Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VII. Buch
Karl Gutzkow

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93 9.

Unterwegs hatte Benno mit seinem Pferde einen Unfall. Es verstauchte sich den Fuß. Er mußte ihm mitten auf der Heide, in einer Schäferhütte der Campagna, einige Stunden Ruhe gönnen.

So war es schon spät Nachmittag, fast Abend geworden, als er in Rom ankam. Er mußte sogleich das kranke Pferd im Palazzo Rucca den Leuten des alten Fürsten übergeben. Dann eilte er in seine Wohnung.

Sein Zustand war der der Verzweiflung. Für morgen erwartete ihn die junge Fürstin auf Villa Rucca. Zu gleicher Zeit mahnten ihn die Freunde der Gebrüder Bandiera –! Nicht umsonst war er in die Kreise der Revolution getreten. Unsichtbare Geister nicht nur, nicht nur die Stimmen seines Innern, sondern Personen, die ihn beobachteten, ihn vielleicht richteten, verlangten eine Entscheidung.

Todt blickte ihn heute die »Stadt der Städte« an. Nur Opfer des geistigen Despotismus sah er. Jeder Abbate, der an ihm vorüberhuschte, lächelte ihm wie mit geheimem Hohn. Die Menschen gingen und kamen gedankenlos und leer. Die Trümmer des Alterthums waren ihm mehr denn je nur Gräberstätten – und was war – die lebendige Gegenwart? Aus 94 Gebetbüchern an den Schaufenstern der Buchläden sprach sie ihm genugsam für – ein Leben nur des Scheins.

Es war fast Abend. Er fürchtete sich, zur Mutter zu gehen. Die Scham, eingestehen zu müssen, wie weit er mit Olympien gekommen, hielt ihn zurück. Dennoch, dennoch mußte er nach einer Trennung von mehreren Tagen sie begrüßen, mußte auch um die auffallenden Mahnungen Bertinazzi's eine nähere Erkundigung einziehen.

Er nahm ein leichtes Mahl in der Nähe des Corso. Im Winter besuchte er, um den Kaffee zu trinken, öfters das Café Greco. Sonst setzte er sich gern zu den deutschen Malern, die im Café Greco zu hausen pflegen. Aber auch hier war es ihm unheimlich geworden. Die Monotonie klappernder Dominosteine, das harte Rascheln der Tassen auf den schmuzigen Marmorplatten der Tische, die rauhen Kellnerstimmen, die in den lächerlichsten Tonschwingungen Erfrischungen, die aus der Küche heraufgebracht werden sollen, ausschreien, die phantastisch aufgeputzten Bettler an der Schwelle, die sich als Modelle vermiethen zu jener unwahren Welt, die noch immer die Romantik der Maler in ihren Ateliers mit südlichen Staffagen gruppirt, während Italien diese Trachten und Sitten naturwüchsig nur noch an wenig Stellen bewahrt hat – vollends die Künstler selbst konnte Benno schon lange nicht mehr sehen, ohne auch sie der Fortpflanzung jener falschen Zauber anzuklagen, mit denen Rom die Welt gefangen hält. Er beklagte, daß ihnen schon die Akademie sage, was sie allein in Rom finden sollten. Selten, daß sich eine Urkraft gegen die Tradition erhebt und von Rom nicht blos Lehren, sondern auch Warnungen mitnimmt. »Eine phrasenhafte Welt, in die ich alle diese Künstler verstrickt gefunden habe! Klingsohr – wäre ihr Mann! Klingsohr müßte auch hier mit der Cigarre sitzen und orakeln!«

95 Benno begab sich, da er auf den Monte Pincio wollte, in ein Café am Spanischen Platz. Er konnte da eine deutsche Buchhandlung übersehen, besucht von ab- und zukommenden Geistlichen, die sich nur Schriften kauften, die in Wien, München, Regensburg, Münster und Köln erschienen. Er sah die augsburger »Allgemeine Zeitung«, auf welche ihn der Staatskanzler angewiesen hatte. Er fand in allem Deutschen nur noch die Spuren Klingsohr's. Es war ihm jener fortgesetzte Vatermord, dessen sich dieser fast in Wirklichkeit schuldig gemacht hatte. Er sah in Deutschland überall vom hohen Roß, auf das die gelehrte doctrinäre Anmaßung sich geschwungen, die Saaten der Neubildungen im Geistesleben der Völker zertreten und was gab den geheimen Druck der Sporen? Das egoistische Interesse der Fürsten, des Adels, der Geistlichkeit. Die Bewegung um den »Trierschen Rock« hatte immer mehr um sich gegriffen. Die »Allgemeine Zeitung« verrieth ihm, wie selbst nach Witoborn die Bewegung hinüberzuckte. Er dachte an Monika, Ulrich von Hülleshoven, Hedemann – an Gräfin Erdmuthe und – ihre apokalyptischen Bilder über Rom, deren Erfüllung auch er immer näher gekommen glaubte.

Es gibt Naturen, die vom Zweifel und von einer überwiegend ironischen Weltauffassung in überraschender Plötzlichkeit zu Leidenschaftlichkeiten überspringen können, die an ihnen völlig unvermittelt erscheinen; Naturen, die sogar jede Voraussetzung, die von ihrer Besonnenheit gehegt werden durfte, plötzlich durch die thörichtsten Handlungen Lügen strafen.

Die Umstände hatten Benno aus der Bahn des heimatlichen Lebens und Denkens hinausgeworfen. Jene Kurierreise, von den Umständen so harmlos dargeboten, gab ihm den Anstoß zu einer immer mehr um sich greifenden Revolution seines Innern. Auf dem Capitol beim Gesandten seines engern Vaterlandes wurde er 96 wegen dieser dem großen Kaiserstaate erwiesenen Gefälligkeit, die bekannt geworden war, vorm Jahre kalt empfangen. Aber auch auf dem Venetianer Platz beim Gesandten Oesterreichs, wo man ihn ausgezeichnet hatte, erwartete man vergebens seine Wiederkehr. Durch ein zufälliges Begegniß, durch einen Antheil seines Herzens, genährt durch die Erinnerung an seine Mutter, genährt durch die Mahnung, daß in seinen Adern römisches Blut floß, hatte er sich den hervorragenden Erscheinungen des »Jungen Italien« genähert. Schon hatte man ihm mehr Vertrauen geschenkt, als er begehrte und als vielleicht von andern gutgeheißen wurde. Und dennoch lebte er in vertraulichster Beziehung zu Menschen, die er haßte und die er aus Grund der Seele hätte meiden müssen. Diese Gegensätze unterwühlten seine Ruhe und brachen seinen Muth. Auf seinem Antlitz fühlte er eine brennende Maske, ein Mal der Scham. Sein Glaubensbekenntniß des Sich-Ergebenmüssens in Lagen, in die uns die Laune des Zufalls gestellt hätte, war dahin. Nimm Partei! riefen ihm geheimnißvolle innere Stimmen schon seit jener Stunde, als sich ihm die Mutter in Wien in der ganzen Einseitigkeit ihrer Nationalität offenbart hatte. Als er dann Italien selbst gesehen, als er auch Bonaventura in so wunderbarer Schnelligkeit auf den gleichen Boden verpflanzt gefunden, da führten die gemeinschaftlichen Anschauungen, die übereinstimmenden Ergebnisse des Nachdenkens beide auf die feste Ueberzeugung, daß nur in Italien und vorzugsweise aus der römischen Frage heraus die Entscheidung der weltgeschichtlichen Schicksale Europas zu suchen sei.

»Die Zeit Deiner großen Revolutionen«, hatte Benno noch vor kurzem an den Onkel Dechanten geschrieben, »ist näher, als Du in Deinem friedlichen Asyl ahnst! Die Frage, um die sich Beda Hunnius so erhitzt, die Frage eines Bruchs der deutschen Kirche mit Rom ist nur ein Symptom. Rom und die große 97 Sache der Geistesfreiheit können zu ihrem Abschluß nur durch die politischen Schicksale Italiens gelangen. Wird dem Stellvertreter Christi der Schemel der irdischen Macht unter den Füßen weggezogen, dann kann ihm nichts mehr von seinen alten, den geistigen Druck der Welt unterstützenden Machtansprüchen bleiben. Eine Weile wird er sich noch Patriarch von Rom nennen dürfen; aber jede neue Phase der Geschichte nimmt ihm eine Würde nach der andern. Damit bricht der Bau der Hierarchie und das schon halbvollendete Werk der Jesuiten zusammen.«

Ob auch der Katholicismus –?

Benno hatte seinen zwischen Katholicismus und Protestantismus in der Mitte liegenden Standpunkt offen dargelegt. Er hatte dem Onkel geschrieben: »Ich glaube nicht an die propagandistische Kraft des protestantischen Geistes; ich zweifle sogar an dem entscheidenden Ausschlag, den überhaupt noch für die Geschichte die Völker der germanischen Zunge geben werden. Das germanische Mutterland ist in zwei Hälften gespalten: Oesterreich hat die Gedankengänge der romanischen Welt angenommen; Preußen hat die kühne Neugestaltung Friedrich's des Großen nicht zu verfolgen gewagt. Die germanische Welt wäre nur insofern kraftvoll, wenn ausschließlich mit ihr der Protestantismus ginge. Eine durch Oesterreich vertretene germanische Welt ist keine oder der Name Deutschland wird zum Schrecken jeder Nation, die ihre Freiheit anstrebt. Nun aber lieb' ich Deutschland, liebe seine Bildung, anerkenne seinen Beruf. So seh' ich keine Hülfe, die ihm geboten werden könnte, als den Untergang Roms, die Zertrümmerung derjenigen Bestandtheile der katholischen Kirche, die uns Katholiken von einer engern Gemeinschaft mit den Protestanten trennen. Ein gestürztes Papstthum wird Deutschland einigen; ein frei gewordenes Italien wird Oesterreich daran erinnern, wo Kaiser Joseph die Kraft des Kaiserstaates suchte – in einer Fortsetzung 98 des Fridericianischen Zeitalters der Preußen. Gibt es einen Katholicismus ohne den Papst? Das ist die große Frage der Befreiung der Gewissen. Und wird sie in dem Sinne beantwortet, daß Rom aufhört, die Metropole der katholischen Kirche zu sein, was kann, das ist die zweite Frage, von ihrem Leben zurückbleiben, um die Schranken zwischen ihr und den Protestanten niederzureißen? Bonaventura will die Bibel und eine geläuterte Messe. Es sind seine täglichen Gedanken – sie erfüllen ihn durchaus. Ich selbst besitze zu wenig das Bedürfniß des Cultus, um darüber ein Urtheil zu haben.«

Als Benno auf den Pincio gelangte, fand er die Mutter nicht daheim. Marco, der ihn bei jedem Besuch mit größerm Befremden musterte, versicherte, er würde sie beim Kloster der »Lebendigbegrabenen« oder vielleicht jenseits der Tiber finden. Sie hätte Santa-Cecilia, der heiligen Sangesmuse, ihrer alten Schutzpatronin, »der sie so vieles Gute dankte«, ihre Verehrung bezeugen wollen. Von bedenklichen Vorfällen meldete Marco nichts. Der Advocat Bertinazzi hatte zweimal anfragen lassen.

Was ist Religion! sagte sich Benno – als er sich auf den Weg machte zu den »Lebendigbegrabenen«. Bei ihnen war heute die Mumie ausgestellt! Die Menschen standen noch bis auf die Straße hinaus und jeder hatte dem gläsernen Kasten ein Leiden vorzutragen. Starr hing das braune Schreckbild der Eusebia Recanati an seinen goldenen Klammern. Die Menschen berührten den Glasschrank und erwarteten Hülfe. Selbst aus der Zahl der Falten ihrer Kleider suchten sie sich die Nummern heraus – die sie für die nächste Tombola setzen wollten! Die Masse ist unverbesserlich! sagte sich Benno. Die Eingeweide der Vögel oder die Gewänder einer Mumie – gleichviel! Auch in der protestantischen Kirche läßt die Hebamme unter dem Kissen des Täuflings die Nabelschnur der Gebärerin mittaufen –! Nur auf die 99 Vertheilung der Herrschaft kommt es an, nur darauf, was im Gesetz den Vorzug hat, die Vernunft oder die getaufte Nabelschnur – Alles andere macht die Strömung der Luft, der Wind, das ansteckende Beispiel – Ohne den Widerstand der Priester und der Doctrinäre könnte der Deutschkatholicismus sogar den Rationalismus zu einer Art von Mystik erheben, welche die Menschheit, wie es fast scheint, nicht entbehren kann.

Weder vor der Kirche, noch im Kloster bei Olympiens Mutter fand sich die Herzogin. Equipagen gab es genug; keine mit dem Wappen des Marquis Don Albufera de Heñares, Herzogs von Amarillas, ein Wappen, das der Miethkutscher auf seine Wägen zu setzen gestattet hatte. Benno wollte nach Santa-Cecilia, zu welcher Kirche gleichfalls ein Kloster gehörte.

Es war nun in den Straßen dunkel geworden, obgleich die Abendröthe noch schimmerte. Das Volksgewühl begann in dieser Gegend wie täglich bei Untergang der Sonne. Da wogten die Menschen durcheinander, da erscholl jener Lärm des Südens – um ein Nichts, um ein Paar alte Schuhe, um ein Bund Schwefelfaden, um etwas Wasser mit einem Stückchen Eis. Immer glaubt man im italienischen Volksgewühl, eben wäre ein Kauffahrteischiff angekommen und lüde die Schätze beider Indien aus. Schon dampften Maccaroni in den auf offener Straße errichteten Küchen. Fische wurden gesotten in Pfannen, über die – wende dich ab, deutscher Geschmack! – der aufgekrämpte rothnackte Arm der Volksköchin die große Oelflasche ausgießt. So mancher Arbeiter hält jetzt erst sein Mittagsmahl auf Piazza Navona. Die Fleischerbuden bieten noch feil. Seltsam geformt und fast an die alten Arenen erinnernd sind die zertheilten Stücke, an denen die Knochen mehr als bei uns zurückbleiben. »Unsere Sitten das und unsere Sitten sind gut!« – liegt auf den Mienen dieser schreienden, singenden, schmausenden – dann auch dazwischen wieder betenden 100 Welt. Die Thüren der erleuchteten Kirche Santa-Agnese stehen weit offen. Auf ihren Stufen im herausströmenden Weihrauchduft lagert sich in bequemster Behaglichkeit das südliche Abendleben.

Vorüber schritt er am Pasquino – am Palazzo Rucca – am Ufficio delle SS. Reliquie e dei Catacombe, wo Cardinal Ambrosi wohnt. Benno hatte schon zu mehreren malen an dem grauen spanischen Gebäude mit den vergitterten Fenstern gestanden und gedacht: Da hinten im düstern Hofe wohnt ein Mensch, der auch ein Geheimniß ist! Bonaventura erfuhr von mir, was ich von seinem Leben wußte. Er floh vor einem Sektirer – hatte die Mutter erzählt. Und doch soll er mit Frâ Federigo im Einverständniß leben! Wie reimt sich das? Aber so bilden sich die Sagen, so verknüpft der Volksglaube. Das Volk kann das geistig Seltene sich nicht denken ohne gleich eine unmittelbare Beziehung zu Gott und das Edle kann ihm nie ohne Wunder bleiben; zwei große Menschen können ihm nicht ohne das Band des Einverständnisses leben! Dieser einfache, ascetische Mönch erhielt eine Geschichte, wovon er schwerlich selbst eine Ahnung hatte. Benno mußte auch auf den Beistand dieses Cardinals rechnen für den Fall, daß sich Bonaventura in Rom zu stellen hatte. Es ließ sich bei ihm eine Regung der Dankbarkeit für Frâ Federigo und Bonaventura's Bemühungen zu dessen Gunsten voraussetzen.

Und Frâ Federigo selbst! Benno's eigene Erinnerungen trugen von Friedrich von Asselyn kein Bild. Nur aus Bonaventura's Charakter, aus dem Bestreben seines Vaters, seinem Weibe zu Liebe für die Welt ein Gestorbener sein zu wollen, konnte er sich die Züge erklären, die von jenem Einsiedler unter dem Laubdach eines waldensischen Eichenhains allgemein erzählt wurden. Von Gräfin Erdmuthe wußte er, daß sie eines Tags vor längern Jahren aus einem waldensischen Gottesdienst zu Fuß nach Hause gekommen war und mit einem ihrer Diener auf dem Heimweg 101 deutsch sprach. Darüber wurde sie von einem Mann angeredet, der hinter ihr her ging, sich als Deutscher zu erkennen gab, auf einer Fußwanderung nach den Seealpen begriffen zu sein erklärte und durch Zufall jener Predigt beigewohnt haben wollte, die ein Geistlicher gehalten, der keinen katholischen Ornat trug. Der Fremdling konnte diese fast altlutherischen Sitten des Gottesdienstes nicht unterbringen. Er ließ sich über die Waldenser von einer Dame unterrichten, in welcher er mit Ueberraschung einer geborenen Freiin Hardenberg, aus altem norddeutschen Geschlecht, begegnete. Ihm selbst, sagte er, wären die Gedichte eines Hardenberg (Novalis) von Anregung gewesen. Dann – bei einer Kapelle – zur »besten Maria«, wo sie vorüber mußten – bekannte er sich der über die Anerkennung eines Verwandten freudigerregten Frau zwar als Katholiken, sagte aber: Was hat wol Ihr frühvollendeter Vetter unter jener Maria verstanden, die er zum Anstoß der Seinen so oft besungen hat! Doch wol nur Sophia von Kühn, die er liebte und die ihm starb, noch ehe sie die Seine geworden! So wird unser eigenes Leben zuletzt die lauterste Quelle unserer Religion! Hardenberg-Novalis sang, fuhr er fort:

»Wenn alle untreu werden,
So bleib' ich dir doch treu –!«

Er sang diese Versicherung in so persönlicher Freundschaft für den Erlöser, daß ich diesem Lied mein Glaubensbekenntniß verdanke. Die Religion muß für jeden Einzelnen sein eigenes persönliches Verhältniß zu Gott werden und die Kirche soll nur so viel dazu mitthun und mithelfen, wie ein Wächter, der ein Stelldichein der Liebe hütet! Alles andere, jede andere Einmischung in unsere innere Welt ist vom Uebel. Benno kannte die Folgen dieser ersten Begegnung. Die Gräfin, die ihren herrnhutischen Glauben annähernd richtig gedeutet sah, bat den Fremdling, auf Castellungo einige Tage Rast zu halten. Anfangs zögerte er, 102 folgte aber doch, da er ermüdet und offenbar im Beginn einer Krankheit schien. Diese überfiel ihn auch, als er das stolze Schloß beschritten und die erste freundliche Bewirthung der Gräfin erfahren hatte. Sein überreizter Zustand gab sich sogleich in einem heftigen Strom von Thränen kund, dem ein Fieberfrost und eine lange Nervenkrankheit folgte. Die Gräfin widmete ihm die größte Sorgfalt und erfüllte zugleich die Bitte, die sich in einzelnen lichten Momenten von seinen Lippen stahl: daß sie keine Nachforschungen über seinen Namen und seine Herkunft anstellen möchte. Er hätte keine Verwandte mehr, wollte todt sein und bäte, ihn nicht anders zu nennen als Friedrich – Das Reich des Friedens, sagte er, find' ich nicht mehr auf dieser Erde, ich zöge gern hinüber; mir selbst aber den Tod zu geben, wäre vermessen; unsichtbare Fesseln halten mich auch noch – doch bin ich nicht mehr, was ich war – ich bin allerdings schon ein Todter! Die Gräfin hatte es Benno selbst erzählt, daß damals der Fremdling wenig über vierzig Jahre gezählt haben mochte, eine seltene Bildung besaß und mit den Lehrsätzen seiner Kirche um persönlicher Erlebnisse willen in Spannung schien. Oft hätte sie ihn für einen flüchtigen Priester gehalten. In ihn zu drängen und von ihm Namen und Stand zu begehren, widersprach ihrer Sinnesart, ja die Verehrung vor dem »Signor Federigo«, wie ihn sogleich die Schloßbewohner nannten, wuchs bei ihr zu einer so innigen Freundschaft, daß die schon gereifte Frau, damals Witwe, sein Scheiden nur mit größter Betrübniß würde gesehen haben. Und seinerseits faßte auch er die gleiche Neigung für die edle Dame, deren religiöse Denkweise nicht ganz mit der seinigen übereinstimmte, die jedoch Verbindungsglieder gemeinschaftlicher Ansichten und Stimmungen dafür bot. So knüpfte sich zwischen beiden ein seelisches Band, das mehr, als ihre Worte schilderten, aus den Erzählungen der Gräfin geahnt werden konnte. Sie 103 ließ die jedenfalls auf Friedrich von Asselyn passende Aeußerung fallen, der Fremdling hätte die Wappen und Farben ihres Hauses von der ältern Linie her gekannt und sie oft mit Rührung betrachtet und selbst wol geäußert. daß er dem Adel angehörte. Fast wie aus Furcht vor Begegnungen, die gerade auf diesem Schlosse nicht unmöglich waren, hatte der Fremde sowol den langen Bart, der ihm in seiner Krankheit gewachsen war, nicht entfernen, noch auch auf dem Schlosse länger wohnen mögen. Unter dem Schutz der Gesetze, die aus aufgeklärtern Zeiten, als die unserigen, stammten und den sich die Gräfin so muthig zurückerobert hatte, verweilte er eine halbe Meile vom Schlosse entfernt in einem Hause, das er sich im Wald aus Baumstämmen selbst gezimmert hatte. Die Menschen der Umgegend nannten ihn »Frâ Federigo«.

Benno hatte sich im Thal von Castellungo erkundigt und des Fremdlings Kenntnisse in der Heilkunde, zu Sachen des Ackerbaus und der Güterbewirthschaftung rühmen hören. Er kannte das Recht, die Geschichte, die Lehnsverhältnisse in allen europäischen Gesetzgebungen. Anfangs ließ er sich von den Umwohnenden nur mit Widerstreben besuchen. Zuletzt, wenn die Gräfin auf längere Zeit nach Wien mußte, war sein Rath allen und ihren eigenen Verwaltern unumgänglich. Unter seiner Eiche hielt er eine Bienenzucht und nahm noch eine Ziege und einen Hund dazu als Gesellschafter, indem er immer mehr die Weise eines Eremiten sich aneignete, der, geschieden von der Welt, auch sein Aeußeres nicht mehr nach den Gesetzen der Welt einrichtet. Briefe empfing er nicht; ebenso las er anfangs keine Zeitungen; später jedoch desto theilnehmender, bis er sich diese Lectüre versagte, um nicht bei sich den Reiz der Rückkehr in die Welt zu mehren.

Benno wußte, daß es an Anfechtungen durch die Geistlichen und Behörden nicht gefehlt hatte. Seine Anspruchslosigkeit und 104 der Schutz der Gräfin bewahrte ihn vor größern Unbilden. Bis dann freilich die Jesuiten immer mächtiger und mächtiger wurden und die Eifersucht der Dominicaner reizten. Hof und Cabinet von Turin kamen in die Hände der Jesuiten. Nun begannen Verfolgungen, Einkerkerungen von zwei Seiten. Bald nach Fefelotti's Erscheinen verschwand der inzwischen zum Greise gewordene gütige und allgeliebte Waldbewohner. Eines Morgens fand man seine Siedelei leer; seine Ziege hatte noch ihr Futter für einige Tage, ebenso sein Hund, der angebunden zurückgeblieben war. Als man das kläglich winselnde Thier losgeschnitten hatte, rannte es schnurstracks nach Coni bis in das dortige erzbischöfliche Ordinariat, wo die übrigen Gefangenen saßen. Dort wurde es festgehalten und wieder eingesperrt. Als man es eines Tages losgerissen und aus seiner Haft entflohen fand, behauptete man, das treue Thier in Robillante gesehen zu haben und zwar, wie die Gräfin versicherte, trauernd mit eingeklemmtem Schweif, herabhängenden Ohren, hinter einer düstern und verschlossenen Kutsche herlaufend, die von zwei Gensdarmen begleitet wurde. Die Kutsche kam aus dem Officium der Dominicaner zu San-Onofrio und fuhr der großen Straße gen Osten zu.

Das Thier, hatte die Gräfin Benno erzählt, hatte die Witterung seines Herrn und konnte ihm in seiner verschlossenen Kutsche nicht beikommen. Selbst als man später vom Auftauchen Frâ Federigo's bei Loretto und unter den Räubern der Mark Ancona gehört hatte, ließ sich die Gräfin nicht nehmen, daß jene noch an einigen andern Orten auf ihrer geheimnißvollen Fahrt gesehene Kutsche ihren Freund nach Rom abgeführt hätte – eine Ansicht, die niemand mehr als Bonaventura theilte – er, der sie mit einem Schmerz nachfühlte, dem Benno in Gegenwart der Gräfin nur einen unvollkommenen Ausdruck geben konnte. Benno's Ansicht: Dein Vater erfuhr deine wunderbare Ernennung zum 105 Bischof von Robillante und floh nun aus eigenem Antrieb, floh vor einem möglichen Wiedersehen deiner Mutter und Friedrich's von Wittekind! – ließ Bonaventura in einem Augenblick gelten, im andern trat ihm wieder das Bild des verschlossenen, von Gensdarmen nach Rom geführten Wagens wie eine Mahnung entgegen, nicht eher zu ruhen und zu rasten, bis sein greiser Vater gefunden war.

Benno wurde aufs mächtigste von diesen Räthseln ergriffen beim Hinblick auf San-Pietro in Montorio, wo Bruder Hubertus gewohnt hatte. Er hatte die Mutter in Trastevere gesucht. Aber auch in Santa-Cecilia, bei den Benedictinerinnen, fand er sie nicht. Nun wollte er einen Miethwagen nehmen und nach Monte Pincio zurückfahren. Da im allerletzten Abendsonnenstrahl leuchtete so schön und verklärt San-Pietro in Montorio auf –! Wo konnte er sich bessere Kunde vom Bruder Hubertus holen, als dort oder vielleicht – bei Sebastus in Santa-Maria? Letztern zu meiden drängte ihn alles.

Er erstieg den Hügel, wo die Paolinischen Wasserleitungen sich sammeln, klopfte an das Kloster, neben einer Kirche, der einst Rafael seine Transfiguration gemalt hat. Von den beim Nachtimbiß sitzenden Alcantarinern kam einer an das Sprachgitter und sagte auf Benno's Fragen: Wir wissen von dem deutschen Bruder nur, daß man ihn in Ascoli sah. Die Leiden des Bischofs von Macerata sind im Druck erschienen und Ihr werdet sie gelesen haben. Seine Befreiung ist dem wunderthätigen Marienbild von Macerata beizuschreiben, das eines Tages spurlos verschwand.Thatsache. Das Volk gerieth in Aufregung und beschuldigte das Capitel von Macerata, das Bild weggeschlossen zu haben, um auf diese Art die Räuber zu zwingen, den Bischof freizulassen. 106 In der That bemächtigte sich um das fehlende wunderthätige Marienbild eine solche Unruhe der ganzen Gegend, daß die Genossen des Grizzifalcone Angst bekamen und sich herbeiließen, lieber den Bischof auf freien Fuß zu stellen. Der Heilige hatte viel dulden müssen, und das Marienbild ist dann wieder erschienen.

Der Bruder Pförtner erzählte ferner, daß von dem Bruder Hubertus, der es selbst gewesen sein soll, der dem Domcapitel jene Hülfe angerathen hatte und so ohne alle Mühe den Bischof rettete, seither nichts mehr vernommen worden. Wir wissen, sagte er, er hat den Grizzifalcone getödtet in einer Nacht, wo wir ganz andere Dinge von ihm erwarteten –! Ein Tollkopf ist's. Er auch nur allein konnte sich unter Räuber begeben, deren Hauptmann er getödtet hat –! Auch von dem Pilger wißt Ihr, der dem Grizzifalcone für seine Bekehrung hat lesen und schreiben müssen? Ein Franciscanerbruder sprach vor einigen Tagen bei uns vor und hat ausgesagt, man hätte den Mönch mit dem Todtenkopf und mit ihm zugleich den Pilger weit jenseits der Grenze in den Abruzzen gesehen –!

Auf Benno's dringenderes Forschen und seine Freude, die er darüber bezeugte, daß der Pilger und Hubertus wenigstens zusammen verbunden genannt wurden, rief der Pförtner den Guardian. Dieser kam und versicherte seinerseits, beide Verschollene wären in Calabrien, wo sie ein Wallfahrer in dem schluchtenreichen Silaswalde wollte gesehen haben. Im Silaswalde –! An der äußersten Grenze Italiens – Auf den meerumbuchteten Landzungen Neapels schon – in den ältesten Hainen der Welt von Eichen- und Kastanienbäumen –! Immer weiter und weiter rückte die Beruhigung des aufgeregten und selbst so düster bedrohten Freundes in Robillante. Würde sich Benno freier bewegt haben, er hätte sich an Ort und Stelle begeben, um selbst 107 nach dem geheimnißvollen Pilger zu forschen. Die Ungewißheit, der Einfall der Gebrüder Bandiera, die Furcht vor Olympia's Rache, Bangen vor den Mahnungen Bertinazzi's hielten ihn von der Ausführung dieses Vorsatzes ab.

Benno kämpfte mit sich, ob er die Mutter heute aufgeben und nicht lieber sofort zu Bertinazzi gehen sollte, den er erst morgen in erster Frühe hatte besuchen wollen. Die volle Nacht war hereingebrochen, als Benno von San-Pietro niederstieg. Die Einsamkeit des Weges beflügelte seine Schritte. Schon im zweifelhaften Abendlicht sind die nächsten Trümmerhaufen und Gartenmauern Roms unheimlich.

Er wandte sein Auge vom Anblick der Peterskuppel ab. Das Bild: Morgen um diese Stunde werden dort die marmornen Bilder des Vatican lebendig! machte ihm das Blut erstarren. Er kannte diesen Braccio nuovo! Hundert lachende Priester sah er in festlichen Gewändern, bei Fackel- und Kerzenschein, durch die mit den Marmorsärgen der ersten Christen geschmückten Corridore dahinschreiten. Die Statuen der römischen Kaiser wurden lebendig und schlossen sich ihnen an –! Im Saal des Braccio nuovo schimmerten Bankettische, Vasen voll Blumen, silberne Urnen voll Eis mit dem »Bier der Franzosen«, wie Sarzana gesagt; alles im glänzenden Licht, ausgeströmt von zahllosen Kerzen –! Die Julien, die Livien und Agrippinen der Imperatorenzeit kamen mit ihren faltenreichen Gewändern in den Saal und setzten sich zu den Zechenden –! Da thront Ceccone, mit dem Rücken gelehnt an die berühmte Gruppe des Nil –! Sechzehn kleine Genien kugeln sich übermüthig auf dem kolossalen Sinnbild der Ueppigkeit und Fruchtbarkeit –! Der lachende Silen blickt auf den neugeborenen Bacchus dicht vielleicht neben dem Bischof Camuzzi –! Fefelotti liebäugelt mit der berühmten Statue des Demosthenes, die soviel zierliche Fältchen wirft; mehr, als 108 ein Redner voll Natürlichkeit seiner Toga erhalten kann, wenn er gegen Philipp von Macedonien donnert –! Nun trommelt die Schweizergarde –! Immer neue Gäste kommen im Purpur vorgefahren und die Medusenhäupter nicken ihnen den Gruß; die discuswerfenden Athleten erheben sich, die Isispriesterinnen verneigen sich –! Olympia – läßt lachend vor Erwartung den Arm auf dem Sockel ihres Apollin ruhen –! Oder blickt sie finster wie die »verwundete Amazone« –? Benno ahnte, daß sie diesmal seiner Flucht aus Villa Torresani nicht im mindesten zürnte, sondern ihn für morgen fest und sicher erwartete.

Die Qual der Entschlußlosigkeit trieb Benno, wie von Furien gepeitscht, dahin. Er kam der Tiber näher. Die Brücken, welche in die innere Stadt führten, waren entlegen. Hie und da ging eine Treppe niederwärts an den Fluß, wo sich dann in einem angebundenen Kahn ein Schiffer streckte und auf einen Verdienst wartete. Benno wollte sich übersetzen lassen.

Er blickte wie ein Träumender um sich. Hier in der Nähe liegen die Spitäler. Es konnte ihn nicht befremden, daß jene gespenstischen Gestalten der Todtenbruderschaft da und dort auftauchten. Die Begräbnisse finden des Nachts statt. Memento mori! Benno erblickte einige dieser bald weißen, bald schwarzen Kutten in Kähnen auf dem gelblichen Strom dahingleiten.

Die Via Lungaretta schien ihm heute endlos. Er hatte übersehen, daß er die Abbiegung zur Bartolomäusbrücke schon hinter sich hatte und sich an Ponte Rotto befand, einer Gegend, wo es schwerlich noch Fiaker gab. Sollte er den Besuch der Mutter heute aufgeben? Sollte er sich bei Bertinazzi melden?

Da schritt wieder vor ihm her ein schwarzer Todtenbruder. Er kam aus dem engen Winkelwerk der Häuser heraus und stieg eine auch hier an den Fluß führende Treppe nieder. Hell glänzte die Tiber auf. Im Abenddunkel boten die Lichter am Ufer und 109 die in den Strom hineingebauten Mühlen einen besonders lebhaften Anblick. Eine Schar von Bettlern und Straßenjungen zeigte Benno hinter einem Gebäude den Kahn, den auch der Todtenbruder gesucht.

Auch Benno zog es zum Tode. Er musterte die stolze Haltung seines Gefährten. Oft verbargen sich unter diesem Kleide die angesehensten Nobili, wenn sie die Reihe des Dienstes in der Bruderschaft ihres Viertels traf.

Benno rief dem Schiffer, ihn noch mitzunehmen und stieg die Stufen nieder.

Der schwarze Leichenbruder, eine hohe, schlanke Gestalt, hatte eben zum Abfahren winken wollen. Jetzt erst, da er noch einen Passagier sich nachkommen sah, setzte er sich nieder.

Auf dem trüben, ungleichen, strudelreichen Bett der Tiber glitt der leichte Kahn dahin, geführt von einem jungen halbnackten Burschen, der den vom Kopf bis zu Fuß verhüllten Todtenbruder scheu betrachtete und vor Freude über die glückliche Eroberung zweier Passagiere statt eines eine Weile sprachlos blieb. Rings funkelten immer heller und zahlreicher die Lichter von den Ufern auf. Auch bei den Benfratellen drüben war Licht. Mancher Leidende mochte dort eben seinen letzten Seufzer aushauchen, mancher Genesende die Hände zum Dankgebet erheben. Die hie und da auftauchenden Sterne spiegelten sich nur matt in den trüben Wogen, auf deren Grund so tausendfach die Reste der Jahrhunderte schlummern, so mancher Fund, dessen Entdeckung das Entzücken des Forschers sein würde. Auf der Quattro-Capi-Brücke war es so lebhaft wie auf Piazza Navona. Noch stachelten verspätete Fuhrleute ihre riesigen weißen Ochsen, deren stolzgewundene Hörner nur eines Kranzes bedurften, um den Opferthieren Griechenlands zu gleichen. Noch zankten Treiber mit ihren schreienden, in Italien so heißblütigen Eseln. Die Glocken läuteten. 110 Ein solcher Abend scheint im Süden erst das Erwachen zum Leben zu sein. Kähne glitten dahin mit aufgehäuften Gemüsen und Früchten schon für den morgenden Markt. Die Ruderer mußten Acht haben; von den Tausenden von Trümmersteinen, die in dem Bett des geschichtlichsten aller Ströme ruhen, ist die Fahrt auf ihm keine ebenmäßige.

Benno, tiefermüdet, redete den Todtenbruder, von dem er nur die Augen sehen konnte, mit den Worten an: Dieser Dienst in der Nacht hat sicher seine Beschwerlichkeit –

Der Todtenbruder antwortete nicht. Die Römer sind sonst höflich. Benno glaubte, nicht verstanden worden zu sein, wiederholte seine Worte und setzte hinzu: Aber Sie lösen sich häufig ab?

Statt der Antwort zog der Todtenbruder jetzt sogar seine schwarze Kopfbedeckung so, daß selbst seine feurigen Augen verdeckt blieben.

Seltsam! dachte Benno. Der Mann ist schwerlich taub. Er trägt vielleicht ein Leid wie du –?

Benno schwieg nun und hörte auf den Schiffer, der in italienischer Gewohnheit schon für jede andere Gelegenheit sich empfahl, wo die Herrschaften vielleicht wieder die Tiber befahren wollten. Er nannte sich Felice und beschrieb seinen Vater, der den Stand drüben an Quattro-Capi hätte und der beste Schiffer von der Welt wäre. Benno kannte, was man bei solchen Gelegenheiten in Italien alles zu hören bekommt; jede neue Kundschaft wird vom Arbeiter sogleich fürs ganze Leben festgehalten.

Benno war nicht in der Stimmung, die Unterhaltung mit Felice fortzuführen. Er sah auf den Todtenbruder, der vielleicht das Gelübde des Schweigens abgelegt hatte. Vielleicht war es ein Vornehmer, den sein nächtliches Amt verdroß.

111 Wieder glitt eine Barke mit zwei Benfratellen, die von der Bartolomäusinsel kamen, vorüber. Auch diese hatten ihre Kapuzen über den Kopf gezogen. Sie wurden von einer dritten Barke gekreuzt, die gleichfalls ein Mitglied der Todtenbruderschaft führte – in weißer Verhüllung.

Der Gedanke lag nahe, eine große Sterblichkeit vorauszusetzen, die über Rom gekommen wäre. Im Herbst pflegte sich seit einigen Jahren die Cholera einzustellen.

Felice besaß den angeborenen Scharfsinn der Italiener. Eine angeschnittene Melone, die neben dem Mantel Felice's lag, betrachtete Benno mit einem Blick, der bei so vielen Todeserinnerungen keinen Appetit danach ausdrückte und Felice las sogleich die Gedanken in der Seele seines zweiten Passagiers, denn er sagte: Eh! Sie kommt dies Jahr nicht wieder!

Benno wußte, was Felice meinte, mochte aber die Conversation nicht fortführen.

Felice aber im Gegentheil. Signore, flüsterte er, als handelte sich's um einen Gegenstand der größten Discretion, ich stehe drüben bei Capo di Bocca – dicht an der Apotheke. Da, wo meine Mutter die Melonen verkauft. Saftige, Herr! Sehen Sie, versuchen Sie! Signore! Nein, sie kommt dies Jahr nicht wieder. Die Krankheit mein' ich, Signore! Der Padrone der Apotheke hat es selbst an unsre Leute gesagt. Signor, bei Capo di Bocca – Rufen Sie nur immer: Felice!

Woher weiß der Padrone der Apotheke, daß die Cholera diesmal nicht wiederkommt? fragte Benno, um dem Redestrom ein Ende zu machen.

Signore! Weil sie kein Gift mehr verkaufen dürfen. Er sagt' es gestern erst dem Wirth der Navicella. Signore, das ist das Kaffeehaus drüben, wo mich jeder findet, der nur am Ufer nach Felice –

112 Gift verkaufen? Wozu Gift –? unterbrach Benno, der sich die Pein dieser Kundschaftsempfehlungen abkürzen wollte.

Haha! lachte Felice und stieß sein Ruder auf ein hartes Gestein, das vielleicht der Torso einer Statue des Praxiteles war. Die Brunnen vergiften sie nicht mehr. Das glauben die dummen Leute . . . Eh –! Die Brunnen! Haha, Signore! . . . Aber machen Sie eine Partie, Herr – Nach Ceri, Herr – Ceri ist die älteste Stadt der Welt – Ich nehme meinen Bruder mit. Morgen? Meinen Bruder Beppo . . .

Warum sagt ihr: He? und lacht – Was glauben denn die klugen Leute über die Cholera –?

Felice machte eine Miene, als durchschaute er alle Geheimnisse der Welt.

Was ist's, wenn die Apotheken kein Gift mehr verkaufen dürfen? wiederholte Benno.

Gift? Nicht verkaufen? Die Apotheker sagen's und die armen Leute glauben's –! Aber die Reichen – die bekommen Gift, soviel sie wollen. Und die Aerzte – die brauchen's gar nicht aus der Farmacia zu kaufen, die haben selbst genug –!

Die Armen? Die Reichen? Die Aerzte –? Wie hängt das alles zusammen?

Felice machte Mienen, die Benno allmählich verstand. Er ließ nur einfach die eine Hand vom Ruder los und fuhr damit hinters Ohr mit ausgespreizten Fingern. Eine Miene, die etwa sagte: Wir sind nicht so dumm, wie wir aussehen – die Aerzte vergiften zur Zeit der Cholera auf Befehl der Reichen die Armen –! Signore – nach Ceri! fuhr Felice fort, als Benno verstanden zu haben schien und seinerseits gleichfalls eine Geberde machte, die mit südländischer Offenheit etwa soviel sagte, als: Felice, du bist ein Esel –! Ceri ist die älteste Stadt der Welt! 113 Vielleicht morgen – ich nehme noch meinen andern Bruder mit – Außer Beppo noch den dritten, den Giuseppe!

Die Cholera ist also eine Krankheit, die von oben her befohlen wird, unterbrach Benno. Alle Jahre soll der Staatskörper einmal von seinem Ungeziefer gereinigt werden! Nicht so, ihr Thoren?

Die Miene und Betonung Felice's drückte das starrste Festhalten an seiner Meinung aus. Wie wenig ihm daran lag, seine Gesinnung über die Aerzte, die Apotheker und die Reichen in Rom geändert zu bekommen, sagte die Mahnung: Herr, die Tiber kennen selbst die Römer noch nicht alle! Gewiß, Herr, selbst wenn Sie ein Römer sind, haben Sie noch nicht Castellana gesehen –! Civita-Castellana ist das Wunder der Welt! Wenn wir Morgens um vier Uhr einen Kahn nehmen – mit Beppo, mit Giuseppe und Francesco – Francesco, Herr ist mein vierter Bruder –!

Das erzählt man allerdings aus der Cholerazeit, unterbrach Benno mit Entschiedenheit. Wer einen Feind hatte, tödtete ihn bei dieser Gelegenheit: schlechte Frauen vergifteten ihre Männer, schlechte Männer ihre Frauen, ruchlose Kinder ihre Aeltern. In dem allgemeinen Klagen und Sterben ging eine Leiche mit der andern, ohne daß man danach fragte, ob das Gift, woran sie den Geist aufgeben mußten, aus der schlechten Luft oder – aus den Kellern kam, wo nur die Ratten daran sterben sollten. Sagt man nicht das?

Diese Frage richtete Benno an den schwarzen Todtenbruder.

Fast wie getroffen von Benno's Worten hatte sich dieser von seinem Sitz erhoben. Vom Nachthimmel sich abzeichnend stand die 114 Gestalt in schöner, langer, schlanker Haltung – ein Bote des Minos, ein Abgesandter des Richters der Unterwelt!

Benno hatte noch einmal geglaubt den Versuch machen zu sollen, den stummen Passagier zu einer Antwort zu bringen.

Der Todtenbruder sprach jetzt in der That auf seine Frage ein leises und hohles: Man – sagt – es –

Benno horchte der Stimme und fuhr fort: Eine entsetzliche Vorstellung, sich Mörder denken zu müssen, die in solchem Grade feige sind, daß sie eine Zeit der allgemeinen Auflösung des Vertrauens, eine Zeit der Trauer benutzen, um mit gedecktem Rücken einen dann wahrscheinlich vor Entdeckung sichern Mord auszuführen –!

Wieder schien der Todtenbruder von diesen Worten eigenthümlich berührt. Er schwieg, fiel nicht zustimmend ein, drückte keine Verachtung eines so feigen Mordes aus, sondern wandte sich nur ab, um durch seine kleinen Augenöffnungen auf die nunmehr bald erreichte Brücke der »Vier Häupter« zu sehen.

Als sich auch Benno erhob, gerieth der Kahn in ein Schwanken. Felice spreitete die Beine aus und hielt das Gleichgewicht. Um seine ohnehin wie auf der Flucht vor dem Schmerzlichsten befindlichen Gedanken nicht zu sehr aufzuregen, fragte Benno: Kennst du das Haus des Rienzi, Felice –?

Im selben Augenblick brachte nun auch der Todtenbruder noch eine Antwort auf Benno's Aeußerung von vorhin. Sie kam verspätet, dumpf und hohl aus der kleinen Oeffnung der Kapuze, die nur allein dem Mund und der Nase das Athmen erlaubte.

O gewiß – es gibt – genug der Falschheit – in der Welt –! sagte der Todtenbruder.

Diese Worte klangen seltsam. Sie klangen wie von einem Ergrimmten. Wenigstens wurden sie wie durch die Zähne gesprochen.

115 Benno, der eben selbst gesprochen hatte, verstand nicht sogleich und fragte: Es gibt –? sagten Sie? –

Genug der Falschheit in der Welt! wiederholte der Todtenbruder scharf und gereizt.

Benno horchte auf. Diesen Ton der Stimme glaubte er zu kennen. Noch kürzlich, vielleicht erst gestern hatte er diese Stimme gehört. Wer ist das –? sagte er sich staunend und haftete auf einer Erinnerung an einen der bei Olympien gesehenen Gäste – Zunächst an den Fürsten Corsini – der in der That seinen Palast jenseits der Tiber hatte.

Der Todtenbruder kehrte ihm jetzt den Rücken.

Eben fuhren sie unter der Brücke Quattro-Capi hinweg.

Wo liegt das Haus des Rienzi? wiederholte Benno noch einmal, sich an Felice wendend. Er mußte dabei immer noch dem Klange der Stimme nachdenken.

Signore, das Haus des Rienzi kenn' ich nicht, erwiderte Felice eiligst. aber ich versichere Sie, nach Civita-Castellana ist es die schönste Reise von der Welt –! Auch Cicero hat da gewohnt. Es geht gegen den Strom, aber wir nehmen noch meinen fünften Bruder –

Euere Brüder sind unzählig! unterbrach Benno ungeduldig. Dann nach dem Todtenbruder sich wendend, sagte er: Wo hat nicht alles in Italien Cicero gewohnt –! Cicero und Virgil sind dem Italiener geläufig wie die Heiligen. Aber Cola Rienzi, euer Volkstribun, ist euch unbekannt geblieben, Felice?

Jetzt glaubte Benno für bestimmt annehmen zu dürfen, daß der schwarze Leichenbruder unter seiner Kapuze lachte. Es war ein Lachen des Hohns. Prinz Corsini konnte es nicht sein. Corsini gehörte zu den Freimüthigen, aber er war in seinen Manieren höflicher.

Unter dem ersten Hermenkopf der »Vierhäupterbrücke« stieg 116 der Todtenbruder aus. Er schien voll Ungeduld die Steintreppe erwartet zu haben. Beim Abschied bot er Benno auch nicht den leisesten Gruß. Seinen kupfernen Obolus warf er dem Schiffer in die Mitte des Kahns wie ein Almosen. Felice's Grazie Eccellenza! folgte ihm als Beweis guter Sitten, wofür nach dieser Richtung hin beim Volke die römischen Priester sorgen.

Benno zahlte mehr, als üblich. Da durfte er sich nicht wundern, daß Felice, den er fragte, ob er den Todtenbruder kenne, behauptete, diesen nicht blos öfters, sondern alle Tage zu fahren. Er nannte ihn einen Herzog, einen Principe, »wenn er auch nur zahlte, was in der Regel«. Daß er Cardinäle fahre, offen und geheim, Principessen, mit und ohne Schleier, setzte er ermuthigend hinzu. In jener Unermüdlichkeit, womit der Italiener einen Gedanken des Gewinns, und darin ganz dem Juden gleich, festhält, kam er wieder auf die Reize einer Stromfahrt von zwei Tagen bis zu dem Ort zurück, zu deren Merkwürdigkeiten nun auch noch der Eingang in die Hölle gehören sollte.

Benno war endlich von ihm befreit und ging, umrauscht vom Lärm der Straßen. Das Benehmen des Todtenbruders, sein stolzes, festes Dahinschreiten am Quai, das Benno noch hatte beobachten können, sein höhnisches Lachen, die scharfe Betonung über die Falschheit der Welt veranlaßte Benno, dem Unfreundlichen einige Schritte weiter als nöthig zu folgen. Er hatte Worte gehört, die sein Innerstes erschütterten. Wandelte er denn allerdings auf Wegen, die offene und gerade waren?

In wenig Augenblicken war die gespenstische Erscheinung verschwunden. Benno sah ein offenes Thor, durch das mit seinem flatternden schwarzen Gewande der Todtenbruder verschwand.

117 Benno befand sich hier bei den Hinterpforten größerer Häuser, die nach vorn dem Theater des Marcellus zu liegen. Hier gibt es kleine Gärten, kleine Pavillons. Die Dunkelheit verbarg den unschönen Anblick italienischer Hinterfronten mit ihren schmuzigen Galerieen, ihren ausgehängten alten Teppichen, ihrer aufgehängten zerrissenen Wäsche, ihren schmuzigen Geräthschaften und jenem Colorit der Wände, dessen vorherrschender Ton ein verfängliches Gelb ist. Alles das vergißt man freilich in Italien um einer einzigen Palme willen, die aus irgendeinem kleinen Hausgärtchen über solches Gewirr emporwächst.

Auch hinter jener Pforte, wo der Todtenbruder verschwunden war, lag, wie jetzt Benno sah, ein solches Gärtchen. Wer wohnt hier? fragte er einen am Wasser mit dem Ausladen eines verspätet angekommenen Kahns Beschäftigten.

In diesem Palazzo –? erwiderte der Angeredete und bot statt der Antwort, auf die er sich die Miene gab, sich gründlich besinnen zu wollen, sofort vorerst seine Waaren an, die der Herr gerade hier am zweckmäßigsten angetroffen hätte. Walzbreter zur Bereitung von Nudeln, hölzerne Löffel, einen Steinkrug zur Aufbewahrung seines Oels. Wer in Italien handelt, glaubt, daß man sich zu jeder Zeit auf dem Gebiet gerade seiner Branche assortiren könne; in die Eilwägen hinein reicht man zinnerne und blecherne Küchengegenstände, »die man jetzt gerade wohlfeil haben könnte«. Und auch dieser Mann wahrte erst seinen Vortheil und zeigte auf hundert Schritte weiter seinen Laden. Aber den Besitzer des »Palazzo« konnte er zuletzt denn doch nicht nennen. Dann war es eine großmüthige Regung von ihm, daß er, als Benno keinen Steinkrug für sein Oel mitnahm, doch einen andern Mann anrief und diesen fragte: Wer wohnt in dem Palazzo?

118 Nach vorn hin, hatte Benno inzwischen gesehen, stand allerdings ein stattliches Gebäude.

Ein Advocat . . . Ein reicher Mann – hieß es im Munde des Angerufenen, der inzwischen schon Miene machte, auch seinen Vortheil zu wahren.

Ein Advocat? Vielleicht Bertinazzi? dachte Benno und sah sich nach einem mittelalterlichen alten Hause, dem des Rienzi, um.

Wie auch bei uns die Kinder in die Läden treten und fragen können: Wollen Sie mir nicht sagen, wie viel die Uhr ist? und, wenn sie's gehört haben, als Zugabe ihrer Frage ein paar Rosinen verlangen, so tauschten sich auch hier mit den paar Worten die Interessen der sich versammelnden Italiener aus. Benno bekam so viel Anerbietungen von Waaren, so viel Verlangen nach Bajocci, so viel Anerbietungen zum Führen, zum Tragen, zum Helfen, daß er zu dem seiner Natur wenig entsprechenden Mittel greifen mußte, aus der Geberdensprache der Italiener eine Miene zu wählen, die einzige, um dieser unerträglichen Zudringlichkeit auszuweichen. Macht jemand diese Miene, so ist der Italiener gewiß, einen Landsmann vor sich zu haben, von dem er nichts zu erwarten hat. Benno streckte nicht gerade die Zunge aus, was in solchen Fällen, um vor dem italienischen Bettelgesindel Ruhe zu bekommen, das allersicherste Mittel ist; er warf nur einfach den Kopf in den Nacken mit der Miene eines gleichsam vor Hochmuth halb Närrischgewordenen. Da, aus Angst, einen Verrückten zu sehen, ließ man ihn gehen.

In der That hatte er nun doch erfahren, daß dieser Hausbesitzer, dieser reiche Mann und Advocat – Signore Clemente Bertinazzi war. Wieder blickte er auf die Pforte, und siehe da, wieder trat dort jemand, diesmal ein Mönch mit heraufgezogener Kapuze ein.

119 Das sind Verschworene! sagte sich Benno sofort.

Der Gedanke überlief ihn wie siedende Glut. Er sann und sann nun um so mehr: Wer war der schwarze Todtenbruder, der dich offenbar kannte, der dir seine Verachtung ausdrückte – trotz deiner Erwähnung Rienzi's –!

Benno wandte sich in größter Aufregung wieder der Brücke zu. Hier hatte er einen Fiaker zu finden gehofft. Schon suchte er diesen nicht mehr. Es trieb ihn in die Straße, wohinaus das Wohnhaus des Advocaten seine Vorderfront hatte.

Auch hier bemerkte er, rasch nacheinander kommend, zwei weiße Todtenbrüder, die in dem offenen Thorweg des Hauses verschwanden.

Bertinazzi hält eben seine Loge. Diese Vorstellung stand nun bei ihm fest. Sollte er folgen?

Er hatte das Losungswort! Er trug in seinem Portefeuille ein Zeichen von Silberblech mit einem aus den Flammen sich erhebenden Phönix! Beides hatten ihm die Brüder Bandiera für den Fall mitgegeben, daß er in Rom die Bekanntschaft des Advocaten Bertinazzi machen wollte, dem sie aufs wärmste über ihn geschrieben zu haben behaupteten.

Mit lautklopfendem Herzen kehrte er zur Flußseite zurück. Hier war es jetzt stiller geworden. Ruhig wogte der Strom. Den Besuch der Mutter gab er auf. Schon schlug es zehn. Im Hause des Advocaten, dem er von der Gartenseite näher zu kommen suchte, war alles still und dunkel. Das Haus mußte eine gewaltige Tiefe haben; die Entfernung vom Ende des Gärtchens bis zur Vorderseite war eine ansehnliche.

Wieder näherte sich ein Schatten der Gartenpforte – Wieder huschte dieser an Benno vorüber und ging in Bertinazzi's Haus.

Benno stand – wie am Scheidewege seines Lebens. Der 120 Gedanke an morgen war ihm an sich schon der Tod – was verschlug es, wenn er den letzten Anlauf nahm und sich in den Abgrund stürzte? Wo sollte er die Stimme, den Wuchs, den Gang des schwarzen Todtenbruders hinbringen! Eine fieberhafte Ideenverbindung zeigte ihm die drei Reiter, die ihm im Gebirge so seltsam den Weg hatten abschneiden wollen. Erschien sein Umgang mit den Tyrannen Italiens denen verdächtig, an welche er empfohlen war? Voll Unruhe begab er sich abermals nach der Hauptstraße.

Jetzt sah er einen Kapuziner zu Bertinazzi eintreten. Und nur ihm schien alles das aufzufallen; die Straße hatte ganz ihr übliches Leben. Schon griff Benno nach seinem Portefeuille und überzeugte sich, daß er das Symbol des Phönix bei sich hatte.

Einen in Hemdärmeln vor der Thür seiner Taverne stehenden Wirth fragte er: Ist das – da drüben – ein Kloster?

Nein, Signore! war die Antwort. Das Haus des Advocaten Bertinazzi.

Ich sehe Mönche eintreten –

Bei einem Arzt und Advocaten, Herr, sagte der Wirth lachend, hat alle Welt zu thun. Und nicht jeder zeigt's dann gern. Mancher Principe wartet auf den Abend, wo er die Kutte des Todtenbruders umlegen darf – Und – nun – gar die Pfaffen –!

Der Wirth machte eine Miene, als wäre ja Rom die Stadt des Carnevals und der Carneval stünde nicht blos im Februar im Kalender, sondern zu jeder Zeit und dann trügen die Larve am lustigsten die Priester.

Die Geberdensprache des Südens ist die Sprache der größten Deutlichkeit. Benno mußte, um dem vertrauensvollen Manne zu danken, seinen Wein versuchen. Es war nicht der Wirth der 121 nahen Goethe-Campanella. Der Orvieto, den Benno begehrte, war gut. Stürmisch rollte das Blut in seinen Adern auch ohne den Wein. Er war in einer Stimmung, um die Welt herauszufordern.

In dem dunkeln Gewölbe der Kneipe saßen beim qualmenden Licht der Oellampe Männer aus dem Volk. Die Unterhaltung drehte sich um Grizzifalcone. Einige Häuser weiter hatte der Räuber gewohnt, als er die Courage gehabt, nach Rom zu kommen. Man erzählte seine Heldenthaten. Man rühmte aber auch den Muth der beiden deutschen Mönche.

Benno horchte und horchte. Der Wirth pries sich glücklich, den Pasqualetto nicht beherbergt zu haben. Die Polizei hätte jeden Winkel der Herberge an der Tiber nach dem Tode des Räubers durchsucht. Alle Welt wußte, daß niemand durch diesen Tod glücklicher war, als die Zollbediente, auf deren Strafe der alte Rucca es durch die Zähmung des Pasqualetto abgesehen hatte. Die Pfiffigen und Klugen haben hier immer Recht. Um den Grizzifalcone blieb es »Schade, daß er nicht – Gonfalonere in Ascoli geworden«.

Benno hörte lachen – die Gläser aufstampfen – hörte Gesinnungen, die denen der Lazzaroni Neapels entsprachen. In seinem Innern klangen die Worte des Attilio Bandiera: »Man muß manche Völker zur Freiheit zwingen!« Damals hatte er noch erwidert: »Mit der Guillotine?« Neue Welten waren seither in ihm aufgegangen.

In jenem Hause konnte er das Schicksal der Freunde erfahren, um die er sich in so große Gefahren des Lebens und der Seele gewagt hatte. Der Tag, vielleicht die Stunde konnte ihm dort genannt werden, wo die Brüder in Porto d'Ascoli landen mußten, Ravenna, Bologna sich erheben würden. Er sagte sich: Es ist der Weg des Todes! Sollst du ihn beschreiten?

122 Und gehst du ihn nicht schon? antwortete eine Stimme seines Innern. Bleib' auf deiner Straße – des Verhängnisses – Wild mit der Rechten durch seine Locken fahrend erhob er sich. Stürmenden Muthes verließ er die Schenke. Sie rufen mich! sprach er vor sich hin und sah – jene Geister des Beistands, von denen Attilio gesprochen hatte. Auf der Höhe seines Lebens war er angekommen! Dahin also hatten alle Ziele seines Schicksals gedeutet –! Er sah seine ersten Anfänge wieder – fühlte den Kuß jener schönen Frau, die sich trauernd über ihn gebeugt, wenn sie aus dem Wagen gestiegen – Die in Spanien erworbenen goldenen Epauletten seines Adoptivvaters Max von Asselyn blitzten vor seinem Auge auf. Zigeunerknabe, du bist in deiner Heimat! klang es um ihn her wie aus tausend silbernen Glöckchen. Dann wieder waren es Geigentöne – wie sie der bucklige Stammer damals zwischen seinen Erzählungen von der Frau, die nur die deutschen Worte: »Tar Teifel!« kannte, auf dem Finkenhof strich. Du gehst! sagte er sich und schritt dem Hause näher.

Und dennoch würde Benno vorübergegangen sein, wenn nicht die menschlichen Entschließungen unter dämonischen Gesetzen stünden. Der eine Flügel des offen stehenden Hausthors war soeben von einer nicht sichtbaren Hand von innen geschlossen worden. Eben bewegte sich der andere Flügel, um gleichfalls zuzufallen. Der Anblick dieser kleinen, noch eine Secunde offen gelassenen Spalte bestimmte den wie vom Schwindel Ergriffenen und halb Besinnungslosen rasch vorzutreten und die beiden Worte zu sprechen: Con permessa!

Eine Stimme antwortete: Que commande?

Eine kurze Pause folgte –

Die Schlange wechselt ihr altes Kleid! sagte Benno. Das Erkennungswort des »Jungen Italien« war gesprochen.

123 Es war kein freier Wille gewesen, der diese verhängnißvollen Worte von Benno's Lippen brachte. Es war ein fremder Geist, der aus ihm sprach, ja – der ihn sogar diese Losung ganz deutlich und fest aussprechen ließ. Er trat in den wiedergeöffneten Flügel und befand sich in einem dunkeln Gange. Die Thorpforte fiel hinter ihm zu.


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