Balduin Groller
Töte sie!
Balduin Groller

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Siebentes Kapitel.

Urbany blieb seinem Vorsatze getreu, aber besser gestalteten sich die Dinge in seinem Hause darum doch nicht. Reizbare und aufgeregte Naturen sind damit nicht zufrieden, wenn ihren schwankenden Stimmungen eine unerschütterliche Ruhe entgegengesetzt wird. Die Ruhe und Kaltblütigkeit des Gegners – denn als solcher wird da leicht jeder, und stehe er auch sonst noch so nahe, betrachtet – reizt nur noch mehr. Die stille Ergebung in das Unvermeidliche wird als unerträgliches Phlegma, als Gleichgiltigkeit, als Lieblosigkeit, ja noch ärger, als Bosheit und absichtliche Kränkung aufgefaßt. Urbany legte sich oft übermenschlichen Zwang auf, ohne doch damit etwas zu erreichen: Fritzi war und blieb ihm geradezu feindselig gestimmt, und mit tiefer Kümmernis begann nun Urbany selbst daran zu glauben, daß er einen übereilten Schritt gethan habe, als er mit Fritzi vor den Altar getreten sei. Er verlor seine Lebensfreudigkeit: er war im Innersten verwundet, und neben dem tiefen und großen Kummer quälte ihn der kleine Ärger, die Verlegenheit und das Schamgefühl, daß die kleinherzige, schadenfrohe Gesellschaft, die seine Verbindung von Anfang an mit scheelen und ironischen Blicken betrachtet hatte, nun doch recht behalten sollte. Es war in der That kein Geheimnis geblieben, daß die Dinge im gräflichen Palais nicht so standen, wie sie stehen sollten, und die Gesellschaft hatte überreichen Stoff zur Unterhaltung, zur vorzüglichen Unterhaltung.

Den kleinlichen, schmählichen Triumph wollte er den stolzen, hochadeligen Kreisen nicht gönnen, den Buschendorfs nicht und nicht der Markgräfin Andritz und nicht dem ganzen Hofstaat, der ihr und ihren Töchtern zu Füßen lag. Wie sie ihn alle bedauern mochten, den Armen, und wie doch dieses ganze Bedauern nur die gutgewählte Maske für das Gefühl der Befriedigung und der Freude war!

Nein, er war entschlossen, sein Kreuz zu tragen, wie schwer es auch sei, es stumm und ohne Klage zu tragen. Von seinem Leid sollte niemand erfahren, und die freudige Erwartung seiner Freunde und Standesgenossen sollte sich nicht erfüllen, – um keinen Preis! Es sollte und durfte zu keinem Eklat, zu keinem Skandal kommen. War ein Riß in sein Dasein gekommen, so war das seine eigene, ureigene Sache, mit der er selbst fertig zu werden hatte, vor der Außenwelt mußte der Schein gewahrt werden. Die Ehe war nach katholischem Ritus geschlossen, sie war also unlösbar; sie sollte es auch bleiben vor der Welt. Sie konnten sich fremd gegenüberstehen unter einem Dache, Fritzi und er, sie konnten fremd und, wenn es nicht anders ging, von Gehässigkeit erfüllt aneinander vorübergehen unter einem Dache, aber unter einem Dache sollte es geschehen.

Urbany hatte ernste Unterredungen mit Frau Schönchen, und die alte, lebenserfahrene Frau sprach ihm zu, nicht alles verloren zu geben. Solche Störungen gebe es in jeder Ehe, und überall stelle sich die Ausgleichung doch wieder ein. Urbany schüttelte trübselig das Haupt.

»Die Grundbedingung fehlt dazu bei uns, Frau Schönchen. Über allen Streit hinaus muß sich doch die Liebe bewähren, und an der Liebe fehlt es hier! Fritzi ist mir zum Altare gefolgt ohne Liebe, ohne die rechte Liebe, und das rächt sich nun. Es wird ihr zur Qual an der Seite eines ungeliebten Mannes zu leben, – das konnte gar nicht anders kommen. Ich kann mich hineindenken in ihre Gefühlswelt, aber helfen kann ich ihr vorläufig nicht. Ich bin auch mir und meinem Namen gewisse Rücksichten schuldig. Wir können voneinander gehen, aber freigeben kann ich sie nicht, und wenn ich es auch wollte, sie könnte nicht frei sein, und darum ist es besser, wir bleiben beisammen. Solange das der Fall ist, wird sich wenigstens die üble Nachrede nicht an sie heranwagen.« –

Auch mit dem berühmten Gynäkologen versuchte es Urbany noch einmal, ohne jedoch auch bei ihm den gesuchten Trost zu finden.

»Ich finde keine Abnormität in dem Zustand der Gräfin,« äußerte er. »Es giebt da indessen gewisse Imponderabilien, die sich der wissenschaftlichen Beobachtung entziehen. Ein Druck auf irgend einen Nerven, wir haben deren in unserem geehrten Corpus an die zwanzigtausend, und die ganze Gemütsverfassung wird förmlich umgekehrt. Da kann man nichts thun, als der Natur ihren Lauf lassen. Wollen Sie aber doch ein übriges thun, so sorgen Sie für Zerstreuung.«

Was ihm der Professor von Zerstreuungen sagte, das hatte sich Urbany längst schon selbst gesagt, aber Fritzi hatte durchaus keine Neigung gezeigt, sich irgendwelchen Zerstreuungen hinzugeben. So wie sie aussehe, könne sie nicht unter die Leute gehen, behauptete sie, und dabei blieb sie hartnäckig. Dennoch hatte die Unterredung mit dem Professor in Urbany eine neue Idee geweckt. Wenn Fritzi die Zerstreuungen außer dem Hause von sich wies, so mußte dafür gesorgt werden, daß sie eine anregende Zerstreuung fände innerhalb ihrer vier Wände. Er suchte Rummel auf, um mit diesem seinen Plan zu besprechen.

Rummel war in diesen trüben und stürmischen Zeiten der einzige Mensch, mit dem Fritzi verkehren konnte, wie in früheren Tagen. Ihm redete sie sich ihre Klagen und Bitterkeiten vom Herzen, und ihm und nur ihm gegenüber gelang es ihr, ab und zu ihre volle frühere Heiterkeit wieder zu gewinnen. Zu ihm hatte sie volles Vertrauen, und die vertraute Aussprache mit ihm that ihr wohl. In diesem stillen Einverständnis grüßte sich die Freimaurerei des Zigeunertums, aus dem sie beide emporgewachsen waren, und obschon Fritzi manchmal heimlich mit einem Seufzer des Bedauerns den Gedanken ausspann, daß es wohl schöner gewesen wäre, wenn das Schicksal sie in der Bohème belassen, sie vielleicht an die Seite Rummels geführt hätte, anstatt sie auf die Höhen des Daseins zu stellen, wo sie sich jetzt so unglücklich fühlte, so machte sie doch kein Hehl aus der Vorliebe, mit welcher sie den Umgang mit Rummel pflegte. Dazu war sie zu stolz in ihrem stets rege gehaltenen Bewußtsein, daß sie sich nichts vorzuwerfen habe. Ebenso bestimmend für ihr Verhalten war freilich auch der Umstand, daß sich von keiner Seite irgend eine Gefahr zeigte, welche diesen ihr zum Bedürfnis gewordenen vertrauten Verkehr bedroht hätte. Urbany wenigstens, und das war die Hauptsache, sah ihn ohne Arg, ja er freute sich darüber, weil er die gute Wirkung auf Fritzis Stimmung wahrnahm. Für das Mißtrauen hatte er in seiner Natur kein Organ und – auch für die Eifersucht nicht; so hatte er wenigstens in früheren, glücklicheren Tagen Fritzi oft lachend versichert.

»Höre, Rummel, wir müssen für Fritzi etwas thun,« sagte eines Tages Urbany zu dem Maler. Urbany hatte die erste Gelegenheit benützt, dem bewährten Freunde des Hauses das »du« anzutragen; das war ihm nur als ganz selbstverständlich, ja als notwendig erschienen, da ja seine Frau und Rummel sich schon duzten. »Sie muß beschäftigt werden. Wir wollen ihr einige Sorgen aufhalsen.«

Rummel lachte. Was für Sorgen sollte die Gräfin haben?!

»Ich meine es ernst,« fuhr Urbany fort. »Sie soll Grund zur Freude haben und Grund, wirklichen Grund zum Ärger. Namentlich das letztere wird ihr gesund sein, vielleicht vertreibt es ihr den überflüssigen grundlosen Ärger. Und anhaltend müßte die Geschichte sein, daß es ihr über ein Jahr hinweghilft.«

»Anhaltender Ärger, viel Ärger – da wüßte ich nur ein Mittel, und das wird schwer in Anwendung zu bringen sein. Sie müßte die alte Buschendorf malen. Wenn sie da nicht die Gelbsucht kriegt vor lauter Gift und Galle, dann ist ihr überhaupt nicht zu helfen!«

»Zum Glück kann sie nicht malen,« erwiderte lächelnd Urbany, »und außerdem würde dabei die Hauptsache fehlen, die Freude an der Sache, die sie ja doch haben soll. Nein, nicht malen, bauen soll sie. Sie soll sich auf eigene Faust, als ihre eigene Bauherrin einen kleinen Palazzo bauen lassen. Sie soll sich selbst den Kopf zerbrechen und sich mit Sorgen beladen über die Ausführung des Baues, über seine künstlerische Ausstattung und über die ganze innere Einrichtung. Meinst du nicht, daß das für sie das Richtige wäre? Ich weiß, daß das Bauen eine Freude ist, und ich weiß auch, daß man in der Welt keine schönere Gelegenheit findet, sich ordentlich, aber so recht von Grund aus zu ärgern.«

»Was du für ein boshafter Mensch bist,« rief Rummel, und dabei schimmerte es in seinem Auge wie von einem Strahl von Rührung. Er war, während Urbany seinen Plan entwickelte, erregt aufgesprungen, so sehr hatte ihn die Idee gepackt. Sein Gehirn arbeitete schon an der Ausgestaltung der Façade, er sah schon die kassettierten Decken, und seine Phantasie zauberte auch schon die Deckengemälde an ihren Ort. Das war ja ein wahrer Künstlertraum, der sich da verwirklichen sollte.

»Oh, ich kenne Fritzi,« rief er erregt, »sie wird den Gedanken mit Begeisterung aufgreifen. Teile ihr deinen großmütigen Entschluß mit, je eher, desto besser!«

»Nein, so ist es nicht gemeint, Rummel,« sagte Urbany ruhig. »Vor dir brauche ich ja keine Komödie zu spielen; steht sie doch vertrauter mit dir als mit mir. Ihr soll damit ein Wunsch erfüllt werden; es soll ihre Idee sein und nicht meine. Wenn ich ihr den Antrag mache, so nimmt sie ihn vielleicht gar nicht an, – so stehen die Sachen, leider! Stecke du ihr die Idee; verschwört euch gegen mich; schmiedet Pläne, wie ich herumzukriegen sei, ohne daß sie sich gar zu sehr herablassen müßte zu bitten. Sie wird überhaupt nicht bitten wollen. Lasse du dich also mit der Mission betrauen, daß es eigentlich meine Schuldigkeit sei, ihr den Antrag zu stellen. Ich werde erst nicht deutsch verstehen und sie zappeln lassen; darauf wird sie gekränkt sein und nun gerade und justament nichts mehr von der Sache wissen wollen. Dann werde ich wieder schön bitten, daß sie mir doch nur ja um Gotteswillen den Gefallen thue und den Antrag annehme. So, lieber Freund, stehen die Sachen!«

Rummel überlegte und er mußte Urbany recht geben. Bei Fritzis Gemütsverfassung und der sie beherrschenden Stimmung ihrem Gatten gegenüber war in der That mit Bestimmtheit darauf zu rechnen, daß sie keine Freundlichkeit von ihm werde annehmen wollen; Vorsicht war also immerhin geboten.

Er machte sich gleich ans Werk und suchte Fritzi auf. Wie ihr Auge aufleuchtete, als er bei ihr eintrat!

»Gott sei Dank, ein Besuch im Gefängnis!« rief sie, ihm die Hände entgegenstreckend.

»Der Kerker ist nicht übel,« erwiderte Rummel, in dem prunkvollen Gemache umherblickend.

»Ein goldener Käfig! Oh, Rummel, ich wollte, ich hätte mich nicht fangen lassen!«

Rummel ging auf dieses Thema nicht weiter ein, er wußte aus Erfahrung, daß es nutzlos sei, den Versuch zu machen, Fritzi von ihrer mit hartnäckiger Zähigkeit festgehaltenen Meinung, daß sie unglücklich verheiratet sei, abzubringen. Urbanys Zurückhaltung und Ruhe erschien ihr als kühle Gleichgiltigkeit und Lieblosigkeit. Rummel sah, daß da mit Worten nichts gebessert werden könne; er ließ sie also bei ihrer Meinung und ging nun gleich auf sein Ziel los.

»Weißt du, Fritzi,« begann er, »daß es auch mir in diesem düsteren Palaste nicht gefallen könnte!«

»Das reine Gefängnis, – es ist zum Verrücktwerden!«

»Wenn ich aber die Gräfin Urbany wäre, dann ließe ich mir nach meinem Wunsche eine Behausung bauen, und diese müßte dann etwas anders aussehen, als die langweiligen Klosterbauten der anderen gräflichen Familien.«

»Ein Haus soll mich glücklich machen, Rummel, du bist kindisch. Das Übel sitzt tiefer, viel tiefer!«

»Ja, ein Universalpflaster ist so ein Palazzo, wie ich mir ihn denke, freilich nicht, aber deshalb sehe ich doch nicht ein, warum du ihn nicht haben sollst. Ich würde meinem Manne sagen: Hier halte ich es einfach nicht mehr aus! Ich will Licht und Luft, und sei versichert, ich brächte ihn schon dazu, daß er mir meinen Willen thut.«

»Da kennst du Urbany schlecht! Das ist das Schloß seiner Ahnen, und wenn es für ihn gut genug ist, muß es auch für mich gut genug sein, und ob ich mich da nun wohl fühle oder nicht, das ist ihm ganz egal!«

»Versuchen würde ich's doch,« fuhr Rummel beharrlich fort. »Sieh' mal, Fritzi, schon das ist etwas wert, wenn die hochgeborenen Gräfinnen, die dich ja doch nicht für voll nehmen wollen, vor Ärger platzen, wenn du dir ein Heim bau'st, wie sie's alle nicht haben.«

Fritzi wurde aufmerksam: die Geschichte fing an sie zu interessieren.

»Und dann,« setzte ihr Rummel, der die günstige Wirkung seiner Worte wohl bemerkte, weiter zu, »und dann – denke nur, es muß doch eine Lust sein, einmal so ganz nach eigenem Geschmack zu bauen und sich einzurichten! Davon haben ja alle die großen Herren und die großen Damen keine Idee. Die nehmen sich einen Architekten, geben ihm einen Auftrag, – und wie's wird, so wird's. Das hat keinen Sinn und Verstand. Wir würden da alles selbst in die Hand nehmen.«

»Ja wohl! Und den Leuten zeigen, wie so etwas gemacht wird!« stimmte Fritzi eifrig zu, die nun schon ganz bei der Sache war.

»Ich mache den Plan; ich sehe das Ding schon ordentlich vor mir!« fuhr Rummel immer wärmer werdend fort.

»Du, Rummel?« lachte Fritzi. »Du bist ja gar kein Architekt!«

»Das thut nichts. Das ist gerade das Gute. Wir zwei machen den Plan zusammen.«

»Daß uns dann die ganze Geschichte über dem Kopf zusammenfällt!«

»Wird nicht zusammenfallen, Fritzi. Wir machen den Plan zusammen, und dann muß natürlich ein Architekt darüber, der muß uns dann sagen, wenn wir irgendwo eine Unmöglichkeit wollen oder eine Dummheit gemacht haben. Dazu ist er gut und zur Ausführung. Entworfen soll aber dein Haus nicht von einem Linealmenschen werden. Die Architekten haben keinen Sinn für das Malerische. Wir wollen der Welt einmal zeigen, wie so etwas ausfällt, wenn einmal ein Maler darüber kommt.«

»Ja, Rummel, das könnte schön werden!«

»Ob es schön wird! Vielleicht verletzen wir einmal irgend eine strenge architektonische Regel, – was thut's, wenn die Sache nur überhaupt sicher steht. Ich sage dir, die Maler wären die richtigen Architekten, sofern es sich nicht gerade um eine fade Zinskaserne handelt.«

»Und da sollten wohl die Architekten die Bilder malen?«

»Wenn sie's können! – Gegen die Schulregel werden wir vielleicht verstoßen, aber langweilig wird das Opus nicht werden, und effektvoll – dafür stehe ich gut!«

»Ich mit dir, Rummel!«

»Wir setzen uns dann Tag für Tag zusammen, du und ich, und halten täglich Kriegsrat, und da müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht etwas Ordentliches auf die Beine bringen sollten!«

Fritzis Augen begannen zu leuchten. »Das müssen wir durchsetzen, Rummel!« rief sie nun mit Wärme, ließ aber dann doch wieder gleich den Kopf sinken.

»Er wird nicht wollen!« sagte sie gepreßt.

»Wer wird nicht wollen?«

»Urbany!«

»Ah, wir werden ihn bitten.«

»Nein, um keinen Preis! Ich will ihn um nichts bitten.«

»Aber Fritzi, sei kein Kind!«

»Nein; den Triumph gönne ich ihm nicht. Ich demütige mich nicht vor ihm; vor ihm nicht!«

»Fritzi, – du bist ein –.«

»Was denn?«

»Mir fällt wirklich kein salonfähiger Ausdruck ein.«

»Du kennst ihn nicht. Wenn er weiß, daß mir etwas eine Freude macht, dann thut er es gewiß nicht.«

»Aber Fritzi, wie kannst du so etwas nur denken.«

»Ich weiß, was ich sage. – Oder er thut es doch, aber dann nur, um mich noch mehr zu drücken. Er schafft sich damit eine Gloriole. Er ist dann in allem der Großartige, der untadelhafte, großmütige Kavalier, und ich bin dann noch mehr die Undankbare, die seine Großherzigkeit nicht zu schätzen weiß. Lieber verzichte ich auf alles.«

»Fritzi, mir scheint, du ärgerst dich nur deshalb über deinen Mann, weil du nicht weißt, was du ihm vorwerfen sollst.«

»Natürlich! So denkst du und so denken alle Leute. Auch die Schönchen sagt dasselbe.«

»Dann wird es wohl auch wahr sein.«

»Weil ihr euch alle nicht in meine Lage versetzen könnt!« rief Fritzi leidenschaftlich. »Er ist in Allem und Jedem der korrekte Mensch, ihr seht nur das und danach urteilt ihr.«

»Danach kann man sich aber auch schon ein gewisses Urteil bilden.«

»Was es aber heißt, an einen Menschen gekettet zu sein, der nur korrekt und sonst nichts ist, das könnt ihr nicht beurteilen, und darum könnt ihr mich auch nie ganz verstehen.«

Rummel gab es auf, gegen eine Unmöglichkeit anzukämpfen, und als solche erschien es ihm, Fritzis Gesinnung gegen ihren Gemahl zu einer günstigen Wandlung zu bringen. Nicht ebenso wollte er aber den Plan Urbanys aufgeben. Er versprach sich von der anregenden Beschäftigung Fritzis einen solchen Vorteil für ihre Stimmung, für welche er den tiefsten Grund doch nur in dem Mangel jeglicher Sorge und jeglicher ernsten Arbeit sah, er versprach sich endlich, und das fiel hier gar sehr mit in die Wagschale, davon eine so interessante, künstlerisch lustige Unterhaltung für seine eigene Person, daß er alles aufbot, um den Plan nicht scheitern zu lassen.

Es war auch nicht allzuschwer, Fritzi zu einem hinterhältigen Spiele gegen Urbany zu bringen. Sie machten miteinander aus, daß Rummel den Grafen auf diplomatischem Wege für ihre Absichten gewinnen solle. Er müsse zur Einsicht gebracht werden, daß man eine junge Frau nicht in dem düsteren Palais hinwelken lassen dürfe, das für die Verhältnisse im vorigen Jahrhundert vielleicht entsprochen haben möge, das aber doch heute nicht mehr einer lebenslustigen Frau die volle Befriedigung bieten könne. Er solle nur durchschimmern lassen, daß ihr da eine wirkliche und große Freude bereitet werden könnte, aber wenn Urbany sollte erst warten wollen, daß sie zu ihm bitten komme, oder wenn er gar erwarten sollte, daß sie ihm überströmende Dankgefühle für seinen Großmut widme, dann solle lieber das ganze Projekt unausgeführt bleiben. Es sei nur ihr gutes Recht, was sie da verlangten, und zu einer Extra-Demütigung sei gar kein Anlaß vorhanden. –

Rummel hütete sich, Urbany reinen Wein einzuschenken über seine Unterredung mit Fritzi; er berichtete nur, daß auch er den Eindruck gewonnen habe, daß in ihrer jetzigen Gemütsverfassung durch eine so edle anhaltende Zerstreuung die beste Wirkung auf sie erzielt werden könnte.

»Wie machen wir's nun, daß sie die größte Freude daran habe?« fragte Urbany. »Soll ich gleich hineinspringen und ohne Überlegung ja sagen, oder soll ich mich erst mit Händen und Füßen wehren, und mich von dir erst mühsam überreden lassen? Oder willst du mich sonst wie überlisten, Rummel? Ich bin zu allem zu haben. Was meinst du?«

Rummel war der Meinung, es sei die Hauptsache, daß der Bau überhaupt zu stände komme. Er werde Fritzi schon irgend etwas vorschwatzen, was sie sicher zufrieden stellen werde.

Es war ein bitteres Lächeln, das Urbanys Lippen umspielte, als er sich vergegenwärtigte, wie weit es in seiner Ehe gekommen sei, daß es nun schon eines vorsichtigen Mittlers bedurfte zwischen ihm und seiner Gemahlin. Er unterdrückte aber diese natürliche Regung der Bitterkeit, und verhandelte weiter kühl und geschäftsmäßig mit dem Maler über das geplante Unternehmen. Er teilte diesem mit, daß er schon im Hinblick auf diesen Bau einen großen Garten mit mächtigen alten Bäumen im Aristokratenviertel auf der Wieden gekauft habe, und daß er, wenn die Lage Fritzi genehm sei, ihr den Grund für den Bau schenken wolle.

Rummel jubelte; er kannte das Grundstück, und es übertraf seine kühnsten Erwartungen, daß sie nun so prachtvolle Kulissen und einen so großartigen Hintergrund für ihr gemeinsames Kunstwerk haben sollten.

»Den Baugrund habt ihr nun,« schloß Urbany. »Sorgt nun für die Pläne und bringt mir die Überschläge. Und was die Deckengemälde betrifft, so hoffe ich, daß ihr sie bei Rummel bestellen werdet. Er wird vielleicht nicht wollen, weil er so viele Porträts zu malen hat, aber dann muß ihm eben gehörig zugesetzt werden, schon in seinem eigenen künstlerischen Interesse. Er soll wieder einmal ›Bilder‹ malen und der Welt zeigen, was er kann!«

Rummel schlief in der folgenden Nacht nicht; so mächtig regte ihn die neue Aufgabe auf. Er saß in seinem Atelier und zeichnete Pläne, erst mit der Kohle auf große Kartons, dann mit Bleistift in sein Skizzenbuch, und endlich malte er sogar eine Totalansicht des Schlößchens samt landschaftlicher Umrahmung in Aquarell.

In den ersten Vormittagsstunden des nächsten Tages suchte er einen befreundeten Architekten auf, mit dem er seine Skizzen durchsprach, und dem er schließlich die Ausführung des Baues übertrug. Friedrich Reinach, der Architekt, war ein begabter junger Mensch, und er ging gern darauf ein, die ihm gezeigten Entwürfe, so gut es ging, zur Grundlage seiner Pläne zu nehmen. Einem weitberühmten Künstler, wie Rummel es war, durfte ein junger Anfänger schon Heerfolge leisten, ohne sich zu viel zu vergeben. Ja, er war seinem großmütigen Freunde noch herzlich dankbar. Es war sein erster Palastbau, und er wußte, wer einen solchen Bau erfolgreich zustande gebracht hat, der ist versorgt für sein lebelang.

Von dem Architekten eilte Rummel mit seinen Grundrissen und seiner effektvollen Totalansicht in Aquarell zu Fritzi. Mit fliegendem Atem setzte er ihr auseinander, wie die Sache nun gemacht werden müsse. Sie ließ sich alles genau erklären und hörte aufmerksam zu, und als sie sich mit allen Einzelheiten vertraut gemacht hatte, da hatte Rummel sehr bald Gelegenheit, zu erkennen, daß da doch nicht alles nur nach seinem Kopfe werde gehen können.

»Hast du Einwendungen, Fritzi?« fragte er, als sie seine Entwürfe zu lange für seine Ungeduld schweigend prüfte.

»In der Hauptsache nicht,« erwiderte Fritzi, den Kopf auf die Hand stützend, wobei der weite Ärmel ihres duftigen Morgengewandes zurückfiel, und die feinen Linien ihres Unterarmes sich unverhüllt zeigten. »In der Hauptsache nicht,« wiederholte sie noch einmal sinnend, »aber –«

»Auf allerlei Aber war ich gefaßt,« fiel Rummel ein, »aber die Hauptsache bleibt doch die Hauptsache; und hier ist die Hauptsache, daß wir beim Barocco bleiben. Der Barockstil ist doch der malerischeste. Dabei bleiben wir, nicht wahr?«

»Dabei bleiben wir – natürlich; aber da sieh, Rummel, gegen die Straße zu verbarrikadierst du mich wie eine Festung. Nur die Zugbrücke fehlt. Diese mächtigen Steinblöcke –«

»Ja wohl! Die werden mit Bronzeringen umgürtet, und in die Ringe werden dann gewaltige Ketten eingehängt, das macht einen imposant vornehmen Eindruck. Man soll es gleich sehen, daß das ein herrschaftliches Haus ist!«

»An dem seigneurialen Charakter liegt mir nichts, Rummel. Ich will es freundlich und heimlich haben. Feudale Architektur hätte ich ja hier auch. Die kolossalen Bossagen und die starken Ausladungen des Unterbaues – das ist alles zu gewaltig für den Bau, der nach oben hin verhältnismäßig leicht und zierlich wird.«

»Du hast ja recht, Fritzi, aber malerisch wirken diese massigen Blöcke der Rustika doch. Es soll ja keine Villa werden, sondern ein Herrschaftshaus.«

»Es soll das Heim einer Frau werden, Rummel; darum werden wir statt der Blöcke und Quadern mit zierlicheren Motiven arbeiten. Wir rücken von der Straße zurück, das ist ganz gut, aber statt der feudalen Ketten, deren steter Anblick mich krank machen würde, werden wir uns einen kleinen Vorgarten anlegen. Wir werden schon das Gesträuch und die ganze Anpflanzung so ziehen, wie wir's für die Architektur brauchen.«

»Meiner Seel', Fritzi, du hast recht! Das wird noch malerischer sein,« erwiderte Rummel, und er fing gleich an, neuerdings den Aufriß zu zeichnen und dazu gleich den Vorgarten zu skizzieren.

»Ich habe noch etwas vorzubringen,« setzte Fritzi ihre Bemerkungen fort. »Das Gebäude ist, wie ich es mir auch gedacht hatte, nur stockhoch und hat noch ein erhöhtes Erdgeschoß. Im ersten Stock nach dem Garten mein Schlafzimmer und mein Ankleidezimmer, die Gesellschaftsräume sind auf die Straßenseite verlegt, – das gehört sich so. Die Küche im Souterrain und das Speisezimmer im Erdgeschoß, – auch richtig. Das Speisezimmer hat zu jeder Seite noch ein Zimmer, was hast du mit diesen zwei Zimmern für Pläne?«

»Aus dem einen Zimmer wird ein Kaffeehaus gemacht. Dort werde ich – du wirst mich doch einladen? – nach Tisch meinen kleinen Schwarzen bekommen und eine Zigarre rauchen; dann kommen Spieltische hinein und, wenn du lieb bist, auch ein Billard. Ich spiele nämlich leidenschaftlich gern Billard, und das Billard im Kasino des Künstlerhauses ist schlecht, und ins Kaffeehaus gehe ich nicht gern.«

»Das Billard wird nicht bewilligt, Rummel. Wenn du zu mir kommst, hast du mit mir zu plauschen und mich zu unterhalten. Das fehlte gerade noch, daß meine Gäste sich stundenlang aufs Billardbrett legen, und ich inzwischen vor Langweile zu Grunde gehe, außer man gestattet mir gnädigst beim Billardspiel aufzuschreiben und die Buchhaltung zu führen. Also das Kaffeehaus wird bewilligt, aber ohne Billard. Und das andere Zimmer?«

»Wird ein Damensalon! Es ist gute englische Sitte, daß nach Tische, während die Herren zu ihrem schwarzen Kaffee und ihrer Zigarre flüchten, die Damen sich ebenfalls zurückziehen, damit sie sich ungestört über ihre Tischnachbarn lustig machen können.«

»Gut, aber die beiden Salons sollen nicht so weit voneinander getrennt sein; wir setzen sie neben einander und rücken den Speisesaal auf die Seite.«

»Um Gotteswillen! Wo bleibt da die Symmetrie?«

»Von der Symmetrie lebt man nicht, lieber Freund.«

»Aber das geht nicht!«

»Es muß gehen, und wenn es auch ein architektonischer Fehler wäre. Wir sind ja übereingekommen, daß wir uns wegen eines Schnitzers gegen die Schulregeln nicht gleich den Kopf abreißen werden. Also höre mich nur an! Bei der Frage des Speisesaales fängt nämlich eine ganze Revolution an. Er kommt also nicht in die Mitte, sondern auf die Seite.«

»Wenn du es durchaus willst, – das läßt sich machen. Mit zwei Strichen ist die Sache erledigt. Da sieh her, jetzt nimmt sich also der Grundriß so aus,« und er zeigte ihr den in raschen Zügen neu konstruierten Plan.

»Damit ist es nicht abgethan. Du hast uns Fenster nur nach der Straße hinaus angelegt.«

»Aber Fritzi! Jetzt hast du dich blamiert! Wo sollen denn da noch Fenster hin? Da haben wir doch die Feuermauer!«

»Erstens brauche ich keine Feuermauer, zweitens kommt es mir nicht darauf an, auch durch die Feuermauer Fenster zu brechen, und drittens will ich in meinem Zimmer überhaupt nicht immer das Gefühl haben, daß ich die Feuermauer vor der Nase habe.«

»Mit dir ist schwer bauen, Fritzi. Es giebt behördliche Bauvorschriften. Eine Feuermauer muß sein!«

»Wir stoßen nicht an das Nachbarhaus; sie muß nicht sein.«

»Also gut; denke dir, wir haben da im Hochparterre Fenster an der Seite. Wir sind ganz knapp am Nachbargrundstück. Bist du nun so neugierig, zu sehen, was drüben vorgeht, oder willst du dir gar so bequem von drüben in die Fenster hereinschauen lassen.«

»Da steckt eben der Fehler in der ganzen Anlage. Wer heißt dich denn das ganze Haus so auf die Seite zu stellen? Der Platz ist groß genug, und wozu haben wir den schönen Garten, wenn wir ihn nicht ausnützen wollen? Du hast auf den Garten zu wenig Rücksicht genommen, Rummel. Also wir rücken weg vom Nachbargrund und stellen das Haus in die Mitte. Wir haben dann vorne den kleinen Vorgarten und auf den drei anderen Seiten den Park. Warum den Vorteil nicht benützen und warum uns den Nachbarn auf den Hals setzen?«

Es kam wie eine Erleuchtung über Rummel. Natürlich war es so tausendmal besser!

»Die Hauptsache kommt erst noch,« fuhr Fritzi fort. »Der Garten muß inniger mit dem Haus verbunden werden. Du hast zwar nach hinten hinaus für einige Veranden gesorgt, aber das genügt nicht. Jetzt, wo wir das Haus vom Nachbargrundstück weg in die Mitte gerückt haben, jetzt begnüge ich mich auch nicht mehr bloß mit Fenstern in der Seitenmauer.«

Rummel sah sie erstaunt an, was da nun wohl herauskommen solle. Es klang nicht sehr vertrauenerweckend.

»Die Mauer soll ganz wegbleiben,« sprach Fritzi weiter.

»Ein Haus ohne Mauern!! Fritzi, das geht ja gar nicht!«

»Es geht schon. Wir machen höchstens eine leichte, verschiebbare Wand. Nein, noch besser, eine Wand von großmächtigen belgischen Glastafeln, wie sie an den Schaukästen der großen Geschäfte zu sehen sind. Diese Scheiben müssen dann in Schienen laufen, daß sie ebenfalls leicht zu verschieben seien.«

»Fritzi, solche Ideen! Mir wirbelt's im Kopf!«

»Du wirst mir schon noch Recht geben! Also höre weiter: Die Glastafeln gewähren mir freien Ausblick in den – Wintergarten, der unmittelbar an das Speisezimmer angebaut wird, und der mit diesem letzteren so zusammenhängen und so innig verbunden sein muß, daß man gar nicht dazu kommt, es zu bemerken, daß das eigentlich zwei getrennte Räume seien. Und auf ebensolche Art soll dann der Wintergarten in den Park übergehen. Sollte mir diese Gartennachbarschaft im Winter ungemütlich werden, obschon ja der Wintergarten geheizt wird, so verhänge ich mir die großen Glastafeln mit schweren vieil-or-Plüschdraperien oder mit farbenfunkelnden persischen Teppichen. Es giebt nichts Schöneres auf der Welt als die persischen Teppiche, aber freilich verstehen muß man es, sie sich auszuwählen.«

Rummel saß da, innerlich etwas beschämt, aber doch glücklich im Genuß der in ihm hervorgerufenen Vorstellungen. Fritzis Vorschläge dünkten ihm so schön, daß es ihm leid that, nicht selber auf sie gekommen zu sein. Aus Höflichkeit und aus Politik hatte er bisher immer davon gesprochen, daß der Bau eine Kompagniearbeit von Fritzi und ihm werden sollte, im Grunde hatte er doch gedacht, daß er allein alles anzuordnen haben werde; nun sah er, daß es wirklich eine gemeinschaftliche Arbeit werden würde, und daß Fritzi sich durchaus nicht gedanken- und willenlos ihm unterordnen werde. Er freute sich darüber; denn das wußte er nun, es werde bei solchem Zusammenwirken etwas Gutes und Schönes zustande kommen.

Er hatte sich bei seiner Verhandlung mit Fritzi rasche Notizen und flüchtige Zeichnungen gemacht, und mit diesen ging er nun zu seinem Freunde, dem jungen Architekten. In kurzer Zeit waren nach emsiger Arbeit die Pläne fertiggestellt und der Kostenüberschlag ausgearbeitet, und als das geschehen war, brachte Rummel alles dem Grafen zur Durchsicht und zur Genehmigung. Die Pläne prüfte Urbany genau und mit Interesse, den Überschlag, den ihm Rummel in den Einzelheiten erläutern wollte, wies er von sich.

»Wieviel wird die Geschichte kosten?« rief er mit einer abwehrenden Handbewegung.

»Oh, sehr viel!« erwiderte Rummel etwas ängstlich.

»Wieviel?«

»Wenn wir den Baugrund samt dem Park geschenkt bekommen, doch noch eine Viertelmillion!«

»Rund?«

»Genau – zweimal hundert und achtundvierzig tausend Gulden!«

»Der Betrag wird heute bei der Industriebank angewiesen. Glückauf zum Bau, und bringt etwas Schönes zusammen!«

* * *

 


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