Franz Grillparzer
Studien zur Litteratur
Franz Grillparzer

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2. Studien zur griechischen Litteratur.

Homer.

(1822.)

Die Sinnesart einer viel späteren Zeit zeigt sich in der Odyssee, verglichen mit der Ilias, vornehmlich auch darin, daß in der erstern die Götter weder so häufig, noch auch so positiv, so entschieden, persönlich Anteil an den Begebenheiten der Menschen nehmen. Sie sind noch immer die obersten Berater, aber ihr Erscheinen fängt schon an halb ins Symbolische, Allegorische hinüberzuneigen.

*

Ist in der Iliade ein Beispiel, daß eine Gottheit in einer andern als einer menschlichen oder übermenschlichen, mit einem Worte: daß eine Gottheit in einer Tiergestalt erschiene oder verschwände? wie in der Odyssee Athene als Adler entfliegt. Einmal wie ein Vogel durchs Kamin. Letzteres in der Iliade gar nicht denkbar.


(1835.)

Die Vergleichung der Ankunft des Hektor und Paris bei den fechtenden Troern mit dem Fahrwinde, den ein Gott den Schiffern sendet, nachdem sie lange mit Rudern gearbeitet haben (Anfang des VII. Buches) leicht eine der schönsten in der Iliade.


(1843.)

An den mittlern Gesängen der Iliade, den Gefechten beim Schiffslager, macht sich allerdings eine Aenderung des Tones bemerklich. Der Dichter tritt nämlich öfter in eigener Person auf, teils indem er die Musen anruft, teils die Helden selbst in der zweiten Person anredet, statt sie in der ersten einfach sprechen zu lassen. Abgerechnet das Ermüdende der, wenngleich trefflich gehaltenen, doch ewig ausgesponnenen Schlachtenbeschreibung. – Auch das Selbstlob der Streiter nach jeder gelungenen That. Die Gleichnisse weniger schlagend und sich häufig wiederholend. Ob da nichts von fremder Hand eingeschoben, wäre freilich die Frage.


(1855.)

In der Iliade Κ, 498 wird Ulysses ὁ τλήμων Ὀδύσσευς genannt, eine Vorausnahme der künftigen Schicksale desselben. Sollte nicht die Odyssee früher gedichtet sein als die Ilias. Sie hat etwas Jugendlicheres, Romantischeres, indes in der Ilias der Dichter gereift und hart gesotten ist, wie der zürnende Dante.


Pindar.

(1821.)

Pindar spricht einmal (8. Nemeische) von »einer Verwundung in den warmen Leib«. Wie lebendig! Wie wirksam! – Wenn man sich das kalte Eisen dazu denkt. –


(1838.)

Dieser sechste olympische Gesang muß dem heutigen Leser notwendig geschraubt und halb unverständlich erscheinen. Man darf aber nicht vergessen, daß alle diese Lokal- und Personalanspielungen, die jetzt das Verständnis erschweren, damals jedermann, wenigstens allen Zuhörern völlig geläufig waren.


Briefe litterarischen und artistischen Inhalts.

1. Brief.
Ueber die Bedeutung des Chors in der Tragödie.

(1817.)

Diejenigen, die sich die Mühe genommen haben, die Sprachen der Alten zu lernen und ihre Werke zu studieren, suchen sich für ihre Anstrengungen gewöhnlich dadurch zu entschädigen, daß sie ewig von ungeheuren Reichtümern, von unermeßlichen Schätzen sprechen, die da verborgen lägen und die sie gefunden: ja jeder Kiesel, der in der alten Welt, so gut als in der neuen, am Wege liegt, ist ihnen ein Edelstein, den wir Uneingeweihte nur aus Mangel des höhern Gesichtssinnes nicht dafür erkennen.

Wenn wir in unsern Tagen so häufig den Zufall das Ruder führen, beabsichtigte Zwecke vereitelt und absichtslos Angefangenes zum glücklichsten Ende kommen sehen, wenn die Besten unter uns so häufig das Gewohnte thun, eben nur weil es gewohnt ist: so soll dafür bei den Alten alles Zweck, alles Absicht, alles Plan gewesen sein, ohne daß sie den Zoll der Menschlichkeit auch nur ein einziges Mal entrichtet hätten.

So geht es in allen Fächern, vor allem aber bei den Erklärern der alten Tragödie. Niemand kann mehr Ehrfurcht vor der letztern haben als ich, ich halte das, was davon auf uns gekommen, für das Herrlichste, was die Poesie bis jetzt geleistet, aber um so mehr lüstet's mich, dasjenige ein wenig durchzugehen, was die blinden Verehrer davon gesagt haben, die, als wahre Götzendiener, bald diese, bald jene Kraft als Schöpfer und Erhalter jener Welt preisen, unbekannt mit dem Geiste, der allschaffend, allerhaltend über dem Ganzen schwebt.

Zuerst also zu den beiden großen Hebeln der alten Tragödie: dem Chor und dem Fatum, oder vielmehr gegenwärtig nur zu dem ersteren.

Die Frage also ist: Welche ist die eigentliche Bedeutung des Chors in der alten Tragödie?

Ehe wir weiter gehen, erlaube man mir auch eine andere Frage: Warum hat wohl der Künstler auf jenem antiken Onyx den Helm des Alexanderkopfes braun gebildet, indes doch alles übrige weiß ist?

»Warum? Finden Sie es nicht recht artig? Was konnte wohl auf der Gemme schicklicher braun gefärbt erscheinen, als eben der Helm?« – Ganz recht, aber durchaus weiß gefiele mir der Kopf noch besser. – »Sie vergessen, daß der Künstler den Stein nicht selbst gebildet hat. Der braune Fleck war einmal darauf, und dem Künstler blieb nichts übrig, als ihn so geschickt als möglich zu benutzen. Aber wozu das alles?« – Wozu? Wie, wenn nun der Chor eben auch so ein Fleck (gerade kein garstiger) in dem Stoffe gewesen wäre, den der alte Tragödiendichter zu bearbeiten bekam, ein unvertilgbarer, notwendiger Fleck? Würde da die Frage: Was sollen die Flecken in derlei geschnittenen Steinen? nicht in die andere sich auflösen: Wie haben die alten Künstler die bereits vorhandenen absichtslosen Flecken zur Erreichung ihrer Absicht zu nützen gewußt?

Mit einem Worte: der Chor war da, ehe eine Tragödie war, und keinem der Dichter aus der ältern Zeit stand es frei, sich seiner zu bedienen oder nicht. Er war ein feststehender, von seinem Willen unabhängiger Teil seines Vorwurfes. Ein Teil, der schon vor der Tragödie bestand, zu dem diese nur zufällig hinzukam, und in dem an sich eine dramatische Bedeutenheit zu suchen offenbarer Unsinn wäre . . .

Der Chor war allerdings ein wesentliches Stück der alten Tragödie, aber nur in theatralischer, nicht auch in dramatischer Hinsicht.

Geschichte der dramatischen Kunst. Religiöser Charakter der ersten Darstellungen. Religiöse Tendenz des Chors in allen uns bekannten Tragödien. Die Eusebie der Griechen verbot die Abschaffung, wenn die Dichter sie wirklich gewollt hätten. Notwendigkeit der Beibehaltung. Die alten Dichter hätten wahrscheinlich manches Freie im Dialog nicht sagen dürfen, wenn nicht die frommen Gesänge des Chors gezeigt hätten, wie wenig der Dichter an den Gesinnungen seiner Helden teilnehme.

Allbekannte Nachteile des Chors. Seine fortwährende Gegenwart ist in Bezug auf Geheimnisse meist lästig. Sein Verhalten gehört unter die theatralischen Suppositionen, deren auch wir haben, z. B. unser: beiseite, unsere Darstellung der Nacht, wo sich die Personen auf dem Theater untereinander nicht sehen, wir aber doch sie. Das Unnatürliche in der Art seiner Ausführung, daß er nämlich in der Orchestra blieb, und nur sein Anführer von einer, mit der Bühne in keiner Verbindung stehenden Erhöhung das Gespräch unterhielt. So unnatürlich das scheint, so war man doch dessen gewohnt, und es gehörte einmal zu den Theaterkonvenienzen, die sich jedermann auch bei uns gefallen läßt. Diese Sonderung des Chors von den Mitspielenden mag übrigens aber erst in späteren Zeiten, seit Sophokles etwa, stattgefunden haben, bei den meisten Stücken des Aeschylos war sie unmöglich, da der Chor bei ihm manchmal unter die Mitspielenden gehört. Z. B. in den Danaiden. Die Eumeniden sind offenbar in der ersten Hälfte des Stückes auf dem Theater. In den Sieben vor Theben wäre das Theater fast immer leer, wenn es nicht der Chor erfüllt hätte. In der Folge, als man die Außerwesentlichkeit des Chors immer mehr einsah und dem Volke etwas mehr bieten durfte, entfernte man ihn von der eigentlichen Bühne und endlich ganz vom Theater.

Seine Vorzüge:

1. Der Chor gab den Dramen der Alten einen Charakter der Oeffentlichkeit. Ja! vielleicht um desto schlimmer. Ich meinesteiles würde eine Anstalt nicht lieben, die mich zwänge, alle Empfindungen und Situationen, die nicht den Charakter der Oeffentlichkeit vertragen, aufzugeben. Uebrigens vergesse man nicht, daß auch ohne Chor, selbst die Bauart der Theater bei den Griechen und die Mittel ihrer Darstellung, durch die Unmöglichkeit Gemächer darzustellen eine Art von Oeffentlichkeit notwendig mit sich führte.

2. Ob er der idealisierte Zuschauer war? Was heißt das? Er war der idealisierte Zuschauer oder er war ein idealisierter Zuschauer? Beides ist falsch. Ersteres, denn der Chor betrachtete nie die Handlung mit den Augen des unbefangenen Zuschauers im Theater, er hatte ferner neben seinem allgemeinen noch immer einen besondern Charakter, je nachdem er aus Greisen, aus Weibern, aus Gefangenen bestand! Aber er war überhaupt gar kein Zuschauer durch seine Mitverflochtenheit in der Handlung. Denkt man auf die Danaiden, auf die Eumeniden? Ist der Chor in den Persern, im Prometheus, in den Sieben vor Theben Zuschauer? In den späteren Tragödien gewinnt er mehr das Ansehen, weil ihn die Dichter immer mehr und mehr zu entfernen suchten. Mit einem Worte, der Chor war der Zoll, den der tragische Dichter dem Geiste des Volkes brachte, er war aber zugleich der Schild, der sein Werk vor jedem der Anfälle schützte, die in neueren Zeiten den dramatischen Werken zu häufig geworden sind.

3. Ob er eine Scheidemauer gegen die Wirklichkeit war? Ich sehe keinen Grund, warum der Begriff des Chores auch den Begriff des Ideales involvieren soll. Denn das will man doch sagen, wenn man von einer Scheidemauer gegen die Wirklichkeit redet. Es hat nie an geistlosen Nachahmern der Alten gefehlt, die den Chor in ihren Stücken treulich anbrachten, die aber himmelweit von jedem Ideale entfernt sind.

Ein wahrer Vorteil des Chors ist aber vielleicht die strenge Scheidung des dramatischen und lyrischen Elements der tragischen Poesie, welche leider bei den Neuern verwischt sind, bei den Alten aber eben durch den Chor sich gesondert zeigen.Der zweite Brief sollte über das Schicksal handeln; vgl. auch Bd. XV, S. 94 ff.


(1817.)

. . . Und Sophokles hatte nicht allein mit solchen schlechten Dichtern zu streiten, sondern auch mit dem Euripides: welches ich aus einer merkwürdigen Stelle des Pollux (L. IV. c. 26) beweisen kann, wo er sagt, daß der Behelf, dem Chore das in den Mund zu legen, was der Dichter gern dem Zuschauer sagen möchte, sich zwar für den komischen Chor, aber nicht für den tragischen schicke. Lessing, Leben des Sophokles, p. 412. Zu brauchen in dem Brief über die Bedeutung des tragischen Chors.


(1817.)

In den Flehenden des Euripides kommt eine Art Doppelchor vor, bestehend aus den Müttern der Sieben von Theben und ihren Dienerinnen. Erstere gehören wirklich unter die mitspielenden Personen. (Gegen Schlegels Theorie.)


(1817.)

Im Hippolytus des Euripides tritt außer dem gewöhnlichen Chor, der aus Weibern besteht, auch noch, als Gefolg des Hippolytus, ein Chor von Jägern auf. (Zu brauchen in dem Brief über den tragischen Chor.)


(1816.)

Schlegels irrige Vorstellung von der Bedeutung des Chores in der griechischen Tragödie, in dem er nichts, als: den idealisierten Zuschauer sieht (dramatische Kunst 1. Bd. S. 115), wird durch nichts mehr widerlegt, als durch die Danaiden und die Eumeniden des Aeschylos, in welchem erstern Stücke der Chor, die Danaiden nämlich, unter die Hauptpersonen des Stücks gehören, in dem zweiten aber der Chor (die Eumeniden) wenigstens den wesentlichsten Einfluß auf den Gang der Handlung nimmt, und weit von Schlegels ruhiger, idealisierender Beschauung entfernt ist. Ueberhaupt ist mir Schlegels Sucht, überall tiefen Grund und strenge Zweckmäßigkeit zu sehen, wo doch nichts als Zufall waltet, unausstehlich.

Das Generalisieren in Geschmackssachen scheint mir ebenso lächerlich, als es mir widerlich ist. Wenn Schlegel sagt: Aeschylos wollte im Prometheus dies und das schildern, so erhellt sehr deutlich, daß Schlegel gar nicht weiß, was produktives Genie und dessen Walten für ein Ding ist. Aeschylos wollte im Prometheus den Prometheus schildern und weiter nichts. Kein Dichter in der Welt ist wohl je bei Schöpfung eines Meisterwerkes von einer allgemeinen Idee ausgegangen. Das kommt von der beliebten Einmischung der Philosophie in die Kunst. Mir kömmt ein solches Assert ebenso vor, als ob jemand glaubte, der Natur lägen wirklich die anziehende und abstoßende Kraft zu Grunde. Die Körper sind schwer, sie fallen, sie verbinden sich, sie werden bewegt, aber von einem allgemeinen ist da nirgends eine Rede, als im Geiste des Beobachters. Weh dem Menschen, der von selbst oder durch Anleitung auf solches Generalisieren verfällt! Als Philosoph mag er vielleicht etwas leisten, zum Dichter ist er verdorben ewiglich.


(1840.)

Daß in den Tragödien der Alten der Dialog nicht gesungen oder musikalisch deklamiert, sondern gesprochen wurde, darauf deutet doch offenbar jene Stelle in der Poetik des Aristoteles III, 7.


(1816.)

Die Griechen waren weit entfernt, mit der Idee von Fatum einen bestimmten abgeschlossenen Begriff zu verbinden. Die verschiedene Art, in welcher das Fatum in der griechischen Tragödie erscheint, liefert hierzu den sprechendsten Beweis. Es war ihnen wohl nichts, als der unerklärte Grund (das unbekannte Absolute), das allen Veränderungen, allem Wollen, Handeln, wohl auch Sein, zu Grunde liegt. Daher kommt es in ihren Tragödien bald als unausweichliche Notwendigkeit, bald als schadenfrohe Opposition, bald als rächende Nemesis vor und es kann deshalb auch, abgesehen von der Form des Christentums, allerdings noch in der neueren Tragödie gebraucht werden. Was Schlegel davon sagt, ist, aufs gelindeste, einseitig.

Die Idee der Vorsehung an die Stelle des Fatums als Prinzip der romantischen Tragödie einzuführen, wie jene das der antiken gewesen sein soll, ist Unsinn. Wenn einmal die Idee der Vorsehung den höchsten Grad ihrer möglichen Intension erreicht hat und durchaus praktisch geworden ist, hört überhaupt die Möglichkeit eines Trauerspiels auf. Denn aus diesem Gesichtspunkte ist der Schmerz und der Tod kein Uebel mehr und jede mit der Vorsehung in Kampf stehende Leidenschaft ist verbrecherisch und hört auf, tragisch zu sein.


(1817.)

In Bezug auf die Idee der Alten vom Schicksal ist interessant der vorletzte Chorgesang in der Alkestis des Euripides, besonders v. 976 und 977.


(1817.)

Gut ist die Erklärung, welche Blümner (Idee des Schicksals in den Tragödien des Aeschylos)Leipzig 1814. von dem bei den Alten so häufig wiederkommenden Widerspruche zwischen der Macht der Olympier und des Fatums gibt, indem er mutmaßt, daß das Fatum nicht in allen Begebenheiten obgewaltet, sondern nur bei gewissen, großen Ereignissen eingegriffen habe. Mir scheint aber noch eine natürlichere Deutung aus der dunkeln Vorstellung, die die Griechen selbst mit ihrem Fatum verbanden, hervorzugehen, da es eigentlich nur ein Supplement der Götter war, und daher unaufhörlich mit diesen zusammenfiel. Es war die unbekannte Größe = x in der Gleichung der moralischen Welt.


(1822.)

Schlegel scheint zu glauben, daß die drei Tragödien (und vielleicht selbst das Satyrspiel), mit denen die griechischen Dichter um den Preis kämpften, immer untereinander im Zusammenhange, ja vielmehr die fortschreitende Ausführung desselben Stoffes sein mußten. Dies widerlegt Aelian variae historiae II, 8, wo er den Xenokles mit seinem Oedip, Lykaon, Bacchen und dem Satyrspiele Athamas, gegen Euripides und dessen Stücke, Alexandros, Palamedes, die Trojaner und dem Satyrspiele Sisyphus, den Sieg gewinnen läßt. (Zwar Zusammenhang ist doch wenigstens in denen des Euripides.)


(1841.)

Es ist in den Tragödien des Aeschylus, ja selbst zum Teil in denen seiner Nachfolger etwas Unbehilfliches, Stationäres, das die Neuern, an ein lebendiges Fortschreiten der Handlung gewohnt, durchaus nicht vertragen würden. Ja, die Tragödien des erstern kann man mit Recht, wie schon jemand gethan hat, in Scene gesetzte Epopöen nennen. Situation und Deklamation. Das Fortschreiten der Handlung häufig nur durch ein einziges Ereignis ausgedrückt, das aber nur wie Nebensache gegen das breite Ausmalen der Zustände und Gesinnungen erscheint. Der Chor ohnehin, man mag sagen, was man will, sich um dieselben Betrachtungen und Nutzanwendungen herumdrehend. In den Wechselreden brauchen die Unterredenden die längste Zeit, um sich über die einfachsten Verhältnisse zu verständigen, und was der Zuseher bei der ersten Antwort begriffen hat, wird oft durch zehn Verse durchgefragt, bis die Redenden ins klare kommen. Eine Schwerfälligkeit, die übrigens auch noch heutzutage in unsern Volksliedern vorkommt und ein gewisses träges Behagen im Genusse bezeichnet, wie sich Kinder und einfache Leute eine zehnmal gehörte Geschichte, die sie längst auswendig wissen, immer wieder vom neuen vorerzählen lassen.

Später beim Euripides, ja schon beim Sophokles ist es jene Redseligkeit, die den Athenern aus der Gewohnheit an öffentlichen Reden und Gerichtsverhandlungen zum eigentlichen Labsal geworden ist. Solche Geschwätzigkeit im guten Sinn kommt selbst in den Dialogen des Plato nicht selten vor.


(1847.)

Einen Trost habe ich im Griechischen, daß, wenn ich eine Stelle nicht verstehe, ich später bemerke, daß es den Kommentatoren nicht besser ergangen ist. Mancher, der die griechischen Tragiker in Uebersetzungen liest und bei solchen Stellen entzückt ist, hat keine Ahnung, daß er die Poesie des Uebersetzers bewundert und nicht das Original. In der Ursprache leuchtet doch immer ein Schimmer der eigentlichen Meinung durch.


Aeschylos.

Welckers Trilogie des Aeschylos.Darmstadt 1826.

p. 3. Personen. Der Chor in den beiden ersten Stücken, bestehend aus den Okeaniden, im dritten aus den Titanen. Wie steht es um die gerühmte Einheit der alten Trilogien, wenn der Chor, dieser Mittelpunkt, dieser Kern der alten (vor allen der ältesten) Tragödie, wechselt und sich ändert?

p. 5. Ist der notwendige Zusammenhang der drei Stücke, mit denen um den Preis gekämpft wurde, der Trilogie, der Zusammenhang als Vor- und Nachstücke, schon völlig erwiesen? Mit welchem Rechte stellt man den Πυρφόρος der in dem Kataloge des A. Gellius dem Gefesselten und Befreiten folgt, willkürlich ihm voran? War er nicht vielleicht das Satyrspiel, und steht daher mit Recht zuletzt?

Nachzusehen, ob beim A. Gellius die Stücke des Aeschylos sich in derselben trilogienartig geordneten Reihe folgen, wie Welcker sie anführt. Und wenn es nicht der Fall ist, warum sollte Gellius getrennt haben, was zusammengehörte?

Die Angabe der Handlung des Feuerbringers ganz unbegründet. Daß die Okeaniden den Chor gebildet und außerdem noch die Kabiren als stumme Personen vorgekommen, ganz gegen die Natur des Chores. Daß auch Hermione in dem Stücke auftreten und die Verbindung mit ihr einen Teil von dessen Inhalt ausmachen soll, gibt eine Mannigfaltigkeit und Reichhaltigkeit von Begebenheiten, die der Tragödie des Aeschylos ganz fremd ist. Diese Verbindung machte keinen Teil der Handlung aus; die Okeaniden konnten daher auch nicht in diesem Stücke ihr Brautlied an dem Bette der Hermione singen, sie müssen daher auch nicht notwendig den Chor in dieser Tragödie gemacht haben. Ueberdies benehmen sich diese Nixen im gefesselten Prometheus so neu, sind mit allen Umständen des Feuerraubes so unbekannt, daß man auch schon darum ihnen jenes frühere Zugegensein nicht zutrauen darf. Zudem, wer hat nur irgend eine Idee von Komposition und glaubt, daß, wenn die Okeaniden den Chor in zwei vorausgehenden Stücken gebildet hätten, sie im befreiten Prometheus ihre Stelle den Titanen überlassen haben würden?

Jedes Vorstück macht den gefesselten Prometheus läppisch, und jedes Nachstück selbst muß ihm an Wert nehmen. Es ist nicht zu zweifeln, daß der befreite Prometheus ein solches Nachstück war, und ich kann es nur bedauern: wenn nicht (was allerdings vorauszusetzen ist) Aeschylos durch eine uns unerratbare geniale Wendung die drohende Klippe der Gemeinheit umschifft hat.

Der πυρφόρος war bestimmt ein Satyrspiel. Eine solche äußere Handlung zum Gegenstand eines ernsten Stückes zu machen, ist durchaus gegen den Geist der ältesten Tragödie, die fast ausschließlich sich mit dem Innern, der Gesinnung, beschäftigt.

Die Hochzeit des Peleus und der Thetis, die, nach Welcker, den befreiten Prometheus schließen soll, hat gerade so viel Grund, als des Prometheus eigene mit der Hermione, womit der πυρφόρος beginnen soll. Beide sind dem Wesen der äschylischen Tragödie schnurstracks entgegen. Als Schluß des befreiten Prometheus ist jene erstere Hochzeit überdies schon aus dramaturgischen Gründen nicht gedenkbar.

Die nachgerühmte Eurythmie, zufolge deren Okeanos in den beiden erstern Stücken und Gäa in dem letztern als Intermezzo der Chorgesänge, ungefähr an derselben Stelle, in ähnlicher Absicht erscheinen, und sich wieder wegbegeben sollen, möchte wohl in einer chinesischen Tragödie sich recht zierlich ausnehmen, kann aber dem Prometheus nicht aufgeheftet werden. Dasselbe gilt von dem Parallelismus der Irrsale der Io im zweiten Stück, der Thaten des Herkules im dritten und der angeblichen Erörterung der hephästischen Kunst im ersten Stücke.

Die Angabe der Zahlenverhältnisse, nach denen sich die Reden des Chores regeln sollen, scheint mir auch, nebstdem, daß die Idee der Regel nur obenher aufgegriffen und nicht durchgeführt ist, mehr aus die Zeit der Meistersänger und des Hans Sachs als auf die herrliche, freie griechische Kunst zu passen.

Was ist denn das für ein albernes Geschwätz von Prometheus, der durch den ersten Betrug (den Feuerraub) das goldene Alter aufhören mache, wie Adam durch den Apfelbiß, indes doch aus dem Gefesselten (dem einzigen der drei Stücke, worauf man ohne Faselei bauen kann) hervorgeht, daß Aeschylos die Menschen vor jener beglückenden That als Halbwilde annahm, des Feuers, der ersten Bedingung jedes behaglichen Lebens beraubt: als unselige Wesen, denen die Entbehrung aller Kultur nicht höherer Genuß, sondern Elend war.

Was hierauf folgt, von Pandora, dem ersten Weibe, und ihren Gaben aus Hesiod und andern, könnte alles zugegeben werden, ohne daß es auf die Erklärung des äschylischen Prometheus Einfluß hätte: denn Aeschylos nimmt ein schon verbreitetes Menschengeschlecht an. Da ist an keine Entstehung desselben, an kein erstes Weib zu denken.

Also Prometheus hätte durch den Feuerraub ein bestimmtes Unrecht gethan? und aus diesem Gesichtspunkte nun besieht er den Gefesselten? Unsinn! Sobald Prometheus im Unrecht steht, ist jenes Meisterwerk der alten Poesie eine scheußliche Absurdität. Um das Abgehende dürftig durch leere Fiktionen zu ersetzen, vernichtet er das Vorhandene, Herrliche, Meisterhafte. Um den Aeschylus zu ergänzen, müßte man erst selbst ein Aeschylus sein. All die allegorisierenden und symbolisierenden Theoreme, die Welcker als den eigentlichen Kern der sogenannten Promethie voraussetzt, lagen gewiß dem tüchtigen Geiste des Griechen fern: um so etwas zu wollen, hätte er erst Professor in einem Winkel von Deutschland werden müssen.

Wenn Prometheus unrecht hat, so wird ja die ganze Einführung der Io zum Unsinn. Hat sie etwa auch unrecht? Und wenn sie es nicht hat, wie kommt sie denn dazu, mit dem Prometheus in eine Parallele gebracht zu werden?

Und warum bedauert denn Hephaistos den Gefesselten wie einen, der Unrecht duldet?

Und warum ist denn Hermes so hart und trotzig wie ein Tyrannenbote, und nicht ruhig und mild, wie es dem Organ eines gerechten Richters ziemt?

Dem Anknüpfen des Ganzen an die christliche Mythe von Adam und Eva, zuletzt gar an Christus und seinen Versöhnertod, fehlt zum völligen Wahnsinn eigentlich nicht mehr viel. Eine Ideenvermengung, ganz der neuesten deutschen Litteratur würdig.

*

Der unbekannte Freund Welckers in seinem Briefe glaubt, im befreiten Prometheus hätten beide Teile nachgegeben, Zeus und Prometheus; Welcker glaubt, nur Prometheus; mir dünkt am wahrscheinlichsten: nur Zeus. Dann steht der Befreite erst in verklärter Herrlichkeit da, und vollendet, wie er im Gefesselten begann. Die Festigkeit des gerechten Menschenwillens gegen alle, selbst Göttergewalt: das muß der Sinn des Ganzen sein, wenn es irgend einen Sinn haben, wenn nicht das Vorhandene dem Verlorengegangenen zuliebe zum Unsinn werden soll. So mag das letzte Stück geschlossen haben. Aber nichts von einem vorausgegangenen! Nichts von einem πυρφόρος als erstes Stück einer Trilogie. – Ich glaube nicht daran.

*

Wenn Welcker die Idee des Zeus im Prometheus entwickeln will, so trägt er alle Epitheten und Vollkommenheiten, die Aeschylos in irgend einem seiner andern Stücke dem Zeus beilegt, auf einen Haufen zusammen. Mit einer, seiner vollkommen würdigen Unkenntnis der Poesie und ihrer Mittel, als einer, der da nicht weiß, daß die Kunst zu ihren mannigfaltigen Zwecken, jetzt diese und jetzt jene Seite desselben Gegenstandes heraushebt. Er lese Calderon und lerne die Weltansicht des Dichters kennen!

Die Zuhörer des äschylischen Prometheus waren offenbar klüger als Welcker und haben im Zeus die poetische Person erkannt, sonst würden sie, die in der Folge den Sokrates zum Schierlingstrank verdammten, den Aeschylos ohne Zweifel gesteinigt haben. –

Deuten die drei Verse, die Welcker als Fragmente aus dem πυρφόρος anführt, nicht eher auf einen komischen, als einen ernsten Inhalt?

*

Die symbolisch-meteorologische Erklärung von Briareus und dem Beistande, den er dem Zeus geleistet, als die Regenwolken, die ein Gewitter herbeiführen, ist so wässericht, daß sie im Paläphatos stehen könnte!

*

Meiner Ansicht nach sind die neuen Göttergeschlechter der Griechen, weit entfernt, von fremden Religionen entlehnt und eingewandert zu sein, ebenso nationell und wohl auch ebenso alt, als die sogenannten alten. Sie sind das, was die Schriftsprache unter den Dialekten einer Nation ist: welche Schriftsprache nämlich ursprünglich selbst ein Dialekt ist, aber der reinste, kultivierteste und kulturempfänglichste unter den übrigen; wodurch kommt, daß er nach und nach die andern verdrängt oder sie wenigstens von sich abhängig macht. Die Titanen waren die alten Stammgottheiten der rohen Stämme zur Zeit, als noch kein gemeinschaftliches Band die Nationen Hellas' vereinigte. Als nach und nach die Stammgottheiten der weiter fortgeschrittenen Völker die plumpen Fiktionen der ursprünglich Halbwilden verdrängten, blieb doch die Erinnerung an jene älteren Gestalten und die neue, aus diesen und jenen gemischte Götterwelt stellte sich bildlich-richtig als zwei Dynastien dar, deren eine die andere besiegt und verdrängt.

*

»Und allerdings ist in der Mythologie die Ansicht, wonach Dämonen, besonders der Fremde, welche also nie zuvor in eigenem Glauben und Kultus begründet waren, zu Heroen oder zu Menschen umgedichtet werden, allgemein und alt genug« – Ei. – Und die Beispiele? Die erwiesenen nämlich.

Die Griechen sind ein so einziges, durch alle Zeiten unerreicht dastehendes, ihren Zeitgenossen und Nebenvölkern in allem überlegenes Volk, sie sind durch ihren vorwaltenden Natur- und Schönheitssinn von der mystisch-grübelnden Anlage der Orientalen so verschieden, daß man außer dem Fall der entschiedensten Evidenz für keine ihrer Nationalinstitutionen einen Grund außer ihnen selbst suchen muß. Wer hat die Griechen in sich aufgenommen und kann es über sich gewinnen, sie von marklosen Indern und querköpfigen Aegyptern abhängig zu machen?


(1838.)

Die Poesie beruht häufig auf nicht bis zum Ende ausgedachten Gedanken, wie sie denn überhaupt den Habitus des empfindenden Menschen ausspricht und voraussetzt. So im Prometheus vinctus. Wenn er wirklich die Zukunft voraus weiß, worin liegt das Verdienstliche seines Widerstandes, da er doch nicht anders handeln kann, als er wirklich handelt.

*

Dieser gefesselte Prometheus entgeht dem aus der Beschränktheit des Stoffes hervorgehenden Fehler nicht, daß darin oft das nämliche gesagt wird, ja mitunter beinahe mit den nämlichen Worten.


(1841.)

Einen Anknüpfungspunkt hat sich Aeschylos im Prometheus doch frei gehalten. Der Dulder ist keineswegs ganz in seinem Recht. Er bekennt sich selbst zu einer Art Klugheitspolitik zwischen Zeus und den Titanen und endlich trug er doch dazu bei, die Tyrannei des erstern zu gründen. Dadurch bekommt seine herrische Festigkeit doch einige Beimischung von Hartnäckigkeit, und in einem spätern Stücke konnten beide Teile zugeben, zu weit gegangen zu sein.

*

Die Personen im Prometheus sind keineswegs auf gut Glück gewählt. Im Hephästus, den im Wolkenwagen ankommenden Okeaniden, dem Okeanos selbst und der kuhförmigen Io, nehmen Feuer, Luft, Wasser und Erde an dem Schicksal des Gefolterten teil, wollen alle Elemente seinen Sinn beugen, ohne es zu vermögen.

*

Ob denn Okeanos wirklich auf einem Vogel oder Flügeltiere reitend erscheint? Scenisch wenigstens müßte sich derlei, nachdem nur kaum die Okeaniden durch die Luft gekommen waren, sehr schlecht ausgenommen haben. Ob der πτερυγωκὴς οἰωνός figürlich nicht vielleicht ein Seeungeheuer war? – Der Schluß der Scene zeigt, daß Okeanos wirklich durch die Luft kam und ebenso wieder scheidet. Höchst wunderlich in jeder Hinsicht.


(1846.)

Im Agamemnon des Aeschylus erscheint offenbar der Leichnam des Erschlagenen in der Badewanne liegend. Wahrscheinlich höchst wirksam herausstaffiert.

πρὶν τόν δ' ἐπιϑεῖν ἀργυροτοίχου
δροίτας νῦν κατέχοντα χαμεύναν.
1540.


(1817.)

Viele haben darin Unsinn zu finden geglaubt, daß Elektra (in den Choephoren), nachdem sie Orests Locke auf dem Grabe ihres Vaters gefunden, auch dessen Fußstapfen mißt und aus deren Aehnlichkeit mit den ihrigen auf die Anwesenheit ihres Bruders schließt. Denn, abgesehen von der Sonderbarkeit, daß der Held Orest und die Jungfrau Elektra gleich große Füße gehabt haben sollten, meint man, wäre der Schluß an sich doch einmal zu weit her gesucht. An und für sich mag das wahr sein. Aber man vergesse nicht, daß Elektrens Gemüt einmal durch das Finden der Haarlocke mit Gedanken an Orest erfüllt und in einer Stimmung ist, in allem, was ihr aufstößt, Bestätigung ihrer süßen Hoffnung zu suchen und zu finden. Vielleicht liegt in dieser Vergleichung der Fußstapfen ein feinerer Zug, als manche zu denken vermögen. Was übrigens die Größe der Fußstapfen betrifft, so erinnere man sich nur des jugendlichen Alters Orestens, dessen Vorstellung nötig ist, um die leidende Rolle, die er Elektren gegenüber spielt, zu rechtfertigen. Ein Jüngling, nicht älter, als daß eine hochgewachsene Frauengestalt, wie wir uns Elektren denken, seine Fußstapfen mit den ihrigen vergleichen konnte. Aber weg. Jeder Strich zur Rechtfertigung nimmt vielleicht dem Zuge etwas an seiner Feinheit. Je weniger die Fußtritte wirklich Aehnlichkeit hatten, je schöner vielleicht die Stelle.


(1838.)

Die berüchtigte Stelle beim Aeschylus, wo Elektra aus den Fußstapfen auf die Anwesenheit Orests schließt, wäre allerdings so tadelnswert, als man sie macht, wenn die Schwester aus der Haarlocke nicht schon früher auf die Einwirkung des Bruders geschlossen hätte. Nun sieht sie aber zwei Fußtritte, die breiten bäurischen eines Begleiters und zarte, halb mädchenhafte, aristokratische, fast ihren eigenen ähnlich, von dem jugendlichen Orest herrührend. Was ist da zu tadeln? Vielmehr enthält dieses zweite Zeichen eine Steigerung. Aus der Haarlocke hatte sie nur auf Orestens Einwirkung geschlossen, aus den übereinstimmenden Fußtritten schließt sie auf seine Gegenwart.


(1841.)

In dem Vergleichen der Haare und der Fußstapfen in den Choephoren des Aeschylus liegt allerdings dramatisch etwas Lächerliches, das auch Euripides verspottet hat, und das gewissermaßen selbst Orestes in demselben Stücke, V. 224, heraushebt. Episch liegt aber etwas unendlich Zartes und Wahres darin, daß Elektra alles Vorkommende auf den bezieht, mit dem sich ihre Wünsche und Hoffnungen beschäftigen. Dramatisch lächerlich und episch wahr? Im Drama muß eben alles augenblicklich wirken, das Epos kann die Reflexion zu Hilfe nehmen.


(1837.)

Von der vaterländisch-politischen Tendenz, die beim Euripides samt der theologisch-antiquarischen vorherrscht, schon beim Aeschylus Spuren, z. B. in den Eumeniden, wo Orestes den Athenern für seine Rettung die Bundesgenossenschaft der Argeier auf alle Zeit verspricht. V. 284–286.


(1861.)

So herrlich die Eumeniden des Aeschylus poetisch und im patriotisch athenischen Sinne sind, so ist doch die Gerichtsscene selbst ein Meisterstück von Parteilichkeit und Ungerechtigkeit. Orestes weiß zu seiner Entschuldigung nichts anzuführen, als daß die Mutter keine Blutsverwandte sei. Apollo bekräftigt das, indem er den Vater als den allein bei der Zeugung Beteiligten ausgibt, sucht aber gleich die Richter zu bestechen, indem er verspricht, ihre Stadt groß und mächtig zu machen. Die Oberrichterin Pallas erklärt, daß sie sich aus den Müttern nicht viel mache, weil sie selbst ohne Mutter entstanden sei. Und endlich die unerbittlichen Eumeniden begütigen sich, nachdem man ihnen verspricht, daß sie Sitz und Opfer in Athen haben sollen. Das alles zeigt, wie unentwickelt die Denkkraft war und bis auf Sokrates und Aristoteles alles auf Empfindung beruhte. Darum ist aber auch die Zeit so vorherrschend poetisch.

Wenn es wirklich wahr ist, was Plutarch (de audiendis poetis) erzählt, daß Aeschylus in einer Tragödie ψυχοστασία den Zeus sichtbar vorführt, aus einer Wage das Schicksal der Griechen und Trojaner (Achills und Memnons) abwägend, so ist der Tragiker in der Objektivierung doch etwas weit gegangen.


(1837.)

In den Flehenden des Aeschylus noch die uralte königliche Gewalt, die sich noch nicht von dem Volkswillen frei gemacht hat. Schon das hat etwas Republikanisches, daß der König nicht mit seinem Eigennamen benannt, sondern nur als: König der Argeier bezeichnet wird.


(1836–1838.)

Jene Stelle in den Flehenden des Aeschylus, wo der Herold die Danaiden mit Gewalt vom Altar fortreißen will, hat den Auslegern viele Schwierigkeiten gemacht, sie auf reines Griechisch zu bringen nämlich. Bemerkten sie denn nicht, daß gerade eine Art Kauderwelsch in der Absicht des Dichters lag, um die Barbaren zu bezeichnen, κάρβανος ὢν.

*

Es würde unbegreiflich sein, wie manches Stück des Aeschylus, so wie manche Scene des Euripides hätte interessieren können, wenn nicht bei den Athenern eine Vorliebe für Rede, Gespräch (in der Ausartung: Geschwätz) herrschend gewesen wäre, ein Zug, der mitunter selbst beim Plato sich bemerklich macht.


Sophokles.

(1826.)

Was für ein Geplauder in dem ersten Chore der Greise im Oedipus auf Kolonos herrscht! Welch leeren Lärm die vielen α machen! Worte und Wortzusammenstellungen offenbar für diesen Zweck eigens gesucht. Z. B. πλανάτας, πλανάτας τις; ἀβάτων ἀποβὰς! u. s. w. Wer hat unter den neuern Dichtern dafür noch Sinn? Wer denkt auf so was, wenn er komponiert?

. . . . . . ἐπεὶ τά γ' ἔργα μου
Πεπονϑότ' ἐστὶ μᾶλλον ἢ δεδρακότα.
                              Οἰδίπους ἐπὶ Κολ. 270.


(1834.)

In der Antigone ahmt Sophokles offenbar die Manier des Euripides nach, komische Scenen tragischen Vorgängen beizumischen. Die erste Scene des Wächters ist offenbar auf eine Art komische Wirkung berechnet. Ja, seine ersten Worte scheinen (was man dem Euripides so sehr vorwirft) parodisch und ein etwa damals gangbares Stück ins Lächerliche ziehend.

*

Bei den Griechen hat sich die Tragödie noch nicht völlig von dem epischen Element getrennt, aus dem sie entstanden war, weshalb auch die Schilderung, die Erzählung ein so großes Uebergewicht gegen die Handlung hat.

*

Die leeren Fragen, das vielfache Besprechen des schon Bekannten sind keineswegs bloß dem Euripides eigentümlich, sondern allen griechischen Tragikern gemein.


(1840.)

Streng genommen ist in den berühmtesten Stücken des Sophokles keine eigentliche Handlung, insofern letztere als eine Reihenfolge gegeneinander ankämpfender, sich scheinbar im Wege stehender und endlich durch eine gemeinsame Auflösung zur Einheit gebrachter Ereignisse bezeichnet werden muß. Die Lage im Oedipus auf Kolonos vom Anfange an, sowie in der Antigone nach den ersten Scenen bleibt sich ganz gleich. Die aufeinander folgenden Auftritte voll der bewunderungswürdigsten Reden und Gesinnungen ändern an den Geschicken nichts und diese Stücke sind mehr großartige Situationen als wirkliche Tragödien, selbst nach dem Gesichtspunkte des Aristoteles. – Zwar im Oedipus besteht der Fortschritt der Handlung darin, daß er aus einem Verfolgten und Gemiedenen ein Gesuchter und Gewünschter wird.


(1841.)

Aber warum ist denn eine Verwicklung und Entwicklung dem Drama notwendig? Weil nur unter dieser Form die Handlung jenen Grad der Lebhaftigkeit erhält, der den Eindruck der Gegenwart erzeugt.

*

Die Handlung im Oedipus auf Kolonos besteht doch eigentlich nur darin, daß der Verfolgte, Ausgetriebene, und als solcher Auftretende, zu einem Gegenstande des Begehrens, zu einem Pfande der Sicherheit für seine früheren Verfolger wird, und dieser Schicksalswechsel erst während des Verlaufes der Tragödie sich herausstellt.


(1842.)

Daß der Oedipus auf Kolonos nicht in unmittelbarer Folge auf den Tyrannos gegeben wurde, er also nicht das Mittelglied einer sogenannten Oedipus-Trilogie ausmachte, des ist schon der Umstand Zeuge, daß der Chor im ersten Akt sich die Greuel ausführlich erzählen läßt, die das frühere Schicksal des Greises ausmachen.


(1856.)

Es wäre denn doch möglich, daß Sophokles in den Trachinerinnen, unbeschadet des tragischen Eindrucks, einen athenisch-patriotischen Schatten auf die heraklidische Abstammung der spartanischen Königsfamilie habe werfen wollen.


(1862.)

Im Philoktetes müssen wir annehmen, daß der Anspruch des Neoptolemos an die Waffen seines Vaters und sein Zorn über ihre Zuerkennung an Odysseus, sowie der Entschluß, deshalb das Heer der Griechen zu verlassen, wirklich stattfand, und daß er nur diesen Entschluß später aufgab, wenn er nicht in der ganzen Erzählung ein Talent zum Lügen kundgeben soll, das der Absicht des Stückes und dessen Entwicklung geradezu entgegenstehen würde.


Euripides.

(1823.)

Von der Achtung, in der Euripides (gegen die gegenwärtig unter den deutschen Kritikern aufkommende Meinung) bei seinen Zeitgenossen stand, zeigt jene Parallele zwischen ihm und Sophokles, die in dem bekannten Orakel der Pythia über den Sokrates vorkommt: Σοφὸς Σοφόκλης, σοφώτερος δ'Ευριπίδης, Ἀνδρῶν δὲ πάντων Σωκράτης σοφώτατος.


Barnesii vita Euripidis.

(1838–1840.)

Um wieviel gescheiter ist dieser Barnes als Schlegel und seine Nachschreiber . . . .

Daß übrigens etwas Philosophisch-Unpoetisches in seinem Haß gegen die Helena und ihre Angehörigen liegt, läßt sich wohl nicht leugnen . . . .

Ich möchte überhaupt sein Verhalten gegen die menschlichen Verirrungen so ausdrücken, daß er geneigt sei, sie zu erklären und dadurch gewissermaßen zu entschuldigen, aber als Verirrungen anerkannt will er sie wissen . . . .

Sein sogenannter Weiberhaß ist wohl nichts als eine genaue Weiberkenntnis. Wie er denn überhaupt Menschen schilderte, indes seine Vorgänger häufig nur Personifikationen.


(1834.)

»Sodann habe zu vermelden, daß ich, durch eine neue Ausgabe der Iphigenie in Aulis des Euripides, von Professor und Ritter Hermann in Leipzig, wieder auf diesen unschätzbaren griechischen Dichter bin hingewiesen worden. Sein großes und einziges Talent erregte zwar wie sonst meine Bewunderung, doch was mir diesmal hauptsächlich hervortrat, war: das so grenzenlose als kräftige Element, worauf er sich bewegt. Auf den griechischen Lokalitäten und auf deren uralten, mythologischen Legendenmasse schifft und schwimmt er, wie eine Stückkugel auf einer Quecksilbersee, und kann nicht untertauchen, wenn er auch wollte. Alles ist ihm zur Hand: Stoff, Gehalt, Bezüge, Verhältnisse; er darf nur zugreifen, um seine Gegenstände und Personen in dem einfachsten Dekurs vorzuführen, oder die verwickeltsten Verschränkungen noch mehr zu verwirren, dann zuletzt nach Maßgabe, aber doch durchaus zu unsrer Befriedigung, den Knoten entweder aufzulösen oder zu zerhauen.« Goethe an Zelter 23. Nov. 1831.

Bis ins Eigentlichste meine eigene Meinung von Euripides, der ein historischer, der eigentlich nationelle Dichter, eine Art begeisterter Pausanias ist.


(1820–1821.)

Die Alceste des Euripides hat von vornherein für einen modernen Sinn etwas wahrhaft Empörendes. Wie nämlich Admet durchaus nur leben bleiben will und feigherzig das Opfer annimmt, das seine Gattin mit ihrem Tode für seine Erhaltung bringt, ja wie er sogar, da sie gestorben, seinen eigenen Vater anklagt, daß er, der Greis, es nicht statt ihr gethan. Das Widerliche in diesem Benehmen verschwindet aber großenteils, wenn man bedenkt, daß nachdem einmal Alceste für den Gatten sich als Opfer verlobt, ein Rücktritt und neuer Tausch nach griechischen Religionsbegriffen wohl nicht mehr möglich war, und Admet daher aufs höchste mit seiner Gattin, nicht aber für sie sterben konnte. Die Unterirdischen hatten einmal das Sühnopfer angenommen und es blieb unwiderruflich. Wenn Admet seinem Vater über der Leiche der Gattin Vorwürfe macht, daß nicht er für ihn, den Sohn, gestorben, so meint das sein Schmerz wohl nur, mit Beziehung auf Alcesten, die sich wirklich geopfert. Nicht bloß dem Admet selbst, auch der Gattin, der tot vor ihm liegenden Gattin, wäre ja zu sterben erspart gewesen, wenn der ohnehin dem Ziele nahe Greis nicht das Leben mehr geliebt, als den Sohn. Die Gegenwart der geliebten Leiche nimmt den Beschuldigungen des Sohnes das Unnatürliche, das sie beim ersten Anblicke haben. Wie schön benimmt er sich hingegen in der Folge, als er dem bei ihm einkehrenden Herkules den Tod der Gattin verschweigt, um diesem den Eintritt in sein Haus nicht zu verleiden; wie schön, als dieser die dem Thanatos abgekämpfte Alceste unerkannt, verkleidet, seiner Obhut übergeben will, und Admet sich weigert, fürchtend, schon durch die Nähe eines Weibes an dem Andenken seiner Gattin sich zu versündigen. Herrlich gezeichnet ist Herkules. Kräftig und lebensfroh, gleich bereit vor dem Hause umzukehren, als er vernimmt, daß Trauer und Klage darin herrscht, sich unbekümmert der lautesten Freude überlassend, solange er für den übertrieben scheinenden Schmerz seines Wirtes keine würdige Ursache weiß, aber rasch gesammelt und bereit, Admets Edelmut mit Gleichem zu bezahlen, sobald er den Zusammenhang des Ganzen erfahren. Die Entwicklungsscene könnte Calderon geschrieben haben, so durch und durch romantisch ist sie. Das übrige freilich stark griechisch, aber es ist ja ein griechisches Trauerspiel.


(1823.)

Schlegel, glaube ich mich zu erinnern, schikaniert irgendwo den Euripides über das erste Gespräch des Admet mit dem Herkules in der Alceste. Dieser soll, von Admet wiederholt belehrt, immer noch den Tod Alcestens ignorieren. Das ist aber durchaus nicht so. Als Herkules den Admet um die Ursache frägt, warum er sein Haupt beschoren, gibt dieser zur Antwort: Ich begrub heute einen Freund (ein Liebes). Herkules rät auf die Kinder, die Eltern, endlich auf Alcesten, von der er weiß, daß sie sich statt ihres Gatten dem Tode gelobt. Admets Antwort ist so zweideutig, daß Herkules glauben muß, Alceste sei noch nicht wirklich gestorben, sondern man besorge nur ihren Tod. Da er aber nun voraussetzt, Alceste lebe gegenwärtig noch und Admet ihm doch beim Eintritte gesagt, er habe heute einen Freund begraben, so frägt ganz natürlich Herkules noch weiter fort, wer denn dieser Angehörige gewesen, der jetzt schon gestorben ist.


Orest.

(Vermutlich 1838–1840.)

Schlegel tadelt ganz unmäßig den Orest des Euripides. Aus einer unrichtigen Ansicht der Sache, wie mir scheint. Die Tragödie der Alten läßt sich gar nicht mit unserm Trauerspiele, sondern höchstens mit den autos sacramentales der Spanier vergleichen. Die menschliche Handlung ist in den meisten derselben geradezu Nebensache oder vielmehr nur das Vehikel, um den eigentlichen Inhalt, den Preis oder die Rechtfertigung eines Heroen, die Wirksamkeit der Götter, die Wege des Schicksals deutlich zu. machen. Der Oedipus Tyrannus ist, streng genommen, das einzige antike Trauerspiel in neuerm Sinne. Der viel spätere Aristoteles hat mit seinem scharfen, aber prosaischen Verstande dieses Verhältnis ganz übersehen, und das Substrat anatomiert, ohne sich in die höhere Bedeutung einzulassen, worin er, seiner Stellung als Wissenschafts- und Kunstlehrer nach, auch nicht so gar unrecht hatte.

Dieser Orestes nun ist recht eigentlich da, um dem durch die Perserkriege wach erhaltenen Zorne der Griechen gegen die Helena (nachdem Homers großartige Ansicht längst entschwunden war) Luft zu machen. Der Mord der Helena, der Schlegeln so abscheulich vorkommt, war vielleicht gerade das Entzücken der Athenienser und ich höre im Geiste den Beifall, den die vortreffliche Scene des Chors, während der That, sowie die Erscheinung und Erzählung des Phrygiers hervorbrachte. Wenigstens ist das Ganze so gemeint.

*

Dieser Orestes ist doch offenbar nicht (nach der Schlegelschen Ansicht) das Mittelstück einer zusammenhängenden Trilogie; wie könnte sonst Apoll voraussagen, daß Orest im Areopag freigesprochen werden würde, was notwendig dem Schlußstücke alles Interesse nehmen müßte.

*

Die so getadelte Scene, wo Pylades und Orestes den Entschluß aussprechen, die Helena zu töten, ist gerade von unsäglicher Großartigkeit. Ich stelle mir die beiden vor, wie sie halb leise in rascher Wechselrede, mit wahnsinniger Freude sich den Plan mitteilen. Sie sind unbewußt in den Wirbel der Verhältnisse hineingezogen und das Geschick der Tantaliden ϑανάτους ϑανάτων ἀμοιβάς, das zuletzt herrlich durch die Dazwischenkunft Apollens gelöst wird, der der furchtbaren Pflicht der Vergeltungsmorde versöhnend ein Ende macht.

*

Die Griechen haben in allem eine ruhig entwickelnde, gleichsam mit behaglichem Schlürfen genießende Umständlichkeit, die uns Neuern, besonders im Drama, beinahe lästig fällt. Der Zug geht aber durch ihre ganze Litteratur. Weil ihr Leben bewegt war, war ihr Genuß ruhig; unser Leben ist ruhig, darum erquicken wir uns im Bunten und Zappelnden.

*

Die Meinung derjenigen, die glauben, daß die Götter in den Tragödien der Alten nicht sichtbar erschienen, sondern nur ihre Stimme gehört wurde, scheint zu widerlegen, daß am Schlusse des euripidischen Orestes Helena offenbar in den Wolken sichtbar wird, also wahrscheinlich auch Apollo, der auf sie hinweist.

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Dem Euripides wird das Spielen mit Worten so bitter vorgeworfen, ohne zu bedenken, daß ein guter Teil davon der griechischen eleganten Darstellung überhaupt zur Last fällt.


Herakles.

(1838–1840.)

Wunderschön das erste Auftreten des Greisenchors im Hercules furens. Wie schwer, wie dumpf! Euripides ist ein Meister in dergleichen.

Ebenso das erste Auftreten des Lykos. Rasch und heftig, in schönem Abstich mit dem Chor der Greise. Wie er sich gleich anfangs selbst Mut macht gegen die Angehörigen des Herakles.

Das ist allerdings etwas prosaisch, daß Lykos dem Herakles nachsagt, er habe den lernäischen Löwen in Schlingen gefangen: übrigens der Vorwurf wegen des Pfeilschießens ganz gut.

Die Lobrede des Amphitryo auf das Pfeilschießen scheint beim ersten Anblicke zu weitläufig und ungehörig. Wenn aber das Stück während des peloponnesischen Krieges spielte und darin ein Lob und Ermahnung für die Athenienser liegt, gegenüber den durch ihre Hopliten mächtigen Lakedämoniern, so verändert das die Natur der Sache.

Der Gipfel des Hohns die Schlußworte des Lykos, wo er den Greisen erlaubt, über das Schicksal der Herakliden zu klagen, und über ihr eigenes, daß sie Knechte sind.

Mit unübertrefflicher Kunst Megara und Amphitryo nebeneinander gestellt. Letzterer anfangs schwach, ja furchtsam, nur durch den Unwillen in der Rede gegen den Lykos zu selbstvergessendem Mute gesteigert. Megara immer kräftig und fest, das sind die Geheimnisse der Komposition, nur dem Meister erreichbar und verständlich.

*

Eine der schönsten Stellen, die je geschrieben worden, die Eingangsrede der Megara im Anfang des zweiten Akts.

Ebenso der darauf folgende Gegensatz: Wenn Megara den Herakles herbeirief, den sie in der Unterwelt glaubt und dagegen Amphitryo beginnt:

Σὺ μὲν τὰ νέρϑεν εὐτρεπῆ ποιοῦ, γύναι·
ἐγὼ δὲ σ', ὦ Ζεῦ, χεῖρ' ἐς οῦρανὸν δικὼν
αὐδῶ
 . . . . . . .

Wie schön die eingeschüchterte Demut der kühnen Megara, wenn sie ihrem heldenkräftigen Gatten gegenübersteht. Ihr voriger Mut verliert sich, sie hat ihre Selbständigkeit abgegeben und ist nur noch des Herakles schutzbefohlenes Weib.

*

Der Chor der Greise am Schluß des zweiten Aktes ist offenbar in fröhlichem und halb scherzhaftem Sinne zu nehmen, wozu die scherzenden Worte am Schluß der Rede des Herakles: Οὐ γὰρ πτερωτὸς οὐδὲ φευξείω φίλους eine gute Einleitung machen. Dem Euripides ist überhaupt die Einmischung des halb, ja ganz Komischen in seine Tragödien nicht fremd. dergleichen die Scene des Phrygiers im Orestes. Besonders erscheint Herakles bei ihm nie ohne eine solche Beimischung. Vide Alcestis. Im vorliegenden Chor zeigt dies schon der Eingang Ἁ νεότας μοι φίλον· ἄχϑος, dann die zweite Strophe Εἰ δὲ ϑεοῖς ἦν ξύνεσις, dann der darauf folgende barocke Vorschlag. Ich stelle sie mir dabei einen nach ihrer Art lustigen Tanz aufführend vor, und ein Lächeln der Zuseher war ganz an seinem Platze.

*

Dieser Hercules furens ist eben auch nichts als die in ein Drama gelegte Erklärung eines athenischen Heiligtums, eines Ἡρακλειονs, ganz in der Art der spanischen autos sacramentales. Nur auf diese Art betrachtet, hat das Stück einen befriedigenden Schluß, der zugleich auf die ehemalige Bundesfreundschaft von Athen und Theben hinweist, während des peloponnesischen Krieges eine großartige Wendung.

*

Die Fabel der Helena des Euripides wäre allerdings so abgeschmackt, als manche sie machen wollen, wenn der Dichter die Versetzung Helenas nach Aegypten und ihre Abwesenheit von Troja zum Behufe seines Stückes selbst erst erfunden hätte. Nun war dies aber eine alte Sage, und schon Stesichoros hatte sie in seiner bekannten Palinodie gebraucht. (Siehe Platons Phädrus.) Ja, Euripides' Helena ist selbst eine Art Palinodie des wendungsreichen Dichters für die Unehre, mit der er das Götterkind in so manchen seiner andern Stücke, vielleicht zum Skandal der Eiferer, überschüttet hatte.

*

Diese Herakliden sind eben ein historisches Stück. Makaria, Jolaos, Alkmene geben zusammengenommen völlig den Charakter der Spartaner. Tapfer noch im hohen Alter, selbstaufopfernd für die Ihren, grausam gegen die Feinde. Dieses Stück ist mit einem Schlage gegen die Argeier und gegen die Lakedämonier geführt, welch letztere in ihren Voreltern Wohlthaten von den Athenern empfingen, die sie nun bekriegen.

Ueberhaupt, was bisher zu wenig beachtet wurde, ist Euripides vorherrschend historisch und mythologisch, oder vielmehr archäologisch, in welcher Beziehung manche seiner Plane vortrefflich sind, welche, als Privathandlung betrachtet, fehlerhaft erscheinen könnten.


(1840.)

Wie vaterländisch-politisch die von Euripides zweimal aufgenommene Herkulesfabel bei ihm gemeint sei, tritt besonders in den Herakliden bei jener Stelle des Jolaos hervor:

Ὦ παῖδες, εἰς μὲν πεῖραν ἤλϑομεν φίλων etc.

*

Goethe sagt einmal, scheinbar ziemlich wunderlich, von Euripides, er sei wie eine Stückkugel im Quecksilber schwimmend. Es ist viel Wahres in der Vergleichung. Euripides' meiste Stücke sind ziemlich unbeholfen, ja fehlerhaft komponiert, er findet aber überall eine Sage, ein Monument, einen historischen Umstand, der ihm entgegenkommt und die Handlung, die man eben im Begriff war, zu verdammen, zu einem solchen Wunder von Wirkung und Eindruck macht, daß man ihm in athenisch volksmäßigem Sinne beinahe die Palme vor seinen beiden Nebenbuhlern geben muß. Da sind z. B. diese Herakliden. Was ist da alles darin enthalten. Die Gerechtigkeit Athens, der Dank, den ihm die Herakliden schulden, gegenüber der verfolgenden Wut der Argeier, gegenwärtig die Verbündeten der Lakedämonier gegen dasselbe Athen, die Stammestapferkeit der Herakliden: die männliche Alkmene, der fechtende Greis Jolaos, das wunderbare Kind Makaria, dagegen aber auch ihre Härte und nichts schonende Grausamkeit. Wie zuletzt noch der gemeinsame Feind Eurystheus Athen segnet und den künftigen Undank Spartas verflucht, und das alles von dem Eindruck des damals noch vorhandenen Grabes des Eurystheus, der Quelle der Makaria unterstützt, das ist das Quecksilber, auf dem die Stückkugel schwimmt.


Hekabe.

(1838–1840.)

Τροφαῖσιν ὥς τις πτόρϑος, ηὐξόμην. Sonderbare Zusammenstellung. Mit Nahrung versehen wie ein junger Zweig.

Allerdings sonderbar, daß, indes die Handlung der Hekuba im Chersones spielt, Polyxena am Grabhügel Achills geschlachtet wird, der sich doch vor Troja befand. Die Ausflüchte von einem Kenotaphium u. dgl. werden durch nichts im Stücke bestätigt.

65. σκολιῷ σκίπωνι. Der Stab entweder von der Last gekrümmt, oder überhaupt nur beigesetzt, um den Eindruck des Mühseligen zu verstärken. Man hat dies Auftreten der Hekuba als nach Effekt haschend getadelt, aber zu leugnen ist nicht, daß es den Zuseher auf der Stelle ganz in die Lage der unseligen herabgekommenen Frau versetzt. Und vergißt man die Schreckbilder, die sie oben im Traume gesehen!

70. χϑών, μᾶτερ ὀνείρων, vielleicht nur der μελανοπτερύγων.

Man hat über die Prologe des Euripides als zweckwidrig räsonniert. Aber vergißt man denn, daß die Stoffe der alten Tragödien allgemein bekannte Fakten waren. Aber wozu dann im Prolog bereits Bekanntes noch einmal bekannt machen? Von einigen der Zuseher war es doch möglich, daß sie das Faktum nicht, von andern, daß sie es nicht genau kannten. Da nun von einer Spannung der Neugierde im allgemeinen keine Wirkung zu erwarten war, so mußte von vornherein jeder Neugierde ein Ende gemacht, von da an aber auch die ganze Behandlung des Stoffes umgekehrt werden. Die Wirkungen, die sonst aus dem Nichtwissen des Ausganges hervorgehen, entspringen jetzt aus dem Wissen desselben.

So Hekabe V. 95, die nur erfahren hat, daß Achills Schatten eine der Troerinnen zum Sühnopfer begehrt hat, und nun die Götter bittet, das Todeslos von ihrer Tochter abzuwenden, indes der Zuseher schon weiß, daß es unwiderruflich über sie verhängt ist. Die Handlung geht auf diese Art bloß unter den Personen des Stückes vor, ohne daß der Zuseher mitspielt; das Mitleid gewinnt, was die Furcht verliert, und die tragischen Leidenschaften bleiben rein.

V. 202–205. Das zweimal wiederkommende δειλαία δειλαίῳ und δειλαία δειλαίαν erhält teils durch den geänderten Subjekts- und Objektsbezug, in den sich Polyxena setzt, einige Mannigfaltigkeit, wahrscheinlich wurde es aber durch das Wiederkehren derselben Melodie zu einer refrainartigen Bedeutung erhoben. –

Die Schönheit der Gegenüberstellung der jammernden Hekuba und der jungfräulichen Polyxena verkennen, die in ihrem eigenen Leiden nur das der Mutter erblickt, kann nur einem deutschen Kunstrichter beikommen, insoferne Kunstrichter und pedantisch, sowie deutsch und abgeschmackt synonym sind. Wer überhaupt aus diesem Jammer der Hekuba nicht die Stärke ihrer Seele herausfindet, versteht sich wenig auf Menschen und Leidenschaften. Ist sie doch das einzig übrig gebliebene Auge, um den Untergang eines ganzen Geschlechtes und Landes zu beweinen. Ihr eigenes, vereinzeltes Unglück würde diese Frau anders getragen haben.

V. 239 Daß Euripides nicht immer großartig in seinen Motiven ist, leidet übrigens keinen Zweifel. Wenn Hekuba den Ulyß, da er als Späher nach Ilion kam, gerettet haben soll, so ist das wenig wahrscheinlich, wie schon der Scholiast bemerkt; übrigens als Inhalt einer eigenen Tragödie denkbar, so beiläufig aber mit eingeführt, ein wenig effektmacherisch.

254. Die Verwünschung der Demagogen allerdings eine Zeitanspielung, aber so gehalten, daß sie für alle Zeiten paßt und wohl der Hekuba in den Mund gelegt werden kann. Wer kann und mag auch der Gegenwart ganz und immer vergessen?

265. Ἑλένην νιν αἰτεῖν χρῆν τάφῳ προσφάγματα. Charakteristisch ist der Haß des Euripides gegen die Helena und ihre Angehörigen. Es ist eben das Vorherrschen der philosophischen Ansicht gegen die mythische. So wenig poetisch das beim ersten Anblicke erscheint, so lag es doch notwendig im Fortschritt der Zeit und der Bildung. Die Poesie benützt gern den Glauben, wenn sie ihn vorfindet, den verschwundenen aber wieder erschaffen kann sie nicht.

Im Munde Hekubas aber die Beziehung auf die Helena vortrefflich, wie überhaupt die ganze Rede ein Meisterstück.

Μηδὲ κτάνητε. Τῶν τεϑνηκότων ἅλις. Die kühle, staatskluge und (nach damaligen Begriffen) durchaus nicht verletzende Rede des Odysseus in schönem dramatischen Gegensatze zu Hekabes leidenschaftlicher. Der Gegensatz des Barbarischen und Hellenischen.

342.

Ὁρῶ σ', Ὀδυσσεῦ, δεξιὰν ὑφ' εἵματος
κρύπτοντα χεῖρα.

Wie schön das Spiel des Odysseus angegeben. Dadurch wird das Drama zur lebendigen Handlung, statt eine Sammlung von Tiraden zu sein.

354. Ἴση ϑεοῖσι, πλὴν τὸ κατϑανεῖν μόνον. Ich müßte sehr irren, wenn über diesen letzten Worten nicht ein Schatten von nemo ante mortem beatus und ihrem gegenwärtigen Schicksal läge.

ἀφίημ' ὀμμάτων ἐλεύϑερον
φέγγος τόδ'.

Es ist eine Schönheit in dieser Rede der Polyxena, der nichts Neueres gleichkommt. Weh mir, in einer Zeit geboren zu sein, die das verkennt.

Auf diese heroische Selbständigkeit nun die Wechselklage von Tochter und Mutter, die in dem Munde der erstern etwas Hergebrachtes, Pflichtmäßiges hat. Sie feiert gleichsam ihr eigenes Leichenbegängnis und anticipiert die Klagen des Geleits. Das Leben gering zu schätzen, wäre für den Natursinn des Griechen viel zu albern gewesen, als daß er es selbst dem Heroismus verziehen hätte.

Am Schluß des Auftritts sinkt Hekuba zur Erde; indes folgt Polyxena dem Führer.

ὦ ϑύγατερ, ἅψαι μητρός, ἔκτεινον χέρα,
δός·

Polyxena ist dem Ausgang nahe.

μὴ λίπης μ' ἄπαιδ'. Polyxena ist fort.
                              ἀπολώμην, φίλαι.

Die darauf folgenden Verse bezieht sie nicht auf sich, sondern auf die fortgehende schöne Tochter, ihr nachsehend:

ὣς τὴν Λάκαιναν σύγγονον Διοσκόροιν
Ἑλένην ἴδοιμι.

So zum Tode geführt, nämlich. Nur mit dieser Beziehung ist der Nachsatz natürlich:

          διὰ καλῶν γὰρ ὀμμάτων
αἴσχιστα Τροίαν εἶλε τὴν εὐδαίμονα.

Sie verhüllt sich und liegt am Boden.

Unterdessen singt der Chor das schöne Lied, die Zweifel über sein eigenes Schicksal ausdrückend. Unter den Orten der künftigen Gefangenschaft besonders Athen hervorgehoben und die Feier der Panathenäen, an denen wahrscheinlich das Stück aufgeführt wurde, letzteres wohl ein Anachronismus, aber ein schöner. Auch in den Worten

λιποῦσ' Ἀσίαν
Εὐρώπας ϑεράπναν,

eine Zeitanspielung, auf die Perserkriege nämlich. Siehe Aeschylus, Perser.

Talthybios tritt auf und frägt nach der ehemaligen Königin der Troer – sie liegt am Boden. Der Gegensatz ist so in die Augen springend und erschütternd, daß es etwas Frostiges zu haben scheint, wenn ihn der Herold gleich darauf in einer ausgeführten Rede auseinandersetzt. Aber der Grund seines näheren Anteils wird bald klar: γέρων μέν εἰμι. Er ist selbst ein Greis und in dem Greisenalter der Gebeugten findet er eine Beziehung auf sich selbst, die ihn aus der teilnahmslosen Heroldsrolle herausfallen läßt. Diese Auslegung ist nicht gesucht, denn nur in dieser Beziehung läßt sich dieses γέρων μέν εἰμι rechtfertigen, das sonst mit dem Nachsatze ὅμως δέ μοι ϑανεῖν εἴη, πρὶν αἰσχρᾷ περιπεσεῖν τύχῃ τινι! eine wenig kompakte Schlußfolge bildet. Obwohl auch diese beiden Glieder eine mehr naive als logische Verbindung unter sich haben.

Wie schön, wie dramatisch mannigfaltig die Eintönigkeit der Situation unterbrechend, wenn Hekuba den Herold: o Liebster! anredet, weil sie glaubt, man führe sie gleich der Tochter zum Tode.

Die Beschreibung des Todes der Polyxena wird allgemein als so musterhaft anerkannt, daß da nichts beizufügen ist.

*

Die darauf folgenden Betrachtungen der Hekuba über das angeborne Gute und Schlechte, sowie über die Vorteile der Erziehung hat für unsere am Allgemeinen übersättigte Zeit etwas Kaltes und Störendes, damals aber, an der Wiege des diskursiven Denkens verfehlte es wahrscheinlich des Eindrucks nicht. Ueberhaupt Vorliebe der Athener für das Raisonnement. Und was die Unbedeutenheit der Betrachtungen betrifft, so kommen selbst im göttlichen Plato eine Menge vor, die nicht viel gewichtiger sein dürften.

Der Gedanke übrigens, daß wer das Gute gelernt hat, auch das Schlechte erkennt, am Maßstab des Schönen nämlich; auch heute noch nichts weniger als abgedroschen oder gemein.


(1844.)

Wenn in jener unverständlichen Stelle des Euripides, Hippolytos V. 154 jener λιμὴν ὁ εὐξεινότατος ναύταις nur nicht gar der Brunnen ist, aus dem der Storch die Kinder bringt. Ich wenigstens weiß bei Trözene keinen gar so lieblich zu beschiffenden wirklichen Hafen. Auch verbände sich dann das übrige, das auf eine Schwangerschaft hindeutet, aufs beste, und wenn die Geburtshelferin Diana auf Kreta ihren Sitz hat, weshalb sie auch als Diktynna erscheint, so wäre der ναυβάτας Κρήτας ἔξορμος ἀνὴρ verständlich genug. Theseus war ja auch in Kreta gewesen.


(1840.)

Dionysos, von Pentheus zur Rede gestellt, hat viel von Christus.


(1840.)

Das ist es, daß man den Euripides nicht verstehen kann, wenn man die von ihm beabsichtigten Spielintentionen nicht begreift, z. B. in den Bacchen. Wie matt und leer erscheint das Gespräch zwischen Dionysos und Pentheus im dritten Akt, wo letzterer sich bereden läßt, unbegleitet die Mänaden zu belauschen. Aber schon Vers 800 fängt er an, die ersten Zeichen des Wahnsinns zu geben, von dem gleich darauf Vers 840 Dionysos spricht. Von diesem Gesichtspunkte aus ändert sich die ganze Situation und konnte von der ergreifendsten Wirkung sein. Der Fall, daß die Situation erst durch das Spiel der Schauspieler erklärt wird, tritt beim Sophokles, soviel ich mich erinnere, nur im Philoktet ein, wo die plötzliche Reue des Neoptolemos durch die Worte nicht genügend erklärt wird, und man daher annehmen muß, daß etwa Philoktet, sich auf seine Schultern stützend, ihn zutrauensvoll umschlungen habe, welche Nähe mit dem Bewußtsein, daß er darauf ausgehe, ihn zu betrügen, in dem jungen Menschen jenen plötzlichen Ausbruch hervorruft.


(1841.)

Man wirft dem Euripides vor, daß er häufig Beschreibungen und Betrachtungen einflechte, die der Handlung fremd sind. Der Handlung, mag sein: aber auch der Stimmung der Zuseher? Die so laut getadelte Anpreisung der Schützenkunst gegenüber dem Kampfe in schwerer Rüstung im rasenden Herkules, ist wohl nichts als eine Ermahnung an die Athener, jene Kampfesart nicht zu vernachlässigen, in der sie den Lakedämoniern überlegen waren. Die Beschreibung des Schilds des Achilles in der Elektra gilt vielleicht den ähnlichen Waffen eines Feldherrn, auf den die Athener eben damals ihre beste Hoffnung gesetzt hatten. So wie die scheinbar müßige Deklamation des Orest in demselben Stücke über die Kennzeichen, an denen man die Guten und Bösen erkenne, etwa zusammentraf mit obwaltenden Staatsfragen und Streitigkeiten. Euripides ist der eigentlich nationelle Dichter, und allem sucht er einen Bezug zu geben auf Athen. Sogar in der Medea muß der König Aigeus herbeigebracht werden. Im rasenden Herakles ist das Einschreiten des Theseus das Band, welches die zweischlächtige Handlung zusammenhält. Der Ion wird erst dann zu einem tadellosen Stücke, wenn man die athenische Beziehung unverrückt im Auge behält. Das ist zwar auch schon bei Sophokles der Fall im Ajax und Oedipus auf Kolonos, sowie beim Aeschylus in den Eumeniden, bei keinem aber so vorherrschend als bei Euripides. Weil er diese Richtung übersehen, hat Schlegel den seinen beiden Vorgängern gleich großen Dichter so sehr mißverstanden.


(1847.)

Selbst der Iphigenie in Tauris fehlt die dem Euripides gewöhnliche vaterländische Beziehung nicht. Denn nach Athen soll Orest das Bildnis der Diana von dort bringen.


Medea.Bei Gelegenheit der Aufführung des griechischen Stückes, die auf Tiecks Betreiben am 7. August 1844 in Berlin stattfand.

(1844.)

Die Kinder der Medea dürfen wir uns doch nicht als gar so klein vorstellen, denn V. 45 werden sie als von der κρικηλασία (ἐκ τρόχων) rückkehrend bezeichnet, was, da bei diesem Spiele ein metallner Reif mit einem eisernen Stabe fortgetrieben wurde, doch schon die Sache des Knabenalters ist. Sie trieben ihr Spiel auch im Gymnasium, wie gleich darauf (V. 67) der Pädagog erwähnt, wo eigentliche Kinder wohl nicht hinkamen. Also etwa sieben oder acht Jahre alt.

Schon V. 92 spricht die Amme ihre Besorgnis aus, daß Medea etwas Feindseliges gegen ihre Kinder unternehmen werde.

Wie lebhaft und empfindbar ist diese Besorgnis dadurch ausgedrückt, daß die Kinder sich noch auf der Scene befinden, wenn Medea schon sichtbar wird und die Amme nun jene eilig ins Haus treibt, ehe die Mutter ihrer noch gewahrt.

Oder vielmehr im ganzen ersten Akte ist Medea noch nicht sichtbar. Χόρος (V. 174): Πῶς ἄν ἐς ὄψιν τὰν ἁμετέραν. Sie spricht im Innern des Hauses, wodurch aber der eben erwähnte Eindruck nicht vermindert wird, da sie, wenn auch nur mit der Stimme, gegenwärtig ist und jeden Augenblick erscheinen kann.

Zwei Ursachen, aus der Ausdrucksweise hergenommen, warum griechische Stücke in ihrer ursprünglichen Form auf dem heutigen Theater nicht gefallen können, sind: erstens, daß die Griechen von ihren Volksversammlungen her eine Neigung zur umständlichen Vielrednerei hatten, die uns mitunter läppisch vorkommt, dann, daß sie gern allgemeine Sätze einmischen und eindringlich wiederholen, die damals neu sein mochten, gegenwärtig aber unter die abgedroschenen gehören, als: das Lob des mittelmäßigen Zustandes, die Rache der Götter, die dem Uebermaß und dem Uebermute folgt. Namentlich die Chöre sind voll dieser Wiederholungen. So auch hier im ersten Akte die Klage der Amme, daß die Dichter Lieder für die Freude und Schwelgerei, aber keine gegen den Schmerz und die Leiden erfinden. Bei uns ist aber gerade das Gegenteil, da man in unserer Zeit bei Tische nicht zu singen pflegt.

Wie weise und wahr, daß, indes die Wärter der Kinder zuerst für das, was ihrer Sorge am nächsten liegt, für die Kinder, ihre Furcht aussprechen, und dadurch den Schluß vorbereiten, Medea von vornherein nur gegen ihre Beleidiger wütet, und Jason der Braut und deren Vater den Tod droht.

Eines der Hauptmotive, um das sich ein guter Teil der Handlung dreht: der Zweifel Medeas, wo sie sich nach vollbrachter That hinflüchten soll, verliert für unsere Zeit alle lebendige Wirksamkeit.

Der erste Chor ist schön, der Lage angemessen und natürlich. Man könnte nämlich zweifeln, ob es passend sei, die Weiber zu loben, da Medea eben ihre gräßlichen Entschlüsse ausgesprochen. Aber sie rächt nur männlich, was Männer mit weibischem Sinn ihr angethan. Das ist die Verkehrung der Welt, die der Chor beklagt.

*

Einem neuern Zuseher wird jene erste Rede des Jason Vers 522 nicht allein Unwillen erregen, was halb und halb gewollt ist, sondern sie muß auch den Eindruck des Lächerlichen machen, was doch nicht in der Absicht lag. Daß eigentlich Venus ihn gerettet, und Amor Medeens Herz besiegt, was bei den Alten einen Glauben vorfand, ist für den Neueren völlig leer, und Jason erscheint ihm noch mehr blödsinnig und geckenhaft als undankbar. Auch der oratorische Eingang seiner Rede, den in Wortstreit und Redekünste enthusiastisch verliebten Athenern ganz natürlich, ist der Gipfel der Abgeschmacktheit für unsere Zeit.

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Die Bitten der Medea, im Lande bleiben zu dürfen, müssen einem neuen Publikum unsinnig vorkommen, die Verhandlungen mit Aigeus um einen Zufluchtsort in Athen, leer; denn die neuere Zeit hat ihr Vaterland überall, ubi bene, ibi patria.


(1847.)

Bei Euripides darf man nie den patriotischen Gesichtspunkt aus den Augen verlieren. Er ist der eigentliche Lokal-, Nationalschriftsteller. Mit Ausnahme der Stoffe aus dem trojanischen Kriege liegt immer eine Beziehung auf Athen, ja auf die Zeitumstände im Vor- oder Hintergrunde. Die Hiketides z. B. wären beinahe ohne Interesse, wenn nicht die Argeier im peloponnesischen Kriege es mit den Spartanern gegen die Athener gehalten hätten. Die Einheit der Fabel behandelt er allerdings ziemlich gleichgültig; bewundernswürdig aber ist, was aus den scheinbar außer dem Wege liegenden Zwischenerfindungen für großartige Wendungen und den Hauptgedanken abschließende Beziehungen hervorgehen.


(1861.)

Dieser Rhesus des Euripides ist allerdings ein wunderliches Ding. Offenbar ein Gelegenheitsstück, durch irgend einen Anlaß etwa in Thrakien hervorgerufen, nicht allein, weil es sonst niemand schreiben, sondern weil es auch sonst niemand ansehen würde. Gehört also zur Gattung der Perser von Aeschylus und ist ebensowenig eine Tragödie als diese. Der Knotenpunkt liegt offenbar in der Erscheinung der Muse, die das Ganze in die Höhe führt und vielleicht sogar in Zusammenhang mit den eleusinischen Mysterien bringt, die ja auch aus Thrakien stammen (τοῖσιν εἰδόσιν ϑεός). Für das augenblickliche Gefallen sorgten wohl die sich ablösenden Schildwachen, der militärische Apparat und wohl auch die von dem gewöhnlichen abweichenden kriegerischen Tänze des Chors.


Aristophanes.

(1838.)

Zwischen dem zweiten und dritten Akt des Plutos von Aristophanes liegt eine volle Nacht, die nämlich, in der Plutos im Tempel des Asklepios sein Gesicht wieder erhält.

Dieser Plutos, trotz der Vortrefflichkeit der Einzelheiten und der Löblichkeit der Anlage, leidet doch an einigen unkünstlerischen Gebrechen, namentlich dem Parallelismus einiger Scenen. Der Sykophant im dritten Akt ist als Figur zu sehr Wiederholung des Blepsidemos im zweiten. So wie der Priester des Zeus am Schlusse der Bedeutung nach die Situation des unmittelbar vorher auftretenden, unvergleichlichen Hermes in schwächerer Abschattung noch einmal wiedergibt.

Wenn ich je mich der aufs Griechische verwendeten Mühe gefreut habe, so ist es jetzt. Die Uebersetzungen des Aristophanes geben keine Vorstellung von dem Werte des Originals. Neben dem Text ist übrigens Voß unendlich schätzbar. Er selbst war wohl zu sehr Hellenist, um sich seine Uebersetzung abgetrennt vom Mutterstamme auch nur denken zu können.


Herodot.

(1858–1859.)

Es ist merkwürdig, wie schnell Herodot die Schlacht von Marathon abthut, um gleich darauf die Brautbewerbung des Alkmäoniden Megakles und die Späße des Hippoklides aufs weitläufigste zu erzählen. Es ist ihm überhaupt vor allem um weitentlegene Dinge, um Märchen und Wunder zu thun.

Auch die Schlacht von Platää ist bis zum Unverständlichen verworren erzählt.


Demosthenes.

(1834.)

Ich finde die philippischen Reden des Demosthenes viel schwächer, als ich sie mir dem Rufe nach vorgestellt habe. Dagegen, ihnen gegenüber, die olynthischen eigentliche Meisterstücke, lichtvoll und voll schlagender Stärke. Merkwürdig und die beiden Nationen charakterisierend, wenn man Cicero mit Demosthenes vergleicht, wie der Römer seine größten Hilfsmittel aus der Rhetorik zieht, der Athener aus der Logik.


(1836.)

Ich habe eine Rezension von ScholtensDe Demostheneae eloquentiae charactere. Utrecht 1835. Werk über den Charakter und die Beredsamkeit des Demosthenes gelesen. (Das Werk selbst nicht.) Ich war erstaunt, darin alle Vorzüge dieses großen Redners gewürdigt zu finden, nur einen nicht, der, wenn nicht sein größter, doch gewiß derjenige ist, der ihn von den übrigen am wesentlichsten unterscheidet. Es ist dies seine logische Gewalt. Diese Eigenschaft ist um so merkwürdiger, da sie zugleich das hellste Licht über die Geistesbeschaffenheit und die Bildungsstufe des athenischen Volkes wirft, gegenüber welchem er sich der nackten Logik als der verläßlichsten Waffe bedient. Wenn Cicero eine starke Wirkung auf seine Zuhörer beabsichtigt, wird er pomphaft, erschöpft Tropen und Figuren, regt den tiefsten Boden der menschlichen Leidenschaften auf, spricht zu den Augen, den Ohren, den Herzen. Demosthenes thut das auch; wo er aber den Hauptschlag führen will, wird er immer einfacher, ja stiller, aber schärfer und eine logische Schlußfolge erringt endlich und befestigt den Sieg.


(1844.)

Merkwürdig ist die Stelle in Broughams historical sketchesParis 1844. p. 209, wo dieser vollendete Kenner der Redekunst über Lord Bolingbrokes Eloquenz spricht, und nachdem er dessen Belesenheit in den römischen Autoren gerühmt, hinzufügt: »With greek literature he seems not to have been familiar: nor can the reader of his own works fail to perceive that his style is not so redolent of the flowers which grew in the more rigorous climate of the Attic school.« – More rigorous! Die attische Eloquenz! und doch ist es so! Die Römer gingen auf Ueberredung aus, die Attiker auf Ueberzeugung. Jene sprachen zu den Leidenschaften, diese zum Verstande, und des Demosthenes Hauptargument ist immer vorzugsweise logisch gefaßt.


Thukydides.

(1838.)

Diese Rede des Perikles im Thukydides über die ersten im Kriege Gefallenen ist wie starker Wein, sie gießt Kraft bis in die äußersten Nervenspitzen, aber sie berauscht auch, und hat die berauscht, die sie anhörten. Das Lob der Gebliebenen in ein Lob der Vaterstadt umwandeln und statt der Klage um jene ein Triumphlied für diese anstimmen, gehört unter das Großartigste, was aus allen Zeiten bis auf uns gekommen ist.


Plato.

(1828.)

ἀναβάλλεσϑαι δὲ οὐκ ἐπισταμένου ἐπιδέξια ἐλευϑέρως οὐδὲ γ' ἁρμονίαν λόγων λαβόντος ὀρϑῶς ὑμνῆσαι ϑεῶν τε καὶ ἀνδρῶν εὐδαιμόνων βίον ἀληϑῆ. Plato Theaitet. p. 96.

Alle Uebersetzer nehmen hier ἀναβάλλεσϑαι für eine gewisse Art, den Mantel um sich zu schlagen. Warum soll es aber nicht anheben, präludieren heißen? Auf diese Art paßt es so schön zu dem folgenden und fördert die Wirksamkeit dieser lyrisch begeisterten Stelle.


(1834.)

Welches das eigentliche Hauptthema von Platons Phädrus sei, ist vielfältig gestritten worden. Die einen überschreiben es: Vom Schönen, die andern: Ueber die Redekunst; Schleiermacher endlich meint: vor allem gelte es der Dialektik. Wie gezwungen diese Unterlegungen sind, sieht wohl jedermann. Einer Abhandlung über das Schöne eine zweite ihr durchaus fremde über die Redekunst anhängen; oder einer Schrift über die Rhetorik oder Dialektik Beispiele vorausschicken, die ihrer Natur nach die Hauptaufmerksamkeit auf sich ziehen und die eigentliche Unterweisung kahl und matt lassen müssen, scheint beides höchst unzulässig und sonderbar.

Worüber handelt denn nun aber der Phädrus? – Worüber? Ueber die Rede des Lysias. Es ist gleichsam ein Gelegenheitsstück. Diese Rede wurde gelesen, wahrscheinlich bewundert. Plato teilte die allgemeine Ansicht nicht. Er setzte der Rede eine zweite an die Seite, die die Meinung dieser erstern besser und geordneter wiedergeben sollte, er setzte ihr jene dritte himmlische, ewige entgegen, die das Widerspiel siegreich verfocht. (Daß diese dritte Rede eigentlich der Grund ist, warum das Ganze geschrieben wurde, unterliegt wohl keinem Zweifel, nur ist ihr Inhalt nicht der Faden, der das Werk künstlerisch zusammenhält.) Nachdem nun die Rede beurteilt und widerlegt ist, wird untersucht, woran es Lysias eigentlich habe fehlen lassen, und gezeigt, daß Rhetorik ohne Dialektik wertlos sei.

So fügt sich das Ganze ungezwungen aneinander; daß die Ausführung über den Anlaß hinaus ins Allgemeine und Grandiose geht, hindert nichts: es wird vielmehr bei jedem bedeutenden Schriftsteller so sein, der über einen Anlaß schreibt, ja der Anlaß wird nur gewählt, um weit darüber hinauszugehen.


(1838.)

Plato völlig modern in der empfindungsmäßigen Zergliederung der Urbegriffe.

*

Die Idee ist ein Sprung, den der Geist aus seinem diskursiven Fortschreiten heraus ins Weite macht. Ist sie einmal da, so sucht er sie nachträglich mit seinem übrigen Besitztum einspinnend zu verbinden. Gelingt es ihm, so wird die Idee zum Vernunftbegriff. Die Idee als solche gehört der Philosophie nicht an, sondern der Poesie.


(1862.)

Daß die Verteidigung des Sokrates wirklich von Plato ist, eine nach Möglichkeit aus dem Gedächtnis wiederholte wirkliche Rede des Sokrates, zweifle ich nicht, der Kriton aber, trotz seines schönen Inhaltes ist doch der Form nach zu abgeschmackt, um ihn dem Plato zuzuschreiben: daß nämlich Sokrates wie ein abgerichtetes Schulpferd, in diesem großen Augenblicke in sein gewohntes Frag- und Antwortspiel zurückfällt. Später verliert sich der Eindruck, aber anfangs ist er zu lächerlich.

*

Eine Stelle in Platons Staatsmann kommt meiner eigenen Ueberzeugung vollkommen entgegen.

Fremdling. Und wie? unsere Frage über den Staatsmann, ist sie uns mehr um seinetwillen selbst aufgegeben worden, oder damit wir in allem dialektischer werden?

Der junge Sokrates. Offenbar, um es in allem zu werden.

Die Hauptaufgabe des Sokrates, die Platon in seinen Gesprächen fortsetzt, war offenbar: die Athener, ein so herrliches Volk, als seitdem in der Geschichte nicht wieder vorgekommen, die aber, nach ihrem sanguinischen Temperament den Fehler hatten, die wichtigsten Dinge nur nach augenblicklicher Stimmung, nach Empfindung und Leidenschaft zu unternehmen, ans Denken zu gewöhnen, an die Untersuchung, was er die Dialektik nennt. Daher wird immer nur die Untersuchung mit peinlicher Genauigkeit fortgeführt, das Resultat aber bleibt weg, indes in der Philosophie doch das Resultat die Hauptsache wäre, daß im Ganzen der Verhandlung die erhabensten und großartigsten, mehr Empfindungen als Gedanken angeregt werden, ist unbestreitbar. An der Vortrefflichkeit der künstlerischen Form zweifelt ohnehin niemand.

Wenn man übrigens diese Gespräche, wie ich thue, da meine kranken Augen das Griechische nicht vertragen – in Uebersetzung und zwar fortlaufend liest, so werden sie doch endlich lästig. Immer angeregt und nie befriedigt zu werden, zuletzt noch die Eintönigkeit des Verfahrens spannen ungemein ab.

*

Ich kann mir wohl denken, daß der Kleitophor von Plato sei und zwar als ein Uebergang von den Anregungen des Sokrates zur eigenen Philosophie des Platon, die er seinen Schülern im Zusammenhang und mit möglichster Beweiseskraft vortrug.


Plutarch.

(1820–1821.)

Warum ich die Alten so liebe? Nebst allem anderen auch darum: weil, wenn ich sie lese, ich zugleich die ganze Vergangenheit mitlese zwischen mir und ihnen. Wie viele Helden und Dichterherzen mögen bei diesen Biographien Plutarchs geglüht haben, die jetzt mich durchglühen mit eigenen und erborgten Flammen.



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