Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VII. Buch
Karl Gutzkow

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124 10.

Kommen Sie aus der Schweiz? fragte aus dem Dunkel heraus eine heisere rauhe Stimme und das menschliche Wesen, dem die Stimme angehörte, entwickelte sich erst allmählich seinem Auge als eine Frau. Ich will Sie dem Herrn anmelden, lautete die seinem Schweigen folgende Rede.

Ein Schlorren, ein asthmatisches Keuchen folgte, ein langes Verhallen der Schritte. Diese Räume schienen endlos zu sein.

Es ist geschehen! sprach Benno zu sich selbst und sagte fast hörbar: Also nur die aus der Schweiz Kommenden erkennt man an diesem Losungswort, das ich von den Bandiera weiß!

Benno zog sein Portefeuille, um das Zeichen des Phönix zur Hand zu haben. Auch ihm hatten die Flüchtlinge, die sich in Robillante in allerlei Verkleidungen weiter kommen zu können an ihn wandten, ein solches Zeichen entgegengehalten.

Wenn die ohne Zweifel in diesem Augenblick hier versammelte Verschwörung entdeckt – wenn er selbst mit den Mitgliedern derselben aufgehoben würde! Die Zerrüttung seines Innern, die Hoffnungslosigkeit seiner Seele sah darin kein Unglück mehr.

Beim Suchen nach dem Portefeuille fand Benno ein Mittel, sich Licht zu machen. Nach italienischer Sitte führte er ein Streichfeuerzeug bei sich. In den finstern großen Häusern 125 Italiens hilft man sich auf diese Art gegen den fast überall stattfindenden Mangel an Beleuchtung. Kleine brennende Wachsenden reichen dann aus für jeden zu erkletternden vierten Stock.

Benno sah eine Halle, die in einen gedeckten und überbauten Hof führte. Da hingen alte Bilder an den feuchten Wänden. Sollte hier die Tiber zuweilen so weit austreten, um die Häuser überschwemmen zu können?

Er unterschied nun die mit einer Lampe zurückkehrende Alte. Sie war gekrümmt und schien aus dem Reich der Nacht zu kommen. Mit der Lampe den Fremdling beleuchtend, sagte sie: Der Herr soll wiederkommen –!

War dein Losungswort eine Beschwörung, die nicht kräftig genug wirkte? sagte sich Benno und überreichte sein zweites Creditiv, das Zeichen von Silberblech und eine Karte mit seinem Namen.

Die Alte nahm beides, betrachtete es flüchtig und entfernte sich wieder.

Inzwischen ging Benno in den Hof, der überbaut war. Wieder sah er einen langen Gang. Sessel standen in diesem an den Wänden; ohne Zweifel waren sie für die Clienten vom Lande bestimmt. die an jedem Markttag die Schreibstuben der Advocaten belagern. Er verglich Nück's Lage mit derjenigen Bertinazzi's. Jener der leidenschaftliche Freund der Jesuiten und allen Umtrieben derselben wie ein geheimer Verschwörer zugethan; dieser, wie er wußte, ein Angehöriger der Familie jenes Ganganelli, der als Papst die Jesuiten aufgehoben hatte, und fortwirkend im Geist seines Ahnen. Das System der Menschen- und Lebensverachtung mußte bei beiden das gleiche sein.

Die Alte kam wieder zurück und winkte nun schweigend. Sie zeigte nach hinten, kehrte noch einmal in den Hof und zur Pforte um, die sie mit einem eisernen Querbalken verschloß, und 126 bedeutete Benno, der bei einer Stiege angekommen war, diese nicht zu betreten, sondern auf eine Thür zuzugehen, die sie öffnete. Es war eine jener südlichen Matronen, wie sie die Freude eines Balthasar Denner gewesen wären, des Runzelnmalers.

Durch einige mit Büchern und Landkarten gefüllte Zimmer hindurch kam Benno an eine Treppe, die er ersteigen mußte, um endlich bei dem unter den Römern hochberühmten Doctor der Rechte Clemente Bertinazzi einzutreten. Dieser trat ihm lächelnd entgegen. Benno fand einen langen, hagern Mann. Der Ausdruck seiner Gesichtszüge war jene fanatische und träumerische Beharrlichkeit, die sich zunächst als mathematische, oft pedantische Strenge zu geben pflegt. Ebenso verband sich auch bei Luigi Biancchi, dem armen Gefangenen von Brünn, die Pedanterie mit Schwärmerei, ebenso leidenschaftlich war in seiner träumerischen Welt der trockene Püttmeyer. Diese Menschen wußte Benno unterzubringen. Sie hatten nicht die Schönheit der Willensäußerung, die Grazie der Lebensformen Bonaventura's; doch war der feste und beharrliche Sinn derselbe. Bertinazzi hätte in seinem langen Hauskleide, das ihm bequem um die magern Glieder hing, ebenso einen alten Geizhals darstellen können, der über seinen Schätzen wachte und sich nächtlich mit einer alten Dienerin in diesem weitläufigen Hause ängstlich abschloß. Doch die allmählich erglühende Kraft seiner Augen verrieth edlere Eigenschaften. Bald sah Benno, daß dem Manne über seinen Augen und den untern Anfängen seiner Stirn ein eigenthümlicher Flor lag, jener geistige unbestimmte Dämmer, der sich vorzugsweise bei mystischen Naturen findet.

Endlich, endlich, Signore d'Asselyno! sagte der Advocat und streckte dem Ankömmling die rechte Hand entgegen zum traulichen Gruße und zugleich den Eindruck prüfend, den ihm der junge Mann in Gestalt und Haltung machen würde.

127 Benno d'Asselyn! erwiderte dieser bestätigend und legte seine Hand in die des Advocaten.

Warum kommen Sie erst jetzt? Ich weiß von Ihnen schon seit lange über Malta her, wo sich die Brüder Bandiera für Sie verbürgt haben! Man hat Sie dort verdächtigen wollen. Allerdings kann man Ihre Beziehungen zu unsern Tyrannen zweideutig finden. Ich hörte aber, Sie lernten unsere Machthaber in Wien kennen und da dachte ich: Um so besser, wenn Sie diese Menschen beobachten. Ich vertraue jeder Bürgschaft, die uns von den Bandiera kommt!

Kennen Sie meine Freunde persönlich? sprach Benno noch in Befangenheit und ausweichend.

Das nicht, erwiderte Bertinazzi und zog, um das Bild eines alten Garçon zu vervollständigen, eine Tabacksdose. Aber ich habe Ursache von Ihnen das Beste zu denken. Ja auch sonst hab' ich das Princip gehabt, fuhr er schnupfend und von unten her Benno musternd fort, nicht zu weise sein zu wollen. Die Verschwörer, die überall Spione wittern, haben nie mein Vertrauen gehabt. Haben Sie noch ein drittes Erkennungszeichen außer dem Gruß und dem Phönix?

Benno verneinte.

So gehören Sie den Vertrauten an, nicht den Wissenden!

Die Zahl dieser Vertrauten, wußte Benno, war in Italien so groß, wie bei uns die der Freimaurer.

Sind die Wissenden die oberste Spitze? fragte er.

Die oberste noch nicht! entgegnete Bertinazzi. Sie haben durch den Phönix den zweiten Grad – den vorbereitenden – und vielleicht gar ohne Schwur. Die Wissenden sind erst der dritte. Der vierte sind die Leitenden. Erst der fünfte ist der höchste. Das ist der Grad der Namenlosen. Zu diesem gehör' ich nicht einmal selbst und weiß kaum, ob in Rom ein »Namenloser« existirt.

128 Diese Organisation kann sich halten und wird nicht verrathen? fragte Benno – unwillkürlich der Worte Ceccone's – über seinen Mörder gedenkend.

Sie kann in einzelnen Theilen verrathen werden und wird es auch, antwortete Bertinazzi. Aber die Theile sind nicht das Ganze. Auch noch nicht auf dem Standpunkt der Wissenden kennt einer den andern. Derjenige, der wie ich den Grad der »Leitenden« hat. kennt immer nur zwölf Wissende. Diese, die eine Loge bilden, sind sich untereinander selbst völlig unbekannt. Die Gruppe, zu der Sie gehören, ist groß und an Vertrauten mögen wir wol in Rom allein dreitausend haben. Der erste Grad vollends, derjenige, der die Losung kennt, ist dem Verrat am meisten ausgesetzt. Sie werden genug Priester und Verdächtige in diesen Reihen finden. Ich würde Ihnen auch noch auf den Phönix nicht Gehör gegeben haben in so später Stunde, wenn ich nicht glaubte, daß Sie irgendeine wichtige Sache zu mir führte. Weiß man in den hohen Kreisen, daß in diesen Tagen –

Der Advocat hielt forschend inne.

Ich beunruhige mich über das Schicksal der Brüder Bandiera, sagte Benno. Man erwartet ihren Einfall. Wann findet er statt?

Bertinazzi's Miene drückte eine Verlegenheit über diese Frage aus. Er sagte: Für solche Dinge haben Sie den Grad noch nicht – Dann aber und gleichsam, um seine Ablehnung zu mildern, kam er auf Benno's Lebensverhältnisse . . . Seltsam – Sie werden, hör' ich, von der Unseligen, der kleinen Fürstin Rucca gefesselt! Nun, nun – Sie sind jung und pflücken die Kirschen, wo sie reif sind. Von Geburt sind Sie ein Deutscher . . .

Meine Mutter ist eine Italienerin.

129 Gut – gut –! Und Sie bringen nichts, was mit Ceccone – Fefelotti – Rucca oder irgendeinem unserer Tyrannen zusammenhängt?

Benno schwieg.

Einige Zimmer weiter schien laut gesprochen zu werden. Ohne Zweifel hatte Benno die Loge unterbrochen und störte nur Bertinazzi. Dieser nahm dann auch eine Lampe vom Tisch und sagte aufhorchend und mit ausweichender Miene: Ich habe mich gefreut – Sie besuchen mich wieder?

Auf Benno's Lippen brannten die Fragen: Befindet sich hinter jenen Wänden nicht jetzt die Loge –? Wer war jener schwarze Todtenbruder? Was hab' ich zu thun, um die Stunde des beabsichtigten Aufstands zu erfahren?

Natürlich, daß seine Erwägung diese Fragen unterdrückte.

Aber sein Zögern gab dem Advocaten Veranlassung, leicht die Worte hinzuwerfen: Treten Sie in den dritten Grad! Sie schwören, die Unabhängigkeit und Freiheit Italiens mit jedem Mittel zu fördern, das von den Führern Ihnen vorgeschrieben wird!

Auch mit dem Morde –? sagte Benno nach einiger Ueberlegung.

Das ist der vierte Grad!

Zu dem Sie gehören? wallte Benno auf.

Der vierte Grad anerkennt nur zuweilen die Nothwendigkeit des Todes für Verräther und Tyrannen. Erst der fünfte Grad vollzieht ihn. Ich sagte schon, ein »Namenloser« befindet sich vielleicht in diesem Augenblick weder in Rom noch in Italien.

Ceccone weiß, daß ihn ein Verschworener tödten soll! sagte Benno.

Bertinazzi horchte auf, schüttelte dann den Kopf und sagte: Das spricht nur aus ihm die Furcht! Sein Tod ist, 130 meines Wissens, noch von niemand beschlossen worden. Er hat Feinde, die der sonst Allwissende vielleicht an seinem eigenen Busen nährt. In Italien sterben die Menschen zuweilen, etwa wie bei der Cholera, aus gelegentlichem Versehen. Ja, er soll sich in Acht nehmen. Aber nun bitt' ich – mich in der That zu entschuldigen. Ich habe mich gefreut, daß Sie an uns dachten –! Wirken Sie in Ihrem Kreise durch die Gesinnung, soviel es geht und – verweilen Sie nicht zu lange in ihm! Man könnte Sie doch falsch beurtheilen wie schon einmal in Malta geschehen.

Benno's Blut ließ sich nicht mehr beruhigen.

Wann landen die Brüder Bandiera –? sprach er mit drängender Hast.

Bertinazzi zuckte die Achseln und erwiderte: Darüber – muß ich schweigen.

Die Landung wird in Porto d'Ascoli stattfinden . . .

Haha! erwiderte Bertinazzi. Das erwartet Ceccone –?

Der Advocat stand von plötzlichem Zorne geröthet. Ein krampfhaftes Zucken glitt über die Züge seines Antlitzes. Doch Sie verstehen meinen Unwillen nicht – beruhigte er Benno und zugleich sich selbst. Die Loge erwartet mich. Bleiben Sie treu der Gesinnung, deren mich zwei edle Menschen von Ihnen versichert haben. Und in allem Ernst – theilen Sie mir aufrichtig die Gefahren mit, die uns von den Tyrannen drohen, wenn Sie dergleichen durchschauen . . . Für heute nun – gute Nacht!

Benno hielt den Arm des Advocaten, der ihm freundlich hinausleuchten wollte. Ein fernes Geräusch, das aus der Loge gekommen sein mußte, fesselte seine Aufmerksamkeit. Warum nur wallte Bertinazzi so auf über die Erwähnung jenes Hafens an der adriatischen Küste? Alle Verwickelungen seines vergangenen, seines künftigen Lebens sah Benno in einem einzigen Augenblick wie mit magischer Helle. Durch ein Verbrechen geboren, geboren 131 ohne einen Vater, auf den er sich mit Ehren berufen konnte, ohne eine Mutter, die sorglos sich die seine nennen durfte, gehegt, gehütet von Frauen, von Priestern, hatte er eine Einwurzelung im deutschen Leben um so weniger finden können, als auch daheim die Knechtschaft waltete. Alles, was in Deutschland damals rang und zum Lichte strebte. war in diesem Augenblick sein Bundesgenosse. Deutschland wollte von demselben Geiste, dessen Consequenzen Italien gefesselt hielten, frei sein. Von Italiens Tyrannen gingen die Bannflüche über Freiheit und Aufklärung in die Welt hinaus. Drei Gestalten traten ihm schon immer aus der Geschichte vors Auge – sie lebten und wirkten gleichzeitig: Friedrich Barbarossa, der Kaiser – Hadrian IV., der Papst – Arnold von Brescia, der Tribun von Rom. Wer sollte nicht die Größe des Hohenstaufenkaisers bewundern – und doch schloß Barbarossa Frieden mit Hadrian, mit seinem wahrhaften Feinde, und überlieferte ihm zur Besiegelung eines Actes der Falschheit, den der nächste Augenblick zerriß, einen der edelsten Menschen, einen Schüler Plato's, Petrarca's, einen Weisen, der nach langen Irrfahrten in Frankreich und auf dem Boden der Schweiz elf Jahre lang Rom ohne die Päpste regierte, die Kirche verbesserte, der Vorläufer der Waldenser und der Reformatoren wurde. Barbarossa sah mit seinen bluttriefenden Söldnerscharen den Scheiterhaufen auflodern, womit sich, unter dem schützenden Banner des deutschen Adlers, Hadrian an seinem geistigen Todfeind rächte. Unsere Zeit kann nicht mehr mit Friedrich Barbarossa, sie muß mit Arnold von Brescia gehen. Auch Benno's Vater war kein Ghibelline – er war ein Welf, aber im schlechten Sinne. Wie der Kronsyndikus wollte sich Benno nicht zu Roß schwingen und die eigene Fahne und die Freiheit seiner Hufe wahren im Geist Heinrich's des Löwen, vor dem einst Barbarossa kniete und vergebens um Hülfe bat. Auch der welfische Geist Klingsohr's 132 war nicht der seine. Er wollte die Vernichtung des Ichs zum Besten des Allgemeinen. Die Form der Freiheitsthat, das lehrten die Bandiera, ist in unsern Tagen die Verachtung der materiellen Welt. Diese, die nur anerkennt, was in Glanz und Würde steht, diese, den Widerschein der regierenden und mit momentaner Macht ausgestatteten Thatsachen in hohler Gesinnung liebedienerisch auch auf sich zu lenken suchend, diese für äußerstes Unglück haltend, gehässig gekennzeichnet zu werden durch den Widerspruch mit dem Gegebenen, hatte Benno längst schon verachten lernen. In diesem einen magischen Augenblick hörte er eine himmlische Musik der Ermuthigung. Boten des Friedens schwebten über die Erde und retteten ihn von allen Folgen seiner falschen Stellung – retteten ihn vor den Schrecken – vielleicht des nächsten Tags. Bonaventura war unter diesen Seligen – Bonaventura, umringt von den Erfüllungen seiner Träume, den Tröstungen seiner Klagen. Was in so vielen stillen Nächten von Robillante nur von des Freundes beredten Lippen gekommen, schien in himmlischen Gestalten verkörpert zu sein. Bertinazzi's erwartungsvoller Blick sagte: Ich rette dich vor dir – vor Olympien – vor dem geistigen Tode –! Und fändest du auch den wirklichen, wäre er nicht besser als solch ein Leben –? Benno entschloß sich, nur noch Italiener zu sein und der Revolution den Schwur des dritten Grades zu leisten.

Wenn Bertinazzi über diese Erklärung lachte, so war es ein Lachen ohne Falsch. Es war nun das Lachen über einen erwarteten und zutreffenden Erfolg. Er hob von der Wand über seinem Schreibtisch einen Spiegel und stellte ihn auf die Erde. Dann drückte er auf die scheinbar leere Wand. Sie öffnete sich. Benno sah einen Schrank mit verschiedenen Schubfächern. Das sind die Acten meiner Loge! sagte Bertinazzi und ließ Benno in Papiere, die mit allerhand mystischen Zeichen beschrieben waren, einblicken. 133 Ohne Zweifel waren letztere eine Chiffreschrift, die ohne den dazu gehörigen Schlüssel nicht gelesen werden konnte. Den Schlüssel behauptete Bertinazzi in seinem Kopf zu tragen – nur mit diesem allein würde man seine Geheimnisse entziffern. Die Handbewegung auf seinen Kopf als Preis der Eroberung seiner Geheimnisse war der Ausdruck höchster Entschlossenheit.

Benno sah in den Fächern einen leeren Raum, der künftig seinem Schicksal bestimmt sein konnte. Bertinazzi schrieb verschiedene Adressen auf, die ihm Benno gab und wieder andere, die dieser für Mittheilungen an ihn empfing. Dann verbrannte er vor Benno's Augen alles, was Benno selbst geschrieben hatte, auch seine Visitenkarte. Hierauf legte er ihm das Formular eines Eides vor und gab ihm als Erkennungszeichen des dritten Grades einen gußeisernen Ring, den er auf den kleinen Finger der linken Hand Benno's anpaßte mit den Worten: Ein Stück der gebrochenen Sklavenkette der Welt! Ich werde Sie den Versammelten unter dem Namen Spartakus vorstellen – Auch Spartakus, der zuerst in Italien das Wort: Freiheit! ausgesprochen, war ein Fremder. Den Eid müssen Sie in der Loge selbst leisten. Lesen Sie ihn zuvor!

Benno nahm ein Papier, das ein Gelöbniß enthielt, dem »Jungen Italien« als ein »Wissender« zu dienen – mit Leib und Seele, mit Wort und That, mit der Spitze des Schwerts im offenen Kampf, mit dem Beistand bürgerlicher Hülfsmittel bis zum Betrag des vierten Theils seines eigenen Vermögens – endlich mit steter Werbung zur Mehrung des Bundes. Alles das auf die Unabhängigkeit Italiens von fremder Herrschaft, Einheit im allgemeinen, Freiheit im besondern. Die republikanische Form blieb unerwähnt. Der Eid wurde auf christliche Symbole geleistet.

Es gibt eine Partei, sagte Bertinazzi, welche den Schwur, 134 der nur allein auf den Todtenkopf geleistet werden soll, vorziehen möchte.

In Benno's Ohr klang das Wort des alten Chorherrn wieder, der ihm in Wien gesagt: Das Kreuz des Erlösers wird die Reform immer noch mittragen müssen! Auch Bonaventura dachte so. Ihm selbst waren all diese Formeln gleichgültig.

Nun erschloß Bertinazzi einen andern Schrank und nahm ein Hemd der Todtenbrüderschaft heraus, ein weißes, dazu eine gleichfarbige Kopfverhüllung – nur mit zwei Oeffnungen für die Augen und einer für den Mund. Nehmen Sie diese Kleidung! sprach er. Legen Sie sie inzwischen an! Wenn Sie eine Klingel hören, treten Sie in diese Thür, durch welche ich Sie jetzt verlasse, um in die Loge zu gehen. Sie haben Zeit genug, sich umzukleiden. Niemand wird Sie erkennen. Ich führe Sie unter dem Namen »Spartakus« ein.

Bertinazzi ging und ließ Benno allein.

Benno legte die Tracht an – sie erschien ihm – sein Todtenhemd. Der Schlag der Stunden von den Thürmen klang nicht so geheimnißvoll, wie der leise, singende Ton einer Pendeluhr über dem Spiegel, den Bertinazzi wieder an seine alte Stelle gehängt hatte.

Ob du deinen Begleiter von der Tiber finden wirst? dachte Benno und sah seine völlig unerkennbare Gestalt im Spiegel. Es war ihm, als gliche er erst jetzt dem Hamlet, erst jetzt dem Brutus. Er schöpfte Muth – nicht blos für den nächsten Augenblick, sondern für morgen, für alles, was die Zukunft in ihrem Schose trug.

Die Klingel erscholl. Benno öffnete die Thür. Anfangs nahm ihn ein Gemach auf, das des Advocaten Schlafzimmer schien. Ein grünseidener Vorhang trennte den kleinen Raum in zwei Theile. Eine Lampe zeigte ihm die Thür, die er noch mit 135 seinem flatternden Kleide zu durchschreiten hatte. Vor seinem gespenstischen Bilde, das ihm ein anderer Spiegel zurückwarf, erschrak er selbst.

Nun betrat er einen hellerleuchteten Saal, wo um einen Tisch, auf dem sich ein Crucifix, ein Todtenkopf und ein Rosenkranz befanden, auf Stühlen im Kreise eine Anzahl der wunderlichsten Gestalten saß. Alle, die Benno das Haus hatte betreten sehen: Todtenbrüder, wie er selbst, Mönche in Kutten, einige als Bettler, andere als Kohlenbrenner, die Unverhüllten mit schwarzen Masken. Bertinazzi war allen erkennbar in seiner gewöhnlichen Haustracht geblieben.

Schwarze Todtenbrüder erblickte er zwei. Benno konnte den, mit welchem er über die Tiber gefahren war, nicht sogleich von dem andern unterscheiden.

Bertinazzi begann, man möchte das Omen nicht übel deuten, daß sie ihrer dreizehn wären. Der vierzehnte fehle einer Reise wegen. Doch auch unser Spartakus – wandte er sich zu Benno – ist vorurtheilslos genug, einen Aberglauben zu verachten, der nur die Thoren schrecken kann.

Benno konnte sich nicht von dem Eindruck dieser Voraussetzung bei den Genossen des nächtlichen Rathes überzeugen. Ihre Mienen blieben ihm verborgen.

Inzwischen hatte er sich gerade einem Sessel gegenüber gesetzt, auf welchem er die äußere Gestalt des Todtenbruders zu erkennen glaubte, mit dem er über die Tiber gefahren. Dieser selbst konnte nicht im mindesten annehmen, daß ihm gegenüber sein Mitpassagier saß. Bertinazzi hatte niemand sagen dürfen, wer Spartakus war.

Den Schwur leistete Benno, indem er sich an den Tisch stellte und die ihm schon bekannten Worte, die ihm von Bertinazzi jetzt noch einmal vorgesagt wurden, mit einem Ja! bekräftigte. 136 Das Kreuz war ein Symbol der Leiden, die man für seine Ueberzeugung nicht abzulehnen gelobte; der Todtenkopf drückte die Verachtung jedes Erdenlooses aus, falls die gemeinschaftlichen Hoffnungen scheitern sollten; der Rosenkranz bezeichnete all die Freuden, die im Siege der Freiheit lägen. Auch die Bewillkommnung durch die übrigen sprach Bertinazzi vor und überließ den Anwesenden nur die Bekräftigung durch ein Ja!

Die nächste Verhandlung knüpfte sich an einen während Bertinazzi's Abwesenheit ausgebrochenen Streit. Diese Männer schienen nicht mehr das volle Bedürfniß zu haben, sich gegenseitig unbekannt zu bleiben, obgleich die Masken und Umhüllungen die Stimme dämpften und veränderten. Man sprach nach dem Act der Aufnahme eines neuen Mitgliedes lebhaft durcheinander. Kaum eingetreten, sah Benno in der Einheit schon die Verschiedenheit. Die schönen italienischen Laute wurden mit Reinheit gesprochen, ein Beweis für die Bildung der Genossen. Der Gedanke an den Fürsten Corsini kehrte Benno wieder. Er erwartete die Stimme zu hören, deren Klang er nicht vergessen konnte.

Aber die schwarzen Todtenbrüder Benno gegenüber enthielten sich ihrerseits des Austausches der Meinungen, die über manches nicht die gleichen waren, ganz wie schon Bertinazzi angedeutet hatte. In der That schien man über die Brüder Bandiera gesprochen zu haben. Benno glaubte von einer Aenderung der Pläne der Brüder zu hören. Mehrfach wurden die Jesuiten genannt.

Ein wie ein Kohlenbrenner Gekleideter und demnach wol ein alter Carbonaro stieß einen Stab auf den Fußboden und sagte, die Maske nur lose mit der Hand haltend: Und noch gibt es Stimmen, die das Heil Italiens, ja der Welt von Rom erwarten? Diese dreifache Tiara soll der Friedens- und 137 Freiheitshut der Völker werden? Die Schlüssel Petri sollen die Zukunft der Menschheit erschließen? Ehe nicht der letzte Beichtstuhl der Peterskirche verbrannt ist, kann über die Erde kein Friede kommen –!

Wie immer schüttet Ihr das Kind mit dem Bade aus! hieß es unter einer der mehreren, diese Meinung abwehrenden Kapuzen.

Und Ihr könnt Euch nicht trennen von dem Blendzauber euerer Theorieen! fuhr der Kohlenbrenner fort.

Sagt vielmehr, nicht von den Beweisen der Geschichte! erwiderte sein Gegner.

Das Vergangene! sprach der Kohlenbrenner erregter. Ha, die Abendröthe ist schön, sie verklärt zuweilen einen stürmischen Regentag; aber sie geht der Nacht voran. Wo Ihr hinseht, leidet die Menschheit an der Macht und an dem Einfluß, den sie noch dem römischen Zauberwesen gestattet! Von dem Tag an, wo sich ein einziger Bischof über die Rechte der andern erheben konnte, gestützt auf das alte Ansehen Roms und auf so manche Fälschung, welche der Uebermuth damals schon wagte, hat das Christenthum seine Segnungen für die Menschheit verloren. Was die Christuslehre der Menschheit brachte, ist allmählich für unsere Zeit wie Lesen, Schreiben, Rechnen ein Erforderniß der allgemeinen Bildung geworden; die Institutionen, die uns die Herkunft dieser Bildung, ewig ihre erste Geburt gegenwärtig erhalten wollen, sind das Verderben der Jahrhunderte. Einen Hirten empfehlt Ihr mit Wölfen statt treuer Hunde? Einen Hohenpriester mit Scheiterhaufen und Schaffoten? Wir Römer, wir gerade müssen die Welt zum dritten mal erobern, erobern durch die Vernichtung der Hierarchie! Durch einen einzigen Messerschnitt müssen wir vollbringen, was Europa durch Tausende von Büchern, Kathedern, Kanzeln nicht hervorbringen konnte! Wir kennen das Papstthum nur als eine weltliche Behörde; als solche 138 muß sie fallen; mit ihr fallen müssen die Cardinäle, die Generale der Orden, die höchsten und mittelsten und untersten Spitzen dieser Anstalten der Verdunkelung – erst dann ist die christliche Welt erlöst! Kommt uns nicht diese Losung von unsern Obern, so ist alle Mühe vergebens! Ihr seht's an der ruchlosen Intrigue von Porto d'Ascoli –

Benno konnte die leidenschaftliche Rede nicht mit der ihm auf der Lippe schwebenden Frage unterbrechen, was in Porto d'Ascoli geschehen wäre. Mehrere Stimmen riefen durcheinander: Sie wird kommen!

Sie wird kommen und ihr Erfolg wird dennoch ausbleiben! sprach zur Widerlegung des Kohlenbrenners mit einer feinen, eleganten Betonung eine andere Maske, deren äußere Tracht einen Kapuziner vorstellte. Ist der Sitz des Papstthums nicht schon einmal in Avignon gewesen? War nicht Napoleon der Schöpfer eines weltlichen Königthums von Rom? Mit je größerer Demüthigung die dreifache Krone getragen wird, mit desto hellerem Heiligenschein umgibt sich die Theokratie. Die Menschheit sieht nun einmal im Papstthum einen zum ersten Königsrang Erwählten aus dem Volke und kehrt immer wieder darauf zurück. Sie sieht einen Monarchen, den nur seine Tugenden auf den Thron beriefen. Sie hat an ihm einen Beistand gegen die Mächtigen der Erde. Napoleon ras'te gegen Pius und Pius sprach ruhig: Du Komödienspieler! Als Napoleon noch heftiger tobte und mit dem Aeußersten drohte, sagte er noch verächtlicher, wenn auch mit gesteigertem Schmerz: Du Tragödienspieler! Wenn den Papst der Despotismus tödtet, so bietet er ruhig die offene Brust; der Begriff lebt wieder auf in seinem Nachfolger. Aendert die Gesetze Roms, bessert die Sitten, laßt den apostolischen Stuhl theilnehmen an allen Fortschritten der Zeit, macht unmöglich, daß die Greuel von Porto d'Ascoli die Kunst des 139 Regiments in Italien heißen und wieder ein Segen kann der Menschheit werden, was man jetzt nur zu voreilig ihren Fluch nennt!

Benno staunte der Dinge, die in Porto d'Ascoli vorgefallen sein mußten. Wenn er nun auch zu fragen gewagt hätte – so war die Aufregung der Streitenden ein Hinderniß. Sie war zu groß geworden.

Ich höre die träumerische Weisheit eures gemäßigten Fortschritts! sprach der Kohlenbrenner von vorhin.

Und von den beiden schwarz verhüllten Leichenbrüdern fiel der eine jetzt, ihn unterstützend, ein: So habt ihr seit dreißig Jahren für die Freiheit Italiens declamirt, geschrieben, gedichtet, gewinselt, gebetet! Das sind die frommen Wünsche eurer freisinnigen Barone, eurer aufgeklärten Bischöfe! Da soll das Weihwasser nur von unreinen Bestandtheilen gesäubert, der Katholicismus nur wahrhaft zu einem Liebesbund der Menschheit erhoben werden. Und in dieser Gestalt behaltet ihr alles, was ein Fluch der Menschheit geworden ist! Ihr behaltet die Gebundenheit der Gewissen, die Gelübde, die Unfreiheit des menschlichen Willens – alles, wovon eine kurze Weile die Praxis einen milden Sonnenschein verbreiten kann, aber auf die Länge wird alles wieder wie die schwarze dunkle Nacht werden! Ihr wollt die Hierarchie, Rom und die Cardinäle – nur nicht die Jesuiten mehr? Werdet ihr die allein ausrotten können? Wodurch? Durch ein Verbot? Wenn alles übrige bleibt? Hat das Zeitalter der Aufklärung, hat Voltaire sie ausrotten können? Ich spreche nicht von dem Gift, an dem ein Ganganelli starb; ich spreche von jener List, die aus Wölfen Schafe machte, von jener List, die sich der Menschheit so unentbehrlich zu geben wußte, daß sogar die aufgeklärtesten Staaten, Borussia unter Friedrich, Russia unter Katharina, die Jesuiten als Lehrer beriefen! Sie sind unvertilgbar durch das 140 Princip der Wissenschaft, dessen Lüge sie als Fahne aufstecken. Ob sie nun diesen oder jenen Namen tragen, sie bleiben unvertilgbar, solange überhaupt unsere Kirche besteht! Diese katholische Kirche, unter deren heiligster Oriflamme Menschen wie Grizzifalcone für den Bestand des apostolischen Stuhls wirken durften!

Der Sprecher war nicht der Mitpassagier von der Tiber gewesen. Nun war es also der, welcher fortdauernd schwieg. Brütend sah dieser vor sich hin, blieb unbeweglich und zog nur zuweilen seinen Fuß in die schwarze weite Umhüllung zurück und streckte ihn dann wieder vor. Letztere Geberde wiederholte sich, je lebhafter der Streit wurde.

Wollt ihr deshalb die katholische Kirche zerstören? riefen mehrere Stimmen auf einmal.

Eine andere setzte hinzu: Sie ist wenigstens dem Italiener nicht zu nehmen. Schreibt das nach London, wo man glaubt uns protestantisch machen zu können!

Wer will das? riefen andere Stimmen und unter ihnen aufs heftigste die des Kohlenbrenners.

Der Italiener, fuhr der letzte Sprecher für die Kirche fort, ist und bleibt Katholik. Ich sage nicht: Geht und seht das Volk sich beugen vor einer Mumie, die es anbetet! Geht und seht den Aberglauben, der die Stufen der heiligen Treppe mit den Knieen hinaufrutscht! Seht, sag' ich nur, den Schmerz, der sich einer ganzen Stadt bemächtigen konnte, als ihm ein geliebtes Marienbild abhanden kam! Ich finde den Aberglauben überall, selbst bei Sokrates, der an seinen Dämon, selbst bei Voltaire, der an sich selbst glaubte. Nicht an sich selbst zu glauben, das ist der Katholicismus, der unausrottbar ist, solange das Christenthum die Lehre von einem Mittler zwischen Gott und dem Menschen aufstellt. Hat Italien irgendeinen politischen Reformator gehabt, den ihr euch ohne Verehrung vor dem Mysterium der 141 Messe denken könnt? Selbst Savonarola war kein Huß und kein Luther. Der frostige Gedanke des Zweifels konnte nie die Oberherrschaft über Gemüther gewinnen, die nur Phantasie und Leidenschaft sind. Und wo sich nun der Katholicismus nicht ausrotten läßt, da –

Da ließe sich nicht die Hierarchie ausrotten? riefen andere Stimmen. Das bestreiten wir!

Rom ist das reine Priesterthum – fuhr der Vertheidiger der Hierarchie fort und ließ sich nicht irre machen. Rom kann der Duft, der höchste Auszug des katholischen Priesterthums bleiben. Alles, was für die schweren Pflichten des katholischen Priesters seine Belohnung, seine Erquickung, sein Entzücken ist, ist der Blick auf die Würden, die er erklimmen kann – auf das letzte Ziel, das ihm vom Tabernakel der Peterskirche in Rom leuchtet. Die Theokratie ist kein Gedanke der Macht, der Herrschaft, kein Gedanke der reinen Aeußerlichkeit und Weltlichkeit – sie ist –

Ein Wahngebilde der Phantasten! Ein Schlupfwinkel der Räuber und Mörder! donnerte der Kohlenbrenner. Wie könnt ihr von einem geläuterten Papstthum sprechen! Wie könnt ihr den Papst an die Spitze unserer Reform stellen! Das wird vielleicht die Frauen gewinnen, die weichmüthigen Seelen, aber nie gibt es ein Fundament für die Hoffnungen Italiens. Ein Menschenalter verrinnt und wieder tauchen Ceccones und Fefelottis auf – Sie, die beiden Arme des Papstthums, die sich verschränken konnten in Thaten, wie dieser teuflische Plan gegen die Brüder Bandiera war –

Die Bandiera? sprach jetzt Benno laut und vernehmlich dazwischen.

Die streitenden Principien – den Kampf der Lehren Gioberti's und Mazzini's – verstand er, aber die gegenwärtige Veranlassung zur Erneuerung dieses Streites blieb ihm fremd.

142 Alle wandten sich. Benno war es fast, als regte sich sein Gegenüber, der zweite der schwarzen Leichenbrüder, noch lebhafter als bisher.

Aber die stürmende Rede des Kohlenbrenners übertönte alles – auch eine Antwort auf Benno's Frage. Rom bleibt so lange das Verderben der Welt, fuhr dieser fort, als seine Gestalt nicht eine rein weltliche, der geistliche Hof für immer aufgehoben wird. Ich bin im Princip für die Republik. Doch ich werde gegen sie sein müssen, weil leider sie es ist, die, auf die Massen und deren geringe Bildung gebaut, uns immer und immer wieder in Rom die Macht der Päpste zurückgeführt hat. Ich muß aus praktischen Gründen gegen sie sein. Wir müssen nach Rom ein weltliches Königthum in den Formen der Neuzeit verpflanzen. Ha, die Könige! Die, die ich so liebe, und besonders die, die mit der Lüge der constitutionellen Formen gekräftigt sind, die wissen sich auszudehnen und zu befestigen –! Das sind Schmarotzerpflanzen, die Boden und Luft brauchen und beides nur zu bald gewinnen werden –! Die pflanzen an die Stelle der geistlichen Legitimität ihre weltliche; die sorgen für ihr Geschlecht, für die, welche ihm dienen –! Wir müssen Rom einem Könige schenken, selbst wenn keiner die Hand danach ausstreckt! Wir müssen ihm den Köder unserer eigenen Freiheit bieten, die wir ihm eine Weile opfern! Ich gebe Rom an den, der das Meiste bietet und das Wenigste verlangt. Dem Türken, wenn er es begehrt! Nur nicht einem Volkstribunen, der sich bisjetzt nur noch durch den Aberglauben der Masse hat halten können und zuletzt so regiert, wie die Ceccones regierten – durch die Räuber. In hundert Jahren hat der Italiener eine Bildung und Erziehung gewonnen, dann –

Zwei Anhänger der Republik – einer darunter hatte deutlich die Stimme eines Buonaparte, den noch vor kurzem Benno 143 an Rucca's Tafel gesehen – stellten diese retrogade Wendung, die auch noch jetzt die Republik nehmen würde, in Abrede. Die Mehrzahl widersprach aber allen diesen Anschauungen. Sie blieb bei dem Glauben, daß gerade durch die dreifache Krone Italiens Zukunft am ehesten gewinnen würde. Die Fürsten böten keine Bürgschaft. Die Läuterung des Papstthums von seinen unreinen Elementen, die Sicherung einer bessern Wahl der Umgebungen des Heiligen Vaters, die Auflösung des Jesuitenordens schien der Mehrzahl die sicherste Aussicht für die Verwirklichung ihrer Hoffnungen. Ueber die nothwendige Abwehr der Fremden waren alle einig. Diejenigen, die der Hierarchie überhaupt, dem Priesterwesen und der katholischen Kirche abgeneigt waren, blieben in der Minderzahl. Und jetzt lachten alle darüber, daß in Italien besonders erhebliche Wirkungen durch Volksunterricht, Verbesserung der Schulen, die Verbreitung nützlicher Schriften zu erreichen wären.

Benno sah, daß er sich unter Männern der höheren Gesellschaft befand, die sich in der Mehrzahl noch vor äußersten Schritten hüteten. Die Idee des Papstthums möglichst von weltlichem Einflusse zu reinigen, die nächst bevorstehende Wahl auf einen Italiener voll Nationalgefühl und politischer Aufklärung zu lenken, die Cardinäle, die jetzt den meisten Einfluß hätten, unschädlich zu machen und den Volksgeist so zu beleben, daß er an allem, was zur Erhebung Italiens geschähe, ein Interesse nähme – das blieb die Losung der Majorität. Unter den Hoffnungen für die Papstwahl wurde auch Cardinal Ambrosi genannt, den freilich wieder andere eine Creatur der Intriguanten und Tyrannen nannten. La morte a Ceccone! La morte a Fefelotti! war die Schlußbekräftigung. Dieser Ausruf kam einstimmig. »Tod« drückte hier eine moralische Verurtheilung, wie unser Pereat! – keine Losung zum Morde aus.

Dennoch folgte Todtenstille.

144 Jetzt fragte Benno, was den Unwillen der Versammlung in Betreff Porto d'Ascoli's und der Brüder Bandiera veranlaßt hätte. Er hatte nicht verstellt, wenn auch leise, gesprochen.

Alle horchten dem wohllautenden Klang der Stimme des neuen »Spartakus«.

Bertinazzi nahm das Wort und sagte: Die Brüder Bandiera werden nicht in den Kirchenstaat einfallen.

Das überrascht mich! sprach Benno voll freudiger Wallung überlaut und vergessend, seine Stimme zu verändern.

Bertinazzi reichte Benno einen Brief Attilio's. Benno übersah ihn. Jede Zeile bekundete seine Echtheit.

Lest ihn! sprach Bertinazzi. Ihr seid neu in unserm Kreise und wißt nicht, wie tief Rom und die Welt, die sich noch von Rom beherrschen läßt, gesunken sind.

Benno las mit starrem Auge. Seine Hand zitterte. Ceccone, Olympia entschieden also nicht über das Leben der Freunde –?

Inzwischen ließ Bertinazzi einige Schriften circuliren und theilte an jeden ein Exemplar aus. Benno war seiner fieberhaften Erregung solange allein überlassen. Er las, daß die Lenker des Kirchenstaats gemeinschaftlich mit den Jesuiten einen Plan angezettelt hatten, demzufolge die »Verjüngung Italiens« als der Wunsch – nur der Räuber und Mörder erscheinen sollte! Grizzifalcone war ausersehen worden, dies Werk in Ausführung zu bringen.Thatsache. Bis nach London hin verzweigte sich eine falsche Fährte, durch welche die Verschwörer in die Lage kommen sollten, Bundesgenossen nur der Schmuggler und der Räuber zu werden. Man hatte vom Vatican aus eine falsche Correspondenz mit Korfu angezettelt, um das dortige Comité glauben zu machen, an der Küste des Adriatischen Meers, 145 in Porto d'Ascoli, wäre alles reif, eine Invasion zu unterstützen. Während der alte Principe Rucca nur seine Zölle im Auge hatte, richtete Ceccone seine Blicke weiter. Auch ihm war das Erscheinen des Räubers in der Hauptstadt der Christenheit willkommen. Auch seine Verhandlungen mit ihm, die gleichfalls jener Pilger geleitet hatte, bezweckten eine große Anerkennung des Reuigen. Die Liste, deren wesentlichen Inhalt er lange schon vor dem alten Rucca kannte, sollte den Schrecken, den Grizzifalcone's Verrath unter den Zollbedienten und Schmugglern verbreiten mußte, zum Verderben der Revolution ausbeuten. Ceccone ließ die Ortschaften, wo, wie ihm durch londoner Verrath bekannt geworden, die Brüder Bandiera landen sollten, so durch die Anzeigen, die dem Fürsten Rucca gemacht wurden, einschüchtern, daß die Räuber, die Schmuggler, die Zollbediente die Fahne des Aufstands als Hülfe und Rettung begrüßen mußten. Wie diese Elemente die Revolution verstehen würden, lag auf der Hand. Hier konnte nur Mord, Brand, Plünderung im Gefolge der dreifarbigen Fahne gehen. Die reinsten, edelsten Zwecke mußten von Brandschatzungen, lodernden Flammen, Zerstörung der Wohnstätten des Friedens begleitet sein. Dies Mittel, die Revolution zu entstellen, hatte man in Europa schon überall anzuwenden begonnen. Die Bauern Galiziens, entlassene Sträflinge hatten Mord und Brand über Paläste und Hütten verbreitet. Was Szela, der Schreckliche, später in den Eichen- und Graswäldern des östlichen Oesterreich wurde, sollte schon Grizzifalcone in der Romagna sein. Den Communismus schürten die Jesuiten, alle Extreme der freien Ideen förderten sie, um die öffentliche Meinung vor den Neuerungen zu erschrecken. Im Kirchenstaat sollten Alle, die durch das Strafgericht Rucca's bedroht waren, auf das Signal warten, die Fackel der Anarchie zu schwingen. Fermo, 146 Ascoli, Macerata sollten in Feuer aufgehen. Italien sollte sich mit Schaudern von Freiheitsbewegungen abwenden, die für die Welt solche Schrecken brachten. Aus dem ergreifenden Gemälde dieser von den Cardinälen der Christenheit, von den Rathgebern des Heiligsten der Heiligen angezettelten Intrigue erhob sich der Protest Attilio's Bandiera, wie die Taube weiß und rein am dunkeln Gewitterhimmel aufsteigt – Attilio erklärte, noch zeitig genug gewarnt worden zu sein.

Wie Benno mit bebenden Lippen diesen Protest gelesen und gesehen hatte, daß sich die Losung verändert hatte – wie er gelesen, daß eine Schar von entschlossenen Männern den Versuch machen würde, von Calabrien aus nach Neapel vorzudringen – wie der Silaswald genannt wurde – ja wie sich ihm ein Flor vors Auge legte – als die Namen Frâ Hubertus – Frâ Federigo auf dem Papier wie Irrlichter auf dunkelm Moore tanzten – wie er ein Wort von einem »abgesandten Franciscanerbruder« noch mit den letzten Stunden in San-Pietro in Montorio in Verbindung bringen konnte und – ihn die Aufklärung über alles zu belohnen schien, was Bonaventura's nächste und peinlichste Sorge war, da hörte plötzlich sein Ohr ein dumpfes Murmeln um sich her. Er blickte auf. Die Männer waren schon vorher aufgestanden. Jetzt befanden sie sich in einer Gruppe. Der schwarze Todtenbruder stand mitten unter ihnen in heftiger Gesticulation. Bertinazzi bat um Ruhe. Vergebens. Das Durcheinanderflüstern mehrte sich. Timoleon! rief Bertinazzi. Nehmen wir unsere Plätze ein! Nein, nein! riefen andere. Laßt Timoleon reden!

Der schwarze Todtenbruder schien ungern lauter zu sprechen. Doch er mußte nun es thun. Alles stand erwartungsvoll.

Ich hatte nur die Absicht – – eine neue Loge zu stiften . . . sagte er dumpf und hohl.

147 Benno hörte die Stimme von dem Nachen. Die Augen des Sprechers funkelten unheimlich durch die beiden Lücken seiner Kapuze. Sie waren auf Bertinazzi gerichtet, der mit diesem Wunsch einer neuen Logenbildung nicht einverstanden schien und beschwichtigend rief. Laßt das! Laßt das!

In diesem Augenblick streifte ein Rockärmel Benno's Wange.

Der Freund der Päpste, der Kapuziner war es, der seine Hand ausgestreckt hatte, Attilio's Brief ergriff und das Papier in die Flamme eines der Lichter hielt.

Benno, betäubt noch von dem nicht vollständig überlesenen Inhalt, erbebend vor dem Anblick der Namen, die sein Innerstes erfüllten – vor dem Silaswald, in dessen Nähe jetzt, an Punta dell' Allice, die Invasion stattfinden sollte – zu gleicher Zeit mit einer Erhebung in Sicilien und Genua – Benno wollte dies Beginnen, ein Zeichen wol gar des Mistrauens gegen ihn, verhindern und sprach: Soll ich diesen Brief nicht so gut kennen wie ihr?

Da hatte die Flamme schon den Brief verzehrt. Benno sah, daß das Flüstern vorhin, dies Entziehen des Briefes aus dem Erkennen seiner Stimme durch den schwarzen Todtenbruder entstanden war. Er richtete vor Aufregung seine Augen so zu Bertinazzi hinüber, daß diese wie Flammen ihm entgegenglühen mußten. Denn auch ihm war der Ton seines Anklägers immer bekannter geworden. Es fehlte nur noch ein einziges mal, daß jener sprach, und ein unglaublicher Name, der Name eines offenbaren Verräthers, brannte ihm auf der Zunge.

Bertinazzi hatte sich in der That zu seinem Beistand erhoben. Wieder drangen die Stimmen in den Leichenbruder, zu reden. Dumpf sprach dieser: Wir sind in diesem Augenblick zu dreizehn. Der vierzehnte, unser Franciscaner, fehlt. Wir dürfen eine neue 148 Loge bilden. Ja, das will ich auch. Ich thu' es. Die dazu nothwendigen Zwölf werde ich finden –

Benno starrte den Sprecher an. Er wußte jetzt, wer gesprochen – –

Dann ist Bertinazzi's Loge verpflichtet, Euch eine Hülfe zu geben! sprach der Kapuziner.

Einer von uns trete zu Timoleon's neuer Loge! riefen mehrere.

Loost! Loost! . . . erscholl es von anderer Seite.

Warum loosen! erwiderte der schwarze Todtenbruder, der den Namen »Timoleon« führte. Ich nehme jeden von euch, der sich freiwillig dazu erbietet – nur – nicht – euern Spartakus da!

Wieder sprangen alle von ihren Sitzen. Was vorhin nur einzelnen angedeutet worden zu sein schien, erscholl nun vor aller Ohr. Die Verschworenen zogen dichter ihre Hüllen vor die Augen. Sie traten auf Benno zu. Schon streckten sich einige Hände nach seiner Kopfverhüllung.

Zurück! rief Bertinazzi mit einer Stimme, die an den Wänden widerhallte. Ich bürge für Spartakus!

Für einen Verräther?! Einen Deutschen?! Einen Spion Oesterreichs?! rief Timoleon.

Verräther – ich? Graf Sarzana! Wer ist hier – der Verräther?

Sarzana! rief die Loge voll Entsetzen.

Ein Augenblick und vier, fünf Dolche blitzten auf. Sie blitzten nicht nur Spartakus, sondern auch Timoleon entgegen. Der Name »Sarzana« klang geradezu wie: Eine Creatur Ceccone's! Kaum hatte auch Benno jetzt noch den Beistand des Meisters der Loge für sich. Einen Namen zu nennen war ein Bruch der Gesetze. Bertinazzi trat den gezückten Dolchen entgegen und rief: Die Loge ist aufgelöst! Friede! Friede! Friede!

Die Lichter wurden ausgelöscht.

149 Eine kraftvolle Hand drängte Benno aus dem wilden Tumult. Eine Thür sprang auf. Mit dem Ausruf: Unglücklicher! stieß ihn sein Retter – der Kohlenbrenner, wie Benno zu erkennen glaubte – in das Dunkel eines engen Corridors.

Ein Augenblick der Besinnung folgte. Benno griff nach einer der kleinen Wachskerzen, die er in der Tasche trug. Damit tastete er vorwärts, um eine Mauer zu finden, woran er das Wachslicht durch Anstreifen entzünden konnte.

Er fand sie; er hatte Licht, er blickte um sich. Aber am Ende des langen Corridors stand auch – ein Trupp Gensdarmen, der sich mit angeschlagenen Carabinern lautlos auf die Loge zu in Bewegung setzte.

 

Ende des siebenten Buchs.


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