Karl Gutzkow
Zopf und Schwert
Karl Gutzkow

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Zweiter Aufzug.

Erste Scene.

Zimmer des Königs. Links vom Zuschauer eine Seitenthür. Mittelthür. Arbeitstisch. Stühle.

Erster Auftritt.

Grumbkow und Seckendorf treten mit Eversmann ein (der ein orangenfarbenes rothes Ordensband mit vielen Orden und einem glänzenden Degen über dem Arm trägt).

Grumbkow. Eine Depesche, Eversmann?

Seckendorf. Aus Hannover, sagten Sie?

Grumbkow. Und der Staat da? Das Ordensband? Der Prachtdegen?

Eversmann. Alles gleich nach Ankunft der Depesche von Sr. Majestät bestellt.

Seckendorf. Eine Depesche aus Hannover – vor einer Stunde angekommen – grand cordon bestellt – Staatsdegen – wir müssen combiniren, Grumbkow.

Eversmann. Und die Tafel ist heute um zwölf Couverts vermehrt; (bedeutend) 36 Thaler sind für den Mittagstisch ausgesetzt; alles soll en grande parure erscheinen.

Seckendorf. Eine Depesche ist aus Hannover angekommen – grand cordon – Staatsdegen – zwölf Couverts – 36 Thaler – wir müssen combiniren – Grumbkow.

Eversmann. Und als er das Siegel von der Depesche abgerissen, da hat er zwei schwere Thränen vergossen und gesagt: Ich will sie ja alle glücklich machen und sollt' ich mit Kolben dreinschlagen! Und nun ist er in Feuer und Flammen und will ganz Berlin zu Tische laden –

Grumbkow. Für 36 Thaler?

Eversmann. Und die Waisenkinder sollen neu gekleidet werden –

Grumbkow (betroffen). Auch noch die Waisenkinder? Das ist eine Vermählungsgeschichte!

Seckendorf. Depesche – Hannover – 36 Thaler – zwei Thränen – mit Kolben dreinschlagen – man muß nur combiniren, Grumbkow.

Eversmann. Ich glaube, er kommt. (Erschrocken). Der König!

Zweiter Auftritt.

Der König (zur Thür von der Seite hereinsehend). Die Vorigen.

König. Guten Morgen, guten Morgen! Wünsche wohl geruht zu haben, meine Herren! Nun, wo bleibt Er denn mit dem Bettelstaat? Da fehlen ja noch die englischen Orden – Bind' Er mir gleich alles fest, daß einem der Plunder nicht so am Leibe herumschlenkert.

Eversmann (scherzend). So was Großes ist im Werke? Wünschen Ew. Majestät nicht auch die Krone?

König. Narr! Die Krone! (Tritt heraus.) Sei Er froh, daß Er sie nicht zu tragen braucht! Geh' Er jetzt, Eversmann, bring' Er alles in Ordnung.

Eversmann (ab).

König (sehr erregt). Guten Morgen, Grumbkow und Seckendorf! Hab' heute keine Zeit. Sagen Sie dem preußischen Staat ein Kompliment und er solle mich heut' einmal in Ruhe lassen. Guten Morgen, guten Morgen! (Die beiden Minister wollen sich zögernd empfehlen.)

Grumbkow (an der Thür). Ew. Majestät sind in einer ganz besonders fröhlichen Laune –

Seckendorf. Sollte vielleicht die Ankunft des Kuriers –

König (gleichgültig). Ja – es ist ein Kurier angekommen –

Grumbkow. Aus Hannover?

König. Aus Hannover.

Seckendorf. Von Wichtigkeit, Majestät?

König. Von Wichtigkeit.

Grumbkow. Wahrscheinlich über englische Angelegenheiten?

König. Ueber englische Angelegenheiten –

Seckendorf. Höchst wahrscheinlich über den ostindischen Handelstraktat?

König. Nein, nein.

Grumbkow. Ueber den holländischen Schiffsvertrag?

König (sich an der Neugier beider weidend). So was. Guten Morgen!

Grumbkow (bei Seite). Heute wieder eine ganz desperate Laune –

Seckendorf (bei Seite im Abgehen). 36 Thaler – zwölf Couverts – die Waisenkinder – man muß nur combiniren. (Beide ab.)

Dritter Auftritt.

Der König. Dann Eversmann.

König. Fort sind sie! Endlich ein Augenblick für mich allein.

Eversmann (tritt ein).

König. Ich bin übermenschlich glücklich.

Eversmann. Gratuliere untertänigst.

König. Danke. Ja, denk' Er sich – ja so – (bei Seite) niemand soll's ja wissen.

Eversmann. Wollten sich nicht Ew. Majestät –

König. Umkleiden? Zieh' Er mir den Rock aus. Nichts soll gespart werden. Man soll wissen, daß ich einen Schatz habe; man soll wissen, daß ich nur gewöhnlich geizig bin, sonst aber auch draufgehen lassen kann, wenn sich dazu eine Gelegenheit bietet, eine Gelegenheit wie jetzt, wo es sich – (herausplatzend) denk' Er sich, Eversmann – (besinnt sich wieder) ja so!

Eversmann (zieht dem König den Rock aus). Majestät werden doch wohl die gestickte Uniform anziehen?

König. Die gestickte Uniform, Eversmann. Natürlich, ich erwarte Gäste, denen man Ehre erzeigen muß, große Ehre; denn ich denke immer, wenn es sich um die Ankunft von Personen – (setzt sich). Zieh Er mir die Stiefeln aus!

Eversmann (schickt sich dazu an. Es geht schwer).

König. War der Erbprinz schon da?

Eversmann. Machen Ew. Majestät seinetwegen so viel Umstände?

König. Seinetwegen? Vielleicht! (Bei Seite.) Ich will sie alle irreführen. (Laut.) Au! Flegel, meine Hühneraugen! Ich glaube gar, Er will mir absichtlich wehethun, weil ich – Ihm nichts sage?

Eversmann. Majestät, ich habe ja noch gar nicht gefragt!

König. Ich würd' Ihn auch bei Fragen! Warum lacht Er denn? He? Hol' Er mir meinen Schlafrock, bis die Uniform da ist –

Eversmann (will hineingehen).

König. Heda! warum hat Er vorhin gelacht?

Eversmann. Ach – bis ich Ew. Majestät den Hut in die Hand gegeben habe, haben Sie mir's doch gesagt.

König (droht ihm mit dem Stock). Er untersteht sich?

Eversmann (retirirend). Es muß ja alles heraus bei Ew. Majestät. Es gilt bloß eins, was Ew. Majestät gut bei sich behalten können, das ist das Geld – Ha, ha! Ich hole den Schlafrock. (Ab.)

Vierter Auftritt.

König (allein und sitzend, in Hemdärmeln). Dann Lakai und der Erbprinz.

König. Er hat recht. Es drückt mir's Herz ab. Aber sie sollen alle nichts erfahren, sie sollen nicht! Sie haben mir meine liebsten Pläne schon verdorben. Ich will andere Saiten aufziehen und die Kameele alle 'nmal durch ein Nadelöhr schicken. Sie glauben, ich bin für Oesterreich, aber, haha! Englands eigener Antrag durch den hannöverschen Kurier hat mich überrascht. England ist die Idee meiner Frau, so bin ich denn auch für England und nun bald Hochzeit und Kindtaufe.

Lakai (tritt ein und meldet). Se. Hoheit der Erbprinz von Baireuth.

König. Ganz angenehm!

Lakai (ab).

Erbprinz (tritt ein, bei Seite). Sind das die Zimmer des alten Brummbärs? (Zum König.) Ist das das Kabinet des Königs?

König. Zu dienen.

Erbprinz. Geh' Er hinein und meld' Er mich. Ich bin der Erbprinz von Baireuth!

König (staunend bei Seite). Wofür hält mich der?

Erbprinz. Aber wie sieht Er denn aus? Schäm' Er sich. Er ist der Kammerhusar des Königs und empfängt so Personen, denen Sein König Audienz geben will?

König. Wollten – Ew. Hoheit – den König von Preußen sprechen?

Erbprinz. Er hört's ja. Meld Er mich!

König. Den Augenblick, Hoheit. (Will ab.)

Erbprinz. So will Er zu Seinem Herrn? In Hemdärmeln?

König. Ich stehe mit dem König auf einem sehr vertrauten Fuße! (Ab.)

Erbprinz (allein). Ein merkwürdiger Hofstaat das! In den Antichambres stehen die Kammerhusaren in Hemdärmeln! Ich vermuthe, aus Sparsamkeit, um die Livreen zu schonen. – Also! Die Stunde ist da. Die Würfel werden fallen. Wilhelmine! Sie und nur sie! – Sie sollte einwilligen, sich mit dem gemalten Bilde eines Prinzen von Wales, mit dem bunten Schattenriß eines niegesehenen Erzherzogs von Oesterreich zu vermählen? Ich rechne auf den Genius der Liebe, auf den Zufall, der mir vielleicht günstiger ist, als ich erwarte! Die Eltern sind uneins, so gewinn' ich Zeit, mir – Wilhelminens Herz zu erobern. Der König kommt. Jetzt werd' ich seine günstigen Ansichten über – Oesterreich hören.

Fünfter Auftritt.

König (jetzt mit dem Ordensbande). Der Erbprinz. Ein Lakai.

König (tritt näher).

Erbprinz (betrachtet ihn). Ist das nicht –

König. Ja stutzen Sie nur. Eine kleine Verwechselung!

Erbprinz (in Verlegenheit). Meine Unbekanntschaft, Majestät –

König. Hat nichts zu sagen. Aber Sie waren schrecklich grob. Na, die Kammerhusaren tragen dicke Pelze. Also – ich wünschte Sie zu sprechen. Mein lieber Erbprinz von Baireuth – kommen Sie jetzt eben von Baireuth?

Erbprinz. Zu Befehl, Ew. Majestät. Das heißt, vor – vor drei Jahren bin ich von Baireuth abgereist.

König. Und waren – in der Zeit?

Erbprinz. In – in – England!

König. Ah! – – Lange in England?

Erbprinz (bei Seite). Jetzt sollt' ich nun wohl bei ihm für Oesterreich wirken und England schlechtmachen? (Laut). In England? Hm! Lange genug, um dies verkehrte und überwiegend lächerliche Land nach allen seinen Beziehungen kennen zu lernen.

König. Was? England? Hören Sie! Da können wir noch lange laufen, bis wir dahin angekommen sind, wo schon jetzt die Engländer stehen. Hm– hm – Waren Sie denn auch in Italien, Oesterreich, da so herum?

Erbprinz (bei Seite). Ist er denn für England? Ich denke für Oesterreich? Er ist für Oesterreich! (Laut). Oesterreich? O wohl! Eine ausgezeichnete Regierung, ein Gewerbfleiß, ein Handel, ein Verkehr, Bewegung und Leben in allen Kreisen.

König. Hören Sie, Bewegung? Die wird sich in Oesterreich noch halten lassen.

Erbprinz (bei Seite). Ist er denn nicht für Oesterreich? Ich glaube, ich insinuir' mich gar nicht.

König (bei Seite). Sollt' er sich bereits mit Seckendorf und der ganzen Clique verständigt haben und mir zu Munde reden wollen? (Laut). Hübsches Ländchen da, Ihr Baireuth. Boden etwas steinig. Bringt Ihrem Vater wohl nicht viel ein?

Erbprinz. Man verbessert jetzt bei uns das Erdreich. (Bei Seite.) Schöne geographische Vorurtheile!

König. Wohl durch die Lustschlösser, die Ihr Herr Vater bauen läßt? Was ist nur dem Mann eingefallen? Baut ja einen Firlefanz nach dem andern, ganz à la Ludewig quatorze, und stürzt sein Land in Schulden. Wie viel Schulden hat den so beiläufig Ihr Ländchen?

Erbprinz (bei Seite). Weiß ich wahrhaftig selbst nicht. (Dreist.) Zehn Millionen!

König. Zehn Millionen!

Erbprinz. Etwas mehr oder weniger.

König. Großer Gott, und wer soll denn die einmal bezahlen? Und bei solchen Kameralverhältnissen reisen Sie in Europa herum und tragen das bischen Geld auch noch aus dem Lande?

Erbprinz. Sire, man bildet sich.

König. In Versailles? In Rheinsberg? Nun darüber genug, lassen wir das. (pfeift sich den Anfang des Dessauer Marsches.) Sagen Sie mal, Sie haben ja da bei meinem Sohn so manchmal in der Heidenkomödie mitgespielt?

Erbprinz. Vertrautenrollen – Ja, Majestät.

König. Gut. Ich wollte wegen der Heidenkomödie mit Ihnen sprechen. Prinz, Sie sind ein Mann von Geschmack, wie man sagt, einer, der so recht das gottlose römische und griechische Wesen innehat. Da ich nun gesonnen bin, die Vermählung meiner Tochter mit jedem Auswand zu feiern, der meiner Krone geziemt, so wollt' ich Sie gebeten haben, sich mit meinem Sohn zu verständigen, wie man acht Tage lang auf eine amüsante und graziöse Manier die Höfe von Polen, von Sachsen, von Braunschweig, von Mecklenburg, die alle herkommen werden, unterhalten kann und wie man überhaupt mit unserer Hochzeit Ehre einlegt.

Erbprinz. Hochzeit – Ihrer Prinzessin Tochter?

König. Ja, Erbprinz. Kanonenschüsse, die liefert meine Artillerie. Manövers, Revuen, Paraden, das ist meine Sache; dafür soll gesorgt werden. Aber Abends, immer werden mir da die fremden Herrschaften in Berlin müde, da nicken sie ein; Biertrinken und Tabakrauchen ist leider noch nicht jedermanns Sache, und so muß man schon mit dem Strom gehen und für angemessene Unterhaltung sorgen durch Illumination, Operas, allegorische Geschichten und dergleichen Schnickschnack über – Preußen und England –

Erbprinz. England?

König (steht auf). Wetter, das ist mir so über die Zunge gelaufen wie der Hase übern Weg! Hm! Ich meine ein Spectaculum von – na, also immerhin! – ja Einhorn, Adler, Adler, Einhorn, Leoparden, immer eins ins andere, Preußisches und Englisches und gereimt muß es auch sein, sozusagen gedichtet –

Erbprinz. England? Diese Nachricht ist so überraschend – das ganze Land, Europa, die Welt wird erstaunen, wie England zu der Ehre kommt.

König. Oho, schmeicheln Sie dem alten Kammerhusaren nicht! Mit England sind das schon alte Geschichten und von meiner Frau seit Jahren eingefädelt.

Erbprinz. Von der Königin? Ich glaube, daß Ihre Majestät die Königin – bei weitem mehr – für – für Oesterreich sein wird.

König. Für Oesterreich? (Bei Seite.) Das konnt' ich mir denken, daß die schon wieder ihren eigenen Willen haben muß! (Laut und entschieden.) Nein, heut hab' ich einen Kurier von unserm Gesandten bekommen, der mich versichert, daß es England mit dieser im stillen abgekarteten Heirat Ernst ist. Der Prinz von Wales hat sich in England eingeschifft und man vermuthet, daß er bereits an der hannöverschen Küste gelandet ist. Einstweilen ist im strengsten Incognito ein Bevollmächtigter von London abgegangen, der alle Punkte dieser Heirat mit mir verhandeln soll. Dieser Gesandte kann jede Stunde in Berlin eintreffen. Sie würden mich also sehr verbinden –

Erbprinz (in Verzweiflung). Soll es denn ein Schäferspiel sein?

König. Ja! Und der Kronprinz kann dabei die Flöte blasen, die er doch nun 'mal hinter meinem Rücken gelernt hat.

Erbprinz (will gehen und kommt wieder). Und die Herrschaften sollen selbst darin mitspielen?

König. Na freilich. Ja! Schreiben Sie jedem was zu sagen vor – mir nichts. Grumbkow aber, der soll mitspielen, die Viereck, die Sonnsfeld, Seckendorf auch –

Erbprinz (geht wieder zurück). Englisch oder französisch?

König. Nein! Lauter reines feuriges Deutsch! Hochdeutsch, verstehen Sie, nicht etwa Berlinisch (vertraulich.) Und wenn Sie etwas Holländisch dabei anbringen könnten, so wäre mir das aus gewissen Handelsrücksichten nicht unerwünscht, da es doch in die Zeitungen kommt und der holländische Gesandte zugegen ist – die Einfuhr des Tabaks müssen – Sie nämlich wissen (in's Ohr und mit dem Gestus des Rauchens) rauchen kann der feine Herr wohl nicht?

Erbprinz (verzweifelnd). Das nicht, Majestät, aber meine Phantasie, die dampft schon wie ein Vulkan!

Lakai (tritt ein). Die Geheimen Räthe bitten dringend Ew. Majestät um gnädiges Gehör.

König. Die muß die Neugier plagen! Na mal herein mit (Lakai ab). Also wie gesagt: Allegorische Epithalamien! Nicht so ganz in der Manier von Versailles, aber doch ein Polterabend, der sich vor denen da drüben in – ich meine in Dresden – nicht zu sehr zu verstecken braucht. Und Holland! Bringen Sie mir ja etwas von den Kolonieen – von dem Land an, Erbprinz, wo der Tabak wächst. Sie wissen doch – es ist das Land –

Erbprinz (außer sich). Wo der Pfeffer wächst! (Ab.)

Sechster Auftritt.

Grumbkow und Seckendorf (jeder mit einem kleinen Pack rothgebundener Bücher unter'm Arm). König, dann Eversmann.

Grumbkow. Majestät halten zu Gnaden, sollte man glauben, daß im Schooß der königlichen Familie so unerhörte Frevel im Werke wären!

König. Was giebt's denn schon wieder?

Grumbkow. Ew. Majestät wissen bereits von dem Franzosen, der ohne Legitimation auf den Straßen Berlins herumlief und sich sogar zu sagen erdreistete, er würde als Sprachmaitre bei Prinzessin Wilhelmine angestellt werden.

König. 's ist ein Perrückenmacher aus Orleans.

Seckendorf. Aber man ist aus weitere Combinationen gekommen, Majestät. Man hat bei diesem Menschen Bücher gefunden, die einen gefährlichen Zusammenhang mit Rheinsberg voraussetzen lassen –

Grumbkow. Ueberzeugen sich Ew. Majestät. Diese unsittlichen französischen Schriften tragen sämmtlich die Chiffre Sr. Hoheit des Kronprinzen.

Seckendorf. F. P. R.

Grumbkow. Frédéric Prince Royal!

König (wallt zornig auf, nimmt eins der Bücher und klingelt).

Eversmann (kommt).

König. Eversmann! (Mit Pathos.) Meine Brille!

Eversmann (ab. Kehrt sogleich mit dem verlangten großen Glase, das jedoch nicht zum Aufsetzen ist, zurück).

König. Der Generalfiscal soll die Papiere des Landstreichers aufs genaueste untersuchen. Ich will keine französischen Possenreißer im Lande – (Sieht eins der Bücher an.) Der Stempel des Kronprinzen! Aber nein! nein! Der Vagabund hat sie ihm gestohlen!

Grumbkow. Oder sie sind für den Unterricht der Prinzessin Wilhelmine bestimmt –

König. Dieses Genre von Büchern! Solche französische – sieh'! sieh'! Das ist – das ist ja wohl gar der abscheuliche Roman von dem buckligen Scarron, dem Gemahl der saubern Madame Maintenon, die berüchtigte Satire auf unsern Hof.

Grumbkow und Eversmann. Unsern Hof?

König (blättert). Eine Satire auf uns alle, auf mich, auf Seckendorf, auf Grumbkow, auf Eversmann –

Eversmann. Auch auf mich?

König (ernst) Der Kronprinz hat alles unterstrichen, damit man's besser versteht. Ein Marschall mit dem Beinamen le Chicaneur. Sie wissen doch, das sollen Sie sein, Grumbkow?

Grumbkow. Empörend!

König. Der Ambassadeur Vicomte de la Rancune mit dem Beinamen le petit combinateur; Seckendorf das sind Sie.

Seckendorf. Völkerrechtswidrig!

König. Und Eversmann, den nennt er immer la Rapinière. Das heißt soviel als »der alte Nimmersatt!«

Eversmann. Der Racker! Und solche Bücher kommen ins Land herein und werden noch ordentlich vom Kronprinzen gestempelt?

König. Ist Wilhelmine beteiligt – es wäre empörend. Der Generalfiscal soll alles streng untersuchen (Im äußersten Zorn.) Ist denn für mich kein ruhiger Augenblick möglich!

Eversmann. Majestät, die gottlosen Bücher sollen in die Scharfrichterei, damit sie öffentlich verbrannt werden?

König. Nein, nicht als Fidibus in unserm Kolleg möcht' ich sie haben. Nicht einmal zum Verbrennen für die Festlichkeiten, die wir – Meine Herren, schütteln Sie's ab, wie ich. Heut Abend, wenn unser Pfeifchen dampft und glüht, bei einem Trunke deutschen Gerstensaftes, machen wir uns dafür ebenso über Versailles und das ganze französische Ministerium lustig.

Grumbkow und Seckendorf (bei Seite). Nicht für die Festlichkeiten –?

Eversmann. Aber die Bücher werden doch verbrannt, Majestät?

König. Gewiß. Aber auf eine andere Manier! Schick' Er sie hinaus vor's Oranienburger Thor in die Pulvermühlen. Da sollen sie für meine Grenadiere Patronen draus machen. (Ab.)

Grumbkow, Seckendorf und Eversmann (bei Seite). Festlichkeiten?

(Alle folgen.)

(Verwandlung.)

Zweite Scene.

Der Saal des ersten Aufzugs.

Siebenter Auftritt.

Ritter Hotham. Kamke. Dann der Erbprinz.

Hotham (tritt leise und horchend durch die Mittelthür auf). Ein Saal mit vier Thüren? Richtig! Dort die Zimmer der Prinzessin? Hier die der Königin? Danke, guter Freund! (Kamke ab.) Ritter Hotham hält sein Incognito aufrecht bis zur völligen Unsichtbarkeit. Von London über Hannover hab' ich mich in's Land geschmuggelt wie eine verbotene Waare. (Trocknet sich die Stirn.) Der Henker hole diese reitenden Staatsgeschäfte, wo man die Salonroutine des Dandy mit dem gefühllosen Knochenbau eines Postillons vereinigen muß! Seit vier Tagen bin ich nicht vom Pferde gekommen – ah! (Wirft sich in einen Sessel.) Wenn die Nationen wüßten, daß man sich zur auswärtigen Politik durch mehrjährige Kurierdienste vorbereiten muß, so würden sie den Staatsmännern nicht übel nehmen, wenn sie im Alter keine Galoppaden mehr tanzen! – Wie schwer das in den Taschen liegt, wenn man ein Königreich mit sich bringt! (Schlägt auf die rechte Rocktasche.) Hier die Krone von England, (auf die linke) da die von Schottland und in der Westentasche die von Irland. Was werd' ich mitnehmen? (Sieht sich um.) Ob wohl die Vergoldungen echt sind? Sieht alles verdammt knapp und sparsam aus. Raum genug in den großen Sälen; aber ich glaube, es wohnen viel Mäuse drin – alles ist still wie ein englischer Sonntag. (Erhebt sich.) Ich höre kommen –

Erbprinz (reißt die Thür auf und bleibt in verzweifelter Stellung stehen).

Hotham (bei Seite). Nun?

Erbprinz (tritt wieder leidenschaftlich einen Schritt vor und hält sich die Hand vor die Stirn).

Hotham (bei Seite). Ich glaube gar, der macht Verse?

Erbprinz (will in gleicher Art zu den Zimmern der Prinzessin und erblickt Hotham). Wen seh' ich?

Hotham (überrascht). Täusch' ich mich?

Erbprinz. Hotham? Ist es möglich? Freund, Sie in Berlin?

Hotham. Prinz, was ist Ihnen nur?

Erbprinz. In einem Augenblick, wo ich der Verzweiflung nahe bin, treff' ich Sie, Hotham, herrlicher, trefflicher Mensch! Ist es denn möglich? Wo kommen Sie her? Aus Paris?

Hotham. Aus England, Prinz! Mit den besten Grüßen von unsern Freunden und dem Auftrag, Sie womöglich einzufangen und wieder zurückzubringen in unsere Wettrennen, Fuchsjagden und Boxvergnügungen, deren leidenschaftlicher Verehrer Sie waren.

Erbprinz. Hotham, für mich sind diese Freuden vorüber.

Hotham. Hat Sie Ihr Vater von der Thronfolge ausgeschlossen?

Erbprinz. Berühren Sie mich nicht an dem wundesten Fleck meines Daseins! Verschaffen Sie mir das Kaiserthum von Marokko!

Hotham. Sie haben Fieberträume oder – einen Beistand nöthig, der Ihnen die gesunde Vernunft ersetzen muß?

Erbprinz. Hotham, Sie sind ein Genie, ein Kopf, an dem noch manche Intrigue der Feinde Ihres Vaterlandes scheitern wird – aber mir können Sie nicht helfen.

Hotham. Ich wünschte es, Prinz! Ich bin Ihnen verpflichtet, ich bin Ihr Schuldner für tausend Dienste, die Sie mir bei Ihrer Anwesenheit in England geleistet haben. Sie haben mich durch Ihren Einfluß in die Nähe der ersten Staatsmänner gebracht. Sie haben mir meine Carrière als Diplomat erschlossen. Ihnen verdank ich, was ich bin und habe – befehlen Sie über meinen Verstand, er soll für Sie denken, über meinen Arm, er soll für Sie handeln.

Erbprinz. Hotham, ich bin hier in einer eigenthümlichen Lage –

Hotham. Ich widme Ihnen mein Leben. Was wäre ich ohne Sie? Durch Sie bin ich mit ehrenvollen Missionen beauftragt. Durch Sie bin ich hier.

Erbprinz. Was thun Sie hier?

Hotham (sich umsehend). Eine Sache von Diskretion, die ich indessen, wenn Sie verlangen, nicht Anstand nehme, Ihnen mitzutheilen.

Erbprinz (zerstreut). Ich bin nicht neugierig. Wird Ihr Auftrag lange währen?

Hotham. Hängt von den Umständen ab. Diese Umstände sind zarter Natur.

Erbprinz. Eine Ehrensache?

Hotham (leise). Es ist eine Unterhandlung wegen eines abzuschließenden Ehevertrages – zwischen Prinzessin Wilhelmine und dem Prinzen von Wales.

Erbprinz (außer sich). Sie, Sie sind der Gesandte, von dem soeben der König mit mir gesprochen hat –?

Hotham. Wäre der König schon unterrichtet?

Erbprinz. Sie, Sie der unwiderstehliche geniale Diplomat, den man hier mit offenen Armen erwartet?

Hotham. Der Heirat des Prinzen von Wales wäre in der That auch der König schon günstig?

Erbprinz. Entsetzlich! Ich habe diesen Mann als ein Genie unter Tausenden herausgefunden, ich habe ihn von Paris aus in die englische Verwaltung gebracht, und nun muß ich selbst darunter leiden, daß er mir Ehre macht! So wissen Sie denn, daß König und Königin, ohne ihr Einverständnis zu ahnen, dieser Heirath mit allem, was drum und dran hängt, beide von Herzen zugethan sind, zugleich aber auch, daß Prinzessin Wilhelmine, ein unglückliches Opfer eurer Politik, von einem Fürsten geliebt wird, der sich zwar nicht an Macht und Größe mit eurem Prinzen von Wales messen kann, der aber an Hingebung, Liebe, Leidenschaft alle nur möglichen gekrönten Bewerber um die Hand dieses Engels himmel-, ja paradiesischweit hinter sich läßt, von einem Prinzen, der ich selber bin.

Hotham. Das ist eine Entdeckung, die ich nicht ahnen konnte, und, wie ich leider hinzufügen muß, keine erfreuliche. Aber sollte man Ihnen, wenn Sie sich darum bewerben, nicht die Hand der Prinzessin gewähren?

Erbprinz. Einem kleinen deutschen Duodezprinzen! Wenn man die Wahl zwischen künftigen Königen und Kaisern hat! Sprechen Sie mit der Königin von mir, und Sie werden finden, daß sie regelmäßig Ansbach mit Baireuth verwechselt.

Hotham. Diese Entdeckung ist um so unerfreulicher, als ich allerdings als Bevollmächtigter des Ministeriums alles aufbieten muß, das Projekt dieser Ehe zu Stande zu bringen.

Erbprinz. Natürlich. Sie müssen ja meiner Empfehlung Ehre machen!

Hotham. Und dennoch wag' ich's auszusprechen, daß vielleicht unter gewissen Verhältnissen – möglicherweise – diese Heirath mit England nicht zu Stande kommen dürfte. In der That, Prinz, fassen Sie Muth! Es können Umstände eintreten, wo ich nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hätte, jeden weitern Gedanken an diese Ehe aufzugeben.

Erbprinz. Sie geben mir das Leben wieder.

Hotham. Der Prinz von Wales, Hoheit, ist nicht derjenige, in dessen Auftrag ich hier erschienen bin. Mich schickt die englische Nation, das Ministerium, das englische Parlament! Sie wissen, Prinz, und haben sich bei Ihrer Anwesenheit in England selbst davon überzeugt, daß das Haus Hannover auf den Thron von England unter Umständen berufen wurde, die ihm zur Pflicht machen, seinen persönlichen Willen dem allgemeinen Interesse des Staats unterzuordnen. Auf eine persönliche Neigung des Prinzen von Wales zu seiner Cousine, Prinzessin Wilhelmine, wird wenig ankommen. Lieben sie sich, lieben sie sich nicht, dem Parlament ist darüber nichts zu Protokoll gegeben. Der Prinz von Wales wird als künftiger König von England jede Verbindung eingehen, die ihm das Nationalinteresse als wünschenswert andeuten wird. Eine solche ist nun unter den gegenwärtigen politischen Constellationen die mit der Dynastie des jugendlich aufstrebenden Königreichs Preußen.

Erbprinz. Und das enthielte eine Hoffnung für mich..

Hotham. Nicht liegt sie in diesem meinem unglücklichen Auftrage, wohl aber in einer Klausel desselben – diese Ehe, und wär' ihr alles günstig, nur unter der Bedingung abzuschließen, (sich umsehend) daß die bisher von Preußen ausgeschlossen gewesenen englischen Waaren aufs neue unter annehmbaren Bedingungen (leise) wieder eingelassen werden können.

Erbprinz. Und in dies kaufmännische Projekt mischt sich eine Frage der Liebe, eine Angelegenheit des Herzens?

Hotham. Ich vertrete die Herzen unserer Kaufleute, die heiß für den Thron, aber noch heißer für ihre Rimessen schlagen. Haben unsere Fabriken nichts zu hoffen, dann (reicht dem Erbprinzen die Hand), Prinz, mein Beschützer, mein Beförderer, bin ich der Ihrige und Sie sollen sehen, daß ich noch mancherlei Talente besitze außer denen eines Diplomaten.

Erbprinz. Hoffnungen zu wecken, denen die bitterste Täuschung folgen wird!

Hotham. Warten Sie ab, Prinz, und vertrauen Sie!

Erbprinz Einer Mercantilfrage?

Hotham. Warum nicht? Und wenn ich mich Ihnen in dem Falle, daß sich der König zu dem Handelstractate nicht versteht, ganz gewidmet habe, wenn Sie werden gesehen haben, Prinz, daß gegen einen Fürsten, dem ich durch einen Zufall bekannt wurde und der sich als mein Wohlthäter bewährte, in mir ein Herz voll Dankbarkeit schlägt, wenn Sie endlich Herz und Hand der Prinzessin wirklich werden erobert haben – dann erbitt' ich mir von Ew. Hoheit, als deutschen Fürsten, am Reichstage von Regensburg – mitten im Herzen von Deutschland – Ihren Beistand zu einer kleinen Stipulation – mit dem deutschen Reiche über unsere harmlosen, unschuldigen – Fabrikerzeugnisse.

Kamke (öffnet die Thür zur Rechten).

Hotham. Alles Uebrige wird sich finden. Einstweilen vertrauen Sie! Dort sind die Zimmer der Königin. Leben Sie wohl! (Ab.)

Achter Auftritt.

Der Erbprinz. Später die Prinzessin Wilhelmine.

Erbprinz (allein). Land! Land! Nun wird sich operieren lassen. Einen Hotham zur Rechten, fehlt nur noch ein weiblicher Beistand zur Linken. Der Augenblick ist günstig. Ich versuche, die Sonnsfeld, die kleine Hofdame der Prinzessin, mit in die Verschwörung zu ziehen. Sie weilt hier im Vorzimmer. Ich klopfe. (Geht leise an die Thür der Prinzessin und klopft.) Ich höre Geräusch (klopft noch einmal). Das Rauschen eines Kleides – sie ist's– (er zieht sich etwas zurück und wendet sich dann) erst diese kleinen Vorposten gewonnen und dann an das Haupttreffen!

Wilhelmine (tritt ein).

Erbprinz (erschrickt). Ah, sie selbst!

Wilhelmine. Sind Sie es, Erbprinz? Ich habe Ursache, recht erzürnt auf Sie zu sein.

Erbprinz. Auf mich? Hoheit, warum auf mich?

Wilhelmine. Als wenn Sie nicht wüßten, welche Beleidigung Sie mir zugefügt haben.

Erbprinz. Prinzessin, wollen Sie mich rasend machen? Nun noch eine Beleidigung gegen Sie?

Wilhelmine. Haben Sie nicht gehört, wer hinter Ihrem gelehrten Herrn Laharpe verborgen ist?

Erbprinz. Prinzessin, Laharpe ist ein höchst geistreicher, ein höchst witziger Kopf! In Berlin soll man lange suchen, bis man unter den hiesigen Gelehrten einen Mann von solcher Bildung findet.

Wilhelmine. Ein Perrückenmacher ist's aus Orleans!

Erbprinz. Ich sag' Ihnen, Hoheit, es ist kein Perrückenmacher! Wohl versteht er die Wissenschaften bis auf's Haar, wohl hat er die Schminke studiert, aber die Schminke eines eleganten Ausdrucks, er geht mit Puder um, ja, aber mit dem Puder geistreicher Sophistik, den man gewiß in Frankreich besser als hier in die Augen zu streuen versteht – schlimm genug, Hoheit, daß die Staaten Ihres königlichen Vaters so verrufen sind, daß Männer von Geist, Poesie und Witz vom Ausland hier nicht anders zugelassen werden, als wenn sie sich einen Paß als Perrückenmacher geben lassen.

Wilhelmine. Aber unser Plan ist zerschlagen. Laharpe ist verwiesen –

Erbprinz. Ein schwacher Abglanz seines Geistes ist zurückgeblieben! Prinzessin, sehen Sie mich nicht für unwürdig an, seine Stelle zu vertreten. Lassen Sie mich das selige Gefühl genießen, beigetragen zu haben, Sie den Fesseln einer Lage zu entreißen, die über alle Grenzen des schuldigen Gehorsams hinausgeht –

Wilhelmine. Prinz, welche Sprache!

Erbprinz. Die Sprache eines Gefühls, das sich nicht länger besänftigen, eines Unwillens, der sich nicht länger unterdrücken läßt. Prinzessin, wissen Sie, daß Sie bestimmt sind, das Opfer politisch-mercantilischer Kombinationen zu werden? Daß Sie bestimmt sind, gegen die Erzeugnisse der englischen Fabriken an England ausgewechselt zu werden?

Wilhelmine (entrüstet). Wer sagt das?

Erbprinz. Fern sei es von mir, ein Urteil über Ihre Neigung haben zu wollen, fern sei es von mir, zu forschen, ob Ihr Ehrgeiz nicht vielleicht überrascht wird, wenn Sie hören, daß Sie selber eine Kaiserkrone erringen könnten, aber – wenn Sie den Prinzen von Wales lieben –

Wilhelmine. Den Prinzen von Wales? Wer behauptet das?

Erbprinz. Ihre Mutter, die es ahnt, Ihr Vater, der es befiehlt.

Wilhelmine. Den Prinzen von Wales? Meinen Cousin, den ich nie gesehen habe? Einen Prinzen, der nie ein Interesse an mir verrathen hat? Einen Prinzen, den ich seiner freien Sitten wegen verabscheue?

Erbprinz. Prinzessin, Sie lieben den Prinzen nicht?

Wilhelmine. Mein Herz ist frei. Keine Macht der Erde soll mich zwingen, es einem Manne zu geben, den ich nicht selbst gewählt.

Erbprinz. Hör' ich recht?

Wilhelmine. Ich war gehorsam von den ersten Regungen meines Bewußtseins an. Nie hab' ich einen Willen gehabt, nie gewagt, wenn ich einen hatte, ihn zu äußern. Aber wenn man mir das Einzige rauben will, was mir nach diesen ewigen Demütigungen als mein unantastbares Eigenthum geblieben ist, die freie Wahl meines Herzens, dann ist die grundlose Tiefe meines Gehorsams erschöpft. Ich fühle, daß mein Bruder berechtigt war, sich von einem solchen Joch zu befreien, und ich werde der Welt zeigen, daß ich die Schwester dieses Bruders bin.

Erbprinz. Prinzessin! (Bei Seite.) Was thu' ich – vor Wonne und Entzücken! (Laut). Prinzessin, drüben die grünen Guirlanden an dem kleinen Fenster, die Blumenstöcke sind ein so traulicher Versteck – der kleine Hänfling in dem Bauer wartet so ungeduldig auf die Ankunft seiner holdseligen, freundlichen Herrin –

Wilhelmine (entzieht sich seiner Hand). Sie – wollen –?

Erbprinz. Die Stelle eines verkannten, verleumdeten Gelehrten vertreten und dort unter vier Augen, nicht beängstigt von diesen Fußtritten in den Korridoren, von diesen grausamen (Trommeln in der Ferne) Wächtern Ihrer Freiheit, der liebenswürdigsten Fürstin Europas sagen –

Wilhelmine. Sie haben mir nichts, gar nichts zu sagen –

Erbprinz (wirft sich ihr zu Füßen). Prinzessin, daß es einen Fürsten gibt, der dereinst zwar nur über einen kleinen Fleck deutscher Erde zu gebieten hat, dem aber der Zauber Ihrer Schönheit, die Güte Ihres Herzens den Mut gibt zu sagen. Ich liebe Sie, ich bete Sie an!

Wilhelmine. Prinz, was beginnen Sie? Stehen Sie auf, ich höre kommen –

Erbprinz. Nicht eher, als bis Sie mir sagen: Ich komme –

Wilhelmine. Wenn man uns überraschte, stehen Sie auf!

Erbprinz. Werden Sie kommen?

Wilhelmine. Wohin denn? (Der Erbprinz zeigt an's linke Fenster.) Dort? Auch dort bin ich nicht ohne Zeugen.

Erbprinz. Aber es sind Menschen, die sich in ihrer Armut glücklich fühlen, daß eine Fürstin eine Stunde bei ihnen verweilt! Prinzessin, ich habe Ihnen viel, sehr viel zu sagen, über die englischen und österreichischen Pläne, die man mit Ihnen hat; Sie müssen es mir im Stil von Versailles, den ich gründlich kenne, wiedersagen, daß Sie mich hassen, mich verabscheuen –

Wilhelmine. Prinz, Sie foltern mich. Ich höre Stimmen – man nähert sich, stehen Sie auf –

Erbprinz. Werden Sie kommen?

Wilhelmine. Grausamer! – Sie stehen nicht auf –

Erbprinz. Nicht eher, als bis Sie sagen: Ich komme –

Wilhelmine. Wenn Sie mir versprechen, nur von den Plänen, die man mit mir hat, und – von der Grammatik zu reden –

Erbprinz (springt auf). Sie werden kommen? Bei allen Sternen des Himmels schwör' ich Ihnen, mit dem Verbum j'aime, ich liebe, zu beginnen, und Sie sollen sehen, daß gegen die Sprache, die ein liebendes Herz redet, gegen die Kunst, die in der ungeschminkten Natur liegt, selbst Voltaire – nur ein Perrückenmacher ist. (Ab.)

Neunter Auftritt.

Prinzessin Wilhelmine. Dann die Sonnsfeld. Zuletzt Eckhof mit Grenadieren. (In der Ferne hört das Trommeln auf.)

Wilhelmine (allein. Sie wollte erst dem Erbprinzen nacheilen, wankt dann aber zurück und geht in schwankenden Schritten an den Tisch, wo sie klingelt).

Sonnsfeld (tritt ein. Nach einer Pause, in der sie befremdet die Prinzessin anblickt). Königliche Hoheit befehlen?

Wilhelmine (wie aus einem Traum auffahrend). Ich? Nichts.

Sonnsfeld. Ihre Hoheit haben geklingelt?

Wilhelmine. Jawohl! Meine Mantille – meinen Fächer – den Schleier –!

Sonnsfeld. Wollen Ew. Hoheit ausgehen?

Wilhelmine. Ich will ausgehen.

Sonnsfeld. Haben Ew. Hoheit dazu Erlaubniß?

Wilhelmine. Erlaubniß? Fängst auch du so an? Hole, was ich gesagt habe –

Sonnsfeld (sieht sie groß an und geht ab).

Wilhelmine (allein). Ich bin dieser Lage müde! Ich fange an, mich zu fühlen seitdem ich sehe, daß es noch Menschen gibt, die meinen kleinen Wert erkennen. Dieser Zustand war nicht länger zu ertragen. Ich bin dieses Gamaschendienstes, dieser unwürdigen Subordination überdrüssig –

Sonnsfeld (kommt mit Mantille, Fächer und Schleier zurück).

Wilhelmine. Du hättest wohl auch die Mantille mit den brüsseler Spitzen wählen können.

Sonnsfeld. Königliche Hoheit, was bezwecken Sie denn?

Wilhelmine. Wirf mir den Schleier um! Frag' mich doch nicht nach allem, was ich unternehme! Muß ich über jede Kleinigkeit, die ich mir erlaube, Rechenschaft geben?

Sonnsfeld. Mein Himmel, Sie haben sich doch nicht den revolutionären Ideen Ihrer Mutter angeschlossen?

Wilhelmine. Ich schließe mich niemand an. Ich will endlich einmal zeigen, daß eine Prinzessin von Preußen das Recht hat, aus freien Stücken von einem Hofe des Schlosses in den andern zu gehen. Ich bin es müde, mich tyrannisiren zu lassen. Der große Kurfürst hat auch für mich gelebt. Auch für mich sind die Hohenzollern dagewesen. Adieu! (reicht der Sonnsfeld die Hand zum Kusse.) Küss' mir die Hand! Vergiß nie, daß ich die Tochter eines Königs bin, der sehr große, sehr bedeutende Pläne auf die Zukunft eines Kindes baut, eines Kindes, das, selbst wenn es eigensinnig genug wäre, auf diese bedeutenden Pläne nicht einzugehen, darum nie aufhören würde, eine Prinzessin von Preußen zu sein. (Sie will abgehen.)

(Die hintere Thür wird geöffnet. Eckhof mit drei Grenadieren tritt ein. Die Thür bleibt offen.)

Eckhof. Halt!

Sonnsfeld. Prinzessin, bekommen Sie eine Ehrenwache?

Eckhof. Grenadiere vor!

(Noch drei Mann treten herein ohne Gewehr. Der eine trägt eine große Bibel, der andere eine Suppenterrine, der dritte einen Strickstrumpf.)

Eckhof (tritt militärisch an die Prinzessin heran). Königliche Hoheit wollen allergnädigst verzeihen, daß ich infolge einer von Sr. Majestät verhängten Spicialuntersuchung wegen verbotener Verbindungen mit dem Schlosse Rheinsberg Ew. Hoheit ersuchen muß, einem von Sr. Majestät verordneten strengsten Zimmerarrest sich allergnädigst unterwerfen zu wollen.

Sonnsfeld. Wie! Prinzessin!

Eckhof. Ingleichen haben Se. Majestät folgende allerhöchste Anordnungen zu treffen geruht. Erster Grenadier vor!

Erster Grenadier (marschiert mit der Bibel vor).

Eckhof. Königliche Hoheit haben Sprüche Salomonis Kapitel 3–5 so auswendig zu lernen, daß der Herr Oberhofprediger Ew. Hoheit morgen früh um fünf Uhr darin examiniren kann. Zweiter Grenadier vor!

Zweiter Grenadier (mit der Suppenterrine).

Eckhof. Die Ew. Hoheit zugeteilte Kost wird täglich aus der Garnisonküchenverwaltung pünktlichst verabfolgt werden.

Sonnsfeld (öffnet die Terrine). Abscheuliche Kost! Gequollene Erbsen!

Eckhof. Dritter Grenadier vor!

Dritter Grenadier (mit dem angefangenen Strickstrumpf).

Eckhof. Endlich haben Se. Majestät befohlen, daß Ihre Hoheit alle zwei Tage für das wohllöbliche berliner Waisenhaus ein Paar wollene Strümpfe fertig zu stricken haben. Halten zu Gnaden, königl. Hoheit, mein Auftrag ist beendet.

Sonnsfeld (im Tone der Verzweiflung). Prinzessin, sind das die Pläne, die der König mit Ihrer Zukunft vorhat?

Wilhelmine (zitternd vor Aufregung). Beruhig dich, meine Freundin! Ja, es ist der Anfang einer neuen Lebensbahn für mich. Wohlan! Der Kampf beginne! Geht zu meinem Vater und sagt ihm –

Sonnsfeld (ebenso). Geht zum Könige und sagt ihm – (zur Prinzessin) ja, was sollen sie ihm denn sagen?

Wilhelmine (mit tragischer Entschiedenheit). Sagt ihm, daß ich –

Sonnsfeld. Sagt ihm, daß wir –

Wilhelmine. Die Sprüche (der Muth entsinkt schon) zwar – lernen würden –

Sonnsfeld. Die Erbsen – zwar – essen würden –

Wilhelmine. Daß es aber unsere Schuld nicht wäre, wenn wir in (mit neuer Kraft) der Verzweiflung unseres Herzens –

Sonnsfeld (tragisch). An den Waisenstrümpfen die Maschen fallen lassen –

Wilhelmine. Und uns lieber wünschen, Prinzessin von Reuß –

Sonnsfeld. Schleiz –

Wilhelmine. Greiz und Lobenstein zu sein!

(Beide heftig ab.)

(Der Vorhang fällt).


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