20070807
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144 13.

Besucht man in Rom die Peterskirche, läßt sich ihre geheimen Kammern aufschließen, die Sakristeien, die fürstlichen Antichambren gleichen, und schreitet man dann über einen kleinen, der deutschen Nation uralt zu eigen gehörenden Kirchhof und an Gebäuden vorüber, in denen die Wäsche des heiligen Vaters und das Leingeräth zum Kirchengebrauch in St.-Peter gereinigt und getrocknet wird, so findet man in einer engen menschenleeren Gasse ein unschönes Eckgebäude mit kleinen, unregelmäßigen Fenstern – ein Gebäude, das einer alten Kaserne gleicht.

Vollends sieht ein unförmliches Thor dem Eingang zu einer Festung ähnlich. Im düstern Hofe befindet sich ein Wachtposten. Man gefällt sich in Rom in dem Scheine, dies Gebäude der Welt als ein solches zu zeigen, das sich gleichsam überlebt hätte. Es ist der Palast der Inquisition.

Michael Ghislieri, als Pius V. Anstifter der Bartholomäusnacht, war einst der Besitzer dieses Palastes und machte ihn den Dominicanern zum Geschenk. Im vorderen Hause wohnen die Inquisitoren und ihre »Familiaren«. Dann kommen zwei Höfe, die von einem Mittelgebäude getrennt werden. Im hintern Hause liegen die Gefängnisse des Sacro Officio.

145 Im achtzehnten Jahrhundert war auch in die katholische Kirche ein freisinniger Geist gedrungen – die Franzosen der Republik fanden 1797 die Gefängnisse der Inquisition leer. Ihre Folterkammern und unterirdischen Verließe allerdings hatten noch nicht entfernt werden können, diese waren geblieben und grauenvoll genug anzusehen, wie nur ein alter Hungerthurm von Florenz oder Pisa. Die Römlinge behaupten, die Revolution von 1848 hätte das Bedürfniß gehabt, wirkliche Gefangene, »Opfer der Inquisition«, jedenfalls menschliche Gebeine, Todtenschädel, Zangen und Folterinstrumente im Inquisitionspalast vorfinden zu lassen und die Dictatoren der Republik hätten zu dem Ende das Arrangement getroffen, daß dergleichen angetroffen wurde. Wenigstens sind noch jetzt einige Professoren der Sapienza bereit, zu erzählen, daß ein ganzer Vorrath von Gerippen, Knochen, unter andern das Skelet einer Frau, von deren Schädel noch das schönste Haar niederfloß, aus – der Anatomie zu diesem Zweck wäre geliefert worden.

Als einen noch lebenden Gefangenen entdeckte der stürmende Volkshaufe von 1848 nur einen einzigen. Es war ein ägyptischer Erzbischof, der seit Jahren hier eingekerkert saß. Widerrechtlich hatte er die erzbischöfliche Weihe empfangen, entkleidet konnte er derselben nicht mehr werden, der Duft der priesterlichen Salbung verfliegt selbst am Verbrecher nicht; so mußte der ägyptische falsche Kirchenfürst sich gefallen lassen, hier im lebenslänglichen Kerker Erzbischof eines Pyramidengrabes zu sein. Die Aegypter lieben und verehren die Thiere. Der Gefängnißwärter, ein Laienbruder der Dominicaner, besaß einen Vogel. Diesem hatte der falsche Erzbischof die schönsten Weisen gelehrt, ihn täglich gefüttert – einige Jahre lang. Da brach der Volkshaufe in den Palast, befreite ihn – der Aegypter kehrte in die Welt zurück, nicht wissend, was er in ihr anfangen sollte. Er 146 hatte Sehnsucht nach seinem Vogel und bat – ihn lebenslänglich in seinen Kerker zurückzulassen.Thatsache.

Die alten Verließe, in denen es einst nicht so idyllisch und nicht so zur Verherrlichung der humanen Inquisition herging, sind immer noch da; sogar die Reste des Neronischen Circus, aus denen diese ganze Umgebung des Vatican gebaut worden ist. Folterkammern, diese nicht aus heidnischer, sondern aus christlicher Zeit, eiserne Ringe an den Mauern, Inschriften an den Wänden, die von den Gefangenen herrühren, wie: »Selig sind, die um Gerechtigkeit willen leiden, denn das Himmelreich ist ihrer« – Alles das findet sich noch. Auch die Stätten sind da, wo die Bekenner des geläuterten Glaubens verbrannt wurden, wie jener Luigi Pascal aus dem Silaswalde. Hier liegen noch zu Tausenden die Exemplare jener oft kaum noch aufzutreibenden Bücher, die Rom verbrennen ließ. Die Proceßacten aller Inquisitionsopfer liegen hier beisammen zu Capiteln in der Geschichte des menschlichen Geistes, die noch geschrieben werden sollen. Und noch jetzt stehen über der Schwelle jedes Kerkers Bibelsprüche, die gewiß mit grausamem Hohn oft die Seele des Gefangenen verwundeten, wenn er sie beschritt und las: »Du wirst verflucht sein, wenn du eingehst, und verflucht, wenn du ausgehst!« –Wörtlich zu lesen.

Die Verurtheilung der Bibelleser und der Verbreiter des Protestantismus durch die Inquisition fehlt allerdings auch noch jetzt keineswegs. Die Dominicaner von Florenz, die einst ihren eigenen Prior Savonarola verbrannten, thaten auch noch gegen das Madiai'sche Ehepaar1856. ihre »Pflicht«. Aber die 147 Folterwerkzeuge und Hinrichtungen sind jetzt in Italien an die politischen Gefängnisse übergegangen. Vorführungen und Verurtheilungen im schwarzverhangenen Saale des Tribunals mit dem Wappen Pius' V. und dem Porträt des heiligen Dominicus kommen nur noch selten vor. Die Qualificatoren und Familiaren der Inquisition sitzen in einem solchen Falle wie beim Gericht der Feme. Die Fenster sind verhangen – Altar und Crucifix stehen unter einem Baldachin von schwarzem Sammet – sechs Wachskerzen sind angezündet. Zur Seite erhebt sich eine schwarze Estrade, auf welche der Pater Ankläger tritt, um die Beschuldigungen vorzulesen. Beginnt ein Gericht, so öffnet ein Official der Inquisitoren die Thür und ruft: Ruhe! Ruhe! Ruhe! Es nahen die heiligen Väter! Dann treten diese, in ihren weißen Kutten, schwarzen Mänteln und Kapuzen, feierlich ein, knieen vor dem Altar, beten, erheben sich, und ihr Führer, der Inquisitor-Commissarius, beginnt den heiligen Erleuchtungsgesang. »Veni Creator spiritus.« Dann ergreift der Vorsitzende die silberne Klingel und die Angeklagten müssen erscheinen – in braunen Kleidern, um den Hals den Strick, in der Hand eine brennende Kerze.

Auch ein aus Neapel hereingebrachter »waldensischer Geistlicher« und ein Laienbruder des heiligen Franciscus, der eines unsteten, abenteuerlichen Lebens angeklagt war, mit ihnen ein Geistlicher, der trotz seiner Clausur in einem Strafkloster zu mehreren von jenem Geistlichen verführten ketzerischen Seelen hielt, endlich ein alter Hirt aus Calabrien hatten in dieser Weise noch im vorigen Jahr vor einem Gericht der Inquisition Neapels gestanden. Das heilige Officium von Neapel lieferte sie auf höhere Weisung nach Rom – wohin drei von ihnen vor kurzem angekommen waren. Verschmachtet der Eine – nicht infolge der an ihm verübten Martern oder peinlicher Entbehrungen, sondern 148 durch die Jahre. Die beiden andern gedrückt durch Kummer und Sorge um diesen ihren greisen Mitgefangenen. Negrino wurde in den Silaswald zurückgeschickt.

Einen Tag vor ihrer Abreise von Neapel standen sie alle vier zum letzten mal vor dem dortigen Gericht. Da schon mußten den Bruder Federigo die Laienbrüder der Dominicaner tragen. Was ihnen zur Last gelegt wurde, hatten die Gefangenen eingestanden. Der Spruch war nicht zu hart. Die Jesuiten wollten das Verderben dieser Leute – infolge dessen trotzten die Dominicaner. Das ist die innere hierarchische Welt. Hubertus sollte zu seinem gleichfalls in Alarm gebrachten Orden zurück in die Strafzellen auf San-Pietro in Montorio. Federigo sollte seinen Spruch in Rom empfangen. Paolo Vigo hatte geloben müssen, Italien zu verlassen. Negrino wurde auf einige Jahre excommunicirt und unter polizeiliche und kirchliche Aufsicht gestellt.

Die Oberaufsicht über die Gefängnisse der Inquisition hat nicht der General der Dominicaner allein, sondern mit ihm ein Maestro del Sacro Palazzo, gleichfalls ein Dominicaner, zu gleicher Zeit Haushofmeister des Papstes, nach unserm Sprachgebrauch Kammerherr und Oberhofmarschall. Die Aufsicht im Inquisitionspalast selbst führt ein einfacher Prälat des Officiums.

Dieser war keinesweges erstaunt, in so eiliger Hast zwei Cardinäle vorfahren zu sehen. Der General – dieser war es, der dem Cardinal Ambrosi geschrieben – hatte auch ihn bereits instruirt. Der Erzbischof von Coni hatte ordnungsgemäß die seelsorgliche Competenz für den ehemaligen Eremiten von Castellungo. Waren vollends beide Deutsche, so konnte der Besuch in der Ordnung erscheinen. Im Vatican waren Bonaventura und Ambrosi gern gesehen; der Maestro del Sacro Palazzo, Hofmarschall Pater Tommaso, hatte schon seit längerer Zeit zu allen, jene Ketzer 149 aus dem Silaswald betreffenden Wünschen Ambrosi's seine Zustimmung gegeben.

Cardinal Ambrosi stieg zuerst aus und erklärte mit bewegter Stimme, Monsignore d'Asselyno wünsche Einlaß in die Zelle des sogenannten Frâ Federigo.

Der Prälat setzte der Erfüllung dieses Wunsches nichts entgegen und machte dem noch im Wagen sitzenden Cardinal d'Asselyno die Anzeige, der General und Pater Tommaso hätten bereits die entsprechenden Befehle gegeben.

Bonaventura stieg aus. Seine Candatarien mußten ihm aus dem Wagen helfen.

Ambrosi kannte Hubertus von ihrem Zusammenleben im Kloster San-Pietro in Montorio her. Nicht auffallen durfte es, wenn auch er wünschte, während dessen zu diesem gelassen zu werden. Hubertus war ein Mitglied des Ordens, dem er selbst angehörte.

Der Prälat erklärte, daß Hubertus und Paolo Vigo versprochen hätten, sich bis auf weiteres nach San-Pietro in Montorio zu begeben – aber der Aelteste der Gefangenen, Frâ Federigo, wäre bedenklich erkrankt und schiene seinem Ende nahe. In Ambrosi's Antlitz zuckte es schmerzlich auf – er wollte die vielleicht letzte Begegnung zwischen Vater und Sohn nicht stören. Obschon selbst von mächtigster Sehnsucht nach seinem alten Lehrer ergriffen, ließ er Bonaventura den Vortritt.

Der Prälat führte seinen hohen Besuch über den Hof, eine Stiege hinauf, wo sich die Cardinäle trennen mußten. Noch geleitete Ambrosi den halb ohnmächtigen Freund bis dicht vor die Zelle, die er bat für diesen aufzuschließen. Ueber derselben standen die grausamen Worte aus dem 109. Psalm: »Der Satan muß stehen zu deiner Rechten!«Vorhandene Inschrift. Wie auch die Jesuiten alles 150 aufboten, die Dominicaner zur Ausübung ihrer alten Gerechtsame zu zwingen, dennoch konnte man sagen: Der Katholicismus dieser Form ist todt und das Al Gesù kann und wird ihn nicht wieder lebendig machen.

Die Thür steht offen! sprach der Prälat. Zwei Väter sind beschäftigt, dem Unglücklichen die letzten Tröstungen zu geben. Aerzte hat er abgelehnt. Doch sind deren in der Nähe. Sie geben keine Hoffnung!

Die letzten Tröstungen! sprach Ambrosi für sich und setzte laut hinzu: Ueberlaßt die Vorbereitung seinem Oberhirten! In der Stille der Einsamkeit wird die Seele des Armen seinen Mahnungen zugänglicher sein.

Der Prälat, einverstanden und verbindlich sich verbeugend, öffnete ohne Argwohn die Thür.

Zwei weißgekleidete Mönche saßen in einem dunklen Vorgemach und lasen mit lauter Stimme im Brevier. Der Prälat winkte ihnen aufzuhören und ihm zu folgen. Sie traten mit ihm hinaus.

Bonaventura's Seele drohte den Körper zu verlassen. Bewußtlos hob er den Fuß über die Schwelle. Die Thür wurde leise hinter ihm angelehnt. Hinter dem dunklen Vorgemach folgte ein Zwischenzimmer, erhellt durch eine Lampe, die in einem dritten Raum, in einem Alkoven stand. Noch konnte der athemlos und zitternd sich Nähernde nicht das Lager entdecken, wo jener ihm nun endlich zugängliche – »Begriff« lag, der einen Augenblick nach dem Gruß der Liebe und des Erkennens vielleicht für immer aus dem Leben schied. Ein Begriff –? Wenn nun die Person, die ihn erfüllte, dennoch eine andre war –?

Eine Weile verharrte Bonaventura in einer unbeweglichen Stellung. Alle Lebensströme schienen in diesem Augenblick ihm 151 zu stocken. Eine unendliche Freude und ein unendlicher Schmerz stritten in seinem Innern um die Herrschaft.

Qui – viene? erscholl es jetzt mit einem Ton, der dem Lauschenden durch die Seele schnitt, ob er ihm gleich nicht bekannt war.

Bonaventura schritt näher. Jetzt sah er, daß in einem Winkel des Alkovens ein Bett stand, worauf in einem braunen, warmwollenen Büßerkleide eine Gestalt lag. Er sah nur die langen weißen Haare des ihm abgewandten Hauptes. Auch eine erwärmende Decke lag auf dem ausgestreckten Körper.

Siete – voi, miei – cari – figliuoli? fragte die Stimme und setzte die Anwesenheit der Mönche voraus.

Die Stimme durchschnitt des Sohnes Herz. Nun war es dennoch wie ein Klang, den er kennen mußte – ein Klang wie die Erinnerung eines Weihnachtliedes der Jugendzeit!

Legite dunque! La vostra lettura – non mi dispiace, sprach der Greis mit matter Stimme – Die Bewegung, welche die Rede unterbrach, schien von Fieberfrost zu kommen.

Bonaventura trat einen Schritt näher und fragte, mit leiser Stimme und in deutscher Sprache: Habt Ihr es so kalt, mein – Vater –?

»Kalt« und »caldo« sind in beiden Sprachen Gegensätze. Bonaventura sprach so leise, daß vernehmbar nur das Wort»kalt« von seinen Lippen kam.

Caldo! Caldo! sprach der Greis mit Misverständniß und deutete mit beruhigtem Tone an, daß ihm die Wärme der Decke genüge.

Bonaventura sah nun vollkommen die langausgestreckte Gestalt – die sich ein wenig wandte, da der Schatten, den der Angekommene auf die weißgetünchte Wand fallen ließ, den Greis zu befremden und aufzuregen schien.

152 Caldo – nahm Bonaventura, sich jetzt ein Herz fassend, das Wort wieder auf und setzte in italienischer Sprache die verhängnißvolle Frage, welche den Moment der Erkennung, wenn es sein Vater war, entschied, hinzu: Caldo come sotto una coperta di neve –!...

Auf dies Wort: »Warm wie unter einer Schneedecke?« – folgte erst eine Todtenstille.

Dann richtete sich der Greis auf, sank, da die Kraft nicht ausreichte, auf seine beiden Arme zurück, die sich gegen das Lager anstemmten, und richtete die mit weißen Brauen umbuschten Augen weit aufgerissen auf die im Glanz ihrer Cardinalswürde vor ihm stehende Gestalt. Er mochte denken: Kommt ihr endlich – und bist du Ambrosi oder bist du mein Sohn?

Nun sah Bonaventura das von den Spuren des Alters, des Kummers und der nahenden Auflösung zerstörte Angesicht, sah Züge, die nur mühsam aus dem weißen Barte, aus dem langhinflutenden Haar zu erkennen waren – aber es war sein Vater! Hatte ihm der Ton der Stimme schon die volle Bestätigung gegeben, jetzt bedurfte es keiner weiteren Versicherung mehr. Langsam sank Bonaventura zur Erde nieder und beugte sein Haupt vor dem Greise, der nur durch diese Zeichen der Liebe und die kostbaren Gewänder seinen Sohn erkannte. Durch die lange Reihe der Jahre hatte auch er eine Veränderung seines Ausdrucks erfahren, die jenen Jüngling, dessen Bild der Vater im Herzen trug, nicht wiedererkennen ließ.

Bona –! hauchte der Greis. Was weckst du – mich vom – Tode –! Ich liege – unter dem Schnee – der Alpen!

Und erst der Tod der Mutter – – durfte den Schnee schmelzen! wehklagte Bonaventura mit thränenerstickter Stimme und mit einem wie vorwurfsvollen, doch innigzärtlichen Tone.

Der Greis legte die magern, zitternden Finger auf das 153 purpurrothe Sammetbaret und die Tonsur des Sohnes – wie ein Blinder, der sich erst durch Tasten erfühlen muß, was sein Auge nicht erkennt. Schon war er auf sein Lager zurückgesunken, als er mit Thränen die Worte hauchte: Der Mensch ist sich – seine eigene Welt! Was zürnst du mir –!

Dann – lange ihn betrachtend – fügte er fast scherzend und doch tief wehmüthig hinzu: Ich – kenne – dich nicht!

Mein Vater! rief Bonaventura, des Ortes, wo er sich befand, nicht mehr achtend, beugte sich über den Greis und bedeckte ihn mit seinen Küssen.

Die Thränen mehrten sich in des Greises Augen, die sich wieder schließen mußten. Leise sprach er: Nur eine kurze – Auferstehung!

Lebe, mein Vater! Ist kein Arzt hier? Verschmähst du alles? Daß ich einen Heiligen Gottes nicht noch erhöht sehen soll!

Die rechte Hand des Greises deutete eine Weile nach oben – warnte zur Vorsicht, wobei ein unendlich liebevoller Blick der Augen ihn unterstützte – dann sank die Hand auf die Decke kraftlos zurück.

Eine Pause trat ein, die nur vom stillen Weinen Bonaventura's und von den liebkosenden Bewegungen seines Vaters unterbrochen wurde.

Hat dich Gott so erhöht! sprach der Greis, die Gewänder des wiederholt vor ihm Niederknieenden berührend. Und als dieser schwieg und die Zeichen seiner Würde mit Geringschätzung betrachtete, setzte er hinzu: Als du – Bischof in Robillante wurdest, da – mußt' ich fliehen! Denn eines Mannes – That soll – nicht halb sein! Ich wollte nicht – mehr für die Welt – am wenigsten für die Meinen – am Leben sein . . . Deine Mutter – wollt' ich glücklich machen!

154 Sie wurde es nicht –! sprach der Sohn.

Der Greis erwiderte nichts.

Damals schon wollt' ich dich einem Schicksal entreißen, dem du nun erlegen bist –! fuhr der Sohn fort und betrachtete die elende Umgebung. Man wird dich herausgeben müssen! Man soll dich in einer Sänfte in meine Wohnung, in die Wohnung deines edeln Ambrosi tragen –!

Ambrosi! sprach der Vater und faltete voll Verehrung die Hände. Wo ist – er –?

Ich rufe ihn – fuhr Bonaventura fort.

Der Greis tastete nach seiner Hand und sprach: Zum – Ketzer – und mich – in das Haus – der Cardinäle? Ich sehe – auch so – mit Freuden auf meine – Saat! Herzen fand ich, in denen sie aufgegangen. Auch in den euern. Mein Geheimniß – bleibe bedeckt – vom – Grabe!

Vater! flehte Bonaventura, wir beide sehnen uns ja nach dem Martyrium! Auch Vincente ist angekommen an der Grenze seiner großen Gelübde. Nur auf der Höhe wollte er leiden, wie Jesus auf einem Berge litt –! Dank, Dank deiner Lehre! Er ist heilig – nicht ich!

Der Greis faltete, allen diesen Worten scharf aufmerkend, seine Hände und sprach: Die Zeugen des gekreuzigten – Lammes seh' ich – in weißen Gewändern. Sind das die Glocken – der Peterskirche – die so läuten –? Kann – auf Erden – soviel Stolz wol für ewig – währen?

Mit bangem Herzen hatte sich Bonaventura erhoben und eine hölzerne Bank dem ärmlichen Bette nähergerückt. Erschüttert von dem Worte, das auch ihm aus der Seele gesprochen war, daß die Peterskirche nur den Eindruck des Stolzes mache, und beschämt vom Pomp seiner eignen bunten Kleider, bat er wiederholt: Schon die sechste Stunde ist es. Alles ist dunkel. Ich 155 lasse eine Sänfte bringen und sie tragen dich in die Wohnung Ambrosi's. Und das Officium gestattet es. Mehr noch, ich bekenne dich als meinen Vater –!

Mein Sohn! wiederholte abwehrend der Greis. Unser Geheimniß decke das Grab –! Schon um Wittekind's willen. Ich habe den seligsten Tod. Schöner, als ich je ihn geträumt. Konnt' ich nicht in meiner Wildniß – bittrer enden? In Castellungo –? Horch, was – läuten – so – die Glocken –!

Die Augen des Greises wandten sich wie innenwärts.

Jedes Wort ist ein ewiger Vorwurf meines Innern! nahm Bonaventura mit äußerstem Schmerz die abbrechende Rede des ohne Zweifel in Erinnerungen an Gräfin Erdmuthe und an seine Hütte bei Castellungo verlorenen Vaters auf.

Dieser betrachtete ihn und sprach liebevoll mit zurückkehrendem Bewußtsein: Nein, mein Sohn! Vor dem Tode – deiner Mutter dich wiederzusehen – das hätt' ich nicht ertragen. Lieber hätt' ich vor Scham mir selbst den Tod gegeben – den ich nun auch – in – Jesu Namen –

Gib uns nicht den Schmerz, daß du nicht mehr leben willst –! unterbrach Bonaventura.

Laß nur noch die beiden treuen Seelen – entgegnete der Greis, die mich so oft – erquickt, so oft dem Leben – erhalten haben, nicht ohne deinen Schutz – wenn du, hoff' ich, noch Schutz verleihen kannst, nachdem du – einem Ketzer – deine Theilnahme bewiesen!

Einem Ketzer! Vater! sprach Bonaventura und setzte dicht am Ohr des Greises hinzu: Ich selbst – bin ich – denn nicht – selbst – ein Ungetaufter!

Der Greis wandte die Augen auf den Sohn voll Bestürzung.

Was Leo Perl einst – dem Bischof von Witoborn – bekannte – ich sollte es ja erfahren! fuhr Bonaventura fort. 156 War es nicht dein Wunsch? Im Sarge deines allen treuen Dieners fand es sich ja –

Mein Wunsch? unterbrach der Vater seine letzte Kraft zusammenraffend.

Bonaventura hielt inne. Die Aufmerksamkeit des Greises war zu erregt. Auch machte ihn ein oberhalb des Zimmers wie von einem Fußtritt vernehmbares Geräusch einen Moment betroffen.

Dann begann er leise eine Erzählung vom ersten Eindruck, den damals das Verschwinden des Vaters auf die Welt und ihn gemacht hätte, vom neuen Bund der Mutter, von des Onkels Fürsorge für ihn, von seinem eigenen Entschluß, Priester zu werden, von seiner Pfarre in St.-Wolfgang, einem Ort, wo sich dann zufällig des Onkels Max ehemaliger Diener schon seit Jahren niedergelassen hatte. Bonaventura erzählte, wie treu der alte Mevissen sein Geheimniß gehütet – treu, falls er gewußt, daß der Verschollene noch lebte. Dann schilderte Bonaventura die beim Tode Mevissen's vorgefallenen Dinge, die durch Hubertus dem Vater nur unvollständig hatten bekannt werden können. Eben war er an die Beraubung des Sarges gekommen, als ihm der veränderte Blick des Vaters auffiel. Bonaventura mußte sich unterbrechen und fragen: Vater – wie ist dir –?

Dieser antwortete schon nicht mehr und lag wie betäubt. Bonaventura eilte, um Wasser zu suchen. Aus einem Glase, das er mit Wasser gefüllt fand, benetzte er dem Greise die Stirn.

Noch einmal schlug Friedrich von Asselyn die Augen auf. Liebevoll ließ er das Beginnen des Sohnes gewähren. Plötzlich starrten seine Augen nach einer Uhr, die an der Wand hing, und er sprach: Laß dir – von meinen Begleitern – die ich deiner Liebe empfehle –

Vater! unterbrach Bonaventura, voll Entsetzen, die 157 Veränderung der Gesichtszüge, ein krampfhaftes Zucken des Kinns, ein Schütteln der Hände bemerkend.

Die – Stunde – ist – – hauchte der Sterbende mit kaum noch vernehmbarem Ton.

Bonaventura wollte die Mönche und heilkundigen Beistand rufen.

Der Vater hielt krampfhaft seine rechte Hand fest.

Bonaventura's Linke nahm mit seinem Taschentuch vom Mund des Sterbenden schon leichte Schaumbläschen hinweg. Zugleich vernahm er noch die Worte: Laß dir von meinen Begleitern – laß dir von ihnen – die Pilgerstäbe geben! Dort der meine –! Ich sehe ihn nicht . . . Ist's ein Baum –? Er grünt und wächst –! Sieh die kühlen – Schatten –! Die Zweige wie sie – dicht –

Vater, dich täuscht dein Auge!

Bonaventura sah die Kennzeichen des Todes, von dessen Kundgebungen er in kurzer Zeit so viele hatte kennen lernen müssen.

Ein Baum – wie die Eichen in Castellungo –! Sieh – das Feuer! Sieh, von rosigen Wolken alles bedeckt –! Von Licht – und – Wonne des Triumphs –! Sie kommen von allen Zonen und bekennen das Lob des Höchsten –! Ils – engendron – Dio – in lor – – mesêmes! In sich selbst Gott und – Gott – in – uns. Die Nobla Leyçon – hörst du – der – Waldenser – Lobgesang –!

Vater! flehte Bonaventura und mühte sich, dem Sinn dieser so dunkeln Worte zu folgen – – Ich rufe Ambrosi und – den Arzt –

Der Sterbende beherrschte noch einmal sein unaufhaltsam ihn fortreißendes Irrereden und fuhr fort: Die Nobla Leyçon nimm – öffne die Wanderstäbe – meiner – Führer! In ihnen – findest du – mein Leben – und deines – Kennst – du – die Nobla – Leyçon?

158 Ich kenne sie, hauchte Bonaventura mit stockendem Athem und die schweißbedeckte Stirn des Vaters trocknend. Er verstand, daß ihm in den Wanderstäben der Gefangenen ein letzter Gruß gesagt werden sollte.

In kurzen abgerissenen Sätzen sprach der Vater: Sie können nicht lesen, was die Chiffern sagen. Der Schlüssel – ist – die Nobla Leyçon. Im – Anfang – war das Wort – und das Wort –

Bonaventura's Lebensgeister blieben in fieberhafter Spannung, während die des Vaters immer mehr entschwanden.

Die Nobla Leyçon – macht die Chiffern – der Pilgerstäbe – zu Worten! O frayres – entende – una – nobla – A – und – B. Mein Alpha und – Omega –»Herr bleib – mit – Deiner – Gnade –!«

Der Irreredende erhob die Stimme zum Singen –

Die ersten Worte der Nobla Leyçon enthalten das Alphabet des Testamentes, das du mir – hinterlassen wolltest –? sprach Bonaventura dicht am Ohr des Sterbenden –

Amen! sprach der Greis und sank zusammen.

Und wieder regte es sich in der Nähe. Und wieder war es, als huschten oberhalb schleichende Fußtritte. Diesmal kam auch Geräusch von der Thür. Ohne Zweifel setzten die Harrenden voraus, daß die Beichte des Ketzers wol vorüber sein müßte. Wenn sein Seelenhirt noch länger blieb, konnte es sein, daß ihm auch aus seiner Hand die letzte Oelung und das Abendmahl ertheilt wurde. Deshalb öffnete sich die Thür. Der General der Dominicaner trat jetzt selbst ein, die Monstranz in der Hand. Ein Assistent stand hinter ihm mit den Werkzeugen der letzten Oelung. Die Thür blieb offen.

Draußen standen Cardinal Ambrosi, der Prälat des Hauses Bruder Hubertus und Paolo Vigo – beide waren freigegeben, 159 um ihre Wanderung auf San-Pietro in Montorio anzutreten, wohin man auch Paolo Vigo zunächst verwies. Schon hielten beide ihre Habe und ihre Stäbe in den Händen. Alle Dominicanermönche murmelten draußen das Confiteor.

Der Sterbende erhielt noch einmal einen Augenblick seine Geisteskraft, übersah, was geschehen sollte, übersah die Lage des Sohnes. Mit letzter Kraft der Stimme murmelte er – zuerst das lateinische Confiteor, dann begann er italienisch und ging allmählich in die deutsche Sprache über mit den Worten: Lasset uns beten! Ich bekenne – an der – katholischen Kirche alles, was wir ihr – schuldig sind – aus dem Geist der Liebe – und der Dankbarkeit . . . Wer in dieser Kirche – – geboren wurde –

Weiter vermochte der Sterbende nicht zu reden.

Schon wollte Ambrosi von seinem Gefühl übermannt, vortreten, als ihn die laute Rede des calabrischen Priesters veranlaßte, diesem den Vortritt zu lassen. Paolo Vigo trat vor, beugte sich am Sterbelager nieder und erhob die Stimme, um zu vollenden, was zu sprechen nicht mehr in seines Lehrers Kraft gestanden.

Wer in dieser Kirche geboren wurde, sprach Paolo Vigo fest und bestimmt und des Generals und der Cardinäle nicht achtend, der hat sie gelernt unter dem Bilde einer Mutter verehren. Nun wohl – ein reiferer Verstand des erwachsenen Kindes erkennt die Schwächen seiner Aeltern; doch wird ein Sohn die silberne Locke des Vaters schonen und selbst Flecken am Ruf einer Mutter wird die Tochter übersehen. Was die Kirche an heiligen Gebräuchen besitzt, seh' ich allmählich – entkleidet seiner dunkeln, unnatürlichen Zauber. Priester! Legt die Gewänder der Ueppigkeit und des Stolzes ab! Werdet Menschen! Redet die Sprache, die euer Volk versteht, auf daß der Ruf: Sursum corda! wahrhaft 160 auch zum Empor der Herzen wird! Laßt die Messe bestehen, wenn sie geläutert wird! Ein Zwiegespräch sei sie mit Gott – Bilder des Gekreuzigten – tragt sie im Herzen –! Und solange die Völker der Erde nicht aus eitel Weisen bestehen, solange noch Heide und Muselman die strahlenden Ordenszeichen ihres Glaubens verehren, verehrt auch das Kreuz! Doch macht es lebendiger noch in euch –! Lebendig macht alle Ströme des Heils –! Hinweg mit Dem, was das Herz erstarrt –! Freiheit dem Gebundenen! Sakrament sei nicht die eiserne Fessel –! Im Tod rufe dir den Arzt der Seele – wenn ein Zeichen und ein Wort von ihm statt – deiner reden soll! Netzt dem müden Wanderer, wie Magdalena dem Herrn, die Glieder! Erquickt ihn, wenn er es begehrt, durch – das Brot des Lebens –!

Die Umstehenden erkannten wohl aus diesen Worten der Verzückung die Irrlehren, für welche Paolo Vigo versprochen hatte, Italiens Boden zu verlassen. Doch warf der General einen beruhigenden Blick auf die Mönche, die Paolo Vigo umringten. Sein würdiges Benehmen gebot ihnen Ruhe. Er übergab dem Erzbischof das heilige Brot, das dieser dem Sterbenden reichte.

Auch mit dem Salböl benetzte Bonaventura die Stirn und die Hände des Entschlafenden. Heiliger, als dies Oel aus geweihtem Gefäß, ließ er auf die mehr und mehr erstarrenden Züge des Sterbenden seine Thränen rinnen, unbesorgt um die rings im Kreise ersichtliche Befremdung.

Die Ceremonie jener gewaltsamen Bekehrungen, wie sie hier in diesen Räumen oft genug vorgekommen sein mochten, war vorüber. Die überfüllten engen Räume entleerten sich. Ein Arzt hielt dem Sterbenden den Puls. Cardinal Ambrosi, der bisjetzt dem Sohne in allem den Vorrang gelassen hatte, beugte sich über den Entschlummernden, der ihn nicht mehr erkannt hatte, und sprach: Er ist – hinüber –!

161 Pater Lanfranco wußte, daß der Erzbischof in diesem Sterbenden einen nahen Verwandten getroffen hatte, und erzählte es wieder.

Bonaventura wandte sich. Als der Freund die Augenlider des Sterbenden geschlossen hatte, durchbrach sein Gefühl jede Rücksicht. Zu mächtig zerriß der Schmerz sein Inneres. Ueber die ausgestreckt liegende erstarrte Gestalt warf er sich und rief, daß alle es hörten, in italienischer Sprache: Lebe – wohl – mein theurer Vater –!

Somit hörten es die Priester, die Mönche und Aerzte bestätigt, daß der deutsche Cardinal in diesem waldensischen Prediger, der seiner Herkunft nach gleichfalls ein Deutscher war, einen nahen Verwandten – padre, einen »Freund«, einen »Gönner« – wiedergefunden hatte. Jedenfalls war dies ein Wunder, das ganz Rom beschäftigen mußte. Aber selbst den Heiligen Vater durfte es rühren, zu hören: – Cardinal d'Asselyno hatte im Kerker der Inquisition einen ihm aus seiner Jugendzeit unendlich werthen Angehörigen gefunden und ihn noch in seiner letzten Stunde bekehrt! So nur und nicht anders konnte die neue Mehrung seines Ruhmes lauten.

General Lanfranco hatte sich zuerst entfernt. Bonaventura war vom Freund emporgezogen worden. Hubertus und Paolo Vigo, jener in der Franciscaner-, dieser in der Büßerkutte, drückten ihre Lippen auf die Wange des Gestorbenen – und auch auf Bonaventura's beide Hände. Bedeutungsvoll gab ihm Paolo Vigo seinen Stab und sagte er möge sich darauf stützen. Bonaventura ergriff den Stab. Der andere, den ebenso Hubertus trug, konnte gefunden werden, von wem er wollte – niemand hätte seinen Inhalt zu entziffern vermocht. Der dritte, der Stab Federigo's, war vielleicht in der That nicht zu finden. Niemand brauchte sich darum zu beunruhigen.

Daß die beiden Cardinäle nun noch länger blieben, war 162 nicht zu rechtfertigen. Das Leben des Greises war entflohen. Hubertus hatte sich über ihn gebeugt, hatte eine Wollflocke seiner Kapuze an seinen Mund gelegt, sie bewegte sich nicht mehr. Mit einem letzten Scheideblick ebenso sprachloser wie, falls auch die Sprache nicht versagt hätte, unaussprechbarer Rührung rissen sich beide Cardinäle von dem ärmlichen Lager los, wo sie einen der abenteuerlichsten Schwärmer, einen Märtyrer der Ehegesetze der katholischen Kirche, als Leichnam zurückließen.

Die Bestattung mußte freilich an jener Stelle erfolgen, wo die Asche der verbrannten Märtyrer, eines Pascal, eines Paleario moderte. Aber bei allem, was hier die Sachlage mit sich brachte, war für ein ehrenvolles Begräbniß, wenn auch innerhalb dieser Mauern, gesorgt. Schon morgen in allererster Frühe wollten die Freunde zurückkehren.

Das düstere Gebäude war jetzt von Kerzen erhellt, die von den Laienbrüdern der Dominicaner getragen wurden. Schon kamen einige derselben, um die Leiche in die Todtenkammer zu bringen.

Hubertus hielt den die steinernen Stufen hinunterschwankenden Bonaventura, den er in Witoborn als Domcapitular so oft gesehen und nun den leiblichen Sohn seines geliebten Federigo nennen durfte – Ambrosi hatte ihm auf seiner Zelle sein so lange verschlossenes Auge geöffnet, auch die Gründe genannt, die ein Verschweigen des Geheimnisses und selbst noch in dieser Stunde, um des Präsidenten von Wittekind willen, dringend anriethen. Nun begriff Hubertus, wie mit dem Tode der Mutter Bonaventura's die Sehnsucht des Eremiten sich hatte regen dürfen, in die Welt zurückzukehren; er begriff, wie ihm im August seine Gefangennehmung so willkommen, ja nach den Mittheilungen aus Rom, die von Ambrosi gekommen waren, nicht hatte unerwartet erscheinen dürfen; schließlich begriff auch Hubertus die Schonung, die ihnen allen zu Theil wurde.

163 Ambrosi nahm den zweiten Alpenstab. Die Uhr des Verstorbenen hatte der Prälat an sich genommen – sie gehörte, den Regeln des Hauses gemäß, den Laienbrüdern.

Bonaventura stützte sich nicht auf den empfangenen Stab. Er schritt voll Fassung, wenn auch tief sein Haupt zur Erde neigend, dem Ausgang zu.

Mit staunender Bewunderung vor zwei für ihre fromme Opferfreudigkeit so wunderbar belohnten Cardinälen stieg die Begleitung derselben die Treppe nieder. Da wurde plötzlich ihre Aufmerksamkeit von einem Lärm draußen auf der Straße in Anspruch genommen. Eine Glocke der Peterskirche läutete in unablässiger Hast. Es war die Feuerglocke des großen Doms. Andere Glocken fielen mit gleicher Eile ein. An der nahen Porta Cavallaggieri, wo die Kasernen liegen, erscholl das Blasen einer Trompete und fernhin lärmten Trommeln.

Eine Feuersbrunst! hieß es. Ein nicht zu häufiger Vorfall im steinernen Rom. Die erst langsam dahinschreitende Begleitung bewegte sich nun allmählich rascher. Bonaventura und Ambrosi blieben mit ihren nächsten Begleitern, langsamer durch die Höfe schreitend, allein zurück.

Da verschwand plötzlich auch Hubertus. Er war nicht dem Drängen nach dem Hausthor gefolgt, ja, es hieß, er wäre zurückgekehrt.

Seht da! Wer ist der Mann? rief plötzlich, alle erschreckend, seine Stimme von einer Galerie herab, die rings um den Hof ging. Er rief diese Worte einem Manne nach, der in gebückter Haltung an einer andern Stelle der Galerie durch eine Thür verschwand. Es war ein Mann in einem schwarzen, fast priesterlichen Oberkleid. Rasch war derselbe in eine hohe Glasthür, die auf die Galerie führte, zurückgetreten.

Ein einziger leidensvoller Blick, den Bonaventura vom Hofe 164 aus in die Höhe warf, ließ in Ambrosi den Gedanken entstehen: Glaubt mein Freund – daß er belauscht wurde –?

Hubertus blieb verschwunden. Inzwischen waren die Cardinäle zu sehr ergriffen, um dem Zwischenfall lange nachzudenken, und schon standen sie am geöffneten Schlage ihrer Kutsche. Auch die Candatarien bestätigten den Ausbruch eines Feuers. Zugleich hatten sie von einem hier soeben gestorbenen deutschen Verwandten des Cardinals d'Asselyno gehört. Sie durften nichts Auffallendes darin finden, daß die Cardinäle tief erschüttert waren, herzlich von dem im Kreise einiger Dominicaner stehenden Paolo Vigo Abschied nahmen, ebenso wenig, wie ihnen besonders bedenklich erscheinen konnte, daß ihnen letzterer als Andenken an den Pilger von Loretto zwei Wanderstäbe in den Wagen nachreichte.

Hubertus war inzwischen nicht wieder aufzufinden. Die bestürzten Mönche, die ihn und Paolo Vigo nach San Pietro in Montorio escortiren sollten, suchten ihn überall. Sie beide auf San-Pietro schon morgen zu besuchen und dem dortigen Guardian zu empfehlen, wurde von Ambrosi versprochen.

So stiegen die Freunde ein. Die Menschen ringsum rannten indessen der Piazza Navona zu. Dort sollte das Feuer sein. Ueber die Tiberbrücke von der Engelsburg abschwenkend sahen beide die Rauchsäule.

Bonaventura's Haupt lag auf den Schultern des Freundes. Ambrosi ließ ihn schweigend gewähren. In solcher Lage helfen Worte des Trostes nicht. Auch ihn betrübte es, daß er Frâ Federigo nicht mehr hatte umarmen und ihm sagen können: Sieh, bis hieher kam ich durch deinen Rath und deine Lehre! Er hatte vorgezogen, alle Gefahren zu bewachen, alle mislichen Zeichen draußen den Dominicanern zum Guten zu deuten und dem Freund die Vorhand zu lassen. Er hatte sich in allem, was seither geschehen, kraftvoll und entschlossen gehalten.

165 Was sollen die Stäbe? fragte er endlich sanft, wahrend sich der Wagen in den Straßen mühsam durch das Gewühl der Menschen Bahn machte.

Bonaventura nahm sie und betrachtete sie voll Rührung. Noch konnte er nichts erwidern.

Inzwischen hatten sie den Corso erreicht, wo wenigstens Platz für die Wägen blieb.

Endlich in ihrer entlegenen Wohnung angelangt, schwankte Bonaventura aus dem Wagen und sank, als beide allein waren, ohnmächtig zusammen. Lange währte es, bis sich der Unglückliche erholte. Auf Ambrosi's dringendes Verlangen mußte er einige Stärkung zu sich nehmen. Dann trat ein stilles Weinen ein. Die Natur erholte sich erst, als sie ihre Rechte gefordert hatte.

Mit den ersten Worten, deren er fähig war, bat er um ein Exemplar der »Nobla Leyçon«.


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