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Gefäßsystem

Ich habe einen langen Umweg gemacht, um endlich zu der Beschreibung des Blutkreislaufs zu kommen; es lag mir aber daran, ehe ich dieses allbekannte Thema behandelte, den beschränkten Wirkungskreis der Blutbahn recht deutlich zu machen, und dazu dient nicht zum wenigsten die Erwähnung des Krebses. Wer je damit zu tun gehabt hat, weiß, daß diese für das Leben des Menschen ausschlaggebende Geschwulst kaum Blutgefäße enthält; man kann den Beweis der Überschätzung des Bluts nicht leichter führen als durch die Besprechung der Geschwülste.

Das Herz ist in zwei Hälften geteilt, eine linke und eine rechte, die voneinander durch eine Scheidewand getrennt sind. Beide Kammern ziehn sich gleichzeitig zusammen. Für das Verständnis ist es notwendig, zunächst nur die Arbeit der linken Herzhälfte zu betrachten. An diese linke Herzkammer setzt sich ein Rohr an, die Hauptkörperschlagader. Von der Hauptkörperschlagader zweigen sich wiederum Rohre ab, Schlagadern, die nach dem Kopf, den Armen, dem Rumpf mit seinen Organen und den Beinen gehn. Jede einzelne dieser Schlagadern, in denen bei jeder Herzzusammenziehung der Puls schlägt und die davon ihren Namen tragen, teilt sich wieder in kleinere Äste für die einzelnen Teile des Kopfs, Rumpfs und der Gliedmaßen. Die kleinen Röhren teilen sich weiter und weiter, bis sie ganz dünn werden, so daß diese Schlagadern oder Arterien etwa die Dicke einer Stricknadel haben, während die Hauptkörperschlagader über daumendick ist.

Mit jeder Zusammenziehung, also sechzig- bis achtzigmal in der Minute, wirft das linke Herz mit großer Kraft seinen Inhalt, hellrotes, sauerstoffhaltiges Blut, bis in die entferntesten Ästchen dieser Schlagadern. An der Handwurzel, an der wir den Puls zu zählen pflegen, erscheint die Blutwelle, die durch den Schlag des Herzens entsteht, fast unmittelbar nach der Zusammenziehung der linken Kammer. So wird also in jeder Sekunde in sämtliche Teile des Körpers frisches Blut und mit ihm Sauerstoff gebracht. In den Gefäßen ist der Sauerstoff jedoch nutzlos. Er muß, um seine Arbeit zu verrichten, in die Gewebe des Körpers, der Muskeln, Knochen, Haut, des Gehirns, Magens, Darms und so weiter eintreten. Die Wände der Schlagadern, selbst der kleinsten, sind nun zu dick, außerdem strömt das Blut allzu schnell hindurch, als daß hier schon das Lebensgas aus dem Gefäßsystem austreten könnte. Der Körper hat dazu eine besondre Einrichtung getroffen. Jede kleinste Schlagader spaltet sich nämlich wiederum in eine ganze Menge mikroskopisch kleiner Röhrchen, Haargefäße genannt. Sie sind sehr dünnwandig, und das Blut fließt in ihnen langsam genug, um den Sauerstoff an die Umgebung abzugeben. Zur selben Zeit aber und am selben Ort, eben in den Haargefäßen, saugt das Blut die Kohlensäure auf, die aus den eben abgelaufnen Verbrennungsprozessen des Körpers entstanden ist; dabei verändert es seine Farbe, wird aus hellrot blaurot.

Hier in diesen dünnwandigen Gefäßen findet also der Frachtwechsel statt, von dem ich früher bei Gelegenheit des Vergleichs mit der Eisenbahn sprach. Dieses mit Kohlensäure beladne, in diesem Zustand unbrauchbare Blut wird nun wieder zum Herzen, und zwar zur rechten Herzhälfte zurückgebracht, um von dort aus den Lungen zugeführt zu werden, die Kohlensäure abzugeben und neuen Sauerstoff aufzunehmen. Zu diesem Zweck sammeln sich die Haargefäße eines kleinen Körperabschnitts in einem etwas dickern Rohr, einer sogenannten Blutader oder Vene, diese vereinigt sich mit einer zweiten, in der das Blut aus den Haargefäßen einer benachbarten Körpergegend zusammengeflossen ist; das Rohr, das daraus entstanden ist, mündet wiederum in ein noch dickeres, und so geht es fort, bis schließlich sämtliche Blutadern zu zwei weiten Röhren vereinigt in das rechte Herz münden. So fließt in den Blutadern sämtliches blaurote, kohlensäurehaltige, unbrauchbare Blut zum rechten Herzen zurück, das sich weit geöffnet hat.

Hier ist jedoch nicht das Endziel des Bluts, vielmehr muß es weiter nach den Lungen geschafft werden. Sobald daher die rechte Herzkammer mit blaurotem Blut gefüllt ist, zieht sie sich zusammen und wirft ihren Inhalt, das kohlensäurehaltige Venenblut, in eine Schlagader, die vom rechten Herzen zu den beiden Lungen führt. Hier in dem Lungenkreislauf wiederholt sich nun, was ich eben vom Körperkreislauf dargelegt habe: die Lungenschlagader teilt sich in kleine Äste, diese wiederum in Haargefäße, die Haargefäße sammeln sich in kleine Lungenblutadern, die sich zur Hauptlungenvene vereinigen, letztere mündet in die linke Herzkammer.

Nur mit dem Inhalt der Gefäße verhält es sich gerade umgekehrt, im Lungenkreislauf führen die Schlagadern dunkelrotes Blut, in den Haargefäßen wird Kohlensäure abgegeben und Sauerstoff aufgenommen, und die Lungenvenen führen das wieder brauchbar gemachte sauerstoffhaltige Blut zum linken Herzen. Damit ist der Kreislauf vollendet und beginnt sofort von neuem, so daß das Blut während der ganzen Lebensdauer ununterbrochen vom linken Herzen durch den Körper zu den Geweben gejagt wird, dort seine Fracht abgibt und neue aufnimmt, zum rechten Herzen zurückkehrt, von dort in die Lungen fließt, im Lungengewebe wieder die Fracht wechselt und schließlich zu neuem Kreislauf in das linke Herz mündet.

Beide Herzhälften arbeiten gleichzeitig, sie dehnen sich gleichzeitig aus und ziehen sich gleichzeitig zusammen, im gleichen Moment füllt sich die rechte Herzhälfte mit dunkelrotem, die linke mit hellrotem Blut, im gleichen Moment treibt das rechte Herz dunkelrotes Blut zu den Lungen, das linke hellrotes zu den Körperteilen.

Das ist in großen Zügen der Kreislauf des Bluts, den man mit Recht ein geniales Werk der Natur nennen kann, einen Wunderbau der Technik, den annähernd zu erreichen menschliche Geschicklichkeit nicht vermag. Der Vergleich mit einer Wasserleitung und Kanalisation einer Stadt liegt nahe; aber was ist solch eine Einrichtung doch für ein plumpes Ding verglichen mit den Verhältnissen des menschlichen Körpers. Es besteht lediglich eine äußerliche Ähnlichkeit. Man kann sagen, das Herz sei die Pumpstation, die Schlagadern die Zuleitungsröhren in den Straßen und Häusern, die Haargefäße würden dann mit den Ausflußöffnungen in den Wohnungen zu vergleichen sein, die Zellen und Gewebe mit den Einwohnern, die Venen mit den Abflußkanälen, die Lungen mit der Kläranstalt und den Filtern.

Das hört sich ganz nett an. Aber von vornherein besteht schon ein grundlegender Unterschied. Die Gemeinde regelt auf diese Weise nur die Wasserversorgung, in dem Gefäßsystem aber fließt gleichzeitig alles Nahrungs- und Heizmaterial den Zellen zu, ihr Salz und Brot, ihr Fleisch, ihre Kohlen, ihre Steine und ihr Holz zum Hausbau. Und während bei der Wasserleitung das ausfließende Wasser den Bewohnern in demselben Zeitraum nur zu einem Zweck dient, entweder zum Trinken oder zum Reinigen oder zum Treiben irgendeines Motors, verrichtet der Kreislauf, das Haargefäß alle diese Dinge gleichzeitig, die Gewebe entnehmen ihm auf einmal und in dem Quantum, das sie brauchen, gleichsam automatisch, Nahrung, Getränk, Wein, Wärme und Arbeitskraft. Auf den Kunstgriff, daß die Ausflußöffnungen der Leitung in die Haargefäße auch als Ausgüsse für das Schmutzwasser dienen, ohne daß dadurch die geringste Gefahr entsteht, brauche ich gar nicht erst hinzuweisen; eine Wasserleitung würde dabei sofort unbrauchbar werden. Vergrößert sich die Gemeinde, so muß mühsam das Röhren- und Kanalsystem erweitert, vielleicht auch die Pumpstation und die Kläranstalt vergrößert werden; das dauert Jahre. Das Röhrensystem des Körpers bildet sich beim Neubau weitrer Zellhäuser von selbst, es bessert auch ganz allein, ohne alle Kosten und ohne obrigkeitliche Widerstände oder Förderungen, alles wieder aus, was schadhaft wird. Ja, und dabei bedenke man, was diesem System alles an Mißhandlung und Anstrengung geboten wird, schon allein dadurch, daß es fortwährend hin- und herbewegt und von einem Ort zum andern getragen wird, daß seine Röhren gezerrt, verdreht, gestoßen, zerrissen werden. Ihre Leistungsfähigkeit leidet darunter nicht im mindesten, ja selbst während der Ausbesserungsarbeiten steht der Betrieb nicht einen Augenblick still.

Und nicht genug mit alledem: in dieser merkwürdigen Leitung schwimmen auch noch eine Menge tüchtiger Arbeiter umher, mikroskopisch kleine, vielseitig begabte Kügelchen, die weißen Blutkörperchen, die fortwährend umherspähen, wo es etwas zu tun gibt, die die mannigfaltigste Arbeit sofort übernehmen und mit großer Geschicklichkeit ausführen. Ich sprach von diesen seltsamen Wesen schon früher. Soweit unsre Kenntnisse reichen, müssen wir gestehn, daß sie ein ziemlich selbständiges Leben führen. Nicht nur, daß sie vom Körper getrennt weiterleben können und, wenn man sie unter geeigneten Bedingungen durch das Mikroskop beobachtet, gemächlich hin- und herkriechen und allerlei Dinge, die ihnen begegnen, in sich aufnehmen, nein, sie scheinen auch im Körper selbst ihr eignes Wesen zu treiben und darin herumzuwandern, wie es ihnen beliebt, wenn auch ihr eigentlicher Wohnort das Blut- und Lymphgefäßsystem ist. Allerdings verfolgen sie damit, soweit wir es beurteilen können, Zwecke, die dem Leben und der Tätigkeit des Organismus nützlich sind.

Sie sind, wie ich schon andeutete, beweglich und haben sogar den großen Vorzug, daß sie nicht wie wir Menschenkinder auf Beine zur Fortbewegung angewiesen sind, sondern daß sie sich, je nachdem es ihnen gutdünkt, bald oben, bald unten, bald links, bald rechts, bald vorn, bald hinten selber ein Bein schaffen können. Nehmen wir an, solch ein weißes Blutkörperchen hat Lust, aus dem Gefäß, in dem es sich befindet, auszuwandern. Die Gefäßwand wird wie bekannt durch aneinander gereihte Zellen gebildet. Irgendwo sind nun zwei Zellen nicht vollkommen aneinandergefügt. Auf diese Stelle steuert die weiße Kugel hin, streckt einen Fortsatz aus ihrem runden Körper heraus und bohrt den in den Zwischenraum ein. Sie zieht diesen Fortsatz immer mehr in die Länge und schiebt ihn in dem Zwischenraum vorwärts, bis er an der andern Seite der Gefäßwand hervorkommt. Sofort wird dann das durchgetrennte Stückchen breit, so daß es nicht wieder zurückschlüpfen kann, und an diesem knopfähnlichen Gebilde zieht sie dann ihren ganzen Körper durch die enge Spalte hindurch, etwa wie wir einen Klimmzug machen. In gleicher Weise geht dann die Wanderung zwischen andern Zellen weiter, immer so, daß ein Fortsatz gebildet wird, der sich festklammert und den Kugelkörper nachzieht.

Alle diese Wanderungen scheinen aber Geschäftsgänge zu sein, zum Suchen oder zum Verrichten von Arbeit. So findet sich zum Beispiel bei der Verdauung, wenn die verschiednen Fermente des Magens und Darms ihr Werk mit Flüssigmachen und Umwandeln von Eiweiß und so weiter getan haben, ein ganzes Heer solcher weißer Arbeiterkugeln in der Darmwand ein, ein Teil zwängt sich sogar in den Darmraum selbst ein, da stopfen sie sich voll mit allerlei Dingen, die ihnen gefallen, vor allem mit Eiweißstoffen, dann kehren sie mit Beute für den Aufbau des Körpers wieder zurück, meist auf der bequemen Bahn der Lymphgefäße, die direkt vom Darm nach dem Herzen führen. Unterwegs scheinen sie noch die letzte Hand an die Zubereitung der Speise zu legen, dadurch, daß sie das Hühnereiweiß oder das Schweinefett in Menscheneiweiß und Menschenfett umwandeln. Schließlich sterben sie, wenn sie irgendeine Stelle des Körpers gefunden haben, wo Nahrung gebraucht wird, den Opfertod, indem sie zugunsten des Zellenlebens zerfallen. Sie sind recht eigentlich die Sinnbilder der Treue, die wir Menschen uns sonst wohl durch ein Märchen veranschaulichen, wie der Pelikan die Brust sich aufreißt, um seine Jungen mit dem eignen Blut zu füttern.

Wir wissen bisher noch nicht allzuviel von diesen wandernden Zellen, aber ein Vorgang, bei dem ihre Art zu arbeiten deutlich hervortritt und den wohl jeder aus eigner Erfahrung kennt, verdient hervorgehoben zu werden, das ist die Entzündung und Eiterung.

Die Entzündung ist, wie ich schon früher erwähnte, neben dem Fieber recht eigentlich das Musterbeispiel für die Art, wie der lebendige Organismus sich bei irgendeiner Gefahr zu helfen sucht. Die Naturbehandlung liegt hier offen zu Tage; man sieht dabei, daß die Natur genauso verfährt wie der Mensch, oder vielmehr der Mensch genauso wie die Natur; er ist eben ein Stück Natur. Zunächst muß die Gefahr bemerkt werden; diesen Dienst erweisen dem Menschen seine Sinneswerkzeuge, die Augen, Ohren und so weiter; im Organismus dient dazu der Schmerz. Er benachrichtigt den Körper davon, daß etwas nicht in Ordnung ist. Sofort macht sich das Bestreben geltend, Ordnung zu schaffen; das einfachste Mittel dazu ist Reinlichkeit, Wasser. Die Säfte der umliegenden Gewebe strömen an der gefährdeten Stelle zusammen, es entsteht eine teigige Anschwellung. Gleichzeitig aber wird der Versuch gemacht, die Störung durch Feuer zu vernichten. Die Schlagadern und Haargefäße der Umgebung dehnen sich aus, um mehr Sauerstoff auf den Kampfplatz zu bringen und ihn dort länger einwirken zu lassen; die Stelle rötet sich. Und kurze Zeit darauf macht sich auch schon die raschre Verbrennung bemerkbar: die erkrankte Körperpartie fühlt sich heiß an. Damit sind die sogenannten Kardinalsymptome der Entzündung gegeben, die vier Anzeichen, die von Alters her als Bedingungen der Entzündung gelten: Schmerz, Schwellung, Röte und Hitze. Wo aber der Organismus mit all diesen physikalischen und chemischen Mitteln nicht aufzukommen glaubt, da läßt er seine lebendigen Kämpfer eingreifen, eben die weißen Blutkörperchen.

Scharenweise, in Massen brechen sie aus den Blutgefäßen hervor, sammeln sich an dem bedrohten Punkt und vertilgen, was sie vertilgen können; in gewissem Sinne handelt es sich dabei um eine wirkliche Schlacht. Irgendwo haben sich in einer Wunde Mikroben angesiedelt, die nun in unheimlicher Fruchtbarkeit sich vermehren und ihre Gifte absondern. Wir wissen alle aus eigner Erfahrung, von dem Fingergeschwür her, daß sich an solcher vergifteten Wunde Eiter bildet, anscheinend ein gelbweißer dicker Saft, in Wahrheit, wie sich unter dem Mikroskop zeigt, eine dicht aneinandergedrängte Masse weißer Blutkörperchen, die mit ihren Leibern die Bresche im Körper ausfüllen und verteidigen. Sie gehn dabei barbarisch genug vor: sie fressen die Gegner; in ihrem Innern kann man mit Leichtigkeit die verschlungnen Bakterien nachweisen. Währenddessen ist der Körper geschäftig, hinter der Linie der weißen Kugeln Dämme, lebendige Zellen, aufzuwerfen und Gräben zu graben, um an Stelle der verletzten Haut einen neuen Wall für das Körperinnre zu schaffen. Ob das gelingt, ist freilich eine andre Frage. Kommt der innre Abschluß zustande, so wühlen sich die weißen Soldaten immer näher zur Oberfläche der Haut empor, die sie schließlich durchbrechen; dann strömt der Eiter hervor und schwemmt mit sich, was störend war. Wird der Organismus mit seinen Bauwerken nicht rechtzeitig fertig, so dringen die Feinde weiter vor, beständig von neuen Eitermassen umschwärmt; dann kommt es allmählich bei dem vergeblichen Kampf zu dem, was man Blutvergiftung nennt.

Man sieht, das Leben dieser Blutbewohner ist interessant genug, und nützliche Arbeit gibt es für sie vollauf zu tun. Aber auch abgesehn von der Eiterschlacht sind die Entzündungsvorgänge lehrreich. Sie zeigen uns, wie wir das Heilverfahren der Natur nachahmen sollen, damit wir in Wahrheit Ärzte, Diener der Natur sind. Treten wir an die Aufgabe der Behandlung heran, so ersetzt unsre Untersuchung den Nachrichtendienst des Wehs, und unsre Kunst versucht zu leisten, was der Körper tut, den Kreislauf zu ändern, Wasser und Sauerstoff dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden. Das kann dann wohl, ähnlich der Entzündung, in örtlich begrenzter Weise geschehn, dadurch, daß durch physikalische, chemische oder elektrische Maßnahmen wasser- und sauerstoffreiches Blut mit all den tausend andern lebendigen Kräften, die in den Säften enthalten sind, zu der erkrankten Stelle hingezogen werden. Kälte und Hitze, Sonnenlicht und unsichtbare Strahlen, faradische und galvanische Ströme, feuchte Wärme, äußerliche und innerliche Medikamente, soweit sie örtlich wirken, ein Pflaster, Pinselungen, Einreibungen, aber auch Darreichen von Atropin oder Abführmitteln, Einspritzungen von Fibrolysin und dergleichen mehr kommen in Frage. An Stelle der Arbeit des Eiters tritt die Hand des Arztes oder das Messer.

Es ist kein Zweifel: alle ärztlichen Maßnahmen werden erst wirksam durch eine Veränderung des Kreislaufs, oder zum mindesten jeder ärztliche Eingriff ist irgendwie bedingt durch die Zirkulationsverhältnisse, entweder so, daß er ohne weitres diese Verhältnisse als Heilmittel benutzt, oder daß er sie als fördernde oder hemmende Einflüsse in Rechnung zieht. Ja man kann darin noch viel weiter gehn und sagen, daß überhaupt kein Ereignis im Leben ohne Wirkung auf den Kreislauf bleibt, daß jede Bewegung, jede Tätigkeit, das geringste Zucken des Augenlides so gut wie die Arbeit der Lungen oder das Erblicken einer Fliege, das Lauschen auf einen fernen Klang oder der flüchtig durch das Gehirn huschende Gedanke eine Schwankung im Kreislauf herbeiführt. Und an diesem Punkte offenbart sich erst die erstaunliche Größe der Menschennatur.


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