Franz Grillparzer
Studien zur Litteratur
Franz Grillparzer

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6. Studien zur englischen Litteratur.

Shakespeare.

(1823.)

Ewiger Kreislauf der Welt, auch der dramatischen. Mit Shakespeare fing die unsere an; im Shakespeare scheint sie auch untergehen zu wollen.


(1849.)

Was das Eigentlichste von Shakespeares Geist ausmacht und ihn von allen andern Dichtern unterscheidet, ist: daß die empfangende oder reproduktive Seite seiner Natur die produktive weit überwiegt, oder, um es handwerksmäßig auszudrücken, daß der Schauspieler in ihm so thätig ist, als der Dichter. Die produktive Phantasie gestaltet und ist daher leicht mit einer Oberfläche befriedigt; die empfangende Natur aber geht als Empfindung in die Tiefe, und als Phantasie bildet sie zu dem gegebenen Ganzen das Einzelne und Stetige aus. Beide Seiten müssen wohl in jedem Dichter vereinigt sein, aber ihn nötigte der Schauspieler, sich mit den Personen und Situationen zu identifizieren und aus ihnen heraus zu dichten, statt in sie hinein. Er hat seine Personen gelebt, als er sie schrieb, und er war ebensosehr der Gesamtschauspieler seiner Stücke, als ihr Dichter, welches letztere Amt er der Geschichte oder der Novelle, meistens sogar einem früheren Schauspiele überließ, von denen er kaum abwich und sie nur im Innern bereicherte und erfüllte. Wie wenig er ein Dichter im gewöhnlichen Sinne des Wortes war, zeigen seine ersten lyrisch-epischen Versuche, die durchaus verfehlt sind. Venus und Adonis, bei einzelnen Schönheiten, plump bis zum Widerlichen, die Lucretia spitzfindig und gemacht. Erst als er als Schauspieldirektor anfing, Stücke für sein Theater zuzurichten, kam unbewußt sein eigentlicher Genius über ihn, und er ward der größte Dichter der neuern Zeit, indes er glaubte, nur sein Brot zu verdienen.


(1855.)

Im Aufsatze über Shakespeare:

1. Er hatte keine Muster und Vorbilder. Er mußte alles selbst erfinden. Seine Form ist daher mehr natürlich, als kunstgemaß.

2. Er folgt immer genau seiner Erzählung, das Interesse des Stückes dauert daher nur so lange, als das Interesse der Erzählung.

3. Aus demselben Grunde ist er (mit Ausnahme der historischen Stücke) immer märchenhaft, d. h. ohne Berücksichtigung der prosaischen Wahrscheinlichkeit.

4. Er ist immer auf dem Wege der Natur, überspringt aber auf ihrem Wege häufig ihre Stufen.


(1855.)

Es dürfte Shakespearen vielleicht gegangen sein, wie dem Petrarca. Dieser erwartete den Nachruhm von seinen lateinischen Gedichten, legte also auf seine Sonette geringeren Wert, indes die Nachwelt erstere vergessen hat und nur die Sonette im rühmlichen Andenken behielt. Ebenso wäre möglich, daß Shakespeare seinen epischen und lyrischen Gedichten einen Vorzug vor seinen dramatischen Arbeiten gab, da er es dort mit den Gebildeten zu thun hatte, im Drama aber sich dem Geschmack eines mitunter ungebildeten Publikums fügen mußte. Die Stelle im Hamlet, wo dieser eine höchst schwülstige Tirade aus einem Trauerspiele als musterhaft recitieren läßt, deutete auf so etwas hin. Meinte er vielleicht, wie Lope de Vega, die Regeln einsperren zu müssen, um sich seinen Zusehern zu fügen, und war er ungehalten darüber, eigentümliche Meisterstücke geschaffen zu haben, statt Abklatsche von den Tragödien des Seneca? Man sage nicht: Shakespeare werde nicht blind gegen seine eigenen Vorzüge gewesen sein. Was der Mensch am vortrefflichsten gemacht hat, das meint er gerade recht gemacht zu haben, und Shakespeare wollte vielleicht nur als Schauspieler und Schauspieldirektor sein Brot verdienen und seinem Publikum gerecht sein, indes er in Tiefen der menschlichen Natur hinabstieg, die seinem durchdringenden Geiste eben nichts als Oberflächen waren. Daß er fast immer nur fremde Stücke bearbeitete und überarbeitete, konnte auch dazu beitragen, ihm und seinen Zeitgenossen den Gesichtspunkt zu verrücken. Letztere haben ihn ja, unmittelbar nach seinem Tode, hinter Beaumont und Fletcher zurückgesetzt. Was mich aber am meisten in dieser Meinung bestärkt, ist das Manierierte und Spitzfindige, ja Kalte in seinen lyrischen und epischen Gedichten, wo es in seiner Macht stand, lediglich dem zu folgen, was er für Schönheit und Kunst hielt.


(1860.)

Shakespeares Zeit hatte von ihm keineswegs die große Meinung, die wir haben. Wenigstens wird Spencer in seiner Grabschrift the prince of poets in his time genannt. Da nun Spencer im Jahre 1596, nach einigen 1598 starb, so war er unzweifelhaft ein Zeitgenosse von Shakespeare. Es müßte nur sein, daß man damals überhaupt die Dichter fürs Theater nicht unter die eigentlichen Poeten zählte (was mir sehr wahrscheinlich ist), da sie doch auch mitunter für den Pöbel schrieben, weshalb denn wohl auch Shakespeare seine beiden, nicht sehr empfehlenswerten epischen Gedichte schrieb, um doch auch einen Rang in der gebildeten Welt zu haben. Auch seine Sonette erklären sich teils aus diesem Gesichtspunkte, teils als Ausdruck inneren Bedürfnisses aus sich selbst.


(1861.)

Um Shakespeare zu rechtfertigen – da doch ein großer Teil seiner Sonette an ein männliches Individuum gerichtet sind – führen die Ausleger viele Stellen aus seinen Dramen an, wo das Wort Liebhaber (lover) von Mann zu Mann, für Freund, wohlgeneigt, ergeben gebraucht wird. In all diesen Fällen ist aber nie die Schönheit der Grund des Wohlwollens.

*

Die letzten dieser Sonette (sowie die sechs oder acht ersten) sind wieder an ein Frauenzimmer gerichtet. Sie sind aber auch die schlechtesten, spitzig und kalt. Man merkt aus ihnen, daß das Frauenzimmer nichtsnutzig war und Shakespeare alt; also auch wieder eine widerliche Empfindung. Man sollte überhaupt diese Sonette auf sich beruhen lassen. Sie können Shakespeares Ruhm nichts beifügen und, aufs beste gedeutet, nur Bedauern erwecken. Vor allem soll man sie nicht übersetzen. Man überlasse sie den Litteratoren, deren Straußenmagen alles verdaut.


(1870.)

In seinem 18. Sonette hat doch Shakespeare auch ein starkes Vorgefühl für künftige Größe.


(1843.)

Mir ist schon öfter die Vermutung gekommen, ob nicht Shakespeare, wenn er auch nicht selbst spanisch verstand, doch etwa durch einen Freund, der der Sprache kundig war, mit der spanischen dramatischen Litteratur in einigem Zusammenhang war. Was mir schon bei Lope de Vega vorgeschwebt hatte, ist mir jetzt wieder bei Lesung des Lope de Rueda vor die Seele getreten (comedia de los engaños – comedie of errors).


(1867.)

Es ist immer nur die Rede von den Verunglimpfungen, die sich Voltaire gegen Shakespeare erlaubt habe. Er war aber sehr empfänglich gegen seine Vorzüge, und erst als ein französischer Schriftsteller sich erlaubt hatte, Racine gegen ihn herabzusetzen, brach sein Unmut aus.

In dem Artikel Intolérance (Dictionnaire philosophique T. III) setzt er ihn in die Reihe der klaren Köpfe, welche die Intoleranz nicht kannten, unter die Newton, Friedrich den Großen, Locke, Leibniz. Und diese Leute gelten nicht wenig bei ihm.


Hamlet

(1819.)

Man hat so viel über die Grundidee des Hamlet gesagt, mich hat nichts befriedigt. Vielleicht liegt die Ursache von der unglaublichen, unerklärlichen Wirkung dieses Stückes gerade zum Teil darin, daß der Faden, der durch dieses Labyrinth geht, so unsichtbar bleibt. Dadurch wird es zu einem getreuen Bilde der Weltbegebenheiten und wirkt eben so ungeheuer, als diese. Ein Geist erscheint und fordert zur Rache auf, er verweht wieder, beides scheinbar ohne Wirkung; die handelnden Personen werden nach allen Weltgegenden verschlagen; greuliche Dinge geschehen fast ohne Zweck; der Zielpunkt des Ganzen entrückt sich beinahe unsern Augen, und gerade jetzt, wo alles aufgegeben scheint, erfüllt sich das Geschick, alles mit sich fortreißend und verderbend. Shakespeare ist zu dieser scheinbaren Planlosigkeit offenbar dadurch gekommen, daß er seiner Gewohnheit nach die wüste Geschichte, Schritt vor Schritt, verfolgte. Der Instinkt seines Genies aber brachte jenen ungeheuren, obgleich losen Zusammenhang hinein, der ungleich wirksamer ist, als die Ideen, die in den Stücken der neuesten Mache auf Kosten der Handlung, wie Gespenster am hellen Tage, sichtbar und greifbar spuken. Aber freilich darf niemand wagen, das Shakespeare nachzumachen.


(1826.)

Wenn Tieck behauptet, Polonius habe anfangs die Liebe Hamlets zu Ophelien begünstigt, ja Hamlet habe Opheliens letzte Gunst genossen, so bleibt nach dieser Voraussetzung unbegreiflich, wie Polonius eine Unterredung zwischen beiden veranstalten kann, die er den König auffordert zu behorchen. Mußte der Vater nicht fürchten, daß Hamlet, dem die Anwesenheit der Lauscher unbekannt war, durch eine oder die andere Aeußerung dem Könige das doppelte Spiel seines Ministers verraten könnte? Würde sich ferner jemals Ophelia zu dieser Scene hergegeben haben, wenn sie fürchten mußte, daß ein einziges Wort des vormals begünstigten Liebhabers ihre Schande dem Vater und dem Könige bekannt machte? Wenn sie den Prinzen jemals in letztem Grade begünstigte und sich nun, auf Geheiß des Vaters, von ihm zurückzog, war es nicht natürlich, daß bei erster Gelegenheit, da er sie allein traf, ihr Hamlet das Vergangene in den bestimmtesten Ausdrücken vorwarf?

Ich beneide Tieck als Mensch und bedaure ihn als Dichter, wenn er die Wirkungen der Schwermut, des Zerfallenseins mit sich und der Welt so wenig kennt, daß er das Betragen Hamlets gegen Ophelien nur dadurch erklären zu können glaubt, daß er einen bestimmten Grund der Verachtung gegen sie in dem Prinzen voraussetzt. Im Brüten über seinem dunkeln Vorhaben versunken, ist für ihn die ganze übrige Welt nicht da, und wenn er sich ihrer erinnert, so geschieht es mit dem innersten Ekel gegen sie und alle ihre Verhältnisse. Seine Empfindung für Ophelien war gewiß nie viel mehr, als ihr Vater und Bruder gleich anfangs vermuten, nur daß das arme Mädchen leichte Neigung mit warmer Leidenschaft erwiderte. Die Erscheinung des Geistes verwischte jede Spur jenes Eindruckes in dem Prinzen. Zu furchtbaren Dingen bestimmt, den Mächten jenseits des Grabes verbündet, hört jedes menschliche Verhältnis für ihn auf. Mit diesem Gefühle und mit tiefem Mitleid über das in seinen schönsten Hoffnungen getäuschte Kind tritt er zu Ophelien mit herabhängenden Strümpfen, unordentlicher Kleidung, in jenem jammernswerten Zustande, den Ophelia beschreibt. Wie wahr ist jenes Bild, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet! Selbst der sinnliche Trieb, in solchem Zustande der brütenden Versunkenheit, hört auf, eine aktive Potenz zu sein, und verbreitet sich mit einer gewissen passiven Stumpfheit über die ganze Existenz. Als er nun noch das Zurückziehen Opheliens und das Auflauern des Vaters bemerkt, glaubt er wohl gar beide im Einverständnis mit seinen Feinden, und nun ist sein ganzes Betragen erklärt. Unter diesen Umständen bleibt Hamlets Benehmen gegen Ophelien zwar immer verletzend; wenn man aber eine vorausgegangene höchste Vertraulichkeit voraussetzt, wird es empörend, und Hamlet erscheint als ein roher Unmensch.

Wer in Ophelien die Unschuld nicht erkennt, der hat noch wenig Unschuld gesehen.

Wenn man Hamlet für gar so kleinmütig und unfähig für die That hält, die auf ihn gelegt ist, vergißt man denn, daß, da er Polonius durch die Tapete ersticht, er wirklich glaubt, den König zu treffen? Nicht ohne Kraft ist Hamlet, aber seine Kraft ist durch die Schwermut dekomponiert, durch die Schwermut, die, abgesehen von seiner natürlichen Gemütsbeschaffenheit, ihn überfallen mußte, wenn er nach dem Tode seines Vaters, voll schrecklicher Ahnungen, aber ohne Gewißheit, voll Abneigung gegen seinen Oheim, ohne eigentlichen Grund zum Hasse, mißtrauisch gegen seine Mutter und alle Welt, zur Unthätigkeit verdammt, seine Tage in ermüdendem Einerlei hinschleppte; dann, vergißt man denn, durch wie viel ihm die That erschwert wird? Seine Mutter, zum Teile Mitschuldige des Verbrechens, das er rächen soll. Der zu Strafende, sein Oheim, sein nächster Verwandter, der in seiner frühern Jugend ihm gewiß achtunggebietend gegenüberstand. Ferner soll die That in der Mitte der Anhänger des Tyrannen geschehen, und Hamlet hat sich nicht nur über einen geraubten Vater zu beklagen, sondern auch über eine geraubte Krone. Den Mörder töten und dann selbst getötet werden, konnte Hamlets Absicht nicht sein. Vielmehr, nach vollbrachter Strafe, die Krone selbst zu tragen.

Schwermut tritt nicht bloß bei Schwäche ein, sondern auch, wenn gleiche Gründe für und gegen eine Handlung sprechen, vornehmlich aber, wenn Aufforderung zur Thätigkeit da ist, aber kein bestimmtes Ziel. Da arbeiten sich alle Kräfte ab und erlahmen endlich. Eine solche Lage war jene Hamlets vor der Erscheinung des Geistes. Nach der Erscheinung ist jener Zustand einmal da, und bei wem je derselbe einmal habituell geworden ist, der weiß, wie schwer man ihn abschüttelt, ohne darum gerade schwach zu sein. Nur ein ungemischtes, rein bestimmendes Thatgefühl kann herausreißen; von welcher Art ist aber die That, zu der Hamlet durch das Gespenst aufgefordert wird? Wie viel spricht dagegen? Welche Interessen und Gefühle werden dadurch nicht verletzt? Ein solches Thätigkeitsziel kann einen Schwermütigen nicht bestimmen. So war Timoleon schwermütig ohne Vorwurf der Schwäche, nach der Ermordung seines Bruders, die er doch dem Grundsatze nach billigte, und blieb es (worüber ihn auch Plutarch hart anläßt) durch lange Zeit, bis die rein erhebende Bestimmung, Syrakus zu befreien, ihn seiner Schwermut auf immer entriß.


(1841–1842.)

Daß in der Eingangsscene von Hamlet der Hahn krähen durfte, zeigt schon den ungeheuren Unterschied zwischen dem damaligen Publikum und einem jetzigen.


(1842.)

Man hat so viel über den Hamlet geschrieben. Das Wort des Rätsels ist die Schwermut, in die der Mensch gerät, wenn er durch gerechte Bedenklichkeiten am Handeln gehindert wird. Kommt endlich der unabweisbare Moment der That, dann bricht das unterhöhlte Dasein zusammen und räumt den Platz der frischen rücksichtslosen Thätigkeit, die Fortinbras repräsentiert. Nicht als ob Shakespeare das gedacht hätte, denn derlei Abstrakta fallen einem echten Dichter beim Selbstschaffen nicht ein, es liegt aber zum Grunde, und wer außer dem Gemütseindruck noch eine Rechtfertigung braucht, mag nur diese dafür nehmen.


(1854.)

Heaven forgive my want of charity!
But, if I were to kill him, he should have
No time to pray; his life could be no sacrifice,
Unless his soul went too.
              Shirley, The Cardinal, act IV.

Dieselbe Gesinnung im Hamlet, wo er den König im Gebet findet, was ihm bisher als Kleinmut und Selbsttäuschung ausgelegt worden ist. Wie, wenn Hamlet überhaupt nicht so schwach wäre, als seine Ausleger, darunter selbst der große Goethe, voraussetzen? Als er den Polonius tötet, glaubt er wenigstens den König getötet zu haben. Aber seinen Oheim meuchelmorden (ein anderes Mittel gab es für ihn nicht) und seine Mutter für eine Metze erklären, ist doch keine That, vor der zurückzuschrecken einem edlen Gemüte schimpflich wäre.

*

Noch eine Stelle ist in demselben Stück, welche eine andere in Hamlet aufklärt. Im vierten Akt fechten Hernando und Columbo. Nachdem sie Gebrauch von ihren Waffen gemacht, ringen sie, wobei einer dem andern sein Schwert entreißt. Dieser rafft ein zweites Schwert vom Boden auf und sie fechten weiter. Diese Art sich im Zweikampf zu benehmen, erklärt den Vorgang zwischen Hamlet und Laertes im fünften Akt.


Macbeth

(1817.)

Einer der vortrefflichsten und, soviel ich weiß, am wenigsten bemerkten Züge in Shakespeares Macbeth liegt in dem gerade umgekehrten Verhältnis des Anteils, den Macbeth und seine Gattin am Entschlusse zur That und dann an der That selbst nehmen. Shakespeare hat hier nicht bloß Macbeth und seine Gattin, er hat Mann und Weib überhaupt geschildert. In Lady Macbeths Seele ist im ersten Augenblicke der Entschluß reif. Sie ist das Weib, das nach Empfindungen, im Guten und Schlimmen, handelt. Macbeth sträubt sich lange gegen die Idee, obschon (wie richtig) alles, was er vorbringt, nicht sowohl aus der Tugend des Menschen, als aus der Ehre des Soldaten fließt. Lady Macbeth bestimmt ihn zur That. Aber jetzt, da gehandelt werden soll, kehrt sich auf einmal das Verhältnis um. Macbeth schaudert, aber handelt; sein Weib, die Entmenschte, die Verlockerin, war vor ihm in Duncans Zimmer, sie hatte die Dolche in der Hand – had he not resembled my father as he slept, I had done't! – Ich ärgere mich oft über mich selbst, daß ich die Idee, etwas zu schreiben, nicht aufgebe, wenn ich so was gelesen habe.

Eines fehlt meinem Gefühle nach im Macbeth. Die Erfüllung der Hexenprophezeiung an Banquo nämlich. Die Erscheinung Banquos in der Zauberhöhle, zugleich mit acht Königen, seinen Enkeln, leistet nicht genug, denn wer weiß, ob das wahr ist, was die da vorspiegeln. Wenn der entronnene Fleance am Schlusse des Stückes noch einmal eingeführt worden wäre, wie das doch leicht möglich war, so hätte eine einzige Rede Malcolms, wodurch er etwa dem Fleance (dem er durch irgend etwas verbunden sein könnte) eine Anwartschaft auf den Thron versichert, viel wirken und hierdurch gleichsam das Stück abrunden und in sich vollenden können. Ich meinesteils hätte mich vielleicht um die Geschichte nicht gekümmert, hätte Malcolm in der Schlacht fallen, Fleance statt Macduff Macbeths Schicksale erfüllen und ihn von dem dankbaren Volke zum Könige ausrufen lassen, wodurch freilich das wohlthuende Gefühl über die Wiedereinsetzung der Söhne des Gemordeten und die Wiedereinrichtung der aus ihren Fugen gegangenen Zeit weggefallen wäre. Zugleich ist zu bemerken, daß für Engländer, die überzeugt waren, daß ihr eben regierender König Jakob von Banquo abstamme, der Erfolg der Weissagung dalag und das Gefühl befriedigt war. – Man mag Shakespeare anzapfen, wo man will, es ist ihm nichts anzuhaben.

Welch glücklicher entsetzlicher Zug, daß Macbeth den schon eingeleiteten Mord Banquos seiner Frau verheimlicht, sie noch auffordert, ihn beim Mahl, zu dem er wohl weiß, daß Banquo nicht mehr kommen kann, aufmerksam zu behandeln. – Vielleicht ist Macbeth das größte Werk Shakespeares, das wahrste ist es ohne Zweifel.

Man hat sehr viel über die Gabe großer Dichter gesprochen, die verschiedenartigsten, ihrem eigenen Selbst fremdartigsten Leidenschaften und Charaktere zu schildern, und manche haben gar viel von Beobachtung und Studium des Menschen gesagt und gemeint, Shakespeare habe in Bierhäusern, unter Karrenschiebern und Matrosen die Züge zu seinen Macbeths und Othellos zusammengesammelt und dann, wenn das Bündel voll gewesen, sich hingesetzt und ein Stück draus zusammengesetzt. »Ganz gut!« Das rühmen die Schüler allerorten.

Ist aber noch keiner ein Weber geworden! Ich glaube, daß das Genie nichts geben kann, als was es in sich selbst gefunden, und daß es nie eine Leidenschaft oder Gesinnung schildern wird, als die es selbst als Mensch in seinem eigenen Busen trägt. Daher kommen die richtigen Blicke, die oft ein junger Mensch in das menschliche Herz thut, indes ein in der Welt Abgearbeiteter, selbst mit scharfem Beobachtungsgeist Ausgerüsteter nichts als hundertmal gesagte Dinge zusammenstoppelt. Also sollte Shakespeare ein Mörder, Dieb, Lügner, Verräter, Undankbarer, Wahnsinniger gewesen sein, weil er sie so meisterlich geschildert? Ja! Das heißt, er mußte zu dem allen Anlage in sich haben, obschon die vorherrschende Vernunft, das moralische Gefühl nichts davon zum Ausbruch kommen ließ. Nur ein Mensch mit ungeheuren Leidenschaften kann meiner Meinung nach dramatischer Dichter sein, ob sie gleich unter dem Zügel der Vernunft stehen müssen und daher im gemeinen Leben nicht zum Vorschein kommen. – Ich wollte, irgend ein Dichter läse das!


(1841–1842.)

Wie wenig genau es das Publikum Shakespeares nahm, zeigt sich unter anderem in den beiden Edelleuten von Verona. Welche Uebereilungen und Unwahrscheinlichkeiten sich im fünften Akte häufen! Ein eigentlicher Zeitvertreib ohne Gemüt und menschliche Unterlage.

Man muß wirklich viel dem Modeton der Zeit zu gute schreiben, um die geblümten Redensarten im ersten Akt von Romeo und Julie nicht höchst abgeschmackt zu finden.

Daß der Wechsel der Leidenschaft in Romeo viel zu rasch und eigentlich undramatisch ist, wird wohl kein Vernünftiger leugnen. Shakespeare scheint es selbst gefühlt zu haben, indem er gegen alle Eurhythmie gerade an dieser Stelle und sonst nirgends im ganzen Stücke den Chorus einführt.

Möglich aber auch, daß der vorhergehende Tanz ziemlich ausführlich war und dadurch zu wechselnder Annäherung und stummem Spiele Anlaß gab, oder wohl gar Romeo mit Julien tanzte, worauf möglicherweise die Worte Juliens hindeuten: a rhyme I learn'd even now of one I danc'd withal.

Jede Zeitverlängerung, jede Annäherung, jede Berührung mildert das Schroffe, obgleich die Uebereilung an sich wahrer Empfindungswechsel einer der Hauptfehler Shakespeares ist.

*

Much ado. Es ist nicht sehr künstlerisch, daß im zweiten Akte beim Tanzfeste alle Weiber witzig sind, selbst die eingezogene Hero macht Spaß. Beatricens Figur gewinnt dadurch nicht.

Ebenso entsteht wohl die Liebe in Beatricen ein wenig gar zu schnell, sobald sie erfährt, daß Benedikt in sie verliebt sei.

Daß aber auch Claudio Witze reißt, nachdem er Hero tot und schuldig glaubt, ist denn doch zu viel.

Wenn der alte Leonardo hört, daß seine Tochter unschuldig sei, sollte man denken, er verlöre die Lust, erst noch eine besondere Attrape mit einer vorgeblichen Nichte vorzubereiten. So ist auch die Entwicklung, daß das Gespräch der beiden Schurken von der Wache gehört würde, höchst ärmlich. Die Aufgabe war aber, so viel Spaß zu machen als möglich. Und der Spaß ist wirklich gut.


(1841–1842.)

Die lustigen Weiber von Windsor stehen in keinem besondern Kredit bei den Shakespearebewunderern. Ich finde es nichtsdestoweniger ein sehr lustiges Stück und manchem bewunderten vorzuziehen. Diese Masse von komischen Figuren, wie er die beiden Ehemänner im Gegensatz zu halten gewußt, mit dem Feenauftritte die Sache ins Poetische gezogen und endlich die wahre Liebesintrigue in den Spaß verwebt hat, das alles ist besser als manches andere.


(1845–1846.)

Tempest. Die Scene, wo Miranda unter der Erzählung ihres Vaters einschläft, erinnert sehr auf die ähnliche Situation in den Tres diamantes von Lope de Vega, nur daß letztere unvergleichlich schöner und zugleich von Einfluß auf die Handlung ist; indes Miranda eingeschläfert wird, man weiß nicht warum, und ihr Schlaf keinen Einfluß auf die Handlung hat; öfter schon ist mir eingefallen, ob nicht Shakespeare vage Ueberlieferungen über das spanische Theater gehabt habe.


(1826.)

Welche Wahrheit in dem Verhältnis zwischen Antonio und Bassanio (Kaufmann von Venedig)! Antonio durch Charaktereigentümlichkeit, vielleicht auch frühe Verluste und Täuschungen, oder Versäumen des rechten Augenblickes unter Geschäften, für seine eigene Person vom eigentlichen Genusse des Lebens abgehalten, genießt es in der Person Bassanios. Er liebt, wirbt, hofft und leidet mit ihm und ist so besorgt, ihn den Kelch, der ihm selbst versagt war, ja ganz ohne Hefen trinken zu lassen, daß er, ganz im Widerspruch mit seiner sonstigen umsichtigen Denkungsart, die leichtsinnige Sorglosigkeit Bassanios vielmehr bestärkt. I think, he only loves the world for him, sagt Solanio Akt II, Scene 8.


(1824.)

In seinen streng historischen Stücken eilt Shakespeare oft sehr rasch über die wichtigsten Momente, Entschlüsse und Sinnesumkehrungen hinweg. Da sie, als unzweifelhaft und historisch gewiß, sich selbst rechtfertigen und seinen Zuschauern geläufig waren, so hielt er sich nicht lange mit ängstlicher Motivierung auf, z. B. im I. Teil von Heinrich VI. der Uebertritt Burgunds zur Sache der Franzosen. Ein Fehler gewiß, aber einer, dem man im historischen Drama, wo die Begebenheiten sich drängen und der Raum mangelt, überhaupt schwer entgehen kann. Ist aber auch der erste Teil (Heinrich VI.) von ihm? Warum nicht? Vielleicht eine seiner ersten Arbeiten, wobei der völlig undramatische Stoff seines Talentes spottete. In der Unterredung zwischen Suffolk und Margareta ist Shakespeares genug.


(1819.)

Ein englischer Kunstrichter hat das scheinbare Paradoxon aufgestellt: Falstaff sei nicht feig. Er ist's eigentlich auch nicht. Er war gewiß in seiner Jugend herzhaft, sowie er bei seinem Verstande gewiß noch manche andere gute Eigenschaft besaß; aber die Lebenslust hat alles verschlungen. Der moralische Speck, mit dem physischen zugleich wachsend, hat ihn ganz in Behaglichkeit und Genuß eingehüllt. Seine melancholische Laune, von der er öfter spricht, ist nichts als das halbunbewußte Gefühl seiner Verkehrtheit. Hierin liegt wohl mit ein großer Teil der Ursache, warum uns Fallstaff, er mag thun, was er will, nie verletzt und so sehr unser Liebling bleibt, daß der Schluß des zweiten Teils von Heinrich IV. beinah nicht befriedigt. Uebrigens ist auch gewiß, daß über die Hälfte dieses letzten Stückes hinaus die erste Stärke der Begeisterung etwas von Shakespeare gewichen ist. Es ist auch hier alles vortrefflich, aber Shakespeare hätt' es noch besser machen können.


(1857–1858.)

Heinrich VIII. ist ein höchst wunderliches Stück. Man weiß nicht, ob Shakespeare dabei unendlich viel, oder ob er dabei (was den Gang des Ganzen betrifft) gar nichts gedacht hat. Im ersteren Falle, indem er die Inkongruenzen der menschlichen Natur, als wirklich, unvermittelt aneinander gereiht und das Amt des Dichters eben der Wirklichkeit überlassen hat; letzteres, dem Gang der Chronik bis auf die Ausdrücke folgend und alle Bedenken, als überflüssig, von der Hand weisend. Die Spitze des Ganzen ist denn doch die Geburt der Königin Elisabeth und die Reformation, und doch ist die einzige honette Person des Stückes die katholische Katharina, und sie stirbt geradezu als eine Heilige, indes der Bischof Cranmer, der Vater der Reformation, der einzige von den Geistlichen ist, der die durch Leidenschaft bedingte Scheidung des Königs gutheißt und billigt. Der König selbst mit seinen Gewissensbissen, die, wenn sie durchaus falsch wären, ihn zu dem verächtlichsten Heuchler machen würden, und wären sie wahr, so könnte er nicht am Ende jener Staatsversammlung, nachdem er eben erklärt, er würde, wenn über sein Gewissen beruhigt, mit Freude fort und fort an seiner Gattin festhalten, auf die aufschiebende Entscheidung der Kardinäle vor sich hin sagen: das Ding dauert mir zu lange; ich will den Bischof Cranmer zu Rate ziehen. Auch ist es eine wunderliche Schmeichelei für Elisabeth, ihre Mutter als ein alltägliches Geschöpf in jener Scene mit einer alten Dame hinzustellen. Und eine Schmeichelei ist ja im fünften Akte gemeint, die wahrscheinlich erst später auf König Jakob ausgedehnt wurde. Oder war es von vorneherein auf Jakob abgesehen, wie Macbeth? Dann erklärte sich das Ganze viel leichter.


(1841)

Gestern las Holtei den Julius Cäsar von Shakespeare. Man mag sich anstellen wie man will, es ist kein gutes Stück. Die ersten drei Akte vollkommen dramatisch. Aber von da an bricht's ab und das Interesse wird rein historisch. In dem Gespräche zwischen Brutus und Cassius (vierter Akt) ist eine Anknüpfung, daß Brutus allein der Sache willen handelte, indes die andern bloß von Selbstsucht oder Neid getrieben waren. Wenn dieser Gegensatz festgehalten und durchgeführt wurde, hätte es ein komplettes Ganzes geben können. Aber es verläuft sich wieder und das Stück endet als eine Begebenheit, statt daß es zur Handlung geworden wäre.


Maß für Maß.

(1849.)

Gervinus hat in seinem absurden Kommentar über Shakespeare nicht übel Lust, dieses Stück mit Othello in eine Reihe zu stellen, ja seiner albernen Ansicht nach, daß das Herausstellen des Lehrhaften den Hauptvorzug eines dramatischen Werkes ausmache, sieht er sich sogar genötigt, ihm Vorzüge vor jenem Meisterstücke Shakespeares einzuräumen. Nun hat aber Maß für Maß allerdings meisterhafte, unübertreffliche Züge, gehört aber darum doch nichtsdestoweniger unter die mittelmäßigen Stücke Shakespeares. Von vorneherein schadet dem Stücke, daß es auf absurde Voraussetzungen gebaut ist. Ein Gesetz, daß jeder, der sich mit einem Frauenzimmer fleischlich vergangen hat, mit dem Tode zu bestrafen sei, ist höchstens in Tausend und einer Nacht unter einem märchenhaften Kalifen denkbar. Dadurch bekömmt das Ganze etwas Willkürliches, das zwar in den ergreifenden Scenen verschwindet, aber doch immer dunkel nebenher schwebt, das Ganze zum Spiel stempelt und aus dem Leben auf die Schaubühne verweist. Das hat auch Shakespeare ganz richtig empfunden und in keinem seiner ernsthaften Stücke dem Komischen einen so beträchtlichen Raum gegönnt. Dieses Märchenhafte erstreckt sich auch auf den Verfolg der Handlung. Dieses Unterschieben Mariannens für Isabella und so manches andere kann man sich recht wohl gefallen lassen, um sein Vergnügen nicht zu stören; niemand wird aber glauben, ein Stück Leben vor sich zu haben, was doch eigentlich die Aufgabe des Drama ist. Das Hauptverdienst sind die Charaktere, namentlich der Isabellens, der allerdings unter das Vortrefflichste gehört, was Shakespeare je in dieser Art hervorgebracht hat. Nur hat es mit den Charakteren Shakespeares ein eigenes Bewandtnis. Alle sind gleich vortrefflich angelegt und werden auch ebenso gehalten, wenn es der Gang der Handlung erlaubt. Das ist auch mit seinen Hauptpersonen in seinen vortrefflichsten Stücken immer der Fall. In den Stücken zweiten Rangs aber legt er die Charaktere nach den hervortretenden Hauptbegebenheiten an, macht er sich kein Gewissen daraus, wenn er seine Lust an ihnen gebüßt oder das Bunte, wohl gar Absurde der Handlung ihrer Entwicklung im Wege steht, sie auf die Seite zu schieben und für eine Zeitlang ganz auf sie zu vergessen. Das ist ihm sogar, in einem seiner unbestrittenen Meisterwerke, mit der Figur der Lady Macbeth geschehen. Sobald sie ihren Zweck, den Gatten zum Mord anzuspornen, erreicht hat, schiebt er sie, weil er keinen Platz mehr für sie hat, beiseite, und sie bekommt dadurch bis zu ihrer letzten unübertroffenen Scene etwas Untergeordnetes, ja Aengstliches, was eben Tieck – der keinen Fehler in Shakespeare zugeben will und lieber das Ganze als einen kleinen Teil aufgibt – verleitet hat, sie für eine zärtliche Gattin und gute Mutter zu erklären. So ist es auch mit Isabellen. Von vornherein ist sie einer der herrlichsten Charaktere, die je ein Dichter in seiner Begeisterung geschaffen hat. Daß sie hier auch schon Unanständigkeiten und Zweideutigkeiten ohne Zeichen des Widerwillens hinnimmt, wollen wir mit dem Charakter der Zeit entschuldigen, der allerdings minder ekel war, als der unsere; von dem Augenblicke aber, als Marianne auftritt und die Handlung ins Märchenhaftbunte übergeht, vergißt sie ihre frühere Strenge so weit, daß sie sich die unsäuberliche Vermengung ihrer Person mit der Mariannens, das Sündhafte des fleischlichen Vorgangs, ohne Widerrede gefallen läßt und höchstens zum Schluß wieder einen Weg in das Edle ihrer Natur findet. Ja, ganz zuletzt wird über die Charakterstärke, die sich früher dem klösterlichen Leben bestimmt, zu einer Heirat mit dem Herzog ohne viel Fragens verfügt. Auch der Charakter Angelos mit seinen unbestreitbaren guten Eigenschaften, die denn auch zum Schlusse bei seiner Begnadigung postuliert werden, im Gegensatz seiner Schändlichkeit und Wortbrüchigkeit, gehört so ziemlich ins Gebiet der Fabel und des Unmöglichen. Daß von allen Schuldigen zuletzt nur der mindest Schuldige, der plauderhafte Lucio allein bestraft wird, ist eine schreiende Satire auf den Titel: Maß für Maß. Selbst als Komposition betrachtet, ist das Stück fehlerhaft, durch den vierten Akt nämlich, der ganz inhaltlos und nur da ist, um die Handlung bis zum fünften Akt fortzuspinnen, welche Fünfzahl damals wohl kanonisch war, wie die vielen Totschlägereien im Trauerspiel.

Damit soll kein Tadel gegen Shakespeare ausgesprochen sein, der auch in diesem Stücke so viel Herrliches geleistet hat, daß es hinreichte, einen andern Dichter, als einziges, für alle Zeiten zu adeln. Der Tadel gilt jenen stumpfsinnigen Kunstrichtern, die, ohne Geschmack auf der Zunge und aus sachunkundiger Lobhudelei, sich an den naturwüchsigen Meisterwerken desselben Dichters versündigen, indem sie dieses Stück mit ihnen in dieselbe Reihe stellen.


Othello.

(1849)

Die Deutschen betrachten den Shakespeare als den vollkommenen Abdruck der Natur. Wenn sie ihn, und zwar mit Recht, über alle Dichter der neuern Zeit setzen, so ist es vor allem die Wahrheit seiner Dichtungen, die sie dabei im Auge haben. Nun ist merkwürdig, daß diese Naturwahrheit nicht überall und jederzeit gefühlt worden ist. Voltaire, ein so begabter Mann, als je einer in der Welt war, und dabei in einigen seiner Dramen ein nicht zu verachtender Dichter, hat ziemlich abschätzig von Shakespeare gesprochen, und wenn man ihn, nicht mit Unrecht, als befangen betrachten wollte, so war der zweitgroße Dichter Englands, Lord Byron, dem es an Sinn für Naturwahrheit keineswegs fehlte, von den Vorzügen seines großen Landsmannes nichts weniger als durchdrungen. Woher nun diese Verschiedenheit des Urteils in einer Sache, die sich doch jederzeit gleich bleiben sollte und gleich bleibt, wie Natur und Wahrheit? Zur Lösung dieses Rätsels bietet nun Othello, das psychologisch getreueste Bild menschlicher Leidenschaft, einen willkommenen Beitrag. Jagos Ohrenbläserei, seine abgerissenen Reden, der Kampf in Othello zwischen Liebe und Verdacht, nichts kann wahrer sein: so entsteht die Leidenschaft, so wächst sie, so steht sie endlich furchtbar da – aber nicht in so kurzer Zeit. Shakespeare gibt häufig ein compendium, ein précis, ein abrégé der Natur, statt der Natur selbst. Wozu kaum fünf Akte ausgereicht hätten, das wird hier in den Raum eines einzigen (des dritten) zusammengedrängt. Othello hat seinen Lieutenant entlassen, mehr der Dienstordnung zuliebe, als daß er ihm gram wäre. Er findet ihn, nicht ingeheim, sondern ohne alle verdächtigen Nebenumstände bei seiner Gattin, um ihre Vorbitte anzuflehen. Sie bittet wirklich vor. Was ist einfacher, natürlicher, unschuldiger? Und doch wird es Jago möglich, in dem Raum eines einzigen Aktes seinen Verdacht zu einer solchen Höhe zu steigern, daß der Rest des Stückes kaum noch etwas hinzufügt, als den Mord. Ich übergehe die Geschichte des Tuches, das für sich schon keine ernsthafte Prüfung aushält. Daß Desdemona ein so wertes, vielbedeutendes Liebespfand als gewöhnliches Schnupftuch gebraucht, dürfte wohl kaum als natürlich betrachtet werden. Shakespeare geht immer den Weg der Natur, er kürzt ihn aber häufig ab. Das ist zugleich die Wahrheit und Unwahrheit seiner Poesie.

Nicht anders ist es mit den Charakteren. Desdemona ist ein Engel an Reinheit, vielleicht der himmlischste Charakter, den ein Dichter je geschaffen. Wie kam es aber, daß diese zarte, furchtsame, kindisch anhängliche Natur heimlich aus dem Hause ihres Vaters entfloh? Man kann sich da ganz genügende Möglichkeiten denken. Wenn aber Shakespearen an der Wahrheit ihres Charakters lag, so hätte er durch Angabe des von ihm gedachten Verlaufes vor allem diese Inkongruenz aus dem Wege schaffen müssen. – Daß Jagos Charakter unmöglich sei, wird ziemlich allgemein zugegeben, und ich will es zur Ehre der menschlichen Natur glauben.

Da wären denn eine Menge Fehler! Wie kommt es denn aber, daß wir bei der Darstellung oder bei gehöriger Lesung von diesen Fehlern gar nicht gestört werden, daß sie wie lauter Vortrefflichkeiten auf uns wirken? Shakespeares Wahrheit ist eben eine Wahrheit des Eindruckes, und nicht der Zergliederung. Die Prägnanz der Ausführung, die Gewalt seiner Verkörperung ist so übermächtig, daß wir an die Möglichkeiten gar nicht denken, weil die Wirklichkeit vor uns steht. Die Gabe der Darstellung in diesem Grade hat alle Vorrechte der Natur, die wir anerkennen müssen, auch wo wir sie nicht verstehen.

Zu diesen Abkürzungen der Natur ist er aber wahrscheinlich durch sein Publikum gezwungen worden, die bunte Begebenheiten und keine psychologischen Weitläufigkeiten wollten. Zugleich durch den Inhalt seiner Stoffe, die er fertig vorfand, als Wirklichkeiten aufnahm und von denen er nur höchst selten abwich.

Wir aber, die wir ähnliches mit unendlich geringern Kräften anstreben, mögen uns dieser Fehler nur bewußt werden und in Shakespeare ein Vorbild, aber nicht ein Muster erkennen. Nur dem Gange des Genies folgt das Gefühl der Notwendigkeit auf dem Fuße nach; wir andern müssen Wahrscheinlichkeit und Folgerichtigkeit fest im Auge behalten und werden nur überzeugen, wo wir uns rechtfertigen können.


(1821.)

Was mag Shakespearen wohl bewogen haben, seinem Jago (in Othello) nicht mehr als 28 Jahre zu geben? I have looked upon the world for four times seven years sagt er. Seine Verstellungskunst, seine Welt- und Menschenkenntnis schiene eher auf mehr Jahre, wenn auch nicht über 40, hinzudeuten. War etwa Shakespeare selbst noch nicht viel über 30, als er Othello schrieb? Ist aber seine Schurkerei nicht auch, obschon fein und durchdacht in den Hebeln, doch auch wieder unüberlegt in Bezug auf die Folgen, wenigstens in den entfernten, wie es nur einem jungen raschen Planmacher zukömmt?


(1830.)


Daß zu Shakespeares Zeit die öffentliche Schaubühne bloß mit Tapeten umhangen war, scheint gewiß, ebenso, daß man von einer veränderlichen Scenerie damals noch keine Vorstellung hatte; aber aus Malones Geschichte des Theaters (Appendix p. 365–86) scheint hervorzugehen, daß bei Stücken, die vor dem Hofe gegeben wurden, die Bühne (house) dem Stück entsprechend bemalt war (painted accordingly as might beste serve their several purposes). Auch wird das Wort house für Bühne immer in der vielfachen Zahl gebraucht (houses), so daß man versucht werden könnte, es als gleichbedeutend mit unsern Dekorationen zu nehmen.

(1846.)

Wenn die Stücke zu Shakespeares Zeiten (wie kaum zu zweifeln) nur zwei Stunden spielten (von 3 nachmittags bis 5), so folgt bei der Länge dieser selben Stücke notwendig: 1. daß die Zwischenakte beinahe Null waren, 2. daß die Reden nicht deklamiert, sondern nur, und zwar ziemlich schnell, gesprochen werden mußten.


Vier Shakespearische Schauspiele von Tieck.Vier historische Schauspiele Shakespeares, übersetzt von L. Tieck. Stuttgart und Tübingen 1836.

(1836.)

Eduard III. Gute Gedanken, starke Situationen, aber mit einer solchen an Karikatur streifenden Schärfe, daß ich Shakespeare nicht für den Verfasser halten kann.

Dieser Respekt vor des Kaisers Autorität liegt gar nicht in Shakespeares altenglischem, pedantereilosem Wesen.

Also dieses rohe, eigentlich leere Stück: Thomas Cromwell, soll auch von Shakespeare sein.

Wenn Cromwell anfangs im niedern Stande gezeigt wurde, mußte er zum Schluß im Glück enden. Wenn aber sein unglücklicher Tod der Abschluß des Ganzen ist, erscheint die Darstellung seiner früheren Niedrigkeit als gar nicht hergehörig, denn daß ein niedrig Entstandener elendiglich umkömmt, was ist da zu wundern daran?


Beaumont und Fletcher.

(1824.)

Wenn man, auf die Autorität der ersten Herausgeber, von Shakespeare als etwas Besonderes anführt, daß er in seinen Werken nie etwas gestrichen und verbessert: so kann man dasselbe von Beaumont und Fletcher lesen, denen ihr erster Herausgeber das gleiche zweideutige Zeugnis gibt.

Nach ihren Todestagen berechnet, war Fletcher neun Jahre älter als Beaumont, letzterer noch nicht 30 Jahre alt, als er starb; und doch soll er der kritische Geist von beiden gewesen sein, der leitende, Fletcher nur ausgeführt haben? Möglich bleibt's freilich.

Ben Jonson soll alle seine Schriften vor der Bekanntmachung dem Urteile Beaumonts unterzogen haben. >XIX.


(1825.)

Beaumont und Fletcher haben das Wort quietus (Hamlets Monolog) ebenfalls. Im Loyal subject, Akt 2 am Schluß, wo Archas ironisch dem Herzoge dankt, ihn der Sorge der Aufbewahrung jenes geheimen Schatzes enthoben zu haben, sagt er:

        I humbly thank your highness;
You have done more, and nobler, eased mine age, sir
And to this care a fair quietus given.


(1837.)

The beggars' bush. Ein sehr gutes Stück. Vortrefflich erfunden und ebenso durchgeführt, besonders aber ohne die Roheiten und Unanständigkeiten, die sonst Beaumont und Fletchers beste Werke entstellen. Man macht den Verfassern den Vorwurf, sie hätten in dem Bettlerkönig und seinen Genossen den alten Herzog in Shakespeares: »Wie es euch gefällt« nachgeahmt. Es sollte mich aber wundern, wenn der Stoff zu Beggars' bush nicht einer Novelle oder gar einer Chronikerzählung entnommen wäre, wo denn die Nachahmung wegfiele. Die echt niederländisch-historischen Namen Florez und Jaculin (Jaqueline) lassen wenigstens so etwas vermuten. Ebenso erinnert Goswins Geldverlegenheit etwas an den Kaufmann von Venedig, die Situation ist aber zu allgemein, um an ein Vorbild zu denken. Eher hat Jaculins angenommener Blödsinn etwas Edgar-artiges. Das Abenteuerliche der vielen Erkennungen wird durch die Angabe des wahren Verhältnisses im Personenverzeichnisse gemildert. Mit besonderer Kunst ist die Enthüllung von Gertrudens fürstlichem Stande in den Mund des Usurpators gelegt in einem Moment, wo die Spannung dadurch eher vermehrt als der Knoten gelöst wird. – Ein sehr gutes Stück!


(1837.)

The spanish curate. Die komischen Partieen sehr gut. Der Rabulist Bartolus und das Liebesverhältnis seiner Frau mit dem als Schüler verkleideten Edelmann. Der spanische Pfarrer selbst mit seinem Küster. Die Testamentsscene. Dagegen der ernsthafte Teil eigentlich abscheulich. Das Verhältnis der beiden Brüder. Das rachsüchtige Weib des ältern. Dazwischen der jugendliche Askanio licht hervorschimmernd, nur daß sein Charakter auf die Länge gar zu weichlich herauskommt. Die beiden gar nicht zueinander gehörigen Teile der Fabel durch die in den ersten hinüberspielende Figur des Bartolus nicht übel verbunden.

The humorous lieutenant. Die Titelrolle schmeckt etwas nach dem Little french lawyer, aber lange nicht so gut. Die Idee mit dem Liebestrank mochte zu einer Zeit, wo man derlei glaubte, ziemlich komisch sein. Die Streit- und Versöhnungsscenen zwischen dem Liebespaar mitunter willkürlich geführt aber wunderschön. Einige derselben, gegen den Schluß merkwürdig wegen ihrer ganz modernen Sentimentalität; das erste Auftreten dieser viel zu verschrieenen Erscheinung.


(1869.)

Wenn wir heutzutage im Drama von einem Charakter verlangen, daß er sich gut-horazisch immer gleich bleibe, so war der Hauptreiz des alt-englischen Theaters, die Widersprüche der menschlichen Natur, die Absprünge, die doch endlich in einen einheitlichen Weg zurückkehren. Hat gleich erst Ben Jonson das, was er humour nannte, erst deutlich herausgebildet, so kommen doch schon vor Shakespeare die Spuren davon nur zu häufig vor. Hamlet ist ein durchaus humoristischer Prinz (humour in diesem Sinne genommen).

In Humorous lieutenant von Beaumont und Fletcher kommt ein arges Specimen von dem vor: Celia, die durch das ganze Stück eine Mischung von Heiterkeit und Ernst ist, setzt das fort in der Zusammenkunft mit dem um ihretwillen todkranken Prinzen. Als er sich nämlich eifersüchtig zeigt, sagt sie:

    . . . . . . . . he's jealous
I must now play the knave with him, though I die for 't; 't is my nature.

Es ist einmal in ihrer Natur! Obgleich es hier eine der widerlichsten Abscheulichkeiten ist.


(1838.)

Welch sonderbares Stück, diese Bonduca. Keine Handlung, keine Verwicklung, kaum ein Stück zu nennen. Aneinander gereihte Scenen, Personen, denen jedem sein Recht widerfährt, als einzelne Figuren und Charaktere fast ohne Rücksicht auf das Ganze. Die beiden Töchter Bonducas, die widerlichsten Dinger von der Welt, bis auf die Sterbescene, wo die jüngere mit wahrer Meisterschaft behandelt ist. Ueberhaupt an vortrefflichen Zügen kein Mangel, der ganze Caratach samt Hengo sehr gut. Penius nicht weniger. Suetonius eigentlich großartig. Ueberhaupt merkwürdig, wie, da Tapferkeit der hervorstechendste Zug aller Personen des Stückes ist, die Verfasser Mannigfaltigkeit in die Darstellung derselben Eigenschaft bei so vielen Personen zu bringen gewußt haben. Wie roh sind diese englischen Stücke im allgemeinen, verglichen mit den gleichzeitigen der Spanier!


(1838.)

Merkwürdig, daß die Zeitgenossen die Keuschheit von Fletchers Muse rühmen.

*

Wit without money. Ein halbverrücktes Stück. Roh, plump, unsittlich, ein treues Bild des affektierten Humors der damaligen Zeit, der seine Spuren selbst bis in die Shakespearischen Dramen nur zu sehr hinüberwirft. Und doch wunderschöne Einzelheiten. Das erste Gespräch zwischen Francisco und Isabella von einer gegliederten Innigkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt. Der ganze Charakter der letztern von vornherein vortrefflich. Ebenso Francisco, bis endlich beide die Burschikosität des Ganzen mit sich reißt. Die übrigen Personen Zerrbilder aber auf wahrem Hintergrund. Uebrigens die ganze Zeit der Elisabeth ebenso manieriert, als das poetische Siècle de Louis XIV, nur daß Roheit und Verrücktheit immer den Schein hat, der Natur näher zu stehen als die Geziertheit, ihr auch wirklich näher steht, aber von Seite der parties honteuses.

*

The custom of the country. Ein ganz vortreffliches Stück mit Rücksicht auf die Zeit und den damaligen Geschmack. Es ist überhaupt merkwürdig zu beobachten, wie die neuere Kunst, verglichen mit der alten, vom Unsinn und der Geschmacklosigkeit ausgeht, und das bunte, absurde Zeug sich nach und nach zu einer Richtung abklärt, die als völlig verschiedener Typus neben den Meisterwerken der Alten würdig und gewissermaßen selbständig bestehen kann. So ist's in der Baukunst, in der Malerei; am deutlichsten in der Musik, wo die ersten Versuche vom Unisono abzugehen und Intervalle sich gleichzeitig begleiten zu lassen, mehr dem Geheul wilder Tiere, als menschlichen Bestrebungen gleichen, und doch hat sich daraus der Kontrapunkt entwickelt und damit eine neue Kunst, ein neu entdeckter geistiger Weltteil, von dem die Alten keine Vorstellung hatten.

*

The laws of Candy. Unsinn und Talent, Wahrheit in der Ausführung und Karikatur in der Anlage so gemischt, als in den meisten Stücken der Verfasser. Das ganze Streben geht immer davon aus, neue und starke Situationen herbeizuführen, die Art, wie, ist gleichgültig. Der alte Cassilane im Verlauf des Stückes vortrefflich. Anfangs und zum Schluß verrückt und willkürlich. Wie absurd die allseitigen Anklagen über Undankbarkeit im fünften Akt sein mögen, doch das Auftreten der sanften Annophel und ihre Anklage des Senats vortrefflich, sowie das Abtreten des letztern und die Ueberlassung des Richteramtes an den sanften und reinen Philander. Erota närrisch und das Vernünftigste, was sie im ganzen Stücke thut, daß sie nämlich ihren mit Unrecht verschmähten Liebhaber zuletzt heiratet, stört doch an dieser Stelle die Wirkung des Ganzen. Die Scene, wo Philander für Erota um Antinous' Liebe wirbt, an sich wunderschön, aber daß er sich dazu entschließen kann, eigentlich albern. Ueberhaupt geht die Anlage aller dieser Stücke nur vom Verstande (der Unverstand, als die Negation, gehört ja auch in das Gebiet der Affirmation) und von der Phantasie aus, die Empfindung ist nirgends thätig als in der Ausführung des Einzelnen, wo sie aber oft genug glänzend und wahr hervortritt. Ein rohes und neuigkeitlustiges Publikum mußte wohl indirekt diesen Ton hervorbringen.


(1840.)

The faithful shepherdess. Die englischen Kritiker mögen noch so sehr preisen, es bleibt doch ein langweiliges Stück, wenn auch mit hübschen Versen und glücklichen Stellen. Offenbar dem Sommernachtstraum nachgebildet, aber tief unter ihm, sollte dieser auch nicht ganz so vortrefflich sein, als wieder die deutschen Kunstrichter glauben. Das Bestreben, die Eintönigkeit der schäferlichen Welt durch verschiedene Haltung der Charaktere zu heben, recht löblich, aber teils fallen mehrere der Charaktere wieder so ziemlich in eins zusammen, oder nähern sich wenigstens mehr als billig, teils ist von dem Absurden in Gesinnungen und Begebenheiten ein gar zu freigebiger Gebrauch gemacht. Diese ewigen Verwundungen und Heilungen, wenn man auch die Personenverwechslung zugeben will, machen sich doch zu albern. Uebrigens die Haltung der Clorin als Hintergrund des Ganzen (bis sie gegen Ende das Gleichgewicht verliert) recht gut. Mir ist der pastor fido nicht gegenwärtig genug, um zu wissen, wie weit er ihn etwa benützt.

*

The mad lover. Sollte lieber The mad author heißen. Das ist der größte Unsinn, den je eines Menschen Feder niedergeschrieben hat. Die Grundlage von Memnons Charakter gut, bis auf seinen Wahnsinn, der vielmehr ein Unsinn ist. Das Schlachtlied im vierten Akt übervortrefflich. So auch das Gebet an Venus gut. Das Ganze aber rein toll. Und doch sagt die Vorrede, daß es ein Lieblingsstück des Publikums im 17. Jahrhundert war.


(1842.)

Der Pilgrim ist gewiß eins der schlechtesten Stücke von Beaumont und Fletcher, Wie vortrefflich aber die Scenen im Irrenhause; wie meisterhaft, wenn Alphonso als Narr zurückgehalten, an sich selbst zu zweifeln und die Möglichkeit zu begreifen beginnt, daß er, der eben in der heftigsten Aufregung war, wirklich verrückt sein könnte.


Swift.

(1822.)

Etwas rein Witzigeres als die Vorrede Swifts zu seinem Märchen von der Tonne ist wohl noch nicht geschrieben worden.

*

Der Anthropomorphismus der Phantasie zeigt sich unter andern auch beim Lesen von Gullivers Reisen, da wo er im Riesenlande sich befindet. Um sich die Eingebornen nur nicht über alles Maß ungeheuer denken zu müssen, stellt man sich Gullivern, von dem wir doch wissen, daß er in unserer Größe war, als einen fingerlangen Däumling vor.

*

Wie kommt's, daß beim Betrachten des Kupfers zu diesem Teil der Reise ich mir die umherstehenden Brobdingnager als Menschen von gewöhnlicher Größe denke, Gulliver aber als einen Zwerg; statt diesen für einen Menschen von gewöhnlicher Statur und jene für Riesen, wie sie es doch wirklich sind.

(Vielleicht weil wir gewohnt sind, Zwerge zu sehen [die Kinder], Riesen aber nicht.)

*

Unter die Vorzüge von Gullivers Reise, und was dessen Wert in künstlerischer Hinsicht über den des Märchens von der Tonne erhebt, gehört auch, daß die Allegorie darin nicht immer gerade den gemeinten Gegenstand haargenau deckt, sondern manchmal etwas weiter, manchmal wieder enger ist, überhaupt nicht immer gerade bei der Stange bleibt und wohl auch bis zum freien Scherz geht. Dieses gibt dem Ganzen, wenigstens in der ersten Hälfte, nebst dem Angenehmen der satirischen Beziehung, zugleich eine selbständige Lebendigkeit, die sehr wohlthuend ist. Für mich gibt es nicht leicht etwas Marternderes, als eine lang fortgesponnene strengbeobachtete Allegorie, wo man das, was man vor sich hat, immer erst vernichten muß, um überhaupt etwas zu haben. Wie gefährlich ist überhaupt alle Allegorie in der Kunst! Wie unrecht thun die Deutschen der neuesten Zeit, sich ihr so zuzuwenden!


(1839.)

Der Vorzug von Swifts politischen Schriften nicht immer eine scharfe Logik. Witz und Leidenschaft vertreten nur zu oft ihre Stelle. Die Beweise ad hominem stark vor allem.


(1840.)

Hated by fools, and fools to hate,
Be that my motto and my fate.

Swift to doctor Delany Vol. 14, p 433.

Swift, so wenig Dichter er in seinen schwunghaften Versen ist, so sehr ist er es in den satyrischen. Nicht sowohl des schlagenden Witzes wegen, denn der gehört doch mehr der Prosa an, aber wegen des Lebendigen, besonders aber der Bildlichkeit seiner Darstellung. Alles gewinnt Körper unter seiner Hand und man kann wohl sagen, daß bei keinem Schriftsteller wie bei ihm die zersetzenden und konstruktiven Fähigkeiten des Geistes so Hand in Hand gegangen sind. Man kann in gleichem Maße dasselbe kaum von Aristophanes sagen, denn einen gewissen Grad von Objektivität findet der dramatische Dichter schon in der Form seiner Kunst; er setzt Gestalten voraus, die der Lyriker erst schaffen muß, und dann ist die Erfindung und Abrundung der Fabel eben nicht die größte Stärke des Atheners. Wodurch übrigens seinen sonstigen Eigenschaften nicht das geringste benommen sein soll.

*

If honour I would here define
It answers faith in things devine.

Swift to Stella XIV, 510.

Wenige sind in der Entwicklung nicht nur der Begriffe, sondern auch der Empfindungen so glücklich als Swift und wenige haben dieselbe Leichtigkeit, das scharf Bestimmte so prägnant in Versen auszudrücken.

Namentlich ist jenes Gedicht ein Meisterstück in Gedanken, Empfindung und Ausdruck.


(1840.)

Ob die Herausgeber von Swifts Werken recht gethan haben, jene schmutzigen Rätsel mit aufzunehmen, deren Verfertigung dem nahe an sechzig Jahre alt gewordenen Dechant von St. Patrick Vergnügen machte? Ich glaube, ja. Denn so unendlich weh sie mir gethan haben, so steckt zugleich eine große Lehre darin. Wohin man nämlich mit den höchsten Geistesgaben gelangt, wenn die Herzensbegeisterung fehlt. Aber weh hat's mir gethan, denn ich war wirklich auf dem Wege, Swift, trotz mancher Gebrechen, eigentlich zu verehren.


(1856.)

Für den Wert des Menschen (Weibes?) ist die Güte des Charakters allerdings das Höchste, aber für das Zusammenleben, namentlich das nähere und nächste, ist Humor und Temperament beinahe noch wichtiger. Eine ähnliche Betrachtung mag bei Swift obgewaltet haben, wenn er von Stella sagt:

Your virtues all suspended wait
Till reason hath open'd reason's gate.

Ich habe jetzt das Gedicht nachgelesen, aus dem Walter Scott in seiner Biographie Swifts jene anderthalb Verse citiert, und ich habe ganz recht geraten. Die übergroße Lebhaftigkeit, die Reizbarkeit zum Zorn, die Hartnäckigkeit im Behaupten war es, was Swiftn, trotz aller vortrefflichen Eigenschaften Stellas, das Zusammenleben mit ihr unmöglich machte. Und doch war sie schon 36 Jahre alt, als er jenes Gedicht schrieb, so daß man wohl glauben kann, daß die Thore der Besonnenheit ihr für immer verschlossen blieben. Auch die irgend sonst wo vorkommende Beschreibung ihrer Gestalt: ihr schwarzes Haar, die strahlenden dunkeln Augen, die Bewahrung der Wohlgestalt über die gewöhnliche Zeit hinaus, stimmen sehr mit einem andern Bilde überein, das leider dieselben Fehler bei gleichen Vortrefflichkeiten besitzt.

Was sein allerdings nicht zu rechtfertigendes Verhältnis zu Stella und Vanessa betrifft, so kam er mit beiden zuerst als Lehrer in Berührung und er ist wahrscheinlich sehr überrascht gewesen, sein inniges Wohlgefallen durch geschlechtliche Leidenschaft erwidert zu sehen. Sein Benehmen gegen beide entsprang aus dem Hinausschieben, der Schoßsünde derjenigen, welche Ruhe suchen und für wichtigere Zwecke brauchen.


(1856.)

Bei Swift ist, soviel ich mich erinnere, eine einzige Stelle, aus der man sieht, daß er Shakespeare gekannt hat. in Cassinus and Peter die Worte aus Macbeth: Avaunt! ye cannot say 'tis I.

NB. Es sind noch mehrere Stellen, obwohl Walter Scott behauptet, es gäbe keinen einzigen Fall.


(1856.)

Fifteen of our society dined together under a canopy in an arbour at Parson's Green last Thursday, I never saw any thing so fine and romantic.

Swift's Journal to Stella, lett. 47.

Ich war erstaunt über den Gebrauch des Wortes romantisch, genau in unserem Sinne. Kommt es in jener oder in früherer Zeit auch sonst vor? Etwa bei Shakespeare? Ich erinnere mich nicht. Bei dieser Gelegenheit: Walter Scott versichert, Swift erwähne Shakespeares nie. Ich habe wenigstens vier oder fünf Anführungen aus dessen Trauerspielen gefunden, worunter besonders eine aus Heinrich VIII., die man nur mit dem Buche an der Hand machen konnte, da es eben keine hervorragende Stelle ist.


(1869.)

Es ist merkwürdig, daß Swifts polite conversation sich beinahe in nichts unterscheidet von dem Dialog in Shakespeares Lustspielen, so daß zweihundert Jahre nichts beigetragen haben zur Milderung der Roheit in England.


Lord Byron.

(1822.)

Was Goethe (Leben 2,104) von Wieland sagt, kann in weiterm Verstande auch wohl für Byron gelten. Man verzieh dem Autor, wenn er das, was man für wahr und ehrwürdig hielt, mit Spott verfolgte, um so eher, als er dadurch zu erkennen gab, daß es ihm selbst immerfort zu schaffen mache.


(1834.)

Lord Byron ist nicht der erste, der Kain in metaphysischen Zweifeln befangen sein läßt. Bayle führt Schriftsteller an, welche Meinungsverschiedenheiten über die göttliche Gnade, Belohnung und Strafe nach dem Tode den Anlaß zu jenen Zwistigkeiten zwischen den beiden Brüdern sein lassen, die so tragisch mit dem Tode Abels endigen.


(1838.)

Unter die merkwürdigsten Erscheinungen gehört die verhältnismäßig geringe Achtung Lord Byrons für Shakespeare: des zweitgrößten englischen Dichters für den ersten, Tieck oder ähnliche Fasler werden sich leicht mit der Annahme zufriedenstellen, daß der mindere Geist eben den höhern nicht begriffen habe. Da genannte Fasler nun aber selbst Shakespearen zu verstehen behaupten und Lord Byron ihnen in jeder geistigen Befähigung himmelweit überlegen war, so muß doch ein anderer Grund dieser Nichtbeachtung aufgesucht werden.

Es ist auch ein anderer Grund. Er liegt teils in der Geistesselbständigkeit, teils in der völlig modernen Richtung Lord Byrons. Jene Selbständigkeit machte, daß alle seine Ueberzeugungen genau aneinander hingen und nichts in seinem Innern Platz hatte, was nicht aus ihm selbst hervorgegangen war. Er kannte als Engländer die Alten und schätzte sie hoch, schon um der ersten Jugendeindrücke willen, dann weil nur ein Tier sie nicht hochschätzen kann. Man hat aber alle Ursache zu glauben, daß er sie auf dieselbe allgemein menschliche Weise sich aneignete und zurechtlegte, wie die großen Geister der französischen Schule gethan hatten und die praktischen Köpfe der englischen Öffentlichkeit noch gegenwärtig thun. Seine Verehrung für Pope scheint darauf hinzudeuten, daß er gegen die Art, wie dieser Geschmacksmann mit Homer umgegangen war, nicht viel einzuwenden hatte. Indes wir Deutsche an den Alten vorzüglich das beachten, wodurch sie sich von uns unterscheiden, was kulturhistorisch gewiß das Richtigere ist, heben andere Nationen an ihnen das heraus, was sie mit uns gemein haben, wodurch sie zu praktischen Mustern werden und in die fortschreitende Bildung eingreifen, indes sie bei uns gewissermaßen zu Hemmnissen geworden sind und nur in der isolierten Betrachtung, aber freilich um so herrlicher dastehen. Niemand, seit die Welt steht, allenfalls mit Ausnahme Shakespeares, ist weniger Pedant gewesen, als Lord Byron, und das führt auf seine zweite Eigenschaft: seine durch und durch moderne Richtung.

Letzteres kommt aber daher, daß Lord Byron eigentlicher Empfindungsdichter ist, nicht zu verwechseln mit Gefühlsdichter. Denn Gefühl und Empfindung sind verschieden. Das Gefühl ist sympathisch, die Empfindung monopathisch. Ersteres bezieht alles auf den Gegenstand und liebt oder verabscheut, letzteres auf das eigene Selbst und billigt oder mißbilligt. Das Gefühl ist zunächst mit dem Begehrungsvermögen verwandt, die Empfindung mit dem Erkenntnisvermögen. Das erstere wirkt unbewußt, das zweite unterscheidet die Momente des Eindrucks. Sie verhalten sich zu einander wie der unartikulierte Aufschrei und die artikulierte Rede. Das Gefühl gehört dem Dichter als Menschen, das zweite ihm als Dichter.


Moore, Wanderungen eines Irländers zur Entdeckung einer Religion.London 1833.

(1834.)

Wenn die Kirchenväter der ersten Zeit sich über die wichtigsten katholischen Glaubenslehren nur unbestimmt und dunkel äußern, so schreibt Moore es der diciplina arcani oder dem Grundsatze der Verheimlichung der Lehre vor den Feinden und Spöttern zu. Auf diese Art ist die Verteidigung des Symbolums freilich leicht.

Die Einkleidung, die Moore gewählt hat, recht glücklich, daß nicht ein eifriger Katholik seinen Glauben verteidigt, sondern einer, der Gründe zum Abfall sucht, zur Rückkehr bewogen wird.

Das Dasein jener disciplina arcani übrigens durch jene Stelle aus Cyrillus p. 59 allerdings erwiesen. Wir erklären den Heiden nicht u. s. w. Obschon, warum schrieben sie denn überhaupt theologische Bücher, wenn so wichtige Glaubenssätze als: daß Jesus Christus Gottes Sohn sei, aus Bedenklichkeit verschwiegen wurden?

Freilich beweist er, daß die katholische Lehre vom Abendmahle wirklich die (wenn auch nicht Christi und seiner Apostel) doch jene der ersten Kirche gewesen sei. Zugleich geht aber die Abscheulichkeit daraus hervor, daß diese Ansicht eine echt menschenfresserische, daß es die war: Christi wirklicher Leib werde, Mensch von Menschen wirklich gegessen. Darum thaten jene Christen damit so geheim und nannten es ein: schreckliches Geheimnis.

Man könnte eine Braut von Korinth schreiben und die Handlung in diese Zeit verlegen. Vater und Bräutigam Heiden, sie Christin. Sie schweigselig, wie die Katechumenen damals waren. Sie leidet als Christin den Tod und erscheint dem Bräutigam in der Schlafkammer und führt ihn, der sie für lebend hält, in die Versammlung der Christen, wo er ihren Gebräuchen beiwohnt und sich selbst von der Irrigkeit seiner Meinungen über sie überzeugt. Da kommt jemand, anzuzeigen, daß jene heimliche Christin, des Jünglings Braut, ermordet gefunden morden sei. In demselben Augenblicke verschwindet das Mädchen an seiner Seite. Wie sie dann tot liegend gefunden wird.

*

Die disciplina arcani über die Eucharistie und die Dreieinigkeit. Aus Furcht vor Bestrafung durch die Menschen, wie Tertullianus sagt.

*

Im vierten Jahrhundert, durch Konstantins Toleranzedikt ermuntert und bald darauf durch den entstehenden Arianismus genötigt, wird die disciplina arcani hinsichtlich der Dreieinigkeit allmählich aufgehoben.

S. 104 die Lehre vom alleinseligmachenden Glauben ziemlich deutlich gepredigt.

*

Die Art, wie er S. 109 von Luther spricht, eigentlich mönchisch-miserabel; ebenso S. 122, wo er mit Simon Magius zusammgestellt wird.

Sollten denn diese »Wanderungen« wirklich von dem Verfasser der Lallah Rookh, von einem Freunde Byrons sein? Die Anlage ist ingenios. Das Buch interessant, aber (wenn es von Moore ist) wie phantasielos jener Traum, in dem er sich in die ersten Zeiten der Kirche versetzt sieht; wie gemein zelotisch sein Eifer! wie reizlos jene Parodie von dem homerischen χαιρ' Ἰϑακη.

Meinung der Gnostiker, daß der Gott des Neuen Testamentes ein von jenen des Alten ganz verschiedenes Wesen sei.

Die Emanationen, Aeonen.

Der Gott, der Christus gesendet, ein wohlwollendes weises Wesen, Jehovah oder Demiurgos aber ein unwissender, ungerechter, rachsüchtiger, inkonsequenter Gott.

Ebenso nahmen sie zwei Messias an, den von den Juden erwarteten und Christus. Ihr Haß gegen alles Jüdische. Die Ophiten, die glaubten, daß vor Christus alle Leidenden Opfer eines ungerechten Gottes gewesen seien, weshalb sie besonders Kain verehrten, vor allem aber die Schlange, die den Menschen die Täuschung des grausamen Judengottes verraten habe. So auch Judas hochgehalten, der die Heilsamkeit von dem Opfertode Christi eingesehen.

Der zweite Teil, die neuere Zeit umfassend, äußerst abgeschmackt und langweilig.


Walter Scott.

(1841?)

Walter Scotts Poesie eine Wahrnehmungspoesie, im Gegensatz der Anschauungspoesie.

*

Man ist so weit gegangen, Walter Scott mit Shakespeare zu vergleichen, ja wohl gar zusammenzustellen. Etwas Verrückteres läßt sich wohl nicht leicht denken! Gerade das, worin man sie verwandt finden will: die Charakteristik, begründet die ungeheuerste Verschiedenheit. Alle Charaktere Shakespeares haben das bestimmteste Leben; durch eine geniale Anschauungsgabe, einen Blick in die innerste Werkstätte der menschlichen Natur aufgefaßt, entwickeln sie sich mit einem eigentümlichen Organismus, sie sind da; selbst ihre scheinbaren Widersprüche gleichen sie durch die siegende Beweiskraft der Existenz aus. Shakespeare gab seinen Personen keine Charaktere, sie stellten sich ihm schon mit einem vollständigen Charakter begabt vor. Scott macht Charaktere: manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Geschick; immer will er vorher, eh er schafft, und seine gelungensten Züge können die Absicht nie verleugnen. Er ist ein scharfer Beobachter; was er beobachtet hat, weiß er lebhaft und gewandt hinzustellen, aber jede seiner Personen ist, genau betrachtet, eine Mehrheit von Zügen, die erst ein ordnender Verstand zur Einheit gebracht hat, indes bei Shakespeare alles aus der Einheit der innern Anschauung hervorgeht, und aus dieser erst die Mannigfaltigkeit der oft scheinbar widersprechenden Eigentümlichkeiten hervorgeht. Was man durch Welt- und Menschenkenntnis, durch Studium der Geschichte und Psychologie, durch Beobachtungsgeist und Scharfsinn erlangen kann, hat Scott alles, und er sei gepriesen um deswillen! Aber der eigentliche Mittelpunkt, das unerklärte Lebensprinzip fehlt seinen Figuren, und er kann von dieser Seite keineswegs auf eine hohe Stufe Anspruch machen. Seine Personen scheinen daher auch nur bestimmte Charaktere zu haben, so lange er sie beschreibt, so lange sie in Ruhe sind, so lange von ihnen gesprochen wird; sobald sie handeln, schüttert der zusammengetragene Bau, und sie beurkunden immer mehr und mehr ihren Ursprung: den Begriff.

Was die Anordnung der Fabel betrifft, so sind mir die Details darüber nicht so gegenwärtig, da ich leicht vergesse, was ich ohne besondern Anteil lese. Meistens scheinen aber die Begebenheiten interessant zu sein (wobei freilich nicht entschieden wird, ob sie diesen Vorzug der Erfindungskraft des Verfassers oder der Treue des Chronisten verdanken, aus dem sie genommen sind). Die Verknüpfung derselben ermangelt selten der Konsequenz.

In Bezug auf die Darstellung ist zwischen der Schönheit der Form und der Lebendigkeit und Wirksamkeit zu unterscheiden. Erstere hat vielleicht noch kein Dichter, der zu einem Namen gelangte, so sehr vernachlässigt, als der Verfasser der Romane, die unter Scotts Namen gehen. Eine breitere, wortreichere Prosa kann kaum in einer juristischen Deduktion vorkommen, und jedes Streben nach Schönheit ist so ganz daraus verbannt, daß wohl noch niemanden die Lust angekommen ist, wie einem doch sonst begegnet, eine oder die andere Stelle zum zweitenmale zu lesen. Wenn Scott wirklich der Verfasser dieser Romane ist, was ich jedoch sehr bezweifle, so ist diese Verflößung der Form das Sonderbarste, was einem so geübten Versifikateur begegnen kann. Diese Einleitungen! Diese ersten Bände! Oft trägt diese mit Umständlichkeit verbundene Breite zwar allerdings zur Bildlichkeit des Dargestellten bei, öfter aber noch ermüdet sie bis zum Ueberdruß.

Die Wahrheit der Darstellung nun ist beinahe durchgehends sehr groß, und hierin liegt eigentlich das Hauptverdienst des Verfassers und der Hauptgrund seiner Wirkung auf das Publikum. Seine Schilderungen aller Art sind unübertrefflich. Wo die Erzählung in das Dramatische streift oder der Ausbruch der Leidenschaft das Lyrische erfordert, ist die Schwäche des Autors. Man kann kühn von ihm als Dichter behaupten, daß er weder im eigentlichen Epos noch im Drama oder in der höhern Lyrik etwas Bedeutendes zu leisten vermöge. Er ist auf die Erzählung beschränkt; braucht es mehr, um ihn von jeder eigentlich höhern Rangstufe auszuschließen?

Der Hauptmangel endlich ist der Abgang des Gewahrwerdens eines über dem Ganzen schwebenden, erhabenen, überlegenen Geistes. Wenn Homer in seinem Stoff gleichsam unterzugehen, mit ihm eins zu sein scheint, so ist der Stoff danach, und alles, was die Erde Hohes und Großes kennt, findet darin einen Raum. Wenn aber ein Stoff, wie der des Ivanhoe oder Waverley, und der Geist eines Verfassers sich so vollkommen decken, so entsteht für letztern unmöglich die Vermutung einer besondern Ausgebreitetheit.

Das Obengesagte gilt eigentlich wohl nur zum Teil von Walter Scott. In einigen seiner bessern Werke, seiner besten Charaktere ist wirkliche Anschauung. Das gilt besonders von seinen zum Teil öfters wiederkehrenden Lieblingspersonen; der Raum aber neben diesen ist selbst in seinen vorzüglicheren Hervorbringungen mit solchen Begriffswesen ausgefüllt, die er sich leicht ersparen könnte, wenn er unbedeutend ließe, was unbedeutend ist, und sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, durchaus einmal charakteristisch sein zu wollen.


(1838.)

Als Walter Scott gefragt wurde, warum er die Poesie aufgegeben habe? sagte er: Weil Lord Byron mich aus dem Sattel hob, mich übertraf in Beschreibung starker Leidenschaften und in tiefer Kenntnis des menschlichen Herzens.

Lord Byron betrachtete er als den einzigen Dichter von ausgezeichneten Gaben, den England seit Dryden gehabt und der dabei mehr liebenswerte Eigenschaften besessen, als die Welt im allgemeinen glaube.


Simple story. Der Roman ist dramatisch bis zum fehlerhaften, d. h. er erzählt die Handlungen der Personen und verbirgt ihre Gesinnungen, so daß die erstern oft unerklärlich und wunderlich scheinen. Im Drama hilft der Schauspieler nach und sein Aeußeres erklärt, was seine Worte verschweigen. Die Ohrfeige, dreizehntes Kapitel, doch etwas gar zu englisch; bald darauf he fell upon his knees before her. Auf die Kniee fallen? Hinknien wäre schon mehr als genug.

Sonst ein vortrefflicher Roman, soweit ich ihn gelesen habe. – Der zweite Teil so schlecht als das daraus gemachte Raupachsche Stück.»Vormund und Mündel« im Burgtheater zuerst gespielt 3. Nov. 1827 und »Vater und Tochter« 18. Sept. 1828.


Prescott

(1856.)

Ein großer Vorzug von Prescott ist, daß bei ihm der freie Amerikaner nie mitschreibt. Er ist als Schriftsteller ohne Nationalität. Der ihm gleichstehende, ja in vieler Hinsicht überlegene Macaulay dagegen wird den protestantischen Engländer nie los.


(1838.)

In einem englischen kritischen Blatte kommt der Ausdruck vor: Ein englisches Kind ist männlicher als ein deutscher Mann. Es liegt litterarisch eine große Wahrheit in diesem Ausspruche.

 


 


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