20070807
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13 9.

Zwischen dem Ionischen und dem Mittelmeere erstreckt sich die eine Hufeisenhälfte des südlichen Italien und berührt in ihrer Spitze beinahe das Haupt Siciliens, der alten Trinacria. Die Scheide zwischen beiden Meeren bilden die Ausläufe der Apenninen mit den hohen Bergspitzen des Monte Januario und Monte Calabrese. Zwischen beiden erhebt sich eine bewaldete, hier in schroffe Felsklüfte zerspaltene, dort in grüne, weidenreiche, aber engumschlossene Thäler sich absenkende Gebirgskette, der Silaswald.

Wer da weiß, daß man auf dem Aetna, während unten die Dattelpalme und Feige grünt, auf der Höhe von Schneestürmen überfallen werden kann, der begreift, daß zwar auch der benachbarte Silaswald an seinen Füßen und an beiden Meeren hin die ganze Pracht der südlichen Vegetation entfaltet, auf seinen Höhen aber und in seinen Schluchten den Alpencharakter der Schweiz tragen muß – schmale, an reißenden Berggewässern hingehende Wege, Thäler, die von hohen Felsen umgeben sind, auf denen Adler horsten, Wälder, an die sich seit Jahrhunderten die Axt nicht legte, auch weil die Mittel und die Kräfte fehlen, die Stämme in die Ebene zu führen. Oft wirft die Sonne ihre südlichen Strahlen senkrecht in die feuchten Felsritzen und läßt in ihnen eine tropische Luft entstehen wie in einem Treibhause; aber an 14 andern Stellen pfeift dann wieder durch die offenen Lücken zwischen den von Zwergeichen umkränzten Spitzen des Hochgebirgs die Bora so eisig, daß die Hirten ihre ungegerbten Schaffelle, mit denen sie den nackten Körper bekleiden, über und über zusammenbinden müssen wie die Grönländer thun. Weiße spitze Hüte decken die schwarzbraunen, scharfgeschnittenen Köpfe mit ihren dunkelbraunen Augen, deren lange schwarze Wimpern manchen Physiognomieen einen sanften, gutmüthigen Ausdruck geben. Andere blicken dafür desto wilder. Die Schaffelle sind am Leib nach innen, an den Füßen nach außen gekehrt und bis zum groben Holzschuh hinunter durch Schnüre befestigt. Ein braunrother Mantel dient als Decke für die Nacht oder gegen die zuweilen urschnell ausbrechenden Gewitter. Die Thätigkeit der Silaswaldbewohner ist größtentheils Viehzucht. Die Ziegen Calabriens, die zu Tausenden an den schroffen Felsabhängen ihre Nahrung suchen, während die Hirten den Dudelsack blasen oder ein vielstimmiges Echo auf der alten Pansflöte wecken, liefern die eleganten Handschuhe von Paris und Mailand.

Wer im Silaswald nicht Ziegen treibt oder für Schafe und Rinder die fettern Weideplätze sucht oder Kohlen brennt, verlegt sich auf das einträgliche Gewerbe des Schmuggels, seit uralten Tagen für dies buchtenreiche Land ein überliefertes ebenso wie der Raub. Hier weht noch ganz die classische Luft, die uns umfängt, wenn wir von den Thaten des Hercules, der die Landstraßen säuberte, des Theseus, von den strengen Gesetzen der Republiken des alten Griechenland lesen. Von Osten her weht hellenische Luft, vom Süden sarazenische. Flibustierthum ist die eigentliche Lebensbewährung aller dieser am Meer wohnenden Völker, die auch schon deshalb nicht das Leben so ruhig, wie andere, nehmen, weil unter ihnen der Boden vulkanisch wankt und zu sagen scheint: Was du dir nicht heute genommen vom 15 Ueberfluß der Erde, das verschlingt vielleicht schon morgen der uralte Neid der Götter auf all unser Menschenglück –!

Wenn sich auf einem zweirädrigen, aber menschenüberfüllten, von einem Pferd und einem Maulthier zugleich gezogenen Karren, der in Kalkstaub gehüllt sich die Felsenstraße von Cosenza hinaufwindet, die Furcht ausspricht, daß auf dem Wege bis Spezzano der Abend hereinbrechen würde und mancher seine kleine Baarschaft an ein mit Flintenläufen unterstütztes: Gott grüß! hingeben müßte, so hatte sie vollkommene Begründung. Nur dürfen ebenso die acht Personen, die an dem zweirädrigen Karren wie die Bienen an einem Baumast hängen, dem Impresario der Gebirgsdiligenza, Meister Scagnarello, Recht geben, der die unausgesetzten, bald liebkosenden, bald drohenden Anstachelungen seiner Thiere in dem Augenblick mit einem lauten Lachen unterbrach, als ein Handschuhmacher aus Messina in seinem sicilianischen Dialekt noch von dem furchtbaren Räuber Giosafat Talarico zu meckern anfing und vom Scagnarello hören mußte: Das wißt ihr also noch drüben nicht, wer euer vornehmer Nachbar geworden ist? Auf Lipari, dicht vor eurer Nase, könnt ihr den Vater Giosafat und seine ganze Familie wie einen Prätore leben sehen –! Se. Excellenz der Minister waren selbst von Neapel nach Cosenza gekommen, sprachen ein ernstes Wort mit dem tapfern Mann, und für achtzehn Ducati monatlich vergnügt er sich jetzt auf der Jagd am Strand der See. Sie klagen in Cosenza, daß ihnen dort seitdem so wenig wilde Gänse mit dem Südwest zufliegen.

Die Gesellschaft, die auf dem Karren, trotz eines Umfangs desselben von nur acht Fuß Länge und sechs Fuß Breite, dennoch in mehrern Stockwerken saß und ordentlich, dem Preise nach, ein Coupé, ein Intérieur und eine Impériale darbot, ja noch Körbe, Säcke und Felleisen in einer wahren Laokoon-Verschlingung 16 unterzubringen gewußt hatte, mußte bestätigen, daß Meister Scagnarello vollkommen richtig gesprochen. Nachdem die Regierung in Cosenza damals an einem Tage zwanzig Insurgenten, die Brüder Bandiera an der Spitze, hatte erschießen lassen, mußte sie wol des Blutes für einige Zeit genug haben. Del Caretto, gewöhnlich der »Henker Neapels« genannt, kam nach Cosenza, nahm die Fürbitte des Erzbischofs für die durch einen glücklichen Zufall gefangene Bande des Giosafat Talarico, der an Morden und unzähligen Räubereien mit dem Pasquale Grizzifalcone in der Mark Ancona wetteifern konnte, in ernste Erwägung und vollzog dasjenige wirklich, was der alte Principe Rucca zu Rom und der selige Ceccone nur für eine erwägenswerthe Möglichkeit gehalten hatten. Lipari erhielt den Giosafat zwar nicht als Bürgermeister, wie sich Grizzifalcone, vor dem Schuß des deutschen Mönches Hubertus, von Ascoli geträumt hatte, aber er lebte daselbst freier und vergnüglicher, als Napoleon auf St. Helena. Mit den achtzehn Ducati hatte es seine vollkommene Richtigkeit.Gregorovius' »Siciliana«. Darum war es aber im Silaswalde noch nicht eben viel geheurer geworden. In Cosenza sah man hinter den Gittern eines Thurms dieser alten Stadt, wo einst am Busento Alarich, der Gothenkönig, sein geheimnißvolles Grab gefunden, halbnackte Gefangene genug um Almosen betteln und, wenn sie keines erhielten, hinterher eine höhnische Frazze schneiden.

Bis die Diligenza Signore Scagnarello's in der Nothwendigkeit war, um der engen Wege willen die Thiere so zu spannen, daß sein Maulthier voran, sein Rößlein hinterher ging, war die Zahl seiner Passagiere zusammengeschmolzen. Der Handschuhmacher traf die Ziegen, die er erhandeln wollte, schon in Pedaco, dann wollte er sich um den unheimlichen Silaswald herum 17 nach Rossano auf die große Ledermesse begeben – ein Männlein war's, wie die feinen Leute dort gehen, in dunkelgrüner Jacke, kurzen braunen Beinkleidern, braunen Strümpfen und schwarzen Gamaschen, mit einem braunen Mantel und einem weißen Hut, spitz wie ein Zuckerhut, eine rothe Feder darauf, als gehörte auch er zur Bande des Talarico. Hinter ihm her wurde vielfach gelacht, auch von zwei Priestern, die hier in vergnüglichster Weise ganz zum Volke gehören und oft mit den Räubern vertrauter sind, als mit ihren Verfolgern. Zuletzt blieb dem Scagnarello von Männern nur noch ein Soldat getreu, der den Weg von Cosenza zu Wagen machte, obgleich er zu den berittenen Scharfschützen gehörte – Sein Pferd lag hüftenlahm, erzählte er, in Spezzano, einem Oertchen, das sonst keine Besatzung hatte, heute jedoch mit Soldaten überfüllt war – eine Erscheinung, welche die Passagiere nicht zu sehr überraschte, denn wo waren nicht die Truppen jetzt nöthig, um heute eine Verhaftnahme eines noch aus den kaum beschwichtigten Stürmen der letzten Jahre zurückgebliebenen versteckten Compromittirten vorzunehmen, morgen eine wiederum drohende neue Conspiration zu ersticken –! Sicilien und Calabrien hatten auch für ihre politischen Vulkane geheime Zusammenhänge genug.

Außer dem Soldaten blieb auf dem Karren noch eine Frau mit einem Kinde, die weiter wollte als bis Spezzano und schon seit Cosenza mit Signore Scagnarello über die Frage in Unterhandlungen stand, was sie wol zahlen würde, wenn sie die Diligenza noch bis in die letzte fahrbare Gegend des Gebirges hinauf benutzen sollte, nämlich bis nach San-Giovanni in Fiore. Eigentlich wollte sie zum Franciscanerkloster San-Firmiano, wo die hierorts bekannte Welt aufhörte; denn jenseits Firmianos begann die Wildniß, die nur den Räubern, einigen Hirten und den Geistern gehört, sowol den alten dorthin gebannten classischen Gespenstern, 18 als welche im Volksglauben besonders noch Cicero und Virgil spuken, wie den neuern muselmännischen, besonders seeräuberischen, vorzugsweise dem berüchtigten Renegaten Ulusch-Ali und ähnlichen Dämonen, die schon manchen hier mit sich in die Hölle genommen haben.

Sechs Uhr war es und doch lag das enge Thal, aus dessen Mitte Spezzano auf einem hochgelegenen Felsen hervorragte, schon in einiger Dämmerung. Nur das Städtchen selbst oben langte noch in den vollen goldenen Sonnenschein hinein. Der Ort war nicht leicht zu erreichen. Langsam wand sich der Weg auf und ab, oft tief hinunter über das brückenlose wilde Rauschen hier des Crates, dort des Busento, die querdurch vom Wäglein mit Sack und Pack passirt werden mußten, bald wieder hinauf in die steilste Höhe, wo es dann einen entzückenden, die Phantasie dieser Reisenden freilich wenig beschäftigenden Fernblick auf das dunkelblaue Meer bis hinüber zu dem Felseneiland Lipari gab. In den Schluchten war die Vegetation die üppigste; aber kaum ließ sich begreifen, wie sich an den schroffen Abhängen den Kastanienbäumen beikommen ließ, um die schweren Lasten, die sie trugen, abzuernten.

In Spezzano, einem Oertchen von einigen hundert Seelen, von einem Durcheinander von Lumpen, Schmuz, von wie Wäsche aufgehängten frischgewalzten Nudeln, wildwuchernden riesigen Feigenbäumen an Schutthaufen alter Castellmauern, fanden die beiden letzten Passagiere die größte Aufregung durch die Soldaten, die bereits hier einen Tag campirten. Das rasselte mit langen Säbeln über die höckerigen Straßen, die fast erklettert werden mußten. Die Pferde konnten nur am Zügel geführt werden. Außer den Reitern gab es ein Detachement Fußschützen, die zur Schweizerarmee gehörten – Leute, die nicht eben heiter blickten, da in den Schweizerregimentern die militärische Zucht von 19 unglaublicher Strenge ist und die Offiziere gegen die Gemeinen mit einer für ein deutsches Gemüth verletzenden Unfreundlichkeit verfahren. Es scheint da fast, als hätten die in der Schweiz so wenig bedeutenden höhern Ansprüche einiger alten Adelsgeschlechter, besonders in den Urcantonen, durch die militärische Organisation der Fremdenregimenter sich in Rom und Neapel eine Satisfaction für die heimatliche Abschaffung des Mittelalters geben wollen.

Was aber mag denn nur vorgehen? fragte nun doch Signor Scagnarello, als er den Pepe, sein Maulthier, und die Gallina, sein Rößlein, ausspannte und ganz Spezzano zusammengelaufen war, um die wichtigen Begebenheiten des Tränkens, Fütterns, Verwünschens der Wege, Verwünschens der Fliegen, des Ausscheltens des noch trinkscheuen »Pepe«, Schmeichelns der alten geduldigen »Gallina« lachend und spottend mit durchzumachen – (in Italien geht das nicht anders und Neapel scheint vollends die Stammschule aller Possenreißer zu sein; trotz der schönen, edeln, malerischen Gestalten, die überall sich lehnten und kauerten, vertreten die Südvölker den Uebergang vom Affen- zum Menschenthum). Was mag nur vorgehen? rief Scagnarello im Stall. Die Kopfsteuer haben wir doch schon am Ersten bezahlt, und die Vettern des Talarico – die hoffen ja auch noch auf eine Anstellung beim Zollfach und halten sich leidlich. Das Fest der Madonna von Spezzano ist erst übermorgen, und zu unserer Illumination, seh' ich, hilft von den Soldaten Keiner, obgleich die Offiziere beim Pfarrer wohnen. Die Swizzeri bringen uns nie etwas, sie holen nur. Von Spezzano –! Unserm armen, frommen Spezzano! Bauen sie nicht schon wieder der heiligen Mutter Gottes einen Triumphbogen, und die Bora hat erst zu Maria Ascensione alle Lampen zerbrochen –!

20 Von den durch die letzten Abstrafungen revolutionärer Regungen gründlich abgeschreckten Bewohnern Spezzanos konnte niemand diese starke Einquartierung begreifen, noch auch darüber von den Soldaten, die ihre eigene Verwendung nicht kannten, eine Aufklärung erhalten. Ein bunter Kreis bildete sich um das von Scagnarello gehaltene Gasthaus, die »Croce di Malta«, wo seine Giacomina die Militärchargen bewirthete und des Hausherrn Einmischung in ihr Departement nicht duldete. Die Offiziere hörten dem Handel der von Cosenza mitgekommenen jungen Frau zu, die, ihr Kindlein im Schose, auf einem verwitterten Steinblock saß und ihre Weiterreise nach San-Giovanni in Fiore in die Wildniß hinein und zwar aufs lebhafteste erörterte. Alles bewunderte den Muth Scagnarello's, der sich bereitwillig fand, nach einer einstündigen Rast seines Pepe, noch bis in die späte Nacht hinaus in die Berge zu fahren. Die alte Gallina besaß nicht die Ausdauer, die der wilde ohrenspitzende Pepe, dem die Freuden im »Torre del Mauro«, dem besten, weil einzigen Wirthshaus von San-Giovanni in Fiore, mit solcher Lebhaftigkeit von seinem Herrn geschildert wurden, als müßte die außergewöhnliche Unternehmung, welche für die Frau eine Ausgabe von baaren zwei Ducati (Thalern) zu Wege brachte, erst von seiner gnädigsten Zustimmung abhängen.

Die Frau, die sich ihrerseits des freundlichsten Gesprächs der auf guten Erwerb bedachten Giacomina zu erfreuen hatte, kam aus Nocera, das über Cosenza hinaus dicht am Meere liegt. Sie hätte ihrem Kinde zufolge noch jung sein müssen; sie trug aber schon, wie hier überall die Frauen, die Spuren zeitigen Verblühens. Sie war die Frau eines Krämers in Nocera und konnte sich etwas zugute thun auf die Feinheit ihres Hemdes, das mit schönen Spitzen besetzt theils über ihr Mieder hinauslugte, theils an den Achseln sichtbar wurde, wo die Aermel ihres 21 braunen Kleides nur durch Schnüre am Leibchen befestigt waren. Auf dem Kopf trug sie ein rothgelbes Tuch, das in Ecken gelegt flach am schwarzen Scheitel auflag und mit seinen Enden, die mit gleichfarbigen Fransen besetzt waren, an sich recht schelmisch in den Nacken fiel. Die schwarzen Augen der sonst schmächtigen und behenden Frau gingen hin und her, schon vor Aufregung über die wilde Bewegung in dem sonst so friedfertigen Spezzano. Ihre kleine Marietta zappelte bald nach den bunten Lampen, die schon an den Gerüsten für das Madonnenfest hingen, bald nach den bunten Uniformen der Soldaten, von denen einige die wohlgemeintesten Liebkosungen mit ihr wechselten wie »Bisch guët?« »Willsch Rössli reita?« und ähnliche deutsche Herzenslaute, die auch keineswegs der Mutter in ihrem Sinn verloren gingen, denn auch ohne Wörterbuch, und keinesweges nur durch den Austausch von Blicken und Geberden, verstehen sich in guten Dingen alle Nationen – Haß und Eigennutz nur hat die Verschiedenheit der Sprachen erfunden.

Durch den dolmetschenden Beistand der Umstehenden kam es heraus, die Frau war an den Gewürzkrämer Dionysio Mateucci zu Nocera verheirathet, hieß ursprünglich Rosalia Vigo und wollte nach San-Firmiano, wo ihr Bruder im Kloster lebte. Auf diese Mittheilung hin belebten sich Scagnarello's Züge und niemanden lebhafter, als dem Pepe, wurde nun voll Staunen und Verwunderung die Geschichte dieser Frau erzählt. Die Rosalia Vigo! Die Schwester des ehemaligen Pfarrers von San-Giovanni in Fiore! Das ist nur gut, hieß es, daß Herr Dom Sebastiano (der Pfarrer von Spezzano) beim Erzbischof in Cosenza ist – denn noch in seiner letzten Predigt an Maria Ascensione nannte er Ihren Bruder einen Unglücklichen, der im Fegfeuer zweimal so lange sitzen müsse, als andere, weil ihm sein geschorenes Haupt mit heiligem Priesteröl gesalbt wäre und 22 bekanntlich Oel im Feuer nicht eben löscht. Scagnarello war nunmehr auf die interessantesten Neuigkeiten und noch ein ganz besonders gutes Trinkgeld gefaßt.

Vollends hörte er von der Absicht der Schwester des Pfarrers, ihren geliebten Bruder wol gar aus San-Firmiano abzuholen und mitzunehmen. Der seitwärts schielenden Blicke einiger alten Bettler von Spezzano, des Murmelns einiger Graubärte, der Bekreuzigungen einiger Matronen, die Macbeth's Hexen nicht unähnlich sahen, achtete Scagnarello nicht – obgleich er alles, was da gemurmelt wurde, zu deuten verstand und vollkommen wußte, wie sehr es eine eigene Bewandtniß hatte mit der Geschichte des Pfarrers von San-Giovanni in Fiore. Ach, auch Rosalia Mateucci verstand, warum einige alte Schäfer, die in der Nähe standen und den Soldaten gegenüber ihre Flinten, die weit über ihre Schaffelle hinausragten, mit aller Keckheit trugen – sie wollten zur Messe nach Rossano – auf ihre großen Hunde blickten und deren Blässe berührten, die der Pfarrer von Spezzano mit Weihwasser besprengt hatte – Pepe und die Gallina und alle Pferde, Esel und Maulthiere, alle Hunde und Katzen, überhaupt was nur irgend mit dem Menschen hier in näherem Umgang lebte – das wilde Heer des nächsten Umgangs mit Flöhen u. s. w. ausgenommen – hat in Italien durch Priesters Hand die Heiligung empfangen.Ueblicher Brauch.

Mit dem allgemeinen, die junge Frau mehr beschämenden, als erhebenden Rufe: Das ist die Rosalia Vigo! Die Schwester des Pfarrers von San-Giovanni in Fiore! fuhr die Schweigsame und nunmehr auffallend in Gedanken Verlorene endlich nach sieben Uhr aus dem noch hellsonnigen Spezzano in die schon dunkeln Felsenschluchten nieder. Schauerlich durfte es ihr 23 erklingen, als am Fuß des Felsens, auf welchem Spezzano liegt, ein Schweinehirt, der dem auf dem zerbröckelten Gestein des Weges hin- und hergeschleuderten Karren Platz machte, ihr einen Willkommen und Abschied aus einer riesigen Meermuschel blies.

Scagnarello offenbarte im Fahren dem Hirten, der ihnen folgen konnte – bald ging es wieder bergauf – sein abenteuerliches Unternehmen, noch in die lichte Mondnacht hinaus bis in den Torre del Mauro von San-Giovanni fahren zu wollen. Rühmte er sich auch nicht, mitzutheilen, was er damit verdiente, so schilderte er doch die Fahrt als eine, die sich schon allein durch die guten Leute von San-Giovanni belohne. Im Grunde alles nur, um die vollere Zustimmung des Pepe zu gewinnen, dessen beide Ohren an dem furchtbaren Klang der Meermuschel einen musikalischen Genuß empfunden haben mußten; Pepe trabte, auch seinerseits wie in sehnsuchtsvolle Gedanken verloren.

Auch Rosalia blieb nachdenklich. Ohnehin in der Unterhaltung gehindert durch den Lärm der rauschenden Gewässer, die wieder ohne Brücken zu passiren waren, begann sie ihre Marietta in Schlummer zu singen. Sie brachte dies zu Stande nicht etwa durch ein heiteres Wiegenlied, sondern durch einen einzigen, lang gehaltenen Ton in A. Diesen setzt die italienische Mutter so lange fort, bis ihr Kindchen einschläft. »Eine Melodie würd' es ja wach erhalten –!« sagte dem Schreiber dieser Geschichten eine italienische Amme.

Auch Scagnarello rief seinem Pepe unausgesetzt ein Wort, das freilich seinerseits im Gegentheil ein Wachbleiben und muntres Traben hervorrufen sollte: Maccaroni! Der Neapolitaner legt dabei den letzten Ton auf die letzte Silbe. Soll es dem Zugthier die Hoffnung erwecken, am erreichten Ziel seines Führers Lieblingsspeise theilen zu dürfen, oder ist es noch ein alter Rest der hier einst üblichen Griechensprache, wo Μακάριε! ein 24 Schmeichelwort war, wie: »Du gutes altes Haus!« Gleichviel, Pepe that sein Möglichstes. An die Stelle der Liebkosungen traten freilich auch zuweilen die in Italien üblichen sehr energischen Peitschenhiebe.

Zur Linken sah man nach einer Stunde nichts weiter, als einen Wald von riesigen Farrnkräutern, die sich zum Ufer des auf dem Gebirgskamm entspringenden Neto niederzogen. Zur Rechten starrte die schroffe Felswand. Jenseits der Anhöhe leuchteten noch in der Sonne die Kronen eines Buchenwaldes, die dann jede weitere Aussicht versperrten.

Miracolo! begann Scagnarello; ihr sagt, Euer Bruder würde San-Firmiano verlassen können und wieder nach San-Giovanni in seine Pfarre kommen, die er vor zehn Jahren – der Aermste –! hat verlassen müssen? Warum doch?

Die Frau unterbrach ihr Singen und mußte die kleine Marietta aufheben, die sich noch nicht ganz wollte zum Schlafen bringen lassen. Ihr glaubt, sagte sie, auf eine solche Pfarre, wo die Birnen aus nichts, als kleinen Steinen bestehen? Nein, ich glaube nicht, daß in San-Giovanni auch jetzt noch ein anderer Wein wächst, als den zu meiner Zeit kaum die Ziegen getrunken hätten! Signore! Nein! Se. Eccellenza hat mir eine bessere Hoffnung gemacht. Mein Bruder wird Pfarrer zu San-Spiridion in Nocera.

Ho! Habt ihr Euch nicht versprochen, Frau? brach Scagnarello in Erstaunen aus und Pepe benutzte ein Sichumwenden seines Herrn, um sogleich auch still zu halten. San-Spiridion in Nocera? Da tauscht er ja mit keinem Erzbischof drüben in Sicilien! Dann setzte er mit einem Avanti! und einem tüchtigen Peitschenhieb hinzu: Freilich – in Sicilien hab' ich ein Kloster gekannt, wo die Brüder verhungerten, wenn sie nicht abends mit der Flinte aufpaßten, ob Engländer vom Aetna kamen. 25 Aber in Nocera soll Euer Bruder Pfarrer werden! Scagnarello war gutmüthig genug, seine Meinung: »Ich dachte, daß ihm sowol im Jenseits, wie hienieden die ewige Verdammniß bestimmt ist« – nicht auszusprechen.

Bei San-Gennaro! sagte die Schwester Paolo Vigo's; ich dächte, daß er sich diese Auszeichnung redlich erworben hat. Zehn Jahre hat er büßen müssen und er ist die Heiligkeit selbst geworden.

Wißt Ihr für ganz gewiß, daß sie ihn losgeben? äußerte Scagnarello mit bescheidenem Zweifel und der neulichen giftigen Rede des Pfarrers von Spezzano gedenkend.

Der heilige Erzbischof von Cosenza, fuhr die Frau fort und reichte ihrem mildurtheilenden Führer, der die schlimmen Ansichten der übrigen Bewohner von Spezzano gegen ihren Bruder nicht zu theilen schien, eine Flasche Wein aus einem ihr zu Füßen stehenden großen Korbe, der mindestens auf eine Woche mit all den Dingen versehen war, die man, nach ihrer Erfahrung, hinter San-Giovanni in Fiore nicht mehr als in der Welt auch nur noch gekannt vorauszusetzen berechtigt war – der heilige Erzbischof von Cosenza, sagte sie zuversichtlich, hat es noch gestern betheuert. Ich bin dreimal von Nocera herübergekommen und jedesmal war der heilige Herr liebreicher und gnädiger mit mir. Alles hab' ich ihm erzählt, warum mein Bruder ins Unglück gekommen ist –

Redet nur nicht davon! unterbrach sie jetzt Scagnarello mit einigem Schaudern und die Flasche zurückgebend, das heißt, nachdem er aus ihr zuvor einen kräftigen Zug gethan hatte. Der Trunk hatte, schien es, sein Gedächtniß gestärkt, das ihm anfangs versagte, als es um sich einen zu erwerbenden Gewinn von zwei Ducati handelte.

Rosalia Mateucci nahm die Flasche, stellte sie wieder in den 26 Korb und schwieg in der That. Sie verstand vollkommen, daß es gewisse unheimliche Dinge im Leben ihres Bruders gab, von denen man in solcher Abenddämmerung und in der stillen Gebirgswildniß nicht hätte sprechen sollen. Ohnehin galt der Silaswald für verzaubert. Es ist dies die Ruhestätte, wo noch immer der »große Pan« schläft. In Abenddämmerung begegnen uns hier immer noch Satyrn mit Bocksfüßen und Hörnern, es sehen aus den Bäumen noch nickende langhaarige Dryaden, es ertönt oft noch ein schrilles Lachen in der Luft. Weiß auch niemand, wo all die vergessenen Schelmereien des Alterthums sich am Tage versteckt halten, des Nachts sind sie da.

Rosalia Mateucci begann wieder ihr Wiegenlied. Die Sonne war höher und höher an die Buchengipfel gestiegen und endlich verschwunden. Schon hatte sich der Mond in dem weiteren Himmel, der auf kurze Zeit jetzt zur Rechten sichtbar wurde, mit silbernem Glanze gezeigt. Die Straße, die eigentlich nur ein jetzt ausgetrocknetes Flußbett war, zwängte sich durch zwei Felsen hindurch, die sich so nahe standen, daß sie oberhalb, einige hundert Fuß höher, durch eine Brücke hätten verbunden sein können.

Scagnarello wußte nun allmählich im vollen Zusammenhang, daß seine Passagierin Rosalia Vigo, die jüngste Schwester ihres Bruders Paolo Vigo war, der in Neapel Theologie studirt hatte und nur die ärmste Pfarre der Welt, zu San-Giovanni in Fiore im Silaswalde, hatte gewinnen können. Ein feuriger, muthiger, wissensdurstiger Jüngling, hatte er diese Pfarre bereitwilligst angetreten, weil sie mit einer Aufsicht über das nahe liegende Kloster San-Firmiano, eine Art geistlicher Strafanstalt, verbunden war; andererseits weil das Innere des theilweise unzugänglichen Silaswaldes noch von Ketzern bewohnt sein sollte, welche sich aus urältesten Zeiten dort erhalten haben und mit zerstreuten 27 Anhängern in Verbindung standen, die an gewissen Tagen, auf nur ihnen bekannten Wegen, dort zusammenkamen.Ph. J. von Rehfues' Schriften; u. a. die »neue Medea«. Seinem jugendlichen Glaubenseifer hatte sich gerade die Bekämpfung und Ausrottung dieser Sekte empfohlen. Die Ketzer trieben Zauberei, besonders mit Hülfe der Bibel.

Da jedoch hatte eines Tages alle Welt erfahren, daß im Gegentheil auch plötzlich Paolo Vigo von ihnen verwirrt worden war, die Bibel auf die Kanzel von San-Giovanni mitgebracht hatte und auf Denunciation des Pfarrers von Spezzano suspendirt, ja nunmehr selbst in jenes Kloster der Pönitenten verwiesen wurde, wo er hatte erziehen und bessern wollen. Der Guardian dieses Klosters mußte in San-Giovanni so lange die Messen übernehmen, während die übrigen pfarramtlichen Handlungen von Spezzano aus verrichtet wurden. Rosalia Mateucci wußte gegen die Auffassung des Pfarrers von Spezzano und des Signore Scagnarello über ihren Bruder an sich nichts einzuwenden. Doch behauptete sie, daß ihr Bruder, wenn auch eine Zeit lang von Zauberern verblendet, doch nie im Stande gewesen wäre, in die unkatholischen Greuel des innern Silaswaldes mit einzustimmen. Daß Paolo Vigo beschuldigt wurde, vorzugsweise gegen Einen, den Scagnarello auch vollkommen als einen gefürchteten Hexenmeister kannte, Nachsicht geübt zu haben – das alles ließ sich nicht wegleugnen. Auch nicht die haarsträubende Geschichte von einem feuerschnaubenden, aus der Hölle gekommenen Hunde, der auf dem Markt von San-Giovanni in Fiore einst laut geredet und die Seele des Pfarrers in seine Gewalt zu bekommen begehrt haben sollte, obgleich derselbe ihn dann mit eigener Hand todtschoß. Scagnarello wußte das alles und sagte beim Anstreifen an diese unheimlichen Erinnerungen: Bitte! 28 Bitte! – fragte aber doch, ob sich die Frau noch des Skelets erinnerte, das dazumal ihren Bruder um den Tod des höllischen Hundes so in Harnisch gebracht hätte?

Des Frâ Hubertus! sagte die Frau mit einem halb beklommenen, halb freudigen Tone. Er lebt noch. Ich weiß es ja –

An seinen Knochen kann man zwar vom Fleisch kein Pfund mehr zählen, entgegnete Scagnarello, aber – gewiß lebt er noch – und ich will Euch nur gestehen – ich hätte mich heute Nacht nicht mehr in den Wald gewagt, könnten wir nicht hoffen, noch den Bruder Hubertus einzuholen.

Heilige Mutter Gottes! rief Rosalia aufs freudigste erregt und wagte die gefährlichste Stellung von der Welt in Scagnarello's zweirädrigem Karren. Sie stand auf, hielt ihre schlafende Marietta mit Gefahr, selbst überzustürzen, im Arm und reckte den Hals spähend in die Weite. Saht Ihr denn den Frâ Hubertus? rief sie und lugte in die dunkle Ferne.

Beruhigt Euch! sprach Scagnarello und bezog diese Aufregung misverständlich auf eine Anwandlung von Furcht. Wenn ich meiner Frau, meinen Kindern und dem Pepe zugemuthet habe, mich bis Mitternacht noch auf die Straße zwischen Spezzano und San-Gio hinauszulassen, so geschah es, aufrichtig gesagt, weil ich hörte, daß uns Frâ Hubertus nur um ein paar hundert Schritte voraus ist. Denn was nun der Frate auch sein mag, ob ein Russe oder von Geburt ein Türke, wir alle haben ihn hier anfangs gleichfalls für den leibhaften Boten der Hölle gehalten – ja da erst gar, als er den fremden Mann nicht weit von hier in den Neto gestoßen hatte –!

Ich bitte Euch! . . . sagte die Frau sich niedersetzend.

Aber habt darum keine Furcht! fuhr Scagnarello fort. Holen wir den Bruder ein, so haben wir mit ihm ein ganzes 29 Regiment Soldaten. Der Pfarrer von Spezzano, im Vertrauen gesagt, mag ihn noch jetzt nicht leiden – aber darum hat doch der Bruder, der soeben in Neapel war, hohe Gönner und Beschützer und, was seine Leibeskräfte anbelangt, so kenn' ich manchen Goliath, der ihm noch jetzt abends aus dem Wege geht –

Er war in Neapel – Und ist zurück! Ich weiß es ja – weiß alles – rief Rosalie freudig und verstummte darauf. Letzteres zum Aerger Scagnarello's. Denn er merkte, daß es ja da wieder etwas ganz Neues aus dem Leben seiner Passagierin zu erfahren gab. Diese wich seinen Fragen aus und versank in eine wehmüthige Schweigsamkeit.

Es knüpften sich ihr aus der Zeit, wo sie vor Jahren ihres Bruders Wirthschaft in San-Giovanni geführt hatte, an diesen »Bruder mit dem Todtenkopf« Erinnerungen voll Schrecken. Ihr Bruder Paolo hatte lange liebevoll für die Seinigen gesorgt, hatte ihnen jede Ersparniß nach Salerno, wo sie her waren, geschickt, hatte, der gute Sohn, die Gebühren seiner ersten Messen nur an seine Mutter auszahlen lassen. Zwei Jahre war sie selbst dann bei ihm im Silaswalde gewesen und hatte das Ihrige gethan, ihm einen so traurigen Aufenthalt einigermaßen erträglich zu machen. Aber Paolo Vigo verfiel in Melancholie, zumal durch die Nähe des Klosters San-Firmiano selbst. Seinem Gemüth mußte es zu schmerzlich geworden sein, so viel verabscheuungswürdige Priester kennen zu lernen, die in jenem in Felsen eingezwängten, eine melancholische Aussicht in eine düstere Waldgegend bietenden Kloster leben mußten. Außerdem lebten hier alle ehrlichen Leute damals im Kampf mit dem Giosafat Talarico. Die Räuber der Abruzzen, die Genossen des Grizzifalcone, standen mit denen Calabriens in einem Schutz- und Trutzbündniß und bedrohten unausgesetzt die Sicherheit aller Einsamwohnenden. Schon waren aus dem Kirchlein in San-Giovanni 30 die heiligen Geräthschaften des Opferdienstes gestohlen worden. Kein Wunder, daß sich der Pfarrer mit Waffen versah und zu jeder Zeit eine geladene Flinte über seinem Bette hängen hatte. Nun geschah es aber eines Tages, daß die Bewohner von San-Giovanni in größter Aufregung durcheinander rannten, auf dem Marktplatz, dicht vorm Fenster des Pfarrers auseinander flohen und sich in ihren Häusern versteckten. Rosalia und ihr Bruder traten ans Fenster und erkundigten sich nach dem Grund des lauten Geschreis. Da hieß es, im Orte wär' ein toller Hund. Vom Fenster aus erblickte man in der That ein wandelndes Thiergerippe, die Zunge lang aus dem Halse hängend, die Haare borstig auswärts gebäumt – es war ein Hund, der einem verhungerten Wolfe glich. Kaum konnte das entsetzliche Thier sich aufrecht erhalten. Schon knickte es zusammen und taumelte wieder wildschnappend auf, bis es aufs neue zusammensank. Der Pfarrer erwies den Bewohnern von San-Giovanni die Wohlthat, in rascher Regung die Flinte zu ergreifen, abzudrücken und das Ungethüm niederzuschießen. Und eben die Folgen dieser raschen That waren die seltsamsten –! Sie lagen in Schleier gehüllt, endeten jedoch damit, daß Rosalia's Bruder oft tagelang abwesend war, mit dem Bruder Hubertus zusammen gesehen wurde, sogar einen Ziegenhirten in San-Giovanni, der schon seit lange für einen Ketzer galt, an seinen Tisch nahm, zuletzt mit der Bibel auf der Kanzel erschien und in einer Weise predigte, die einen so großen Anstoß erregte, daß ihn sein Diöcesanbischof suspendiren mußte. Man ließ ihn bis auf Weiteres im nahe gelegenen Kloster wohnen und verbot ihm seine kirchlichen Functionen und Reden. Aus dieser provisorischen Maßregel wurde ein Zustand, der nun schon Jahre dauerte und nicht mehr enden zu wollen schien. Die Stolgebühren von San-Giovanni behagten auch dem Dom Sebastiano von Spezzano.

31 Scagnarello war durch die Hoffnung, bald den riesenstarken Bruder Todtenkopf einzuholen, so ermuthigt, daß er, trotz der schauerlichen Einsamkeit, wagte, auf alle diese unheimlichen Dinge anzuspielen. Es ist eine Pflicht unserer Seelenhirten, sagte er nach einer Betrachtung über feurige Hunde überhaupt, die sich öfters hier den Schäfern nächtlich zugesellen, für das geistige und leibliche Wohl der Ihrigen zu sorgen. Der Pfarrer in Spezzano ist gewiß ein Santo, aber auch er heilt die Kröpfe und kann Geister bannen. Meinen Pepe da hat er mit allen Weihen versehen!

Rosalia Mateucci hatte das Thema des verhängnißvollen Hundes verlassen. Scagnarello richtete jedoch mit umspähender Miene an sie die Frage: Frau – noch seh' ich den Bruder Franciscaner nicht – sagt: Ist es wahr, hat denn der den Hund wirklich ganz feierlich begraben –?

Kaum war das aus der Hölle gekommene Thier, erzählte sie, gefallen, so kam, wie wir damals glaubten, ein Abgesandter des Satans, der die unreine Seele, die ihm verfallen war, abholen sollte. Auf dem Platz erschien ein langer hagerer Mönch mit einem Todtenkopf; er hatte, wie die Magd erzählte, im Kloster Firmiano vor kurzem erst Herberge gefunden. Die Kinder liefen ihm aus dem Wege – eine Sprache hatte er, wie unser Truthahn, wenn ich mein rothes Kleid anziehe.

Das alles hat sich geändert! unterbrach Scagnarello. Jetzt fürchten ihn nur noch die Leute mit zu langen Flinten und besonders der Schmied von Spezzano. Denn ein Hufeisen bricht er wie trockene Nudeln entzwei, wenn die Arbeit schlecht gemacht ist. Gäule heilt er, die schon unter den Galgen kommen sollten. Talarico! Der bekam Angst vor ihm, als er hörte, daß das der Frate war, der in Rom dem Grizzifalcone den Garaus gemacht hat. Nun! bei San-Firmiano! Der heilige Vater hat ihn auch gewiß nur hergeschickt, daß er's dem Giosafat ebenso machen 32 sollte. Signora, ich hörte aber doch – mit dem Hund hatt' es Dinge auf sich, die einen guten Christen um die Absolution bringen können. Andere meinen, der Alte mit dem Todtenkopf hat wenigstens seitdem nichts mehr mit der Hölle gemein haben wollen. Ein Heiliger ist auch er geworden, wie nur der Erzbischof von Cosenza einer – und – Euer, unter uns gesagt, ganz vortrefflicher Bruder –

In voller Glückseligkeit über diese Anerkennung sagte Rosalia: Ja, Signore! Ich glaube es für gewiß, daß Frâ Hubertus sich zu Gott gebessert hat. Gerade von ihm hat mir der heiligste Erzbischof von Cosenza gesagt: Geht getrost, liebe Frau! Bis Ihr in San-Giovanni in Fiore seid, ist Frâ Hubertus von Neapel zurückgekehrt. Und nun ist er da! Und ich denke doch, es muß alles gut werden.

Scagnarello erhielt noch einmal die Flasche, leerte sie und lobte sehr den Wein von Nocera. Auf seine Frage, was der Todtenkopf nur in Neapel gethan haben mochte, erhielt er die Antwort: Der heilige Erzbischof schickte ihn nach Neapel, um sein Begehren beim rechten Mann anzubringen.

Beim rechten Mann? wiederholte der Kutscher. Wer wäre denn das? Und welches Begehren –?

Daß die Bewohner von San-Firmiano nicht mehr – wie die Canarienvögel von Cosenza gehalten werden sollen! Sind sie denn nicht alle Santi geworden? Hat mein Bruder sie nicht alle bekehrt? Hat der Todtenkopf ihnen nicht allen die Schrecken der Hölle zu Gemüth geführt, die er selbst so gut kennen muß –? Ich sage Euch, bis nach Nocera hin steht jetzt das Kloster im Geruch der Heiligkeit –!

Scagnarello wußte vollkommen, daß unter den Canarienvögeln die gelbgekleideten Galeerensträflinge zu verstehen sind, die in Neapel im Dienst der Straßen- und Hafenpolizei öffentlich 33 arbeiten müssen. Er wußte aber auch, über die gute Aufführung der Bewohner von San-Firmiano herrschte nur Eine Stimme; er wußte, wie hier Alle, daß Dom Sebastiano darüber nicht reden konnte, ohne so zornig zu werden wie ein Puterhahn. Nach einer seiner letzten Predigten gab es, ganz nach dem Satz der heiligen Hildegard, Tugenden, die dennoch blos vom Teufel kämen – Deshalb war Scagnarello vorsichtig und hielt seine Meinung zurück. Ein Kutscher ist eine öffentliche Person, die sich in die Zeitläufte mehr als andre zu schicken hat.

Die Einsamkeit, die dann und wann nur vom Gruß eines Hirten oder eines mühsam ausbiegenden Eseltreibers unterbrochen wurde, hörte bei Annäherung an San-Giovanni auf. Es wurde rings im Gebirge lebhafter. Zwar war die Nacht nun ganz hereingebrochen, Nebel stiegen auf, die in dem Grade die Feuchtigkeit der Luft vermehrten, daß Scagnarello und Rosalia ihre braunen Mäntel übernahmen; der mondscheinblaue Luft- und Nebelhauch gab den grünen Waldabhängen, den einzelnen Wiesenteppichen eine geisterhafte Beleuchtung; aber, wo der Strom der Gewässer am Wege nicht zu rauschend hinstürzte, da hörte man, von mannichfachem Echo weiter getragen, deutlich das Locken und Rufen der Hirten an ihre Heerden, die zur Nachtruhe unter den mächtigen Eichen sich lagerten, hörte das Blasen einer einsamen Schalmei oder an einer andern Stelle jenes unaufhaltsame Schnurren eines Dudelsacks, das gradezu unerschöpfliche Lungen voraussetzt. Sogar Jagdschüsse erschollen zuweilen dicht über den Häuptern der Gefährten und machten den Pepe stutzig und unterbrachen dann wol die Reise durch ein Intermezzo von Apostrophen, die Scagnarello an die Vernunft des Thieres zu richten hatte. Tüchtige Peitschenhiebe unterstützten die Beweiskraft seiner Demonstrationen.

Um ein verhältnißmäßiges Stück war man schon ganz in 34 die Nähe San-Giovannis gekommen. Rosalia erkannte die Gegend. Die mit Früchten überladenen Kastanienbäume, die zuweilen am Wege standen, rauschten ihr wie mit vertrautem Gruß. Dort stand ein altes Gemäuer, das der urältesten Zeit Groß-Griechenlands angehörte. Der Mond schien durch die zerklüfteten Fenster. Sie kannte jeden dieser, bald als Aufbewahrungsort des frischgemähten Heus, bald als Versammlungsort der Hirten bei Unwettern benutzten Orte. Ihr Herz wurde ihr immer frohbanger und zagendhoffnungsvoller.

Scagnarello erzählte jetzt von einem Stein, an dem sie bald angekommen sein müßten. Hier hätte Frâ Hubertus vor Jahren mit jenen zwei Männern gerungen, die im Silaswald umirrten und die »Freimaurer«, die später in Cosenza erschossen wurden – die Bandiera und ihre Genossen – verrathen wollten. Denen begegnete »dort oben am Kreuz«, erzählte er, der Bruder mit dem Todtenkopf, redete den einen, den er kannte, in fremder, ich glaube russischer Sprache an und warf ihn ohne Weiteres von oben hinunter in den Neto –!

Die Bürgersfrau, die sich in Nocera auf Betrieb des Bruders vortheilhaft mit einem Verwandten daselbst verheirathet hatte, war in diesen Ereignissen bewandert. Sie konnte lesen und schreiben und führte ihrem Manne sein Hauptbuch. Was im Silaswald vorging, hatte sie seit Jahren um des geliebten Bruders willen mit großem Interesse verfolgt. Lebhaft stand ihr in Erinnerung, wie man sich damals gewundert, warum auch für diese wilde That der fremde Mönch, ein Sohn des heiligen Franciscus, wiederum so heil und ungestraft davonkam. Diesmal wie bei Gelegenheit der für einen Mönch immerhin bedenklichen Todesart des Grizzifalcone. Rosalia sprach noch jetzt dies Erstaunen aus.

Er hat gute Freunde, sagte Scagnarello. Er hat sie da, 35 wo sie am meisten nützen können – in Rom. Und wenn man Rom hat, so hat man auch Neapel. Damals, als der Freimaurer in den Neto flog, sah und hörte man lange nichts mehr vom Frâ Hubertus. Mit Einem mal war er aber wieder da und der Sindico von Spezzano zog vor ihm den Hut ab. Hätte der Bruder die Weihen, er wäre längst in San-Firmiano Guardian.

Rosalia kannte alles das und schwieg, in Hoffnung auf die Geltendmachung eines so großen Einflusses in Neapel.

Nach einer Weile fragte Scagnarello: Signora – wart ihr denn auch schon dazumal an – den – ich meine, an den Bluteichen –?

Die Frau erschrak über diese Frage und schwieg.

Ich meine, habt Ihr ihn nie gesehen? fuhr Scagnarello leise und schlau lächelnd fort.

Die Frau wußte vollkommen, was und wen Scagnarello mit seiner Frage meinte.

Hm! Hm! räusperte er sich und fuhr fort: Ich möcht' es, bei San-Gennaro, auch einmal wagen und ihn besuchen. Nur um die Nummern zu hören, die ich im Lotto spielen soll! Da war ein Mann von Cotrone – wißt Ihr, was er dem gesagt hat, als er die nächsten Nummern hören wollte, die herauskommen würden?

Er sollte arbeiten und auf Gott vertrauen –? antwortete Rosalia.

Nein, entgegnete Scagnarello – Das kann sich jeder selbst sagen –! Dem Mann von Cotrone hat er gesagt: Wer gab dir früher deine Nummern? »Der Pfarrer von San-Geminiano in Cotrone!« Kamen sie heraus? »Nein! Auch die auf den Namen Mariä nicht!« Die auf den Namen Mariä? Was ist das? »Der Pfarrer rechnete die Nummern nach den 36 Buchstaben aus – M. war 12. Sie kamen aber nicht heraus.« Ich verstehe! Kannst du lesen? »Nein!« Auch nicht das ABC? »Ei ja!« Im Namen Maria kommt aber zweimal A vor – das gab ja zweimal 1. »Da nahm der Pfarrer für das zweite 1 das Doppelte; manchmal das Dreifache; so hab' ich zehn Jahre auf ›Maria‹ und die Heiligen gesetzt, aber nicht mehr gewonnen, als ausreichte, um den Pfarrer zu bezahlen –« Der Pfarrer ließ sich bezahlen? »Ich bezahlte die Messen, die meine Todten aus dem Feuer erlösten!« Nun, mein Sohn, sagte der Alte von den Bluteichen, so nimm einmal den Namen »Jesus!« Siehst du, das sind auch fünf Buchstaben, auch fünf Zahlen und die letzte nimm dann gleichfalls doppelt – 9. 5. 18. 20. 36. – So hab' ich sie behalten –! unterbrach sich Scagnarello – Gewinnst du, sagte der Hexenmeister, dann danke deinem Erlöser durch gute Anwendung des Geldes! Verlierst du aber, so nimm an, daß er dir eine christliche Lehre geben wollte und dich blos durch deine Arbeit reich machen will! Der Mann aus Cotrone spielte und gewann – eine Terne; es war aber auch so ein ganz reicher Mann. Das Ding sprach sich dann aus; alles setzte jetzt auf den Namen Jesus; es hat aber keinem mehr so glücken wollen, wie dem Mann aus Cotrone.

Rosalia seufzte über diese Zaubereien und sann über Scagnarello's Aeußerung, daß der Mann von Cotrone wol noch eine besondere Anweisung bei diesem kabbalistischen Spiel des Einsiedlers von den Bluteichen hinzu empfangen haben müßte. Sie hatte die vollkommene Geneigtheit, dieser Meinung beizustimmen. Zuletzt bat sie ihn beim Blut des heiligen Januarius, von solchen durch die Hölle angerathenen Lottonummern, auch von den Bluteichen, von den nächtlichen Versammlungen, die dort die Geister hielten, besonders aber von dem erschossenen feurigen 37 Hunde und den blutigen Thaten des Bruders Hubertus jetzt zu schweigen und lieber auf eine baldige glückliche Ankunft in San-Giovanni zu hoffen.

Nach einer halben Stunde, die Scagnarello im schmollenden Gespräch mit Pepe und zuletzt mit Klagen über die theuere Zeit und die von der Hitze versengte zweite Heuernte zubrachte – letzteres im Interesse eines erhöhten Trinkgelds – deutete er mit der Peitsche auf einen im Mondlicht grell beleuchteten Gegenstand an demselben Wege, welchen sie fuhren.

Schon lange hatte auch schon Rosalia ihr Auge auf diesen Punkt gerichtet und fragte jetzt: Seht Ihr denn da etwas, Signore?

Es ist – so wahr ich Napoleone heiße – endlich der braune Bruder! Ich wette um meinen Pepe – er ist's!

Sein Maccaroni wurde jetzt wacker durch die Peitsche unterstützt. Die Frau konnte nicht umhin anzuerkennen, daß Scagnarello's Vermuthung über einen an einem hölzernen Kreuz auf einem Stein sitzenden Mönch Wahrscheinlichkeiten für sich hatte. Die braune Kapuze war halb niedergeschlagen; so schwarz und starr konnte darunter nur ein Kopf lugen, der so gut wie keiner war oder wenigstens nur dasjenige, was übrigbleibt, wenn man von einem Kopf Haare und Fleisch nimmt.

Scagnarello, vollends jetzt ermuthigt und sogar schon von dem hinter den Felsen her immer heller und heller läutenden Glockenthurm von San-Gio angenehm überrascht, schwang seine Peitsche und gab der hochgespannten Frau, die glücklich war, schon jetzt dem Manne zu begegnen, der die Kunde aus Neapel nach San-Firmiano bringen sollte, jede tröstliche Versicherung.

Ein Franciscaner, in Sandalen, mit brauner Kutte, den weißen wollenen Strick um die magere Hüfte, saß in der That am Wege auf dem Stein. Es war Bruder Hubertus. Er saß 38 am Gedächtnißkreuz des von ihm vor Jahren hier in den brausenden Neto hinuntergeschleuderten Jean Picard. Als er die Klingel des Pepe hörte, stand er auf und ging fürbaß. Er schien keine Neigung zu haben, auf eine verspätete Equipage zu warten und sich in seinen ohne Zweifel düster angeregten Betrachtungen stören zu lassen.

Ihn einzuholen wäre beim Bergauf unmöglich gewesen, wenn ihm nicht Scagnarello alle möglichen Interjectionen nachgerufen hätte aus jenem unerschöpflichen, in seinem Reichthum noch von keinem Gelehrten würdig abgeschätzten Wörterbuch der neapolitanischen Natursprache. Zu den thatsächlichen Motiven, die Scagnarello mit civilisirteren Worten einmischte, um den rüstigen Greis zum Stehenbleiben zu bewegen, gehörte, wenn auch in seltsamen Abkürzungen, die Geschichte der Frau, die hinter ihm hochaufgerichtet stand, in der Linken mit dem schlafenden Kinde, in der Rechten mit ihrem Tuch, mit dem sie unablässig wehte und winkte, gehörte endlich auch ein Gruß vom Erzbischof von Cosenza und die Ausmalung aller der Glückseligkeiten, die sich nun in San-Firmiano und in San-Spiridion zu Nocera begeben würden.

Der lange hagere Knochenmann stand endlich still und lachte des tollen Gewäschs. Sein Kopf wurde darüber ein einziges – Gebiß von Zähnen. In der »Campanischen« Sprache, jenem Italienisch der Neapolitaner, wo die Buchstaben mit allen nur erdenklichen Freiheiten behandelt werden, oft der eine ganz für den andern eintritt und statt »Michel« »Kaspar« gesagt wird, hatte Hubertus in der That Fortschritte gemacht. Er blieb stehen.

Dann freilich entsprach seinem ersten frohen Gruß an die ihm sehr wohl erinnerliche Schwester Paolo Vigo's keineswegs sein fernerer Mittheilungsdrang. Letzterer schüttelte er zwar als 39 alter Bekannter die Hand und nahm das jetzt erwachte, schreiende Kind auf den Arm, versichernd, daß seine Sehnsucht, den trefflichen Bruder der Signora nach sechs Wochen wiederzusehen, nicht minder groß, als die ihrige nach so vielen Jahren wäre – ja er kannte das schöne dem Bruder winkende Gotteshaus zu San-Spiridion in Nocera vollkommen und gab zu, daß der Erzbischof von Cosenza hinlänglich heilig wäre, um allenfalls weissagen zu können. Gewiß! Gewiß! Es wird alles gut werden! wiederholte er zum öftern. Aber – seinem ganzen Wesen fehlte die rechte, von Innen kommende Freudigkeit.

So kommt Ihr von Neapel und habt noch nichts Bestimmtes erfahren? fragte die Frau voll Bestürzung über dies Benehmen und lud den frommen Bruder ein, neben ihr Platz zu nehmen.

Hubertus folgte zwar dieser Aufforderung, nahm die noch an Schönheitsanschauungen nicht gewöhnte und wenig vor ihm erschreckende kleine Marietta auf den Schoos, sang ihr eine alte holländische Liedstrophe, versicherte aber, die Hoffnung wäre das schönste Lebensgut, das sich der Mensch nur immer frisch in allen Nöthen bewahren müsse und schwieg.

Die Hoffnung? Bei San-Gennaro! rief die Frau und zitterte. Weiter bringt Ihr nichts von Neapel mit, als die – Hoffnung?

Ei und schöne Feigen! Seht die Feigen! erwiderte Hubertus und reichte deren aus seiner Kutte Marietten eine Hand voll, während ihm die Frau bereits alle ihre Eßvorräthe angeboten hatte.

Was kann mir alles das helfen? wehklagte Rosalia Mateucci. Hab' ich darum so viele Jahre die Reise von Nocera nach Cosenza gemacht? Haben wir darum zwanzig Ducati an die Mutter Gottes Della Salute und abermals funfzehn an den heiligen Gennaro von Cosenza bezahlt?

40 Das wird sich einbringen, Frau! Hofft in Gottes Namen! wiederholte Hubertus und fing inzwischen mit einem bei weitem dringlicheren Interesse an, dem Meister Scagnarello sein Erstaunen über die neue Garnison von Spezzano auszudrücken. Was wollen denn nur all diese Reiter und Jäger wieder? Geht der Weg nach Frankreich durch den Silaswald?

Scagnarello deutete an, daß nicht gut von solchen Dingen zu sprechen wäre, seitdem hier schon die besten Leute zu den »Canarienvögeln« in Neapel gekommen wären.

Guter Bruder, was bringt Ihr von Neapel? drängte die Frau. Ihr redet von Canarienvögeln. Nur zu wohl weiß ich, die Raben, die schwarzen, die hacken dem heiligen Franciscus gern die Augen aus!

Steht das wo geschrieben? entgegnete Hubertus und schien von dieser Rede, die er vollkommen verstand und für ebenso prophetisch hielt, wie sie wohlgesetzt war, betroffen. Die Jesuiten (diese nur konnte Rosalia unter den schwarzen Raben verstanden haben) hatten allerdings hier die Hauptentscheidung. Auf den Spruch der Jesuiten hatte der Erzbischof von Cosenza als die letzte Instanz verwiesen, von welcher hier alles abhängig sein würde. Alle Welt wußte, daß zwar in den Bewegungstagen zwanzig Kutschen voll Jesuiten aus Neapel hatten entfliehen müssen, aber in vierzig waren sie wieder zurückgekehrt und die rechte Hand des Herrschers über dies unglückliche Land blieb des Königs Beichtvater, Monsignore Celestino Cocle, Erzbischof von Neapel, ein fanatischer Agent des Al Gesù, eben jener »rechte Mann«, von dessen Entscheidung die Wünsche der Bewohner San-Firmianos abhängen sollten.

Zehn Jahre, erzählte wehklagend die Frau, hab' ich meine Kniee gebeugt vor dem heiligen Erzbischof von Cosenza. Jeden Quatember, wenn neue Priester geweiht wurden, lief ich zu Fuß 41 die zehn Miglien von Nocera nach Cosenza und beugte meine Kniee auch noch nach der Messe. Wenn der heilige Herr in seinen Palast ging, rief ich ihn um Gnade an für meinen unglücklichen Bruder. Und immer gab er mir seinen Segen und sagte: Ihr seht ja, liebe Frau, die Pfarre von San-Giovanni bleibt offen; das Sacro Officio prüft, zwar lange, aber gründlich –! Heiliger Gennaro! Zehn Jahre prüfte das Officio –! Ich wußte nicht, ob mein Bruder noch lebt –! Wir schickten – mein Dionysio ist gut – was wir nur vermochten – bald an den ehrwürdigen Guardian, bald an den heiligen Erzbischof – aber meines Paolo Briefe meldeten nichts von seiner baldigen Freiheit. Sogar damals, als doch alles frei wurde, als selbst die, denen zeitlebens die Kugel am Fuß zu tragen besser gewesen wäre, zu Ehren kamen, kehrte mein Bruder nicht aus dieser traurigen Einöde zurück. Damals hatte nur Marietta leider das Fieber, mein Dionysio mußte unter die Guardia civica, jeder war froh, wenn in seinem Garten noch die Feigen wuchsen – Verdienst gab es nicht. Dann aber, als die Ruhe wiederkehrte, als man erzählte, wie die Gefangenen und Verwundeten in San-Firmiano so christlich verpflegt wurden, da fiel ich vor dem heiligen Erzbischof in der Kirche selbst auf die Kniee und bat vor allem Volk um – Paolo's Freiheit. Zum Glück – verzeih' mir's die heilige Jungfrau! – war gerade unser Pfarrer von San-Spiridion gestorben und weil ich hörte, daß sich zehn Pfarrer um die Stelle bewarben und sie vorerst keiner bekommen sollte, weil auf ein Jahr auch dem heiligen Erzbischof die Einkünfte gutschmecken, kauft' ich nochmals, nach allem, was schon draufgegangen war, für zehn Ducati Wachskerzen und schenkte sie in Cosenza der heiligen Rosalia. Seitdem hieß es: »Seid gutes Muthes, Frau, reist getrost nach San-Giovanni – In San-Firmiano sind Wunder 42 geschehen – Der Guardian hat einen Boten nach Neapel gesendet an das heilige Officio. Wir wissen es ja, das ganze Kloster ist heilig geworden – Sie bekommen alle die besten Stellen in der Christenheit, denn die Mutter Kirche ist gütig und belohnt jeden, der sie liebt – ja, und der Bote, Frâ Hubertus, muß bald zurück sein von Neapel –« So sprach der Erzbischof und das ganze Capitel stimmte hoffnungsvoll mit ein. Da vertraut' ich denn und machte mich auf den Weg und jetzt bin ich da und Ihr seid es auch und nun bringt Ihr doch wieder nichts und schweigt noch dazu so tückisch –? Ihr wißt, denk' ich, nur zu gut, daß mein guter Bruder nur durch Euch ins Elend gekommen ist! Ohne Euch könnte er längst in Nocera Bischof sein.

Diese muthige, für Scagnarello zum Bewundern sachgemäße und kenntnißreiche, nur am Schluß zu frauenzimmerhaft ausfällige Rede hatte Hubertus theils mit seufzenden, theils mit begütigenden Worten begleitet. Scagnarello hoffte, der schwer Beleidigte würde mit einer Rechtfertigung früherer Misverständnisse, vor allem mit Rückblicken auf die wunderbare Geschichte vom feurigen Hunde vernehmbar werden; aber Hubertus beschäftigte sich allein mit dem Kinde und sang seine »russischen« Lieder.

Rosalia Mateucci ersah nun wol aus alledem, daß Hubertus kein rechtes Vertrauen auf den Erfolg seiner Mission hatte, und fuhr in ihren Klagen über diese arge Welt fort. Sie ließ dabei jedem seine äußere Ehre, bezeichnete ihn aber bei näherer Prüfung dennoch als einen Spitzbuben. Vom Standpunkt einer vermögenden Krämerin von Nocera gab sie einen Rückblick auf die bewegte Zeit der letzten Jahre – namentlich auf die Anarchie, die damals entstand, als die in Neapel durch Lazzaroniaufstand und Schweizerregimenter gesprengte Nationalvertretung sich noch einmal in Cosenza, von einem Aufstand der Calabresen 43 unterstützt, wieder gesammelt hatte, doch von jenem ehemaligen Räuber, spätern General Nunziante, im Süden, vom General Lanzi im Norden angegriffen, mehr durch Uneinigkeit, als Ueberlegenheit der Truppen sich auflöste. Die Bewaffneten wurden damals zu Flüchtlingen, und wie es im Süden geht, zu Wegelagerern und Räubern. Dieser anarchische Zustand hatte im Silaswald erst seit kurzem aufgehört. Das Kloster San-Firmiano hatte lange Zeit nur ein Gefängniß und Lazareth sein können, wo sich die Brüder wahrhaft Verdienste erwarben. Und nun sollten alle diese guten Thaten ohne ihren Lohn bleiben? Märtyrer sollten sich bewährt haben und keine Krone gewinnen –? Da müßte ja der Giosafat von Lipari als ein wahrer Retter ersehnt werden und mit der Zeit in Neapel am königlichen Schlosse kein Stein mehr auf dem andern bleiben –! sagte sie voll Zorn.

Hubertus entgegnete in leidlichem »Campanisch« auf diese unausgesetzten Verwünschungen, die schon Marietta's Weinen und Scagnarello's loyalste Proteste zur Folge hatten: Beim heiligen Hubert, meinem Schutzpatron! Frau, ich kann Euch versichern, daß ganz San-Giovanni und wer anders noch von damals am Leben ist, sich freuen wird, Euch und die kleine Marietta zu sehen. Euern heiligen Bruder nehm' ich nicht aus, wenn ich auch zweifle, daß Eure Hoffnung, ihn als Pfarrer in San-Spiridion nach Nocera zu bekommen, so bald in Erfüllung geht, zugleich auch, ob dies grade seinen Wünschen entsprechen wird! Indessen beruhigt Euch! Ei, so weint doch nicht! Ich will Euch sagen, wie es ist . . . Ich hätte gute Freunde und Gönner – sagt man? Nun, das San-Officio in Neapel war sackgrob – Aber gut – ich fand immer, die Leute sind geneigter, uns Gehör zu geben, wenn sie grob sind. Leider, leider – kann ich dasselbe nicht vom Ohr und Mund Sr. Majestät, Monsignore Celestino, sagen. Der war artig! Dem mußt' ich 44 haarklein erzählen, was seit Jahr und Tag hier in diesen Bergen vorgegangen ist! Und wenn ich jetzt so schlummerköpfig nachdenklich bin, so ist es blos, weil ich, aufrichtig gesagt, meine Erzdummheit bereue –! Ich ging auf alle seine Artigkeiten ein. »Gut! Gut! Das freut mich! Um so besser! Und was wünschen die guten Brüder von San-Firmiano?« Ich Tropf! Das hätt' ich mir doch sagen sollen, daß es mit all diesen Süßigkeiten nur bitter stand –! Wir Brüder haben in San-Firmiano um nichts gebeten, als um was die Hechte bitten, wenn in einem Teiche ihrer zu viel sind. Laßt Euer Licht leuchten vor den Leuten! hat schon unser allerheiligster Erlöser gesagt – und nur deshalb sehnen sich unsere Gefangenen von San-Firmiano in ihre Klöster und Pfarreien zurück, um zu zeigen, daß sie nun aus Wölfen gute Hirten geworden sind. Seht nun, das alles hab' ich in Neapel vorgetragen; aber ich bereue es! Ich hätte lieber von unsern Tugenden schweigen – Ei was! Bei alledem kann ich mich irren! Es ist im Namen unsres heiligsten Erlösers garnicht unmöglich – wir finden in San-Firmiano fröhliche Gesichter und Euer edler Bruder lacht, wenn er morgen früh – eher rath' ich nicht bei unserm Kloster anzupochen – die Ueberraschung hat: Gelobt sei Jesu Christ! von seiner Schwester zu hören und gar von der Kleinen da – wie heißt sie? Alles heißt hier Marietta . . . Kommt denn von Euch auch nicht einmal Einer – auf andre Namen beim Taufen – zum Exempel Hedwigis –?

Diese Worte waren so gutmüthig, endeten mit einem so elegischweichen Tone, daß Rosalia Mateucci der wohlthuenden Wirkung derselben sich nicht entziehen konnte. Sie sagte: Bei San-Gennaro! Hat denn San-Gio jetzt gar die neue Beleuchtung von Neapel –! Seht, wie hell es da liegt! – Nun lachte sie schon selbst freudiglich.

Scagnarello fand die Aufnahme des Mönches beim Erzbischof 45 von Neapel ebenfalls keinesweges so bedenklich und im Gegentheil außerordentlich schmeichelhaft. Nun versteh' ich, sagte er, warum die Leute Recht haben, wenn sie sagen, daß sogar Se. Heiligkeit in Rom ein alter Freund und Bekannter von Euch ist und Euch schon in Rußland kannte; denn unser heiliger Vater ist weit herumgekommen, zu Wasser und zu Land. Aber auch mit Recht! Habt Ihr nicht das hochheilige Erbe Petri vom Grizzifalcone befreit? Wußte denn von Euch alles das auch der Erzbischof? Hm! auch vom Kreuz – da überm Neto? Und von Eurem – feurigen Hunde?

Auf den ich Euch manchmal aufbinden möchte! schnitt Hubertus die neugierige Rede ab. Was schlagt Ihr nur so grausam auf Euern armen Pepe! In Spezzano, vor Eurer Abfahrt nach Cosenza, da konntet Ihr ihm gewiß schmeicheln! Da nanntet Ihr ihn gewiß: Pepito! Mein zuckersüßes Brüderchen! Unterwegs aber und gar am Ziel da wird alles vergessen! Der Gerechte erbarmt sich auch seines Viehs und Wort halten muß man jedermann – selbst seinem Maulesel! Ein alter Jäger weiß ich, daß im Wald und auch draußen in der Welt unsere besten Freunde – wie oft – nur unsere Pferde und unsere Hunde sind –!

Hubertus sprach voll Scherz, aber auch voll Wehmuth und hörbaren Anklangs an einen Gegenstand, der ihn rührte – Doch kam er nicht auf den Hund zurück. Im Gegentheil zeigte er Rosalien die sich jetzt ein wenig öffnende Gegend, an deren östlicher und walddunkler Grenze, dicht unter den glänzendsten Sternbildern, eine schwarze Thurmspitze in die Höhe ragte – das Kloster San-Firmiano.

San-Giovanni war erreicht. Ein Bergflecken, wo sich vor Jahrhunderten einige Menschen um einige halbzerstörte Thürme der Normannenzeit angesiedelt und einige hundert Nachkommen hinterlassen haben, die keinen Anblick mehr für Götter bieten. Aber 46 ein Maler hätte darum doch seine Lust an diesem Städtchen gehabt. Die Thurmmauern ragten von Epheu überwuchert. In riesiger Ausdehnung spazierte der immergrüne Kletterer bis auf die Felsen hernieder und an diesen wieder, wie eine einzige Wiese, entlang bis zu den rauschenden, sich hier vereinigenden Gewässern des Neto und des Arvo. Ein viereckiger Glockenthurm der Kirche war der Mittelpunkt einiger im wirren Durcheinander von den beiden Wildbächen sich aufdachenden sogenannten »Straßen«.

Nun erst entdeckte man, warum es scheinen konnte, als wäre in San-Gio die Gasbeleuchtung eingeführt. Schon in einiger Entfernung hörte man die beim Morraspiel üblichen, sonst in San-Gio nie so laut vernommenen Flüche und Verwünschungen. Auch deutsche Laute wurden hörbar. Pechkränze und Bivouakfeuer loderten auf. Auch San-Giovanni war von Soldaten überfüllt.

Hubertus sah das voll äußersten Erstaunens, sprang vom Wagen und eilte auf den Marktplatz.


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