Curt Grottewitz
Der Mensch als Beherrscher der Natur
Curt Grottewitz

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V. Einwanderung der Getreidearten in Deutschland

Die Mehrzahl der Kulturpflanzen, deren wir uns heute erfreuen, stammt aus fernen Ländern, aus fernen Erdteilen. Nach und nach kamen sie zu uns, bürgerten sich bei uns ein und gestalteten die Physiognomie unserer Flora in gewaltiger Weise um. Keine andere Gruppe unserer Kulturpflanzen aber kann sich an Bedeutung mit den Getreidegräsern messen. Sie sind es, die den größten Teil unseres Vaterlandes bedecken und die wichtigsten Nahrungsmittel der Europäer liefern. Sie sind es auch, auf die sich der Ackerbau in Deutschland hauptsächlich erstreckt. Von den Getreidearten stammt vielleicht nur eine einzige aus dem heutigen Deutschen Reiche, alle anderen kamen von außerhalb, einige von ferneren Erdteilen.

Auch die edelste unserer deutschen Getreidearten, der Weizen, hat seine Heimat nicht in Europa. Es ist noch nicht vollständig gelungen, die Herkunft und Geschichte dieser Pflanze, die so eng mit der Kultur und dem Leben der Völker verbunden ist, genau aufzuklären. Es steht aber unzweifelhaft fest, daß schon die ältesten Völker den Weizen kannten und ihn anbauten.

Die Chinesen haben ihn nachweislich schon zweitausendsiebenhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung kultiviert, und auch bei den alten Aegyptern reicht der Anbau bis ins dritte vorchristliche Jahrtausend zurück.

Die ältesten Dokumente für die Kultur des Weizens in europäischen Ländern finden wir in den Hinterlassenschaften der Pfahlbautenbewohner. So hat man in den Ablagerungen der Schweizer und italienischen Seen, deren Bodengrund gleichsam ein blattweise aufgeschichtetes Herbarium der Vorzeit ist, auch den Weizen inmitten anderer damals vorhandener oder verfertigter Produkte der jüngeren Steinzeit gefunden. Auch hier kann man auf ein Alter von über tausend Jahren vor unserer Zeitrechnung schließen.

So verliert sich denn die Geschichte des Weizens bis in die älteste historische Zeit. Wir können indes seine Spuren noch weiter verfolgen.

Die ältesten Sprachen der Welt selbst geben uns einigen Aufschluß über das ungeheuer hohe Alter des Weizenbaues. Das Chinesische, das Sanskrit, diese uralte indische Sprache, die die älteste Sprachstufe der indogermanischen Sprachgruppe darstellt, ferner das Hebräische und das Aegyptische enthalten ein Wort für Weizen. Aber sie enthalten keineswegs dafür ein Wort, das auf einen gemeinsamen Stamm zurückgeht. Während im Gegensatz hierzu das Wort Weizen – im Gotischen z. B. hwaitei, im Isländischen hveite, im Englischen wheat geheißen – in allen germanischen Sprachen auf denselben Stamm zurückgeht, und während man aus dieser Tatsache schließen muß, daß der Weizen allen germanischen Völkern bereits bekannt war, als sie noch zusammenlebten und genau dieselbe Sprache besaßen, lautet der Name für Weizen in allen alten Kultursprachen verschieden.

Daraus ist der Schluß zu ziehen, daß die Kultur des Weizens ganz außerordentlich alt sein muß. Er ist von keinem der alten Völker einem anderen gegeben worden, denn das importierte fremde Gut behält den Namen, den es bei dem importierenden Volke besitzt.

Die verschiedene Bezeichnung für den Weizen wäre am einfachsten so zu lösen, daß jedes der alten Kulturvölker selbständig auf den Anbau des Weizens verfallen wäre. Dabei ist aber vorauszusetzen, daß der Weizen sich überall in den Ländern als wilde Pflanze vorgefunden hätte, in denen jene Völker wohnten. Nun ist aber der Weizen weder in China, noch in Indien, noch in Europa, noch in Aegypten in wildem Zustande aufgefunden worden. Und hier gelangen wir nun zu einem Ergebnis, das nicht nur für die Geschichte des Weizens, sondern für die Geschichte der ältesten Kulturmenschheit überhaupt von unermeßlicher Bedeutung sein könnte.

Vom Weizen ist nur eine Abart bisher in unkultiviertem Zustande entdeckt worden. Diese kommt in Kleinasien und Mesopotamien noch heute vor. Ja, sie verbreitet sich sogar über Griechenland bis nach Serbien, reicht also ein Stück in das europaische Gebiet hinein. Schon antike Schriftsteller, unter anderen Berosus, der ein Zeitgenosse Alexanders des Großen war, geben an, daß der Weizen in Mesopotamien, ja auch im westlichen Indien wildwachsend vorkomme. Wie ist es aber möglich, daß von hier der Weizen nach dem fernen Osten kam, nach China, das durch weite Steppen und hohe Gebirge vom westlichen Asien abgetrennt ist?

Es deutet sehr vieles darauf hin, daß der wilde Weizen früher weiter östlich vorgekommen ist und sich erst später nach dem Abendlande zu ausgebreitet hat, und daß andererseits die Chinesen in Zentralasien nahe jenem Hindukusch-Hochlande gewohnt haben, das schon so oft als die Wiege des Menschengeschlechts bezeichnet worden ist. Der berühmte Geograph von Richthofen hat darauf hingewiesen, daß Chinesen und abendländische Völker gewisse astronomische Vorstellungen gemeinsam besitzen, und er hat daraus gefolgert, daß beide Völkergruppen einst nahe beieinander in Zentralasien gewohnt haben.

Die gemeinsame Pflege der Weizenkultur macht nun ebenfalls diese ehemalige Nachbarschaft wahrscheinlich.

Daß aber der Weizen früher nicht in Westasien, sondern in Zentralasien wild gewachsen sei, hat erst vor kurzem der Graf zu Solms-Laubach als wahrscheinlich hingestellt. Nach der Eiszeit fand eine große Einwanderung zentralasiatischer Pflanzen nach Kleinasien und dem südöstlichen Europa statt. Unter diesen Pflanzen hat sich höchstwahrscheinlich auch der Weizen befunden. Seine ursprüngliche Heimat, das ist der Schluß von all diesen und noch mehreren anderen Erwägungen, war das zentrale Asien. Hier nahmen ihn die verschiedenen, damals noch nahe beieinander wohnenden Völker in Kultur. Das mag in jener alten grauen Zeit gewesen sein, wo der Mensch noch kaum einer vollentwickelten Sprache fähig war. Der Weizen wurde von all diesen zentralasiatischen Völkerschaften angebaut, während für ihn keine gemeinsame Bezeichnung, vielleicht überhaupt keine Bezeichnung existierte. Erst später, als diese Völker ihre eigenen Sprachen ausbildeten, gab jedes dem Weizen einen Namen. Und diese Namengebung erfolgte vielleicht erst dann, als die Völker von Zentralasien hinwegwanderten, die Chinesen nach Osten, die Arier in der Hauptsache nach Europa. Alle diese arischen Völkerschaften brachten nun den Weizen in die Lander, in denen sie sich niederließen, die Griechen nach Griechenland, die Italiener nach der Apenninenhalbinsel, die Kelten nach dem westlichen Europa. Vielleicht waren es diese bereits, die den Weizen in dem heutigen Deutschland zum erstenmal anbauten. Denn die Germanen zweigten sich erst ziemlich spät von der großen arischen Völkerfamilie ab. Sie mußten Deutschland zum großen Teile den Kelten erst wieder abnehmen, ehe sie sich hier dauernd niederlassen konnten. So sind wohl nicht sie, sondern die Kelten, jenes einst so machtige und jetzt nur noch in wenigen Ueberresten in Frankreich und England erhaltene Volk, die ersten gewesen, die Weizen auf deutschen Boden bautenDie hier überall zugrunde gelegten Anschauungen von der Einwanderung der europäischen Kulturvölker aus Asien unterliegen gerade im Augenblick wieder sehr lebhaften wissenschaftlichen Debatten, deren Ergebnis noch aussteht. Die mitgeteilten botanischen Einzeltatsachen werden davon doch kaum berührt..

Eine Abart des Weizens, die in Süddeutschland nicht selten kultiviert wird, ist der Spelt oder Dinkel. Er unterscheidet sich von den gewöhnlichen Weizensorten dadurch, daß seine Körner bei der Reife nicht aus den Spelzen herausfallen, sondern diese als umhüllende Schale, ähnlich wie der Hafer, dauernd behalten.

Der Spelt wird in den Denkmälern der ältesten Kulturvölker nicht erwähnt, er besitzt auch in deren Sprachen keinen Wortstamm. Dagegen kannten ihn die Griechen und die Römer sehr wohl, und schon in den Homerischen Gesängen wird er sehr häufig erwähnt.

Vielleicht haben die Germanen diese Getreidefrucht überhaupt erst aus dem Süden erhalten. Es ist auffällig, daß eine Weizensorte mit gespelzten Körnern in jenen ältesten Sprachen und Sprachdenkmälern nicht erwähnt wird. Denn gerade jene Weizenart, die heute noch in Kleinasien wildwachsend vorkommt, und ehemals ihre Heimat in Zentralasien gehabt haben muß, besitzt Körner mit bleibenden Spelzen. Vielleicht sind deshalb unsere heutigen gewöhnlichen Weizensorten nur Kulturformen, die aber bereits in jenen urältesten Zeiten gezüchtet wurden.

Abb. 9. Getreidearten der Pfahlbauzeit.
(Von links: Kolbenhirse, Fennich, kleiner Pfahlbauweizen, zwei sechszeilige Gersten, ägyptischer Weizen, Emmer und Rispenhirse. Nach O. Heer.)

Ebenso wie der Weizen ist auch die Gerste schon in den allerältesten Zeiten der Menschheitsgeschichte angebaut worden. Auch sie ist als wilde Pflanze in Asien gefunden worden, und zwar weit im Osten dieses Erdteils. Die alten zentralasiatischen Völker konnten sie von hier nach allen Teilen der Welt verbreiten. So war die Gerste auch schon bei den Aegyptern in Kultur. Die indogermanischen Volksstämme besitzen für die Bezeichnung dieser Getreideart eine gemeinsame Sprachwurzel. Es geht daraus unbedingt hervor, daß diese Völker die Gerste schon besaßen, als sie noch eng beieinander in Zentralasien wohnten und ein einheitliches Volk mit einer gemeinsamen Sprache bildeten. Bei dem Zuge der Arier nach dem Westen wurde die Gerste auch nach Deutschland gebracht. In der Schweiz und den oberitalienischen Seen finden wir sie schon in einer Zeit, wo die Metalle noch unbekannt waren. Das Volk der Pfahlbauten, das wahrscheinlich ein keltisches war, mag sie schon damals auf das Gebiet des heutigen Deutschlands herübergetragen haben. Die Germanen, die ihrerseits den Anbau der Gerste schon von ihrer asiatischen Urheimat her kannten, kultivierten die Pflanze weiter. Der römische Schriftsteller Tacitus, der im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebte, schilderte die Germanen zum erstenmal ausführlich seinen Landsleuten und erwähnt dabei diese Tatsache ausdrücklich. Er erzählt auch, daß die Germanen schon damals aus der Gerste ein berauschendes Getränk zu brauen verstanden, und er verschweigt auch nicht, daß sie diesem Gerstengetränk bereits damals in ausgiebigster Weise huldigten. Früher stand die Gerste als Nahrungsmittel für den Menschen viel höher als heute, wo sie nur noch in der Form von Graupen gegessen, im übrigen aber als Viehfutter verwendet wird. Es gibt drei Abarten von Gerste. Je nach der Art und Weise, wie die Aehrchen an der Aehrenspindel gruppiert sind, unterscheidet man zweizeilige, vierzeilige oder gemeine und sechszeilige Gerste. Wildwachsend hat man nur die zweizeilige gefunden. Die vierzeilige wird erst bei Theophrast erwähnt, einem griechischen Naturforscher, der im Jahre 287 vor unserer Zeitrechnung starb. Die beiden anderen Gerstenarten dagegen wurden von alters her angebaut. Da wir aber nur die zweizeilige Gerste als wilde Pflanze kennen, so müssen wir auch hier annehmen, daß die anderen Formen erst in der Kultur entstanden sind, und zwar die sechszeilige schon im Anfang des Ackerbaues, während die vierzeilige, die in den ägyptischen Denkmälern und in den Pfahlbauten fehlt, wohl erst später aufgetreten ist.

Bedeutend jünger als der Anbau des Weizens und der Gerste ist derjenige des Roggens. Den alten asiatischen Kulturvölkern war er noch nicht bekannt. Wir finden von ihm keine Spur, weder in den Schriften der alten Chinesen, noch in den Kulturdenkmälern der Aegypter. Auch weder in den semitischen Sprachen noch im Sanskrit findet sich für diese Pflanze eine Bezeichnung. Die indogermanischen Völkerstämme kannten ihn also noch nicht, als sie in Zentralasien noch zusammenlebten. Aber auch in den Schweizer Seen ist er weder in der Steinzeit noch in der Bronzezeit gefunden worden. Zum erstenmal erwähnt wird der Roggen von dem römischen Schriftsteller Plinius, der im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebte. Er berichtet, daß die Getreidepflanze am Abhange der Alpen angebaut werde. Etwas später hören wir, daß auch in Mazedonien und Thrazien, also in der heutigen südlichen Türkei, Roggen kultiviert werde. Vorher erwähnt aber kein griechischer Schriftsteller diese Pflanze, die sicher den Griechen bekannt gewesen wäre, wenn sie schon vorher in Mazedonien und Thrazien, den Nachbarländern des alten Griechenlands, angebaut worden wäre. Demnach tauchte höchstwahrscheinlich damals erst diese Pflanze vom Norden her auf.

Abb. 10. Roggen.   –   Zweizeilige Gerste.

So ist denn der Roggen weder von Asien noch von Südeuropa nach Deutschland gekommen, wie die beiden vorher erwähnten Getreidearten und so viele andere Kulturpflanzen. Der Roggen tritt vielmehr während der Blütezeit Roms an den Schweizer Seen auf. Sodann aber weist das Vorkommen von Bezeichnungen für Roggen in den alten germanischen, slawischen und keltischen Sprachen darauf hin, daß die in das mittlere und nördliche Europa vorgedrungenen Arier hier den Roggen zum erstenmal anbauten. Ohne Zweifel müssen sie also diese Getreideart erst in ihrer neuen Heimat kennengelernt haben. Mit diesem Umstand stimmt es vorzüglich überein, daß der Roggen in Oesterreich sehr leicht verwildert, daß er also hier am besten die Lebensbedingungen vorfindet, die er früher im Naturzustande gehabt hat. Einen Fingerzeig für den ursprünglichen Wohnbezirk des Roggens gibt aber vor allem die Tatsache, daß Abarten dieser Getreidepflanze in den Gegenden zwischen den österreichischen Alpen und dem Kaspisee, also besonders in Südrußland, noch im unkultivierten Zustande verbreitet sind. Hier also ist jedenfalls die Heimat unseres Roggens gewesen. Der arische Völkerstrom, der sich nach Griechenland und Italien ergoß, konnte deshalb den Roggen nicht in Anbau nehmen, vielmehr mußte diese Pflanze den Griechen und Römern erst bei der Berührung mit nördlicher wohnenden Völkern bekanntwerden. Die Kelten, Slawen und Germanen, die sich nach dem nördlicher gelegenen Teile Europas wandten, wurden hier auf diese wichtigste Nahrungspflanze Mitteleuropas aufmerksam. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß sie etwa den Anbau des Roggens bei der alten Urbevölkerung Europas, wenn es eine solche überhaupt gab, kennengelernt haben. Denn sonst würde auch vor der Römerzeit Roggen in den Pfahlbauten-Ueberresten der Schweizer Seen gefunden worden sein. Die Germanen und ihre keltischen und slawischen Nachbarn, die alle vorzügliche Ackerbauer waren, erkannten vielmehr selbst den Wert des Roggens, sie kannten ihn wahrscheinlich noch nicht sehr lange, etwa ein oder zwei Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung. So kann der Roggen, wenn man sich nicht so streng an die Grenzen des heutigen Reiches hält, immerhin als deutsche Pflanze bezeichnet werden. So erklärt es sich auch leicht, daß der Roggen in Deutschland am wenigsten empfindlich ist von allen Getreidearten, er säet sich leicht von selbst aus, und er übersteht unseren Winter vorzüglich, während Weizen nur in den milderen Gegenden unseres Vaterlandes angebaut werden kann. Damit hängt es auch zusammen, daß in Deutschland zum Brotbacken fast ausschließlich Roggen verwendet wird und dieser infolgedessen als unsere wichtigste Getreidepflanze bezeichnet werden muß.

Wenn dem Weizen in ihrer Geschichte die Gerste nahesteht, so gleicht dem Roggen darin in vielen Beziehungen der Hafer. Auch diese Getreidepflanze hat nicht den Ruhm, in den alten Büchern und Denkmälern der orientalischen Völker erwähnt zu werden. Weizen und Gerste verdanken das hohe Alter ihrer Kultur der asiatischen Heimat, der Roggen aber und der Hafer sind abendländische Pflanzen, und wie das Abendland erst spät in der Geschichte eine Rolle spielt, nachdem im Osten schon seit Jahrtausenden menschliche Kultur ihre unvergänglichen Urkunden aufgezeichnet hatte, ebenso gelangten auch diese beiden Getreidearten erst ziemlich spät in den Besitz der Menschheit. So findet sich denn kein Wort für Hafer, weder in den asiatischen Sprachen, noch im Aegyptischen. Ja selbst die Griechen und sogar die Römer der alten republikanischen Zeit kannten den Hafer noch nicht. Diese Getreidepflanze, die uns heute zur Fütterung der Pferde so unentbehrlich scheint, ist den alten griechischen und römischen Rossen nie zu Gesicht gekommen, obwohl sie es an Kriegstüchtigkeit wie an friedlicher Zug- und Lastarbeit doch wohl noch immer mit einem Berliner Droschkengaul aufgenommen haben würden.

Abb. 11. Hafer.

Die erste schriftliche Nachricht von dieser in der gesamten Pferdewelt der Erde epochemachenden Getreidepflanze stammt wieder von dem römischen Schriftsteller Plinius. Etwa um seine Zeit haben die Römer, die ihre Pferde mit Gerste fütterten, wahrscheinlich den Hafer erst von den Germanen kennengelernt. Allzulange mochten damals aber auch diese den Anbau dieser Getreideart noch nicht betrieben haben. Denn in den Ueberresten der schweizerischen Pfahlbautenkultur lassen sich Körner erst in der Bronzezeit nachweisen. Aehnlich wie es mit dem Roggen der Fall war, so wurde wohl auch der Hafer von den arischen Stämmen, die diesseit der Alpen wohnten, schon einige Jahrhunderte lang vor unserer Zeitrechnung angebaut. Welches von diesen Völkern, ob Kelten, Germanen oder Slawen, den Hafer zuerst angebaut hat, das läßt sieh natürlich nicht mehr entscheiden. Es ist selbst möglich, daß alle drei sehr bald unabhängig voneinander die Brauchbarkeit dieser Getreideart kennengelernt haben. Denn der Hafer, das scheint ziemlich sicher, muß in den Ländern, in denen jene Stämme wohnten, seine ursprüngliche Heimat haben. Eine Grasart mit so großen Körnern mußte natürlich den arischen Stämmen, welche bereits den Anbau des Weizens und der Gerste kannten, sehr bald auffallen und ihnen sofort zu einem regelmäßigen Anbau geeignet erscheinen. Daß der Hafer von Anfang an in Deutschland heimisch war, darauf deutet auch die Fähigkeit dieser Getreidepflanze hin, bei uns ohne Hilfe des Menschen längere Zeit ihr Fortkommen zu finden oder auch gänzlich zu verwildern.

Weizen, Roggen, Gerste und Hafer sind weitaus die wichtigsten Getreidearten, die gegenwärtig auf deutschem Boden angebaut werden. Früher nahmen auch die Hirse und der Buchweizen ein nicht unbedeutendes Stück unserer heimischen Erde in Anspruch. Die Hirse ist eine uralte Kulturpflanze, deren Anbau sich in das graue Dunkel der Urgeschichte verliert wie der des Weizens. Die asiatischen Kulturvölker kannten sie ebenso wie die alten Aegypter und die Bewohner der Schweizer Pfahlbauten. Wahrscheinlich stammt sie also aus Asien, von wo sie die arischen Volker frühzeitig nach dem Abendlande brachten. Die Hirse gedeiht auf Sandboden, deshalb hatte sie in Norddeutschland ein nicht ungünstiges Gebiet für ihre Kultur. Allein ihr Anbau ist bei uns doch nicht sehr lohnend, und seit der Einführung der Lupine und der Anwendung des künstlichen Düngers werden auch sandige Felder in den geeigneten Zustand gebracht, um wenigstens alle zwei Jahre eine befriedigende Ernte des weit lohnenderen Roggens zu geben.

Abb. 12. Weizenarten.
1 Bartweizen. 2 Spelt. 3 Kolbenweizen. 4 Einkorn. 5 Emmer.

Aus demselben Grunde wird auch der Buchweizen immer mehr verdrängt, der ehemals in Norddeutschland eine ungeheure Verbreitung besaß. Der Buchweizen ist eine der wenigen Getreide-Pflanzen, die nicht zur Familie der Gräser gehören, sondern dem Geschlechte der Knöteriche nahe verwandt sind, die auf unseren Wiesen und Fluren in vielen Formen vorkommen. Der Buchweizen ist ganz im Gegensatz zur Hirse eine ziemlich moderne Kulturpflanze. In Europa ist er erst zum Ausgang des Mittelalters bekanntgeworden. Seine Heimat ist das nordöstliche Asien; im östlichen Sibirien und in der Mandschurei wächst er wild. Von hier hat sich das Gebiet seiner Kultur allmählich westlich nach Rußland und Deutschland ausgedehnt, und um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wird er zum erstenmal in unserem Vaterlande als Getreidepflanze erwähnt. Er gehört also zu den jüngsten Getreidearten, aber trotz seiner Jugend berechtigt er doch nicht zu großen Hoffnungen, wenigstens nicht in Deutschland. Der Buchweizen, der auch Heidekorn genannt wird, lieferte besonders früher den Bewohnern armer Sandgegenden die nahrhafte Heidegrütze. Uebrigens rührt der Name Buchweizen von der Achnlichkeit her, welche die Körner der Pflanze mit den dreikantigen Früchten der Rotbuche besitzen. Mit dem Weizen, dieser edelsten und anspruchsvollsten Getreideart, hat er dagegen sehr wenig Berührungspunkte. Weit charakteristischer für ihn ist der Name Heidekorn. Aber auch der Heideboden wird der Pflanze, wie gesagt, mehr und mehr entzogen, seitdem er in höhere Kultur gebracht ist und der verfeinerte Geschmack der Landbewohner an der ehrwürdigen Buchweizengrütze nicht mehr viel Gefallen findet.

Nicht viel jünger als die Einführung des Buchweizens in Deutschland ist die des Maises. Der Mais ist die einzige Getreidepflanze, die uns das große und in weiten Strecken uns klimatisch nahestehende Amerika gegeben hat. Doch von dieser so wichtigen Pflanzengruppe der Getreidearten gibt es so wenige, daß jede einzelne einen unermeßlichen Schatz für das Menschengeschlecht bedeutet. Leider ist für Deutschland der Wert des Maises nicht allzu bedeutend. Dagegen wird er in den südeuropäischen Ländern in großen Mengen angebaut, hier werden seine Körner auch zu einem schneeweiß aussehenden Brote verarbeitet. Nach dem Süden Europas ist denn auch der Mais zunächst gekommen, als er von Amerika importiert wurde. Denn in den warmen Ländern gedeiht der Mais ungleich viel besser als in Deutschland. Im Süden werden seine Körner jedes Jahr reif, und da der Mais einen außerordentlich hohen Ertrag liefert, so erklärt es sich, daß er dort vielfach den Weizen verdrängt hat. Als Amerika entdeckt wurde, fand man den Mais bereits in Kultur. Seine eigentliche Heimat sind die innerhalb der Wendekreise gelegenen Teile von Amerika. Aber er ist schon seit alten Zeiten überall in diesem Erdteil angebaut worden.

In den Denkmälern der alten amerikanischen Kulturvölker, z. B. der hochbegabten Inkas, sind Andeutungen und Spuren der Maiskultur vielfach aufgefunden worden. Nach der Entdeckung von Amerika gelangte der Mais nach Europa. Etwa vom Jahre 1520 an wurde er nun regelmäßig in Spanien und von 1560 an in Italien angebaut. Von den südlichen Ländern erhielt dann später auch das südliche Deutschland die amerikanische Getreidepflanze. Auf die Einführung aus den südeuropäischen Landern deuten auch die Namen hin, die der Mais vielfach im Volksmunde führt: Welschkorn oder türkischer Weizen. Dagegen ist Mais der ursprüngliche Name, mit dem die Peruaner die Pflanze bezeichnen. In Süddeutschland bereits ist der Mais als Getreidepflanze nicht mehr lohnend genug, daß ihm weite Landstriche eingeräumt werden könnten. Da der Mais südlicher Gegenden jede deutsche Konkurrenz schlägt und diese Getreideart kein Brot liefert, das dem deutschen Gaumen sonderlich zusagt, so liegt auch kein besonderer Ansporn zur Maiskultur vor. Dies gilt jedoch nur für den Mais als Getreide, denn als Futterpflanze hat er sich im verflossenen Jahrhundert weite Strecken des mittleren und nördlichen Deutschlands erobert. Wie als Getreide, so übertrifft der Mais auch als Grünfutter lieferndes Gewächs jede andere deutsche Pflanze. Während er aber die erstere Eigenschaft nur in südlichen Ländern äußert, zeigt er die letztere auch bei uns in überraschendem Maße. So wird denn diese Getreideart bei uns vielfach im großen angebaut, ohne indes Getreidekörner zu liefern.

Alle unsere Getreidepflanzen können auf eine Kultur von langen Jahrhunderten, die meisten sogar auf eine solche von vielen Jahrtausenden zurückblicken. Bei mehreren der Getreidearten reicht der Anbau bis in die ersten Anfänge der Geschichte, ja bis weit in die prähistorische Zeit zurück. Und dies kann nicht wundernehmen, denn erst von dem Zeitpunkt an, wo der Mensch Pflanzen – und dies waren Getreidearten – anzubauen lernte, erst da wurde er aus einem rohen Jäger oder einem vagabundierenden Nomaden ein gesitteter Mensch, der sich an Recht und Gesetz band. Es ist kein Zufall, daß der Name Kultur von einem Wortstamm herrührt, der das Anbauen von Pflanzen bezeichnet. Noch heute gebraucht der Landmann, der Gärtner, der Förster das Wort Kultur in dem alten Sinne. Und sie haben recht. Denn beide Begriffe hängen aufs engste miteinander zusammen: erst der Anbau des Getreides rief menschliche Kultur hervor.


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