Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VII. Buch
Karl Gutzkow

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Sechzehntes Bändchen.

1 6.

Wenn ein geliebter Freund aus weiter Ferne zurückkehrt, breitet er zuvor seine Gaben aus. Benno brachte genueser Korallenschmuck und mailänder Seidenstoffe. Kostbarer, als alles, war das Geschenk seines eigenen Selbst.

Und war er es denn wirklich? Jener liebenswürdige junge Mann, der vor einem Jahr am Kärntnerthor zu Wien aus dem vierspännigen Wagen der Herzogin gesprungen? Aeußerlich machte er den Eindruck eines Italieners. Gestern, frisch vom Postwagen gekommen, hatte er noch einen Calabreser aufgehabt. Heute hatte er der Mode zwar den Tribut eines schwarzen Hutes gebracht, seinen verwilderten Bart ein wenig gestutzt; das lange schwarze Haar jedoch, die Bräune des Antlitzes, die leichte, heitere Beweglichkeit, alles war durchaus nicht so, wie es die Mutter aus den wenigen unvergeßlichen wiener Augenblicken des äußersten Schmerzes und der äußersten Freude kannte. Aber es war schöner noch, verwandter, heimatlicher als die Erinnerung. Sie erstickte seine ersten Worte mit ihren Küssen und Umarmungen. Er war es – ihr Giulio Cesare!

Nichts ist anziehender als ein lebensmuthiger, froher, sorgloser junger Mann. Ihm gehört die Welt. Alles, was ihm 2 die Gegenwart versagt, muß sich ihm zu Gefallen noch ändern. Der Tag rauscht dahin, Jahre werden vergehen, aber den Reichthum seiner Lebenskraft scheint nichts berühren zu können. Gefühle, Leidenschaften, Gedanken, mit denen das Alter geizt, von denen die Erfahrung nur noch Einzelnes und Abgegrenztes entgegennimmt, ihm ist alles noch eine in sich zusammenhängende groß Welt, welche den ganzen Menschen ergreift, alle Sinne zu gleicher Zeit, die Seele und den Leib, den Leib und die Seele.

Benno verrieth anfangs nur die Stimmung, in welche ihn die glückliche Lage versetzen durfte, von seinem Bruder Wittekind anerkannt worden zu sein. Seine Geldmittel flossen nach Bedürfniß. Schon hatte er sich bei Sopra Minerva eine Wohnung gemiethet. Endlich – er war bei seiner Mutter!

Allmählich staunte er, die Mutter auf dem Monte Pincio zu finden. Wie oft hatte er im letzten Herbst den Palast betrachtet, wo er wußte daß sie wohnte. Das ihm nun enthüllte Schicksal der Mutter durfte ihm gleichgültig erscheinen, was die Geldmittel anbelangte. Dennoch betraf es ihn schmerzlich. Mehr noch, er deutete mit lindem Vorwurf an, wie verdrießlich es ihm war, diese Veränderung erst jetzt zu erfahren.

Warum, mein Sohn –? fragte die Mutter voll Besorgniß.

Er wäre dann vielleicht nicht gekommen! sagte er.

Die über eine so kurz und rundweg gegebene Erklärung Betroffene erzählte ihm die Einzelheiten ihres Bruchs mit Ceccone.

Dieser Elende! rief Benno. Dann aber sprach er dumpf vor sich hin: Hätt' ich doch – das nur geahnt!

Aber warum nur? Was hast du? fragte immer besorgter die Mutter. Du rechnetest auf Olympiens Liebe –? setzte sie angstbeklommen, wenn auch lächelnd hinzu.

Benno erröthete und erwiderte nichts. In seinem Schweigen lag seltsamerweise – ein aufrichtiges Ja!

3 Die Mutter stand mit bebenden Lippen vor ihm und hielt seine beiden Hände.

Benno verhieß jede Aufklärung. Jetzt sprach er von einem Freund, der ihn bei dem jungen Fürsten Rucca vielleicht schon angemeldet hätte.

Ich Thörin! wehklagte die Mutter. Ich mistraute der Sicherheit unserer Briefe und schrieb dir nichts. Noch wagte nicht die Mutter von Lucinden zu sprechen.

Benno wurde zerstreuter und abwesender. Er schützte für eine vorläufige Entfernung das Suchenmüssen seines Freundes vor. Dieser hatte bereits vor ihm eintreffen wollen. Er erzählte nur noch einiges von Bonaventura's schwieriger Stellung, vom Dank, den sich sein Freund durch die Befreiung einiger Opfer der Inquisition erworben, von Bonaventura's Mistrauen gegen die ihm von Rom durch Lucinde und die Mutter gewordenen Mittheilungen über die Identität jenes Pilgers mit dem Eremiten Frâ Federigo, der sich nach allgemein dort verbreiteter Meinung in den Kerkern der Inquisition zu Rom befinden müsse, von Fefelotti's bedenklicher Feindschaft, die es indessen zu einer förmlichen Anklage durch die Congregazione de Vescovi e Regolari noch nicht hatte kommen lassen.

Die Mutter wagte sich mit einigen ihrer Erfahrungen hervor. Sie erzählte von Fefelotti, erzählte endlich auch – Lucindens Mitwissenschaft um das Geheimniß seines wahren Namens.

Von dieser Seite kann doch immer nur das Verhängniß kommen! erwiderte Benno mit den lebhaftesten Zeichen der Betroffenheit.

That ich recht, mit einem solchen Dämon Frieden zu schließen? fragte die Mutter und las voll Angst in seinen Mienen.

Gewiß! gewiß! sagte er fast abwesend. Er wollte gehen und den Freund suchen. Offenbar kämpfte sein Inneres irgendeinen 4 Kampf. Die Mutter sah es und wollte ihn nicht lassen. Als er dann aber doch gegangen war mit dem Versprechen, gegen Abend zurückzukehren, als sie in die letzte Umarmung die ganze Empfindung gelegt hatte, die sie vorm Jahr nach ihrem: »Auf Wiedersehen!« in ihr Herz verschlossen und angesammelt, überfiel sie jenes Bangen, wovon wir selbst nach der mächtigsten Freude und dann sogar ohne allen Grund erschreckt werden können. Salve! Salve! rief sie ihm zwar nach und ihres Orakels dankbar gedenkend. Aber das wiedereroberte Glück wuchs nun zu solcher Höhe, daß sie ein Schwindel ergriff. Ist es denn möglich, rief sie, sein Vaterland scheint nicht mehr dieser kalte Norden zu sein! Er spricht nicht blos so schön in den Lauten unserer Zunge, er spricht im Geist seiner Mutter!

Daß sie in dieser Seligkeit nicht lange verweilen durfte, machte sie weinen. Was hat er nur mit Ceccone – mit Olympien? Zwei Stunden war er bei ihr gewesen. Nun erst dachte sie allem nach, was er gesprochen. Er hatte politische Aeußerungen fallen lassen. Er hatte nach einigen freisinnigen Namen, nach Lucian Bonaparte gefragt. Himmel, rief sie, ich sollte erleben, daß ich eine Römerin werde wie die Mutter der Gracchen! Cäsar, Cäsar, ich bin nicht so stark wie Cornelia! Ich zittere vor Gefahren, in welche du dich begibst! Dann grübelte sie: Was ist ihm nur verdorben durch meinen Bruch mit Ceccone –? Bedarf er eines so Mächtigen? Fühlt er sich nicht sicher? Sie erschrak, als er von einem Gang auf die österreichische Gesandtschaft als von etwas für seine Lage Ueberflüssigem gesprochen hatte. Er lehnte den Wunsch eines Zusammenhangs mit Deutschland ab.

Nun drängte sich anderes in ihre Erinnerung an diese seligen zwei Stunden. Wie sinnig hatte er das Pastellmedaillon des Herzogs von Amarillas betrachtet! Wie wehmuthsvoll umflorte sich sein Auge, als sie dies Medaillon geöffnet und Angiolinens 5 blutiges Haar hervorzog. Sie hatte ein geheimes Fach eines Schreibsecretärs aufgezogen und ihm Erinnerungen an Kassel, Schloß Neuhof, Altenkirchen gezeigt, die gefälschten Dimissorialien, die Zeugenaussagen der Freunde Wittekind's. Alledem sprach er Worte voll Ernst und Charakter.

Zuletzt nahm sie alles leichter. Sein Lächeln war zu lieb und sicher gewesen. Er hatte sie zu innig umarmt, zu oft an den Spiegel geführt und sich mit ihr verglichen; ihre Hände küßte sie an den Stellen, wo er diese geküßt hatte. Sie fühlte ihre Jahre nicht mehr, sie gedachte ihrer grauen Haare nicht, sie liebte Benno mit dem Feuer eines Mädchens, das ein Abbild ihrer Träume gefunden. Zu Lucinden hätte sie hinausfahren und ihr rufen mögen: Er ist da und was willst du nun? Ueber Armgart, auf welche sogleich die Rede kam, hatte sich Benno nur träumerisch ablehnend geäußert.

All ihre Unruhe sammelte sich jetzt in der Sorge um ein würdiges Empfangen des Sohns für den Abend. Er kam dann vielleicht mit seinem in Aussicht gestellten und vielleicht nun gefundenen Freunde. Letzterer hätte schon drei Tage vor ihm in Rom sein sollen, hatte Benno erzählt und seinen Namen mehrmals genannt. Daß sie ihn behielt, war von einer Italienerin nicht zu erwarten. Auch Marco und die andern Dienstboten, die befragt wurden, ob jemand nach Baron d'Asselyno im Hause gefragt hätte, behielten ihn, obgleich ihn Benno auch ihnen nannte, nur unter dem Namen des vielleicht noch kommenden »Signore biondo« – des »blonden Herrn«. Sonst schien man wegen eines so außerordentlich warm begrüßten Fremden wie Benno im Hause nicht eben neugierig. Marco beherrschte sich. Er war das Prachtexemplar eines italienischen Bedienten. Schon in den Vor-Ceccone'schen Zeiten der Herzogin hatte er Abends ihren Kammerherrn, Vormittags die Scheuerfrau gemacht. 6 Jetzt sank er zwar nicht ganz zu dieser Vielseitigkeit herab, aber den Koch mußte er heute Abend doch mit dem Kammerherrn zu verbinden wissen. Er versprach ein Souper herzurichten, wie es sich für eine Herzogin zu geben geziemt. Die Mutter ordnete und schmückte die Wohnung und sich selbst. Das Haus war in Aufregung. Una cognoscenza della Padrona – aus Wien! Wozu brauchte es weiterer Aufklärung!

Das beste Zimmer der Etage bot einen Ausgang auf eine prächtige Altane – das Dach eines vorgebauten, niedrigeren Hauses. Hier war die Plateforme mit riesigen großen Blumentöpfen besetzt, mit kleinen Orangen-, großen Oleanderbäumen. Die geöffnete Thür ließ die Wohlgerüche der Pinciogärten in das einfache, heute doppelt sorgfältig geordnete Zimmer einziehen. Noch wurden Teppiche auf die von den Blumenstöcken leer gelassenen Stellen gebreitet. Es war die unschuldigste Nachahmung der »hängenden Gärten der Semiramis«! Ein ungehinderter Fernblick zeigte ein Häusermeer, aus dem die Kirchen, Säulen und Obelisken, schon von den Strahlen der sinkenden Sonne beleuchtet und rosig verklärt, emporragten. Die Luft noch wie frühlingsmilde. Die Mutter hätte der Welt rufen mögen: Wo ist heute eine größere Festesfreude, als bei mir!

Marco lief hin und her und kaufte ein. Mag er ein wenig die Ohren spitzen, mag er sogar denken: Das ist wol gar der Vielbesprochene, um den die Fürstin Rucca so manche Tasse zerbrach und an den Kopf der Diener so manchen Teller schleuderte! So dachte sie sich's. Aber nun: Was wird Olympia sagen! Da stand sie beim Arrangement ihrer Blumen still und flüsterte: Wohl! Wohl! Was wird Olympia sagen! Mehr schon zu fassen und zu denken vermochte sie aber noch nicht.

Benno kam dann rechtzeitig und noch vor dem Abend.

Der Freund war nicht angekommen. Er hieß Thiebold de 7 Jonge – »Tebaldo«, wie man wenigstens den Vornamen nun behielt.

Ist es denn wol der? fragte die Mutter und erzählte was sie von Lucinden über Armgart's drei Freier wußte.

Benno zog die gelben Handschuhe aus, knöpfte den schwarzen Frack auf, strich den langen lockigen Bart, der auf die weiße Weste niederglitt, und sagte: Es ist unwürdig, von Armgart in einem Augenblick zu sprechen, wo ich nur zu sehr verrathe, daß – ich bedauere, von Olympien vergessen worden zu sein!

Wieder dasselbe Räthsel, wie heute früh.

Die Mutter begriff diese Aeußerung nicht. Aber sie wußte, daß die Aufklärung nicht fehlen würde. Jetzt hatte sie nur mit Benno's Person, mit dem Glück, ihn zu besitzen, zu thun und sie war mit ihm wie eine Braut. Eine Braut ist in den ersten Tagen ihres Glückes ganz nur von stiller Prüfung und Beobachtung erfüllt, wie sich der Geliebteste zu der ihm jetzt gestatteten engeren Vertraulichkeit des Umgangs ausnimmt, wie ihm die Berührung mit ihrem eigenen kleinen Dasein steht, wie ihre Blumen, ihre Bücher, ihre kleinen Pedanterieen am Nähtisch von ihm beurtheilt werden, wie in die tägliche Ordnung des Aelternhauses sein Wesen sich bescheiden oder wol gar – o Wonne und Glück! – ihre aparten Ansichten über diesen Brauch und jenen Misbrauch den Aeltern gegenüber unterstützend fügt. Wohl dem Bund, wo dann alles so still beklommen Beobachtete die Seligkeit des Besitzes mehrt, kein plötzlich ausbrechender Thränenstrom verräth, daß oft ein einziges, allzu sorglos hingeworfenes Wort den Cultus eines ganzen ersten Jugendlebens zusammenwirft – Welten wie Spinneweben zerreißt! Wohl dem Bund, wo dann die Harmonie der Herzen auch eine des Geistes und vor allem unsers irdischen, allerdings oft launisch genug bedingten äußern Daseins wird!

8 Benno spöttelte immer noch gern und war nie ein – Zwirnabwickler, wie Armgart Männer nannte, die sie nicht mochte. Aber »Mutter Gülpen« in der Dechanei hatte ihn doch ein wenig für die Schwächen der Frauen erzogen. Wo er mußte, fügte er sich dem Ton, den die Frauen lieben. Auch Gräfin Erdmuthe hatte hier nachgeholfen. Er kam so geschult, so rücksichtsvoll und artig, daß die Mutter ihre Freude hatte zu sehen: So nimmt er sich aus vor den andern! So gleicht er – dem bösen Vater und so gleicht er ihm auch nicht! Das Haar unter dem großen Medaillon des mit Orden bedeckten weißlockigen Herzogs von Amarillas hatte er sich wieder betrachten zu dürfen erbeten. Benno sah ebenso voll Wehmuth den Inhalt der Kapsel, wie mit Interesse das Bild des greisen Herzogs, der in jedem Zug den Spanier verrieth.

Die Politik war in der That die Seele von allem, was Benno in längerer und ausführlicherer Erörterung sprach. Er sah sich um, ob sie unbelauscht blieben. Die Mutter führte ihn auf die nunmehr dunkelnde Altane hinaus. Hier war alles still. Da saßen sie unter den duftenden Blüten. Ihre Hände ruhten auf dem Schoos der Mutter ineinander.

Benno's die Mutter außerordentlich überraschende Berührung mit den politischen Umtrieben der Jugend und den Flüchtlingen Italiens beruhte auf einem persönlichen Erlebniß. Nachdem er seiner Fürsorge für Bonaventura's Gefahr noch einmal alles hatte berichten lassen, was die Mutter von Fefelotti vorgestern gehört, erzählte er jenes. Sein Grübeln über den Anlaß aller dieser Lebenswirren – es war Bonaventura's Schmerz um das traurige Geschick seines Vaters – unterbrach er fast gewaltsam damit.

Er erzählte, daß er vorm Jahre mit den Depeschen des Staatskanzlers nach Triest und von dort zu Schiff nach Ancona 9 gereist wäre – den kürzesten Weg, um in Zeit von acht Tagen Rom zu erreichen. Auf diesem Dampfboot hätte er eine Bekanntschaft gemacht. Ein hoher stattlicher Mann wäre ihm aufgefallen, ein Greis mit weißen Haaren, doch kräftigen dunkelgebräunten Antlitzes, eine Erscheinung, vor welcher die Bemannung des Schiffes ebensowol, wie die Passagiere die größte, wenn auch eine etwas scheue Hochachtung bezeugt hätten. Bald hätte er erfahren, daß dieser in einen grauen militärischen Oberrock, sonst in Civil gekleidete Mann einer der ersten Namen des Kaiserreichs war, Admiral der österreichischen Flotte, Francesco Bandiera.Geboren 1780 in Venedig. Italiener von Geburt, Venetianer aus den alten Geschlechtern, hatte Bandiera die angeborene Seemannsnatur zu Gunsten des Staates ausgebildet, dem ihn die Geschicke Europas nach dem Sturz Napoleon's zugewiesen. Er hatte die kaiserliche Marine ebenso vervollkommt, wie ihrer Geschichte Lorbern errungen – er befehligte die österreichische Fregatte »Bellona«, die noch vor kurzem ein englisches Bombardement vor St.-Jean d'Acre unterstützte. Reisen nach Amerika hatte er gemacht und trug, wenn er sich in ganzer Repräsentation seiner Würde hätte zeigen wollen, die Brust mit Orden bedeckt.

Die Herzogin kannte die Lage dieses Mannes. Sie wußte, warum sein Blick so traurig und die Ehrfurcht vor ihm hatte so scheu sein müssen. Zwei seiner Söhne, bestätigte Benno, hatten die Loyalität des hochgestellten Vaters auf eine in Oesterreich mit Indignation, in Italien mit Jubel aufgenommene Weise compromittirt. Attilio und Aemilio Bandiera standen als Marinelieutenants unter ihrem Vater.Wir geben Thatsachen. Mit dem Pistol in der Hand und im Bund mit einigen Verschworenen hatten sie sich das 10 Commando der Fregatte »Bellona« erzwingen und mit ihr nach der Küste der Romagna segeln wollen, wo ein gleichzeitig organisirter Aufstand den Versuch einer Insurrection erneuern sollte, der schon einmal bei Forli und Rimini gescheitert war. Bandiera selbst, der Admiral, ihr Vater, hatte sich damals den für einen Italiener zweifelhaften, für einen Oesterreicher achtbaren Ruhm erworben, die Trümmer der in Rimini und Forli gesprengten Insurrection – Louis Napoleon Bonaparte war unter den Entkommenen, sein älterer Bruder unter den Gefallenen – zur See vernichtet zu haben. Aber der Ueberfall der Fregatte »Bellona« mislang. Die beiden dem »Jungen Italien« affiliirten Söhne des Admirals entflohen. Bandiera, vor dem Kaiserstaat in seinen Söhnen compromittirt, riß sich im ersten Anfall seines Schmerzes die Epauletten von den Schultern, band sich die goldene Schärpe ab, legte seine Würde nieder und begab sich nach seinem Landgut Campanede bei Mestre an den Lagunen Venedigs; er bekannte sich seiner Stellung ferner für unwürdig.

Die Herzogin kannte diese ergreifenden Vorfälle.

Wohl kannst du denken, fuhr Benno fort, wie mich der Anblick des Greises erschütterte! Die markige Gestalt war vom tiefsten Schmerz gebeugt. In die Wellen blickte Francesco Bandiera wie jemand, der den Tod einem Leben ohne Ehre vorzieht. Abgeschlossen hielt er sich von der ganzen Equipage des Schiffs. Man flüsterte, er wollte nach Korfu, wohin seine Söhne geflohen waren, wollte ihnen zureden, zurückzukehren, sich dem Kriegsgericht zu stellen, das sie ohne Zweifel zum Tode verurtheilen würde – er wollte sie ermuntern, sich der Gnade des Kaisers zu empfehlen und eine Gefängnißstrafe zu büßen, die vielleicht keine lebenslängliche war. Auch ihm persönlich konnte dann noch vielleicht möglich bleiben, eine Stellung zu behalten, 11 die er trotz seiner Jahre liebte. Das Blut eines alten Seemanns geht nicht im gleichen Takt mit dem Leben auf dem Lande.

Die Mutter verstand die Schwere eines solchen Schicksals und horchte. »Eine Mutter«, sagte sie, »ist die Vorsehung ihres Kindes!« Das waren deine Worte, mein Sohn, als wir an Angiolinens Leiche standen! Ein Vater aber, fuhr sie fort, ist noch mehr, ist der Sohn selbst! Das ist nur Eine Person mit ihm – Vater und Sohn, beide haben nur eine und dieselbe Ehre –!

Benno seufzte. Er verfiel auf Augenblicke in ein Sinnen. Nicht um den Kronsyndikus, wie die Mutter dachte. Nein, ebenso hatte Bonaventura gesprochen, der keine Ruhe mehr im Leben finden zu können erklärte, solange er wüßte, in einem Kerker der Inquisition schmachtete sein Vater. Benno theilte die Ueberzeugung, daß Frâ Federigo Friedrich von Asselyn war. Er sah Conflicte kommen mit Friedrich von Wittekind, der seinen alten Freund todt glauben mußte.

Sich aufraffend fuhr er fort: Die Begegnung des Vaters mit seinen Söhnen schien eine Scene des höchsten Schmerzes werden zu müssen. Ich betrachtete den gebeugten Helden mit jener Rührung, die uns immer vom tragischen Geschick eingeflößt wird. Doch gerade meinen Blick vermied er. Es hatte sich herumgesprochen, daß ich als Kurier für die Regierung reiste. Meine Tasche mit den Depeschen verrieth mich; Geheimhaltung war mir nicht anbefohlen worden.

Benno war schon so auf die Weise des politischen Lebens zu Italien gestimmt, daß er den besorglichen Blick der Mutter verstand. Ein Kurier mit österreichischen Depeschen ist in Italien nicht seines Lebens sicher.

Die Fahrt dauerte zwei Tage und zwei Nächte, erzählte Benno. Die Küste der Romagna kam und verschwand wieder. 12 Die hohen Apenninen sah das Fernrohr bald, bald verloren sich die zackigen, zuweilen schneebedeckten Höhen. Jenseits derselben lag Rom! Auf die Länge war nicht zu vermeiden, daß Bandiera mit mir in ein Gespräch verwickelt wurde. Er erkundigte sich nach meiner Heimat. Da er sie nennen hörte, sprach er von einem mir unendlich theuern Namen, der aus dortiger Gegend gebürtig ist. Den englischen Obersten Ulrich von Hülleshoven hatte Bandiera auf der Rückreise von Rio-Janeiro, wohin er die Erzherzogin Leopoldine von Oesterreich als Kaiserin von Brasilien überführt hatte, in Canada kennen gelernt.

Den Vater deiner Armgart! sagte die Mutter mit lächelndem Forschen und trauerndem Ton.

Benno erwiderte: Du sahst wol an Lucindens Schilderung, daß diese Liebe mehr ein Gegenstand des Spottes als des Glückwunsches geworden ist. Schon hab' ich mich gewöhnt, sie wie meinen Stern des Morgenlands zu betrachten, dem die Lebensreise unbewußt folgt. Ich hoffe um so weniger auf Erfüllung, als ja der Freund, den ich jeden Augenblick erwarte, ebenso leidet wie ich.

Mein Sohn, sagte die Mutter voll Theilnahme, es gibt in der Liebe vielerlei Wege. Die gerade Straße führt nicht immer zu dem, was für uns bestimmt ist. Hoffe!

Benno hielt einen Augenblick inne und schüttelte seine ihm fast auf die Schultern reichenden schwarzen Locken. Nach einer Weile fuhr er fort: Auf diese Mittheilung, die mich außerordentlich überraschte, wurde ich mit Admiral Bandiera vertrauter. Daß der vom Staatskanzler mir gegebene Auftrag eine ganz zufällige Veranlassung hatte, schien ihn fast zu erfreuen. Er faßte Vertrauen, als ich ihm sagte: Die Jugend des jetzigen Europa wächst in neuen Anschauungen auf! Zwei Offiziere, die ihren Eid brächen, könnte man freilich nicht entschuldigen; aber wie oft 13 hätten auch die Völker und die Fürsten in diesen Zeiten ihre Eide brechen müssen! Nein, nein, wallte er auf, ich schieße sie nieder, die Fahnenflüchtlinge, Verräther an ihrem Kaiser, ihrem Schiff, dem sie angehörten, dem Palladium ihrer Ehre! Die Erregung, wie der greise Admiral diese Worte sprach, glich der des Brutus, der seine Söhne zu richten hatte. Dennoch konnt' ich erwarten, daß diese Reise nach Korfu, wo die Söhne ein Asyl bei den Engländern gefunden, die Wendung der Versöhnung nahm. Ich bemitleidete den Greis, dessen Inneres von Folterqualen zerrissen schien.

Die Mutter nahm schon längst Partei nur für die Söhne. Sie machte eine jener verächtlichen Mienen, von denen auch nur, wenn innerliche Abneigung sie ergreift, so die Südländerin ihre Gesichtszüge entstellen läßt.

Ihren Pahs! und Ehs! erwiderte Benno: Ich rechnete zu des Vaters Leiden die mir vollkommen ersichtliche Liebe und Theilnahme für seine Söhne. Sie schienen die Augäpfel seines Lebens zu sein. Beide Söhne waren der Stolz der Mutter, die nach Mailand geeilt war, um die Gnade des Vicekönigs anzurufen. Sie hatte tröstende Versprechungen zurückgebracht, falls die Flüchtlinge reuig wiederkehrten. Ja im Stillen gährte in des Alten Brust die Regung des gebornen Italieners. Er glaubte vollkommen an die Möglichkeit dieser Verirrung, schrieb sie auch nur auf Rechnung der Verführung – Er, er wollte ihnen lieber die kaiserliche Kugel vor die Stirn brennen lassen, rief er aus, als sie mit diesen Mordbrennern und Mördern in London, Malta, Korfu, wo die Junten des »Jungen Italien« säßen, Hand in Hand gehen sehen – Bald jedoch setzte er hinzu: Dort suchen und finden sie die Kugel sichrer, als wenn sie nach Venedig zurückkehren, ihren Richtern sich stellen und ihr Schicksal der Gnade des Kaisers empfehlen! Was thun solcher Jugend, fuhr er wie 14 – ein Italiener zu calculiren fort, ein paar verlorene Jahre? Bis dahin ändert sich viel. Aemilio, mein jüngerer, ist kräftig; Attilio, der ältere, zarter – erst dreiundzwanzig Jahre alt –

Das Auge der Herzogin leuchtete hell auf. Ihr Herz schlug für die jungen Flüchtlinge, die zu jenem Bunde gehörten, von welchem zwölf Logen auch in Rom wirken sollten – zu jenen Verschwörungen, um derentwillen Fefelotti und Ceccone scheinbar Frieden geschlossen hatten. Nur blieb sie besorglich gespannt. Wie konnte diese Begegnung Veranlassung sein, daß Benno so plötzlich nach Rom kam und sogar wünschen konnte, Ceccone und Olympien wieder zu begegnen? Ihre Augen, die wie glühende Fragezeichen auf dem sonnenverbrannten Antlitz des Sohnes hafteten, sprachen: Was willst du aber mit alledem?

Mutter, sagte Benno liebevoll, ich gestehe dir's, ich habe bei allen diesen Beziehungen nur an dich gedacht, habe aus deinem Sinn heraus darüber geurtheilt – du hattest mich schon in Wien zum Italiener gemacht.

Divino! flüsterte die Herzogin und küßte Benno's Stirn.

Benno drückte ihre Hand und fuhr fort: Ich empfand Mitleid mit dem Vater und den Söhnen. Die Söhne schienen ihren Vater zu lieben und die Schande vollkommen zu erkennen, die sie ihm bereiteten. Er erzählte die rührendsten Züge ihrer Anhänglichkeit. Wie erkannt' ich das schöne Band, das einen Sohn an seinen Vater fesseln kann – wie den Schmerz, nicht mit ihm dieselbe Bahn gehen zu dürfen! Ich vergegenwärtigte mir den Mann, dessen Namen auch wir tragen sollten und sagte mir: Hättest du ihn im Leben zur Rechenschaft fordern dürfen, wer weiß, ob sein Anblick dich nicht entwaffnet haben würde!

Orest tödtete seine Mutter! wallte die Herzogin auf.

Aber die Furien verfolgten ihn dafür! entgegnete Benno.

Ein unheimliches Brüten trat in die Augen der Herzogin. 15 Sie schien sich auf die Momente Wittekind's zu besinnen, von denen sie selbst erzählt hatte, daß sie bestrickend sein konnten. Sie brütete, ob sich Benno etwas daraus machen würde, sich mit der Zeit einen Wittekind zu nennen. Fefelotti konnte mit einem Federstrich ihre Ehe legitimiren. Für wissentliche und unwissentliche Bigamie gab es in Rom dicht an der nächsten Straßenecke die officielle Entsühnung.

In Ancona nahm ich Abschied von dem greisen Helden, fuhr inzwischen Benno fort. Obgleich das Schiff einen Tag rastete, blieb der Admiral auf seinem Element. Anconas Thürme schreckten ihn. Er hatte die Fahne des »Jungen Italien« auf ihnen gesehen. Er hatte die Flüchtlinge von Forli und Rimini aufgefangen und an die Kerker des Spielbergs ausgeliefert. So lohnte ihm die Nemesis! Er drückte meine Hand, ermahnte mich, wenn ich Aeltern hätte, ihnen Freude zu machen, empfahl sich dem Obersten von Hülleshoven und zeigte nach Südost, hinüber zu den Ionischen Inseln. Die Heimat des Ulysses! sagte er und deutete damit an, ihm würde keine Ruhe mehr werden. Er wollte seiner Weinreben zu Campanede warten. Der Gedanke an seine Gattin, die Mutter dieser geliebten Söhne, füllte sein Auge mit Thränen.

Die Herzogin machte eine Miene, als wollte sie sagen: Ah bah! Was hilft das uns! Kümmere dich nicht um ihn!

Ich erlitt in Ancona eine Verzögerung, fuhr Benno fort, weil Grizzifalcone damals den Weg nach Rom besonders unsicher machte. Der Eilwagen fuhr in Begleitung eines Detachements Carabinieri.

Ueber den Angriff bei Olympiens Hochzeit, über die Gefahr der Mutter, den Tod des Räubers hatten sich die Briefe genugsam ausgesprochen. Dennoch kam Benno mit neuem Bedauern darauf zurück. Er kürzte dafür die Schilderung seines 16 Aufenthalts in Rom ab, der bis zum Carneval und bis zur Ankunft der Mutter gedauert hatte.

Da entflohst du wieder! sagte sie. Bereitetest meiner Sehnsucht die schmerzlichste Enttäuschung! Nun ich von deiner Liebe zu Armgart weiß, versteh' ich es – und alles das nennst du deutsch! Deutsch ist euch die Ehrlichkeit –! Haha! Dein Vater war nun auch ein Deutscher und dennoch – Doch fahre fort! Ich ahne – sagte die Mutter mit zagender Stimme – du lerntest die Gebrüder Bandiera selbst kennen.

Ich ging nach dem Süden, sprach Benno mit bejahender Miene, sah Neapel, schwelgte in Sorrent, kletterte über die Felsen Capris und Ischias, lernte die Sprache des Volks, die eine andere als die der Grammatik ist, und reiste nach Sicilien. Ich machte die Reise mit einigen Engländern, die ich in Sorrent kennen gelernt hatte im Hause der Geburt Tasso's. Wir stimmten beim Anblick einer alten Bronzebüste des Dichters überein, daß nach diesem Abbild Tasso die häßlichste Physiognomie von der Welt gehabt haben mußte und seine Stellung zu Leonore d'Este eine neue und komische Beleuchtung dadurch erhielt. Ich blieb mit diesen heitern Engländern zusammen. Wir reisten nach Palermo. Dort besuchten wir ein englisches Kriegsschiff, das im Hafen lag. Wir dinirten am Bord desselben; köstlicher und fröhlicher, als ich seit Jahren auf dem Lande gelebt. Der Wein floß in Strömen. Die Engländer meiner Bekanntschaft waren mit dem Kapitän von der Schule zu Eton her bekannt. Am Tisch saßen zwei junge Männer, Italiener, die bei dieser ausgelassenen Schwelgerei die Zurückhaltung und Mäßigkeit selbst waren. Sie sprachen Deutsch und Englisch, waren bildschön, hatten Augen von einem glühenden und doch wieder so milden Feuer –

Wie du! unterbrach die Mutter wie mit dem Ton der Eifersucht. 17 Sie weidete sich an Benno's Anblick, der in anderm Sinne ein edler und männlicher war.

Sage, wie – verkleidete Angiolinen! entgegnete Benno. Die Söhne Bandiera's waren wie Castor und Pollux. Redete man den einen an, so erröthete statt seiner der andere. Nach Tisch wurde auf dem freien Element bei einem Sonnenschein, der alle Herzen der Menschen mit Liebe und Versöhnung hätte erfüllen sollen, politisirt. In der Ferne lag das rauschende wilde Palermo mit seinen Kuppeln und Thürmen; sein Kauffahrteihafen mit Hunderten von Masten; das englische Kriegsschiff mit achtzig Kanonen lag dicht am Castell und diente zur Unterstützung einer Differenz des englischen Leoparden mit der Krone Neapels.Die bekannte »Schwefelfrage«. Dicht lag es an dem abgesonderten Festungshafen Castellamare. Ich erzählte den Brüdern meine Begegnung mit ihrem Vater und fragte nach dem Resultat. Sie sehen es, sagten beide zu gleicher Zeit und zu gleicher Zeit füllten sich beider Augen mit Thränen. Abwechselnd, wie nach Verabredung und doch nur infolge ihrer guten Erziehung und brüderlichen Eintracht, sprach immer der eine und dann erst der andere. Ihr Gemüth schien ein einziges Uhrwerk zu sein. Was auf dem Zifferblatt der eine zeigte, schlug mit dem Glockenhammer der andere. Sie erzählten, daß sie wohl gewußt hätten, welchen Kummer sie dem Vater und der Mutter bereiteten und wie sie des erstern ehrenvolle Laufbahn unterbrachen. Sie hätten aber schon lange keinen freien Willen mehr. Einmal eingereiht in den Bund des »Jungen Italien« müßten sie vollziehen, was ihnen befohlen wird. Die Befehle kämen von London, Malta und Korfu. Nur durch diese blinde Unterwerfung und gänzliche Gefangengabe seiner eigenen Persönlichkeit könnte eine große Zukunft erzielt werden. Italien müßte frei von den 18 Fremden, frei von seinen eigenen Unterdrückern, müßte einig werden und eine große untheilbare Republik. Ich mochte, weil dieser Wahn zu eingewurzelt schien, ihn nicht bekämpfen.

Wahn? unterbrach die Mutter. Glaubst du, daß diese Ceccones, diese Fefelottis so zittern würden, wenn sie solche Hoffnungen für Wahn hielten? Alle Cabinette Italiens fürchten sich vor diesen beiden Jünglingen.

Die Republik, sagte Benno, ist nur möglich für Völker, die in dieser Staatsform eine Erleichterung für ihre übrige tägliche Sorge, für eine vom Gewinn oder von der Furcht gestachelte einzelne Hauptthätigkeit ihres geselligen Verbandes finden. Sie ist möglich bei einem Volk, das in der Lage ist, sich täglich vertheidigen zu müssen, wie die Republiken Griechenlands; sie ist bei leidenschaftlichen und den Erwerb liebenden Ackerbauern, wie in der Schweiz, bei leidenschaftlichen Industriellen, wie in den Niederlanden und in England, bei Handeltreibenden, wie in Holland und Amerika möglich. Jede Nation aber, die sich Zeit zum Träumen lassen darf, die nichts erzielt, nichts hervorbringt, Nationen, wie sie Südamerika, Spanien, Italien, selbst Deutschland bietet, sind unfähig zur Republik.

Die Herzogin erwiderte: Der Italiener liebt den Gewinn mehr, wie Einer.

Italien sind nicht die Gastwirthe! entgegnete Benno und wollte dem Thema ausweichen.

Die Mutter aber hielt es fest und sah in Italien die Republik unter dem Schutz eines verbesserten Papstthums wieder aufblühen. Rom beherrscht noch einmal die Welt! sagte sie. Ich meine, das erhöhte, zur wahren Capitale der Christenheit erhobene Rom!

Mit oder ohne Jesuiten? fragte Benno ironisch.

Ein spanischer Jesuit lehrte, es sei erlaubt, Tyrannen zu morden!

19 Ketzerische Tyrannen!

Marco hatte sein Souper beendigt, hatte sich in seinen schwarzen Frack geworfen und ging lächelnd und schmunzelnd wie ein alter Hausfreund drinnen im Salon auf und nieder. Mutter und Sohn mußten schweigen, weil der Alte näher kam, auf die Blumenterrasse durch die halbgeöffnete Thür blickte und fragte: Altezza werden nicht mehr auf den Corso fahren –?

Marco that, als wäre es ganz in der Ordnung, wenn man hier jeden Abend ein gewähltes Souper fand.

Hier ist unser Corso –! sagte die Mutter.

So will ich die Pferde ausspannen lassen, blinzelte Marco und ging.

Die Pferde waren gar nicht angespannt gewesen. Ein Miethkutscher in der Nähe lieferte sie nach Bestellung. Wurden sie nicht bestellt, so war es eine kleine Ersparniß.

Benno, der diese kleinen Manöver, die Marco machte, um die Armuth seiner Gebieterin zu verbergen, mit Rührung bemerkt hatte, lenkte, da die Herzogin den Nachtimbiß noch etwas verschieben zu wollen Marco nachgerufen hatte, wieder auf seine Erzählung ein. Er schilderte den Eindruck, den ihm die Brüder Bandiera gemacht hätten, als einen so nachhaltigen, daß er seit jenem Besuch des Kriegsschiffs in den Interessen dieser jungen Männer wie in denen seiner ältesten Freunde lebte. Ich habe, sagte er, an jungen Bekannten in Deutschland die gleichen Stimmungen und Ueberzeugungen oft bespöttelt und ihnen keine Lebensfähigkeit zugestanden; aber selten auch fand ich einen idealen Sinn in solcher Reinheit, eine dem Unmöglichen zugewandte Ueberzeugung so fest und als selbstverständlich aufrecht erhalten. Diese Brüder hatten sich ebenso zu Kriegern wie zu Gelehrten gebildet. Sie sprachen von den Wurfgeschossen bei Belagerungen mit derselben Sachkenntniß wie von Gioberti's Philosophie. Sie hatten Ugo 20 Foscolo, Leopardi, Silvio Pellico, alles, was die Censur in Oesterreich verbietet, in ihr Lebensblut aufgenommen und bei alledem blieben sie Jünglinge, die wie aus der Märchenwelt gekommen schienen. Daß sie sich unter den Eindrücken der See, der rohen Matrosen, des zügellosen Hafenlebens so rein hatten erhalten können, sprach für die Mutter, die sie bildete, für die strenge Mannszucht, die der Vater geübt. Den Aeltern, sagten sie, hätten sie Lebewohl sagen müssen für diese Erde. Der Vater hätte sie anfangs begrüßt wie – Schurken! Geschieden wäre er von ihnen wie ihr Bundsgenosse. Er wohne jetzt zu Campanede wie ein Sklave, der blos zu alt wäre, um noch seine Fesseln zu brechen. Die Mutter würde ihm die Freude an seinen im Leben wenig genossenen Blumen und Früchten versüßen und ihn von seinen jungen Tagen erzählen lassen, da sie fünfundzwanzig Jahre mit ihm verheirathet gewesen wäre und nicht fünf Jahre ihn besessen hätte. Mögen Venedigs Gondeln, sprach Attilio, mit ihren geputzten Sonntagsgästen, mit ihren Stutzern und Damen unter leuchtenden Sonnenschirmen, an Mestre vorüberfahren und auf Campanedes kleine Häuser deuten, wo ihr Vater wohne – sie würden nicht lachen, sie würden ihm – um ihretwillen stille Evvivas bringen.

Ha ragione! sagte die Mutter fest und bestimmt. Sie hatte keine Theilnahme für den Vater, sondern nur für die Mutter und die Söhne. Doch wollte sie diese nicht als Märtyrer, sondern als Sieger sehen. Die Rosse sollten ihnen vom Schicksal so wild und stolz gezäumt werden, wie den olympischen, die sich drüben aus dem Monte Cavallo aus des Praxiteles Hand emporbäumten. Diese Evvivas, sagte sie, werden bald laut werden und Sieg bedeuten!

Benno zuckte die Achseln. In seinen Mienen lag der Ausdruck des Zweifels. Es lag aber auch der Ausdruck der Kämpfe 21 in ihnen, die schon lange in seinem Innern vor sich gingen. Er war nie ein Ghibelline gewesen im Sinn der Bureaukratie Deutschlands wie sein Bruder, der Präsident – aber ein Welfe zu werden, wie etwa Klingsohr, Lucinde, andere Abtrünnige, widerstand ihm ebenso. Der Mutter konnte er seine irrenden Gedankengänge nicht mittheilen. Er erzählte nur.

Zunächst berichtete er, wie er die Brüder auf dem Kriegsschiff täglich besucht und mit ihnen politisirt und philosophirt hätte, bis das Schiff die Anker lichtete und nach Malta segelte. Später, als die Hitze in Sicilien und bei seinen Wanderungen auf den Aetna zu unerträglich geworden, wäre auch er ihnen nach Malta gefolgt; er hätte sie auf dem felsigen Eiland wiedergefunden wie zwei Engel des Lichtes mitten unter den für sein Gefühl zweideutigen Elementen der emigrirten Verbannten. Schreckhaft, fuhr er in seiner Darstellung fort, war die Seefahrt an sich. Nach Tagen der drückendsten Hitze sprang das Wetter um und ich erlebte einen Sturm. Die Küste Siciliens wurde ein einziger Nebelball. Das dunkelgraue, bald nur noch einem weißen Gischt gleichkommende Meer wälzte sich wie von einem unterirdischen Erdbeben gehoben. Das Schiff, ein englischer Dampfer, sank und stieg, wie von geheimen Schlünden ergriffen, die es bald hinunterzogen und wieder ausspieen. Jeder Balken ächzte. Der Regen floß in Strömen. Das Arbeiten der Maschine mehrte unsere Beklemmung, die den Untergang vor Augen sah. Schreckhaft, wenn nur immer die Räder der Maschine hochauf ins Leere schaufelten – man fühlte dann die furchtbare Gewalt des Dampfes, der keinen Gegenstand fand und die Esse hätte sprengen müssen. Aber in diesem Toben und Rasen des Sturms und des Wassers erkennt man die allgemeine Menschenohnmacht und ergibt sich zuletzt – fast wie der Träger einer Schuld, die gleichsam unser Vorwitz schon seit Jahrtausenden gegen die Natur auf sich 22 geladen hat. Auf dem engen Lager der Kajüte hingestreckt, erfüllte mich zuletzt Seelenruhe, auch wenn zu der Nacht das Schiff auf ein Riff oder ein ihm begegnendes Fahrzeug wäre geschleudert worden. Der Tod infolge einer Naturnothwendigkeit hat, wenn man sich daran zu gewöhnen Zeit findet, nichts Schreckhaftes mehr. Ich erzähle das alles, weil Aemilio Bandiera ganz ebenso vom Segeln auf den Wogen der Zeit sprach.

Die Mutter machte alle möglichen Zeichen der Abwehr und des Protestes gegen eine solche Ergebung in das Unglück. Mitgefühl und Aberglaube lagen auf den gespannten Zügen ihres Antlitzes, das jedesmal, wenn eine edle Leidenschaft es erregte, einen lichtverklärten Anhauch ehemaliger Schönheit erhielt.

Attilio setzte hinzu, fuhr Benno fort, bei solchen Schrecken stünden soviel unsichtbare Engel zur Seite und fingen den Streich der Nothwendigkeit auf und soviel Tausende riefen: Uns ging es ja ebenso! Oft, wenn ich mit den Brüdern auf dem Molo von La Valette spazieren ging, rings das weite Meer wie nach beruhigter Leidenschaft in lächelnder Majestät lag, wenn ich mich in allem erschöpft hatte, was die Geschichte und die gesunde Vernunft gegen die italienische Form, die Freiheit der Völker zu erringen, lehrten – antworteten sie: Das mag auf euch passen, aber nicht auf uns! Und auch auf euch paßt es nur den Männern, nicht der Jugend! Die Jugend und ein unreifes Volk folgen der Ueberlegung nicht, sondern dem Instinct. Wir wissen, daß unsere Einfälle, die wir da oder dort in das Erbe der Tyrannen machen, für jetzt noch scheitern müssen. Aber weit entfernt, daß sie darum dem Spott unterliegen, lassen sie immer etwas zurück, was dem nächstfolgenden Versuch zugute kommt. Immer ist dabei wenigstens Ein heroischer Zug, Ein überraschender kleiner momentaner Erfolg vorgekommen, der dann für den nächsten Versuch ermunternd wirkt; man hatte ein 23 Schiff, einen Thurm erobert, es waren einige der Gegner gefallen – Wenn Sie Recht haben sollten, daß die Freiheit immer nur eine Folge eines andern historischen großen Impulses ist – wie Graf Cesare Balbi lehrt, der für Italien erst den Untergang des osmanischen Reichs als erlösend betrachtet – so muß für eine solche möglicherweise eintretende Krisis die Gesinnung vorbereitet sein. Wir müssen diese Aufstände, so nutzlos sie scheinen, nur allein der Anregung wegen machen. Sie werden noch lange Jahre hindurch scheitern, manche Kugel wird noch die Besiegten mit verbundenen Augen in den Festungswällen niederstrecken, manches Haupt wird auf dem Henkerblock fallen. Das thut nichts; alles das hält nur die Frage wach und bereitet vor für ihre künftige Entscheidung.

Die Mutter horchte voll süßen Grauens.

Als ich entgegnete: Lehrt durch Schriften und Gedanken –! lachten beide und erwiderten: Italien und ein Kind begreifen nur durch Beispiele! Der Buchstabe, Dank der langen Beschränkung desselben, kommt dem Verständniß unseres ungebildeten, wenn auch geistesregen Volks nicht bei; hier will man sehen, mit Händen greifen, die Wundenmale berühren! Von den Jesuiten erzogen, wird dies Volk belehrt, daß die Patrioten lächerlich und schwach wären. Aber das Beispiel eines Aufstands in Genua oder Sicilien oder in der Romagna beweisen deshalb auf einige Tage doch das Gegentheil. Italien bewundert Räuber um ihres Muthes willen! ergänzte Attilio. Was ist der Tod! fiel Aemilio, der jüngere, wieder ein. Schreckhaft nur, wenn man im Leben Dinge verfolgt, die sich ausschließlich an unsere eigene Person knüpfen. Aber schon der Krieger gewöhnt sich und sogar im Frieden durch die Tausende, die mit ihm in gleicher Lage sind, von seinem Ich als einem Gleichgültigen zu abstrahiren. Einer da mehr oder weniger – wen darf es schrecken! Vollends, 24 sprach der ernstere und ruhigere Attilio, wenn man die Philosophie zu Hülfe nimmt! Die Erde ist ein Atom im Weltgebäude; diese Luft, diese Gestirne, diese Welten, diese Bäume, diese Menschen sind nur Schatten eines andern wahren Seins, das mit unzerstörbarer Göttlichkeit über dieser Welt der flüchtigen Erscheinungen thront!

Die Herzogin erhob sich, überwältigt von den angeregten Empfindungen. Sie wollte, wenn von Italien die Rede war, nur vom Siege, nur von Kränzen des Triumphs hören. Der Tod ist nur für die Feigen da, für die Tyrannen! rief sie.

Auch Benno war in höchster Erregung aufgestanden. Auch durch seine Adern pulste das Blut in mächtigerer Strömung. Nach einigen Gängen hin und her auf der dunkelgewordenen Altane beruhigte er sich und fuhr leiser sprechend fort: Ich blieb länger auf Malta als meine Ueberlegung hätte gestatten sollen. Die liebenswürdigen jungen Männer, mit denen ich auch über Deutschland, über unsere Dichter und Denker so gut wie über Italien sprechen konnte, fesselten mich zu lebhaft. Ich wußte nicht, um was ich sie mehr lieben sollte, ob um ihrer Freundschaft und brüderlichen Eintracht willen oder um einen sich so bewundernswerth ruhig gebenden Fanatismus. Was nur Schönes in der Menschenbrust leben kann, diese Jünglinge hatten es sich zu erhalten und auszubilden gewußt. Die Schilderung der Sternennacht auf den Lagunen Venedigs, als sie nach ihrer von London erhaltenen Weisung beschließen mußten, zum Verräther an ihrer nächsten Lebenspflichten, an ihres Vaters Ehre, an ihrer eigenen, am Herzen der Mutter zu werden, war erschütternd – Sie erzählten, daß sie unschlüssig gewesen wären, ob sie sich nicht selbst erschießen sollten. Ich nannte im Gegentheil das Martyrium unserer Zeit: Sich Dem nicht entziehen, worauf uns Geburt, Stellung und das Vertrauen der Menschen angewiesen haben! 25 Möglich, daß ich dies Axiom zu sehr von Priestern entnahm, die unter dem Druck ihrer Gelübde leben müssen und sie nicht brechen wollen – aus Furcht, einer Sache zu schaden, die sie in ihrem tiefern Wesen lieben. Mit einem Wort – ich ließ ein Herz voll Freundschaft in Malta zurück. Und auch voll Dankbarkeit. Das felsige Eiland fesselte mich mit seinen geschichtlichen Erinnerungen länger, als ich hätte bleiben sollen; bald bildeten sich unter den Flüchtlingen zwei Parteien; eine, die das Vertrauen der Brüder Bandiera zu mir theilte, eine andere, die mich für einen Spion erklären wollte. Meine Kurierreise von Wien war bekannt geworden und sprach gegen mich. Ich fing an mich vertheidigen zu wollen und, wie in solchen Fällen geschieht, verwickelte mich nur um so mehr. Ich fürchtete Concessionen zu machen, die über mein noch nicht reifes Nachdenken über diese Fragen hinausgingen. Die Mischung der Charaktere, die ich antraf, war abenteuerlich genug. Kaum waren reine und consequente Gesinnungen unter Menschen vorauszusetzen, unter denen ein wankelmüthiger, schwacher, aus Furcht vor seiner Schwäche tückisch gewaltsamer Mensch wie Wenzel von Terschka eine Hauptrolle zu spielen scheint –

Auch Pater Stanislaus war zugegen? wallte die Mutter erschreckend auf.

Nicht in Person – er dirigirt von London aus!

Wo er dein Nebenbuhler ist –!

Lucinde hat dich gut unterrichtet! sagte Benno. Da sprach sie sicher denn auch von Thiebold de Jonge?

Auch von ihm –

Thiebold wurde die Ursache, daß ich endlich von Malta und den immer bedenklicher gewordenen Verpflichtungen aufbrach. Mein Freund war nach Italien gekommen und wartete auf mich in Robillante. Wenn ich dir die Versicherung gebe, daß Thiebold de Jonge zwar das närrischste Italienisch spricht, das je an dein 26 Ohr gedrungen sein mag, aber das beste Herz von der Welt und eine Freundschaft für mich hat, wie sie nur die Brüder Bandiera gegeneinander besitzen, so wirst du mir vergeben, wenn ich ihn zum Vertrauten – meiner ganzen Lebenslage gemacht habe.

Die Mutter horchte auf.

Noch mehr! fuhr Benno fort. Ich habe nur im vollen Einverständniß mit ihm gewagt hierher zu reisen und einen Plan zu verfolgen, der – mir – eine Sache des Herzens war. Indessen – jetzt –

Welchen Plan? fragte die Mutter, noch immer der letzten Aufklärung harrend.

Marco meldete sich im Eßzimmer mit dem Geklapper seiner Anrichtungen.

Benno sprach leiser: In hastiger, völlig unüberlegter Eile hat mich die Freundschaft für die Brüder Bandiera hierhergeführ. Nachdem ich Malta verlassen, blieben sie mit mir im Briefwechsel. Ich kann sagen, es sind die ersten Männer, die mir im Leben nächst meinem Freunde Bonaventura imponirten. Selbst wo ich ihre Ansichten verwerfen muß, rühren sie mich. Ich ordnete mich ihnen schon in Sicilien unter. Ich möchte diese herrlichen Jünglinge ebenso meinem Leben, wie dem Leben der Menschheit erhalten; ich möchte sie dem Vater, der Mutter erhalten, ihnen, die zwar äußerlich tief gebeugt und voll Demuth an den Ufern der Lagunen wandeln, innerlich aber ihren Stolz auf »die Knaben« behalten haben – Mein Gott! Die Stunden der armen Unglücklichen sind gezählt –

Wie? Warum? rief die Mutter.

In wenig Wochen vielleicht schon – flüsterte Benno.

Ein Aufstand?! fuhr die Mutter empor und hielt Benno's Hand mit ihrer eigenen krampfhaft ausgestreckten Rechten.

Ein umfassend vorbereiteter! sprach Benno leise. Es gilt 27 Rom selbst! Der Herrschaft Ceccone's! Der Einschränkung dieses freiheitsfeindlichen Papstes! Man erwartet Mazzini in Genua, Romarino in Sardinien, erwartet einen Aufstand in Sicilien. Die Brüder Bandiera sind von Malta aufgebrochen. Sie ließen zweifelhaft, wohin sie gingen. Einige ihrer Freunde waren weniger gewissenhaft. Sie dirigirten Flüchtlinge, die über die Alpen aus der Schweiz kamen, nach Robillante. Unter mancherlei Gestalten, als Pilger, als Mönche reisen sie vorzugsweise nach der adriatischen Küste der Romagna. Dort, bei Porto d'Ascoli, dort, wo seltsamerweise jener Pilger und der deutsche Mönch verschwunden sind, soll alles vorbereitet sein zu einem Handstreich. Die Brüder Bandiera werden eine Landung befehligen. Ancona, Ravenna, Bologna werden von den Verschworenen an einem und demselben Tage überfallen sein. Der Erfolg kann meiner Ueberzeugung nach kein glücklicher werden!

Warum nicht? rief die Mutter.

Die Brüder werden in die Hand Ceccone's fallen –

Nimmermehr! . . .

Sie werden das Schaffot besteigen – Die Führer all dieser Aufstände des »Jungen Italien« sollen, das ist die gemeinschaftliche Verabredung der betheiligten Cabinette, auch des Cabinets der gekreuzten Himmelsschlüssel, den Tod durch Henkershand finden.

Jesu Maria! rief die Mutter.

Ich sehe diese edeln Jünglinge das Schaffot besteigen! Das ist die Angst, die mich nach Rom geführt hat!

Die Mutter stürzte an den Hals ihres Sohnes. Nun hatte sie die Ursache, warum Benno wünschte, sie wäre bei Olympien und – Olympia begrüßte ihn noch mit ihrer frühern Neigung. Benno hatte gehofft, so den Brüdern Bandiera das Leben retten zu können. Marco! Einen Augenblick! Laß doch! Laß doch! rief 28 die Mutter in den Salon und warf die Glasthür zu. Als sie mit Benno auf der Altane abgeschlossen war, warf sie sich ihm wiederum mit Ungestüm an die Brust. Ich Olympien zürnen! sprach sie. Nimmermehr! Wenn du ihrer bedarfst, hab' ich nie etwas von ihr erduldet! Laß sie mich mit Füßen getreten haben – wenn sie dich nur liebt, wenn sie deinen Wünschen nur Erhörung gibt – Jesu, nur diese Söhne Italiens vor dem Henkersschwert bewahrt!

Benno stand gedankenverloren.

Die Mutter fuhr fort: Ich weiß es, Ceccone brütet furchtbare Dinge. Er muß es thun. Fefelotti, das Al Gesù, der Staatskanzler, seine eigene Liebe zur Macht treiben ihn dazu. Aber – sei ruhig, mein Sohn! Laß nur Olympien in deinen Armen ruhen! Laß sie die Hände zu deinem stolzen Nacken erheben. O sie sind zart, diese Hände –! Sie mordeten – nur Lämmer. Sie werden dich beglücken, deine Freunde am Leben erhalten. Olympia ist ein Kind! Noch jetzt! Noch jetzt! Vielleicht, daß du, du sie zum Guten erziehst! Vielleicht, daß du, mit deinem Liebeskuß das Eis ihres Herzens aufthaust! Sie kann schön sein, wenn sie liebt! sagt' ich dir schon in Wien. Sie kann vielleicht auch gut sein, wenn sie liebt! Mein Sohn, habe Muth, vertraue! Wir Frauen sind alles, was ihr aus uns macht! Fliege hin zu ihr, höre das Jauchzen ihrer gestillten Sehnsucht, fühle die Glut ihrer Zärtlichkeit, sei, sei, was sie in dir besitzen will –!

Es ist zu spät –! erwiderte Benno.

Um meinetwillen zu spät? fuhr die Mutter fort und raunte ihm ins Ohr: Ich beschwöre dich! Ich habe dich hier nie als einen Rächer für mich erwartet. Pah! Attilio Bandiera hat Recht: Was sind denn unsere Personen! Das Vaterland ist die Losung . . . Sollen diese Jünglinge, deine Freunde, die 29 Hoffnungen Italiens verderben –? Nimmermehr! Ein Kuß von deinem Munde und Olympia zerreißt alle Todesurtheile!

Benno strich sich das Haar in wildester Erregung. Seine Augen glühten. Seine Brust hob sich. Der Raum der Altane war zu eng für das mächtige Ausschreiten seines Fußes.

Ist es denn aber auch gewiß, fragte die Mutter leise, gewiß, daß diese Invasion bevorsteht?

Die Küste der Adria ist reif zum Aufstand! flüsterte Benno. Die Zollbedrückungen Rucca's sollen unerträglich sein. Die achtbarsten Kaufleute arbeiten der Insurrection in die Hände. Und hier in Rom –

Zwölf Logen gibt es hier! fiel die Mutter ein.

Benno schwieg. Er schien mehr zu wissen, als er sagte.

Die Brüder Bandiera, fuhr die Mutter fort, sind, wenn ihr Beginnen scheitert und sie nicht fallen oder entfliehen können, nicht anders vorm Tode zu retten, als durch Olympia. Ich weiß es, selbst die Hand des Heiligen Vaters scheut das Blut der Rache nicht mehr für die, so die dreifache Krone antasten –! Auch das zweischneidige Schwert Petri ist gezückt –! Laß alles! Geh' zu dem jungen Rucca! Verständige dich mit deinen wiener Freunden – Auch mit Lucinden! Kenne mich nicht mehr zu Rom! Ich verlange es!

Benno stand, immer in dumpfes Brüten verloren.

Ich verlange es! wiederholte die Mutter. Weiß ich dich nur in meiner Nähe! Kann ich deine Stirn nur zuweilen küssen! Laß mich, mein Sohn – Du fühlst wie ein Sohn meines Landes! Das macht mich allein schon glücklich! Benno – Soll ich so dich nicht lieber nennen – nicht Cäsar? Wage du dich aber nicht selbst an Dinge, die mich um das Glück deiner Liebe bringen müssen. Oder – doch? Thu', wie du mußt! Nur geh' morgen zum jungen Rucca, den du – in Wien vorm Tode 30 durch einen Elefanten rettetest! Dein Name, dein Anblick wird Wunder wirken. Ich kenne Olympiens verzehrende Sehnsucht nach dir!

Nach den Begriffen des italienischen Volks ist Größe der Empfindung mit List vollkommen vereinbar. Wie ihr mir, so ich euch! lautet die Moral des Südens. Die Herzogin schilderte die Lächerlichkeit des jungen Ercolano Rucca, sein Prahlen mit jenem Angriff eines Elefanten auf ihn, die Sehnsucht, die er noch immer nach dem Bestätiger seines Muthes ausspräche, seine Sorglosigkeit Olympien gegenüber, die bald über sie gekommene Langeweile, die sie vorläufig im Gebirge in Reformen der Ackerwirthschaft austobe. Zwar wäre sie auf die Grille gekommen, den ehemaligen Pater Vincente, von dem ich dir in Wien schon erzählte, zum Cardinal zu erheben und ihn jetzt wie eine Puppe zu behandeln, die sie schmückt. Aber dein erster Gruß löscht alle diese Flammen aus –

Im Lauf der sich überstürzenden Schmeichel- und Ermuthigungsreden der Mutter bemerkte Benno: Von diesem Vincente Ambrosi hab' ich in Robillante seltsame Dinge gehört. Jener Eremit von Castellungo bekannte sich zu den Lehren der Waldenser, die das erste apostolische Christenthum besitzen wollen. Eine zahlreiche Gemeinde bildete sich. Zu ihr gehörte ein junger Zögling des Collegs von Robillante, der sich zum Priester bilden wollte. Die Lehren des Eremiten zogen ihn an. Oft soll er Tage und Nächte bei ihm im Walde zugebracht haben. Die Gesetze verbieten aufs strengste den Uebertritt zu den Waldensern. Eines Tages verschwand der junge Ambrosi und war Franciscaner geworden. Man schickte ihn zu seiner weitern Ausbildung nach Rom. Seine dortigen Schicksale erzähltest du. Ueberraschend ist es, daß mancher in Robillante glaubt, er hätte sich durch sein Buß- und Leidensleben nur einem von jenem Eremiten ihm 31 ertheilten Auftrag unterzogen und stünde noch jetzt mit ihm in Verbindung.

Die Herzogin hörte nichts mehr. Sie war zu erfüllt von der einzigen Nothwendigkeit, daß Benno zu Olympien müßte. Sie blieb bei ihrem Wort: Olympia läßt von allem, wenn nur du erscheinst! Du bleibst der Sieger!

Wenn sich Benno im Lauf dieser Ermunterungen und Versicherungen allmählich scheinbar für überwunden erklärte, ja sogar dem Ernst seiner Mienen einige Streiflichter des Scherzes folgen ließ, so war ein Gedankengang daran schuld, den die Mutter nicht sofort verstehen konnte. Er sagte, mit dem Kopfe nickend: Bin ich nun nicht glücklich? Ich habe eine Mutter, die mich verzieht und mir gegen alles Verdienst schmeichelt; einen Bruder, der mir bei Torlonia einen Creditbrief offen hält, wovon ich dir die Pension Ceccone's verdoppeln zu können hoffe; einen Oheim, der mich und Bonaventura zu seinen Erben macht, wenn auch Frau von Gülpen bis an ihr Lebensende die Nutznießung seines Vermögens behält; dann hab' ich in meinem jungen Leben vier wahre Freunde gefunden, Bonaventura, Thiebold, Attilio, Aemilio. Nun höre noch dies, Mutter! Ich wollte nicht übermüthig sein. Ich wollte mich in die Strudel des Wiedersehens der jungen Fürstin mit Vorsicht wagen. Hatten wir Stunden der Trauer zu erwarten, mein Freund Thiebold de Jonge sollte uns Erheiterung bringen. Das Idol seines Herzens – schon einmal hat er es mir geopfert. Und auch jetzt wollte er meinem Gewissen einen tapfern Beistand leisten. Mit einer Gemüthsruhe, die nur verständlich ist, wenn man die Bekanntschaft dieses närrischen Menschen gemacht hat, sprach er, als er meinen Kampf und die Furcht sahe, mich nach Rom zu begeben: Bester Freund – –

Noch hatte Benno das Lieblingswort Thiebold's: »Ich kann 32 mich vollkommen auf Ihren Standpunkt versetzen« nicht ausgesprochen, als es draußen heftig klingelte.

Wer stört uns! rief die Herzogin, stand auf und wollte den Befehl geben, daß sie für niemand anwesend wäre.

Schon aber klingelte es zum zweiten mal.

Mutter, sagte Benno, das kann nur mein stürmischer Freund sein! An dieser kurzen Pause zwischen dem ersten und zweiten Klingeln erkenn' ich Thiebold. Gegen alle Verabredung hat er sich verspätet. Ich ging zu Land, er den kurzen Weg über Genua zu Wasser –

Man hörte die laute Stimme eines radebrechenden Fremden, der nach »Ihrer Hoheit der Herzogin von Amarillas« verlangte.

Er ist es! sagte Benno. Ich bin wenigstens froh, daß er noch am Leben ist!

Die Mutter wußte, daß der alte Marco die Gewohnheit hatte, vertraute Gespräche seiner Gebieterin nicht zu unterbrechen. Sie wußte, daß er solche Störungen mit völlig unklarem Bewußtsein, ob Altezza zu Hause wäre oder nicht, zu beantworten pflegte. So kam er auch jetzt mit einer fragenden Miene. Aber kaum sah er: Willkommen! im Antlitz seiner Gebieterin, so war er auch schon wieder draußen und mit den heitersten Scherzen vernehmbar. Die gute Laune kam wieder, da er sah, es fing um seine Gebieterin an wieder lebhafter zu werden.

Thiebold de Jonge trat ein. Er sah aus wie ein Räuberhauptmann. Nur mit dem Unterschied, daß dieser einmal gelegentlich, etwa zum Behuf einer ihm von Aerzten vorgeschriebenen Badereise, eine elegantere Toilette angelegt hat. Sonst konnte er von seiner »Verwilderung kein Hehl machen«. Die Gesichtsfarbe war braun »wie ein kupferner Kessel«. Sein Bart war wie die Mähne eines Löwen. Im übrigen trug er sich vom Kopf bis zu Fuß in Nankingstoffen. Auf dem weißausgelegten Hemd 33 von bielefelder Leinwand blitzte eine Brustnadel von Diamanten, die abends jedem Räuber eine Aufforderung zu einem kühnen Griff erscheinen durfte. Weste, Pantalons, gefirnißte Stiefel, alles war von jener Fashion, die dem Modejournal und den heimatlichen Gewohnheiten entsprach. Mindestens glich er bei alledem einem »Schiffskapitän, der zweimal die Linie passirte«. Mit einem Gemisch von Worten, das wahrscheinlich bedeutete: »Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten, Frau Herzogin!« kam er über die Schwelle des Salons gestolpert. »Noch taumelte das kaum verlassene Schiff mit ihm.« An seinem Strohhut, den er, wie er Benno zuraunte, »in erster Verlegenheit« zerdrückte, flatterten zwei rothe Bänder, wie am Hut eines Matrosen. Seine Corpulenz hatte zugenommen. Bei alledem war er anziehend und für Italien als Blondin interessant.

Seinen Freund Benno noch in der Hauptsache ignorirend, radebrechte er, immer zur Herzogin gewandt, daß er eben angekommen wäre und seinen Freund aufgesucht und dessen Spur bei Piazza Sciarra und endlich auf dem Monte Pincio aufgefunden hätte. Bitte, Hoheit, ich bin nur da, um ihm meine Adresse, die auf ein vis à vis seiner Wohnung lautet, zu bringen oder etwa eine Verabredung für morgen zu treffen oder falls Hoheit heute Abend noch Befehle hätten, sie auszuführen. Ich werde überhaupt in Rom lieber Ew. Hoheit, als einem Menschen folgen, der mir den Weg über Genua angerathen hatte, ohne zu wissen, daß die Dampfschiffe von Genua nicht auf Passagiere warten, die sich von den wunderbaren Kaffeehäusern und Hotels in Nizza und Genua nicht gut zu trennen vermögen. So bin ich aus Zerstreuung in Genua sitzen geblieben und wider Verabredung um fünf Tage zu spät gekommen, hoffe indessen, daß der von meinem Freunde beabsichtigte Feldzug auch ohne die Tranchéen, die ich –

34 Dies schwierige Bild aus der Kriegstaktik auszuführen scheiterte nicht gerade an Thiebold's Sprachkenntnissen, wol aber an seinem Gedächtniß. Er hatte seine Rede italienisch gehalten und sie offenbar präparirt und auswendig gelernt. Die Ehren, die er der Herzogin ließ, waren ungefähr solche, wie sie etwa in Deutschland einer regierenden Landesmutter von Braunschweig oder Nassau hätten erwiesen werden müssen.

Die Herzogin reichte dem närrischen Signore Tebaldo die Hand und bat ihn, sogleich zum Souper zu bleiben. Sie klingelte, ließ ihr kleines Mahl anrichten, trat am Arm Tebaldo's in ein Eßzimmer, wo die kleine Tafel sinnig geordnet war, und fand sich in ihm so gut zurecht, als hätte sie ihn seit Jahren gekannt. Das Gefühl, in ihm einen Mitwisser des Geheimnisses zwischen ihr und Benno zu sehen, durfte sie nicht stören; Signore Tebaldo war nur durch die ihm nicht geläufige Sprache und die Anwesenheit der Diener verhindert, sofort jeden »Zwang als bei ihm völlig überflüssig« zu bezeichnen und die »Sachlage« und die »vollendete Thatsache« und überhaupt alles auf »seine natürlichen Voraussetzungen zurückzuführen«. Sein Sprachgemisch, wozu sich als letzte Aushülfe Französisch gesellte, sein Benehmen gegen Benno, die Art, wie er die Terrasse »himmlisch« und »stellenweise die drei Treppen allerdings belohnend« fand, die Kritik des »kühlen Speisesaals«, die Leichtigkeit, womit er seinen Stuhl ergriff und die entzückende Natur Italiens, selbst mit »radicaler Unerträglichkeit« solcher Strecken wie von Civita-Vecchia bis hierher, die Einfachheit der Sitten, die Frugalität der Soupers –»mit Ausnahmen« – anerkannte, Roms Trümmerwelt als einen »das Auge mehr oder weniger beleidigenden polizeilichen Skandal der Jahrhunderte« bezeichnete, alles das hatte etwas so Vertrauenerweckendes und über jede Schwierigkeit sogleich Hinwegsetzendes, daß die Herzogin nicht die mindeste 35 Scheu vor ihm empfand. Zwischen eine Erzählung über seine Reiseabenteuer von Robillante bis hierher und die ersten Erfahrungen in einem römischen Hotel, das er sofort verlassen hatte, weil sich gegen ihn der »erste Cameriere das Benehmen eines Ministers erlaubte«, ließ er bei Abwesenheit der beiden Diener die kühn stilisirten Worte fallen: Altezza, anch' io suon un' filio perduto, ma ritrovato! Auch ich hab' 'nmal eine Mutter gehabt, die in einem Zeitalter gestorben ist, wovon ich mir nur noch eine dunkle Erinnerung bewahrt habe! Jedoch an jedem Sterbetag der frühvollendeten Dulderin hab' ich mit dem alten Mann, meinem Vater, eine Messe für sie lesen lassen und ging in die Kirche, was sonst weniger meine Gewohnheit ist. Gott, das sind jetzt zwanzig Jahre her und oft hat mich schlechten Menschen diese Gewohnheit genirt. Aber ich that's um meines Vaters willen. So lang' ich lebe und es noch Kirchen gibt, setz' ich diese Gewohnheit fort an jedem vierzehnten October, Tag des heiligen Burkard, vorausgesetzt, daß unsere Kalender stimmen, Hoheit! Ich bin nicht ganz so aufgeklärt, wie mein Freund da – Asselyn. Ich kann Ihnen, wenn Sie es wünschen, Herzogin, auf jede Hostie – selbst eine wunderthätige – beschwören, daß ich mir die Ehre, Mitwisser Ihres »übrigens längstgeahnten« Geheimnisses zu sein, durch eine Discretion verdienen werde, die Ihnen möglicherweise selbst auf die Länge peinlich werden dürfte! Unglaublich! Wirklich – der Kronsyndikus –! Na, wissen Sie, Benno, wie wir damals bei dem Leichenbegängniß – Doch kein Wort weiter! In der Kunst, sich dumm zu stellen, hab' ich die Vortheile voraus, die einem gemeinschaftlichen Freund von uns zugute kamen, der eines Tages die Entdeckung machte, daß durch systematisches Ignoriren sich am besten die Ignoranz verdecken läßt! Bruto e muto!... So wahr wie –

36 Marco's Kommen unterbrach einen, wie es schien, auf Haarsträubendes berechneten Schwur.

Die Herzogin verstand aus den französischen Beimischungen seiner Rede, was er andeuten wollte, und Benno küßte die Hand der Mutter – Thiebold bat um die gleiche Gunst. Die Glückliche saß, wie sie sagte, wie die Perle im Golde.

Marco schien ihr alles das von Herzen zu gönnen. Er sah zunächst auf nichts, als auf die Leistungen seiner Kochkunst.

Die trauervollste, ernsteste Stimmung mußte durch Thiebold de Jonge immer mehr gemildert werden. Thiebold erzählte, bald italienisch, bald deutsch, bald französisch und noch öfter Benno zum Uebersetzen veranlassend, von einem aus Paris von Piter'n vorgefundenen Brief. Er verbreitete schon damit allein über die Züge der Herzogin den Ausdruck einer Heiterkeit, die sie seit Jahren nicht gekannt hatte. Thiebold's Humor hatte die seltene Eigenschaft, beim Scherz dem etwaigen Ernst, der eingehalten werden mußte, nicht im mindesten seine Würde zu nehmen. Jede vom ab- und zugehenden Marco und seinem Genossen, der eine stattliche Livree trug, gelassene Pause benutzte er, die Saiten zu berühren, die in Benno's Innern zu mächtig nachbebten. Wie wuchs die Verehrung vor ihrem Sohn, als die Mutter sah, daß Benno solche Freunde gewinnen konnte! Thiebold äußerte in noch verstärkterem Grade die Besorgniß, die Benno über das Schicksal der beiden Männer hatte, die ihm so werth geworden. Er theilte »unbekannterweise« ganz diese Sympathie für die »Gebrüder Bandiera« – und noch dazu »ohne allen Neid«. Er sah eine Sorge im Gemüth des Freundes und suchte ihr abzuhelfen; das war ihm Aufgabe genug. Ohne selbst Politik zu treiben, konnte er sich »dergleichen Wahngebilde von einem fremden Standpunkt aus vollständig erklären«. Es war der immer gleiche Trieb der Gefälligkeit, der in Thiebold's Herzen so freundliche Wirkungen 37 hervorbrachte. Dieser Trieb verband sich mit dem behaglichen Gefühl seiner sorglosen Lebenslage, seiner reichlichen Mittel, vorzugsweise freilich auch – mit dem ungewissen Halt seiner eigenen Bildung. Sah er kluge Leute von einer Sache interessirt, so war er seinerseits auch klug genug, ihren Meinungen »vollständig Rechnung zu tragen«. Italien und Rom »waren nun einmal da«; die Interessen dieses »überhitzten und in einem allerdings sehr südlichen Klima gelegenen Landes« waren ebenso abzuwarten, wie der Hemmschuh des Vetturins. Vollends war »die Guillotine kein Spaß«. Thiebold besaß jene seltene Toleranz, die eine fremde Welt um so mehr achtet, je weniger sie selbst davon versteht.

Nur schade, daß die Herzogin der »neuerfundenen Mischsprache« Thiebold's nicht immer folgen und so recht die Gegensätze und Natürlichkeiten genießen konnte, die in dieser empfänglichen Seele zu gleicher Zeit Platz hatten.

Die Nacht war herniedergestiegen. Millionen Sterne funkelten am dunkeln Himmel. Auf der Altane, auf die man nach dem Souper, dem sogar Champagner nicht gefehlt hatte, zurückkehrte, brannte eine Lampe. Drei so traulich Verbundene saßen unter dem Duft der Blumen, umwoben vom Zauber südlicher Natur, der sich selbst beim nächtlichen Gewirr der Städte nicht verliert. Glocken läuteten; die Luft, die nach dem Untergang der Sonne anfangs kühl geweht, hatte wieder ihre alte Weiche gewonnen; die Lampe warf geheimnißvolle Reflexe in das tiefdunkle Grün der hohen Zierpflanzen und zog schwirrende kleine Käfer an, die in ihr eine lichtere Schlummerstätte zu finden glaubten, als die Orangen- und Granatenblüten waren, in deren Kelchen sie schon gebettet waren. Die Armen! So erliegen wir den Ausstrahlungen der höhern Ziele, die ein Gesetz unserer schwachen, dem Irrthum unterworfenen Natur rastlos uns auch dann noch suchen läßt, wenn wir uns schon längst hätten genügen sollen.

38 Benno und die Mutter knüpften an die frühere, von Thiebold unterbrochene Stimmung an. Thiebold konnte nun wiederholen, was eben Benno als die von ihm bei einer möglicherweise verhängnißvollen Wiederbegegnung mit Olympien in Aussicht gestellte Hülfe hatte berichten wollen. Ja – Armgart –! seufzte Thiebold. Wir lieben ein und dasselbe Mädchen, Hoheit, und längst hab' ich entsagt zu Gunsten meines Freundes. Ich beanspruche nur noch bei ihm Pathenstelle. Seine Großmuth lehnt nun freilich mein Opfer ab und darin hat er Recht: Der Gegenstand unserer Liebe neckte einen mit dem andern! Diese Cigarrentasche, die von ihr ist – sehen Sie, Hoheit, diese so – höchst mangelhafte Arbeit – deutet auf eine Berechtigung, das Andenken der Geliebten gleichsam zur Lebensgefährtin machen zu dürfen, während mein Freund einen Aschenbecher erhielt, ein Mobiliar, das sich nur innerhalb der vier Wände benutzen läßt. Er vergaß es in Robillante – ich hab's aber mitgebracht, lieber Freund! Andererseits könnte damit freilich das Princip der Häuslichkeit angedeutet sein. Genug – »sei dem, wie ihm wolle« und wie sehr wir besorgen müssen, daß eine raffinirte Natur wie die des Ex-Paters Stanislaus mit Hülfe so fanatisch lichtfreundlicher Aeltern uns beide aus dem Felde schlägt, ich habe meinem Freund als einzigen Ausweg aus dem Labyrinth seiner möglichen Verirrungen mit Fürstin Rucca den Ariadnefaden meiner eigenen Liebe zu ihr vorgeschlagen.

Die Herzogin begriff immer noch nicht.

Altezza! Ich kenne überraschende Wirkungen der blonden Haare in Italien! unterbrach Thiebold Benno, der genauere Auskunft geben wollte. Ich habe haarsträubende Erfolge erlebt! Ich werde noch mehr gewinnen, wenn ich Fortschritte in dieser verdammten – wollt' ich sagen, göttlichen Sprache mache, die mich beschämend genug an mein altes Latein – Secunda – erinnert. 39 Ich liebe die Fürstin Rucca bereits bis zur Narrheit! Ich werde Benno's Erfolge paralysiren.

Die Herzogin fragte nach dem Sinn dieser Worte und fixirte den Sohn, den Thiebold nicht aufkommen ließ.

Es ist dies, sagte Thiebold: Ich, ich liebe Gräfin Olympia Maldachini bereits aus dem Garten von Schönbrunn, schon aus der Menagerie im Prater! Nämlich die Erzählungen über sie wirkten so auf mich, daß ihr die Wahl zwischen mir und Benno unmöglich werden soll. Schon vor fünf Tagen sollt' ich im Palazzo Rucca meine Karte und einen Empfehlungsbrief von Benno an den jungen Elefantenkämpfer abgegeben haben. Nun ist es später geworden und der Fürst ist auf dem Lande. Ich reise morgen in erster Frühe nach Villa Torresani, auch nach Villa Tibur, wo Lucinde wohnt, bekanntlich im Widerspruch mit allen, die sie verdammen, auch eine leidenschaftliche Neigung von mir. Scherz bei Seite, Hoheit, die Schilderung der Persönlichkeit der Fürstin Olympia hat mehr, als meine Neugier erregt. Grüner Teint, blaue Haare, Wuchs bis Benno's Taille – ich werde Lucinden sofort Erklärungen machen und um die Vermittelung meiner Wünsche bitten. Ich mag diese kleinen Figuren! Armgart ist auch nicht groß. Ich werde der Fürstin zeigen, was bei uns in Deutschland schwärmen heißt. Weiß ich dann allerdings auch, daß mich die spätere Ankunft Benno's, die ich in Aussicht stellen muß, aus dem Sattel heben wird, so werd' ich doch sein Schicksal so lange durchkreuzen, aufhalten und nur über meine Leiche hinweg ihn zum Sieger über diese gebietende Göttin des Kirchenstaates werden lassen, daß darüber das Schicksal der »Gebrüder Bandiera« sich entschieden haben dürfte. Ich weiß nicht, ob ich deutlich gewesen bin, Hoheit?

Die Mutter begriff halb und halb und sah lachend auf Benno, der eine abwehrende Miene machte.

40 O, fuhr Thiebold auf, ich weiß durchaus nicht, ob es nach genommener Verabredung ist, daß mich mein Freund Asselyn hier in unserm Plan durch ein ironisches Lächeln unterstützt! In Robillante waren wir einig: Wir wagen uns beide in die Höhle des Löwen! Wir bitten die Herzogin von Amarillas um ihre Protection! Wir unterwerfen uns Sr. Eminenz dem Cardinal Ceccone in gebührender Demuth! Wir lassen in dieser großen, vornehmen Welt, in der Sie leben, gnädigste Frau Herzogin, unser Licht leuchten so gut es geht und sollte mir mein Freund Asselyn wirklich von jenem grünen Teint und von jenen blauen Haaren in Gefahr für seine Tugend gerathen, so verderb' ich ihm jedes Rendezvous und setze das so lange fort, bis Rom entweder eine Republik geworden ist oder Ceccone, was mich wahrscheinlicher dünkt, die Sentenz für die »Gebrüder Bandiera« bereits halb und halb unterschrieben hat –

Die Herzogin sah den Irrthum Thiebold's über ihre gegenwärtige Lage, unterstützte aber seinen überraschenden Einfall durch jede Geberde. Sie unterdrückte die Einsprache Benno's, nannte Ceccone ihren Freund, ihren Gönner, Olympia ihr treuestes Pflegekind. Sie ermuthigte beide, mit dieser jungen Frau ihr Heil zu versuchen.

Es schlug nun elf Uhr. Thiebold mahnte zum Aufbruch. Benno blieb traurig und schien keinen Willen mehr zu haben.

Die Mutter ließ ihn nur mit den Beruhigungen scheiden, die sie verlangte. Er mußte versprechen, morgen im Palazzo Rucca nach dem Principe Ercolano zu fragen und seine Karte abzugeben – Thiebold sollte inzwischen schon ins Gebirge hinaus und auf die Villa Torresani reisen.

Das alles stand fest und unwiderruflich. Die Mutter führte Benno an das Medaillon des Herzogs von Amarillas, ergriff seine drei Schwurfinger und flüsterte ihm – »bei Angiolinens 41 Angedenken!« – einen Schwur zu. Er sollte geloben, daß er sich mit Lucinden verständigte und in die Welt Ceccone's und Olympiens einträte, ohne die mindeste Rücksichtsnahme auf irgendetwas, was ihm in seiner Mutter persönlich begegnet war.

Benno erwiderte: Rom ist die Tragikomödie der Welt! Er gab der Mutter in dem, was sie vorläufig begehrte, nach.

Beim Nachhausegehen war Thiebold entzückt von dieser »seltenen Frau«. Er verwünschte seine mangelhaften Kenntnisse im Italienischen, schwur, täglich sechs Stunden Unterricht zu nehmen und erstaunte dann nicht wenig, als ihm Benno beim Herabsteigen von jener großen Treppe, die auf den Spanischen Platz führt, erzählte, daß sich die Stellung seiner Mutter zu Ceccone und Olympia verändert hätte. Nun erst begriff Thiebold die kalte Aufnahme, die er an Piazza Sciarra erfahren hatte, als er dort nach der Herzogin von Amarillas fragte. Er verwünschte die römische Welt nicht wenig.

Dann verglich er »Rom bei Nacht« mit seiner Vaterstadt bei Nacht. Die Beleuchtung war hier »unter der Würde« – Rom verwarf bekanntlich damals als »revolutionäre Neuerung« nicht blos die Eisenbahnen, sondern auch die Gasbeleuchtung.Thatsache.

Die Freunde verabredeten sich, morgen in alter Weise gemeinschaftlich zu frühstücken und ernstlich das Weitere zu berathen. Thiebold wollte zu Benno kommen. Den Aschenbecher vergaß ich in Robillante! rief Benno Thiebold nach, als dieser schon an die Pforte seiner Wohnung geklopft hatte, die derjenigen Benno's gegenüber lag. Bringen Sie ihn doch morgen früh mit!

Das war das einzige Wort, womit Benno die zum Tod betrübte Stimmung seines Innern verrieth.


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