Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VII. Buch
Karl Gutzkow

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41 3.

Contessina Olympia Maldachini hatte die Villa Rucca nach dem runden und geschweiften Rococostyl ihrer Bauart eine »altbackene Brezel« genannt und die empfindlichste Seite der Rucca's, ihren – von einem Bäcker herstammenden Ursprung damit nicht wenig schmerzlich berührt. Darum boten aber doch die geöffneten Räume der altmodischen marmornen Kommode, das große Oval des Saales mit den kleinen Seitenpavillons und den nach hinten hinausgehenden Terrassen, die fast noch eine Ausdehnung des Saales schienen, einen glänzenden Anblick. Ein solches Fest, wo das Auge unter Lichtern, Blumen, Statuen nicht mehr herausfindet, ob ein Fuß noch innerhalb oder außerhalb eines Saales, in geschlossenen Räumen oder auf Veranden und Altanen verweilt, kann man nur im Süden feiern. Die Gunst des Himmels muß eine sichere sein; kein Wölkchen darf das Vertrauen auf die Mitwirkung der Natur zur Lust des Menschen stören.

In dem Saale, in den Nebenzimmern, auf den mit blendendweißen, silber- und krystallstarrenden Tafeln geschmückten Terrassen wogten einige hundert der vornehmsten Gäste mit glänzender Dienerschaft hin und her. Männer und Frauen waren in den reichsten Toiletten erschienen. Die Römerinnen der hohen Aristokratie machten hie und da einen imposanten Eindruck; doch gab es bei weitem mehr zierliche, kleine, ja nicht selten 42 verkommene Gestalten, als die majestätischen, welche unsere Phantasie in Römerinnen erwartet. Auch die Männer sind nicht das, was wir von den Nachkommen der Scipionen erwarten. Der junge Principe Rucca, in seiner rothen, goldgestickten päpstlichen Kämmerlingsuniform, der glückliche Bräutigam, der wirklich, wie ein Pasquill sie nannte, die »Katze Olympia« leidenschaftlich liebte, brauchte dabei nicht einmal mit in Betrachtung zu kommen; noch weniger sein Vater, der immer wie ein alter schäbiger, heute einmal wie ein ordentlich gewaschener und lächerlich bunt ausgeputzter Bewohner des Ghetto aussah. Aber selbst Principe Massimo, der Nachkomme des Quintus Maximus Cunctator, der auf Napoleon's ironische Frage: Stammen Sie wirklich von diesem glücklichen Gegner des Hannibal her? stolz erwiderte: Das weiß ich nicht, Sire, aber man glaubt es von unserm Geschlecht bereits seit eintausendzweihundert Jahren! (eine Antwort, die, nach Klingsohr's Auffassung der »Heiligen Treppe«, vor welcher alles Volk eben im Vorübergehen knixte, Rom und der römische Glaube auf alle Zweifel an seine Reliquien geben darf – »Sind diese Knochen nicht echt«, schrieb Klingsohr schon zur Zeit des Kirchenstreites, »so ist durch sein hohes Alter doch der Glaube an ihre Echtheit ehrwürdig!«) selbst Principe Massimo ist ein kleiner, feiner diplomatischer Herr, der mehr der Sphäre der Abbés als der Imperatoren anzugehören scheint.

Da wandeln die Borghese, die Aldobrandini! Gegen frühere Geltung sind es herabgekommene, wenn auch immer noch so stolze Namen, daß sie vielleicht hier nicht einmal anwesend wären, schwebte nicht der Alter Ego des Stellvertreters Christi, Cardinal Don Tiburzio Ceccone, wie ein Apoll von sechzig Jahren durch die Reihen, lächelte bald hier, bald dort, stellte, als wäre er der Wirth, neue Mitglieder des diplomatischen Corps den Damen vor, begrüßte junge Prälaten, die sich eben erst in die 43 Carrière mit einigen tausend Scudi eingekauft haben, und neckte die Damen. Diamanten und Bonmots blitzten –! Die seidenen Gewänder streifen sich und die Galanterieen –! Das die Gemahlin des Fürsten Doria, eine Engländerin, hoch und stolz, sogar mit einem Orden geschmückt! Dort die Fürstin Chigi, deren Urahnen unter dem wilden Papst Julius II. bei solchen Gelegenheiten ihren Gästen Ragouts von Papagaienzungen vorsetzten und die gebrauchten Silbergeschirre in die Tiber werfen ließen – »Jetzt würden sie mit dem Hinunterwerfen vorsichtiger sein –! spottete oft schon Ceccone. Auch Napoleoniden fehlen nicht. Ceccone gibt ihnen mit lächelnder Grazie Andeutungen, wie ihre demokratischen Bestrebungen in Wien Gegenstand der empfindlichsten Vorwürfe für das Cabinet der gekreuzten Schlüssel gewesen wären. Neulich hatten Räuber den Prinzen von Canino (Luciano Bonaparte) in seiner Villa Rufinella aufheben wollen. Eben scherzt darüber der Cardinal mit ihm und sagt: Hätte man eine Million Lösegeld verlangt, so würden vielleicht Ew. Hoheit nicht den »Congreß der Naturforscher« in Pisa begründet haben, der ja wol den Anfang der »Einheit Italiens« machen soll –! Ein scharfes Wort, scheinbar harmlos vorgetragen und doch dermaßen drohend, daß der Prinz hinter dem Mann im rothen Käppchen und in rothseidnen Strümpfen eine bedenklich ernste Miene macht.

Saht ihr diese Miene? Ihr Piombino, Ludovisi, Odescalchi, Ruspigliosi –? Alle diese Namen, die freilich in den Listen des »jungen Italien« fehlten, fehlten doch nicht bei dem Widerspruch, den das Priesterregiment Roms seit tausend Jahren bei den alten römischen Adelsgeschlechtern findet. Den Gesprächen zufolge hätte niemand hier an die Stadt der sieben Hügel denken sollen. Sie betrafen Theater, Concerte, Moden – doch auch, das war eine römische Specialität, die Räuber und die nächsten 44 Segnungen des heiligen Vaters und die reservirten Plätze bei den großen Kirchenfesten.

Die lebhafteste Conversation führten die Offiziere und die Geistlichen. Letztere, Roth- und Violettstrümpfe, sind gegen die Damen fast noch zuvorkommender, als die erstern, die vorzugsweise der Nobelgarde Sr. Heiligkeit angehören – schlanke hohe Gestalten, jüngere Söhne der Aristokratie, nur ihrer achtzig, Schooskinder der römischen Gesellschaft, Tonangeber aller offenen Freiheiten, die sich noch unter dem Priesterregiment gestatten lassen – der geheimen gibt es genug – die Begleiter Sr. Heiligkeit auf Reisen, die Anführer seiner öffentlichen Aufzüge, in goldstrotzender zinnoberrother Uniform mit blauem Kragen, weißen Beinkleidern, dem schönen Römerhelm, mit schwarzen hängenden Roßhaaren und dem kleinen weißen Seitenbüschel daneben.

Das Souper war zu Ende. Alles drängte dem Garten und dem Feuerwerk zu. Einer der Nobelgardisten, Graf Agostino Sarzana war es, der eine Dame verfolgte, die sich nach einem Ausspruch Sr. Eminenz des regierenden Cardinals heute ausnahm wie eine »Tochter der Luna«. Die Dame verschwamm im blauen Aetherlicht wie ein Gedanke voll Ahnung. Sie tauchte da und dort auf und verschwand wieder in den dunkelgrünen und blauen Schatten wie die Luft. Ihre Toilette war der Anlaß dieser Vergleichung des Cardinals, der sie ebenfalls mit Feueraugen verfolgte, wenn er sie auch nicht vor den vielen andern anwesenden Damen, die seinem Herzen und – seinem Geldbeutel theuer waren, allein auszeichnete.

Die »Tochter der Luna«, der Keuschen, deren heidnischen Ruf ja Ceccone als Priester der Christenheit nicht zu schonen brauchte, indem sein Witz ihr eine Tochter gab, trug ein blaßblaues Kleid von Donna-Maria-Gaze, einem durchsichtigen, damals neu erfundenen Seidenstoff, übersäet mit kleinen silbernen Sternchen. 45 Das Kleid war nicht ausgeschnitten; es verhüllte ,der keuschen Luna entsprechender, Formen, die sich nichtsdestoweniger verriethen. Als einziger Schmuck blinkte im dunklen Haar ein einfaches Diadem von blankem Silber, in Gestalt eines Halbmonds. Es war ein Kopf, der sich mit seinem glattliegenden Scheitel und dem kräftig gewundenen Knoten im Nacken wie eine lebendig gewordene Statue aus den ägyptischen Sälen des Vaticans ausnahm. Um die dunkeln Augen lag eine gewisse erhitzte Röthe, wie sie bei leidenschaftlichen Naturen wol vorkommt. Die Stirn war schmal; die Wange ebenso etwas zusammengehend, aber sanft zum spitzen Kinn niedergleitend; die untere Lippe trat mit Muth und Trotz hervor. Es gibt plastische Gesichtsformen, die nicht altern. Das Schönste war die Länge der Gestalt. Die Dame war pinienhaft schlank.

Graf Sarzana will unserer – »Creolin« Unterricht im Italienischen geben? scherzte der Cardinal so laut, daß alle Umstehenden es hörten. Die »Creolin« war wiederum ein neues Stichwort für die »Tochter der Luna«; diesmal kam es vom Monsignore Bischof Camuzzi, dem ersten Secretär des Cardinals, der als Missionar Westindien bereist hatte.

Eminenz, sagte Graf Sarzana, der schlanke junge Mann mit den athletisch breiten Schultern, auf denen bei jeder seiner Bewegungen die goldenen Epaulettes hin- und herflogen, und strich sich den martialisch gezogenen Schnurrbart, Eminenz haben die Absicht, die ganze Welt zu reformiren! Auch die Garde Sr. Heiligkeit! Wenn ich noch länger in diesen Fesseln schmachte und nicht erhört werde, so geh' ich nach San-Pietro in Montorio, nach welchem traurigen Aufenthalt die Dame mich soeben gefragt hat!

Auf die scharfe Betonung dieser Lokalität und diese überhaupt auffallend grell gesprochenen Worte des Ritters Sr. Heiligkeit 46 fistulirte ein Stimmchen nebenan: Ja, in der That! Pater Vincente von San-Pietro ist ja hier –!

Dies Stimmchen gehörte dem Bräutigam, der den Namen des bezeichneten Klosters gehört hatte und eben von der Pforte kam, wo er den für seine Person so schmeichelhaften Volksjubel und die Ausspielung der silbernen Uhren hatte controliren wollen. Meiner Frau werden wir das sagen müssen! fuhr er, vom Champagner erhitzt, mit Lebhaftigkeit fort. Erführe sie die Anwesenheit des Paters und dieser ginge, wie er gekommen, so wäre sie im Stande, mir die erste Gardinenscene zu machen –! Die Abbés und Prälaten lachten über die Wonne, die jeden jungen Ehemann von zwölf Stunden fortwährend den Begriff: »Meine Frau!« im Munde führen läßt.

Inzwischen stiegen immer mehr Leuchtkugeln auf und das Feuerwerk schien seiner Entfaltung nahe zu sein. Draußen riefen Tausende von Stimmen und klatschten bereits im voraus Beifall und die Musik fiel mit schmetterndem Tuschblasen ein. Der alte Rucca und die Fürstin Rucca Mutter – die jedoch noch keineswegs Matrone sein wollte und ihren Cavaliere servente aufsuchte, um ihm eine Strafrede für die ihr heute bewiesene Vernachlässigung zu halten – schossen hin und her, sahen nach der Ordnung, nach dem Aufbewahren der Speisereste – »für die Armen« – Der Schwiegervater Olympiens war ökonomisch bis zum Exceß. Der kleine Mann, mit einer orientalischen Habichtnase und dem Bande des Gregoriusordens über der Brust, klagte allen Prälaten über seine Domäne, die Zölle der adriatischen Küste. Man nannte ihn gewöhnlich den »Blutsauger«. Dies war ein Titel, der ihm gerade vor andern Römern, die ihn ebenso verdienten, keinen Vorzug gab. Nie aber hätte sich allerdings gerade der alte Fürst Rucca auf der Küste von Comacchio bis Ferrara sehen lassen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, 47 von den Schmugglern und seinen eigenen Zollbedienten todtgeschlagen zu werden.

Aber auch dieser alte Herr horchte mit dem schalkhaftesten Lächeln seines Nußknackerkopfes sowol nach der Erwähnung des Pater Vincente wie nach dem Unterricht der »Creolin« hin – er wußte ja, daß es eine Deutsche war. Seinem Sohn rief er gelegentlich ein heimliches: Asino! nach dem andern ins Ohr, besonders wenn dieser nicht genug die Monsignore vom Steuerwesen, den Finanzminister Roms, den Cardinal Camerlengo. zu honoriren schien. »Maulesel« nannte er ihn sogar, wenn er zu wild um Olympien herum »trampelte«. Klagte nun der junge Ehemann über die»schlimme Laune« seiner Frau, so schrieb das mit eigenthümlichem Meckern der Alte auf Rechnung aller Bräute am Hochzeitstage. Dies Meckern machte, daß seine Nase und sein Kinn sich küßten und die Mundwinkel zurückgingen fast an die Ohren. Der Cardinal Camerlengo, düster brütend wie Judas Ischarioth, der gleichfalls zuweilen nicht gewußt haben mochte, wie er den Seckel für den ersten Kirchenstaat von dreizehn Personen füllen sollte, scherzte jetzt: Sie sind so guter Laune, Fürst? Im nächsten Jahr verlang' ich eine Million mehr! Die Zeiten werden schlechter! Wir müssen aufschlagen, Hoheit Generalpächter –!

Der alte Fürst drückte sein »Wie kommen Sie mir vor?« mit einer charakteristischen Geberde aus, die zwar stumm war, doch das ganze anwesende geistliche Ober-Finanz-Personal des Kirchenstaates lachen machte.

Der Vielseitigkeit seines Geistes entsprach sein Sohn keineswegs. Ercolano Rucca war von Wien beschränkter als je zurückgekommen. Er konnte überhaupt immer nur Einen Gegenstand im Kopf behalten. War dieser erledigt, erst dann kam er auf den zweiten. Da es nun aber bekanntlich oft Tage und Wochen dauerte, bis in dieser sublunaren Welt unter hundert Sachen Eine gründlich 48 durchgesetzt ist, so sprach dann Principe Ercolano tage- und wochenlang nur von dieser Einen Sache, nur von der Kunst, Handschuhe zu verfertigen aus Rattenleder, welches eine Idee war, die der Verwaltung des Steuerwesens Muth geben sollte, die nördliche Generalpacht im Hause der Rucca's erblich zu lassen – sie besteuerte sogar die Ratten! Jetzt suchte er nur noch nach der Herzogin von Amarillas, die wegen Pater Vincente um Rath gefragt werden sollte.

Graf Sarzana hatte soeben noch mit der Herzogin gesprochen. Auch die alte Fürstin suchte die Herzogin, wie deren Cavaliere servente, Herzog Pumpeo, versicherte. Herzog Pumpeo wollte in gerader Linie von Pompejus abstammen. Auch er war ein armer Nobelgardist, ein Krösus aber an guter Laune und selbst für Se. Heiligkeit ein Spaßmacher, wenn gerade an ihn der Dienst im Vorzimmer oder bei der kleinen Garçontafel des Stellvertreters Christi kam. Se. Heiligkeit ließ damals den Cardinal schalten und walten – und um nichts zu verschweigen, sagen wir es offen: Der »Zauberer von Rom« war bitter krank. Der »Träger der Himmelsschlüssel«, der »Patriarch der Welt«, der »Vater der Väter«, der »Erbe der Apostel«, der »Hirt der Heerde«, war ein armer Mensch; er fürchtete den Gesichtskrebs zu bekommen.Cardinal Wiseman's »Erinnerungen an Gregor XVI.«.

Heda, Kamerad! ruft champagnerberauscht Herzog Pumpeo dem Grafen Sarzana zu. Ich sehe die blaue Eidechse da, wo die Schwärmer prasseln! Hu, wie sie erschrickt! Dort huscht sie zu den Mönchen hinüber, von denen sie einer vielleicht in seinen Sack steckt und nach Santa-Maria trägt. Sie ist eine »Beate« (Frömmlerin)! Alle Eure Mühe, sie zu bekehren, scheint mir vergebens, Bruder – oder soll's vielleicht heißen:

49 Freut Euch, Ihr Jungen!
Die Alten bezahlen!
Die Alten bezahlen,
Nur müßt ihr nichts sehen –
Nur müßt ihr nichts hören –!

Weiter kam eine Lästerung auf Ceccone nicht. Die »Tochter der Luna« und die »Creolin« war nun auch die »blaue Eidechse« und sogar eine »Frömmlerin« geworden.

Der Graf und der Herzog wandten sich armverschränkt beide dem linken Flügel der »Brezel« zu, wo erstens die Champagnerströme reichlicher flossen, zweitens die alte Fürstin Rucca, zornig mit den Augen runzelnd, auf Pumpeo, ihren Ritter, wartete und drittens eine wahre Batterie von Schwärmern losplatzte. Das gab ein Angstgeschrei, wo die muthgebenden Soldaten nicht fehlen durften.

Der Bräutigam kam inzwischen mit einer Dame zurück, die heute nicht zu den freudestrahlenden gehörte. Auch die Toilette der Herzogin von Amarillas verrieth ihre Trauer. Die Veilchen sind eine Blume, vor welcher bekanntlich jede Römerin, obgleich an Blumenduft gewöhnt, eine bis zur Ohnmacht gehende Abneigung hat – dennoch war das schwarzseidene Kleid der Herzogin ganz von blauen Veilchen durchwirkt; schwarze Spitzen saßen am Leibchen und am Rock. Auch die grauen Haare waren in schwarze Spitzen gehüllt. Und nur um den Cardinal nicht zu sehr zu einem jener Blicke zu reizen, die ihm zuweilen, »bis zum Tod verwundend«, zu Gebote standen – seit einiger Zeit war er in dieser Art gegen sie wie ein Skorpion geworden – hatte sie dem Anlaß der Freude, die zur Schau getragen werden sollte, das Opfer gebracht, Hals und Arme mit dunkelrothen Korallen und die Spitzen, die das graue Haar verhüllten, mit frischen Granatenblüten zu schmücken. Warum soll sie erfahren, fragte sie 50 in ihrem bei alledem stolzen und festen Tone, daß Pater Vincente zugegen ist –?

Sie ist so verdrießlich! fiel der besorgte junge Ehegatte ein. Wir müssen es ihr auf alle Fälle sagen – Durchaus!

Die Herzogin erwiderte nicht minder mismuthig: Sie kennen die Bescheidenheit des heiligen Mannes. Olympia wäre fähig, ihn in die Gesellschaft zu rufen und mit ihm zu – kokettiren –! Das letzte Wort allerdings unterdrückte sie.

Sie will ihn zum Cardinal machen! Ehe es Fefelotti ohnehin thut! Wir müssen ihn aufsuchen!

Thun Sie das nicht! sagte die Herzogin. Ich werde es ihr selbst sagen und dann hören, was sie etwa wünscht. Die Ernennung eines einfachen Mönches zum »Cardinal« überraschte sie nicht. Sie kannte die Maxime der ehrgeizigen Cardinäle, für die Papstwahl entweder sich selbst in Bereitschaft zu halten oder, falls sie unterliegen sollten, irgendeine der unschädlichen, ihnen verpflichteten Puppen, die zuweilen mit dem Cardinalshut bedacht werden. Pater Vincente's Geschichte war dem gesammten italienischen Klerus bekannt.

Das Feuerwerk entfaltete sich noch nicht in seinem vollen Glanze. Die Bravis erschollen von nah und von fern nur noch wie eine Ironie über die Verzögerung. Das Gewühl des Volks wurde größer und größer. Die abgetragenen Schüsseln gingen indessen bei den Mönchen und Repräsentanten der Spitäler und Bettlerherbergen um. Noch unter dem Knallen der Champagnerkorke begannen die Austheilungen. Manche der devoten Frauen, der »Beaten«, betheiligten sich an der Uebermittelung der Gaben. Ihre goldbetreßten Diener standen ihnen dann zur Seite und überwachten – auch die glänzenden Schmuckgegenstände, die sie trugen.

Olympia, die»Braut von Rom«, besaß entweder die 51 Reizbarkeit aller kleinen Gestalten, im Gewirr vieler Menschen nicht mit den Ansprüchen, die ihnen gebühren, hervortreten zu können, oder ihre Stimmung war in der That voll Verdruß. Sie lief nach rechts und nach links, redete mit diesem und mit jenem und trug auf der Stirn den ersichtlichsten Ausdruck der Nichtbefriedigung. Ganz so mürrisch, wie sie heute in der Frühe in der Kirche S. S. Apostoli den Ceremonieen der Trauung beigewohnt hatte, sah sie jetzt das »Bouquet« des Festes, das Feuerwerk herannahen. Schon mahnten die Schwiegerältern, ob es nicht passender wäre, sie führe während des Feuerwerks mit ihrem Gatten ganz in der Stille in das Palais der Stadt, das sie in der Nähe des Pasquino bewohnten – jenes alten Steinbildes, an dessen Fuß seit urältesten Zeiten die Satiren Roms angeklebt werden und von dessen Sockel die Polizei seit einigen Tagen jeden Morgen in erster Frühe Spottverse abgerissen hatte, die den Cardinal ernstlich an die Zeiten mahnen ließen, wo Sixtus V. solchen Pasquinospöttern die Zungen ausreißen ließ – Aber gerade vor diesem Augenblick der Abfahrt schien Olympia Furcht wie zum Entfliehenmüssen zu haben. Sie stand niemand Rede – dem Gatten nicht – dem triumphirenden »Onkel« nicht.

Ceccone weidete sich an seinem Liebling. Ihre Bewegungen und ihr Erscheinen kündigten sich wenigstens durch das Rauschen des schweren Seidentaffetkleides an, das sie unter ihrer Brautrobe von Spitzen trug. Den bronzenen Hals schmückte ein Collier von Diamanten. Noch wehte ihr von der Trauung her und von der Messe, die das junge Paar hatte anhören müssen, von den conventionellen Andachten, welche den Tag über an gewissen großen Altären gehalten werden mußten, und von dem Besuch bei Sr. Heiligkeit, der gemacht werden mußte, um den Segen des armen mit Tüchern umwundenen Mannes zu empfangen, der kostbare Spitzenschleier im Haar – jetzt war er, statt der Myrte, 52 mit einem Kranz von Orangenblüten umgeben. Dieser welkte nun schon, die aus den gleichen Blüten bestehenden Bouquets, die auf dem Kleide in gewissen Zwischenräumen befestigt saßen, welkten nicht minder – die Hitze des innern Saals, wo Olympia gesessen, war zu groß. Sie riß nur und zerrte an allem, was sie hinderte. »Sie ist schön, wenn sie liebt« – hatte im vorigen Jahre die Herzogin gesagt. Heute liebte Olympia nicht.

Ein kurzer Augenblick – hinter einer großen, von Hortensien gefüllten Marmorvase – und Ceccone konnte seinen Liebling an sich ziehen und ihn voll väterlicher Bestürzung fragen: Aber was hast du nur, mein geliebtes Kind? Was ist dir heute?

Jettatore anche voi! zischte Olympia mit rauher Stimme, stampfte den Fuß auf und stieß die weichen Hände des Priesters zurück. Alle Welt will, daß ich sterben soll! setzte sie fast weinend hinzu.

Und ein solches Wort – dem »Onkel« –!

Olympia hatte gesagt, Ceccone wäre gleichfalls ein für sie mit dem »bösen Blick« Behafteter, ein »Jettatore«, »wie alle Welt!« Das der Dank, daß er der öffentlichen Meinung trotzte und, ungeachtet aller vom Pasquino abgerissenen Satiren auf die »Donna Holofernia«, auf die Vermählung derselben mit dem jungen »Judas Ischarioth Seckelträger junior«, und ähnlicher Anspielungen, scheinbar heute so sorglos und unbefangen sein Haupt erhob! Auch er hatte ja der Sorgen genug – aber im Augenblick genügte ihm vollkommen der lärmende Antheil der ewigen Stadt an seiner Person, die unabsehbare Wagenreihe der hohen Aristokratie und Prälatur, die sich bis in die dunkeln Schatten der Landstraße hin verlor. Und nun ein solcher Ausbruch der Nichtgenüge bei dem geliebten Kinde, das sich oft schon auch gegen ihn zu empören anfing! Er flüsterte: Täubchen! Liebchen –! Pappagallo –! Fiori di luce –!

53 Suche dir die »Tochter der Luna«! erwiderte sie höhnisch und huschte fort.

Der Onkel lachte über die »Eifersucht« seiner Nichte.

Da wandte sie sich noch einmal. Onkel! sagte sie zornig. Lache nicht! Ich möchte in diesem Augenblick geradezu sterben. Ich wünschte, du hättest nur meinetwegen an den Pasqualetto geschrieben – nach Porto d'Ascoli – ich weiß es –!

Jesu! flüsterte der Cardinal, wurde kreidebleich und sah sich besorgt um. Welchen Namen nennst du da? Pasqualetto – St! unterbrach er aufs strengste Olympiens Gegenrede.

Eben ging der alte Rucca vorüber, spitzte die Ohren, grinste seltsam und sagte für sich: Eh! Eh! Eh –! . . . Vieldeutige Laute! Olympia hatte einen Namen genannt, den er gehört zu haben schien. Er wandte sich halb und halb zum Zuhören und liebäugelte einer Schwiegertochter, deren Hochzeit – mit seinem verlängerten Pachtcontracte, ja sogar wirklich mit dem Räuberhauptmann Pasqualetto zusammenhing.

Ceccone winkte ihm mit graziöser Handbewegung, zu gehen. Noch ist sie mein! sprach er süß und vor allen näher herantretenden Zeugen mit »seinem Herzen« prahlend. Dann legte er die zarten weichen Hände auf das Haupt der kleinen Meduse, zog sie hinter die Hortensienvase zurück und flüsterte: Wie kannst du hier vom Pasqualetto reden –? Was soll er?

Mich stehlen und in seine Berge schleppen! erwiderte Olympia.

Ich beschwöre dich, süßer Papagai! fuhr der besorgte Vater fort und wollte Olympia noch weiter ins Dunkel mit sich fortziehen, um sie herzinniger zu küssen, vielleicht sie an den Wagen zu führen, den der junge Gatte zu jeder Minute bereit zu halten versprochen hatte. Schon rief er nach dem Mohren, der in der Taufe den frommen Namen Chrysostomo bekommen hatte.

54 Statt des Chrysostomo kam jedoch der ganze Schwarm der Gäste. Die Leuchtkugeln hatten gerade die Vase mit den Hortensien erhellt und wo die Braut war, mußten doch alle sein; niemand erzürnte gern die wilde Olympia! Es klang ihr jetzt ganz zu Sinne, daß ihr Gatte verspottet wurde über die Verzögerung des Feuerwerks. Die Raketen haben den Schnupfen! hieß es. In die Cascatellen ist Wasser gekommen! Die »Feuerräder« haben die Achse gebrochen! Man fürchtet, die »Frösche« werden hüpfen wie die Flöhe! Wie die – Flöhe! Wer solche Italienerworte in dieser Sphäre hätte für unziemlich halten wollen, mußte eine deutsche oder französische Bildung haben. Der Südländer kennt für die offene Namengebung dessen, was natürlich ist, keine Scheu.

Inzwischen machte die Herzogin von Amarillas einen Versuch, sich Olympien zu nähern. Aber gerade ihr entzog sich diese. So beschloß die Herzogin, ihre Nachricht und den Auftrag über den Pater Vincente für sich zu behalten. Auch sie suchte dem endlich beginnenden Feuerwerk zu entkommen. All diese Freude, vollends das Knistern und Knattern, diese Bravis und Ausrufungen waren der Mutter Giulio Cesare's nicht zu Sinn. Sie suchte den Garten, den zwar nicht unbelebten, aber dunklen Park; letzterer versprach an seiner äußersten Grenze Einsamkeit. In diesem Verlangen nach dem Pater Vincente, das die Braut ausgesprochen hatte, lag, nach ihrer Deutung, ein ihr wohl bekannter Ausdruck des Zorns über Benno's Nichtanwesenheit, sein gänzliches Verschwundensein nach den beiden Märchenwonnentagen von Wien, der Reue über die allzu schnelle Ernennung seines »Vetters« Bonaventura zum Bischof von Robillante!

Benno hatte sich im vorigen Jahr nach Rom begeben und war dort nicht länger geblieben, als bis – die Mutter und Olympia ankamen! Da hatte es ihn wieder getrieben, nach 55 dem Süden zu entfliehen. Er hatte sich aufs Meer begeben, war über Sicilien, Malta, Genua, Nizza nach Robillante gereist. wo er in diesem Augenblick bei Bonaventura verweilte. Mit der Mutter stand er im Briefwechsel, schrieb ihr unter fremden Adressen – sie hatte die ganze Bürgschaft seiner Liebe und Zärtlichkeit für sich; aber vor einem Zusammenleben mit Olympien erfüllte ihn ein ahnungsvolles Grauen. Aus dieser Misachtung der ihm doch so auffallend und offen in Wien ausgesprochenen Liebe Olympiens war eine Gefahr für die Herzogin selbst, für Benno, für alle seine Beziehungen entstanden. Die Theilnahme, welche die Mutter für ihn nicht verleugnen konnte, wurde ihr von Olympien aufs heftigste verdacht. Nun mußte gar auch noch die Herzogin in Wien ein junges Mädchen gefunden haben, das, der italienischen Sprache vollkommen mächtig, anfangs nur die Vermittelung mit den deutschen Verhältnissen erleichtern sollte, eine wohlberufene Convertitin, die von einer glühenden Sehnsucht nach Rom verzehrt wurde. Die Herzogin hatte den Auftrag erhalten, die Würdigkeit dieser Empfohlenen zu prüfen. Sie sah sie, war von einer auffallenden Aehnlichkeit derselben mit ihrem Kinde Angiolina gerührt und es fehlte nur noch die Bekanntschaft dieses Mädchens mit Benno und Bonaventura, um sie sofort festzuhalten.

Lucinde Schwarz war es selbst, die für die Stellung der Herzogin gefährlich zu werden drohte. Sie liebte es nicht, ungefragt von ihrer Vergangenheit zu sprechen. Sie war nie in der Stimmung, gern von Schloß Neuhof, vom Kronsyndikus, Jérôme von Wittekind zu berichten. Die Erwähnung fand sich jedoch zufällig und da stand sie, schon in Wien, den ihr mit auffallendem Eifer gestellten Fragen Rede. Die Herzogin horchte ihren Mittheilungen voll Erstaunen. Auf die Länge war sie von Lucinden seltsam abgestoßen und ebenso wieder angezogen. Man 56 nahm sie dann nach Italien mit. Erst später zeigte sich die Gefahr dieser »Eroberung«; so hatte sie Ceccone, von Lucindens Geist überrascht, genannt. Lucinde gewann über alle ihre neuen Umgebungen Einfluß, über den jungen Principe sowol, wie über Olympien und den Cardinal selbst. Sogar Olympia war schon eifersüchtig auf »die Tochter der Luna«. Rom hatte allerdings Lucinden ganz verjüngt.

Das dicht an die Terrasse, die zur Verlängerung des Speisesaals umgewandelt war, stoßende Bosquet bestand aus einer Pflanzung von Nuß- und Kastanienbäumen. Aus dem mäßigen Umfang desselben heraus führten Gänge von beschnittenen Buchsbaum- und Cyressenwänden auf kleine Rotunden, in deren Mitte aus Farrnkräutern und Vergißmeinnicht heraus Springbrunnen plätscherten oder Marmorstatuen glänzten, von blühenden Cactus, von feurigen Schwertlilien umgeben. Nun kamen die rechts zu den Gärten des Lateran sich hinziehenden Beete. Sie folgten sich in Abdachungen, die zu Cascatellen benutzt und von Grotten, von Muschel, und Marmorverzierungen unterbrochen wurden. Zur Linken, jenseits der großen Platanenallee und des flimmernden Wassersturzes führten riesige Taxuswände zu einer Altane, von welcher abwärts sich ein weites Feld von Weinstöcken, wie ein einziges grünes Dach, auf die Landstraße erstreckte. Dorthinauf, wo sich's unter wilden Lorberblättern ausruhen ließ, zog es die von den schmerzlichsten Ahnungen erfüllte Herzogin.

Eine Weile noch wurde sie auf ihrem Wege von einem Naturspiel aufgehalten. Das Licht des Mondes und der Widerschein des Feuerwerks wurden in ihren magischen Wirkungen übertroffen noch von zahllosen Glühwürmern, die bald grün, bald roth aufblitzend die Luft durchschwammen, auf den Sträuchern und Blumen wie Edelsteine funkelten, unwillkürlich die Hand lockten, die Luft zu durchstreifen und somit nach eitel Funken und Licht zu haschen.

57 In diesem Augenblick glaubte die Herzogin die »Tochter der Luna« zu sehen, die am äußersten Ende eines der in den Ziergarten einmündenden Heckenwege – seltsamer Anblick –! offenbar von zwei Mönchen verfolgt wurde.

Sie staunte dieses Anblicks. Sollten von den geistlichen Bettlern an der Pforte zwei so verwegen gewesen sein, sich hierher zu wagen? Oder konnte sich in maskirter Verhüllung Räubervolk eingeschlichen haben? Eben waren die Mönche und die fliehende Donna Lucinde verschwunden. Oder hatte sie sich getäuscht? Hatte das mondlichtfarbene Kleid der Gesellschafterin sie irre geführt –?

Da hörte sie das Lachen des Herzogs Pumpeo. Offiziere kamen und junge Prälaten, durch Champagnerlaune von den alten Damen zu den jungen vertrieben. Einige der schönsten hüpften an ihrem Arm – doch gleichsam nur auf der Flucht vor den gefährlichen Feuerfröschen –

Die Herzogin blieb stehen. Fast wurde sie umgerannt von dem aus einem andern der Gänge eilend ihr entgegentretenden Conte Sarzana. Sahen Sie die beiden Mönche, Graf? fragte die Herzogin ängstlich –

Die der Donna Lucinda folgten? antwortete Sarzana mit Theilnahme. Wo sind sie? Ich habe ihre Spur verloren!

Beide durchkreuzten den Gang, den die übrige Gesellschaft herauskam, und eilten der dunklern Gegend jenseit der Platanenallee zu. Der am Ende derselben funkelnde Wasserfall gab einen Schein von Belebung des Gartens, der sich indessen nicht bestätigte. Alles blieb einsam und für Frauen gefahrvoll. Jetzt rief der Graf: Ich sehe sie! Dort beim Aufgang auf die Altane! Was wollen die Frechen?

Conte Agostino Sarzana lief mit seinen hohen Reiterstiefeln die nothwendigen fünfzig Schritte voraus und rief auf halbem 58 Wege bereits dem nächsten der Mönche ein donnerndes: Que commande? zu. Als er näher gekommen, fand er Donna Lucinda, mit geisterhafter Blässe, im Gespräch mit den beiden Mönchen begriffen, die von ihm unausgesetzt wie Eindringlinge angerufen und für verkappte Gauner erklärt wurden. Allerdings ging durch die Stadt das Gerücht, in einer Herberge am Tiberstrand hätte man heute den berüchtigten Räuber Pasquale Grizzifalcone gesehen aus der Mark Ancona, das Haupt aller Räuber- und Schmugglerbanden der adriatischen Meeresküste. Nicht unmöglich, daß diese Mönche seine verkappten Genossen waren.

Die lange schlanke Deutsche hielt einen Brief in der Hand und sagte mit zitternder Stimme und im besten Italienisch: Vergebung, Herr Graf! Es sind – zwei Landsleute von mir! Sie ersuchen mich nur, eine Bittschrift an mich zu nehmen. Ich werde sie besorgen, ihr – frommen – Väter –! Lassen Sie beide in Güte ziehen, Herr Graf! Willkommen in Rom, Pater – Sebastus und Frater – Hubertus! Wir sehen uns doch noch? San-Pietro in Montorio! Gewiß! Gewiß –! Felicissima notte!

Aber die beiden Mönche standen lichtgeblendet – wie Saulus am Wege von Damascus. Sie konnten sich nicht trennen.

Inzwischen war die Herzogin näher gekommen. Sie erschrak beim Anblick Lucindens, die außerordentlich erschüttert schien. Aber noch mehr entsetzte sie sich vor dem Anblick eines dieser Mönche, der mit seinem kahlen und beinahe fleischlosen Kopf aus seiner niedergefallenen Kapuze ein Bote des Todes schien.

Die Begleiter des Duca Pumpeo, jetzt ohne die Damen, kamen näher, nahmen die Mönche in die Mitte und geleiteten sie aus dem Garten. Graf Agostino erhielt von Lucinden die 59 Bitte, sie zu verlassen. Als er es trotzdem nicht that, folgte fast der Befehl.

Die Herzogin sah Lucinden noch wie betäubt an den Sockel einer Statue sich lehnen, von welcher aus man auf die Plateforme jener Altane schreiten konnte. Ringsum war es hier dunkel. Die dichtbelaubten Bäume warfen düstere Schatten. Die Herzogin widerstand nicht, Lucinden zu folgen. Diese drängte auf die Altane hinauf, als fürchtete sie entweder hier unten zu ersticken oder aufs neue den Mönchen zu begegnen. Sie sind ja auf den Tod entsetzt, mein Kind! sprach sie theilnehmend. Erholen Sie sich! Diese zudringlichen Bettler in Rom! Die Bittschrift war sicher nur ein Vorwand –!

Lucinde schlich nur langsam die Erhöhung hinauf. Oben angekommen, sagte sie: Nein, nein –! Ich kannte sie beide sehr wohl! Ich wußte, daß sie in Rom sind – aber, ich hätte sie lieber, das ist wahr, vermieden; ich – mag nichts mehr von Deutschland hören! Die Bittschrift ist – an den Bischof – von Robillante. Ich will sie besorgen –

An den Freund meines Cesare! staunte die Mutter still für sich und hätte jetzt fast gewünscht, die Mönche wären nicht vertrieben worden.

Beide Frauen blieben auf der einsamen Altane, wo sie sich auf Sesseln von Baumzweigen niederließen, unter einem Dach von künstlich gezogenem Lorber. Vor ihnen lag, vom Mond beschienen, jenes große stille Meer unabsehbarer Weinstockgewinde. In der Ferne glänzte Feuerwerk und lärmte das Volk, das jeder Rakete ein Evviva! rief.

Obgleich Lucinde sich allmählich zu fassen schien, kam doch die Herzogin nicht mehr auf die Mönche zurück. Gerade diese durch Benno bedingten Wallungen des Interesses zu verbergen, besaß sie eine volle Gewandtheit. Sie pries die erquickende 60 Erlösung von dem rauschenden Gewühl, das sich nicht verziehen wollte. Dabei saßen sie so, daß sie durch die Büsche zugleich die Künste des Feuerwerks und über die Weingärten hinweg den stiller gebliebenen Theil der Gegend beobachten konnten. O, hier sind wir sicher vor dieser bunten Posse! sagte die Herzogin. Tritt die Lüge in dieser Welt so rauschend auf, wie sollte sich erst die Wahrheit ankündigen dürfen –!

Die Wahrheit feiert ihre Triumphe in der Stille! entgegnete Lucinde, immer noch athemlos. Diese Triumphe sind die Glühkäfer des Geistes, die uns nur auf einsamen Wegen umschwirren. Wie heißt die Pflanze da, worauf ich immer diese Thierchen, wie die Lichter auf unserm nordischen Weihnachtsbäumen, antreffe –? Lucinde rang nach dem Ton der Gleichgültigkeit.

Die rothen Disteln? sagte die Herzogin. Das sind Artischocken!

Wächst so dummes Gemüse hier so wild und schön! Carciofoli! Ganz recht! erwiderte Lucinde erschöpft.

Eine kurze Pause trat ein. Beide Frauen bewegten ihre Fächer und wehten sich Kühlung zu. Mancher scherzhafte Vorfall des Tages, manche Neckerei an der Tafel, mancher Schmuck, manche überladene Toilette ließen sich besprechen. Bald jedoch stockte das Gespräch. Es zeigte sich – diese beiden Frauen mußten anfangen eine sich für ein Hinderniß der andern zu halten. Die Herzogin hatte sich längst gesagt: Hier ist meine Zeit um! Olympia ist meiner Führung entwachsen! Selbst den Cardinal, ihren Vater, lehnt sie für ihre neue Einrichtung als täglichen Gast ab – Schon hat sie's ihm angekündigt. Ceccone sucht – eine neue Häuslichkeit! Diese Lucinde – lockt, reizt ihn –! Ich sah es heute, er schien über sie ganz außer sich. Lucinde sollte, wie sich gebührt, zu Olympia ziehen. Diese lehnt aber auch Lucinden ab . . . Soll also ich jetzt –? Ich –? Ich ahne, was Ceccone aus ihr und – mir machen will! Um sie 61 »mit Anstand« zur Nachfolgerin – der Herzogin von Fossembrona, der Marchesina Vitellozzo zu machen, soll ich – als Deckmantel dienen –? Nimmermehr! Das zu verweigern bin ich – jetzt schon allein Benno schuldig, wenn nicht mir selbst . . . . Was will aber Graf Sarzana? Die Abenteurerin – wie sie Benno in seinen Briefen schildert – interessirt auch den Grafen Sarzana! Freilich – diese Sarzana's sind arme Teufel!

So empfand die Herzogin. Da sie aber klug und verstellungssicher war, so nahm sie das Gespräch nach einer Weile wieder in friedlichem Sinne auf und sagte: Es ist wahr, das Leben bringt es mit sich, daß nur zuweilen die Stacheln der Disteln, das sind ja Artischocken, jenen nordischen Weihnachtsbäumen gleichen, die ich kenne. Die Illumination der Lüge muß uns ermuthigen, an diese kleinen Glühkäfer in der Nacht der Wahrheit und das hellste Licht, das Aetherlicht – des Schmerzes, zu glauben –! Und da Lucinde nicht zu hören schien, sondern nur den von den Mönchen empfangenen Brief träumerisch betrachtete und ihn seufzend in ihrem Busen barg, so bemerkte sie forschend: Eine Bittschrift an den Bischof von Robillante, sagten Sie –? . . . Ist es wahr, fuhr sie fort, daß dieser Priester eine Gräfin liebte, die seit einigen Monaten die Gattin des Grafen Hugo von Salem-Camphausen geworden ist –?

Lucinde fixirte die Herzogin mit scheuen unheimlichen Augen. Nun erst recht antwortete sie nicht. Es fiel ihr ein, daß sie mit einer Frau zusammensaß, gegen die sie sich seit einiger Zeit hatte entschließen wollen einem Serlo'schen Gedanken Gehör zu geben, der in dessen Denkwürdigkeiten so lautete: »Wenn ihr doch nur nicht ewig von Pflichten der Dankbarkeit bei Diensten reden wolltet, die euch keine Opfer gekostet haben –!«

62 Die Herzogin sprach sorglos, der bittern Stimmung ihres Herzens folgend: Graf Hugo liebte – das hört' ich und sah ich auch in Wien – ein junges Mädchen, das sich aus Verzweiflung – um ihr Schicksal – den grausamsten Tod gab. Ach, ich sah – ihre – Leiche! Aber ich sah auch des Grafen Trauer. Er schien mit dem Leben abzuschließen und doch – doch – wie mögen auch bei seiner Vermählung die Raketen gestiegen sein –! Erinnern Sie sich in Wien der schönen Altane, der wir Abschied sagten am Tage vor unserer Abreise –? Tiefer Schnee lag auf den düstern Tannen ringsumher –

Ich erinnere mich! antwortete jetzt Lucinde, die sich von Klingsohr und Hubertus allmählich in die Gegenwart zurückfand. Sie betonte scharf. Schon wieder hatte sie der Herzogin Zurücksetzungen nachzutragen, die diese ihr in Mienen und Worten heute an der Tafel widerfahren ließ.

Ob wol das junge Paar an derselben Stelle wohnt, wo – die – arme – Geliebte – mit zerschmettertem Haupte lag –? fuhr die Mutter Angiolinens, nichts ahnend von Lucindens gegen sie so gereizten Empfindungen, fort.

Das – junge – Paar wohnt – in der Stadt! berichtete Lucinde von dem in der That geschlossenen Bunde Paula's und des Grafen Hugo.

Es trat eine lange Pause ein. Ein leiser weicher Windhauch kam vom Südmeer. Im Weinberg zitterten die Blätter . . .

Es ist doch gut, daß wir den Gespensterglauben haben! sagte die Herzogin feierlich. Wenigstens fürchten wir uns noch zuweilen ein wenig vor den Gräbern –! Die Alten verbrannten ihre Todten, glaubten aber doch auch an eine strafende Wiederkehr; der Geist des ermordeten Cäsar erschien den Mördern in der Schlacht bei Philippi. Die Christen wollten von den Todten so wiedererstehen, wie sie in ihrer schönsten Lebenszeit ausgesehen 63 hatten. Angiolina hieß – sie –! Sahen Sie schon die Katakomben drüben –? unterbrach sich die Erinnerungsverlorene. Dort blitzt eine goldene Spitze im Mondlicht auf. Das ist Santa-Agnese! Dort steigen Sie einmal nieder mit einem guten Führer. Philippo Neri, der Heilige, hat da unten wochenlang gewohnt. Die Erde ist hier ringsum durchhöhlt. Christen- und Römergräber liegen in Eins. Ein Leichenfeld! Das Leben ist's –! Ja, wer war doch der eine dieser Mönche? Er sah wie der Tod aus!

Wie die Auferstehung –! hauchte noch Lucinde für sich; nun aber war der erste Schrecken bei ihr vorüber und sie hatte sich, wie in solchen Fällen immer, wieder in die gegenwärtige Lage zurückgefunden. Ihr Auge fixirte die Herzogin immer unheimlicher, sodaß diese über die fast schielenden Blicke des Mädchens erschrak.

Im Suchen nach einem gleichgültigen Gespräche schilderte Lucinde die Unzufriedenheit der jungen Fürstin Rucca. Da betonte sie sehr scharf den Namen Benno's – sie that letzteres seit einiger Zeit in Gegenwart der Herzogin öfters. Sie hatte bemerkt, daß diese in einer geheimen Beziehung zu Benno stand. Schon in Wien hatte sie das Interesse beobachtet, das sie an ihrem frühern Aufenthalt in Deutschland, an Witoborn, an Schloß Neuhof nahm. Daß sie eine Sängerin gewesen, wußte sie. Aus Leo Perl's Bekenntnissen kannte sie einen gewissen Betrug, den dieser an einer allerdings nicht genannten Sängerin hatte ausführen helfen. Durch ihre wühlende Combination war sie auf den Gedanken gekommen, ob jene »zweite Frau« des Kronsyndikus, die damals in jener Nacht in Kiel der vom Wein Aufgeregte und schon an Wahnanfällen Leidende mit dem Degen von sich abwehren wollte, nicht diese jetzige Herzogin von Amarillas sein könnte. Ihrem Spürsinn entging von jeher nichts, was 64 sich irgendwie aus auffallenden Daten solcher Art als zusammengehörig verknüpfen ließ. Sie hatte auch schon Benno's hinlänglich ihr bekannte, im Familienkreise der Asselyn's und der Dorste's oft besprochene »dunkle Herkunft« in den Kreis ihrer Combinationen gezogen und staunte schon lange über Benno's Aehnlichkeit mit dem Kronsyndikus und mit der Herzogin. Sie verfolgte diese Gedanken stets und stets seit dem Augenblick, wo sie bemerkt zu haben glaubte, daß die Herzogin oft so wohlgefällig über sie lächelte, sie gering behandelte und zurücksetzte. Heute war Graf Sarzana, als er ihr den Arm geboten hatte, geradezu von der Herzogin auf eine andere Dame verwiesen worden. Diese Kränkung hatte sie nur vergessen, weil sie später von Huldigungen genug überschüttet wurde. Solche Geringschätzungen konnten sich wiederholen; daher sagte sie mit scharfspähendem Blick und sich aller der Vortheile erinnernd, die ihr über die ganze Familie der Asselyns zu Gebote standen: Der Todtenkopf? Nach dem fragten Sie? Den lernte ich in Witoborn kennen, in dessen Nähe ein Kloster liegt. Es ist das Familienbegräbniß jener Wittekind-Neuhof, nach denen mich Ew. Hoheit oft schon gefragt haben – Der vor länger als einem Jahr verstorbene Stammherr, der Kronsyndikus genannt, hat in einem Wortwechsel dem andern, dem zweiten Mönch, den Sie sahen, seinen Vater erstochen. Das unglückliche Opfer eines höchst jähzornigen Charakters hieß Klingsohr und war des Freiherrn Pächter. Der Todtenkopf war des Freiherrn Förster und hieß Franz Bosbeck. Letzterer stammt aus Holland, war in Java, gewann auf dem Schloß Neuhof eine Stellung durch die Liebe einer bösen Frau, die dort regierte, Brigitte von Gülpen. Nun, glaub' ich, hing sein Schicksal so zusammen: Da sein Herz an einem andern Wesen hing, rächte sich jene böse Brigitte und veranlaßte den Entschluß ihres Verlobten, der seine wahre Liebe durch den Tod 65 verlor, sich in ein Kloster zu flüchten. In Indien soll er von den Gauklern Künste der Abhärtung gelernt haben, die ihn trotz Entbehrungen und Strapazen rüstig erhalten. Der eine der beiden Mönche hatte eine Sehnsucht nach Rom, die vom andern aus mir unbekannten Gründen getheilt wurde. So entflohen sie beide aus ihrem Kloster, saßen oder sitzen noch dafür auf San-Pietro in Gefangenschaft und richten nun, wie sie mir mittheilen, in diesem Schreiben an den Bischof die Bitte, sich zu ihren Gunsten zu verwenden. Wie jeder, der einmal in Rom war, fürchten sie sich, nach Deutschland zurückzukehren.

Lucinde hielt inne. Sie wollte die Wirkung ihres mit schlagenden Momenten für die Herzogin gemischten Berichtes beobachten. Diese folgte ihr denn auch mit der höchsten Spannung. Aber Lucinde hatte in der Kunst der Beherrschung ihre Meisterin gefunden. Nach dem ersten leisen Zucken der Mienen, als die Worte gefallen: »Familienbegräbniß der Wittekind-Neuhof«, trat trotz der aufs äußerste erregten Spannung und der blitzschnell sie durchzuckenden Vorstellung: Diese Schlange kennt dein ganzes Leben! eine Todtenkälte in die geisterhaft vom Mond beschienenen Züge der Herzogin und sie sagte nichts als: Kommt so der Nachtwind vom Meere herüber? Wovon bewegt sich nur plötzlich so das Laub in den Weinbergen? Sehen Sie nur, als wenn eine einzige große Schlange dahinkröche! So hebt es sich hier und dort und sinkt wieder zusammen – –

Lucinde hatte nur ihr Auge nach innen gerichtet. Beide Frauen waren zu tief in ihre Erinnerungen, zu tief in die Rüstung des zunehmenden Hasses gegeneinander verloren, um einer Beobachtung über den Nachtwind langen Spielraum zu lassen. Die Herzogin ging nach Lucindens Mittheilungen in die Worte über: Ich würde vorschlagen, die Bitte lieber dem Cardinal, bei dem Sie ja allmächtig zu werden anfangen, mitzutheilen, 66 wenn nicht – allerdings Olympiens Laune zu schwankend wäre! In der That sprach sie schon oft ihre Reue aus, einem Fremdling, wie jenem Bischof, so schnell den Fuß auf italienischem Boden gegönnt zu haben. In ihren Lobpreisungen des Pater Vincente, der sich jetzt am Thor unter den Bettlern befinden soll, erkenn' ich die Gedanken, die in Olympiens Innern Gestalt gewinnen wollen.

Lucinde beobachtete, ob die Herzogin ihr ganzes Interesse für Bonaventura kannte?

Diese fuhr fort: Auch ist der Bischof von Robillante in der That nicht vorsichtig. Dem Erzbischof von Coni hat er mehr die Spitze geboten, als einem so ganz den Vätern Jesu angehörenden, jetzt als Großpönitentiar nach Rom zurückkehrenden Prälaten gegenüber gutgeheißen werden kann. Sein Eindringen in San-Ignazio und die Trinita zu San-Onofrio hat die Dominicaner gegen ihn aufgebracht. Die Dominicaner sind in gewissen Dingen mächtiger, als die Jesuiten! Dieser Orden beruft sich auf die Privilegien der Inquisition. Der Bischof ging sogar noch an die weltlichen Gerichte. Auch das mag ein Beweis von Muth sein, bleibt jedoch für ihn und seine Lage nur eine große Unbesonnenheit. Allerdings mußten neun Waldenser, sieben Proselyten, welche die Waldenser unerlaubterweise in ihre Gemeinde aufgenommen hatten, von den Dominicanern, die sie eingezogen hatten, herausgegeben werden. Um Einen aber, der noch fehlt, kämpft der Bischof noch immer! Wie nur möglich, sich und andere um einen ketzerischen Fremden so aufzuregen! Allerdings gilt sein Widerstand einem Deutschen – doch in seiner Stellung gebührte sich gerade gegen seine Landsleute die Vermeidung aller Parteilichkeit –

Lucinde horchte mit gespanntem Antheil. Sie kannte diese Gefahren Bonaventura's nur aus flüchtigen Andeutungen Ceccone's.

67 Schreiben Sie ihm doch alles das, wenn Sie den Brief etwa noch mit einem Couvert versehen sollten! sagte die Herzogin.

»Schreiben Sie ihm doch alles das –«. das hatte die Herzogin mit einem seltsamen Ton gesagt. Es war der Ton, der etwa sagte. Ich weiß es ja, Sie sind die verschmähte Liebe dieses Bischofs –!

Lucinde sagte, demüthig ihr Haupt senkend und nur im Blick die Fühlfäden verrathend, die sie ausstreckte: Der Bischof rechnet, denk' ich – auf den Beistand der Gönner, die ihm – hier in Rom ihre alte Neigung – sofort wiederschenken würden, wenn – Benno von Asselyn, sein – Vetter zurückkehrt und – nicht länger eine Furcht verräth, die – für einen Mann – doch kindisch ist –

Welche Furcht –? Das Muttergefühl wallte auf. Aus Besorgniß, sich durch Vertheidigung des Sohnes zu verrathen, sagte die Herzogin gezwungen lächelnd: Dürfen Sie am Hochzeitstag der Fürstin Rucca von einem Manne sprechen, der allerdings nicht der beglückte Gegenstand ihrer Liebe werden zu wollen wünscht –? Nicht zu wünschen scheint! verbesserte sich die Herzogin.

Alle Umgebungen der Herzogin und Lucindens wußten, wie das Bild der kurzen wiener Bekanntschaft von Schönbrunn und vom Prater noch immer vor Olympiens Seele stand.

In diesem Augenblick sah sich Lucinde um. Es war um sie her ein Geräusch hörbar geworden. Ueber den Fußboden eilte eine jener kleinen Schlangen, deren Augen einen phosphorescirenden Glanz von sich geben. Lucinde zog erschreckt den Fuß zurück, sah die künstliche Ruhe der an südliche Eindrücke gewöhnten und der Schlange nicht achtenden Herzogin und erwiderte nach einiger Sammlung: Benno von Asselyn fürchtet, an die bestrickende Olympia ein Herz zu verlieren, das – ich will es Ihnen verrathen – einem jungen jetzt in London 68 lebenden Mädchen gehört! Sagen Sie aber nichts davon der Fürstin –!

Die Züge der Mutter konnten sich jetzt nicht mehr beherrschen und verklärten sich. In ihrem brieflichen Verkehr hatte sie nie auf eine Frage nach Benno's Herzen eine deutliche Antwort erhalten . . . Wen liebt – Signore – Benno? fragte sie mit einer sich bekämpfenden Theilnahme, deren leidenschaftlichen Ausdruck jedoch ihr ganzes Antlitz verrieth..

Er liebt unglücklich! sagte Lucinde immer forschender und schon mit triumphirenden Blitzen aus ihren dunkeln Augen hervorlugend. Sein bester Freund nächst dem Bischof und dem Dechanten Franz von Asselyn – Die Herzogin schlug schnell wieder ihre Augen nieder – ist ein junger reicher Kaufherr, Thiebold de Jonge. Beide wurden, ohne es zu wissen, zu gleicher Zeit von einer Liebe zu einem Mädchen ergriffen, das damals noch halb ein Kind war. Armgart von Hülleshoven ist ihr Name.

Armgart von –?

Hülleshoven! wiederholte Lucinde. Der Mutter klopfte das Herz.

Armgart von Hülleshoven! sagte die Listige noch einmal und rüstete sich, der Herzogin ein für allemal das Geringschätzen ihrer Person zu verderben. Sie ist, hauchte sie, die zärtlichste Freundin jener Gräfin Paula, von der Sie wissen, daß sie nun wirklich die Gattin des Grafen Hugo geworden ist. Schon einmal geriethen beide Freunde um diese Neigung in Streit –! Da entsagte aber einer zu Gunsten des andern. Armgart fand inzwischen Zeit, ordentlich erst ein Mädchen zu werden, das überhaupt an Liebe denken darf. Ein wunderliches Aelternpaar hat sie aus Witoborn nach England geschickt, wo sie im Hause einer Lady Elliot lebt und ihre Zärtlichkeit für zwei Liebhaber zugleich nun sogar am Widerstand gegen einen dritten prüfen kann! Dieser 69 hat wenigstens vorläufig das glücklichere Loos gezogen, jetzt in ihrer Nähe leben zu dürfen. Es wird Sie übrigens interessiren, zu hören, daß dies jener Wenzel von Terschka ist, der, wie man sagt, nur um ihretwillen Priestergelübde und Religion und was nicht alles aufgab.

Pater Stanislaus? sagte hocherstaunt und sich ganz vergessend die Herzogin. In der Ferne donnerten inzwischen Böller und schmetterten Fanfaren.

Sollten Sie in Ihrem Briefwechsel mit Herrn von Asselyn – . . . wagte Lucinde sich jetzt keck heraus.

Ich –? Mit wem? fuhr wie aus einem Traum die Herzogin auf.

Ja Sie, Hoheit, Sie allerdings – mit Benno von Asselyn –! lächelte Lucinde.

Die Herzogin war aufgestanden. An sich war die Bewegung ihres Schreckens, die zunächst, nach solcher Entdeckung, ihrer Furcht vor Olympien galt, falls diese den Briefwechsel durch Lucindens Verrath entdeckte, erklärlich. Doch konnte der Schrecken auch von etwas anderm kommen. Die Zweige hatten in nächster Nähe gerauscht, wie unter Berührung eines leise Dahinschleichenden.

Man ist doch sicher hier? konnte die Herzogin ihren Schreck maskirend, noch fragen. Da deutete sie schon mit einem Aufschrei auf die grüne Decke des Weinlaubs, woraus sich spitze Hüte und Männerköpfe erhoben. Im selben Augenblick wollte Lucinde entfliehen. Schon hatten sie jedoch von hinten zwei Arme ergriffen. Eine wilde Physiognomie, die nur die eines Räubers sein konnte, grinste sie an. Ein widerwärtiger, dem gemeinen Italiener eigner, vom Genuß des Zwiebellauchs kommender Athem nahm ihr die Besinnung. Sie konnte nicht von der Stelle.

Die Herzogin war an den Aufgang der Altane gestürzt 70 und rief: Räuber! Räuber! Sie rief diese Worte – sie wußte selbst nicht, ob im Schrecken über den Ueberfall oder in dem über Lucindens Voraussetzung eines Briefwechsels zwischen ihr und Benno. Sie wiederholte ihren Hülferuf muthig, trotzdem alles unter dem Weinlaub lebendig zu werden schien, wilde Männer in abenteuerlichen Trachten den Rand der Altane erkletterten, Pistolen und Dolche blitzten, Lucinde in die Arme eines Athleten geworfen wurde, der bereits die Mauer erklettert hatte, während der erste, der schon oben war und die im stillen Gespräch Verlorene von hinten überfiel, Miene machte, nun auch die Herzogin zu ergreifen. Die Räuber trugen die Tracht der Hirten, kurze Beinkleider, Strümpfe, Jacken, offene blaue Brusthemden; die Gesichtszüge waren von Bart und künstlichen Farben entstellt; die braunen sehnigen Hände eines dritten, der dem zweiten nachkletterte, drückte Lucinden, die vor Schrecken nicht einen Laut mehr von sich geben konnte, ein buntes Tuch in den Mund.

Während nun die Herzogin, halb auf der Flucht, halb wieder mit kühnem Muthe innehaltend, ihre Hülferufe fortsetzte, sah sich Lucinde schon in den Armen des Riesen, der sich, auf den Rücken zweier andern sich stützend, an die Wand festgestemmt hatte und die Beute mit den der Situation völlig widersprechenden Beschwichtigungsworten hinunterzog: Haben Sie doch keine Furcht, schönste Altezza! . . . Ew. Excellenza sollen so gut schlafen, wie in Ihrem eigenen Schlosse –! Es ist nur ein Spaß, Signora Eccellenza. Tausend Zecchinen! Ei, das wird eine so schöne Dame ihren Freunden doch wol werth sein –!

Lucinde sah den Muth einer Frau, die sie eben noch durch ihre Worte so scharf verwundet hatte, hielt sich jetzt an einem großen Oleanderstamm, der von draußen her die Mauer hinanwuchs, wühlte sich in dessen schwanke Zweige, die sie nicht 71 lassen wollte, fest und widerstand um so mehr dem Räuber, als sie hinter sich ein wildes Geschrei vernahm, das halb aus deutschen, halb aus italienischen Lauten bestand.

Da fühlte sie, daß die Arme des Riesen schlaffer wurden. Sie hielt sich mit allen Kräften fest. Hinter sich hörte sie schon ein Ringen, ein Kämpfen. Eine Ahnung erfüllte sie. Sie krallte sich fester und fester. Da vernahm sie in der Nähe einen Schmerzensschrei wie den eines Verwundeten . . . Nun folgte ein Pistolenschuß. Sie fiel die Mauer hinunter. Ueber den Rauch um sie her, ihren Sturz, die Angst, die Hoffnung – verlor sie die Besinnung.

Als sie wieder zu sich gekommen war, lag sie noch auf dem Boden des Weinbergs. Von oben ließ man soeben Leitern herab. Die Terrasse oben stand voll Menschen. Waffen klirrten noch. Graf Agostino, seiner schweren Reiterstiefeln nicht achtend, stieg von oben hinunter. Neben ihr lag in seinem Blut der gewaltige Riese, den von der Hand eines Mönches ein Pistolenschuß getroffen hatte. Der Muthige kniete neben einem andern Mönche, der verwundet am Boden lag. Da hüllte sich ihr wieder alles in Nacht.

Als sie aufs neue erwachte, befand sie sich in dem großen Saale der Villa. Wüst durcheinander standen die Tische und Sessel. Das Fest war zu Ende. Die Kronleuchter brannten nur noch dunkel. Die Zahl der Menschen um sie her ließ sich bald übersehen. Düsterblickend stand Graf Sarzana. Sein Auge hatte immer eine Macht, vor der sie jetzt vollends das ihrige niederschlug. Sie hörte Ausbrüche des Erstaunens. Wer hätte sich auch denken mögen, daß an einem so lebhaften Abend, unter so vielen Tausenden von Menschen Räuber es wagen würden, ihren gewöhnlichen Anschlag – Gefangennehmung von Personen, die sich durch Lösegeld loskaufen mußten – in 72 Ausführung zu bringen! Die Räuber waren unter dem dichten Weinlaubdach hinweggeschlichen, hatten sich der einsamsten Stelle des Gartens genähert und würden sicher wenigstens mit Lucinden ihren Raub ausgeführt haben, wenn nicht die beiden Mönche, diese freilich ihrerseits auch in unerklärlicher Absicht, den gleichen Weg genommen und ihr somit die Freiheit erhalten hätten. Der Mönch mit dem Todtenkopf hatte einem der Banditen ein Pistol entrissen und auf die gewaltige Gestalt abgeschossen, die bereits Lucinden davontrug. Ihn selbst hatte dann ein leichter Messerstich verwundet. Der jüngere Mönch, Pater Sebastus, war lebensgefährlich von einem Stilet verwundet worden. Lucinde blieb unversehrt. Sogar der Brief an Bonaventura war nicht aus ihrer Brust geglitten.

Das gehört zu Italien! sprach eine Stimme. Kommen Sie, wenn Sie können – Ihr Wagen wartet schon! Die Fürstin ist schon lange fort . . . Graf, Sie begleiten doch die Signora –?

Lucinde sah die Herzogin von Amarillas nicht, aber sie entnahm dem Ton ihrer Worte: Diese Signora – Tochter eines Schulmeisters vom Lande, eine Abenteurerin – die ehemalige Braut des einen dieser Mönche – die Genossin des andern bei gewissen, unenthüllbaren, heimlichen Dingen – lassen Sie lieber dies Geschöpf –!

Durch die geöffneten Fenster schimmerten die Sterne. Allerdings! Hätte sich Lucinde je einen solchen mit Klingsohr noch zu erlebenden Abend träumen lassen, als sie in ihrem Pavillon auf Schloß Neuhof unter den Ulmen wohnte und H. Heine's Liederbuch las, das ihr Klingsohr geschenkt. Klingsohr aber – war um ihretwillen jetzt vielleicht schon todt –!

Voll Zuvorkommenheit erbot sich der Graf zur Begleitung. Die Mönche bleiben hier; sagte er. Der eine ist schwer verwundet, der andere leichter. Aber Pater Vincente bewacht und 73 pflegt beide. Auch ist schon ein Arzt bei ihnen. Sie liegen drüben beim Haushofmeister. Die Villa bleibt die Nacht über sorgfältig bewacht. Der Bargello läßt zehn Mann Wache zurück. Sie werden, denk' ich, ausreichen!

In der That war nun auch alles schon zerstoben und verflogen. Der alte Fürst Rucca war so rasch entflohen, als wenn er sich wirklich an der adriatischen Küste befunden hätte unter den Schmugglern und seinen Zollbeamten. Von dem getödteten Räuber versicherte man, es wäre der berüchtigte Pasquale Grizzifalcone selbst gewesen.

Cardinal Ceccone hatte sich nach dieser Recognition sofort vom Anblick der ohnmächtigen Lucinde losgerissen, war in den Garten geeilt, wo die Leiche lag, und hatte sich jeden Gegenstand verabfolgen lassen, der sich in den Taschen des Gefallenen befand. Dann war er eilends in seine glänzende Carrosse gestiegen und mit seinen beiden »Caudatarien« (Schleppträgern) in seine Wohnung gefahren, die mit derjenigen Sr. Heiligkeit unter Einem Dache lag, nach dem Vatican.

Graf Sarzana lächelte spöttisch bei diesem Bericht und bot Lucinden den Arm. Sie schwankte nur so hin. Tief erschöpft schritt sie bis an den Wagen. Beide fuhren nach dem Palazzo Rucca, der am Pasquino liegt.


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