Balduin Groller
Töte sie!
Balduin Groller

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Sechstes Kapitel.

Die Tage in Nizza verflossen dem Paare in ungetrübter Heiterkeit.

»Wir sind praktische Leute,« sagte einmal Urbany; »aus den Flitterwochen machen wir uns Flittermonate.«

»Warum sollen es nicht Flitterjahre werden?« erwiderte Fritzi.

Immerhin waren sie aber doch schon so weit, daß sie gesellschaftlichen Begegnungen nicht mehr aus dem Wege gingen. Sie waren nicht mehr leutscheu, und sie empfanden es nicht mehr als unwillkommene Störung, wenn ein fremdes Element in ihre stillen Kreise drang. Sie hatten auf der Promenade in Nizza einige Bekanntschaften gemacht; es war zu Verabredungen und zu gemeinsamen Ausflügen gekommen, und man hatte sich dabei ganz gut unterhalten.

Am leichtesten erfolgt in der Fremde der Anschluß an Landsleute, und so hatte sich auch in Nizza eine kleine Wiener Kolonie zusammengefunden, und aus dem täglichen Verkehr entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis. Der Kreis war ein kleiner, aber innerhalb desselben verstand man sich gut, und in dem internationalen Getriebe, aus dem man alle erdenklichen Sprachen heraushören konnte, that es allen Mitgliedern der kleinen Kolonie wohl, wenn sie unter sich die heimatlichen wienerischen Laute erklingen hören konnten.

Das Präsidium in dieser kleinen Gemeinde war wie von selbst dem Grafen Urbany zugefallen, aber als Präsidentin ward nicht Fritzi angesehen, dazu war sie doch zu jung, sondern Frau Maria von Reineck, eine schlank gewachsene blonde Frau, die durch eine schon fast erwachsene Tochter, sie hieß Klärchen und war ein allerliebster Backfisch, mehr Anrecht auf diese Würde hatte. Die ständigen Begleiter Frau Marias und ihrer Tochter waren Reinhold Fricke, ein junger Mathematiker, und Heinrich Gebauer, ein reicher Privatmann ohne Beruf, den ein Lungenleiden nach dem Süden getrieben hatte, und der sein Leiden, das er entgegen der sonst üblichen sanguinischen Auffassung seiner Schicksalsgenossen, selbst als ein hoffnungsloses bezeichnete, und als solches mit wahrhaft philosophischer Heiterkeit trug. Das hatte ihm auch in der kleinen Gesellschaft den Beinamen des Philosophen eingetragen. Seine Philosophie war auch eine sehr einfache.

»Ich halte mich,« pflegte er zu sagen, »an Schopenhauer. Der Tod ist eigentlich etwas, was uns gar nichts angeht. So lange ich lebe, ist er für mich nicht da, und wenn er da ist, bin ich nicht mehr da. Wir kommen eigentlich gar nicht zusammen und gehen uns daher auch gar nichts an.«

Natürlich wollten sich die Damen mit einer solchen Philosophie nicht zufrieden geben. Da that ihnen denn der Philosoph den Gefallen und philosophierte weiter.

»Ich habe noch andere Beruhigungsmittel für mich,« pflegte er dann weiter auszuführen, augenscheinlich mehr, um die anderen, als sich selbst zu beruhigen; »wissen kann man nämlich gar nichts, und glauben – Sie wissen, daß das die schwächste Seite der Philosophen ist.«

»Und doch kann nichts so rechten Trost geben als ein treuer Glaube,« warf Frau Maria ein ohne Ziererei und sichtlich aus innerer Überzeugung heraus.

»Ich bin auch kein Heide, meine Gnädigste,« suchte sich Heinrich Gebauer zu verteidigen, »obschon ich in den Bann gethan und aus dem Schoße unserer christkatholischen Kirche ausgeschlossen bin, – exkommuniziert!«

Ah! Die Damen sahen ihn erschreckt an.

»Jawohl, mit dem großen Bann belegt!« fuhr er fort. »Lebten wir ein paar Jahrhunderte früher, ich müßte wie ein gehetztes Wild durch die Welt irren, um schließlich in einem versteckten Winkel zu verbluten.«

»Was haben Sie denn angestellt?« fragte gespannt Fritzi.

»Nichts Großes, vor allen Dingen nichts Romantisches und nichts Kriminalistisches. Ich bin Freimaurer, das ist alles.«

Freimaurer! Die Damen waren nun furchtbar neugierig, was es eigentlich mit der Freimaurerei auf sich habe. Ob er nichts von ihren Geheimnissen erzählen könne, ob es denn wirklich so arg sei mit ihr. Da könne ja kein Mensch aus ihr klug werden. Auf der einen Seite höre man, daß verschiedene Potentaten und Minister und Generäle dem Bunde angehörten, sogar der alte Kaiser Wilhelm und Kaiser Friedrich seien Freimaurer gewesen, – ob das auch wahr sei? –, und auf der anderen Seite fürchte man sich in Österreich so vor ihr, und der Papst belege sie als staatsgefährlich und kirchenfeindlich und alle Sitte untergrabend mit dem schweren Bann. Der greise Kaiser Wilhelm sei doch sicher kein Revolutionär gewesen, er habe etwas auf Gottesfurcht und gute Sitte gehalten, wie erkläre sich nun diese Verschiedenheit der Auffassungen.

»Vielleicht aus denselben Ursachen,« antwortete der so Bestürmte, »welche den Protestantismus in die Welt gebracht haben, und die sich zum erstenmal mit elementarer Kraft entluden in den Reformationskriegen. Die Freimaurerei wird von den Wissenden die ›königliche Kunst‹ genannt, ich möchte sie die protestantische Kunst nennen; sie blüht auf und erstarkt mit dem Protestantismus. Allerdings blüht sie auch in katholischen Ländern, in Frankreich und in Italien, das spricht aber nicht gegen meine Auffassung, das erklärt nur die entschiedene Verurteilung, die sie von Seite des päpstlichen Stuhles findet. Ich bin auch unbefangen genug zuzugestehen, daß das katholische Bewußtsein keine Förderung und Festigung von den freimaurerischen Gedanken zu erwarten hat.«

»Was sind das aber nun doch für Leute, die Freimaurer?« fragte Frau Maria.

»Leute, die's herzlich gut meinen, die aber auch – leider! – herzlich wenig leisten. Übrigens –« bog hier der Philosoph ab, »wollte ich ja von etwas ganz anderem reden, von meinem letzten und schönsten Trost. Sokrates bietet ihn durch den Mund Platos, oder Plato durch Sokrates – wer will das heute noch feststellen? Zweierlei ist möglich: entweder ist der Tod Vernichtung, ein ewiger traumloser Schlaf, oder er ist der Übergang zu einem andern, neuen Leben. Der traumlose Schlaf hat keine Schrecken. Und das neue Leben? Wenn es eine Allmacht giebt, die uns jenes neue Leben schenkt, dann ist diese Allmacht auch gerecht, die Lohn und Strafe nicht unverdient verteilt. Die Moral dieser Philosophie liegt auf der Hand: Sei ein redlicher, ein gerechter Mensch, und es kann dir nichts geschehen!«

Urbany und Fritzi unterhielten sich nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch über dieselbe, wenn sie wieder allein waren. Der Philosoph regte ihr tiefes Mitgefühl an. »Besser nicht leben, als so, ein Verurteilter durch das Leben zu gehen!« meinte Fritzi.

»Aber wir sind doch alle zum Tode verurteilt, und der Vollstreckung des Urteils entgeht keiner,« wandte Urbany ein, aber Fritzi wollte sich dabei nicht beruhigen. Das Bewußtsein, sterben zu müssen, habe noch keinem die Freude am Leben genommen; die furchtbare Todesangst gewinne erst Macht, wenn dem Leben ein bestimmtes, dem Verurteilten bekanntes Ziel gesetzt sei. Die Hoffnungslosigkeit sei das Entsetzliche. Der Soldat, der in die Schlacht zieht, und der Verbrecher, dem sein Todesurteil verkündet wird, sie haben beide den Tod greifbar nahe vor sich, und doch um wie vieles qualvoller ist der Zustand des Verurteilten als der des Soldaten, der sich doch noch an die Hoffnung klammern kann.

»Ich würde tausendmal lieber sterben,« sagte Fritzi, »als ein solches Leben tragen!«

»Dann mußt du auch dem feigen Soldaten Recht geben, der sich – widersinnig genug – aus Furcht vor dem Tode selbst den Tod giebt.«

»Oh, tausendmal gebe ich ihm Recht!«

»Es ist ein Glück, Fritzi, daß man dich nicht zu den Soldaten nehmen kann!«

Fast noch mehr als der »Philosoph« beschäftigte sie Frau Maria. Nichts schien ihr ferner zu liegen, als auf Eroberungen auszugehen, und doch – es war kein Zweifel, der junge Mathematiker sowohl, wie der Philosoph hatten sich ihr vor den Wagen gespannt. Beide schwärmten im geheimen für sie, und sie schien es nicht zu bemerken oder wollte es nicht bemerken. Man hätte meinen können, daß die magnetische Anziehungskraft von ihrem hübschen Töchterlein ausging, aber Klärchen war noch so jung. Die Tochter zu jung, – die Frage lag nahe, ob die Mutter nicht zu alt sei? Auch darüber unterhielt sich Fritzi mit ihrem Manne.

Frau Maria war nicht mehr jung, und sie zeigte auch niemals das Bestreben, jünger zu scheinen, als sie war. Vielleicht war es gerade diese kluge Zurückhaltung, die mit zu ihren Erfolgen half. Wenn ihre beiden Anbeter ihr allzu hitzig mit ihrer Bewunderung zusetzten, da pflegte sie wohl lächelnd und dabei doch mit wehmütigem Ausdruck im seelenvollen Gesichte mit dem Worte abzuwehren: »Es ist der Abendsonnenschein!«

Es hatte nichts Frivoles, eher etwas Rührendes an sich, wenn sie den kranken Philosophen oft sichtlich begünstigte, gelegentlich wohl auch um eine leichte Nuance mehr, als eine strenge gesellschaftliche Auffassung es gestattet haben würde. Da traf das Wort vom Abendsonnenschein erst recht zu, nur daß er da seinen verklärenden und beglückenden Schimmer um ein armes, dem frühen Tode geweihtes Menschenherz breitete.

Der junge Mathematiker wurde schon etwas strenger im Zaume gehalten. Der war aber auch frisch und gesund, und der brauchte keinen wärmenden Strahl. Mit der Zuversicht der Jugend setzte er seine Bewerbungen fort. Der kranke Nebenbuhler störte ihm die Ruhe seiner Nächte nicht, und auch die Sorge störte seinen gesunden Schlaf nicht, daß die seit zehn Jahren verwitwete Frau, bei all ihrer bezwingenden Liebenswürdigkeit doch keine räsonnable Partie für ihn sei. Er war in dem Alter, in dem man es für eine große Sünde halten würde, über das Alter einer schönen Frau, die man liebt, langwierige Untersuchungen anzustellen. – –

Frau Schönchen hatte geschrieben, daß es nun auch schon in Wien ernsthaft Frühling geworden sei, aber auch wenn sie es nicht geschrieben hätte, so gab es schon der Zeichen dafür genug. Urbany erhielt nun täglich Briefe und Telegramme von seinem Training-Ground. Die Frühjahrsrennen waren in Sicht, und die Berichte über die Präparation seiner Pferde wurden immer häufiger und immer ausführlicher. Einmal war sogar sein erster Futtermeister nach Nizza gekommen – der Trainer hatte von seinen edlen vierbeinigen Schutzbefohlenen nicht abkommen können –, um persönlich und mündlich über die bereits erfolgten Ausschreibungen zu verhandeln und die Befehle in betreff der erforderlichen Nennungen entgegenzunehmen. Er berichtete Wunderdinge von einer noch namenlosen Zweijährigen, die bei einem Trial über die dreijährigen Derby-Cracks des gräflichen Stalles in großem Stile hinweggaloppiert sei. Es galt nun, für sie einen Namen zu bestimmen, und Urbany überließ es Fritzi, den Namen vorzuschlagen.

»Wenn sie so gut ist, so nenne sie Fritzi!« erwiderte diese. »Vielleicht wird der Name so noch berühmt werden.«

»Das geht nicht, Fritzi; nennen wir sie ›Gräfin‹. Damit ist dein Wunsch auch erfüllt, und wir sind wenigstens nicht gar so deutlich geworden.«

Sie fuhren nun nach Wien, um bei den Frühjahrsrennen zugegen zu sein. Frau Schönchen hatte ihnen das prunkvolle Heim im gräflichen Palais auch heimlich und wohnlich zu machen sich bestrebt. Sie hatte gethan, was sie thun konnte, aber allzu freundlich waren die pompösen Räume in dem düsteren Palaste auch jetzt noch nicht.

»Aus dem sonnigen Nizza hierher,« seufzte Fritzi, – »der Unterschied ist ein großer!«

Frau Schönchen entwickelte aber soviel mütterliche Sorgfalt und zeigte immer ein so freundliches, stillvergnügtes Gesicht, daß der erste unfreundliche Eindruck bald verwischt wurde. Bald kamen weitere freundliche Eindrücke. Die ersten Rennen waren gelaufen, und »Gräfin« hatte sich in großer Form gezeigt. Sie war im Rennen der Zweijährigen zum erstenmal auf der Bahn erschienen und hatte von Anfang bis zu Ende allen ihren Mitbewerbern die Eisen gezeigt. Ihre Überlegenheit war eine so hervorstechende, daß sie sogar schon für das erst im nächsten Jahre zu laufende Derby gewettet wurde.

»Die ›Gräfin‹ ist unser bestes Pferd im Stalle,« sagte am Abende nach dem Rennen Urbany zu Fritzi. »Das Pferd gehört dir, Fritzi; immer soll das Beste, was ich habe, dir gehören. Der Gräfin die ›Gräfin‹. Hier hast du schon ein Nadelgeld, der heutige Preis, den sie verdient hat, ich hoffe, sie wird dir auch weiterhin soviel einbringen, daß das Geld für die Nadeln langen wird.«

»Du verwöhnst mich, Rudolf! Das ist keine Erziehung. Wenn du deine Kinder auch so schlecht erziehen wirst –«

»Meine Kinder?!« Urbany blickte gespannt auf seine junge Frau, und diese hielt den Blick aus und erwiderte ihn, und es lag etwas wie ein stilles, glückseliges Kichern in dem Blick. Rudolf sprang auf und umarmte Fritzi stürmisch.

»Du bist mein süßes Weib!«

Seit diesem stillen Eingeständnis Fritzis war sie ihm noch teurer geworden, als sie es bisher schon war; zu der Liebe kam noch die Verehrung und die Ehrfurcht vor der Heiligkeit des in ihr keimenden Muttergefühles.

Nicht in demselben Maße wuchs aber das Glück Fritzis. Sie begann leidend zu werden, und sie ertrug das um so schwerer, als sie sich einer bis dahin noch niemals getrübten Gesundheit zu erfreuen gehabt hatte und nicht gewöhnt war, körperliche Leiden zu ertragen. So blieb das fortgesetzte körperliche Unbehagen nicht ohne starken, verstimmenden Rückschlag auf ihre seelische Verfassung. Sie wurde reizbar und ärgerte oder grämte sich über allerlei Nichtigkeiten, die sie früher kaum beachtet hätte. Wenn sie sich in dem Spiegel sah, war ihre Laune gleich für Stunden verdorben; sie gefiel sich gar nicht mehr und war unglücklich bei dem Gedanken, daß ihre frühere Schönheit nun für alle Zeit verloren sei. Da erinnerte sie sich auch, und jetzt unter Mißmut und Kränkung, Maria von Reinecks. Jene Frau war erheblich älter als sie, aber jetzt ganz gewiß schöner. Rudolf hatte ihr früher unverhohlen seine Sympathien gezeigt, – auch Frau v. Reineck war jetzt in Wien, – wie kam es denn, daß sich Rudolf scheinbar gar nicht mehr um sie kümmerte? Fritzi, die in ihrer Denk- und Gefühlsart plötzlich wie umgewandelt war, zweifelte nicht, daß da ein geheimes Einverständnis bestehe.

Wenn sie Urbany nur sah, überkam sie ein Gefühl des Zornes. Er bildete sich wohl ein, sagte sie sich dann, daß er sie Gott weiß wie glücklich gemacht habe durch seine gnädige Huld, und doch war ja er der Räuber ihrer Schönheit und ihrer Gesundheit. Wie glücklich, wie gesund und froh wäre sie jetzt noch, hätte er sich nicht eingedrängt in den Frieden ihres Daseins, – durch Gold war das nicht aufzuwiegen, was er ihr genommen. – Sie war nun zänkisch mit ihm und launisch, und was er auch thun mochte, es war ihr nicht recht. Wollte er sie liebkosen, so wies sie ihn schroff zurück; bezeigte er ihr keine Zärtlichkeit, so grübelte sie selbstquälerisch darüber und warf ihm Wankelmut und Lieblosigkeit vor. Blieb er bei ihr, so empfand sie das wie eine drückende Last, und brachte er einige Stunden des Tages oder den Abend außer Hause zu, so überhäufte sie ihn mit Vorwürfen und Bitterkeiten.

Die Flitterwochen und die Flittermonate waren zu Ende, die Szenen, die sich da im gräflichen Palais abspielten, boten alles andere eher als das Bild einer glücklichen Ehe. Frau Schönchen waltete stumm in dem großen, düsteren Hause, und wenn sie abends sich in ihr Zimmer zurückzog, da weinte sie still vor sich hin.

Urbany hatte ohne Arg und, ohne vorbereitet zu sein, die Veränderung in dem Wesen Fritzis auf sich wirken lassen. Erst war es nur Staunen, womit er den unberechenbaren Äußerungen ihrer Laune begegnete, und dann schäumte der Zorn in ihm auf. Er wurde schroff und rauh, er wollte sich der häßlichen Tyrannei, die sich da einzusetzen im Begriffe war, nicht unterwerfen, er wollte sein Recht wahren, und mehr als einmal brauste er in mächtigem Groll auf. Darauf ward dann Fritzi nur noch unglücklicher, noch trotziger und verbitterter.

In einer Stunde der Einkehr kam dann Urbany freilich zur Erkenntnis, daß er auf der ganzen Linie im Unrecht sei, und er nahm sich vor und führte seinen Vorsatz mit eiserner Beständigkeit durch, sich nicht mehr reizen – nein, das ging über seine Macht, – sich nicht mehr hinreißen zu lassen durch die in seltsamen Sprüngen wechselnden Stimmungen seiner Frau. Es war ja klar, Fritzi war krank. Er lud einen der berühmtesten Professoren der Gynäkologie, eine Zierde der Wiener Universität, ins Haus. Dieser widmete sich eine Viertelstunde der Gräfin und beruhigte sodann den Grafen, als sie darauf im Arbeitszimmer des letzteren den Fall besprachen.

»Es liegt durchaus kein Grund zur Besorgnis vor,« versicherte der gelehrte Praktiker, »der Verlauf ist ein ganz normaler; die Konstitution der Gräfin ist eine gute, – ich bin da wirklich überflüssig.«

»Sie ist so reizbar, Herr Professor!« sagte Urbany, einen Fühler ausstreckend.

»Ja!« lachte der Professor, »das ist nun einmal nicht anders! Das dürfen Sie einer Frau nicht zu hoch anrechnen. Lassen Sie einmal solche Revolutionen in Ihrem Organismus sich vollziehen und dann sehen Sie zu, ob Sie nicht auch reizbar werden. Nicht wahr, das ginge uns Männern noch gerade ab, daß wir auch kleine Kinder bekämen! Ach, du lieber Gott, wäre das ein Jammer auf Erden! Wir müssen uns d'reinschicken und froh sein, daß es nicht anders ist, – ich sage Ihnen, froh sein, Herr Graf!«

»Aber ein vollständiger Umschwung in der Gemütsverfassung ist doch in solchen Fällen nicht die Regel, er ist doch nicht eine notwendige Folge solcher Entwickelungszustände?«

»Gewiß nicht; aber man darf sich nicht wundern, wenn er eintritt. Man darf sich da überhaupt über nichts wundern; denn da tritt das Unberechenbare in sein Recht. Da hat der Gaumen seinen kapriziösen, oft unbegreiflichen Appetit, und so auch die Psyche, – und für all diese kapriziösen Launen giebt es eine tiefe physische und metaphysische Begründung, die da ist, auch wenn wir sie nicht immer erkennen. Da heißt es eben Geduld haben!«

Einen rechten Trost fand Urbany in dieser Belehrung nicht, aber sie bestärkte ihn doch in seinem Vorsatze, Fritzi als Kranke zu betrachten, und seine Selbstbeherrschung nicht wieder zu verlieren, möge kommen, was da wolle.

* * *

 


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