Balduin Groller
Töte sie!
Balduin Groller

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Drittes Kapitel.

Franz Rummel war zu Anfang der achtziger Jahre, in diesen spielt unsere wahrhaftige Geschichte, einer der gesuchtesten Bildnismaler von Wien. Er hatte sich etwa zehn Jahre vorher als blutjunger Anfänger durch einige Gemälde historischen Genres bemerklich gemacht. Seine Technik war eine ungewöhnlich gut ausgebildete. Der zünftigen Kritik erschien sie freilich als eine etwas gar zu saubere und glatte, aber dem Publikum, das sich für die Kunst interessierte, und namentlich dem Publikum, das die Neigung und die Mittel hatte, Bilder zu kaufen, gefiel sie ausnehmend gut. Man huldigte zwar auch damals schon der genialen Skizzenhaftigkeit, die sich damit begnügt, die künstlerischen Intentionen anzudeuten, und die sich davor zu fürchten scheint, daß diese durch eine sorgsame Ausführung eine Einbuße erleiden könnten, aber diese Huldigung war doch gerade so wie auch heute noch eine mehr theoretische und platonische. Die Leute, die ihr Geld in Kunstwerken anlegen, möchten dafür doch etwas Fertiges haben; sie begnügen sich nicht mit den Andeutungen künstlerischer Absichten, sie wollen diese auch verwirklicht sehen. Wenn man einen Franz Rummel kaufte, da hatte man doch etwas für sein Geld. Er führte die Details mit außerordentlich liebevoller Sorgfalt durch. Wenn er einen persischen Teppich auf einem Bilde anbrachte, so konnte man die Textur desselben mit der Lupe verfolgen. In Künstlerkreisen, namentlich in solchen, in welchen man mit der strengen Technik auf gespanntem Fuße stand, ward ihm diese »Tiftelei« stark verargt, umsomehr verargt, je zahlreicher das Publikum war, das durch sie gewonnen wurde; aber das hinderte nicht, daß seine Kunstweise von der Welt der Laien rückhaltlos anerkannt wurde. Insbesondere die Frauen hatte Rummel ganz für sich gewonnen. Niemand konnte Frauen malen so wie er, so nach dem Geschmack und nach dem Herzen der Frauen. So ein Bild konnte man doch ansehen und ansehen lassen, und man konnte daran seine Freude haben. Für Rummel blieb, wenn er ein Bildnis malte, die Persönlichkeit, die er darzustellen hatte, die Hauptsache. Das ist nicht immer so selbstverständlich bei unseren großen Bildnismalern, wie man glaubt. Das sind Künstler; ihnen ist in erster Linie die Kunst die Hauptsache, die malerische Wirkung, die künstlerische Wirkung im allgemeinen, der koloristische Reiz, das Helldunkel, das Arrangement und Gott weiß, was noch. Das arme Original kommt dabei oft zu kurz, und darf nicht einmal mucksen. Damit gäbe man sich ja ein Armutszeugnis, wenn man die künstlerischen »Qualitäten« nicht zu würdigen weiß.

Wie manche schöne Frau hat sich in Wien die Äuglein rot geweint, nachdem sie von Lenbach gemalt worden war. Die Kunsthistoriker freilich, die werden noch nach fünfhundert Jahren ihre Freude an dem interessanten Kunstwerk haben. Sie werden sich die Köpfe zerbrechen über die scheinbar so einfache und im Grunde doch so komplizierte Technik des merkwürdigen und großen Meisters, von dem leider nur Porträtskizzen auf die späte Nachwelt gekommen sind. Von welcher Vollendung mögen die fertigen Bilder dieses seltenen Meisters gewesen sein! Ein unersetzlicher Verlust, daß sie der späten Nachwelt nicht erhalten blieben! Wie mag der Mann, der ein Auge so zu zeichnen verstand, erst die Hände gezeichnet und psychologisch belebt und beseelt haben. Wie schade, wie jammerschade, daß keine einzige ordentlich ausgeführte Hand von dem Meister sich erhalten hat. Und dieser feine Sinn für Stimmung, für den Zauber des Helldunkels, diese feinen grauen Schatten und dieses Licht im Schatten; nichts kann köstlicher sein! So vielleicht die Kunsthistoriker in fünfhundert Jahren, einstweilen aber weint die schöne Frau weiter um ihr verpfuschtes Bild und das schwere Geld, das es gekostet. Ihr sind die höchst interessanten Experimente mit Kopallack und Asphalt und Beinschwarz vollkommen gleichgültig, alle technischen Witze rühren sie nicht, und die angeblich so wunderbaren Schatten sieht sie gar nicht; sie schwört nur darauf, daß sie sich noch nicht im zweiten Stadium der Verwesung befinde, daß sie jene grüne Leichenfarbe im Gesichte niemals gehabt habe und daß man in Gottes Namen eine Medea – das gehe sie nichts an – so malen solle, aber nicht sie.

Von Canon wird erzählt, daß er einem »Original«, dem sein Bildnis denn doch etwas zu unbekannt vorgekommen sein mag, von der stolzen Höhe seines majestätischen Künstlerbewußtseins herab zugerufen habe: »Wenn Sie ein ähnliches Bild haben wollen, dann gehen Sie zu einem Photographen!« – Zu einem Photographen und nicht zu einem Künstler meines Ranges, – ist der Sinn der denkwürdigen Worte. Wenn nämlich ein Künstler einen gewissen Rang erreicht hat, dann hat er viel wichtigere Rücksichten zu nehmen als die auf die ordinäre, gewöhnlich sagt man auch auf brutale Ähnlichkeit.

Makarts Porträts – man weiß, daß es keine Porträts sind. Es sind effektvolle, farbenglühende Gemälde, aber Charakterbilder, Porträts – nein, das sind sie nicht. –

Nun kam Franz Rummel, und zwischen den großen und berühmten Malern fand sich doch noch ein Platz für ihn; ja er füllte eine schon längst empfundene Lücke. Die Art, wie er auf seinen historischen Genrebildern die Frauen dargestellt hatte, hatte einige schöne Frauen, die lieber für sich und zu ihrer Freude, als zum Entzücken für zukünftige Kunsthistoriker gemalt sein wollten, auf den Gedanken gebracht, sich von ihm porträtieren zu lassen. Rummels Erfolg war ein durchschlagender, ein so durchschlagender, daß er in seinem ganzen Leben nicht wieder dazukam, ein »Bild« zu malen, so reich war er nun immer mit Aufträgen zu Bildnissen bedacht. Er gedieh dabei vortrefflich, wurde ein berühmter und geehrter Künstler und ein reicher Mann. Sein Glück war dennoch kein vollständiges. Wie ein Wolkenschatten auf der sonnigen Wiese lag auch die ewig unerfüllte Sehnsucht über dem Sonnenglanze seines Glückes, einmal wieder ein freier Künstler sein, einmal wieder ein »Bild« malen zu dürfen.

Es geht oft kurios zu auf der Welt. Der Tiroler Bauernjunge, der nach Wien gekommen war, um bei einem Steinmetz in die Lehre zu treten, und der, durch sein Talent und durch sein Glück begünstigt, es dahin brachte, ein Maler zu werden, er wurde jetzt von den verwöhnten Frauen der Residenz als oberste Autorität für den guten Geschmack in der weiblichen Toilette betrachtet. Dabei unterschied sich Rummel in seiner ganzen Geschmacksrichtung wesentlich von der eines Makart und anderer in gewissem Sinne tonangebender Künstler. Während Makart sich mit souveräner Freiheit über die Gesetze der Mode hinwegsetzte und die von ihm zu malenden Frauen historisch oder am liebsten schlechtweg malerisch kleidete, ihnen sogar oft mit genialer Sicherheit die Kostüme aus den kostbarsten Stoffen eigenhändig zuschnitt, ohne Rücksicht auf den Zweck des Bildes und auf die soziale Stellung der darzustellenden Persönlichkeit, lediglich dem Antrieb einer holden künstlerischen Selbstsucht folgend, ein malerisch wirksames Werk zu schaffen, hielt sich Rummel, immer den Endzweck eines bestellten Bildnisses berücksichtigend, so weit es nur anging, an die Gebote der herrschenden Mode. Änderungen gestattete er sich nur insoweit, als sie ihm unerläßlich schienen zur Vermeidung eines geradezu unkünstlerischen Eindruckes, und sie waren dann immer einerseits der Mode selbst, andrerseits der Individualität der Dame, die gerade gemalt wurde, mit dem feinsten Verständnis angepaßt. Seine Anordnungen in dieser Richtung waren so glücklich, daß sie nicht selten bestimmend wirkten auf die Mode selbst in Wien.

Auch dieser Zug ins Moderne wurde ihm von den Künstlern und gelegentlich auch von der Kritik verargt, aber die Frauenwelt stand doch zu ihm und hielt daran fest, in ihm den Lord Oberrichter für alle Streitfragen auf dem Gebiete der Toilette zu sehen.

Was nicht alles aus einem Tiroler Bauernjungen werden kann! Das Schicksal erlaubt sich manchmal solche Scherze. Wer an einem klassischen Vorbilde sehen wollte, wie man sich in den vornehmen Salons zu bewegen hat, wie das Urbild eines Edelmanns und Cavaliers steht, geht, spricht und sich giebt, der brauchte nur ins Burgtheater zu gehen, um sich Sonnenthal anzusehen, – und Sonnenthal hat als Schneidergeselle seine Laufbahn begonnen. –

Es war bekannt geworden, daß Franz Rummel bei der heimlichen Heirat des Grafen Urbany die Hand im Spiele gehabt habe, daß er der Beistand der Fritzi Wildauer gewesen sei, und nun ward sein Atelier nicht leer von Leuten, die alle von ihm die pikanten Einzelheiten des romantischen Vorfalles erfahren wollten. Rummel war aber nicht der Mann der Redseligkeit, wenn er nicht reden wollte, und dieses Mal wollte er entschieden nicht.

»Es giebt wirklich nichts anderes zu erzählen,« versicherte er jenen, die nicht abließen, in ihn zu dringen, »nichts, was man nicht ohnedies schon wüßte. Sie haben sich gern gehabt und haben sich geheiratet. Das ist alles, und mehr weiß ich auch nicht!«

Mehr war aus ihm nicht herauszubringen, und es wäre doch so interessant gewesen, gerade von ihm etwas zu erfahren. Man hatte doch in der ganzen Stadt eine Zeitlang davon geredet, daß er die Wildauer heiraten werde, und man war nun billig erstaunt, ihn in einer ganz anderen Rolle, nur in der des ergebenen und verschwiegenen Freundes des Grafen und dessen Frau zu sehen.

Fritzi Wildauer hatte ihrerseits mit beigetragen, den Ruhm Franz Rummels zu befestigen. Er hatte sie gemalt und ihr Porträt dann auf die Ausstellung geschickt. Das Bild machte ganz außerordentliches Aufsehen. Das war die Wildauer, wie sie leibte und lebte! Ein wohlgelungener schöner Frauenkopf ist doch immer die wirksamste Empfehlung für einen Bildnismaler. So wollten auch andere Frauen gemalt sein, darunter freilich auch so manche, die dem Künstler bei weitem nicht ein so dankbares »Motiv« darbieten konnten, wie die Wildauer mit ihrer eigenartigen Schönheit.

Ein pikantes Detail kam noch hinzu, das allgemeine Interesse an dem Bilde zu erhöhen. Die Wildauer verkehrte viel in den Kreisen der Maler, die ihr samt und sonders ihre Huldigungen zu Füßen legten, und die sich um den Vorzug stritten, sie malen zu dürfen. Sie schwuren darauf, daß es in ganz Wien keinen dankbareren weiblichen Studienkopf gäbe als den ihrigen. Selbst Makart hatte verkündet, er werde die Wildauer malen. Er durfte das beruhigt verkünden, ohne sie vorher zu fragen. Welche Frau in Wien hätte sich nicht beglückt gefühlt, wenn ein Makart die Bitte an sie richtete, sich von ihm malen zu lassen, von ihm, nicht auf Bestellung, die schließlich auf eine reine Geldfrage hinauslief, sondern auf seine Bitte hin, um seinem künstlerischen Ehrgeiz zu entsprechen, seinem Schönheitsbedürfnis, seiner Sehnsucht, das Schöne zu gestalten. Das mußte für eine Frau eine Auszeichnung sein, höher und stolzer als der schönste Orden für einen Mann.

Alle Welt war darüber auch einig, die Wildauer müsse von Makart gemalt werden! Man denke nur, das goldrote Haar, ihre ganze Schönheit, die so berückend war, und die doch nicht einen klassischen Zug an sich hatte, – das war ja die Makartsche Schönheit, der bekannte Typus, nur erhöht noch und geadelt; denn hier war er gesund und blühend. Und dennoch geschah das Merkwürdige und Unerwartete; Fritzi Wildauer weigerte sich entschieden und standhaft, sich von Makart malen zu lassen. Sie hielt die freundschaftlichen Beziehungen zu dem großen Künstler aufrecht, sie war nach wie vor täglicher Gast in seinem mit märchenhafter Pracht ausgestatteten Atelier, aber ihm sitzen – nein, um keinen Preis!

Sie machte auch kein Hehl aus dem Grunde ihrer Weigerung.

»Ich kenne ihn,« sagte sie. »Wenn ich ihm sitze, so malt er mir ein Dutzend Ehrenbeleidigungen in die Augen hinein. Sie können mich auslachen, soviel Sie wollen, – er kann nicht anders!«

Davon war sie nicht abzubringen. Auch Canon, der große Rivale Makarts, hatte sich vergeblich bemüht, seine Meisterschaft an einem Bildnisse von ihr zu erproben. Er war nicht glücklicher.

»Er macht aus mir ein Rubens-Weibel!« erklärte Fritzi. »Und das bin ich nicht und will ich nicht sein!«

Das alles war bekannt, und so wurde das von Rummel gemalte Bild für ihn in den Augen der Gesellschaft nicht nur ein künstlerischer, sondern auch ein persönlicher Triumph. Natürlich begnügte sich diese Gesellschaft auch nicht mit der Thatsache, daß ein Künstler von Begabung eine schöne Schauspielerin gemalt hatte, sondern sie schloß von den bekannten Umständen weiter. Da muß doch etwas dahinter stecken. Die beiden haben entweder ein Verhältnis miteinander, oder sie werden sich sogar heiraten. Warum auch nicht? Sie passen doch so gut zu einander.

Die Wildauer war eine in ganz Wien wohlbekannte Persönlichkeit. Man kannte sie von der Bühne her, und sie trat auch vielfach bei Festen und sonstigen gesellschaftlichen Veranstaltungen in die Öffentlichkeit. Einig war man nur über ihre Schönheit und den blendenden Glanz ihrer Erscheinung, aber über ihre künstlerische Begabung – sie wirkte im Rollenfach der Naiven – waren die Meinungen sehr geteilt. Die einen sprachen ihr das Talent vollständig ab und setzten ihre Erfolge ganz auf Rechnung ihrer blendenden äußeren Vorzüge; andere gaben zu, daß Talent allerdings vorhanden sei, es sei nur nicht sehr erheblich, und wieder andere stritten dafür, daß keine andere unter den Wiener Künstlerinnen so echtes Theaterblut in den Adern habe wie sie.

Diese scheinbar unlöslichen Widersprüche fanden ihre Erklärung in gewissen äußeren Umständen und in dem Temperament der Künstlerin. Die ihr das Talent gänzlich absprachen, das waren solche, welche durch die scheinbar unverdienten Erfolge Fritzis in die Opposition gedrängt worden waren. Die ihr Talent bis zu einem gewissen Grade gelten ließen, die urteilten, wie sich's gebührt, lediglich nach dem, was sie auf der Bühne sahen, während jene, die für sie schwärmten und geradezu ihre Genialität priesen, offenbar durch ihre Persönlichkeit und den Verkehr mit ihr bestochen waren.

Sie hatte ein lebhaftes, oft übermütiges Temperament, sprühende Laune, kurz, unverkennbar das, was jeder sofort für echtes und rechtes Theaterblut erklären mußte, aber sie hatte all das – außerhalb des Theaters, im privaten, persönlichen Verkehr. Wenn sie nur die Hälfte dieses Temperamentes auf der Bühne zur Geltung gebracht hätte, so hätte sie eine der ersten Künstlerinnen ihrer Zeit werden müssen, aber das konnte sie nicht. Sie konnte sich gehen lassen in einem kleinen Kreise guter Bekannter, aber eine unerklärliche Scheu, es war etwas wie eine bei einer Schauspielerin unverständliche seelische Schamhaftigkeit, machte es ihr unmöglich, ihrem Naturell und ihrer Laune auch auf der Bühne die Zügel schießen zu lassen. So blieb bei all ihren künstlerischen Leistungen immer noch ein unaufgelöster Rest zurück, der dann natürlich von kritisch angelegten Zuschauern als Mangel empfunden wurde.

Fast ebensoviel wie von ihren theatralischen Leistungen und vielleicht noch mehr sprach man von den »Streichen«, die sie in ihrem Privatleben zu vollführen pflegte. Einmal wandte sich ein armes Weib in seiner bitteren Not mit flehentlichen Bitten um Hilfe an sie. Die Frau war früher Fritzis Köchin gewesen, hatte sich mit einem Menschen in eine Liebschaft eingelassen, der sie schließlich auch heiratete, um ihre Ersparnisse mit möglichster Geschwindigkeit durch die Gurgel zu jagen, und der sie, als sie ihm kein Geld mehr geben konnte, erbarmungslos prügelte und schließlich mit zwei kleinen Kindern einfach sitzen ließ. Krank, schwach, abgehärmt, ein Schatten ihrer früheren, blühenden und robusten Erscheinung, kam sie zu Fritzi, um sich bei ihr Rat und Hilfe zu holen. Sie hatte sich einen kleinen Viktualienladen eingerichtet, konnte aber nun weder den Mietzins bezahlen, noch Waren einkaufen und sollte nun aus ihrem Laden und dem daran stoßenden Kämmerchen, in dem sie mit ihren Kindern wohnte, auf die Straße gesetzt werden.

Fritzi überlegte eine Minute und versprach dann der Frau, daß sie ihr am nächsten Tage helfen werde. Dann ließ sie einen Fiaker holen und fuhr bei sämtlichen Redaktionen vor, um durch die ihr befreundeten Journalisten verkünden zu lassen, daß sie am nächsten Tage in dem kleinen Laden in der Laxenburgerstraße Nr. 74 Milch, Eier, Brot und Mehl verkaufen werde. Und am nächsten Tage stand sie vom frühen Morgen bis zur Theaterzeit in dem Laden und verkaufte Milch, Eier, Brot und Mehl, und während des ganzen Tages stauten sich vor dem unscheinbaren Laden die Equipagen und Fiaker. Tausende von wohlhabenden Menschen waren gekommen, um sich von der Wildauer bedienen zu lassen und dabei ein gutes Werk zu thun. Sie hatte viele Freunde, die mußten ihrerseits die Trommel rühren, kurz, die Wildauer als »Mehlmesserin« war das Ereignis des Tages. Die Aristokratinnen kamen, um die berühmte Schönheit einmal so recht aus der Nähe anzusehen, die Kavaliere kamen, um sich bei ihr schön zu machen und, weil sie sich sonst überhaupt vor ihr nicht mehr hätten sehen lassen dürfen. Die Börse fehlt bei solchen Anlässen nie, und für menschenfreundliche Unternehmungen hat sie überhaupt eine offenere Hand als der Hochadel. Also auch die Börse sandte ihre Vertreter, die teils aus Mildherzigkeit, teils von der Eitelkeit getrieben, da auch dabei zu sein, erschienen waren. Jene, die durchaus nicht abkommen konnten, veranstalteten unter sich Sammlungen und schickten sie durch einen Vertrauensmann hinaus. Die breiten Schichten des Bürgerstandes fanden sich scharenweise ein; den einen leitete der Theaterenthusiasmus hin, den andern die »Hetz«, den dritten die Freude an der feschen Idee, den zehnten und hundertsten der Wunsch, sich an einem so originellen Wohlthätigkeitsakte zu beteiligen. Die zahlreichen Wohlthätigkeitsvereine, zu deren Gunsten die Wildauer so oft schon deklamiert und gespielt hatte, ergriffen mit Vergnügen den Anlaß, ihre Dankbarkeit in passender Form zu bezeugen, und ordneten Sendlinge mit erheblichen Beträgen ab. Die Eier wurden da mit Dukaten bezahlt, und für ein Glas Milch legte man gerne eine Fünf- oder Zehnguldennote hin, ohne zu warten, daß darauf herausgegeben werde.

Die Wildauer fühlte auch, daß sie für das viele Geld auch ihrerseits etwas leisten müsse, und es ging keiner davon, dem sie nicht ein liebenswürdiges und lustiges Wort gesagt hätte. Ganz Wien war in den nächsten Tagen voll von den originellen Einfällen der Wildauer; jeder erzählte sein Gespräch mit der Wildauer, und man muß sagen, daß dabei auch ganz ausgezeichnete Erfindungen in Umlauf kamen. Und als dann abends zur Theaterzeit der große, »staunend billige« Ausverkauf abgeschlossen wurde, da war die arme Frau mit ihren Kindern versorgt für Zeit ihres Lebens.

Ein andermal erzählte man von ihr, daß sie dem jungen Grafen Othmar Buschendorf, dem Sohne eines der höchsten Hofwürdenträger, übel mitgespielt hatte. Es war im Atelier Rummels, wo der Graf auf sehr hoher Estrade im roten Fracke saß, um als hunting master gemalt zu werden. Fritzi hatte gerade einen Atelierbesuch bei Rummel gemacht und unterhielt sich in gewohnter Weise mit ihrem Freunde Rummel, während dieser wohlgemut an dem Bildnis arbeitete. Buschendorf, ebenfalls gut bekannt mit Fritzi, mischte sich ins Gespräch und erlaubte sich bei dieser Gelegenheit ein allzufreies Wort ihr gegenüber. Fritzi ging darauf zur Estrade, faßte den Sessel, auf dem der gräfliche Jüngling saß, und hob ihn hoch in die Luft, dabei drohend, daß sie nun die »ganze Pastete« hinunterwerfen werde, wenn der Herr Graf sich nicht menagiere. Dem Herrn Grafen wurde es da oben recht ungemütlich, und er versprach heilig, sich anständig zu benehmen, sie solle ihn nur wieder niedersetzen. Rummel erzählte dann die Sache in der Stadt herum und brachte dabei die Leistung mit einiger Übertreibung allerdings unter eine athletisch korrekte Formel. »In vorschriftsmäßiger Haltung den Grafen Othmar Buschendorf dreimal rein gestemmt,« sagte er, aber es war nicht wahr.

So gutmütig sich auch Rummel gab, so war seine Zunge doch gefürchtet. Er war damals gerade von Rußland zurückgekehrt, wohin er berufen worden war, um den Zaren und dessen Familie zu malen. Als kurz darauf in Wien die internationale Kunstausstellung durch den Kaiser persönlich eröffnet wurde, zog dieser auch Rummel ins Gespräch, um ihn in huldvoller Weise zu seinen Erfolgen in St. Petersburg zu beglückwünschen und einige freundliche Fragen an ihn zu richten, über die Eindrücke, die er am russischen Hofe empfangen. Als dann der Kaiser bei seinem Rundgange sich anderen Persönlichkeiten zuwandte, trat Graf Buschendorf sen., der als hoher kaiserlicher Würdenträger sich im Gefolge des Monarchen befunden hatte, auf Rummel zu und forderte ihn, ihm herablassend auf die Schulter klopfend, auf, ihn nach Tische zu besuchen, um ihm genaueren Bericht über den Zaren und den russischen Hof zu erstatten. »Es könnte doch sein,« schloß er, »daß Se. Majestät, unser gnädigster Herr, noch eine Frage darüber an mich richtet, und da möchte ich doch möglichst gut informiert sein.«

Rummel erschien noch an demselben Tage bei Sr. Exzellenz, die ihn sehr feierlich und – stehend empfing; es war die richtige Audienz.

»Nun?« fragte Buschendorf Vater, »wie haben Sie den Zaren gefunden? Ohne Umschweife und gerade heraus!«

»Oh,« erwiderte Rummel, sich mit Humor in die Situation findend, »der Kaiser von Rußland ist ein außerordentlich liebenswürdiger Mann! Als ich bei ihm eintrat, kam er mir entgegen, reichte mir die Hand, bot mir einen Stuhl und sagte: Setzen Sie sich, lieber Rummel!«

Graf Buschendorf Vater, der große Mann, kam bei diesem Berichte doch in Verlegenheit, er kürzte die feierliche Audienz nach Möglichkeit ab und brachte es beim Abschied über sich, seine Hand dem bürgerlichen Farbenkleckser entgegenzustrecken. Rummel verbeugte sich aber so ehrfurchtsvoll und tief vor Sr. Exzellenz, daß er die dargebotene Hand nicht bemerken konnte und, ohne den beglückenden Händedruck empfangen zu haben, scheiden mußte.

Noch an demselben Abende erfuhr das ganze Künstlerkasino – und auch das genügt – die Geschichte dieser Audienz. Im vertrauteren Kreise gestattete sich aber Rummel doch noch einige weitere Enthüllungen.

»Mit dem Kaiser von Rußland ist doch nicht alles in Ordnung!« sagte er sehr geheimnisvoll.

»Wie so denn?« fragte die Corona aufs äußerste gespannt.

»Er leidet an Größenwahn!«

»Ah!!!!«

»Ja wohl! Er bildet sich ein, – der alte Buschendorf zu sein!«

* * *

 


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