinnen die Reveille geschlagen.

Sonnsfeld. Prinzessin Wilhelmine ist den Kinderschuhen entwachsen.

Eversmann. Gerade dann hat man des Morgens die süßesten Träume.

Sonnsfeld. Träume von unserer endlichen Erlösung, von Verzweiflung, vom Tode –

Eversmann. Oder von Heirathen und – dergleichen –

Sonnsfeld. Nehmen Sie sich in Acht, Eversmann! Der Kronprinz hat endlich seine Freiheit errungen und führt in Rheinsberg ein pünktliches, ein genaues Tagebuch über alles, was in Berlin und in den Umgebungen seines gestrengen Herrn Vaters vorgeht. Man weiß, daß Sie den König mehr beherrschen als die Minister.

Eversmann. Wenn das dichterische Gemüth des Kronprinzen, des übrigens innigst an mich attachirten Fritz, nicht schärfer sieht, dann hab' ich wenig Respekt vor der Einbildungskraft der Poeten. Ich und Einfluß! Ich drehe Sr. Majestät jeden Morgen seinen stattlichen Zopf, stutze ihm seinen männlichen kräftigen Bart, stopfe ihm jeden Abend seine kleine gemüthliche holländische Pfeife. und was bei diesen kleinen unschuldigen Handleistungen die geheiligte Person des Königs an Winken und Aeußerungen und kleinen Befehlen fallen läßt – das allerdings –

Sonnsfeld. Heben Sie auf und haben sich daraus einen »kleinen unschuldigen Einfluß« geschmiedet, der Ihnen bereits drei Häuser, fünf Landgüter und eine Kutsche mit vier Pferden eingebracht hat. Hüten Sie sich, daß der Kronprinz alle diese schönen Gegenstände nicht dermaleinst unter dem Galgen versteigern läßt.

Eversmann. Hören Sie, Sie haben schlecht geschlafen, mein Fräulein! Ich verbitte mir solche aus der Lust gegriffene Manieren von – Weissagungen und Prophezeihungen. Se. königliche Hoheit der Kronprinz sind viel zu sehr Philosoph, als daß sie sich an einem Manne rächen sollten, der mit seinem Vater nichts anders zu thun hat, als Sr. Majestät jeden Abend eine Pfeife zu stopfen, jeden Morgen einen Zopf zu drehen und ihn einen Tag um den andern nach alter deutscher Sitte über den Löffel zu barbieren. Haben Sie mich verstanden? (Ab.)

Sonnsfeld (allein). Geh' du nur, du alter Sünder! Stell' dich noch so ehrlich und deutsch! Wir kennen dich und alle deinesgleichen! Das ist ein Leben an diesem Hofe! Des Morgens schon in der Frühe donnern die Kanonen unten im Lustgarten dicht unter den Fenstern des Schlosses, oder sie schicken uns eine Kompagnie Soldaten herauf, um uns das Frühaufstehen anzugewöhnen. Nach dem Gebet muß die Prinzessin stricken, nähen, Wäsche bügeln, den Katechismus auswendig lernen, ja, täglich! eine langweilige Predigt hören. Mittags bekommen wir so gut wie nichts zu essen – dann hält der König seinen Mittagsschlaf, und obgleich er fortwährend so gespannt mit der Königin lebt, daß sie sich kaum einen guten Tag gönnen, so muß doch die ganze Familie dieser melodischen allerhöchsten Schnarchunterhaltung mit beiwohnen, ja sogar eigenhändig bedacht sein, dem schlummernden Papa Landesvater die Fliegen fortzuwedeln. Ohne den natürlichen Witz und den Geist meiner Prinzessin müßte das herrliche Wesen bei einer solchen Lebensweise längst verwildert sein. Ja, wenn der König wüßte, daß sie sich heimlich eine Anzahl französischer Brocken aufgelesen und nothdürftig gelernt hat, ein artiges Billetchen zu schreiben. – . . . Ich höre sie kommen.

Zweiter Auftritt.

Prinzessin Wilhelmine (mit einem Brief in der Hand). Fräulein von Sonnsfeld.

Wilhelmine (schüchtern). Sind wir unbelauscht?

Sonnsfeld. Wenn nicht die Wände Ohren haben. Ist der Brief schon fertig?

Wilhelmine. Ich wage ihn kaum abzuschicken, liebe Sonnsfeld. Er wird hundert Sprachfehler enthalten.

Sonnsfeld. Hundert? Da muß er länger geworden sein, als Ihre Hoheit anfangs beabsichtigten.

Wilhelmine. Ich habe geschrieben, daß ich zwar den Wert der mir angebotenen Dienste vollkommen zu würdigen verstünde, mich aber in einer Lage befände, alles zurückweisen zu müssen, was ich für meine Bildung nicht wenigstens durch die Vermittelung der Königin, meiner Mutter, erlangen kann.

Sonnsfeld. Das haben Sie geschrieben? Dafür die hundert Sprachfehler? In diesem Fall sind wir so weit wie bisher. Ich ehre alle Rücksichten, die eine junge Prinzessin von achtzehn Jahren vor der Weltgeschichte zu nehmen hat; aber bei dieser Gewissenhaftigkeit werden Sie zu Grunde gehen. Der König wird Sie ewig wie eine Sklavin, die Königin wie ein unmündiges Kind behandeln. Sie sind das Opfer zweier Charaktere, die an sich vielleicht das Beste mit Ihnen bezwecken, die aber beide so entgegengesetzte Naturen sind, daß Sie nimmermehr wissen können, wem Sie es recht machen sollen. Der Kronprinz hat es erreicht, sich zu befreien. Wodurch? Durch Muth und Selbstständigkeit. Er hat sich losgerissen von den beengenden Fesseln der Willkür, hat sich die Mittel, die er zu seiner Bildung bedurfte, selbst erworben, und nun sendet er auch Ihnen aus Rheinsberg seinen Freund, den Erbprinzen von Baireuth, um Ihnen und der Königin einen Schutz, einen Anhalt zu geben, damit Sie an einem Hofe, wo den ganzen Tag getrommelt und exerziert wird, nicht aus Verzweiflung am Ende selbst noch die Muskete ergreifen und unter die Potsdamer Garde treten.

Wilhelmine. Viel Humor, liebe Sonnsfeld, wahrhaftig! Mein Bruder hat in Rheinsberg gut Pläne zu machen und Emissäre senden! Er weiß selbst sehr wohl, daß der Weg zur Freiheit, die er jetzt errungen, dicht am Schaffot vorüberführte. Ich gehöre dem Geschlechte an, das dulden soll. Der Vater ist gut, herzensgut, in seinem wahren Wesen vielleicht milder als die Mutter, die mich mit ihrem Ehrgeiz und ihrer Zucht zur Politik oft schroffer zurückstößt, als mütterliche Liebe verantworten kann. Ich bin nun einmal bestimmt, dies Schicksal zu ertragen, ich frage dich selbst, wie kann ich mich einem abenteuernden Fremdling anvertrauen, den mir der Bruder da aus seinem wilden und genialen rheinsberger Leben hierhersendet, um mein Ritter und Paladin zu werden? Es ist ein Gedanke, wie er nur unter den Poeten dort hat entstehen können! Und wenn ich auch gern heimlich eingestehe, ich möchte verkleidet und lustiger Dinge in dem rheinsberger Lärm recht mitten drinnen sein, so hab' ich doch, da wir nun einmal in Berlin sind, mein bischen Französisch zur Noth zusammengenommen und dem Erbprinzen für seine Anerbietung hiermit (reicht der Sonnsfeld den Brief) mehr abweisend als annehmend gedankt.

Sonnsfeld. Und diesen Brief soll ich besorgen lassen? (Mit komischem Pathos.) Nein königliche Hoheit, ich befasse mich nicht mit verbotenen Korrespondenzen.

Wilhelmine. Keinen Scherz, Sonnsfeld! Auf die zärtliche Epistel des Erbprinzen mußt' ich so erwidern . . .

Sonnsfeld. Nimmermehr – an diesem Hof verwirkt man durch die Besorgung verbotener Korrespondenzen sein Leben –

Wilhelmine. Du machst mich böse . . . besorge den Brief . . . schnell . . .

Sonnsfeld. Nein; aber ich weiß ein Mittel, Prinzessin, ein untrügliches, sehr sicheres Mittel, diesen Brief an seine Adresse gelangen zu lassen, es heißt: (sieht auf die Thür des Hintergrundes) geben Sie ihn selber ab! (Hüpft nach einer hintern Seitenthür ab.)

Dritter Auftritt.

Der Erbprinz von Baireuth (nach französischem Geschmack gekleidet und durchaus abweichend von dem Lieblingscostüm des Königs). Prinzessin Wilhelmine.

Wilhelmine (bei Seite). Der Erbprinz.

Erbprinz (behutsam vortretend und bei Seite). Ganz ihr Bild! Es ist die Prinzessin! (Laut.) Ich bitte um Vergebung, königliche Hoheit, daß meine Ungeduld, die Grüße des Kronprinzen persönlich auszurichten –

Wilhelmine. Der Erbprinz von Baireuth setzt mich durch einen so frühzeitigen Besuch in nicht geringe Verlegenheit.

Erbprinz. Er galt nicht Ihnen, er galt dem herrlichen, ehrwürdigen Schlosse, diesen Treppen, diesen Galerieen, diesen Korridoren, er galt der Terrainkenntnis, königliche Hoheit, die einer jeden bedeutenden Unternehmung vorangehen muß.

Wilhelmine. Gedenken Sie hier eine Schlacht zu liefern?

Erbprinz. In durchaus friedlichen Absichten bin ich eben nicht hier, wenn ich auch, wie Prinzessin Wilhelmine bereits wissen werden, mich mehr auf die Defensive beschränken muß.

Wilhelmine. Und auch diese werden Sie nicht schonend genug ergreifen können. (Für sich.) Das Billet wird nicht mehr nöthig sein. (Laut.) Wie ließen Sie meinen Bruder? Wohlauf? Viel beschäftigt?

Erbprinz. Der Kronprinz führt in seinem Exil ein Leben voll heiterster Abwechslung. Er hat sich Rheinsberg in einen kleinen Musensitz umgeschaffen, der bald den ernsten Studien, bald der poetischen Erholung gewidmet ist. Wir haben schöne Stunden dort verlebt, unvergeßliche; man sollte nicht glauben, daß man sich an der mecklenburgischen Grenze so viel Phantasie erhalten kann. Man malt dort, man baut, man meißelt, man dichtet. Das Regiment, welches unter dem unmittelbaren Befehl des geistreichen Prinzen steht, dient dazu, durch militärische Evolutionen die strategischen Angaben des Polybius zu verwirklichen. Kurz, ich würde mich unglücklich fühlen, diesen reizenden Aufenthalt verlassen zu haben, wäre mir nicht ein sehr ehrenvoller Auftrag geworden. Ja, Prinzessin, der Kronprinz wünscht über die Lage, in der sich hier Schwester und Mutter befinden, genaue an der Quelle geschöpfte Erkundigungen einzuziehen, nöthigenfalls auch zu berathen, wie dieser Lage abzuhelfen, diesen Widerwärtigkeiten zu begegnen sei.

Wilhelmine. Erführe man, daß ich einem Prinzen, der bis jetzt weder meinem Vater noch meiner Mutter vorgestellt wurde, hier im offenen Saal Audienz gebe, ich glaube, daß ich mich rüsten könnte, einige Wochen auf die Festung Küstrin zu gehen. (Will, sich verneigend, abgehen.)

Erbprinz. Prinzessin! Ist es also wirklich wahr, was man mit Schaudern an allen Höfen Europas erzählt, daß der König von Preußen den Hof, seine Umgebungen, seine eigene Familie tyrannisirt?

Wilhelmine. Prinz, Sie brauchen einen harten Ausdruck für das, was ich nur unser eigenthümliches Zeremoniell nennen möchte. In Versailles schwebt alles mit Zephyrflügel über die glacirten Parquets. Hier tritt man ein wenig derb mit klirrenden Sporen auf. In Versailles hat sich die königliche Familie in eine große Gesellschaft aufgelöst, wo nur noch die Verwandtschaft der Geister, die Bande der – ungebundensten Neigungen heilig gehalten werden. Hier ist der Hof eine einzige bürgerliche Familie, wo man noch vor Tisch sein Gebet hält, die Aeltern immer zuerst reden läßt, mit dem pünktlichsten Gehorsam, wenn es verlangt wird, fünf eine gerade Zahl sein läßt und sich dann nur aus Liebe manchmal ein bischen zankt, aus Liebe manchmal ein bischen quält, aus Liebe sich das Leben ein wenig sauer macht.

Erbprinz. Prinzessin, ich schwöre Ihnen, das muß anders werden.

Wilhelmine. Wie sollte es –?

Erbprinz. Der Kronprinz hat mich beauftragt, alle erdenklichen Mittel aufzubieten, Sie von dieser Barbarei zu befreien. Gebieten Sie über mich. Sie sehen mich bereit dazu. Zuerst empfahl er mir dringend ihre geistigen Bedürfnisse. Wie ist es mit der französischen Sprache?

Wilhelmine. Der König haßt alles, was vom Ausland kommt und nichts mehr als Frankreich, seine Litteratur und seine Sprache.

Erbprinz. Der Kronprinz wußte das und schickt Ihnen deshalb, um hiermit gleich den Anfang zu machen, aus seinem rheinsberger Kreise ein kleines geschwätziges, aber sehr gelehrtes Männchen, einen Franzosen, Namens Laharpe –

Wilhelmine. Die strengsten Befehle verbannen alle französischen Sprachmeister aus Berlin.

Erbprinz Laharpe geht zu Ihnen, ohne daß man ihn kennt.

Wilhelmine. Unmöglich. Zu mir darf niemand, der sich nicht bei der Schloßwache ausweisen kann.

Erbprinz. So hören Sie Laharpe's Vorträge bei der Sonnsfeld, Ihrer Hofdame.

Wilhelmine. Unmöglich.

Erbprinz. Bei der Königin.

Wilhelmine. Unmöglich.

Erbprinz. Mein Himmel, sind Sie sich denn nie eine Stunde allein überlassen?

Wilhelmine. Sonntäglich zwei Stunden in der Kirche.

Erbprinz. Das ist ja entsetzlich! In Versailles haben nicht nur die Prinzessinnen schon von zehn Jahren, sondern sogar ihre Puppen ihren eigenen Hofstaat!

Wilhelmine. Der einzige Ort, den ich zuweilen längere Zeit ohne Begleitung besuchen darf, sind drüben jene Zimmer im untern Stockwerk des Schlosses –

Erbprinz. Wahrscheinlich die Privatbibliothek des Königs?

Wilhelmine. Nein!

Erbprinz. Eine Galerie von Familiengemälden?

Wilhelmine. Sehen Sie den Rauch, der aus den geöffneten Fenstern hervordringt?

Erbprinz. Das ist – doch nicht etwa – die Garküche?

Wilhelmine. Die Garküche nicht, aber auch nicht viel Besseres. Es ist, mit Ehren zu melden, die königlich preußische Waschküche! Sehen Sie, Prinz, da ist es der Schwester des Kronprinzen erlaubt, stundenlang sich hinzustellen und ehrbar zuzuschauen, wie man die Wäsche spült, sie mangelt, die Kleider stärkt, die Gedecke, die Servietten sortirt –

Erbprinz. Eine Prinzessin?

Wilhelmine. Sehen Sie das kleine Fenster mit den grünen Blumenstöcken und dem kleinen Hänfling im Käfig? Dort wohnt die Frau des Silberwäschers. Während die arme Königstochter zuweilen scheinbar wie eine Magd an den Töpfen und Kesseln zu walten scheint, schlüpf' ich heimlich zu jener guten Frau, wo ich hinter den Blumen frei und heiter lachen kann, verstohlen dem kleinen Hänfling aus meiner Hand sein Futter reiche und mir schon oft gesagt habe: Bei all deinen Leiden, all deinem Kummer bist du doch noch glücklicher als der arme kleine Sänger da im Käfig, dem sie nimmer die Freiheit geben werden, und säng er noch so schön, noch so melodisch in allen Sprachen der Erde.

Erbprinz (beiseite). Sie ist bezaubernd! (Laut.) Und Laharpe?

Wilhelmine. Da es denn gesagt sein soll – dorthin, Prinz, schicken Sie mir diesen gelehrten Herrn, dort will ich, wie es der Bruder befiehlt, meinen französischen Stil bilden und unter anderm lernen, wie man recht elegant, recht modern französisch sagen kann. »Ja, wagen wir den Anfang eines neuen Lebens!« Bleiben Sie der Freund meines Bruders, bleiben Sie mein Beschützer! Für jetzt aber – leben Sie wohl. (Eilt ab.)

Vierter Auftritt.

Erbprinz (allein). Dann Fräulein von Sonnsfeld.

Erbprinz. Wo weil' ich denn! War das eine Scene aus Tausendundeiner Nacht oder bin ich wirklich an den Ufern jener gemüthlichen Spree, die sich in die Havel ergießt? Wahrhaftig, dieser preußische Hof mit seinen Zöpfen und Gamaschen ist romantischer, als ich mir gedacht habe. Laharpe, du hinter jenen Blumenstöcken? Dir dieses Tête-à-tête mit einer Prinzessin, die die Küche besucht, und einem Hänfling, der das Glück hat, ihr in die Finger beißen zu dürfen? Wie ist sie schön! Sie ist schöner als das Bild, das Friedrich auf dem Herzen trägt, und schon in dies Bild hab' ich mich verliebt. (Sich umsehend.) Magisch bannt es mich an diese Räume, die sie wie ein Genius durchschwebte. (Zum Fenster.) Da unten auf dem Platz die blitzenden Bajonnette der manövrirenden Truppen; hier der Eingang zu den Zimmern einer Prinzessin, die zu besitzen die höchste Seligkeit der Erde wäre – und dort – wohin führt wohl jene Thür, durch welche die kleine Hüterin dieses Paradieses entschlüpfte –? (nähert sich der zweiten hintern Thür, ihm zur Rechten.)

Fräulein von Sonnsfeld (tritt ihm schnell und erregt entgegen). Fort, fort! Prinz! Die Königin kommt –

Erbprinz. Die Königin –? Wohin denn?

Sonnsfeld. In jenes Zimmer drüben – vielleicht, daß Sie einen Ausweg finden – Ums Himmels willen, man darf Sie hier nicht gesehen haben.

Erbprinz (wird von ihr in die entgegengehe Seitenthür gedrängt). Meine Terrainkenntniß vermehrt sich schon. (Ab.)

Fünfter Auftritt.

Die Königin begleitet von zwei ihrer Hofdamen. Fräulein von Sonnsfeld. Später der Erbprinz.

Königin (winkt den Hofdamen. Diese gehen ab. Sie setzt sich). Meine Tochter schon auf? Ich habe die Nacht wieder so angestrengt gearbeitet, daß ich noch ganz ermüdet bin. Diese leidige Politik! Haben Sie Kamke nicht gesehen?

Sonnsfeld. Ihrer Majestät Kammerdiener? Nein, Majestät!

Königin. Er bleibt so lange aus. Ich schickte ihn zu dem Erbprinzen von Baireuth.

Erbprinz (aus der Thür und bei Seite). Zu mir?

Königin. Nach den Briefen, die mir der Prinz von meinem Sohn gebracht, muß es einer der besten Fürsten des Jahrhunderts werden.

Erbprinz (bei Seite). Das Terrain wird günstig.

Königin. Mein Sohn, der die Menschen so richtig zu beurtheilen versteht, schildert mir ihn als einen Charakter, dem ich mich ganz vertrauen darf. Und gerade jetzt bedarf ich eines entschlossenen Beistandes mehr denn je.

Sonnsfeld (erschreckend). Ist wieder etwas im Werke, Majestät?

Königin. Meine ganze Kraft muß ich aufwenden. Ja, es gilt, die Würde einer Monarchie zu behaupten, deren natürlicher Vertreter es täglich mehr zu vergessen scheint, daß sich Preußen seit kurzem in die Reihe der europäischen Großmächte gestellt hat.

Sonnsfeld. Majestät, Sie wollen Unruhen stiften?

Königin. Ich brenne vor Begierde, einen Prinzen kennen zu lernen, den mein Sohn seiner Freundschaft würdigte –

Sonnsfeld (giebt dem Erbprinzen einen Wink).

Königin. Sobald er da ist, liebe Sonnsfeld –

Sonnsfeld (zeigt auf den herausgetretenen Erbprinzen). Kamke läßt ihn soeben ein! Da ist er schon.

Königin (steht auf). Sie überraschen mich, Prinz! Ich habe Sie nicht eintreten hören –

Erbprinz. Ihre Majestät schienen in so tiefe Betrachtungen versunken –

Königin (bei Seite). Ein einnehmendes Aeußere, ein geistvolles Auge..– Hat Ihnen mein Kammerdiener . . .?

Erbprinz. Im Begriff auszugehen, begegnete mir dieser Biedermann auf der Treppe meines Hotels. Er drückte mir den unverzüglichen Befehl Ew. Majestät aus. –

Königin. Bitte, Erbprinz –! (Setzt sich und winkt dem Erbprinzen, ein gleiches zu thun.) Meinen herzlichsten Dank für die überbrachten Briefe meines trefflichen Sohnes. Eine Stelle, die ich wohl mehr als zehnmal überlesen habe, läßt mich vermuthen, daß Sie über einen gewissen Plan, eine gewisse Angelegenheit bereits von ihm unterrichtet worden sind –

Erbprinz. Jawohl, jawohl, Majestät! (Bei Seite). Ich weiß kein Wort.

Königin. Ich bin sehr glücklich, daß ich wie immer, so auch hier, mit meinem Sohn ganz einverstanden bin, und auch Sie billigen gewiß vollkommen unsere Ansicht von diesem Gegenstande.

Erbprinz. Ohne Zweifel, vollkommen ganz Ihrer Ansicht. (Bei Seite.) Ueber was für einen Gegenstand?

Königin. Mein Sohn schreibt mir, daß ich auf Ihre Theilnahme in dieser Angelegenheit unbedingt rechnen kann.

Erbprinz. Er hat nicht zu viel gesagt, Majestät. Als ich aber von ihm Abschied nahm, rief er mir noch in den Wagen nach: Lieber Freund, über diesen bewußten Gegenstand wird dir die Königin, meine gnädigste Mutter, noch das Ausführlichere und Umständlichere mittheilen.

Königin. Das ist ganz sein Stil! Sie sehen mich bereit dazu.

Erbprinz (bei Seite). Das verwickelt sich.

Königin. Sie wissen, daß der brandenburgische Kurhut erst seit kurzem mit der preußischen Königskrone vertauscht wurde. Obgleich ursprünglich eine hannoversche Prinzessin, fand ich doch in Preußens Größe mein Glück, in Preußens Ruhm meinen Stolz. Kein Staat hat in der Wahl seiner Bundesgenossen, Verschwägerungen und Verwandtschaften Ursache, so vorsichtig zu sein, wie der unsrige. Und deshalb giebt es auch gewiß keinen Gegenstand, der in diesem Augenblick so lebhaft, so ausschließlich die Aufmerksamkeit und das Interesse des Landes in Anspruch nehmen darf, als eine Frage, die auch bereits alle Cabinette Europas beschäftigt, eine Frage, die Sie ohne Zweifel schon errathen haben.

Erbprinz. Ich glaube Ew. Majestät vollkommen zu verstehen. (Bei Seite.) Was meint sie nur?

Königin. Ich bin gewiß ohne Stolz. Aber wenn man einem Hause angehört, das wie das hannoverische kürzlich die Ehre gehabt hat, auf den Thron von England berufen zu werden, wenn man die Tochter eines Königs, die Mutter eines künftigen Königs, die Gemahlin eines Königs ist, dann werden Sie einsehen, daß ich für die Zukunft meiner Tochter Rücksichten zu nehmen habe, die mich bestimmen müssen, jede politische Mesalliance zu vermeiden.

Erbprinz. Mesalliance? Ihrer Prinzessin Tochter? (verwirrt.) Ich muß gestehen – von diesen Verhältnissen war ich – nur oberflächlich unterrichtet –

Königin. Was ich Ihnen, Ihrer gewissenhaftesten Verschwiegenheit mittheilen werde, Prinz, ist ein Geheimnis und das Ergebnis der ernstesten Combinationen. Sie wissen, an welchem Hofe ich lebe. Man entzieht mir den Einfluß, der mir als Landesmutter gebührt. Der König hat sich mit Personen umgeben, die ihn von mir entfernt halten. Wie wird diese Gesellschaft von Corporalen und Wachtmeistern meinen tieferwogenen Plan aufnehmen? Wie werd' ich den König selbst gestimmt finden in einer Angelegenheit, die für das Glück seiner Kinder, den Ruhm seines Hauses entscheidend ist? Sehen Sie da, Prinz, den Punkt, wo ich fühle, daß ich eines Mannes von Ihrem Scharfsinn, Ihrer Beobachtungsgabe bedarf, um zu wissen, was ich hoffen darf oder (entschlossen) wenn es sein soll – was ich wagen muß!

Erbprinz. Es soll meine eifrigste Sorge sein, das Vertrauen Ew. Majestät zu rechtfertigen. (Bei Seite.) Himmel –!

Königin. So erfahren Sie denn eine im Geheimen bereits abgeschlossene Verhandlung, an welcher sich sämmtliche nächste Anverwandte unseres Hauses bereits betheiligt haben und in welche ich nun auch Sie, den Freund meines Sohnes, hiermit feierlich einweihe. Meine Tochter wird die Gemahlin meines Neffen, des Prinzen von Wales, und somit die künftige Königin von England! (Beide stehen auf.)

Erbprinz (bei Seite). Schöne Konkurrenz das!

Königin. Sie sehen, Prinz, was auf dem Spiele steht! Wollen Sie es übernehmen, diese wichtige, für Europa bedeutungsvolle Frage mit meinem Gemahl zu vermitteln?

Erbprinz. Ich? Vermitteln? Mit – mit Vergnügen, Majestät! (Bei Seite.) Abscheuliche Kommission.

Königin. Nun denn, so beginnen Sie! Der König kommt. Sie werden sich ihm vorstellen. Benutzen Sie den günstigen Augenblick, ihn auf seine Meinung über den Thron von England zu bringen, und theilen Sie mir dann unverzüglich Ihre Resultate mit!

Erbprinz. Ich bin so überrascht von dieser – ehrenwerten Wendung – Wann darf ich Ew. Majestät aufwarten?

Königin. Zu jeder Zeit, doch am liebsten des Abends, wo sich während der Ihnen geschilderten Gesellschaft des Königs meine Getreuen in aller Stille um mich versammeln. Leben Sie wohl, lieber Erbprinz von – von – sieh', sieh', hat mein Sohn vergessen zu schreiben, ob Sie einst Ansbach oder Baireuth bekommen werden! Man verwechselt immer diese kleinen Fürstenthümer – Ansbach und Baireuth, Baireuth und Ansbach, ja wohl, lieber Erbprinz von – Ansbach! Also: Preußen, Hannover und England! (Ab mit stolzer Herablassung zur Seite.)

Sechster Auftritt.

Erbprinz. Dann Eversmann.

Erbprinz (allein). Die künftige Königin von England? Und ich der Erbprinz von Ansbach! Das war ein grausamer Schlag des Himmels. Ich, ich soll der Vermittler dieser Weltbegebenheiten werden? Dies engelgleiche Wesen, das ich mit jedem Athemzuge heißer, feuriger liebe, die holdselige Schwester meines Friedrich, sie soll ein Opfer politischer Kabalen sein? Nein, sie kann den Prinzen von Wales nicht lieben, sie hat ihn ja nie gesehen. Aber wird man sie fragen? Wird die kalte Politik ihrem Herzen Gehör schenken? – – Die Parade scheint zu Ende. Die Suite nähert sich dem Schloßhof. Unmöglich kann ich jetzt in dieser aufgeregten Stimmung dem Könige begegnen – (sieht sich nach einem Ausweg um).

Eversmann (mit einem großen Buche und hinterm Ohr eine Feder, will zur Königin).

Erbprinz (bei Seite). Wer ist das?

Eversmann (sieht den Erbprinzen von oben bis unten an, geht dann einige Schritte weiter und bleibt wieder stehen).

Erbprinz (bei Seite). Sollte man mich beobachtet haben?

Eversmann (geht zur Thür der Königin und bleibt wieder stehen, indem er den Erbprinzen frech betrachtet).

Erbprinz. Was sieht Er mich so an? Ich bin der Erbprinz von Baireuth.

Eversmann (bleibt gleichgültig, geht einige Schritte vor, verbeugt sich unbedeutend und sagt) Se. Majestät kommen soeben von der Parade, geben aber in diesem Zimmer keine Audienz.

Erbprinz. Ich danke Ihm für die Auskunft.

Eversmann. Nicht Ursache.

Erbprinz. Wer ist Er denn?

Eversmann. Ich? (Längere Pause). Ich bin Eversmann. (Ab zur Königin).

Erbprinz. Eversmann? Vielleicht der Finanzminister oder der Haushofmeister? Die Sparsamkeit sieht ihm wenigstens aus allen Knopflöchern heraus. (Man hört dicht an dem hintern Haupteingange Trommeln und das Präsentieren von Gewehren). Der König kommt? Der König! Wie fühl' ich mich nur plötzlich so beengt, so zaghaft? Entsinkt mir denn der Muth, dieser Merkwürdigkeit des Jahrhunderts entgegenzutreten? Ich will ihn doch lieber erst von der Seite abwarten. (Er stellt sich dicht an die Thür links von ihm.)

Siebenter Auftritt.

Der König (hinter der Scene). Der Erbprinz. Dann Eversmann. Später die Königin und die Prinzessin Wilhelmine.

(Es erfolgt an der Thür ein starkes Klopfen mit einem Stock.)

Erbprinz. Herein!

König (hinter der Scene). Eversmann.

Erbprinz. Was ist denn das nun wieder?

König (schlägt wieder sehr stark mit dem Stock an die Thüre). Eversmann.

Erbprinz. Ich glaube, das Schloß ist behext! (Schlüpft in die Thür rechts.)

König (klopft noch stärker). Hört Er denn nicht, Eversmann?

Eversmann (kommt schnell von der Königin zurück). Majestät, es ist ja auf.

Erbprinz (bei Seite). Majestät? Ist das der König?

König (draußen auf dem Corridor, aber nicht zu sehen). Im Vorbeigehen! Weiß Er denn, Eversmann, daß heute der große Revisionstag ist!

Eversmann. Ja wohl, Majestät. Ich collationire auch eben die Bücher Ihrer Majestät der Königin!

Königin (tritt horchend und furchtsam heraus). Ist das die Stimme des Königs?

König (draußen). Eversmann, sag' Er doch dem Schloßmeister: Nach elf Uhr ist bei meiner Frau Feierabend, und wenn es öfters vorkommt, daß ich bei ihr bis ein Uhr nach Mitternacht Licht sehe, so komm' ich mal in der Nacht mit Glockenschlag zwölf hier herüber und untersuche jeden Winkel, was hier für politische Ränke geschmiedet werden. Sag' Er's lieber meiner Frau selbst, hört Er? Damit sie sich danach zu richten hat!

Eversmann. Damit sie sich danach zu richten hat!

Königin (sich zurückziehend). Elender Sklave! (Ab.)

Erbprinz (bei Seite). Wird er denn jetzt gehen?

König (draußen). Eversmann!

Eversmann. Majestät –

König (draußen). Hör' Er, und geh' Er dann vor's zweite auch zu meiner Tochter, Prinzessin Wilhelmine –

Wilhelmine (tritt leise auf).

Eversmann. Zur königlichen Hoheit.

König (draußen). Und sag' Er ihr, sie sollte sich in Acht nehmen, der Laharpe – das wäre ein Spitzbube –

Wilhelmine (bei Seite). Laharpe.

Erbprinz (bei Seite). Was ist das?

König. Der Laharpe ist ein Spitzbube, sag' ich.

Eversmann. Spitzbube.

König (draußen). Dem Kronprinzen, sag' Er das meiner Tochter, würd' ich anstreichen, französische Vagabunden hierher zu schicken, die sich für seine Sprachmaitres ausgeben und hintennach nichts anderes sind als ganz gewöhnliche, niederträchtige Perrückenmacher!

Wilhelmine (im Abgehen). Abscheulich (Ab.)

Erbprinz (bei Seite). Perrückenmacher?

König (draußen). Jetzt revidir' Er wieder die Rechnungen.

Eversmann. Pünktlichst besorgt, Majestät.

König (draußen). Eversmann, noch Eins! Eversmann!

Eversmann. Majestät?

König. Und wenn er den Erbprinzen von Baireuth sieht –

Erbprinz (bei Seite). Kommt die Reihe auch an mich?

König. Den französischen Windbeutel, der sich seit gestern hier in Berlin herumtreibt –

Erbprinz (bei Seite). Schöne Charakteristik!

Eversmann. Ew. Majestät wollen ihn nicht annehmen, werd' ich sagen.

Erbprinz (bei Seite). Schurke!

König (draußen). Nein, Eversmann, sag' Er ihm, ich hätte ihm etwas Wichtiges mitzutheilen, etwas sehr Vertrauliches, hört Er –

Erbprinz (bei Seite). Mir etwas Vertrauliches?

König. In einer sehr pressanten Angelegenheit –

Eversmann. Ach so, ich weiß schon –

König. Er weiß schon? Was weiß er denn? Gar nichts weiß Er –

Eversmann. Ich meinte, man könnte vielleicht schon errathen –

König (immer draußen). Errathen? Was hat Er zu errathen? Gar nichts hat Er zu errathen – Versteht Er mich? Einfaltspinsel! (Kommandirt). Schultert das Gewehr! Marsch! (Ab.)

(Trommelschlag, der sich sogleich verliert.)

Erbprinz (kommt schnell zurück auf Eversmann zu). Was wissen Sie, was glauben Sie daß der König mir zu sagen hat?

Eversmann. Ei, ei, Eurer Hoheit sind noch hier?

Erbprinz. Der König wünscht mich zu sprechen. Sie wissen weshalb. – Sagen Sie, was vermuthen Sie?

Eversmann. Wenn Sie mich nicht verraten wollen Hoheit so glaub ich Sie sollen in einer gewissen Angelegenheit – Zwischen Preußen und Oesterreich.

Erbprinz. Oesterreich?

Eversmann. Erzherzog Leopold soll nicht abgeneigt sein, wissen Sie, wenn nämlich – (pfiffig auf das Zimmer der Prinzessin zeigend) Prinzessin Wilhelmine –

Erbprinz (sich steigernd). Die Prinzessin?

Eversmann. St! Man wird Sie vermutlich als Unterhändler oder Vermittler in einer Angelegenheit zwischen Preußen und –

Erbprinz (außer sich). Die Prinzessin wäre bestimmt –

Eversmann. Zur künftigen Kaiserin von Oesterreich! (Ab zur Königin.)

Erbprinz (allein). Kaiserin!? Königin!? Und ich, der ich sie bis zum Rasendwerden liebe, ich soll der Vermittler dieser Partieen werden? Das führt ja gradewegs in ein Trauerspiel oder – (Nach einer Pause, heiter.) Muth! Muth –! ich denke in eine Komödie, wie sie an einem Hofe lustiger noch nicht gespielt worden ist! (Ab.)

(Der Vorhang fällt.)


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